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kompass<br />

Fachzeitschrift für Betreuungsmanagement<br />

Ausgabe 1/2013 | 2. Jahrgang<br />

Seite 6<br />

Schwerpunktthema<br />

Zwangsbehandlung und das betreuerische Dilemma<br />

Seite 28<br />

Werdenfelser Weg: eine (zu) einfache Lösung auf Kosten von Betreuung?<br />

Seite 32<br />

Im Porträt: Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben e. V.<br />

BAL ANCE <strong>buch</strong> + <strong>medien</strong> <strong>verlag</strong>


inhalt<br />

kurz & bündig<br />

Aktuelle Meldungen • Veranstaltungshinweise • Daten & Fakten • Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 – 5<br />

schwerpunktthema<br />

Öffentliche Debatte voll entbrannt: Zwangsmaßnahmen und das betreuerische Dilemma . . . . . . . . . . . . 6 – 7<br />

Zwangsbehandlungen reduzieren – Betreuungs- und Versorgungssystem professionalisieren . . . . . . . . . . 8 – 11<br />

»Psychotiker sind wie toskanische Landhäuser«: Roundtable-Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 – 15<br />

Gute Kont(r)akte sind das A & O: zwei Fälle aus betreuungsrechtlicher Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 – 19<br />

Pflegeleicht? Alte Menschen im Heim unter Zwangsmedikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 – 21<br />

»Wir brauchen eine innovative Psychiatrie« – mit Doris Steenken im Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 – 24<br />

blickpunkt betreuung<br />

Rolle der Betreuung im Strafverfahren: Im Namen der Klient/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 – 27<br />

Werdenfelser Weg: Eine (zu) einfache Lösung auf Kosten von Betreuung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 – 29<br />

Berufspraxis: Ein Fall und seine Lösung • Was, wo, web? • Hingeschaut! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 – 31<br />

namen & netzwerk<br />

Förderpreis Betreuungsgerichtstag: And the winner is … • Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben e. V. . . 32<br />

Kurz-Kontakt: Sagen Sie mal … • Neue Richtervereinigung NRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />

schlusspunkt<br />

Essay zum Thema »Wohl und Wille« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34


editorial<br />

3<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

zugegeben, die Spannung bei Herausgeber, Redaktion und<br />

Verlag rund um die erste Ausgabe des kompass im vergangenen<br />

Oktober war groß. Eine neue Fachzeitschrift bringt man<br />

nicht alle Tage auf den Markt. Wie würde also das neue Magazin<br />

bei den Leser/innen ankommen, wie würden Aufmachung<br />

und Themen bewertet? Einzelne Stimmen wünschen sich<br />

mehr Diskurs, diese Anregung haben wir bereits versucht<br />

aufzunehmen. Die meisten Antworten aus verschiedenen<br />

Richtungen – auch außerhalb von Betreuungskreisen – waren<br />

klar und geben »Rückenwind«: sehr gut, weiter so! Auch die<br />

interne Manöverkritik im Redaktionsbeirat macht Mut, den<br />

eingeschlagenen Kurs weiter zu verfolgen: fundierte<br />

Fachbeiträge, subjektive Denkanstöße und journalistisch<br />

aufbereitete Informationen – die Mischung macht’s, der<br />

kompass funktioniert!<br />

Von Routine waren wir mit der Vorbereitung des vorliegenden<br />

Heftes jedoch weit entfernt. Dazu ist berufliche Betreuung<br />

viel zu facettenreich und der politisch-fachliche Diskurs viel zu<br />

dynamisch. Das zeigt auch der Schwerpunkt dieser Ausgabe,<br />

»Zwangsbehandlung und das betreuerische Dilemma«. Durch<br />

zwei maßgebliche Urteile des Bundesgerichtshofes im Sommer<br />

2012 geriet dieses wichtige Thema unter das öffentliche »Brennglas«<br />

– und legte das betreuungsrechtliche Vakuum offen. Ob<br />

und wie weit die im Februar beschlossene Gesetzes änderung<br />

Betreuer/innen bei ihrer Arbeit helfen wird, ist deshalb auch<br />

eine der leitenden Fragen, die wie ein roter Faden durch den<br />

Themenschwerpunkt geht. Nur so viel vorab: Zwischen Wohl<br />

und Wille zu entscheiden, bleibt weiter anspruchsvoll. Erneut<br />

haben wir eine Reihe erfahrener Profis gewinnen können, ihre<br />

Kompetenz und Sicht der Dinge einzubringen – als Autor/innen<br />

oder Gesprächspartner/innen. Seien Sie neugierig auf das<br />

Roundtable-Gespräch mit einem Psychiater, einem Betreuungsrichter<br />

und einer Betreuerin unter dem Titel »Psychotiker sind<br />

wie toskanische Landhäuser«. Machen Sie sich ein Bild aus der<br />

Betreuungspraxis anhand zweier persönlicher Fälle. Oder lesen Sie,<br />

was Betroffene selbst mit Zwangsbehandlung verbinden, mündend in<br />

der Forderung »Wir brauchen eine innovative Psychiatrie«. Auch das<br />

abschließende Essay »dockt« diesmal an den Schwerpunkt an, widmet<br />

sich dem Verhältnis von »Wohl und Wille«. Daneben bietet der<br />

kompass in dieser Ausgabe wieder Wissens wertes und Diskussionswürdiges<br />

aus anderen Bereichen. Zum Beispiel zur Rolle von Betreuer/<br />

innen in Strafverfahren oder Hintergründe und Einschätzungen zum<br />

»Werdenfelser Weg«, einem Modell aus Süddeutschland.<br />

Eines wurde auch an dieser Ausgabe wieder deutlich: Die Betreuungslandschaft<br />

ist voller spannender Themen und Menschen. Und<br />

deshalb ist uns der Kontakt zu Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, so<br />

wichtig. Sagen Sie uns Ihre Meinung zum kompass und »spielen« Sie<br />

uns Innovatives und Interessantes aus ihrem Arbeitsalltag zu. Denn:<br />

Wir wollen ein lebendiges Fachmagazin gestalten! Damit verbunden<br />

ein wichtiger Hinweis in eigener Sache: Nach nun zwei kostenfreien<br />

Schnupperausgaben erhalten Sie den kompass ab Oktober 2013<br />

ausschließlich im Abonnement. Wir hoffen, dass wir Sie mit dem<br />

Magazin überzeugen können und dass Sie uns weiter die Treue halten<br />

werden – ein Bestellformular finden Sie natürlich gleich hier im<br />

Heft. Herausgeber, Redaktion und Verlag geben Ihr Bestes, damit der<br />

kompass Ihnen immer die nötige fachliche Orientierung gibt.<br />

Viel Spaß beim Lesen, herzlichst<br />

Anne Heitmann (ah kommunikation I Agentur für Public Relations)<br />

Leiterin der Redaktion<br />

impressum<br />

Herausgeber: Bundesverband der Berufsbetreuer/innen e.V. • Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Harald Freter • Konzept: ah kommunikation Agentur<br />

für Public Relations • Redaktionsbeirat: Stephan Böck (Berufsbetreuer Ottobeuren), Klaus Förter-Vondey (Vorsitzender BdB e.V.), Dr. Harald Freter (Geschäftsführer<br />

BdB e.V.), Angela Roder (Berufsbetreuerin Hamburg), Andrea Schwin-Haumesser (Vereinsbetreuerin Esslingen), Joachim Speicher (Vorsitzender der<br />

Paritätische Landes verband Hamburg) • Redaktion: Anne Heitmann (Leitung), Jan Schütte • Autor/innen: Karin Böke-Aden, Klaus Förter-Vondey, Dr. Harald<br />

Freter, Jochen Halbreiter, Anne Heitmann (hei), Jan Schütte (js), Julia Schumacher (schu), Andrea Schwin-Haumesser, Bernd Seifriz-Geiger, Joachim Speicher<br />

Verlag: Balance <strong>buch</strong> + <strong>medien</strong> <strong>verlag</strong> (Imprint der Psychiatrie Verlag GmbH, Köln, www.balance-<strong>verlag</strong>.de) • Gestaltung: GRAFIKSCHMITZ, Köln<br />

Druck: OBW Ostfriesische Beschäftigungs- und Wohnstätten GmbH, Emden Fotos: BdB (S. 34), Heike Günther (Titel, S. 7, 8, 11, 12 – 15, 20, 29, 33), ISL (S. 32),<br />

Markus Hansen (S. 11, 19), Thorsten Helmerichs (S. 22 – 24), Viktoria Kühne (S. 7, 21, 27, 30), Mike Schröder (S. 3), Andre Zelck (S. 7), Fotolia (S. 25), Photocase<br />

(S. 26, 31), Shutterstock (S. 4, 5, 16, 28, 34), privat (S. 31, 32, 33) • Auflage: 12.000 Stück • © BdB e. V.<br />

kompass | Ausgabe 1/2013


20<br />

schwerpunktthema<br />

Alte Menschen im Heim unter<br />

Zwangsmedikation<br />

Pflegeleicht?<br />

Die Gabe von Psychopharmaka an Bewohner/<br />

innen von Altenpflegeheimen erfolgt leise und<br />

unspektakulär. Täglich werden diese Medikamente<br />

in großem Ausmaß verschrieben und<br />

verabreicht. Die Betroffenen wehren sich nicht<br />

und geben Ruhe. Sie sind auf Unterstützung und<br />

Beistand angewiesen. Der in diesem Beitrag beschriebene<br />

Fall einer Klientin zeigt warum.<br />

Von Karin Böke-Aden<br />

In Deutschland leben ca. 750.000 Menschen in Altenpflegeheimen.<br />

Über ein Viertel erhält regelmäßig Psychopharmaka, in traditionellen<br />

Einrichtungen mehr als in spezialisierten Heimen. Zu den Psychopharmaka<br />

gehören Neuroleptika, Sedativa, Antidepressiva und<br />

Schlafmittel. Untersuchungen der Verordnungspraxis ergeben, dass<br />

die Verschreibung derartiger Präparate ihren Gipfel bei über 90-jährigen<br />

Menschen hat. Allein dementen Bewohner/innen werden täglich<br />

durchschnittlich zweieinhalb verschiedene Psychopharmaka verordnet.<br />

Hier wird das Ausmaß der Anwendung in diesem Bereich deutlich.<br />

Sensibilisiert durch die derzeit geführte Diskussion über Zwangsmedikation<br />

und durch das Gesetz, das nach Vorgaben von Bundesverfassungsgericht<br />

(BVerfG) und Bundesgerichtshof (BGH) eine Zwangsbehandlung<br />

ermöglicht, ist ein Blick auf die Praxis interessant: Wie<br />

erfolgt die Gabe von Medikamenten? Wie werden Heimbewohner/<br />

innen über die Einnahme von Psychopharmaka aufgeklärt? Wie gehen<br />

Ärzt/innen und Pflegemitarbeiter/innen mit Einwilligungen bzw.<br />

Nicht-Einwilligungen um? Kann man von Freiwilligkeit reden, wenn<br />

gar nicht erst aufgeklärt und gefragt, sondern gleich verordnet wird,<br />

wie es in der Praxis oft der Fall ist? Dabei ist es Ärzt/innen nach § 110,<br />

Abs. 1 StGB nur in Notsituationen erlaubt, Patient/innen ohne Aufklärung<br />

und ohne deren Einwilligung (oder der ihrer Vertreter/innen) zu<br />

behandeln.<br />

Tagesdosen pro Versicherte<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

Psychopharmaka<br />

abhängig vom Lebensalter<br />

Antidepressiva<br />

Neuroleptika<br />

Tranquillantien<br />

0<br />

bis 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 >90 Jahre<br />

Quelle: Universität Freiburg 10/2008<br />

Seitdem Frau K. im Heim lebt, fühlt sie sich oft müde<br />

Bis zu ihrem 85. Lebensjahr lebt Frau K. allein in ihrem Eigenheim.<br />

Morgens kommt der Pflegedienst zur Körperpflege, abends noch einmal<br />

kurz zur Medikamentengabe. Einmal in der Woche kommt die<br />

Reinigungskraft. Ansonsten versorgt sie den Haushalt ohne weitere<br />

Unterstützung. Nach einem Sturz wird sie mit einem Beinbruch im<br />

Krankenhaus operiert. Sie erholt sich nicht richtig und die Annahme,<br />

dass das Alleinleben zuhause schwierig werden würde, wird Gewissheit.<br />

Frau K. entscheidet sich, in ein Pflegeheim zu ziehen. Sie<br />

hat keine Angehörigen und ist mit der Regelung der aktuellen<br />

Angelegenheiten überfordert. Eine gesetzliche Betreuung für<br />

ihre Unterstützung wird eingerichtet.<br />

Als ich Frau K. kennenlerne, ist sie seit drei Monaten im<br />

Pflegeheim. Ich treffe auf eine sehr freundliche, ruhige alte<br />

Dame. Sie berichtet, es gehe ihr dort gut. Aber leider sei sie<br />

immer so müde und könne deswegen weder an den Aktivitäten<br />

im Heim teilnehmen, noch sich auf Lesen oder Fernsehen<br />

konzentrieren. Während unseres Gespräches berichtet sie,<br />

dass sie morgens und abends verschiedene Medikamente<br />

nehmen müsse, sie wisse aber nicht, welche. Frau K. erzählt,<br />

dass der Arzt sie einmal besucht und diese verordnet habe.<br />

Vom Pflegepersonal erfahre ich, dass sie sich nach ihrem Einzug<br />

in das Pflegeheim zunächst nicht zurechtgefunden habe<br />

und sehr unruhig gewesen sei, zum Teil sei sie – bezogen auf<br />

Zeit und Raum – desorientiert gewesen. Sie sei nachts aufgestanden,<br />

habe nicht gewusst, wo sie sich befindet und sei<br />

über die Flure geirrt. Der Hausarzt sei verständigt worden,<br />

habe Frau K. besucht und zur Nacht ein Schlafmittel und für<br />

den Tag ein Beruhigungsmittel verschrieben. Damit sei Frau<br />

K. ruhiger geworden und habe sich mit der Zeit auch auf der<br />

Station gut eingelebt. Die Medikation sei seitdem nicht verändert<br />

worden. Es findet ein Gespräch zwischen dem Pflegepersonal,<br />

Frau K. und mir als Betreuerin statt, ein Facharzt<br />

wird hinzugezogen. Ergebnis: Die Psychopharmaka werden<br />

langsam abgesetzt. Frau K. ist nun wieder wacher und kann<br />

an den Alltagsaktivitäten teilnehmen. Ihre Lebensqualität ist<br />

eindeutig gestiegen.<br />

kompass | Ausgabe 1/2013


Aufgaben des Pflegepersonals bei der Verordnung von Psychopharmaka<br />

• Psychische Symptome beobachten und dokumentieren<br />

• Suche nach möglichen Ursachen im Umfeld<br />

• Einsatz nicht-pharmakologischer Maßnahmen<br />

• Beobachtung und Dokumentation<br />

• wenn dies ohne Erfolg bleibt, Ärztin oder Arzt<br />

benachrichtigen<br />

• körperliche Ursachen ausschließen, Pflege- und<br />

Behandlungsplan aufstellen<br />

• Aufklären und Einwilligung in Medikamentengabe einholen<br />

• Medikamentenverordnung dokumentieren und Überprüfungstermin<br />

festlegen (der Wirkung des Medikamentes<br />

genügend Zeit lassen)<br />

• Therapie überwachen und dokumentieren<br />

• Notwendigkeit der Medikamente regelmäßig hinterfragen.<br />

Darauf achten, ob die Medikation auch tatsächlich zu einer<br />

Verbesserung der Lebensqualität führt<br />

• Medikamente absetzen, umstellen oder weiterführen<br />

• Therapie überwachen und dokumentieren<br />

21<br />

Das Beispiel von Frau K. beschreibt die Praxis in Pflegeheimen<br />

sehr deutlich. Viele sind auf die zunehmende Zahl von Bewohner/innen<br />

mit psychischen Beeinträchtigungen nicht eingestellt.<br />

Platz- und Personalmangel sowie ungenügende Schulung<br />

des Pflegepersonals begünstigen die Fehlversorgung<br />

vieler Bewohner/innen. Außerdem übernehmen häufig Hausärzt/innen<br />

ohne fachärztliche Kenntnisse die medikamentöse<br />

Versorgung. Als Gründe für die Verordnung von Psychopharmaka<br />

werden häufig genannt:<br />

• Schreien, Angstzustände, Aggressivität<br />

• Unruhe, Schlaflosigkeit, Verwirrtheit<br />

• Hin-und-Her- sowie Weglaufen, Sturzgefahr<br />

• Nahrungsverweigerung<br />

Die Betroffenen allein liefern aber vielfach nicht die einzigen<br />

Gründe. Oft steht die Verordnung von Psychopharmaka auch<br />

in Zusammenhang mit der räumlichen Situation (Doppelzimmer),<br />

fehlenden Möglichkeiten nichtmedikamentöser Therapie<br />

und bestehender Ressourcenknappheit.<br />

Psychopharmaka sind riskante Medikamente<br />

Frau K. hat Glück gehabt. Sie konnte noch bewusst bemerken,<br />

dass ihre Lebensqualität gelitten hat und wurde sowohl durch<br />

das Pflegepersonal als auch durch ihre Betreuerin unterstützt.<br />

Das ist aber leider nicht immer der Fall. Häufig wird eine Medikation<br />

in einer Akutsituation ausprobiert und dann nicht<br />

wieder abgesetzt. Dabei sind Psychopharmaka besonders für<br />

alte Menschen riskante Medikamente, die – früher als bei Jüngeren<br />

– unerwünschte Nebenwirkungen produzieren, besonders,<br />

wenn zu hoch dosiert und mangelhaft überwacht wird.<br />

Mögliche Nebenwirkungen sind Abnahme der Gedächtnisleistungen,<br />

erhöhtes Sturzrisiko, Müdigkeit, Unruhe, Schluck- und<br />

Sprechstörungen sowie weitere körperliche Erkrankungen, wie<br />

zum Beispiel Thrombose und Pneumonie. Um das Therapieziel<br />

mit möglichst geringer Nebenwirkung zu erreichen, sollte das<br />

Motto »start low, go slow« (also langsam anfangen und vorsichtig<br />

weiterbehandeln) gelten. Die Therapie ist stets zu überwachen<br />

und regelmäßig zu hinterfragen.<br />

Vor einer pharmakologischen Behandlung sollte zunächst<br />

nach den Ursachen geforscht und nichtmedikamentöse Lösungen<br />

versucht werden. Hierzu zählen z.B. Einzelzimmer, Zuwendung,<br />

Biografiearbeit und vielerlei Beschäftigung. Manchmal<br />

reichen Veränderungen in der Umgebung, Umstellungen im<br />

Tagesablauf oder kleinere räumliche Veränderungen schon aus.<br />

Wir müssen versuchen, Missstände zu ändern<br />

»Warum gehen so wenige alte Menschen für eine bessere Pflege<br />

auf die Straße?«, fragt sich Prof. Dr. Heribert Prantl und gibt<br />

sich mit einem Zitat von Kabarettist Dieter Hildebrandt selbst die Antwort:<br />

»Die einen können es nicht mehr, und die anderen wollen nicht<br />

daran denken, dass sie am nächsten Tag selbst betroffen sein könnten.«<br />

Die Lobby für alte Menschen, und ganz besonders für Menschen<br />

in Alten- und Pflegeheimen, ist nicht groß: Sie können sich oft nicht<br />

selber wehren oder trauen sich nicht, für die eigene Sache einzustehen.<br />

So sollten also Personen, die an der Versorgung, Pflege und Betreuung<br />

beteiligt sind, versuchen, diesen Missstand zu ändern. Darüber hinaus<br />

sind die politisch Verantwortlichen verpflichtet, die Rahmenbedingungen<br />

zu verbessern. Voraussetzung ist, dass die beteiligten Akteure<br />

(Pflegepersonal, Sozialarbeiter/innen, Ärzt/innen, Betreuer/innen) eine<br />

Bereitschaft zur Zusammenarbeit zeigen und achtsam sind.<br />

Für die Versorgung und Unterstützung alter Menschen in Pflegewohnheimen<br />

ist sowohl genügend Zeit als auch Professionalität Voraussetzung.<br />

Das gilt für das Pflegepersonal ebenso wie für Betreuer/<br />

innen. Bezüglich der gesetzlichen Betreuung vertritt die Politik die<br />

Meinung, zwei Stunden Betreuungszeit im Monat für alte Menschen<br />

in Pflegeheimen reiche aus. Dies ist ein großer Irrtum. Um unsere Klient/innen<br />

berechten und unterstützen zu können, benötigen wir sowohl<br />

mehr Zeit als auch eine gute professionelle Grundlage.<br />

•<br />

Karin Böke Aden ist Vorstandsmitglied im<br />

Bundesverband der Berufsbetreuer/innen<br />

BdB e.V. und führt gesetzliche Betreuungen in<br />

Emden.<br />

Literatur<br />

• Meißnest, Bernd: Die Anwendung von Psychopharmaka im Alter<br />

– ein therapeutisches Dilemma, BtPrax 2/2010<br />

• Pantel, Johannes u. a.: Abschlussbericht: Psychopharmaka im<br />

Altenpflegeheim – eine interdisziplinäre Untersuchung, Frankfurt/Main<br />

(ohne Jahresangabe)<br />

• Prantl, Heribert: Alpha und Omega, BtPrax 1/2012<br />

• Bredthauer, Doris: Redufix Praxis – Fehlmedikation im Alter,<br />

Regensburg 2009<br />

• Niebling, Wilhelm: Psychopharmaka in Alten-und Pflegeheimen,<br />

Freiburg 2008<br />

• Hanke, Frank: Arzneimittelversorgung im Pflegeheim – Versorgungswirklichkeit<br />

und die Konsequenzen – eine Analyse, Fachtagung<br />

des »Zukunftsforum Demenz« Berlin 2011<br />

kompass | Ausgabe 1/2013

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