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Göschenhaus-Journal 3/2012

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EDITORIAL<br />

GÖSCHENHAUS-JOURNAL<br />

Ausgabe 3/<strong>2012</strong> (Juli, August und September <strong>2012</strong>)<br />

Informationen rund um das<br />

<strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt, das Seume-Haus und den<br />

Internationalen Johann-Gottfried-Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma<br />

Liebe Göschen- und Seume-Freunde, liebe<br />

Leser dieser Zeilen:<br />

Die zweite Hälfte des Jahres ist angebrochen<br />

... und – kaum zu glauben – die Tage werden<br />

schon wieder kürzer. Damit nähert sich auch<br />

unaufhaltsam das nächste große Jubiläum:<br />

SEUME 2013. Die dritte Ausgabe des<br />

<strong>Göschenhaus</strong>-<strong>Journal</strong>s möchte mit dem<br />

Abdruck eines Seume-Vortrags, den ich im<br />

Mai <strong>2012</strong> in Altenhain gehalten habe, bereits<br />

einen regionalen Akzent für dieses Jubiläum<br />

setzen. Manch ein Leser wird beim Durchblättern<br />

des Textes dann vielleicht<br />

aufstöhnen: Immer diese Fußnoten! Die Welt<br />

könnte so schön sein ohne Fußnoten! Aber<br />

keine Angst: Fußnoten beißen nicht! Sie<br />

können sie gerne ignorieren, denn den Sinn<br />

des Textes verstehen Sie dann trotzdem.<br />

Fußnoten sind in Sachtexten, die einen<br />

wissenschaftlichen Anspruch haben, einfach<br />

nötig; man möchte ja nicht wie ein<br />

ehemaliger Verteidigungsminister enden ...<br />

Für die, die doch gerne in die Anmerkungen<br />

reinschauen möchten, finden die Fußnoten<br />

am Ende der jeweiligen Seite, damit ein hin-<br />

und herblättern nicht nötig ist.<br />

Das <strong>Journal</strong> bietet diesmal auch ein<br />

Interview mit dem Schriftsteller Jan Decker,<br />

der sich dem Werk Johann Gottfried Seumes<br />

nähert. Aber auch andere, kunterbunte<br />

Themen sind wieder zu finden. Ich wünsche<br />

Ihnen dazu viel Freude beim Lesen.<br />

Ihr<br />

Thorsten Bolte<br />

(<strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und<br />

Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma)<br />

KULTURBETRIEB GRIMMA<br />

<strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt<br />

– Seume-Gedenkstätte –<br />

Schillerstraße 25 • 04668 Grimma<br />

Tel. / Fax 0 34 37 - 91 11 18<br />

www.goeschenhaus.de<br />

E-Mail: SeumeArethusa@web.de<br />

Öffnungszeiten:<br />

Dienstag, Donnerstag,<br />

Samstag, Sonntag jeweils 10-17 Uhr<br />

und jederzeit nach Vereinbarung<br />

Gruppen bitte nur nach Anmeldung<br />

Seume-Haus<br />

Markt 11 • 04668 Grimma<br />

Tel. 0 34 37 – 70 21 71<br />

Öffnungszeiten:<br />

Dienstag bis Freitag jeweils 13-17 Uhr<br />

und jederzeit nach Vereinbarung<br />

Informationen unter www.goeschenhaus.de<br />

Internationaler Johann-Gottfried-Seume-Verein<br />

„ARETHUSA“ e. V.<br />

Sitz: <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt<br />

1 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


INHALT<br />

Der Seume-Preisträger von 2011, Peter Winterhoff-Spurk, hat mir zwei Seume-Bilder aus Berlin<br />

geschickt. Seume ist eben überall anzutreffen …<br />

Seite 1 → EDITORIAL<br />

Seite 2 → INHALT<br />

Seite 3 → KALENDER UND AUSBLICK<br />

Seite 4 → JOHANN GOTTFRIED SEUME UND MEHR<br />

Ein Gespräch in neun Fragen mit dem Schriftsteller<br />

Jan Decker (Leipzig)<br />

Seite 9 → ALTENHAIN WIRD (FAST) SEUME-STADT<br />

Ein Rückblick von Volker Killisch<br />

Seite 12 → EINE FREUNDSCHAFT. JOHANN GOTTFRIED SEUME<br />

UND VEIT HANNS SCHNORR VON CAROLSFELD<br />

IN ALTENHAIN. Ein Vortrag von Thorsten Bolte<br />

Seite 26 → AUSSCHREIBUNG Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis 2013<br />

Seite 27 → Und damit Punktum Wörterprunk. Das Besondere zum Schluss<br />

Seite 28 → IMPRESSUM<br />

Hätte Seume in seinen letzten Jahren<br />

gut gebrauchen können ...<br />

2 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


KALENDER<br />

Juli <strong>2012</strong><br />

▪ Noch bis zum 30. September zeigt das<br />

<strong>Göschenhaus</strong> die Sonderausstellung<br />

Auch von Person war Göschen ein sehr<br />

einnehmender Mann. Buchhändler –<br />

Verleger – Drucker – Persönlichkeit.<br />

Sonderausstellung zum 260. Geburtstag<br />

von Georg Joachim Göschen.<br />

Die Ausstellung kann zu den üblichen<br />

Öffnungszeiten besucht werden, darüber<br />

hinaus sind auch spezielle Führungen<br />

möglich. Informationen erhalten Sie bei<br />

uns im <strong>Göschenhaus</strong>.<br />

▪ Am 6. Juli (Freitag) um 19 Uhr findet im<br />

Seume-Haus ein weiterer Vortrag zum<br />

260. Geburtstag Göschens statt.<br />

Unter dem Titel Göschens Illustrator. Der<br />

hannoversche Hofmaler Johann Heinrich<br />

Ramberg berichtet die Kunsthistorikerin<br />

Dr. Alheidis von Rohr (Hannover) über<br />

diese interessante Künstlerpersönlichkeit.<br />

Rambergs Zusammenarbeit mit Göschen<br />

schlägt sich besonders in der wegweisenden<br />

Buchausgabe der Werke Wielands<br />

nieder. Hier hat sich nicht nur Göschen,<br />

sondern auch Ramberg einen bleibenden<br />

Ruhm in der deutschen Buchgeschichte<br />

erworben.<br />

Der Eintritt beträgt nur 2,- €.<br />

August <strong>2012</strong><br />

▪ Am 1. August <strong>2012</strong> (Mittwoch) findet im<br />

<strong>Göschenhaus</strong> um 10 Uhr eine<br />

Ferienveranstaltung für Kinder statt.<br />

Undine Myja vom Kloster Buch hält dann<br />

„Eine runde Kräuterstunde“. Alle Kinder<br />

können einen Rundgang in die<br />

Kräuterwelt erleben und sich ihren<br />

eigenen Kräuteressig für die Zubereitung<br />

von Salaten, Gerichten und Saucen<br />

herstellen. Der Eintritt beträgt 4,- €.<br />

▪ Am 8. August <strong>2012</strong> (Mittwoch)<br />

können Kinder ab vier Jahren im Rahmen<br />

der Ferienveranstaltung im <strong>Göschenhaus</strong><br />

das Puppenspiel Die Erbsenprobe oder<br />

Die Prinzessin auf der Erbse erleben.<br />

Die Puppenbühne PAPPERLAPAPP<br />

aus Leipzig spielt.<br />

Beginn ist 10 Uhr, Eintritt 4,-€<br />

▪ Am 22. August <strong>2012</strong> (Mittwoch)<br />

um 10 Uhr lädt das <strong>Göschenhaus</strong><br />

zur Ferienveranstaltung für Kinder ein.<br />

Der Puppenspieler Falk Ulke und der<br />

Liederschreiber und Sänger<br />

Wilfried Mengs lassen das berühmte Buch<br />

„Der Struwwelpeter“ lebendig werden.<br />

Für nur 4,-€ Eintritt sind<br />

kleine und große Kinder<br />

zwischen 4 und 104 Jahren eingeladen!<br />

September <strong>2012</strong><br />

▪ Hier wird Schulgeschichte zum Erlebnis<br />

heißt es am 1. September <strong>2012</strong> (Samstag)<br />

zwischen 10 und 17 Uhr.<br />

Es werden im <strong>Göschenhaus</strong> speziell für<br />

alle Schulanfänger und deren Gäste<br />

Sonderführungen zu dem Thema<br />

„Schule in alter Zeit" angeboten.<br />

Vorbestellungen sind stets erwünscht und<br />

sinnvoll – und bei Gruppen unerlässlich.<br />

Pauschal wird 4,-€ pro Person erhoben.<br />

▪ Am 8. September (Samstag)<br />

findet ab 16 Uhr die<br />

2. GRIMMAER MUSEUMSNACHT<br />

statt. Das <strong>Göschenhaus</strong> und das<br />

Seume-Haus sind geöffnet,<br />

ein Eintritt wird nicht erhoben.<br />

▪ Am 9. September (Sonntag)<br />

von 10 bis 17 Uhr ist wieder der<br />

traditionelle Tag des offenen Denkmals.<br />

Kostenfreie Sonderführungen im<br />

<strong>Göschenhaus</strong> und Seume-Haus<br />

werden in der gesamten Zeit angeboten.<br />

3 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


Johann Gottfried Seume und mehr<br />

Ein Gespräch in neun Fragen mit dem Schriftsteller Jan Decker (Leipzig)<br />

Das Seume-Jahr 2013 rückt näher, Zeit also, einmal bei einem Schriftsteller<br />

nachzufragen, welche Bedeutung denn Seume heute noch haben kann. Die Fragen stellte<br />

Thorsten Bolte schriftlich. Geantwortet hat Herr Decker mit sehr klugen Bemerkungen<br />

über Seume und das eigene Schreiben, hier ungekürzt wiedergegeben.<br />

1. Friedrich Nietzsche bezeichnete es als das beste<br />

deutsche Buch: „Die Gespräche mit Goethe in den<br />

letzten Jahren seines Lebens“, geschrieben von Johann<br />

Peter Eckermann (1792-1854). Eckermann ist trotzdem<br />

eher als traurige Gestalt in die Literaturgeschichte<br />

eingegangen, als der „übertreue“ Goethe-Begleiter.<br />

Herr Decker, Sie haben ausgerechnet Eckermann zum<br />

Antihelden Ihres letzten Buchprojekts gemacht, dessen<br />

Titel lautet: „Eckermann oder die Geburt der<br />

Psychoanalyse aus dem Geist Goethes.<br />

Theatermonolog in drei Bildern“. Wie sind Sie auf<br />

das Thema gestoßen?<br />

Jan Decker: Ich habe Eckermann wie Seume<br />

relativ früh kennengelernt, jedenfalls bevor ich<br />

mich dem Autorenberuf zuwandte. Es muss in den<br />

ersten Semestern meines Germanistikstudiums gewesen sein, um 1999 herum. Zu dieser<br />

Zeit war ich von der Universität reichlich ernüchtert, wie auch sonst? Ich wollte zum<br />

eigenen Schreiben finden, befand mich aber noch in der langen Zeit vor dem ersten Text,<br />

die für viele Autoren besonders qualvoll ist. Ich schwänzte die Seminare und hörte mir<br />

lieber im Radio Lesungen von Klassikern an. Heute kommt mir das lustig vor. Ich hätte<br />

ebenso gut in die Universität gehen können, um etwas über die Klassiker zu erfahren. In<br />

dieser Zeit verschlang ich die „Gespräche mit Goethe“, erst akustisch, dann auf<br />

gedrucktem Papier. Wenn ich mich heute Eckermann zuwende, dann geht es mir auch<br />

um diese Zeit. Der „übertreue“ Begleiter ist ein Nichtprivilegierten-Kind, das sich seinen<br />

Weg zu den Olympiern lang erarbeiten muss und dabei – siehe Eckermann –<br />

charakterlich untergeht. Ersteres ist mir vertraut, letzteres soll mir<br />

nicht passieren.<br />

Der Vertraute Goethes:<br />

Johann Peter Eckermann<br />

(1792-1854)<br />

Jan Decker, geboren 1977 in Kassel,<br />

lebt als freier Autor in Leipzig.<br />

Er schrieb mehrere Theaterstücke mit<br />

Uraufführungen am Staatstheater<br />

Nürnberg und dem Theater Vorpommern.<br />

Zahlreiche Hörspiele und Features.<br />

Zuletzt: „Die große Weltreise“ (SWR 2011),<br />

„Jaco Pastorius’ Gang durch<br />

den Schnee von Rheidt nach Havona“<br />

(D Kultur 2011). Zahlreiche<br />

Auszeichnungen, u.a. von der Filmstiftung<br />

NRW und der Kulturstiftung des Freistaates<br />

Sachsen.<br />

Sein Theatermonolog<br />

„Eckermann oder die Geburt der<br />

Psychoanalyse aus dem Geist Goethes“<br />

erschien <strong>2012</strong> in bibliophiler<br />

Ausstattung in der Edition Ornament.<br />

2. Nun gehört Eckermann mit seinen Werken nicht unbedingt zu den<br />

bedeutendsten Literaten der deutschen Sprache, auch wenn einige seiner<br />

Gedichte zumindest über das Mittelmaß hinausgehen. Ganz anders ist das<br />

natürlich bei Goethes Werk. So schwierig oftmals Goethes Charakter –<br />

Göschen hat da auch seine Erfahrungen gemacht –, seine literarischen<br />

Leistungen sind überragend. Herr Decker: Welche Bedeutung hat der<br />

Dichterfürst aus Weimar für einen Schriftsteller von heute?<br />

Jan Decker: Erst als ich anfing zu schreiben – und ich meine damit<br />

das kontinuierliche, tägliche Schreiben, das ich seit dem Beginn<br />

4 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


meines Studiums am Deutschen Literaturinstitut 2004 ausübe, konnte ich Goethe<br />

wertschätzen. Goethe ruft den Autoren bis heute genau das zu, wenn ich ihn recht<br />

verstehe. Seine ständige Not, sich produktiv zur Welt zu stellen, weil sie ihm sonst in<br />

tausend Teile zerfällt, spürt ein junger Autor heute im Angesicht von Goethe. Und das<br />

weniger wegen seiner Werke, sondern weil der große Mensch Goethe in großen<br />

Verhältnissen lebte. Ich glaube, am Deutschen Literaturinstitut hatte ich erstmals das<br />

Gefühl, mich mit Goethe „messen“ zu können, mit der Literatur überhaupt. Vorher<br />

fehlten mir einfach die großen Verhältnisse, die pure Bekanntschaft mit anderen Autoren<br />

und Denkern. Das bedeutet mir Goethe heute, er hat mich ermutigt, mich produktiv zur<br />

Welt zu stellen. Und ich habe es nicht bereut.<br />

Der Schriftsteller<br />

Jan Decker<br />

Foto: Christoph Busse<br />

3. Geboren sind Sie 1977 in Kassel, am „deutschesten“ Tag der<br />

Deutschen, am 9. November. Studiert haben Sie am Deutschen<br />

Literaturinstitut in Leipzig, einer Institution, die in der Welt der<br />

Literatur nicht nur Zustimmung findet. Können Sie uns schildern, was<br />

das Besondere an diesem Studium ist und ob Sie die Kritik gegen das<br />

Literaturinstitut verstehen können?<br />

Jan Decker: Das Besondere an diesem Studium für meinen<br />

eigenen Werdegang klang bereits an. Generell ist besonders, dass<br />

es eine enorme Beschleunigung der eigenen Entwicklung<br />

ermöglicht. Sich Autoren wie Jens Sparschuh, Hans-Ulrich<br />

Treichel und Josef Haslinger als Dozenten zu stellen, und zwar<br />

mit den eigenen Texten, lässt den eigenen blinden Fleck beim<br />

Schreiben sehr schnell sichtbar werden. Und das ist meine<br />

Erfahrung: Das Talent bringt man mit, aber den blinden Fleck wird manch einer in 30<br />

Jahren nicht los. Dann die wunderbare Zeit zum Schreiben, denn es gibt keine<br />

„Theoriekurse“, ganz folgerichtig. Wer sich produktiv zur Welt stellt, erarbeitet sich die<br />

Theorie selbst, zwischen Zähneputzen und Mittagessen. Vorausgesetzt, er muss nicht<br />

Pizzas ausfahren. Das lässt die jungen Autoren aufgehen und erblühen, das kann man<br />

schon feststellen. Die Kritik verstehe ich, denn im Literaturbetrieb fokussiert man sich<br />

stark auf die Prosa-Autoren, die aus der Leipziger Schule hervorgehen und bei einem<br />

großen Publikumsverlag landen. Diese Auswahl sorgt von selbst für eine gewisse<br />

Gleichheit der literarischen Schreibweisen. Für mich ist diese Kritik eine Ermutigung,<br />

weiterhin eine eigenständige Handschrift auszubilden. Diese Handschrift wird am<br />

Literaturinstitut nicht sanktioniert, sondern ausdrücklich gefördert, wenn sie höchsten<br />

Qualitätsmaßstäben gerecht wird.<br />

4. Als Juror des Seume-Literaturpreises 2011 bin ich erstmals mit einem Ihrer Texte, den Sie<br />

eingereicht hatten, vertraut geworden. Anfang <strong>2012</strong> konnte ich Sie dann persönlich bei Ihrem<br />

Besuch im <strong>Göschenhaus</strong> kennenlernen: Sie hatten ein Aufenthaltsstipendium der<br />

Denkmalschmiede in Höfgen und erwanderten sich – quasi auf den Spuren Johann Gottfried<br />

Seumes – das Muldental. Und wer Seume erleben möchte, kommt am <strong>Göschenhaus</strong> eben nicht<br />

vorbei! Zwar ist Seume als „Spaziergänger nach Syrakus“ durchaus ein Begriff einer immer<br />

größer werdenden Öffentlichkeit. Doch nur selten werden seine Texte auch tatsächlich gelesen.<br />

Sie dagegen haben recht früh Seumes Italienbericht gelesen. Wie kam es dazu?<br />

5 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


Jan Decker: Die Begegnung mit Seume fiel wie erwähnt in die gleiche Zeit wie die<br />

Begegnung mit Eckermann, und sie geschah auf die gleiche Weise. Erst hörte ich eine<br />

Radiolesung des „Spaziergang nach Syrakus“, dann kaufte ich mir das Buch und<br />

verschlang es. Ich bin daher manchmal geneigt, Eckermann und Seume in ein<br />

Doppelpack zu stecken, was völlig falsch wäre. Auch von außen wird das manchmal an<br />

mich herangetragen, mit der unverhohlenen Tendenz: Jetzt hat sich Decker mit<br />

Eckermann beschäftigt, nun wird er sich auch noch mit Seume beschäftigen, und dann<br />

ist er geheilt. Genau das Gegenteil ist der Fall. Ich gehöre zu den Autoren, die großen<br />

Wert auf die Feststellung legen, dass man ohne die genaue Kenntnis der Tradition nicht<br />

schreiben kann. Seume gehört zu dieser Tradition, und er ist mir schlichtweg zu einer<br />

lebendigen Figur geworden, wie manche Figuren der Vergangenheit – Lenz, Büchner,<br />

Eckermann, Goethe – aber nicht alle. Seume steht über den Stilen und Moden, vielleicht<br />

weil er selbst ein ausgezeichneter Kenner der Tradition war.<br />

5. Die Literaturwissenschaft tut sich immer noch recht schwer mit Seume. Als Spätaufklärer war<br />

Seume in den Augen der „Klassiker“ und Romantiker längst ein „konservativer“ Schriftsteller,<br />

sein humanistischer Anspruch macht ihn dagegen zu einem modernen Denker – man könnte<br />

meinen, dass der Vormärz mit Seume einen frühen Vertreter besitzt. Was hat Sie an Seume am<br />

meisten fasziniert: die schriftstellerische Qualität oder die inhaltlich-politische Dimension der<br />

Texte Seumes?<br />

Jan Decker: Ich bin ein vehementer Verfechter der These, dass Inhalt und Form nicht zu<br />

trennen sind. Wer politisch aus Kalkül schreibt, erlandet meistens eine Bauchlandung.<br />

Seume ist heute deshalb noch lebendig und neu zu entdecken, weil neben die inhaltlichpolitische<br />

Dimension die schriftstellerische Qualität tritt. Oder besser: Sie sind<br />

ineinander verwoben, durch seinen Charakter zusammengeschnürt und deshalb<br />

inkommensurabel – ein Goethe-Eckermann-Begriff, den ich sehr liebe. Seume ist nur mit<br />

Das Adjektiv „inkommensurabel“<br />

bedeutet soviel wie „unvergleichbar“<br />

oder, etwas umgangsprachlicher,<br />

„nicht auf einen Nenner zu bringen“.<br />

Seume vergleichbar. Daraus folgt, was mich am meisten<br />

an ihm fasziniert: Dass er uns auf so hohem Niveau<br />

niemals langweilt – und natürlich auch aufklärt!<br />

6. Für eine gemeinsame Publikation der Johann-Gottfried-Seume-Gesellschaft zu Leipzig e.V. und<br />

des Internationalen Johann-Gottfried-Seume-Vereins „ARETHUSA“ e.V. Grimma, die im<br />

Seume-Jahr 2013 erscheinen wird, konnte ich Sie gewinnen, einen Beitrag beizusteuern. Er trägt<br />

den Titel „Seume. Ein Anfang“. Ohne zu viel vorwegzunehmen: Kann ein Schriftsteller<br />

überhaupt etwas aus Seumes Texten für die eigene Arbeit gewinnen? Bleibt „der Wanderer“ als<br />

einzige Bezugsebene für den Literaten von heute übrig, oder sind die Texte aktuell genug, auch<br />

hinsichtlich der ästhetischen Qualität, um noch zu inspirieren?<br />

Jan Decker: Der Wanderer ist ein Einsamer. Der Autor auch. Das sind für mich die<br />

stärksten Anschlüsse an Seume, die es gibt. Für Autoren sind viele Kollegen aus der<br />

Vergangenheit ungleich vertrauter, als uns das Feuilleton einreden will – vielleicht weil<br />

Autoren dort so oft die Stilkarte zücken müssen und sich dann ein, zwei reife Früchtchen<br />

aus jeder Epoche ziehen. So viel hat sich nicht verändert: Der einsame Schreibtisch, das<br />

Schreibgerät, oftmals immer noch Stift und Papier, dazwischen das Herumstreunen in<br />

der Natur, um den Kopf frei zu bekommen. Mich reizt die Vorstellung, einmal wie<br />

6 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


Seume für Monate den Schreibtisch zu verlassen und mir die Welt zu ergehen. Peter<br />

Handke macht das übrigens, in dieser Hinsicht ist er ein echter Seume-Nachfahre. Nein,<br />

Seume muss uns nicht mit unserem literarischen Anspruch der Gegenwart befriedigen,<br />

so wenig wie Johann Sebastian Bach für die E-Gitarre komponieren musste. Aber<br />

welches Werk führt so klar, schön und schnörkellos in eine Zeit wie seines? Und wer ist<br />

der Seume unserer Tage, der einmal zukünftige Generationen inspiriert, sich mit uns zu<br />

beschäftigen? Wer uns solche Fragen stellt, bleibt erhalten.<br />

7. Das autobiografische Schreiben ist prägend für Seumes Texte: Kaum ein Text hat keinen<br />

autobiografischen Bezug, letztlich schreibt Seume über sich. Doch dies gilt nur für das äußere<br />

Leben, denn seine Ängste und seine Empfindungen werden tief vergraben hinter allzu großer<br />

Betonung von Wahrheit und männlicher Standhaftigkeit. Man nähert sich Seume also nur,<br />

indem man zwischen den Zeilen den eigentlichen Seume erst entdecken muss. Müsste es einen<br />

Schriftsteller nicht reizen, diese fast widersprüchliche Trennung von Oberfläche und<br />

Innerlichkeit mit den eigenen Mitteln darzustellen?<br />

Jan Decker: Sicherlich reizt diese Konstellation sehr. Und ich gebe zu, mit Seume als<br />

literarischer Figur schon länger zu liebäugeln. Hier müssen wir aber klar sehen, dass der<br />

Wissenden sehr wenig sind. Und dass sich das breite Lesepublikum verwundert die<br />

Augen reiben würde, wer denn jetzt da auf die Bühne tritt. Das beträfe die meisten<br />

Großen der Vergangenheit. Dass also ein Text über Seume als Person und Charakter fast<br />

zwangsläufig die Übersetzung in eine zeitgemäße Figur machen und die Spuren am<br />

Ende auch noch verwischen müsste. Wer weiß, vielleicht gibt es in diesem Sinn schon<br />

viele Texte über Seume? Als Gegenargument könnte Daniel Kehlmanns erfolgreicher<br />

Roman „Die Vermessung der Welt“ über Humboldt und Gauß dienen. Das Schöne und<br />

Schwierige an Seume ist eben, dass wir ihn nicht leicht in eine solche Paarkonstellation<br />

setzen können. So wie Seume letztlich über sich selbst geschrieben hat, will er<br />

anscheinend, dass wir über ihn selbst schreiben. Das ist eine ziemlich große, aber doch<br />

auch reizvolle Herausforderung für jeden Autor.<br />

8. Sie arbeiten viel fürs Theater und für den Hörfunk. Von Seume ist ein einziges Theaterstück<br />

überliefert, der Miltiades, von dem der begeisterte Christoph Martin Wieland prophezeite, es sei<br />

auf der Bühne nicht umsetzbar. Bis heute ist Seumes Drama unaufgeführt, Wieland sollte also<br />

recht behalten. Was haben Sie, was Seume nicht hatte? Wie unterscheidet sich das Schreiben für<br />

die „Bühne“ – gleich ob sichtbare oder „nur“ hörbare Bühne – mit dem Schreiben für den Leser,<br />

der ein Buch oder eine Zeitschrift in die Hand nimmt?<br />

Jan Decker: Ich denke, da hat sich nicht viel geändert. Der Bühnenautor hat zu jeder Zeit<br />

sehr stark ein Publikum im Sinn. Er kennt es, er will es unterhalten, er steuert es. Zu<br />

Seumes Lebzeiten gab es solche glänzenden Bühnenautoren, deren Texte wir heute noch<br />

spielen. Der belletristische Autor geht ganz anders vor. Er betreibt in Ruhe und<br />

Abgeschiedenheit eine große Selbsterforschung. Wenn er einen Satz nach seiner<br />

Richtigkeit befragt, dient ihm die eigene Wahrnehmung als Kriterium. Der Bühnenautor<br />

denkt vielmehr an den armen Schauspieler, der sich einmal mit seinem Satz auf einer<br />

Bühne oder im Rundfunk behaupten muss. Autoren können in einer Sparte bedeutend<br />

sein, ohne auch nur das Geringste von der anderen zu verstehen. Seume verstand<br />

7 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


sicherlich etwas vom Theater, aber am Ende wollte er einfach nicht für ein<br />

Bühnenpublikum schreiben, sondern vielmehr für sich selbst oder eben ein<br />

Lesepublikum. Das ist eine legitime Entscheidung.<br />

9. Noch eine Abschlussfrage: Im nächsten Jahr wird im <strong>Göschenhaus</strong> nicht nur dem 250.<br />

Geburtstag von Johann Gottfried Seume gedacht, sondern auch dem 200. Todestag vom gerade<br />

genannten Christoph Martin Wieland. Wieland, einst als größter Dichter seiner Zeit bezeichnet,<br />

gehört zu den letzten noch zu entdeckenden „Klassikern“. Eine historisch-kritische<br />

Gesamtausgabe seiner Werke ist noch nicht abgeschlossen, damit ist Wieland der Letzte der<br />

Weimarer Literaturgrößen, dem dies noch nicht vergönnt ist. Mich interessiert natürlich:<br />

Verbindet Sie etwas mit Wieland? Und wenn ja: Was sollte man unbedingt gelesen haben?<br />

Jan Decker: Für mich ist Goethes „Werther“ immer noch ein Meilenstein in der<br />

Lesbarkeit von Literatur aus der Vergangenheit. Vielleicht konnte man nach dem<br />

„Werther“ nicht mehr schreiben, ohne an das Publikum zu denken. Was ich damit<br />

scheinbar intendiere, stimmt natürlich nicht. Wieland dachte sehr wohl an ein Publikum,<br />

aber er dachte noch nicht an mich. Darf er ruhig, aber warum schaffte es Goethe mit dem<br />

„Werther“? Der ganze Mensch des Sturm und Drang, der sich im Hinblick auf sein<br />

glühendes Bedürfnis nach dem Hier und Jetzt entdeckt, das ist unserem Lebensgefühl<br />

stark vertraut. Eine Fackel dieser lodernden Flamme ist auch noch in Seumes Texten<br />

entzündet, obgleich er doch gar nicht zum Sturm und Drang gehörte. Warum ich<br />

Wieland bisher nicht richtig lesen konnte und immer nach kurzer Zeit abbreche, hat zwei<br />

weitere Gründe: Die individuelle Originalität der Figuren fehlt mir, und die Satzmelodie<br />

ist mir zu lang. Das sind zugegebenermaßen recht eigenwillige Kriterien, die in uns allen<br />

schlummern – und die ich im Fall von Wieland mit vielen Lesern teilen mag. Der<br />

Expertentipp Wieland ist, aus dieser Perspektive betrachtet, Teil der guten alten Zeit vor<br />

Goethe und Seume: Interessant, lesenswert – aber nicht so unwiderstehlich wie letztere.<br />

Was an Wieland spannend und immer wieder zu loben ist: Seine Mentorenrolle,<br />

vorbildlicher als er hat sie keiner gelebt. Vielleicht bis heute. Ohne Wielands Förderung<br />

hätten Goethe und Seume vielleicht nicht zu uns gefunden. Und das mit einer geradezu<br />

französischen, weitläufigen und englischen, pragmatischen Auffassung von Literatur.<br />

Niemand musste so wie Wieland schreiben, um von ihm geschätzt zu werden. So ein<br />

Wieland heute, das wäre nicht schlecht für uns Autoren.<br />

Vielen Dank für das Gespräch!<br />

Eine abschließende Bemerkung des Fragestellers: Herr Decker nennt die Texte von<br />

Christoph Martin Wieland „Interessant, lesenswert – aber nicht so unwiderstehlich“ wie<br />

etwa die Texte Goethes und Seumes. Die Argumente von Herrn Decker „gegen“ die Prosa<br />

Wielands – Personenzeichnung und Sprachfluss – sind sicherlich nicht immer von der<br />

Hand zu weisen. Aber 2013 ist auch Wieland-Jahr, und ich werde in den kommenden<br />

<strong>Göschenhaus</strong>-<strong>Journal</strong>en versuchen, einige Wieland-Texte vorzustellen, die vielleicht<br />

doch „unwiderstehlich“ sein können. Meine These lautet nämlich: Wieland ist heute der<br />

noch zu entdeckende Autor, und das gerade für ein breites Publikum! Am Ende dieses<br />

<strong>Journal</strong>s werden Sie bereits einen kleinen Text von Wieland finden ...<br />

8 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


Altenhain wird (fast) Seume-Stadt<br />

Ein Rückblick von Volker Killisch<br />

Volker Killisch (Altenhain) hat für das Amtsblatt Trebsen den folgenden Text verfasst,<br />

der die spezielle Seume-Veranstaltung am 12. Mai <strong>2012</strong> in Altenhain beschreibt:<br />

„Alleinstellungsmerkmale finden und damit werben!“, so lautete die Forderung eines<br />

Mitgliedes des Altenhainer Festkomitees, welches sich im Jahr 2007 zusammenfand um die 650<br />

Jahrfeier für das Jahr 2008 vorzubereiten. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir, die Aktiven der 2005<br />

gegründeten Arbeitsgruppe Dorfgeschichte, schon einiges Bemerkenswerte aus der<br />

ereignisreichen Vergangenheit unseres Dorfes zusammengetragen und ausgewertet. Dabei fingen<br />

wir nicht bei Null an. Es gab schon eine ganze Reihe von Chronisten vor uns, die in<br />

dankenswerter Weise Altenhainer Geschichte erforschten und aufschrieben. So fand sich in den<br />

Aufzeichnungen des Lehrers Wilhelm Nolte ein Hinweis auf den Aufenthalt von Seume um 1800<br />

in Altenhain sowie die Abschrift eines Gedichtes mit dem Titel: „Zum sechsten August 1800 in<br />

Altenhain. – Love is the soul of life“.<br />

Das Vereinshaus des<br />

Altenhainer Heimatvereins<br />

e.V. in der Dorfstraße 2<br />

(Foto: Volker Killisch)<br />

Viel wussten wir ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht über die Person<br />

Seumes und dessen Bedeutung. Doch die Tatsache, dass er hier in<br />

Altenhain war, war Grund genug sich näher mit ihm zu beschäftigen.<br />

Seume berühmt durch seine Wanderung nach Syrakus, war ein<br />

Vertreter der Zeit der „Aufklärung“, ein Zeitgenosse von Goethe,<br />

Schiller und Fichte. Einer Zeit, die Europa aus dem abergläubigen<br />

Denken des Mittelalters herausführte, die Menschen lehrte, sich als<br />

selbstbewusstes Individuum zu begreifen. Einer Zeit also, die bis<br />

heute auf unsere Weltanschauung und Bildung wirkt. Eine solche<br />

Persönlichkeit hat das kleine Dorf Altenhain besucht, das damals noch<br />

mitten im Wald lag. 1792 wird berichtet „Die Anzahl der Bewohner<br />

des Dorfes ist gegen 150, die auf 6 Hufe 7 Pferde und etliche 60 Kühe<br />

halten“- ob Seume davon etwas wahrnahm, wissen wir nicht,<br />

schließlich besuchte er hier seinen Freund Hans August von Bissing<br />

auf dem Rittergut, das damals etwas abseits vom Hauptort lag. Jedoch bleibt die Tatsache – ein<br />

Mann, den das Schicksal schon nach Nordamerika, Polen und Russland sandte, kam hier in<br />

diesen Ort und wurde dadurch Teil von dessen Geschichte und das ist doch schon etwas<br />

Einzigartiges. (Ein Alleinstellungsmerkmal!)<br />

Und er kam nicht allein! Im „Der Rundblick – Heimatkalender 1963“ fanden wir einen Artikel<br />

der verdienstvollen Renate Sturm-Francke zu Seumes Aufenthalt im Grimmaer Land und darin<br />

den Hinweis, das zusammen mit Seume eine weitere Persönlichkeit dieser Zeit nach Altenhain<br />

gekommen war – der Leipziger Maler und Grafiker Veit Hanns Schnorr von Carolsfeld, der<br />

spätere 3. Direktor der Leipziger Kunstakademie. Nun richtete sich unsere Aufmerksamkeit auch<br />

auf ihn und so erfuhren wir, das jener am Vorabend des Beginns der „Wanderung nach<br />

Syrakus“, die Nacht vom 5. zum 6. Dezember 1801 hier auf dem Rittergut Altenhain verbrachte.<br />

(Noch ein Alleinstellungsmerkmal!) Um dann am Morgen dieses Sonntages, von Altenhain aus<br />

nach Grimma zu laufen und ab hier gemeinsam mit Seume den Weg nach Syrakus in Angriff zu<br />

nehmen. Jedoch zwangen ihn die Umstände, in Wien seine Reise zu beenden und Seume allein<br />

weiterziehen zu lassen.<br />

Nicht allein die Tatsache, dass Seume und Schnorr in unserem Ort waren, sondern auch, dass<br />

9 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


mit ihren Namen auch eine Verbindung zu positiven Werten wie das Streben nach<br />

Menschlichkeit, Bildung und Selbstbestimmung hergestellt werden kann, bewog uns die Idee, an<br />

den Aufenthalt von Johann Gottfried Seume und Veit Hanns Schnorr von Carolsfeld in<br />

Altenhain um 1800 zu erinnern, in die Tat umzusetzen. So bot uns die 210jährige Wiederkehr<br />

der Wanderung nach Syrakus einen willkommenen Anlass am Sonnabend, den 12. Mai <strong>2012</strong> am<br />

Vereinshaus „Alte Schule“ in Altenhain eine Erinnerungstafel feierlich zu enthüllen.<br />

Dass das Thema dieser Veranstaltung weit über Altenhain hinaus interessierte, wurde dadurch<br />

deutlich, dass Altenhainer Besucher in der Minderzahl waren. Begonnen wurde mit der<br />

feierlichen Enthüllung der Tafel durch Volker Killisch. Als Initiator lag es an ihm, einige Worte<br />

zur Idee und deren Ausführung zu sagen. Zur Tafel hatte er selbst die Textvorlage beigesteuert,<br />

der Dank ging an Eckhard Klöthe, der die Porträts von Seume und Schnorr nach historischen<br />

Vorlagen entwarf und seinem Sohn Jan, der die grafische Gestaltung übernahm. Die<br />

Finanzierung erfolgte aus dem Erlös der Schrottsammlung des Heimatvereins sowie Spenden der<br />

Firmen SEG – Standortentwicklungsgesellschaft und dem Dentallabor Schlegel, auch dafür<br />

vielen Dank.<br />

Natürlich lag es nah, auch das Gedicht zur<br />

Aufführung zu bringen, welches Seume mit „Zum<br />

sechsten August 1800 in Altenhain. - Love is the<br />

soul of life“ überschrieben hatte. Mit viel Charme<br />

wurde dieses gemeinsam von Maja Paola Kneschke<br />

und Friedericke Kamm vorgetragen.<br />

Für Seumes Verhältnisse ein kurzes Gedicht, da er<br />

gern sehr lange Werke schrieb. Aber auch dieses<br />

kurze Werk hat es in sich. Vor etwa 200 Jahren<br />

geschrieben, ist es für uns heute etwas schwer in<br />

Inhalt und Sprache zu verstehen. Doch mit<br />

eingehender Beschäftigung erkennt man, dass die<br />

Aussage des Gedichtes an Aktualität nichts verloren<br />

hat – „Die Liebe ist die Seele des Lebens“.<br />

Die beiden Rezitatoren:<br />

Maja Paola Kneschke und Friedericke Kamm<br />

vor der neuen Seume-Tafel<br />

(Fotos: Thea Haferkorn;<br />

Bildmontage: Volker Killisch)<br />

Im Anschluss wurde von Thorsten Bolte, vom Seume-Verein „ARETHUSA“ e.V. Grimma und<br />

dem <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt, unter der Überschrift „Eine Freundschaft – Seume und<br />

Schnorr in Altenhain“, die Umstände, die die Beiden hierher führten näher erläutert. Wir<br />

konnten viel über Seumes Leben, seine Bekanntschaften und Zufälle erfahren, die auch mehrmals<br />

Altenhain berührten. So Seumes Beziehungen zur Familie von Hohenthal und dann die erste<br />

Begegnung Seumes mit von Bissing bei Göschen in Hohnstädt. Völlig unerwartet mussten die<br />

Altenhainer zwei Nachrichten verdauen – „eine Gute und eine weniger Gute“. Die Gute, aber<br />

leider bisher nicht nachgewiesen, auch der Verleger Georg Joachim Göschen wird Gast auf<br />

Rittergut Altenhain gewesen sein. Die weniger Gute: alles deutet darauf hin, dass das Gedicht<br />

nicht in Altenhain geschrieben wurde: 1. - die Länge des Gedichtes, weist auf eine Beilage eines<br />

Briefes, der wahrscheinlich aus Anlass eines Jubiläums innerhalb der Familie von Bissing<br />

geschrieben wurde, 2. - der 6. August war im Jahr 1800 ein Mittwoch, auch damals ein<br />

Arbeitstag für Seume - also kein Tag, an dem er einem Fest beiwohnen konnte. Und die<br />

Überschrift scheint beide Argumente zu bestätigen: „Zum sechsten August 1800 in Altenhain<br />

…“ – zugleich scheint es aber genau diesen Umständen zu verdanken sein, dass diese<br />

Formulierung in der Gesamtausgabe der Werke Seumes zu finden ist. Der Erstdruck des<br />

10 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


Gedichtes fand, 29 Jahre nach Seumes Tod, im Jahr 1839 in der vierten Gesamtausgabe der Seume<br />

- Werke im Verlag Joh. Friedr. Hartknoch / Leipzig statt und Vorlage dafür war wahrscheinlich<br />

die oben erwähnte Briefbeilage. So gelangt nun der Name unseres Ortes mit Seumes<br />

Gedichtsammlung in alle Welt. (Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal!) Und wieder bestätigt<br />

sich, Freud und Leid liegen eben oft beieinander.<br />

Herr Bolte konnte uns viele Antworten geben, aber aus diesen ergaben sich auch weitere Fragen.<br />

Diese zu beantworten, dazu forderte Herr Bolte uns freundlich auf. (Volker Killisch, Mai <strong>2012</strong>)<br />

In der Mitte Volker Killisch,<br />

der Initiator der Seume-Schnorr-Tafel,<br />

rechts Eckhard Klöthe,<br />

der die Porträts von Seume und Schnorr<br />

nach historischen Vorlagen entwarf<br />

(Foto: Thea Haferkorn)<br />

Die Seume-Schnorr-Tafel am Vereinshaus<br />

(© Altenhainer Heimatverein e.V.)<br />

Den Vortrag, den ich am besagten Tag hielt, soll nun wiedergegeben werden. Dies<br />

soll auch eine Anregung für emsige Heimatforscher sein, unsere Region nach<br />

weiteren spannenden Spuren zu Seume durchzuforsten. Denn zu finden ist in unserer<br />

geschichtsträchtigen Gegend genug …<br />

P.S.: Das Altenhain-Gedicht ist im <strong>Göschenhaus</strong>-<strong>Journal</strong> 2/<strong>2012</strong> wiedergegeben.<br />

11 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


Eine Freundschaft.<br />

Johann Gottfried Seume und Veit Hanns Schnorr von Carolsfeld<br />

in Altenhain<br />

Vortrag am 12. Mai <strong>2012</strong> um 14 Uhr in Altenhain von Thorsten Bolte<br />

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Seume-Freunde!<br />

Vier Namen und ein Gedicht in einem sächsischen Dorf: darüber möchte ich heute<br />

reden.<br />

1. Hohenthal<br />

In der Liste der ehemaligen Rittergutsbesitzer in Altenhain taucht ab 1742 der Name<br />

Theodor August Freiherr von Hohenthal (1705-1783) auf. So wenig vielleicht dieser<br />

Name in der breiten Öffentlichkeit etwas bedeutet, so hellhörig werden Seume-Freunde:<br />

ein Neffe dieses Hohenthals ist Friedrich Wilhelm von Hohenthal (1742-1819), der<br />

entscheidende Förderer des jungen Seume. 1 Er finanzierte die Schulausbildung und auch<br />

den Universitätsbesuch – oder genauer die beiden Universitätsbesuche – des späteren<br />

Spaziergängers nach Syrakus. Eine erkennbare Beziehung des Seume-Förderers Friedrich<br />

Wilhelm von Hohenthal zu seinem Onkel Theodor August in Altenhain ist nicht zu<br />

erkennen. Auch Seume wird Altenhain nicht in Bezug zu seinem Gönner setzen. Doch<br />

auf Umwegen kommen wir dann doch wieder nach Altenhain. Theodor August, der vier<br />

Töchter hatte, übergibt seiner Tochter Gertraude Gräfin von Brühl 1777 das Altenhainer<br />

Rittergut als Erbteil. Die jüngste Schwester, Augusta Carolina Wilhelmina Freiin von<br />

Hohenthal (*1744) heiratet den preußischen Major Friedrich Leopold von Bissing (1723-<br />

1790). Als Gertraude Gräfin von Brühl 1783 stirbt, übernimmt der Vater Theodor August<br />

von Hohenthal wieder das Altenhainer Gut, doch er stirbt noch im selben Jahr.<br />

Handstreichartig übernimmt nun der Schwiegersohn Friedrich Leopold von Bissing<br />

das Gut in Altenhain und bis 1802 werden nun die von Bissings die Geschicke des<br />

Dorfes maßgeblich prägen. Als dann Friedrich Leopold 1790 stirbt, übernimmt sein<br />

Sohn, Hans August von Bissing das Gut, und nun sind wir wieder mitten drin in dem<br />

Beziehungsgeflecht Seume – Schnorr – Altenhain. Am Schluss dieses Abschnitts sei<br />

vermerkt: der 1771 geborene Hans August von Bissing war – ich hoffe ich habe richtig<br />

„gerechnet“ – der Großneffe des Seume-Förderers Friedrich Wilhelm von Hohenthal.<br />

2. Hans August von Bissing<br />

Im Gothaischen genealogischen Taschenbuch von 1863 2 heißt es über Hans August von<br />

Bissing: Hans August RFrhr von Bissing, geb. 5. Aug. 1771 (des 10. Dec. 1790 † RFrhrn<br />

Friedrich Leopold, k. Preuß. Majors im Leib-Cuir.-Reg., Sohn), Erbherr auf Altenhayn in<br />

Sachsen, Tümpling an der Saale, Braunsdorf und Langenau im Erzgebirge, desgleichen der<br />

Herrschaft Thomaswalde mit Lichtenau und Haidau, der Güter Ober- und Nieder-Berberg bei<br />

Marklissa, wie der Herrschaft Bielau mit Mohrau und Steinhübel in Schlesien, k. Preuß. Oberst<br />

und 1813-1816 Commandeur eines preuß. Cav.-Reg., verm. mit Auguste geb. von Gröna († 8.<br />

April 1841).<br />

1 Der Vater Friedrich Wilhelm von Hohenthal war Carl Ludwig Freiherr von Hohenthal (1704-1748), ein früh<br />

verstorbener Bruder des Rittergutsbesitzers Theodor August von Hohenthal.<br />

2 Der Titel lautet genau: Gothaisches|genealogisches|Taschenbuch|der|freiherrlichen Häuser|auf das Jahr|1863.|<br />

Dreizehnter Jahrgang.|Gotha, bei Justus Perthes. Das folgende Zitat ist auf S. 63 zu finden.<br />

12 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


Dieser hatte also 1790 das Gut in Altenhain übernommen. Hans August pflegte einen<br />

intensiven Kontakt mit der umliegenden Region, natürlich auch ins benachbarte Grimma<br />

und Hohnstädt. Wann genau er Georg Joachim Göschen kennengelernt hat, wissen wir<br />

nicht. Auch die in der Forschung etwas leichtfertige Bemerkung, Bissing sei befreundet<br />

mit Göschen gewesen, ist aus den Quellen nicht so recht zu schließen. Man traf sich halt,<br />

sicherlich auch in geselliger Runde. So wird dann auch Seume zu diesem Kreis von<br />

angesehenen Bürgern gestoßen sein.<br />

Am 30. Januar 1797 hatte Hans August Auguste Friederike Albertine von Grönau<br />

geheiratet, eine uneheliche Tochter des regierenden Fürsten von Anhalt-Bernburg<br />

Friedrich Albrecht (1735-1796). In Altenhain wurden 1798 Gustav, 1799 Albertine, 1800<br />

Adolph und schließlich 1802 Moritz 3 geboren.<br />

Zu Beginn des Jahres 1802 wird das Rittergut in Altenhain verkauft und die Familie<br />

siedelt nach Nieder-Thomaswaldau bei Bunzlau (Schlesien) über. Damit enden dann<br />

auch die Beziehungen Göschens, Seumes und Schnorrs zu Altenhain, auch wenn der<br />

Kontakt zu von Bissings weitergeht, dazu später.<br />

Als Major kämpft Hans August während der Befreiungskriege gegen Napoleon in einem<br />

schlesischen Landwehr-Kavallerie-Regiment. Diese kriegerische Zeit holt auch den<br />

Privatmann Hans August ein: zweimal werden französische Truppen 1813 sein Gut und<br />

seine Ländereien in Nieder-Thomaswaldau besetzen, plündern und teilweise zerstören.<br />

Wenn das Gothaische genealogische Taschenbuch recht hat, stirbt Hans August von Bissing<br />

am 8. April 1841. Er überlebt somit Seume und Göschen, nur Veit Hanns Schnorr von<br />

Carolsfeld wird den ehemaligen Altenhainer Rittergutsbesitzer um wenige Tage<br />

überleben; er stirbt erst am 30. April 1841.<br />

3. Seume und Schnorr: zwei biografische Skizzen<br />

Ein paar Anmerkungen zu Johann Gottfried Seume und zu Veit Hanns Schnorr von<br />

Carolsfeld seien mir an dieser Stelle erlaubt:<br />

• Johann Gottfried Seume, 1763 bei Lützen in Poserna geboren und schon 1810 im<br />

damaligen Teplitz bzw. Töplitz, dem heutigen tschechischen Teplice gestorben, gehört<br />

sicherlich zu den originären Schriftstellern der deutschen Literatur. Zwar hat sein<br />

„Spaziergang nach Syrakus“ unser Seume-Bild maßgeblich geprägt – noch heute tragen<br />

unendlich viele Wandergruppen seinen Namen –, doch als Schriftsteller ist er immer<br />

noch zu entdecken. Seume war eben kein Wanderer, der auch schrieb, sondern er war<br />

ein Schriftsteller, der auch wanderte! Er wanderte letztlich aus zwei Gründen: es war<br />

preiswert und er konnte – wie er mehrfach bemerkt – seinen Kopf frei bekommen. Als<br />

Schriftsteller bewegten ihn die großen Ereignisse der Zeit, die er versuchte, im Rahmen<br />

eines biografischen Schreibens zu beschreiben und zu deuten. Er kommentierte seine<br />

Zeit wie kaum ein anderer. Nicht dem Wahren, Schönen, Guten war Seume auf der<br />

Spur, sondern der Realität des Menschen, in einer Welt, die immer komplizierter<br />

wurde. Übrigens auch komplizierter für Seume selbst, dessen Haltungen und<br />

Schreibpositionen längst von den neuen Literaturströmungen überrollt wurden. Seume<br />

saß zwischen den Stühlen, aber machen wir uns nichts vor: er mochte diese individuelle<br />

3 Der Sohn von Moritz von Bissing, Moritz Ferdinand von Bissing (1844-1917) wurde später Generalsoberst im I.<br />

Weltkrieg und spielte keine ganz unproblematische Rolle innerhalb der sogenannten „Flamenpolitik“. Sein ältester<br />

Sohn, Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing (1873-1956) wird als Ägyptologe bekannt, allerdings auch<br />

fatalerweise als Freund von Rudolf Heß.<br />

13 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


Art der Auseinandersetzung auch. Irgendwelche modischen Richtungen einzuschlagen<br />

war sein Ding eben nicht.<br />

Für die Beziehung zwischen Seume und Altenhain ist es wichtig zu wissen, dass<br />

Seume von 1797 bis 1801 als Korrektor in Göschens Druckerei in Grimma arbeitete. Er<br />

hatte die Arbeit angenommen, da er endlich einmal versuchen wollte, eine bürgerliche<br />

Existenz aufzubauen. Grund war eine unerfüllte Liebesgeschichte zu der Leipziger<br />

Kaufmannstochter Wilhelmine Röder, die Seume die Notwendigkeit erkennen ließ, dass<br />

man ohne geregeltes Einkommen kaum ein vernünftiges Familienleben hinbekommen<br />

kann. Göschens Verlegung der Druckerei von Leipzig nach Grimma kam da also zum<br />

richtigen Zeitpunkt, auch wenn der eigentliche Grund, die Liebesbeziehung, längst<br />

vonseiten der Frau beendet war.<br />

In Seumes Grimmaer Zeit wird auch der Plan gefasst, nach Italien zu wandern, und wäre<br />

nicht sein Arbeitskollege Christian Gottlob Lorent, 4 wie Seume Korrektor bei Göschen,<br />

1800 gestorben, hätte Seumes Reise sicherlich früher begonnen. So blieb er vorerst bei<br />

Göschen, letztlich aus dem Bewusstsein heraus, seinen Verleger und Freund nicht im<br />

Stich zu lassen. Doch am 6. Dezember 1801 half kein gutes Zureden mehr, kein<br />

Kopfschütteln der Freunde mehr, Seume machte seine Reise, die ihn dann bis heute<br />

bekannt gemacht hat.<br />

• Veit Hanns Schnorr von Carolsfeld ist sicherlich heute weniger bekannt, auch wenn er<br />

zu Lebzeiten eine anerkannte Größe war. Geboren wurde er 1764 in Schneeberg. Schon<br />

früh zeigte sich sein malerisches Talent, doch der Vater wollte einen „anständigen“ Beruf<br />

für seinen Sohn, und so immatrikulierte er sich 1784 an der juristischen Fakultät in<br />

Leipzig und absolvierte 1787 die Notariatsprüfung. Als Schnorrs Vater 1788 starb, war<br />

aber kein Halten mehr: nun wandte er sich ganz der Kunst zu. Nach einer kurzen<br />

Episode in Königsberg kehrte er 1790 nach Leipzig zurück und blieb dann auch bis zu<br />

seinem Lebensende in dieser Stadt. Nun wurde er Schüler von Adam Friedrich Oeser<br />

(1717-1799). Oeser, der der Nachwelt als Zeichenlehrer Goethes in Erinnerung geblieben<br />

ist, war 1764 der erste Direktor der neugegründeten Leipziger Zeichenakademie und<br />

vermittelte wesentliche Fähigkeiten an den jungen Schnorr, der ein viel beschäftigter<br />

Maler von Miniaturen und bei Buchhändlern ein gern gesehener Vorlagenzeichner<br />

für die Kupferstiche wurde. So kam dann auch der Kontakt zum Verleger Göschen<br />

zustande, mit dem er ein freundschaftliches Verhältnis verband. Als Oeser 1799 starb,<br />

fiel Schnorr die erste große Aufgabe zu, nämlich den Vorhang des Leipziger Theaters<br />

neu auszuarbeiten, eine Arbeit, die zumindest beim Publikum auf große Begeisterung<br />

stieß und Schnorr bekannt machte.<br />

1803 wird er Unterlehrer an der Zeichenakademie und schließlich 1814 – nach dem Tod<br />

vom Amtsvorgänger Joh. Friedr. Aug. Tischbein – Direktor der Leipziger<br />

Zeichenakademie in der Pleißenburg.<br />

Am 30. April 1841 stirbt schließlich Veit Hanns Schnorr von Carolsfeld in Leipzig.<br />

4. Seume und Schnorr: Das Kennenlernen<br />

Wir nähern uns nun dem Zeitabschnitt, in dem Altenhain eine wichtige Rolle in den<br />

Lebensläufen von Seume und Schnorr spielen wird. Doch erst einmal müssen sich beide<br />

4 Lorent (auch Lorenz) war ein Privatgelehrter in Grimma. Er war am 25. Mai 1800 an der sogenannten<br />

Auszehrung gestorben.<br />

14 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


kennenlernen. Schnorr schreibt dazu sehr anschaulich in seiner Lebensgeschichte: 5<br />

Bey solchem Stande des Lebensbarometers bald gutes, bald schlechtes Wetter verkündigend,<br />

brachte mir ein Bekannter unter anderen Zeitschriften auch einmal ein Stück von Schillers<br />

Horen. 6 Kaum hatte ich dies Heft aufgeschlagen, als ich sogleich ein Gedicht mit der Uiberschrift:<br />

„Abschied an Münchhausen“ von Seume fand.<br />

Dieses Gedicht ergriff und bewegte meine Seele gewaltig. – Versetzt nach Amerika und Seume’s –<br />

obgleich mir jetzt noch dunkles Schicksal mir denkend, wurde meine Phantasie aufgeregt, und<br />

strebte von beiden Männern sich ein Bild zu machen.<br />

Und – was Seume sagte – schien mir so wahr aus einem von tiefen Empfindungen für Humanität<br />

und Menschenwerth erfüllten Herzen in großer Kraft hervorgegangen zu sein; an Gedicht und<br />

Kunst dachte ich gar nicht. Mit einem Worte, ich hatte von diesem Moment an keinen andern<br />

Wunsch als den Verfasser persönlich kennen zu lernen. – Aber niemand wußte, wo er leb’ und<br />

weile. – Und so verfloß die Zeit unter gewöhnlichem Thun und Treiben; kein Tag vermochte dem<br />

folgenden Erhebliches zu sagen. –<br />

Doch siehe! – jetzt – nach Verlauf eines Jahres – trat derselbe Bekannte, der mir jenes Heft der<br />

Horen überbrachte, mit den Worten in mein Zimmer: „Erinnerst Du Dich noch jenes Gedichtes<br />

in den Horen, des Abschieds an Münchhausen von Seume?“ – Ja, wohl auf das Lebendigste!,<br />

antwortete ich und begann sogleich die ersten Zeilen zu sprechen, denn ich hatte fast das ganze<br />

Gedicht noch im Gedächtniß. „Nun“, fuhr derselbe fort: „ich habe den Verfaßer gestern Abend im<br />

Theater gesehen, er soll Militair in Russischen Diensten sein, aber einige Zeit hier zu bleiben<br />

gedenken“. – Jetzt ließ ich mir des Mannes Gestalt und Kleidung möglichst deutlich beschreiben:<br />

denn mein fester Vorsatz war, ihn persönlich kennen zu lernen. Dies geschah eher als ich dachte.<br />

Ich erfuhr nämlich, daß Seume sehr oft gegen Abend baden gehe, und zwar in der Pleiße hinter<br />

Golis 7 wo ich eben während dieses Sommers wohnte. – Nun mußte ich öfters nach der Stadt,<br />

theils wegen Geschäften, theils hörte ich bei Plattner so oft ich nur konnte Vorlesungen über<br />

Anthropologie. Als ich nun in den nächsten Tagen, nachdem mir jene Nachricht von Seume’s<br />

Anwesenheit mitgetheilt worden, aus der Stadt aufs Land zurück zu kehren im Begriff, so eben<br />

den Schlag des äüßeren Rosenthaler Thor’s passiert und in die Gegend des Lazarets gekommen<br />

war, sah ich eine mir fremde Mann’sgestalt entgegen kommen. In diesem Augenblick dachte ich<br />

an Seume und vermuthete auf der Stelle, dieser müßte jenes Abschiedsgedichtes Verfasser sein.<br />

Mit gehöriger Diskretion trat ich ihm entgegen mit der Anrede: „Vergeben Sie, mein Herr, habe<br />

ich die Ehre Herrn Lieutenant Seume vor mir zu sehen?“ – „So ist mein Name“, antwortete er in<br />

einem kräftigen Baßtone. – „Nun, so freue ich mich, ihre persönliche Bekanntschaft zu machen: -<br />

ich hatte im vergangenen Jahre zufälligerweise ihr Gedicht, >den Abschied an Münchhausen<<br />

gelesen, und seitdem war und blieb mein innigster Wunsch, sie persönlich kennen zu lernen“<br />

u.s.w.<br />

Seume hörte mich mit ernster Miene, jedoch nicht ohne den Ausdruck eines angenehmen Gefühls<br />

an. – Jetzt fügte ich noch hinzu: „Man hat mir gesagt, daß Sie öfters den Weg durchs Rosenthal<br />

zu machen pflegten; ist dieß der Fall und Sie wollten bei dieser Gelegenheit – da ich in Gohlis<br />

5 Veit Hanns Schnorr von Carolsfeld: Meine Lebensgeschichte. Zugleich als ein Sonst und Jetzt in einem Zeitraum<br />

von 55 Jahren. Herausgegeben von Otto Werner Förster; Leipzig: Taurus Verlag 2000; Kapiteleinteilungen stammen<br />

von Förster; die der Ausgabe zugrunde liegende Handschrift ist die Urfassung von 1832, Sächsische Landesbibliothek,<br />

Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Signatur: Mscr. Dresden., Inv.7.; hier S.209-211.<br />

6 Hier verwischen sich die Erinnerungen Schnorrs: Das Gedicht war nicht in den „Horen“ erschienen, sondern in<br />

der „Thalia“, 1792, bei Göschen erschienen.<br />

7 Gemeint ist der heutige nördliche Leipziger Stadtteil Gohlis, der um 1800 beliebt bei Ausflüglern und<br />

Erholungssuchenden war. Schiller und Göschen verbrachten hier - im heutigen Schillerhäuschen – die<br />

Sommermonate 1785.<br />

15 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


wohne – mir die Ehre ihres Besuchs gönnen, so würden sie mir eine große Freude bereiten.“<br />

Hierauf erwiederte Seume: „Das kann einmal geschehen“. – „Nun dann werde ich die Erfüllung<br />

dieses Wunsches zugleich als ein Zeichen ansehen, daß sie mein unerwartetes Anreden nicht als<br />

eine Zudringlichkeit genommen“. Und so schieden wir von einander. –<br />

Zurückgekehrt, erzählte ich meiner Frau, wie ich so eben Seume’s persönliche Bekanntschaft<br />

gemacht und seinen Besuch hoffen dürfe, u.s.w. –<br />

Und so geschah’ es denn auch; am dritten Tage darauf trat dieser mir unvergeßliche Mann mit<br />

den Worten ein: „Sie haben erlaubt, - hier bin ich“. – Diese schöne Abendstunde brachte uns<br />

Beide sehr bald einander näher: wir wurden Freunde und blieben uns unwandelbar in<br />

Freundschaft zu gethan.-<br />

Es war also ein Gedicht, das die beiden Männer Mitte 1793 Freunde werden ließ. Und<br />

hier ist der Begriff „Freund“ wirklich ernst zu nehmen. Vielleicht hatte der oft eher für<br />

sich lebende Seume nur wirklich einen Freund – lassen wir das spezielle Seume-<br />

Verhältnis zu Karl von Münchhausen (1759-1836) einmal außen vor – und das war eben<br />

jener Veit Hanns Schnorr von Carolsfeld.<br />

5. Seumes Beziehungen zu Altenhain<br />

Der entscheidende Abschnitt, was die Beziehungen Seumes zu Altenhain betrifft,<br />

umfasst die wenigen Jahre von Seumes Tätigkeit in Grimma, also 1797 bis 1801.<br />

Erstmals erscheint Hans August von Bissing in einem Seume-Brief Ende 1797, allerdings<br />

trifft Seume in dieser Zeit von Bissing in Grimma an. Seume schreibt an Göschen im<br />

Dezember 1797: 8<br />

(...) Es ist einen Monat oder etwas länger her, daß ich zu dem Hause ging, das meiner Unterkunft<br />

gegenüberliegt, wo der Oberst 9 im zweiten Stockwerk wohnt und von dem man mir sagte, daß sie<br />

im Erdgeschoß ein Kaffeehaus oder Billard oder etwas Ähnliches unterhielten. Aber die Wirtin<br />

sagte mir, daß sie kein öffentliches Haus unterhalte, nur eine geschlossene Gesellschaft zu ihrem<br />

Wohnzimmer, und daß sie deshalb niemanden aufnehmen dürfte. Ich ging sehr verdrossen weg<br />

und segnete sie mit ihrer Gesellschaft. Einige Zeit darauf sandte mir die Gesellschaft, die aus fast<br />

allen Offizieren der Garnison und den Honoratioren des Fleckens besteht, eine sehr höfliche<br />

Entschuldigung und eine Einladung durch Herrn Heumann 10 . Da Höfflichkeit auf<br />

Gegenseitigkeit beruht, gehe ich zuweilen dorthin, um eine Flasche zu trinken und ihnen beim<br />

Spielen zuzusehen. Wenn ich dort eine halbe Stunde gesessen und meinen dürftigen Beitrag zur<br />

Unterhaltung geleistet, meine Witze gerissen und Gesichter geschnitten habe, kehre ich zu einem<br />

alten Griechen zurück. Da haben Sie meine Lebensweise, die in der Tat etwas absonderlich ist,<br />

aber immer noch das Beste, was ich daraus machen kann. Dort habe ich auch die Bekanntschaft<br />

einiger Herren vom Militär gemacht, die eine sehr gute Art von Sterblichen zu sein scheinen.<br />

Auch die jungen Bissings waren dort. Apropos Bissing! Sie haben mich zu Ihrem postillion<br />

d'amour gemacht; nun gut! In Wahrheit bin ich eine erbärmliche Art von Bote; doch ich werde es<br />

tun. Aber bislang haben Sie mir noch keine Botschaft aufgetragen. Sie sind ein fauler Liebhaber.<br />

Das ist böse. Der Bogen ist mit Nichtigkeiten gefüllt. (…)<br />

8 Brief Seumes an Göschen, vor dem 5. Dezember 1797 mit Göschens Empfangsvermerk Grimma d|Seume|empf d.<br />

5: Dec. / H 1 Leipzig, DBSM: Göschen-Sammlung, Gruppe A, Kasten 13, Seume Nr. 11 / H 2 Leipzig, DBSM:<br />

Göschen-Sammlung, Gruppe C, Kasten 2, Fahne Nr.10 [= Druckfahne]/ D 1 Goschen, Life, Bd. 2, S.160f. [=<br />

Teilabdruck] / D 2 Goschen, Leben, Bd. 2, S.140f. [= Teilabdruck] / A Seume-Briefe Nr. 77, S.128-130 [= englisch]<br />

und S.744-746 [= Übersetzung]; hier zitiert nach der Übersetzung, S.745f.<br />

9 Seume-Briefe, S.747: Vermutlich der Oberst Hans Gustav von Kirchbach, 1796-1799 Kommandeur einer seit 1782 in<br />

Grimma in Garnison liegenden Schwadron des 1734 errichteten Dragonerregimentes Herzog Carl.<br />

10 Seume-Briefe, S.747: Nicht ermittelt.<br />

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Das Haus, in dem Seume verkehrte war das dem heutigen Seume-Haus<br />

gegenüberliegende Barockhaus am Grimmaer Markt (heute: Markt 23). Hier gab es somit<br />

ein geselliges Zusammentreffen von aktiven und ehemaligen Militärs, die ihre Freizeit<br />

zusammen mit Freunden und Ehefrauen im privaten Kreis verbrachten. Seume<br />

beschreibt sich selbst eher als Außenseiter, der nur kurz vorbeischaut, ein wenig an der<br />

Unterhaltung teilnimmt, um dann zurück in die Druckerei bzw. in sein Zimmer zu<br />

gehen. Ob er in diesem Umfeld das Ehepaar von Bissing kennengelernt hat? Wir wissen<br />

es nicht, doch er scheint spätestens ab Dezember 1797 näheren Umgang mit ihnen gehabt<br />

zu haben.<br />

Im gerade zitierten Brief ist der Schlussteil etwas seltsam. Zwar gehören Seumes Briefe<br />

zu den schönsten ihrer Art um 1800, aber leider sind manche Details darin sehr schwer<br />

zu deuten. Was für ein Liebesdienst Seume als postillion d'amour für Göschen erledigen<br />

sollte, ist nicht ganz verständlich. Eventuell bezieht sich dies auf geschäftliche Kontakte,<br />

die zwischen dem Landsitz Göschens in Hohnstädt und dem Rittergut in Altenhain<br />

bestanden. Ein Brief Seumes von April 1800 an Göschen beschreibt nämlich ein solches<br />

Geschäft: 11<br />

Hier schicken wir Ihnen Christianen 12 , den Schimmel und den Braunen mit etwas Packwerk.<br />

Lerchenbäume können nicht mit folgen, weil in Altenhayn keine Lerchenbäume zu haben sind.<br />

Weiß der Himmel wie Sie beyde auf die Idee der Lerchenbäume in Altenhayn gekommen sind.<br />

Mir wollte es gleich nicht einleuchten, so wie ich den Brief 13 las, da ich doch dort Grund und<br />

Boden so ziemlich kenne. Weihmuthsfichten, sagte mir Herr Bißing, habe er wohl; die habe er<br />

auch einmahl in den Zeitungen avertieren laßen. Also diese Bothschaft war nichts. (...)<br />

Wir lernen: Lärchen gibt es nicht in Altenhain … Nein, Scherz beiseite! Göschen hat von<br />

den Ländereien der von Bissings Pflanzen für seinen eigenen Garten in Hohnstädt<br />

erworben. Dieser Garten, den wir heute Göschengarten nennen, hatte Göschen durch<br />

Grundstückszukäufe gerade in dieser Zeit vergrößert und er war eben auf der Suche<br />

nach neuem Pflanzenbestand. Von Bissing hatte – wie aus dem Brief Seumes hervorgeht<br />

– zwar schon einmal in einer Zeitung Pflanzen zum Kauf angeboten, Lärchen waren aber<br />

nicht darunter. Seume macht in diesem Brief aber eine interessante Bemerkung, versteckt<br />

in einem Nebensatz: (…) da ich doch dort Grund und Boden so ziemlich kenne. (…) Das<br />

spricht dafür, wie gut Seume Altenhain kannte, was auf mehrere Besuche schließen lässt,<br />

denn wer sonst hätte so genau sagen können, was auf dem Anwesen der von Bissings<br />

für Pflanzen wachsen?<br />

Einige der Briefe, in denen Seume dann konkret Altenhain erwähnt, drehen sich um den<br />

Nachwuchs bei Familie von Bissing. So schreibt Seume im März 1798 an Göschen: 14<br />

(...) Aus Altenhayn grüßt man Sie herzlich. (…) Madame Bissing ist mit ihrem kleinen Jungen<br />

wohlauf, der, wie Sie mir glauben können, der Liebling und das Hätschelkind seiner Mutter ist,<br />

11 Brief Seumes an Göschen, vor dem 7. April 1800 mit Göschens Empfangsvermerk Grimma d. 1800|Seume|empf<br />

d. 7: April 1800 / H Lützen: Nr. 966; bis 1932 in der Sammlung Planer (S.126; lfd. Nr. 966) / D P/R, S.257f. / A Seume-<br />

Briefe Nr. 203, S.324; hier S. 324 (auch in P/R, S.257).<br />

12 Seume-Briefe, S.912: Der auf Göschens Hohenstädter Gut beschäftigte Knecht Christian Rösiger.<br />

13 Es wird sich um einen Brief oder eine Auftragsnotiz Göschens an Seume oder direkt an von Bissing gehandelt<br />

haben.<br />

14 Brief Seumes an Göschen, vor dem 31. März 1798 mit Göschens Empfangsvermerk Grimma d. 1798.|Seume.|<br />

empf d. 31. Marz / H 1 Leipzig, DBSM: Göschen-Sammlung, Gruppe A, Kasten 13, Seume Nr. 12 / H 2 Leipzig, DBSM:<br />

Göschen-Sammlung, Gruppe C, Kasten 2, Fahne Nr. 11-12 [= Druckfahne] / A Seume-Briefe Nr. 95, S.146f. [=<br />

englisch] und S.766f. [= Übersetzung]; hier zitiert nach der Übersetzung, S.767<br />

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vielleicht ein bißchen zu sehr in Hinsicht auf die Ruhe der Mutter und das Gedeihen des kleinen<br />

Geschöpfes. Aber so sind die Menschen, eine liebenswerte Schwäche. (...)<br />

Ein wenig hört man hier Erziehungskritik heraus: Seume sieht die Gefahr, dass der<br />

kleine Gustav zu verhätschelt wird. Für Seume, der Standfestigkeit als einen wichtigen<br />

Pfeiler für junge Männer ansah – so soll er auch mit Göschens Söhnen bei schlechtestem<br />

Wetter im Muldental unterwegs gewesen sein, damit sie abgehärtet werden sollten – ist<br />

die enge Bindung zur Mutter Auguste Friederike Albertine nicht wirklich<br />

wünschenswert.<br />

Und im Februar 1799 heißt es etwas launisch in einem Brief an Schnorr von Carolsfeld,<br />

der erneut Vater geworden war: 15<br />

(...) Von Altenhayn aus läßt man Sie grüßen. In Ansehnung der Multiplikation 16 folgt man dort<br />

Ihrem Exempel; indem daselbst wohl bald wieder etwas zu Tage befördert werden dürfte. (...)<br />

Im Juni 1799 schreibt Seume wiederum Göschen: 17<br />

(...) In Altenhain läuft die Wöchnerin frisch auf und davon durch alle Zimmer und macht bey<br />

Tische nach ihrer Weise die ganze Gesellschaft heiter. Sie werden durch ihren Besuch viel<br />

Vergnügen machen. Der kleine Gustav wird gar ein trolliger Junge und fängt schon an<br />

Geniestreiche zu spielen. Aber genug des Rapports! (...)<br />

Oft bestellt Seume „Grüße aus Altenhain“ – gemeint sind damit natürlich immer Grüße<br />

von der Familie von Bissing –, wie schon in den Beispielen gezeigt, wobei nicht immer<br />

klar ist, ob Seume diese Grüße quasi vor Ort erhalten hat oder durch Briefe an Seume.<br />

Hier muss man die traurige Tatsache im Hinterkopf behalten, dass Seume Briefe, die<br />

er erhalten hat, nur sehr selten aufbewahrt hat. Dies macht natürlich auch die<br />

Chronologie möglicher Altenhain-Besuche Seumes fast unmöglich.<br />

Dies wird auch aus dem folgenden Brief deutlich. Seume schreibt am 8. März 1798 an<br />

Göschen: 18<br />

(...) Teuerster Herr, Sie werden mir verzeihen, hoffe ich, daß ich Ihnen nicht unverzüglich<br />

geantwortet habe, denn erst war ich beschäftigt, und dann sandten Sie mir eine Einladung für<br />

Sonntag in Altenhayn, wo die guten Leute nun eine kleine Einsiedelei sind, da Frau Seckendorf 19<br />

nach Hause gegangen ist und sie selbst immer noch in Erwartung sind. (...)<br />

Diese Einladung wurde über Göschen an Seume ausgesprochen. Es muss also ein Brief<br />

an Seume aus Altenhain vorgelegen haben. 20 Seume war somit zum Essen eingeladen. Es<br />

15 Brief Seumes an Schnorr von Carolsfeld, 20. Februar 1799 / H Weißenfels: V-20-R; zuvor angeboten von<br />

Liepmannssohn im Katalog 16 (1896), S.52, lfd. Nr. 720 / D P/R, S.198f. [= unvollständig] / A Seume-Briefe Nr. 143,<br />

S.224f. [Datierung nach P/R]; hier S.225 (auch in P/R, S.199).<br />

16 Seume-Briefe, S.836: Scherzhafte Anspielung auf den Kinderreichtum der Familien Bissing und Schnorr von Carolsfeld.<br />

17 Brief Seumes an Göschen, vor dem 22. Juni 1799 mit Göschens Empfangsvermerk Grimma d. 1799|Seume|empf<br />

d. 22: Jun. / H Lützen: Nr. 957; bis 1932 in der Sammlung Planer (S.126; lfd. Nr. 957) / D P/R, S.220f. [= gekürzt] / A<br />

Seume-Briefe Nr. 163, S.277f.; hier S.278 (auch in P/R, S.221).<br />

18 Brief Seumes an Göschen, 8. März 1798 mit Göschens Empfangsvermerk Grimma d. 8 März. 1798.|Seume|empf d.<br />

/ H 1 Leipzig, DBSM: Göschen-Sammlung, Gruppe A, Kasten 13, Seume Nr. 10 / H 2 Leipzig, DBSM: Göschen-<br />

Sammlung, Gruppe C, Kasten 2, Fahne Nr. 9-10 [= Druckfahne] / D 1 Goschen, Life, Bd. 2, S.158f. [= Auszug] / D 2<br />

Goschen, Leben, Bd. 2, S.138f. [= Auszug] / A Seume-Briefe Nr. 93, S.143-145 [= englisch] und S.761-764 [=<br />

Übersetzung]; hier zitiert nach der Übersetzung S.761f.<br />

19 Ich vermute, dass Frau von Seckendorff wegen der Hochschwangeren Auguste Friederike Albertine ein paar<br />

Tage in Altenhain verbracht hat. Zur Zuschreibung der „Frau von Seckendorff“ heißt es in Seume-Briefe, S.764:<br />

Vermutlich entweder die Frau von Wilhelm-Heinrich Freiherr von Seckendorff (1763-1817) oder von Veit-Ludwig Freiherr<br />

von Seckendorff (1763-1827), die beide auf Schloß Meuselwitz bei Colditz residierten.<br />

20 Wahrscheinlicher Brief von Hans August von Bissing an Seume, geschrieben vor dem 4. März 1798, wie aus<br />

Seume-Briefe Nr. 93 hervorgeht [= Seume-Briefe Nr. *92, S.143].<br />

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ist übrigens bekannt, dass Seume, der gerne die Askese propagierte, ganz gerne solche<br />

Einladungen angenommen hat und sich auch dann beim Essen nicht zurückhielt …<br />

Einen Brief vom Ende März 1800 zeigt dann einen eher nachdenklichen und ernsten<br />

Seume. Er schreibt an Göschen: 21<br />

Wanzels Vater müßte nicht Mensch seyn, wenn ihn so ein Schlag nicht bis ins Innerste rühren<br />

sollte. Man kann psychologisch oft bemerken, daß keine Unfälle eine kalte ziemlich egoistische<br />

Seele nichts anfechten, bis ein sehr großes erschütterndes Unglück kommt und die ganze<br />

Menschheit in ihnen mit Gewalt aufweckt. Der Vater kann bis zur Erschütterung seines ganzen<br />

Wesens getroffen seyn, alle Frankfurter können ihn enthusiastisch loben, und Sie haben Sich doch<br />

nicht in ihm geirrt. Denn Menschen trägt jeder immer noch im Busen.<br />

Da ich nicht weiß, was ich über den Vorfall denken soll, möchte ich mich lieber alles Denkens<br />

darüber enthalten, wenn ich nur nicht so oft unwillkührlich auf den Gedanken gebracht würde.<br />

Bißings glauben auch, er müßte leben, zumahl da alle die verschiedenen Gerüchte, er sey hier oder<br />

da gefunden worden, sich falsch zeigen.<br />

Der junge Arzt Johann Matthias Wantzel (1777-1800), eng verbunden mit der Familie<br />

Göschen – Georg Joachim Göschen hatte zudem geschäftliche Verbindungen zu dessen<br />

Vater Johann Bernhard, ein Kaufmann in Frankfurt – war plötzlich Mitte März 1800<br />

spurlos verschwunden. Es wird vermutet, dass er wegen einer Erkrankung seinen<br />

eigenen, aber auch die Erwartungen seines Vaters nicht mehr gewachsen fühlte,<br />

weswegen er sich – was Seume und von Bissing zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen<br />

– am 16. März 1800 im Leipziger Rosental erschossen hatte. Erst nach gut zwei Wochen<br />

fand man seinen Leichnam. 22<br />

Was diesen Brief Seumes deutlich werden lässt: Es gab eben nicht nur einen<br />

oberflächigen Verkehr zwischen Seume und von Bissing, sondern einen wirklichen<br />

Gedankenaustausch über die Geschehnisse der Zeit, auch wenn dies heute nur noch<br />

fragmentarisch zu erahnen ist.<br />

6. Schnorrs Beziehungen zu Altenhain<br />

Und wie lernte Schnorr von Bissing kennen? Nach derzeitigem Stand der<br />

Quelleneinsicht ist das nicht zu sagen. Dass bereits vor dem berühmten Spaziergang<br />

nach Syrakus Kontakte zwischen dem Künstler und zwischen dem Rittergutsbesitzer<br />

vorgelegen haben müssen, wird allzu deutlich. Doch Schnorr von Carolsfeld erwähnt in<br />

seiner Lebensgeschichte gerade erst im Zusammenhang mit dieser Reise von Bissing und<br />

Altenhain. Hier müssten aber noch weitere Nachforschungen folgen und es ist zu hoffen,<br />

dass auch Historiker sich eines Tages dransetzen, um die bisher noch unentdeckten<br />

Schnorr-Quellen näher zu beleuchten.<br />

7. Der Spaziergang nach Syrakus<br />

Mit dem viel beachteten Start von Seumes Spaziergang nach Syrakus im Dezember<br />

21 Brief Seumes an Göschen, vor dem 1. April 1800 mit Göschens Empfangsvermerk Grimma d. 1800|Seume|empf<br />

d. 1. April / H Lützen: Nr. 965; bis 1932 in der Sammlung Planer (S.126; lfd. Nr. 965) / D P/R, S.256f. [= Auszug] / A<br />

Seume-Briefe Nr. 201, S.321f.; hier 321f.<br />

22 Ich beziehe mich hier auf den Kommentarteil der Seume-Briefe, S.909f. Ein weiterer Brief Seumes an Gleim<br />

(Nr.202) und ein Brief Göschens an Wieland (vom 29.4.1800) thematisieren noch einmal dieses dramatische<br />

Geschehen. Vgl. auch den Nachruf in der Leipziger „Allgemeinen Litterarischen Anzeiger“ (Nr. 150, 2.10.1801, Sp.<br />

1440).<br />

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1801 wird die Quellenlage erfreulich reichhaltiger. Hören wir uns an, was Schnorr in<br />

seiner Lebensgeschichte schreibt, beginnend allerdings mit einer kleinen Reise nach<br />

Weimar: 23<br />

Dieses eingetretene Jahr 1801 des neuen für uns alle geschichtlich höchst merkwürdig<br />

gewordenen Jahrhunderts 24 war für mich folgenreich. Mein Vorsatz mit Seume nach Italien, ja so<br />

gar bis Sirakus zu wandern, war zum Entschluß einer Ausführung gereift! –<br />

Glücklicherweise waren mir mehrere eben so intereßante als einträgliche Aufgaben zu Theil<br />

geworden; und ich war bei dem Gedanken einer so schönen Perspective unserer Reise<br />

außerordentlich fleißig. Auch beschränkten wir uns im Häuslichen so viel als möglich. Auf diese<br />

Weise hatte ich mit dem, was von den früheren Arbeiten zurückgelegt werden konnte, einige<br />

hundert Thaler zusammengebracht. Leicht war mir das Bischen Reisegeld zu verdienen nicht<br />

geworden. –<br />

Der Herbst als Termin unsrer Abreise hatte begonnen. Seume hatte den Wunsch, vorher noch<br />

einmal die gefeierten Männer Weimars zu sehen; mein Freund lud mich dazu ein und wir traten<br />

im October unsre Wanderung dahin in Gesellschaft eines Engländers, Namens Robinson 25<br />

welcher einige Zeit in Grimma sich aufgehalten – wo er zugleich bei dem rühmlichst bekannten<br />

Mag. Töpfer Unterricht nahm – und dasselbst mit Seume genauer bekannt geworden war,<br />

gesund und heiter an.<br />

Wen wir auch besuchten, wir wurden von Ihm freundlich aufgenommen. Außer Wieland, Göthe,<br />

Schiller, Herder und Böttiger fanden wir auch den Herrn von Kotzebue 26 – der sich nur eben zum<br />

dritten Male verheirathet hatte – desgleichen die beiden Brüder Genz. 27 – Herr von Kotzebue war<br />

damals außerordentlich heiter. – Er tanzte fast – wie Seume meinte.<br />

Beim Eintritt in Göthes Zimmer – begegnete meinem Blick sogleich das „Salve!“ auf dem<br />

Fußboden. – Wieland unterhielt sich viel über Politik mit dem Engländer. – Robinson. (...) R.<br />

war geistreich und von großer Wahrheitsliebe. Bei allem dem konnte er aber gelegentlich sehr<br />

sarkastisch werden. –<br />

Seume erzählte mir, daß R. aber wegen seiner Sarkasmen über Parlamentsmänner, durch seinen<br />

Vater die Warnung erhalten, London auf einige Zeit zu verlassen. – (...)<br />

Noch ist mir jener Moment ganz gegenwärtig. Wie Robinson – als wir den Berg bei Weimar<br />

heraus auf dem Weg nach Jena zu wandeln im Begriff waren, – auf einmal , den Blick nach der<br />

Stadt wendend, stehen blieb, Seume mit der Hand auf die Schulter schlug und ausrief: „nun, so<br />

habe ich denn die großen Bestien auch gesehen!“ – Aber sogleich fügte er auch hinzu: „vor<br />

solchen Männern muß man wirklich allen Respect haben!“ – –<br />

Glücklich und vergnügt zurück gekehrt, wurde die kurze Zwischenzeit noch möglichst nach allen<br />

Richtungen hin angewendet, um dann menschlichen Ansichten nach, mit Ruhe unser Vaterland<br />

verlassen zu können. Und so wanderte ich denn nach Uibereinkunft am 5t. December auf einem<br />

gesunden Rücken im Seehundsfell die nöthige Wäsche und Kleidung, nebst meinem<br />

Miniaturkasten und einer Mappe (beides von mir selbst verfertigt), und auf gesunden Beinen, als<br />

ein leibhaftes omnia secum portans, 28 begleitet von Weib und Kindern bis zum Weichbild, von<br />

23 Schnorr, Lebensgeschichte, S.261-266.<br />

24 Anmerkung Schnorr (mit Sternchen versehen): Schiller sagt in einem Briefe – „das Jahrhundert 1799 ist im Sturm<br />

geschieden, und das neue öffnet sich mit Mord!“<br />

25 Henry Crabb Robinson (1775-1867), Student in Jena, später Jurist und Schriftsteller in London, der in seiner<br />

deutschen Zeit teilweise in Grimma lebte und so Kontakte zu Göschen und Seume aufbauen konnte.<br />

26 August Friedrich Ferdinand von Kotzebue (1761-1819).<br />

27 Friedrich von Gentz (1764-1832), Publizist und Politiker, und sein Bruder Heinrich.<br />

28 Nach dem lateinischen „Omnia mea mecum porto“, etwa zu Übersetzen mit „Alle mein Besitz trage ich bei<br />

mir“.<br />

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Leipzig aus nach Grimma, um dort Freund Seume abzuholen. –<br />

Daß mich der Abschied von Weib und Kindern, wie von einigen bewährten Freunden nicht wenig<br />

Anstrengung kostete, wird man mir glauben. Schweigend verließ ich die Stadt; ein Paar Raben,<br />

dießmal Apollos heilige Trabanten, nicht Unglückspropheten, flogen mir zur Rechten und die<br />

glänzend aufgehende Sonne, die seit langer Zeit bewölkt gewesen war, strahlte Hoffnung in die<br />

bewegte Seele. Welches gläubige Gemüth nimmt nicht gerne jede neue Erscheinung bei seinem<br />

Unternehmen für ein gutes Omen! Voll Vertrauen auf die Vorsehung, gestützt auf meine gute<br />

Sache und begleitet mit Segenswünschen, schritt ich getrost vorwärts. –<br />

Mein Genius trieb mich hinaus ins Hellere; so Manches war mir noch dunkel; meine Knaben<br />

lagen mir am Herzen; die beiden ältesten zeichneten für ihre Jahre (im 17t. und 13t. schon<br />

ziemlich gut, und der jüngste zeigte ebenfalls die entschiedensten Talente. Ich wollte also meine<br />

Sache gewiß werden und sie richtig leiten; ihnen im Voraus einige Bekanntschaft machen; ihnen<br />

sagen, wie sie sich einst auf einer Reise einzurichten und was sie sonst zu beobachten hätten. –<br />

Mein Blick war zunächst nach Wien gerichtet. Füger lag mir schon längst im Sinne. – Die erste<br />

Nacht blieb ich in Altenhayn auf dem Guthe des Herrn von Bissing. Dieses verehrte Ehepaar<br />

hatte meine Tochter Ottilie innigst lieb gewonnen. Vertrauensvoll sprach ich jetzt die Bitte aus,<br />

im Fall meines Todes und der Noth sich dieses Kindes anzunehmen. Hierauf erhielt ich wie aus<br />

einem Munde die redliche Versicherung meine Bitte zu erfüllen. Ottilie war damals 8. Jahre. –<br />

Und so verließ ich glaubensvoll dieses Haus, um baldmöglichst das nahe Grimma zu erreichen.<br />

Nachdem nun auch Seume den Tornister aufgenommen, und jeder seinen Reisestock ergriffen<br />

hatte, zogen wir von hinnen. Muthig wanderten wir über Höhen und durch die Thäler der<br />

Sächsischen und der Böhmischen Gebirge, unverdrossen durch Novemberstürme 29 und<br />

Windwehen dahin. In Birna 30 besuchten wir noch einige Augenblicke den Dichter Seifried. Die so<br />

freundliche Aufnahme in Prag vermehrte unsere gute Stimmung und Wien war bald erreicht.<br />

(...) Mein erster Gang war nun zu Füger. 31 – Ein unbekanntes Etwas zog mich zu diesem Manne;<br />

ich übergab ihm meinen Brief von einem seiner besten Jugendfreunde, dem verstorbenen redlichen<br />

Kupferstecher Geyßer 32 in Leipzig. Füger aber widerrieth mir, – dem Mann’ und Vater von 6.<br />

Kindern und ohne alles Vermögen – bei den jetzigen so großen Unsicherheiten auf den Straßen,<br />

meinen Weg nach Italien fortzusetzen. Der Mann sprach so herzlich, so ernst, daß es mir zu<br />

Herzen ging. Was sollt’ ich thun? Wagen? – durft’ ich nicht! Ich entschloß mich endlich nach<br />

vielem Kampf in Wien zu bleiben.<br />

Seume selbst war bang’ um mich; denn ihm war Ähnliches von den Gefahren, Räubern in die<br />

Hände zu fallen, berichtet worden. „Weit ruhiger werd’ ich gehen ohne sie“, sagte er gerührt.<br />

Durch mich wird niemand unglücklich, fügte er hinzu, wenn ich ja umkomme, u.s.w. Vierzehn<br />

Tage blieb mein Freund noch in Wien, dann – ging er alleine weiter. –<br />

Wie schwer mir es wurde ihn allein gehen zu lassen, kann ich nicht beschreiben. Ich begleitete ihn<br />

zwei Stunden weit. Bei der Spinnerin am Kreuze 33 trennten wir uns. Hier reichten wir einander<br />

die Hände und Seume sprach: „mon cher, wir wollen einander nicht weich machen“. –<br />

Hier endet also Schnorrs Spaziergang nach Syrakus – in Wien! Als am 26. Februar 2008 im<br />

Muldentalteil der Leipziger Volkszeitung ein Artikel erschien, wurde also leicht<br />

29 Eine nicht ganz genaue Angabe Schnorrs: Die Reise begann natürlich im Dezember 1801.<br />

30 Eine „gesächselte“ Form der Stadt Pirna.<br />

31 Heinrich Friedrich Füger (1751-1818) war klassizistischer Porträt- und Historienmaler, und wie Schnorr auch<br />

Schüler Oesers gewesen; nach einem Italienaufenthalt wurde er ab 1795 Direktor der Kunstakademie in Wien.<br />

32 Christian Gottlieb Geyser (1743-1803).<br />

33 Hierzu Anmerkung Otto Werner Försters (Schnorr, Lebensgeschichte, S.533): Spinnerin am Kreuze – auch<br />

Crispinuskreuz, 1451 erbaute gotische Säule; altes Wahrzeichen Wiens in Inzersdorf am Wiener Berg.<br />

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übertrieben. Der Titel des Artikels lautete: Altenhainer schreiben Weltgeschichte: Syrakus-<br />

Spaziergang startete bei uns! Es war halt Seume, der den Spaziergang nach Syrakus<br />

absolvierte, eben nicht Schnorr. Es verwundert also nicht, wenn Seume selbst in<br />

seinem Reisebericht von 1803 mit keinem Wort Altenhain oder die Familie von<br />

Bissing erwähnt.<br />

Was richtig ist: Schnorr übernachtete in Altenhain, er wird sogar die Familie von Bissing<br />

bitten, seine Tochter Juliane Ottilie – später selbst Malerin – im Fall der Fälle zu sich zu<br />

nehmen.<br />

Zusammenfassend könnte man es vielleicht so ausdrücken:<br />

• Schnorr beginnt seine Reise nach Wien am 5. Dezember 1801 (Samstag); von Leipzig<br />

ging es nach Altenhain zum Übernachten, dann am Folgetag nach Grimma.<br />

• Seume beginnt seine Reise nach Syrakus am Nikolaustag 1801 (Sonntag) von<br />

Grimma aus.<br />

Ende August 1802 kehrt Seume zurück und Göschens Landsitz in Hohnstädt setzt<br />

quasi den Schlusspunkt des Spaziergangs nach Syrakus: 34<br />

Morgen gehe ich nach Grimme und Hohenstädt, und da will ich ausruhen trotz Epikurs Göttern.<br />

Mich däucht, daß ich nun einige Wochen ehrlich lungern kann. Wer in neun Monaten meistens<br />

zu Fuße eine solche Wanderung macht, schützt sich noch einige Jahre vor dem Podagra. Zum<br />

Lobe meines Schuhmachers, des mannhaften alten Heerdegen in Leipzig, muß ich dir noch sagen,<br />

daß ich in den nehmlichen Stiefeln ausgegangen und zurückgekommen bin, ohne neue Schuhe<br />

ansetzen zu lassen, und daß diese noch das Ansehen haben, in baulichem Wesen noch eine solche<br />

Wanderung mit zu machen.<br />

Bald bin ich bey Dir, und dann wollen wir plaudern; von manchen [gemeint: manchem] mehr<br />

als ich geschrieben habe, von manchem weniger.<br />

8. Ein Gedicht für Altenhain<br />

Doch da war ja noch ein Gedicht Seumes mit dem Titel „Zum sechsten August 1800 in<br />

Altenhain“. Jetzt müssen Sie, liebe Altenhainer – zu Beginn zumindest – ein wenig tapfer<br />

sein. Einer der wichtigen Seume-Forscher der Zeit, Dirk Sangmeister, hat 2010 einen<br />

wichtigen Sammelband mit Beiträgen zu Seume veröffentlicht. 35 Dieser enthält erstmals –<br />

nahezu vollständig – eine Übersicht aller von Seume geschriebenen Gedichte. Dirk<br />

Sangmeister bemerkt zum Altenhain-Gedicht: 36<br />

Daß der Titel von Seume stammt, scheint zweifelhaft. Geschrieben zum zweiten Geburtstag<br />

seiner Nichte Johanna Soiphia Oehme (1798-1876), die Seume als sein Patenkind betrachtete.<br />

Das ist natürlich nicht schön, an einem solchen Tag so etwas zu hören. Aber ich kann Sie<br />

beruhigen, denn Dirk Sangmeister ist allzu forsch in dieser Zuschreibung. Wo er wohl<br />

recht hat – und ich folge ihm da – ist, dass Seume das Gedicht nicht wirklich in<br />

Altenhain geschrieben hat. Der Hinweis in der ersten Strophe Die Presse preßt / Mir armen<br />

Wichte / Zwar glühend heiß / Schon vollen Schweiß / Zum Angesichte verweist auf Seumes<br />

Tätigkeit in Göschens Druckerei. Gedruckt wurde in dieser Zeit gerade Wielands großer<br />

34 Zitiert nach der Erstausgabe, Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802, 1803. S. 490f.<br />

35 Sangmeister, Dirk: Seume und einige seiner Zeitgenossen. Beiträge zu Leben und Werk eines eigensinnigen<br />

Spätaufklärers [= Deutschlands Achtzehntes Jahrhundert. Hrsg. von Franz-Ulrich Jestädt. Studien, Band 2]; Erfurt,<br />

Waltershausen: Ulenspiegel Verlag 2010 [= Sangmeister 2010]<br />

36 Sangmeister 2010, S.497-553: Annotiertes Verzeichnis von Seumes Gedichten. Versuch einer Bestandsaufnahme,<br />

hier S.553 unter der Nummer 228.<br />

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Roman Aristipp, wie die komplette Wieland-Ausgabe in vier verschiedenen Formaten,<br />

was eine absolute Auslastung der Druckerei bedeutete. Es ist nicht anzunehmen, dass<br />

hier Seume als Korrektor einfach fehlen durfte. Dazu kommt, dass etwa das Quartformat<br />

der Wieland-Ausgabe – die sogenannte Fürsten- oder Prachtausgabe – nur gedruckt<br />

wurde, wenn Göschen vor Ort war. Seume musste somit in der Druckerei bleiben. Es<br />

spricht eher dafür, dass es sich um ein Brief-Gedicht handelt. Seume hatte in vielen<br />

Briefen Gedichte beigefügt, die eher launisch auf konkrete Situationen des Adressaten<br />

zielten. Ohne das bisher eine umfassende wissenschaftliche Würdigung der Gedichte<br />

Seumes stattgefunden hat, kann man vorsichtig anmerken, dass die Gedichte Seumes in<br />

der Regel recht lang waren. Das hatte auch schon die zeitgenössische Kritik bemerkt, als<br />

Seume erstmals noch vor seinem Spaziergang nach Syrakus die erste Ausgabe seiner<br />

Gedichte veröffentlicht hatte. Dagegen sind die Gedichte, die in Briefen mitgeteilt<br />

wurden, deutlich kürzer. Leider ist ein diesbezüglicher Brief mit dem Altenhain-Gedicht<br />

heute nicht mehr vorhanden, um diese These belegen zu können. Denn erst 1839<br />

innerhalb der vierten Gesamtausgabe der Werke Seumes erscheint das Altenhain-<br />

Gedicht, somit knapp 30 Jahre nach Seumes Tod. Dieser Erstdruck ist somit gleichzeitig<br />

einzige Quelle, was die Sache nicht leichter macht.<br />

Sangmeisters Bemerkung, das Gedicht sei für Seumes Nichte Johanna Sophie (auch<br />

Sophia) Oehme geschrieben worden, hat einen bestimmten Grund: die Nichte wurde am<br />

6. August 1798 in Poserna geboren. Die Eltern waren Seumes Schwester Johanne Regine<br />

und Seumes Schwager Johann David Oehme. 37 Doch die Altenhainer können ruhig<br />

bleiben: die Interpretation, das Altenhain-Gedicht sei für Seumes Nichte geschrieben,<br />

leuchtet gar nicht ein. Wieso sollte man zum zweijährigen Geburtstag eines Kindes eine<br />

Feier veranstalten? Das wäre für diese Zeit doch etwas ungewöhnlich. Und für ein Kind<br />

seltsam klingt auch die sehr ausgewählte Ansprache. Man kann diese Gedicht-<br />

Ansprache auf eine Festgesellschaft hin interpretieren oder die Ansprache richtet sich an<br />

eine hochgestellte Persönlichkeit: Zu Euerm Fest // In Euerm Leben // Sie sey [die<br />

Freundlichkeit] nun Eure Euch immer theure Begleiterin. Nein, das ganze Gedicht ist<br />

einfach zu untypisch für ein „Kindergedicht“. Es ist somit auszuschließen, dass Seume<br />

für ein zweijähriges Mädchen ein solches Altenhain-Gedicht verfasst hätte.<br />

Wir kommen der Sache näher, wenn wir uns noch einmal an das Gothaische genealogische<br />

Taschenbuch von 1863 38 erinnern; dort heißt es über Hans August von Bissing, er sei geb.<br />

5. Aug. 1771. Am 5. August 1771 wurde also Hans August von Bissing geboren. Wäre da<br />

eine Geburtstagsfeier zu seinen Ehren am 6. August 1800 nicht denkbar? Und noch näher<br />

heran kommen wir durch die große – allerdings nicht ganz fehlerfreie – Seume-Biografie<br />

von Planer und Reißmann. Darin heißt es: Hans August v. Bissing (...) war am 6. Aug. 1771<br />

in Altenhain geboren. 39<br />

Es war mir in der Kürze der Zeit nicht möglich, den genauen Geburtstag Hans August<br />

von Bissing zu ermitteln. Fest steht: das Altenhain-Gedicht stimmt mit den Lebensdaten<br />

vom Altenhainer Rittergutsbesitzer auffallend überein. Eine Zuschreibung, dass das<br />

Gedicht „Zum sechsten August 1800 in Altenhain“ tatsächlich für Hans August von Bissing<br />

37 Das <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt besitzt einen kleinen Brief Seumes an diese Nichte, Anfang August 1806<br />

verfasst. Vgl. auch Sangmeister 2010, S.540 (Nr.153).<br />

38 Wie oben; das Geburtsdatum ist auf S.63 zu finden.<br />

39 P/R, S.176.<br />

23 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


im Besonderen und die dortige Festgesellschaft im Allgemeinen von Seume verfasst<br />

wurde, ist für mich absolut plausibel. Der Hinweis auf die „Pressen“ im Gedicht macht<br />

auch die Zuschreibung an Seume und seiner Zeit bei Göschen eindeutig.<br />

Sofern nicht neue Quellen auftauchen, muss festgehalten werden: Es ist ein echtes<br />

Seume-Gedicht für eine konkrete Geburtstagsfeier, die am Mittwoch, den 6. August<br />

1800 in Altenhain stattgefunden hat. Mir erscheint dann auch – anders als Dirk<br />

Sangmeister – der Titel des Gedichtes authentisch zu sein.<br />

Interessant wäre noch zu wissen – falls es sich tatsächlich um ein Brief-Gedicht handelt –<br />

wie das Gedicht in die Seume-Ausgabe von 1839 gekommen ist; Hans August von<br />

Bissing lebte ja damals noch! Das Altenhain-Gedicht müsste dann von der Familie freigegeben<br />

worden sein. Vielleicht hat aber zu der Zeit des Erstdrucks auch noch eine<br />

weitere Abschrift vorgelegen.<br />

Das Gedicht ist inhaltlich klar gegliedert:<br />

• Die ersten beiden Strophen beschreiben Seume als jemanden, der trotz Zeitmangel ein<br />

paar Zeilen schreiben möchte, doch durch die zeitliche Begrenzung zur Kürze<br />

angehalten wird, was aber auch seine positiven Seiten hat: Auch so ists gut; / So sprech’ ich<br />

schlichter, / Und nicht als Dichter / In Geistesgluth, / Mit heiterm Muth / Nur kurz und<br />

schicklich: / Seyd froh und glücklich!<br />

• Die folgende Strophe ist zugleich Weisung und Warnung, denn der Wechsel der<br />

Jahreszeiten ist hier natürlich auch ein Sinnbild für das Leben: Das Leben bietet neben<br />

dem Sonnenschein eben auch Regen und im Jahresverlauf – wie auch im Lebenslauf –<br />

folgt auf die ersten drei Jahreszeiten der Winter, der aber auch seine Aufgabe erfüllt.<br />

• Die beiden letzten Strophen sind ein Loblied auf die Freundlichkeit: Sie sey nun Eure /<br />

Euch immer theure / Begleiterin. Durch die Freundlichkeit wird die diesseitige Welt schon<br />

zu einem Stück des Paradieses, des Himmels: Dann werden Euch / Der Unfall kleiner, / Die<br />

Freuden reiner, / Genüsse feiner, / Und Himmelreich / Auch mit Gefährde /Schon diese Erde.<br />

9. In späteren Zeiten<br />

Kontakte von Seume, Schnorr oder Göschen zu Altenhain nach 1802 sind nicht mehr<br />

zu erkennen. Mit dem Verkauf des Rittergutes durch Hans August von Bissing verliert<br />

Altenhain eine wichtige Bezugsperson. Seume und Schnorr haben zwar noch viele Male<br />

Hohnstädt und Grimma besucht, von einem erneuten Besuch in Altenhain ist nichts<br />

überliefert. Doch das bedeutet nicht, dass die Kontakte zur Familie von Bissing<br />

abreißen, auch wenn die Dokumentenlage von nun etwas „dünner“ wird.<br />

Die Seume-Biografie von Planer / Reißmann beschreibt einen Besuch Seumes bei der<br />

Familie von Bissing in Nieder-Thomaswaldau Anfang 1804; dort heißt es: 40<br />

In Seume war unterdessen die Wanderlust wieder rege geworden, der er wohl oder übel Tribut<br />

zollen mußte. Die freie Zeit während der Neujahrsmesse 1804 hatte er schon zu einer Reise nach<br />

Berlin benutzt, um dort Merkel und dessen Freundeskreis zu sehen, und nun, während der<br />

Osterferien, unternahm er einen Ausflug nach Nieder-Thomaswaldau zum Herrn von Bissing<br />

und von da ins Riesengebirge. Die Reise von Leipzig über Großenhain, Kamenz, Bautzen, Görlitz<br />

und Bunzlau bis Nieder-Thomaswaldau, etwa zweiunddreißig deutsche Meilen, machte er<br />

natürlich wieder zu Fuße und hielt darauf mehrere Tage behagliche Rast in Bissings Familie, die<br />

40 P/R, S.440.<br />

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er seit seinem Gange nach Italien nicht wieder gesehen hatte. Dann wanderte er wohlgemut in<br />

das vom Bober durchflutete große, schöne Hirschberger Thal hinein, der blauen Wand des<br />

riesigen Hochgebirges entgegen, das um diese Jahreszeit auf allen seinen Zinnen und kannten<br />

noch den silbernene Schmuck des Winters trägt.<br />

Ganz sicher ist diese Begegnung nicht, da weitere Dokumente fehlen.<br />

Erst wieder im Jahre 1808 sind dann dokumentierte Kontakte zu finden: Seume schreibt<br />

u.a. Anfang September 1808 an den großen Verleger – übrigens größter Konkurrent<br />

Göschens – Johann Friedrich Cotta: 41<br />

Mir gehts erbärmlich, denn es scheinen sich 36 000 Krankheiten verschworen zu haben, mich<br />

diesen Sommer nieder zu travaillieren 42 . Gelingts, nun so ist Feyerabend. Doch hat mich jetzt so<br />

vel quasi 43 das Gros der Harpyen 44 so ziemlich wiederverlassen, und ich denke Sie bono cum deo 45 ,<br />

wie ein alter Schulmeister in Borna 46 sagte, zu Anfange des Oktobers in Ihrem Tübingen wirklich<br />

einige Stunden heimzusuchen. Oder ich richte es so ein, daß ich eine Nacht dort bleiben kann.<br />

Bey Ihnen wohnen kann ich nicht, weil es meine Verhältnisse nicht erlauben; denn ich bringe für<br />

einen meiner Freunde 47 einige ganz gut geartete junge Bären, in die Schweitz die bey Bern<br />

gehörig ausgelecht werden sollen. Erlaubt mirs die Zeit, so gebe ich bey Ihnen wohl einen Tag zu:<br />

denn meine Rücksicht hat wegen meiner hiesigen Siebensachen Eile.<br />

Seume sollte die drei ältesten Söhne der Familie von Bissings in die Schweiz begleiten.<br />

Die Söhne sollten in eine Einrichtung des Reformpädagogen Philipp Emanuel von<br />

Fellenburg in der Nähe von Bern (Hofwyl) gegeben werden. Der Schweizer Pädagoge<br />

von Fellenburg war mittlerweile mit seiner Erziehungsanstalt eine sehr geachtete<br />

Persönlichkeit, die später auch in der Literatur seinen Niederschlag fand, denn Goethe<br />

nutzte 1821 Fellenburgs Anstalt als Vorbild für seine berühmte „Pädagogische Provinz“<br />

in „Wilhelm Meisters Wanderjahren“.<br />

Zurück zu Seume: so gerne er die Reise unternommen hätte, er konnte es bei seinem<br />

immer schlechter werdenden Gesundheitszustand nicht mehr. In einem heute leider<br />

41 Brief Seumes an Johann Friedrich Cotta, erste Septemberwoche 1808 / H Marbach: Cotta-Archiv / D Maria<br />

Fehling (Hrsg.): Brief an Cotta. Das Zeitalter Goethes und Napoleons. 1794-1815; 2 Bände; Stuttgart und Berlin:<br />

Cotta 1925; hier Bd. 1, S.130-132 / A Seume-Briefe Nr. 382, S.567-569; hier S.568.<br />

42 Seume-Briefe, S.1113: "Quälen, plagen, niederwerfen" (lat.).<br />

43 Seume-Briefe, S.1113: vel quasie – "Oder gleichsam" (lat.).<br />

44 Seume-Briefe, S.716: Harpyie, d.i. ein Sturmdämon in der Gestalt eines Mädchens mit Vogelflügeln (griech.<br />

Mythologie).<br />

45 Seume-Briefe, S.1113: "Mit dem guten Gott" (lat.), d.h. mit Gottes Hilfe.<br />

46 Seume-Briefe, S.684: Seumes verehrter Lehrer Johann Friedrich Korbinsky († 1796), von 1754 bis zu seinem Tode Rektor<br />

der Stadtschule in Borna, die Seume von Ostern 1777 bis Juni 1779 besucht hatte. Bei Korbinsky gingen auch die (späteren)<br />

Schriftsteller Siegfried August Mahlmann (1771-1826) und Christian August Fischer (1771-1829) in die Schule. Siehe<br />

Seumes im ersten Band der "Obolen" (1796) veröffentlichtes Gedicht "Meinem theuren Lehrer, dem Rector Korbinsky in<br />

Borna" (wiederabgedruckt in PPW 5, S.76-79). Vgl. Josef Huerkamp und Georg Meyer-Thurow, "Die Einsamkeit, die Natur<br />

und meine Feder, dies ist mein einziger Genuß". Christian August Fischer (1771-1829) – Schriftsteller und<br />

Universitätsprofessor, Bielefeld: Aisthesis 2001 (= Bielefelder Schriften zur Linguistik und Literaturwissenschaft 15), S.38-42.<br />

47 Seume-Briefe, S.1113f.: Seume hatte zugesagt, die drei ältesten Söhne von Hans August von Bissing, die auf die<br />

Erziehungsanstalt des Schweizer Pädagogen Philipp Emanuel von Fellenberg in Hofwyl bei Bern geschickt werden sollten, auf<br />

ihrer Reise in die Schweiz zu begleiten; vgl. Schnorrs "Lebensgeschichte", S.395-396, sowie Christoph August Tiedges Vorrede<br />

zu Seumes "Morbona", S. 5. Zu Fellenberg, dessen Pädagogik sich eng an den Vorstellungen seines Landsmannes Johann<br />

Heinrich Pestalozzi (1746-1827) orientierte, siehe den Bericht von Therese Huber im "Morgenblatt" Nr.47 vom 24.2.1808,<br />

S.185-186, Nr. 48 vom 25.2.1808, S.190-192, und Nr. 50 vom 27.2.1808, S.199-200, sowie Carl August Böttigers Artikel<br />

"Fellenberg's Experimental Farm in Hofwyl bei Bern" in der ZeW Nr. 41 vom11.3.1808, Sp.323-326, durch die Bissing<br />

möglicherweise auf Fellenbergs Institut aufmerksam geworden war. Fellenbergs Erziehungsanstalt fungierte später als Vorbild<br />

für die "Pädagogische Provinz" in Goethes "Wilhelm Meisters Wanderjahren" (1821). Vgl. auch Brief Nr. *384.<br />

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nicht mehr erhaltenen Brief Seumes an Hans August von Bissing, wohl in der zweiten<br />

Septemberhälfte 1808 geschrieben, erklärte er dem ehemaligen Altenhainer-<br />

Rittergutsbesitzer, dass er die Reise unmöglich machen kann. Seume schlägt stattdessen<br />

seinen Freund Schnorr von Carolsfeld vor, der die Aufgabe übernehmen würde. Schnorr<br />

wird dann die Söhne von Bissings – quasi in Vertretung Seumes – tatsächlich in die<br />

Schweiz begleiten.<br />

Noch einmal taucht unser Wanderer nach Syrakus in einem Brief Hans August von<br />

Bissings auf. Am 1. Oktober 1809 schreibt von Bissing aus Nieder-Thomaswaldau an<br />

Göschen: 48 Freund Seume scheint leider immer noch sehr krank zu sein, wie ich aus einem<br />

kürzlich von ihm erhaltenen Briefe schließe, der mich sehr erschüttert hat.<br />

Auch hier ist also ein Seume-Brief verloren gegangen. 49 Aber es zeigt sich, quasi am<br />

Lebensende von Seume, wie besorgt viele Bekannte um Seumes Gesundheit waren,<br />

darunter eben auch Hans August von Bissing, der hier sogar die Wendung „Freund<br />

Seume“ verwendet.<br />

10. Altenhain – Ein Schlusswort<br />

Der Kreis schließt sich also. Wenige Jahre, von 1797 bis 1801, als Seume im benachbarten<br />

Grimma als Korrektor arbeitete, war auch Altenhain vielfach Ziel von Johann Gottfried<br />

Seume gewesen. Bezugspunkt war hier die Familie von Bissing. Der Kontakt hierzu war<br />

wohl durch Göschen entstanden. Mit Seume – dies sei als vorsichtige Theorie zu<br />

verstehen – kam dann auch Seumes bester Freund Veit Hanns Schnorr von Carolsfeld<br />

nach Altenhain. Also ein wenig hat Altenhain dann doch zur Geschichte beigetragen,<br />

wenngleich nicht zur Weltgeschichte, aber eben zur deutschen Kunst- und<br />

Literaturgeschichte!<br />

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!<br />

Bitte denken Sie an den<br />

Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis 2013!<br />

2013 wird wieder der Seume-Literaturpreis vergeben.<br />

Diesmal werden Texte mit Seume-Bezug besonders berücksichtigt.<br />

Falls Sie, lieber Leser, ein gutes Buch entdecken, dann schlagen Sie es doch vor.<br />

Der Seume-Verein „ARETHUSA“ freut sich auf Ihre Einsendungen!<br />

Weitere Informationen erhalten Sie über den Verein<br />

(Sitz: <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt)<br />

oder im Internet unter www.goeschenhaus.de in der Rubrik „Seume-Preis“.<br />

48 VKG 3152; laut VKG ist dieser Brief in Leipzig, DBSM, laut Seume-Briefe, S.1135 in Lützen (Nr.76)<br />

aufbewahrt. Weitere Nachforschungen können aus Zeitmangel nicht unternommen werden.<br />

49 In der Briefausgabe als Seume-Briefe Nr. *407, S.194, bezeichnet.<br />

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Und damit Punktum Wörterprunk<br />

Das Besondere zum Schluss von Thorsten Bolte<br />

Bereits 1775 veröffentlichte Christoph Martin Wieland den kleinen Aufsatz „Ueber die<br />

Kunst aufzuhören“ in seiner eigenen Zeitschrift „Der Teutsche Merkur“ (1. Vierteljahr<br />

1775, S.170-172). Genau 23 Jahre später veröffentlicht Wieland den Aufsatz in der bei<br />

Göschen verlegten Gesamtausgabe erneut. Im 6. Band der „Supplemente“ von „C. M.<br />

Wielands Sämmtliche Werke“ erscheint der Aufsatz im Abschnitt „Litterarische<br />

Miscellaneen“ nun unter dem neuen Titel „Die Kunst aufzuhören“ (S.85-87). Die beiden<br />

letzten Abschnitte der Göschen-Ausgabe von 1798 werden im folgenden wiedergegeben:<br />

(...) Die Kunst aufzuhören, zu fühlen was g e n u g ist, und nicht ein Wort m e h r zu<br />

sagen, nicht einen Strich m e h r zu thun, als nöthig ist damit die abgezielte Wirkung<br />

erfolge, — o meine jungen Freunde, ist für den Dichter wie für den Mahler (und warum<br />

nicht für j e d e n Schriftsteller?) eine große und schwere Kunst! Ein einziger Vers, ein<br />

einziges Wort z u v i e l ist schon genug, um zu machen daß eine naive, rührende,<br />

erhabene Stelle n i c h t naiv, n i c h t rührend, n i c h t erhaben ist.<br />

„Aber wie lernen wir diese Kunst? und wann können wir gewiß seyn sie ergriffen zu<br />

haben?“ — Ich glaube daß sich in den Schriften der Kunstlehrer und Kunstrichter, von<br />

Q u i n t i l i a n und L o n g i n bis zu D u b o s und von Dubos bis auf diesen Tag, viel<br />

wahres und brauchbares hierüber finden müße. Indessen scheint mir doch gerade diese<br />

Kunst zu wissen, oder vielmehr mit einem schnellen und sichern Sinn zu fühlen was<br />

g e n u g ist, und also was z u v i e l und was z u w e n i g wäre, das Geheimniß der<br />

großen Meister zu seyn. Ich meines Orts lerne schon funfzig Jahre daran, und sehe mit<br />

jedem Tage mehr, wie weit ich noch vom Ziele bin.<br />

Anmerkung:<br />

Rechtschreibung, Kommasetzung und Speerung folgen dem Originaldruck der Klein-Oktav-Ausgabe im Göschen-<br />

Archiv des <strong>Göschenhaus</strong>es. Die zeittypische Antiqua-Darstellung des Buchstabens „ſs“ wird durch seine heutige<br />

Form „ß“ ersetzt.<br />

Christoph Martin Wieland<br />

„Der größte Dichter seines Zeitalters“<br />

→<br />

Seltene Beilage zu<br />

„C.M.Wielands Leben.<br />

Neu bearbeitet von<br />

G.J. Gruber“<br />

(Leipzig: Göschen 1828)<br />

27 © <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma <strong>2012</strong>


IMPRESSUM<br />

Herausgegeben vom<br />

KULTURBETRIEB GRIMMA / <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt und dem<br />

Internationalen Johann-Gottfried-Seume-Verein „ARETHUSA“ e. V. Grimma<br />

Ausgabe 3/<strong>2012</strong><br />

Redaktion und Gestaltung:<br />

Thorsten Bolte (Grimma), im Auftrag des <strong>Göschenhaus</strong>es und des Seume-Vereins „ARETHUSA“<br />

Redaktionsschluss der vierten Ausgabe des <strong>Göschenhaus</strong>-<strong>Journal</strong>s ist Ende September <strong>2012</strong>!<br />

Kontakt:<br />

→ <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt oder Bolte.Thorsten@grimma.de<br />

Rechte, wenn nicht anders angegeben:<br />

© Texte: <strong>Göschenhaus</strong> und Seume-Verein „ARETHUSA“ 3/<strong>2012</strong><br />

© Abbildungen: <strong>Göschenhaus</strong> und Seume-Verein „ARETHUSA“ 3/<strong>2012</strong><br />

Auskunft erteilt das <strong>Göschenhaus</strong> Grimma-Hohnstädt<br />

Die Arbeit des <strong>Göschenhaus</strong>es Grimma-Hohnstädt und des Seume-Vereins „ARETHUSA“<br />

wird von folgenden Institutionen unterstützt,<br />

denen wir besonders danken:<br />

Kulturbetrieb Grimma in der Stadtverwaltung Grimma<br />

Landkreis Leipzig<br />

Kulturraum Leipziger Raum<br />

Kommunales Jobcenter Landkreis Leipzig<br />

Sparkasse Muldental<br />

Wer unsere Arbeit fördern möchte, kann sich gerne im <strong>Göschenhaus</strong> melden.<br />

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