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Wir sind Wien!

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DER<br />

SMARTGUIDE<br />

FÜR<br />

GANZ WIEN<br />

D I E N E U E N S E I T E N D E R S TA D T<br />

2015<br />

5,80 Euro<br />

<strong>Wir</strong> <strong>sind</strong><br />

<strong>Wien</strong>!<br />

Metropole der<br />

Vielfalt:<br />

Street Food<br />

Poetry Slams<br />

Filmkultur<br />

Austropop<br />

Szene-Hotspots<br />

Boutiquen<br />

Genuss, Spaß<br />

und Spannung:<br />

Das Beste<br />

aus allen Kulturen –<br />

zu Hause in <strong>Wien</strong><br />

> EIN WIEN. FÜR ALLE. STIMMEN FÜR INTEGRATION:<br />

Bürgermeister Michael Häupl, Sandra Frauenberger, Tatjana Oppitz, Marie Therese Harnoncourt, Houchang Allayhari


INHALT<br />

04 <strong>Wien</strong> im Bild<br />

Fotokünstler Severin Koller zeigt sein <strong>Wien</strong>.<br />

10 Armut frisst Demokratie<br />

Bürgermeister Michael Häupl im Gespräch.<br />

14 Migrantinnen in Führung<br />

Tatjana Oppitz, Generaldirektorin IBM Österreich,<br />

Mi-Ja Chon, GF Akakiko, Marie-Therese<br />

Harnoncourt, Gründerin ZT Architekten,<br />

und Selma Prodanovic, GF Brainswork.<br />

20 Österreich in Zahlen<br />

Daten und Fakten zum Thema Frauen &<br />

Integration.<br />

22 Holocaust im Unterricht<br />

Werner Dreier, GF der Plattform erinnern.at<br />

über die pädagogische Aufarbeitung.<br />

26 Kampf der neuen Dichter<br />

Diana Köhle, Frau der ersten Stunde im neuen<br />

österreichischen Dichterwettstreit über das<br />

neue Literaturverständis.<br />

30 Der Geschichtenerzähler<br />

Der preisgekrönte Regisseur Houchang Allahyari<br />

über seine persönliche Geschichte und<br />

die Entwicklung des österreichischen Films.<br />

34 Willkommen in Österreich<br />

Georgij Makazaria, Frontman der Turbo-<br />

Polka-Formation Russkaja, über Musik<br />

als verbindendes Element.<br />

38 Leistung zahlt sich aus<br />

Der in <strong>Wien</strong> und New York praktizierende<br />

<strong>Wir</strong>tschaftsanwalt Robin Lumsden über<br />

Integration durch Leistung.<br />

40 Respekt ist Kopfsache<br />

Stadträtin Sandra Frauenberger im Gespräch<br />

über Respekt und ihre politische Motivation.<br />

42 Streifzug durch Meidling<br />

Auf spannender Entdeckungsreise durch<br />

den Mikrokosmos Meidling.<br />

54 Die neue Generation<br />

Würstelstand<br />

Die besten Food Trucks der Stadt.<br />

58 Es lebe der Austropop!<br />

Die jungen Wilden des<br />

Mundart-Pop im Gespräch.<br />

64 Tanz der Toleranz<br />

Diese couragierten Clubs stehen für<br />

Vielfalt, Fun und Toleranz.<br />

68 Polizei als Spiegel<br />

der Gesellschaft<br />

Zwei Polizisten mit Migrationshintergrund<br />

zeigen vor, wie es geht.<br />

74 Kul-Tour 2015<br />

Film, Theater, Musik, Festivals und<br />

Kunst. Die aufregendsten Event-Tipps<br />

und Veranstaltungen der Stadt,<br />

kompakt auf einen Blick.<br />

75 Fotograf der ersten Stunde<br />

Kurzporträt und Hommage an den<br />

österreichischen Starfotografen<br />

Erich Lessing und seine persönliche<br />

Geschichte vor und nach dem<br />

Staatsvertrag.


<strong>Wir</strong> <strong>sind</strong> <strong>Wien</strong>!<br />

Mitten im Herzen Europas zeichnet sich <strong>Wien</strong> als eine der lebenswertesten<br />

Städte nicht nur durch hohe Lebensqualität und zahlreiche<br />

Entfaltungsmöglichkeiten aus, <strong>Wien</strong> steht auch für „uns“, für<br />

die Vielfalt der hier lebenden Menschen. Erst diese Menschen, <strong>sind</strong><br />

es nämlich, die die Stadt prägen, formen und entwickeln und sie so<br />

zu einer der spannendsten Städte Europas machen.<br />

Und so widmen wir uns in dieser Ausgabe unseres Smartguide für<br />

GANZ WIEN, DIE NEUEN SEITEN DER STADT vor allem der Vielfalt<br />

und dem unbeschwerten Zusammenleben in unserer Weltstadt.<br />

Die folgenden Seiten <strong>sind</strong> perfekte Gelegenheit, die farbenfrohe<br />

Angebotspalette unserer Stadt besser kennenzulernen, Vorurteile<br />

abzubauen, Filme, Musik, Ausstellungen, Diskussionen, Sprachen<br />

und vieles mehr gemeinsam zu genießen. Und so haben wir ein<br />

schillerndes Paket für Sie zusammengeschnürt. Hier ist garantiert für<br />

jeden Geschmack und „Hintergrund“ etwas dabei. Also entdecken<br />

Sie auch in diesem Jahr die neuen Seiten der Stadt mit uns!<br />

Spannend. Vielfältig. Multikulturell.<br />

Gleich zu Beginn rücken wir <strong>Wien</strong> ins Bild und begeben uns mit<br />

Severin Koller auf einen fotodokumentarischen Streifzug durch die<br />

große Weltstadt abseits bekannter Pfade. Um mehr über den<br />

EDITORIAL<br />

Schmelztiegel <strong>Wien</strong> und die Gemeinschaft der Völker herauszufinden,<br />

haben wir Bürgermeister Michael Häupl ab Seite 12 zum<br />

Interview gebeten. Für eine offene Gesellschaft sprechen sich auf<br />

den folgenden Seiten aber noch mehr Berufene aus: Gleich zu Beginn<br />

erzählen uns vier starke Frauen der Top-Liga ihre Erfolgsstory.<br />

Darunter Tatjana Oppitz, Marie-Therese Harnoncourt und Mi-Ja<br />

Chon, (ab Seite 14); der passionierte Filmemacher und Arzt Houchang<br />

Allahyari erzählt uns im Interview von seinen<br />

Erfahrungen als Einwanderer (ab Seite 30). Danach bitten wir<br />

„Mr. Russkaja“ Georgij Makazaria vor das Mikrofon, um uns seine<br />

Geschichte zu erzählen (ab Seite 34). Ab Seite 42 widmen wir uns<br />

dann wieder verstärkt dem Nachwuchs. Zuerst starten wir eine<br />

Entdeckungsreise durch den Mikrokosmos Meidling, dort durften<br />

wir drei interessante Charaktere kennenlernen (ab Seite 42) und<br />

machten für Sie die besten Food Trucks der Stadt ausfindig<br />

(ab Seite 54). Abschließend haben uns die Austropop-Helden von<br />

heute von ihrer „Amore“ erzählt (ab Seite 58).<br />

Ab Seite 64 gibt es die couragiertesten und coolsten Clubs der<br />

Stadt zu erkunden – be there!<br />

In diesem Sinne: Erfreuen Sie sich mit uns an den neuen, bunten<br />

Seiten der Stadt. Ein Fest für alle Sinne, ein Fest fürs Leben.


WIEN IM BILD<br />

n So macht Kultur Spaß:<br />

Rund um den Stephansdom<br />

erlebt man die Altstadt<br />

<strong>Wien</strong>s hautnah. Historische<br />

Gebäude und legendäre<br />

<strong>Wien</strong>er Küche werden hier<br />

für Besucher aus aller Welt<br />

geboten. Falls Sie im üppigen<br />

Angebot den Faden verloren<br />

haben – fragen Sie<br />

einfach nach. Egal ob<br />

Passant, Lieferant, Fiaker<br />

oder Polizist: Hier finden Sie<br />

den richtigen Tipp.<br />

4 smartguide für GANZ WIEN<br />

<strong>Wir</strong> liebe


Severin Koller<br />

zeigt die Stadt aus seinem<br />

persönlichen Blickwinkel<br />

Zum beliebtesten Street-Fotografie-Fundus zählen Städte wie<br />

Paris, London, Tokio und New York, zumal sie nahezu endloses Potenzial<br />

für Motive des alltäglichen Lebens bieten. Street-Fotografie<br />

und <strong>Wien</strong> ist bis dato ein eher ungewöhnliches Bündnis.<br />

Severin Koller erkennt die Notwendigkeit, <strong>Wien</strong>s unnachamliche<br />

Art fotografisch zu dokumentieren. Zeitlos und retro im modernsten<br />

Sinne schafft er ein einmalig unterhaltsames Stadtporträt. Mit<br />

seinen Werken bespielt er ein bis dato vernachlässigtes Kapitel<br />

des <strong>Wien</strong>er Spektrums der Fotografie. Damit schreibt er sich hinsichtlich<br />

seiner klassischen, analogen Arbeitsweise in die Tradition<br />

berühmter Vertreter der Street-Fotografie, wie Henri Cartier-Bresson,<br />

Robert Frank oder Vivian Mayer ein. Alle haben eines gemeinsam:<br />

Sie porträtierten ihre Wohnorte und formten dadurch einen<br />

Spiegel des Straßenalltags. Auch Severin Koller fotografiert seit<br />

über eine Dekade konsequent schwarz-weiß, vergrößert seine Negative<br />

sorgfältig in der Dunkelkammer und scannt schließlich die<br />

Abzüge eigenhändig ein. In seinem Archiv befinden sich mittlerweile<br />

über 20.000 der spektakulärsten Street-Shots der letzten<br />

zehn Jahre aus <strong>Wien</strong>. Die vorliegende Auswahl macht den Zeitgeist<br />

<strong>Wien</strong>s, den emotionalen Blick des Fotografen auf seine Stadt<br />

augenscheinlich. Viel Spaß und gute Unterhaltung.<br />

Die Ausstellung „Vienna“<br />

läuft bis 31. 5. in der Pop-up Gallery Turnsaal,<br />

Kirchengasse 27, 1070 <strong>Wien</strong>.<br />

www.byseverinkoller.com<br />

n <strong>Wien</strong>!<br />

Der Mann zeigt:<br />

in dieser Stadt ist Platz<br />

für alle. Denn unsere<br />

Stadt steht für<br />

Spannung, Spaß, Kultur<br />

und Vielfalt. Folgen Sie<br />

uns auf den folgenden<br />

Seiten durch das lebhafte<br />

<strong>Wien</strong> und entdecken<br />

Sie die spannensten<br />

Seiten der Stadt.<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

5


WIEN IM BILD<br />

n Kultur-Pool: Die Mariahilfer Straße bietet seit jeher größte Vielfalt auf kompaktem Raum. Geschäfte, Boutiquen, Shops, Cafés, Restaurants aus aller Welt<br />

laden zum entspannten Flanieren ein. Daher gilt <strong>Wien</strong>s größte Einkaufsstraße nicht erst seit Kurzem als beliebte Begegnungszone zwischen den Kulturen.<br />

6 smartguide für GANZ WIEN


n Internationales Flair: Wer ein bisschen südländisches Flair vermisst,<br />

der ist hier richtig. Wer sich an seine Städtereise nach Istanbul erinnern<br />

will, auch der ist hier richtig. Andere Seiten von <strong>Wien</strong> zu entdecken,<br />

das macht Spaß. Der Brunnenmarkt und der Yppenplatz zeigen,<br />

was <strong>Wien</strong> auch ist – eine Mischung verschiedener Kulturen und<br />

Lebensarten.<br />

n Gelebte Vielfalt:<br />

<strong>Wien</strong> ist eine Stadt<br />

voller Kreativität,<br />

eine Stadt der Kunst<br />

und der Kulturen.<br />

Kunst und Kultur<br />

ermöglicht Menschen,<br />

ihre Identität zu finden<br />

und diese auszuleben.<br />

n Entspannung pur: Besonders in<br />

der warmen Jahreszeit ist das<br />

MuseumsQuartier ein beliebter<br />

Treffpunkt für junge Menschen in<br />

<strong>Wien</strong>. Einfach abschalten und auf<br />

einer der vielen Sitzgelegenheiten<br />

relaxen – eine Oase der Erholung<br />

inmitten der Großstadt.<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

7


WIEN IM BILD<br />

n Raststationen für jedermann: In <strong>Wien</strong> stehen 19.167 Parkbänke. Sie <strong>sind</strong> Zwischenstation oder Zufluchtsort im regen<br />

Alltagstreiben. Hier setzt die Stadt <strong>Wien</strong> buchstäblich Maßstäbe für die Qualität des öffentlichen Raums. Allen Menschen (und<br />

Tieren) soll das Benützen des öffentlichen Raumes ermöglicht werden. Ausreichend breite und barrierefreie Gehwege, sichere<br />

Querungen und natürlich bequeme Sitzbänke fürs Rasten und Verweilen bereichern das Stadtleben.<br />

n Heimat bist du großer Döner: Neben der<br />

Schnitzelsemmel und der Leberkäsesemmel das absolute<br />

Lieblingsweckerl in <strong>Wien</strong>. Fast 200 Döner-Kebap-<br />

Läden gibt es in <strong>Wien</strong>, dazu 25 Bäckereien, die die<br />

Stände mit saftig-luftigem Fladenbrot beliefern.<br />

n Abwechslungsreich: Wo <strong>sind</strong> Sie der kulturellen Vielfalt zuletzt bewusst begegnet?<br />

Im türkischen Supermarkt ums Eck, beim Arzt, der ein Inder ist, im Gespräch mit der<br />

slowakischen Frisörin oder einfach beim Mithören eines Gesprächs junger MigrantInnen<br />

in der Straßenbahn? In <strong>Wien</strong> begegnet man der Vielfalt einfach im Alltäglichen.<br />

8 smartguide für GANZ WIEN


Straßenjunge im Interview<br />

Woran arbeitest du<br />

gerade?<br />

Aufträge bekomme<br />

ich eigentlich spontan rein. Für<br />

regelmäßige Aufträge bräuchte<br />

man eine Agentur, die das übernimmt<br />

– aber auch hier kann<br />

man sich nicht darauf verlassen.<br />

Deswegen muss man sich um<br />

seine Kunden schon selber<br />

kümmern (lacht). Zu meinen<br />

Projekten: Im Sommer möchte<br />

ich ein lange geplantes Porträtprojekt<br />

starten, bei dem ich<br />

durch experimentelle Techniken,<br />

bei der Ausarbeitung in der<br />

Dunkelkammer, beim Spiel mit<br />

der Chemie, Farben und Belichtung,<br />

Effekte erzeugen<br />

möchte und so die Personen ein<br />

Stück weit entfremde. Hier geht<br />

es mir darum, zum Ursprung<br />

zurückzukehren. Also was kann<br />

man alles mit einem Bild &<br />

analoger Technik anstellen, sodass<br />

im Endeffekt etwas Neues<br />

entsteht. Trotzdem bleibt der<br />

Mensch im Hintergrund als<br />

Bild wichtig. Anders als beim<br />

Arbeiten auf Film hat man bei<br />

der digitalen Arbeit<br />

fast schon zu viel Kontrolle<br />

über das Bild. Das lenkt mich<br />

vom Wesentlichen ab.<br />

Siehst du dich als Künstler oder<br />

Fotograf? Worin liegt für dich<br />

der Unterschied und nach welchen<br />

Kriterien nimmst du Aufträge<br />

an?<br />

Mir ist es wichtig zu wissen, was<br />

man mit mir als Künstler oder<br />

Person verbindet. Im Endeffekt<br />

geht es um eine Art Marke, um<br />

ein Image, um Stil, den man natürlich<br />

prägen kann, indem<br />

man auch nur gewisse Dinge<br />

zeigt. Deshalb habe ich nur wenige<br />

ausgewählte Auftragsarbei-<br />

Severin Koller<br />

ten auf meiner Website abgebildet.<br />

Bei Wittmann oder Interlübke<br />

hatte ich zum Beispiel total<br />

freie Hand und habe so fotografiert,<br />

wie wenn ich für mich<br />

selbst fotografiert hätte. Nach<br />

meinem Geschmack und natürlich<br />

analog. Das <strong>sind</strong> für<br />

mich die idealen Aufträge. So<br />

hat der Kunde etwas von der<br />

professionellen Qualität, die ihren<br />

eigenen Stil hat, und ich zeige<br />

es einfach gerne her. Wenn es<br />

darum ginge, für eine karibische<br />

Insel Werbung zu machen,<br />

würde dieser Kunde natürlich<br />

nur die Bilder mit der schönen<br />

Landschaft aussuchen – die kritischen<br />

würden wegfallen. Da<br />

wird es gefährlich. Da muss man<br />

zwischen Auftrag und persönlichem<br />

Ansatz unterscheiden.<br />

Wieso verwendest du überwiegend<br />

Schwarz–Weiß-Bilder?<br />

Die Welt is doch bunt, oder?<br />

Mit der Schwarz-Weiß-Fotografie<br />

habe ich vor zehn Jahren<br />

angefangen. Da hatte ich gerade<br />

einmal meine Matura und vielleicht<br />

ab und zu einen Fotojob.<br />

Damals habe ich mit Freunden<br />

begonnen, Schwarz-Weiß-Filme<br />

zu entwickeln. Zuerst fand<br />

ich die einfachere Handhabung<br />

der Schwarz-Weiß-Filme gut,<br />

um mich auf das Wesentliche<br />

– das<br />

Fotografieren – zu konzentrieren<br />

und weiter zu entwickeln.<br />

Aber auch durch<br />

meine Ikonen, die allesamt<br />

schwarz-weiß fotografiert<br />

haben, habe ich<br />

mich bewusst für dieses<br />

Stilmittel entschieden.<br />

Später habe ich dann gemerkt,<br />

dass dieser Stil sehr zeitlos<br />

ist. Man kann also nicht genau<br />

deuten, in welcher Zeit das<br />

Bild fotografiert wurde. Durch<br />

das Monochrome wirken die<br />

Arbeiten sehr einheitlich und<br />

miteinander verbunden. Wenn<br />

ich in Farbe und digital fotografiert<br />

hätte, hätte ich auf Grund<br />

der Weiterentwicklungen der<br />

Kameras und Objektive der<br />

letzten zahn Jahre immer wieder<br />

unterschiedliche Stile entwickelt.<br />

Ich bin froh, bei diesem Stil geblieben<br />

zu sein, obwohl sich<br />

Schwarz-Weiß-Fotografie oft<br />

schwerer verkaufen lässt. Vielleicht<br />

in vierzig Jahren dann<br />

(lacht).<br />

Deine bevorzugte Kamera?<br />

Für Street-Fotografie Leica M6<br />

und Konica Hexar AF.<br />

Was macht ein gutes Bild aus?<br />

Ein gutes Bild lebt hauptsächlich<br />

von Moment, Komposition<br />

und Licht. Die objektivabhängige<br />

Fotografie, wo es dann überwiegend<br />

um Bildschärfe als Kriterium<br />

geht, finde ich persönlich<br />

nicht so spannend. Mir<br />

geht es darum, eine Geschichte<br />

zu erzählen, und die wird<br />

hauptsächlich durch einen<br />

Moment, ein Gefühl oder eine<br />

Stimmung, die festgehalten<br />

wird, am besten erzählt.<br />

Wie ist dein erstes großes Projekt<br />

„Vienna“ entstanden? Wie<br />

würdest du dein <strong>Wien</strong> beschreiben?<br />

Oft <strong>sind</strong> es die banalen Dinge<br />

wie zum Beispiel: Ein Geschäft<br />

an der Westbahnstraße ist<br />

plötzlich weg. Es war aber da –<br />

dreißig Jahre lang und niemand<br />

hat es fotografiert – oder eben<br />

doch. Hier entstehen durch die<br />

Street-Fotografie auch Zeitdokumente<br />

einer Stadt, die wichtig<br />

<strong>sind</strong>, um die Stadt zu verstehen<br />

und den Charakter zu begreifen.<br />

Für mich trägt die<br />

Street-Fotografie auch etwas<br />

Romantisches, Nostalgisches<br />

mit sich. Sie hat die Aufgabe,<br />

einer Stadt, einem Ort ein Porträt<br />

zu geben. Genau das ist das<br />

Ziel von „Vienna“. So kann<br />

auch das Bild einer Stadt geprägt<br />

werden. Wenn weitere<br />

zehn Fotografen ihr „Vienna“<br />

veröffentlichen würden, wären<br />

wieder andere Blickwinkel und<br />

Situationen zu sehen. Städte, die<br />

viel fotografiert werden, bekommen<br />

ein anderes, vielfältigeres<br />

Image – eigentlich auch<br />

ein bisschen im Sinne von Werbung,<br />

aber eben nicht Mainstream.<br />

Was mir dabei auch<br />

wichtig ist – ich zensiere nicht.<br />

Weder beim Fotografieren<br />

selbst noch bei der Fotoauswahl.<br />

Deswegen finde ich es<br />

auch in Ordnung, Obdachlose<br />

oder Menschen mit Handicap<br />

zu zeigen. Ich diskriminiere<br />

nicht. Diskriminierend wäre es,<br />

diese Menschen nicht zu zeigen.<br />

Mein Fotoband ist also definitv<br />

meine ganz persönliche Hommage<br />

an die Stadt <strong>Wien</strong> in all<br />

ihren Facetten.<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

9


ARMUT FRISST<br />

DEMOKRATIE<br />

INTERVIEW: NADIA WEISS FOTOS: SEBASTIAN FREILER<br />

<strong>Wien</strong> wächst um neue Mitbürger. Doch Sorge um sozialen Abstieg und vor<br />

gesellschaftlichen Veränderungen ist auch in Österreich, einem der reichsten<br />

Länder der Welt, spürbar. Warum der <strong>Wien</strong>er Bürgermeister MICHAEL HÄUPL die<br />

Ängste der Bevölkerung ernst nimmt, aber sie ihnen nehmen möchte.<br />

10 smartguide für GANZ WIEN


INTERVIEW<br />

„Wesentlich ist, für<br />

ausgewogene, sozial<br />

gerechte Zustände zu<br />

sorgen.“<br />

Michael Häupl<br />

Ein sonniger Frühlingsmorgen<br />

im Mai. Vor dem <strong>Wien</strong>er<br />

Rathaus herrscht rege Geschäftigkeit.<br />

Mit Life Ball und<br />

Song Contest stehen zwei international<br />

wirksame Großereignisse<br />

ins Haus, denen eine<br />

würdige Bühne geboten werden<br />

soll. Im Inneren des eindrucksvollen<br />

Baus überblickt<br />

der Bürgermeister von seinem<br />

Büro die Szenerie. Den Aufregungen<br />

der kommenden Wochen<br />

und Monate, immerhin<br />

steht ein Wahlkampf vor der<br />

Tür, scheint er mit aufmerksamer<br />

Gelassenheit entgegenzublicken.<br />

Zwischen zwei Terminen<br />

findet er etwas<br />

Zeit für dieses Gespräch.<br />

Herr Bürgermeister, das Jahr<br />

2015 steht nicht zuletzt im<br />

Zeichen von zwei Republiksjubiläen.<br />

Was hat bei Ihnen<br />

persönlich das Gedenken an<br />

das Ende des Zweiten Weltkrieges<br />

ausgelöst?<br />

Wenn ich mich an meine<br />

Kindheit und Jugend zurück -<br />

erinnere, dann wurden Krieg<br />

und Kriegsende bei mir vorwiegend<br />

in der Familie besprochen.<br />

Mein Vater und<br />

auch mein Großvater waren<br />

das, was man aus heutiger<br />

Sicht als Austrofaschisten<br />

bezeichnen würde, aber<br />

gleichzeitig schärfste Hitler-<br />

Gegner. In der Schule wurde<br />

hingegen der Geschichtsunterricht<br />

mit dem Ende des<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

11


INTERVIEW<br />

„<strong>Wir</strong> werden nur friedlich<br />

miteinander leben können,<br />

wenn wir mit Respekt<br />

und Rücksicht<br />

aufeinander<br />

zugehen.“<br />

Michael Häupl<br />

Ersten Weltkrieges abgeschlossen.<br />

Aber es gab ein imponierendes<br />

Erlebnis. Im Rabaukenalter<br />

von fünfzehn,<br />

sechzehn Jahren, in dem ich<br />

ebenso unpolitisch war wie<br />

viele andere, besuchten wir<br />

mit unserem Mathematik-<br />

Professor das Konzentrationslager<br />

Mauthausen. Der Professor<br />

war jüdischer Abstammung,<br />

illegaler Kommunist<br />

und ehemaliger Häftling von<br />

Mauthausen. Er hatte überlebt,<br />

aber aufgrund von Folter<br />

erhebliche Augenschäden davongetragen.<br />

Bis heute ist es<br />

für mich emotional ungeheuer<br />

berührend, mit welcher<br />

Nüchternheit er uns die Zustände<br />

im Lager geschildert<br />

hat. Währenddessen hat er<br />

uns seine Schlafbaracke gezeigt<br />

und wir <strong>sind</strong> gemeinsam<br />

die Todesstiege zum Steinbruch<br />

hinuntergegangen. Das<br />

war eine wirkliche Wende für<br />

mein Leben und hat mich<br />

mehr politisiert als jeglicher<br />

Unterricht. Daher war und ist<br />

der 8. Mai, der Tag der Befreiung<br />

des KZ Mauthausen, für<br />

mich immer ein besonderer<br />

Tag, und es gab keine Phase<br />

meines Lebens, in der ich<br />

mich mit dem Gedanken<br />

hätte anfreunden können,<br />

dass der Niedergang Hitler-<br />

Deutschlands ein Trauertag<br />

sei.<br />

Der Antifaschismus wurde<br />

zu einem Pfeiler Ihres politischen<br />

<strong>Wir</strong>kens. Haben sich<br />

die Gegner der Demokratie<br />

in den vergangenen Jahren<br />

verändert und wie sollte man<br />

heute den Anfängen wehren?<br />

Wesentlich ist, für ausgewogene,<br />

sozial gerechte Zustände<br />

zu sorgen. Armut frisst Demokratie.<br />

Dies gilt gerade für<br />

ein Europa, in dem die 2009<br />

ausgelöste <strong>Wir</strong>tschaftskrise<br />

das Thema verschärft hat.<br />

Wenn man sich die Jugendarbeitslosigkeit<br />

in manchen Regionen<br />

und Städten wie etwa<br />

Brüssel oder Berlin ansieht,<br />

dann gibt es Situationen, die<br />

wir uns hier in <strong>Wien</strong> nicht<br />

vorstellen können. In Ländern<br />

ohne öffentliches Engagement<br />

wie etwa Ausbildungsgarantie<br />

und ohne überbetriebliche<br />

Lehrwerkstätten nimmt man<br />

einem erheblichen Teil der<br />

jungen Menschen die Lebensperspektive.<br />

Aus allen Arbeitslosenstatistiken<br />

geht hervor,<br />

dass zwei Drittel der Betroffenen<br />

maximal Pflichtschulabschluss<br />

haben und keine Berufsausbildung.<br />

Das heißt,<br />

man muss auf Bildung setzen.<br />

So wie wir das in <strong>Wien</strong> tun.<br />

Die wirtschaftliche Entwicklung<br />

Österreichs deutet<br />

derzeit auf Stagnation hin.<br />

Können wir uns die Ausbil-<br />

12 smartguide für GANZ WIEN


dungsgarantie auch weiterhin<br />

leisten?<br />

<strong>Wir</strong> müssen an ihr festhalten.<br />

Je problematischer eine <strong>Wir</strong>tschaftssituation<br />

ist, umso zentraler<br />

werden die Fragen der<br />

Ausbildung. Ich halte den Vorschlag<br />

von Sozialminister Rudolf<br />

Hundstorfer für wirklich<br />

gut, die Ausbildungspflicht um<br />

vier Jahre zu verlängern.<br />

Bildung als Schlüssel zu<br />

Wohlstand und friedlichem<br />

Miteinander: Wie begegnen<br />

Sie jenen, die vielmehr einen<br />

Krieg der Kulturen prophezeien?<br />

Auch wenn ich diese Ansichten<br />

nicht teile, muss man die<br />

Ängste der Bevölkerung<br />

selbstverständlich ernst nehmen<br />

und an Lösungen arbeiten.<br />

<strong>Wir</strong> werden nur friedlich<br />

miteinander leben können,<br />

wenn wir mit Respekt und<br />

Rücksicht aufeinander zugehen.<br />

Dies heißt nicht, dass es<br />

keine Konflikte mehr gibt. Es<br />

wird Konflikte geben und es<br />

gibt sie bereits, sowohl in<br />

Hausgemeinschaften als auch<br />

in der Gesellschaft. Die Qualität<br />

einer Beziehung definiert<br />

sich jedoch dadurch, wie man<br />

diese löst. <strong>Wir</strong> werben nicht<br />

nur für gewaltfreie Konfliktbewältigung,<br />

sondern auch für<br />

einen offenen, verständnisvollen<br />

Umgang miteinander.<br />

Sorge um die kulturelle Identität<br />

und Skepsis gegenüber<br />

Neuem <strong>sind</strong> sowohl in der<br />

Zuwanderer- wie auch in der<br />

Aufnahmegesellschaft manifest.<br />

Sollten wir uns mit einem<br />

friedlichen Nebeneinander<br />

statt Miteinander zufriedengeben?<br />

Vielleicht trifft dies auf Städte<br />

wie Paris oder Berlin zu, aber<br />

der <strong>Wien</strong>er ist doch einer, der<br />

n Der <strong>Wien</strong>er Bürgermeister beim Gespräch in seinem Amtszimmer: „Die Ängste der Bevölkerung muss man ernst<br />

nehmen und an Lösungen arbeiten .“<br />

mit allen gut auskommen will<br />

und das Miteinander sucht. Er<br />

trägt seine Konflikte zwar gelegentlich<br />

recht impulsiv aus,<br />

vor allem wenn er sich benachteiligt<br />

oder nicht genügend<br />

respektiert fühlt. Aber<br />

im Grunde ist er seinem<br />

Image entsprechend gemütlich.<br />

Wie gesagt, in anderen<br />

Großstädten Europas ist die<br />

Hoffnung auf ein friedliches<br />

Miteinander geschwunden.<br />

Aber was soll man sagen,<br />

wenn beispielsweise in den<br />

Banlieus von Paris neunzig<br />

Prozent der farbigen Jugendlichen<br />

arbeits- und somit hoffnungslos<br />

<strong>sind</strong>? Das Nebeneinander<br />

ist im Sinne der Bildung<br />

von Parallelgesellschaften<br />

immer brandgefährlich.<br />

Gibt es auf europäischer<br />

Ebene in der Städte-Politik<br />

ein gemeinsames Zukunftskonzept?<br />

Gerade in den vergangenen<br />

Jahren hat sich die <strong>Wir</strong>kkraft<br />

der Städte und Regionen innerhalb<br />

der Europäischen<br />

Union gesteigert. Bei den Fragen<br />

von wirtschaftlicher Entwicklung,<br />

Bildung und Forschung<br />

geht es vielfach um die<br />

Erhaltung der kulturellen Unterschiede.<br />

Gewisse Herausforderungen<br />

der Zukunft<br />

können nicht mehr regional<br />

oder national gelöst werden,<br />

wie zum Beispiel die Flüchtlingsströme.<br />

Dass zehn von 28<br />

Staaten der Union die Last<br />

alleine auf ihren Schultern<br />

tragen, geht einfach nicht.<br />

Sie glauben, dass mit einer<br />

gemeinsamen europäischen<br />

Flüchtlingspolitik die Problematik<br />

zu bewältigen ist?<br />

Die gerechte Aufteilung ist ein<br />

mühsamer Weg, wie wir in<br />

Österreich sehr gut wissen,<br />

aber er ist zielführend. Für<br />

eine langfristige Lösung finde<br />

ich den Vorschlag der Innenministerin<br />

Johanna Mikl-Leitner<br />

sehr gut, UNHCR-Stützpunkte<br />

in Afrika zu errichten,<br />

um dort in Flüchtlingslagern<br />

auf einem entsprechenden Niveau<br />

den Asylsuchenden von<br />

vornherein eine Beratung zu<br />

geben. Sie sollen wissen, ob sie<br />

überhaupt Aussicht auf Asyl<br />

haben. Ich habe vollstes Verständnis<br />

dafür, dass jemand<br />

seine wirtschaftliche Lebenssituation<br />

verbessern will. Letztendlich<br />

wird es aber nur dann<br />

funktionieren können, wenn<br />

im eigenen Land die ökonomischen<br />

und somit gesellschaftlichen<br />

Bedingungen<br />

verbessert werden. Allerdings<br />

müssen wir uns unter der<br />

Schirmherrschaft der UNO<br />

und gemeinsam mit den<br />

Freunden aus den Vereinigten<br />

Staaten und Ländern wie<br />

Kanada zu etwas durchringen,<br />

das wir vor siebzig Jahren als<br />

Marshall-Plan kennengelernt<br />

haben. Ein Marshall-Plan beispielsweise<br />

für Länder in Afrika<br />

und Asien, gebunden an<br />

Rechtsstaatlichkeit, Investitionssicherheit<br />

sowie die<br />

Grundprinzipien der Demokratie,<br />

ist sicher ein Anreiz, in<br />

der Heimat und in seinem<br />

sozialen Umfeld zu bleiben.<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

13


FRAUEN<br />

Migrantinnen<br />

in Führung<br />

Rein statistisch schafft es nur eine Minderheit der<br />

Migrantinnen in eine leitende Position. Doch fünf<br />

Prozent der Einwanderinnen beweisen das Gegenteil:<br />

Sie sprechen zwei Sprachen fließend, studieren und<br />

arbeiten – vermehrt in Führungspositionen. Für Sie<br />

haben wir vier dieser starken Frauen interviewt. Lesen<br />

Sie hier ihre inspirierende Geschichte.<br />

TEXT & FOTOS : ALEKSANDRA PAWLOFF<br />

Mag. Tatjana Oppitz<br />

Dass Frauen in hohen Positionen<br />

immer noch nicht selbstverständlich<br />

<strong>sind</strong>, ist betrüblich, denn wie<br />

Tatjana Oppitz, Generaldirektorin von<br />

IBM, meint: „Ich kann nicht auf<br />

50 Prozent des Potenzials verzichten.“ Stellen<br />

wir uns doch eine Welt der entspannten<br />

Gleichberechtigung vor: Karenz und Kinderbetreuung<br />

wären unter Männern und<br />

Frauen gleich verteilt: Väter würden selbstverständlich<br />

in Karenz gehen, und ich meine<br />

wirklich in Karenz, nicht die Ich-machedie-zwei-Monate-für-das-Kindergeld-Variante.<br />

Ganz bestimmt profitiert die Elternbeziehung<br />

davon. Die Kinder können sich<br />

auf zwei Elternteile verlassen, der Vater ist<br />

emotional zuständig, eine Bezugsperson in<br />

guten und in schlechten Zeiten. Dann steht<br />

14 smartguide für GANZ WIEN<br />

Jobsharing und Teilzeitarbeit auf der<br />

Wunschliste, und zwar für Männer und<br />

Frauen. Arbeiten und Leben steht auf dem<br />

Programm. Für den Arbeitgeber macht es<br />

die Organisation sicher ein bisschen komplizierter,<br />

aber dafür bekommt er treue und<br />

engagierte Mitarbeiter und trägt zum Bruttonationalglück<br />

bei. Karriere machen? Zu<br />

Hause bleiben? Arbeiten und Hobbys ausleben?<br />

Na klar, aber doch bitte unabhängig<br />

vom Geschlecht. Muss ich es erwähnen,<br />

auch unabhängig von der Herkunft? <strong>Wir</strong><br />

stellen Ihnen vier Frauen vor, die beruflich<br />

erfolgreich auf ganz unterschiedliche Art<br />

und Weise<br />

ihren Weg gegangen <strong>sind</strong>.<br />

Geboren 1962 in Kalkutta/Indien<br />

besuchte die Vienna International School und<br />

das französische Lycée Français in <strong>Wien</strong> und<br />

studierte Handelswissenschaften an der<br />

<strong>Wir</strong>tschsaftsuniversität in <strong>Wien</strong>.<br />

1989 als eine der ersten Frauen im Vertrieb<br />

von IBM.<br />

Begann ihre Managementkarriere als Direktorin<br />

des Softwarebereichs.<br />

Startete 2003 ihre internationale Karriere. Ihre<br />

erste Auslandstätigkeit führte sie in das<br />

IBM-Headquarter nach Paris. Nach ihrer<br />

Rückkehr war sie als Executive international<br />

für den Vertrieb des gesamten IBM-Portfolios<br />

an Großkunden zuständig – bis Ende 2010<br />

als Executive für den Vertrieb für die gesamte<br />

CEE-Region, Central and Eastern Europe,<br />

zu der auch Russland und die CIS Staaten<br />

gehören.<br />

Mit 2011 übernahm Oppitz die Rolle als<br />

Generaldirektorin für Österreich.<br />

Tatjana Oppitz setzt sich seit vielen Jahren<br />

stark für Frauenförderung und Diversity ein.<br />

So ist es ihr ein großes Anliegen, mithilfe gezielter<br />

Mentorings und Coaching-Programme<br />

junge Frauen bei der Definition ihrer persönlichen<br />

Karriereziele zu unterstützen.


„Ich kann nicht<br />

auf 50 Prozent<br />

des Potenzials<br />

verzichten“<br />

Tatjana Oppitz, Generaldirektorin<br />

IBM Österreich<br />

MAG. TATJANA OPPITZ<br />

Wie <strong>sind</strong> Sie aufgewachsen?<br />

Ich bin in Kalkutta geboren,<br />

mein Vater war Diplomat, und<br />

habe das Lycée Français besucht<br />

in <strong>Wien</strong>, habe also einen<br />

recht kosmopolitischen Hintergrund.<br />

Wie selbstverständlich ist es<br />

für Sie, ein Unternehmen als<br />

Frau zu führen?<br />

Für mich war es immer selbstverständlich,<br />

dass es in der<br />

IBM keinen Unterschied<br />

macht, ob ich Mann oder Frau<br />

bin, so bin ich hier groß geworden.<br />

Ich hatte auch bei<br />

Kunden nie schlechte Erfahrungen,<br />

da musste einfach die<br />

Leistung stimmen. In meiner<br />

derzeitigen Positionen als<br />

CEO merke ich, dass die Luft<br />

dünn wird bei meinen Kollegen,<br />

da gibt es viel zu wenige<br />

Frauen.<br />

Was ist am Arbeitsmarkt notwendig,<br />

damit Frauen die<br />

gleichen Chancen bei Karrieren<br />

haben?<br />

Dazu braucht es eine Reihe<br />

von Maßnahmen, denn ich<br />

kann nicht auf 50 Prozent des<br />

Potenzials verzichten. <strong>Wir</strong> leben<br />

in einer alten Gesellschaft,<br />

wir brauchen die Frauen. Also<br />

muss ich als Manager Maßnahmen<br />

setzen und diese zur<br />

Chefsache machen. Bei uns<br />

<strong>sind</strong> die Führungsseminare<br />

und Assessment-Center zum<br />

Beispiel mit gleich viel Männern<br />

wie Frauen besetzt. Das<br />

ist für uns eine Conditio sine<br />

qua non. Teilzeit ist auch so eine<br />

Maßnahme: Das darf kein<br />

Einschnitt in der Karriere sein.<br />

Genauso wenig wie die Karenz.<br />

<strong>Wir</strong> wollen auch die<br />

Männer dazu ermutigen, vielleicht<br />

ist es ja für sie eine tolle<br />

Alternative, sich ein Jahr Auszeit<br />

zu nehmen oder in Karenz<br />

zu gehen. <strong>Wir</strong> wollen, dass Vater<br />

oder Mutter ihr Kind in<br />

den Kindergarten bringen und<br />

mit ihm Quality Time verbringen,<br />

anstatt auf der Tangente<br />

zu stauen. Da ist allen<br />

gedient, der Beziehung, den<br />

Kindern und der Firma. <strong>Wir</strong><br />

suchen auch nach Möglichkeiten<br />

für Jobsharing, denn warum<br />

schließt Teilzeit bis jetzt<br />

aus, eine Führungskraft zu<br />

sein? Das ist nicht nachvollziehbar.<br />

Chancengleichheit<br />

und Flexibilität in der Arbeit<br />

ist eine Win-win-Situation.<br />

Was hat in Ihrem eigenen<br />

Leben dazu geführt, dass Sie<br />

so eine Karriere machen<br />

konnten?<br />

Unsere Eltern haben uns beide,<br />

meine Schwester und mich<br />

sehr gefördert, ohne die geringste<br />

Einschränkung bezüglich<br />

unseres Geschlechts. Ich<br />

bin meinen Eltern sehr dankbar,<br />

das ist schon ein Luxus so<br />

wohlbehütet und mit klaren<br />

Werten aufgezogen zu werden.<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

15


FRAUEN<br />

Mi-Ja Chon<br />

Wie <strong>sind</strong> Sie aufgewachsen?<br />

Ich bin als neuntes Kind in<br />

einer kleinen Hafenstadt in<br />

Südkorea geboren. <strong>Wir</strong> waren<br />

arm und meine Mutter<br />

hat zu Hause ein kleines<br />

Lokal aufgemacht. Das rieche<br />

ich bis heute, diese frische<br />

Zwiebel in der Suppe.<br />

Meine Mutter war eine starke<br />

Frau, sie hat uns alleine<br />

großgezogen. Ich denke,<br />

von ihr habe ich meine<br />

Kraft und mein Durchhaltevermögen.<br />

Wie kamen Sie nach<br />

<strong>Wien</strong>?<br />

Die Liebe. Ich habe dann<br />

in Korea nach meiner<br />

Buchhaltungsausbildung<br />

eine Krankenschwesternschule<br />

gemacht und drei<br />

Jahre bis zu meiner<br />

Schwangerschaft als<br />

Krankenschwester gearbeitet.<br />

Danach habe ich<br />

mit meinem damaligen<br />

Mann unser erstes Restaurant<br />

aufgemacht. Das<br />

Akakiko habe ich 1994<br />

mit zwei anderen Partnern<br />

eröffnet.<br />

War es für Sie als Ausländerin<br />

schwierig, in Österreich<br />

Fuß zu fassen?<br />

Erstens hatte ich einen<br />

Mann hier und zweitens<br />

dachte ich, dass ich nach<br />

ein paar Jahren zurückgehen<br />

würde. Das hat es<br />

leichter gemacht. Vor 35<br />

Jahren gab es noch wenige<br />

Asiatinnen in <strong>Wien</strong>, ich<br />

bin natürlich schon komisch<br />

angeschaut worden,<br />

aber ich habe so getan,<br />

als wäre nichts. Ich<br />

habe das total übergangen.<br />

Das Wichtigste ist,<br />

die Sprache zu lernen, um<br />

zu kommunizieren und<br />

Missverständnisse zu vermeiden.<br />

Wie ist es für Sie als Frau,<br />

ein Unternehmen zu leiten?<br />

Ich fühle mich sehr wohl als<br />

Frau, ich arbeite gut mit<br />

Männern zusammen, da<br />

kann ich härter verhandeln.<br />

(lacht)<br />

Wie wäre ihr Leben als<br />

Bub verlaufen?<br />

Ich hätte auch als Bub etwas<br />

Schönes gemacht.<br />

Vielleicht hätte ich es ein<br />

bisschen schwerer gehabt.<br />

Als junge Frau hatte ich<br />

bessere Chancen bei den<br />

Banken, ich war vertrauenserweckender<br />

als ein<br />

Mann, glaube ich.<br />

Was, glauben Sie, hat<br />

besonders zu Ihrem Erfolg<br />

beigetragen?<br />

Ganz wichtig <strong>sind</strong> die Mitarbeiter.<br />

Mein Personal<br />

kommt aus 15 verschiedenen<br />

Ländern, hauptsächlich<br />

aus Asien. Viele von<br />

ihnen hatten es nicht<br />

leicht. <strong>Wir</strong> haben ein gutes<br />

Verhältnis, ich weiß, wie es<br />

ist, wenig zu haben. Ich<br />

glaube nicht, dass sie besser<br />

bezahlt werden als bei<br />

der Konkurrenz, und dennoch<br />

haben wir sehr wenig<br />

Fluktuation. Sie schätzen<br />

das Arbeitsklima, das spürt<br />

auch der Kunde. Eine andere<br />

Sache ist mir auch<br />

wichtig, und zwar Dinge<br />

nicht zu erzwingen. Die<br />

Franchise-Idee kam nicht<br />

von mir, sondern von Kollegen<br />

aus Zypern und<br />

Griechenland. Mittlerweile<br />

beliefern wir auch eine<br />

große Lebensmittelkette,<br />

das war genauso wenig<br />

meine Initiative. Ich lasse<br />

die Dinge fließen wie das<br />

Wasser, nichts mit Gewalt,<br />

das ist mein Motto.<br />

Mi-Ja Chon<br />

Geboren 1957 in Chun-buk/Korea<br />

Die seit 1979 in Österreich lebende und mit<br />

einem Österreicher verheiratete „Migrantin<br />

der ersten Generation“ wurde für ihre wirtschaftlichen<br />

und sozialen Verdienste mit dem<br />

Silbernen Ehrenzeichen der Republik ausgezeichnet.<br />

Die Mutter von vier Kindern gründete 1984<br />

das koreanische Restaurant „Seoul“ im 7.<br />

<strong>Wien</strong>er Bezirk, zehn Jahre später die Unternehmensgruppe<br />

Akakiko mit heute mehr als<br />

170 Beschäftigten und einem durchschnittlichen<br />

Jahresumsatz von etwa 14 Millionen<br />

Euro. Setzt sich mit ihrem Betrieb besonders<br />

für die Integration von Migranten und Migrantinnen<br />

ein. Darüber hinaus ist Akakiko<br />

eines der wenigen österreichischen Gastro -<br />

nomieunternehmen als Franchisegeber im<br />

Ausland.<br />

Vorstandsmitglied der Österreichisch-Koreanischen<br />

Gesellschaft in <strong>Wien</strong>.<br />

16 smartguide für GANZ WIEN


Das<br />

Wichtigste ist,<br />

die Sprache zu<br />

lernen.“<br />

Mi-Ja Chon,<br />

Geschäftsführerin Akakiko<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

17


FRAUEN<br />

„Das Anderssein<br />

ist etwas sehr Wertvolles<br />

und gehört gefördert“<br />

Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs,<br />

Geschäftsführerin ZT Architekten<br />

Marie-Therese<br />

Harnoncourt-Fuchs<br />

Geboren 1967 in Graz<br />

Die Binnenmigrantin übersiedelte nach<br />

<strong>Wien</strong> und schloss dort 1993 an der Universität<br />

für angewandte Kunst <strong>Wien</strong> ab.<br />

Nach Lehraufträgen an der TU <strong>Wien</strong>,<br />

Universität für Angewandgte Kunst<br />

<strong>Wien</strong> und dem Studio École Spéciale<br />

d'Architecure Paris, gründete sie 2000<br />

gemeinsam mit Ernst Fuchs das international<br />

rennomierte Architekturbüro<br />

the next ENTERprise.<br />

Entwarf den Wolkenturm Freiluftbühne<br />

Grafenegg, Österreich 2007, das Seebad<br />

Kaltern, Italien 2006, „ABSOLUT on<br />

the rocks“ Barmöbel für Unit-f, <strong>Wien</strong><br />

2001, „vanishing space“ Design für ein<br />

virtuelles Museum in <strong>Wien</strong> 2001<br />

„Blindgänger“ Kunst im öffentlichen<br />

Bereich, Österreich 2000<br />

Erhielt zahlreiche nationale und internationale<br />

Architekturpreise.<br />

Seit 2014 Mitglied der Jury für das Forum<br />

KÖR – Kunst im öffentlichen Raum<br />

<strong>Wien</strong>.<br />

MARIE-THERESE<br />

HARNONCOURT-FUCHS<br />

Wie <strong>sind</strong> Sie aufgewachsen?<br />

Ich bin in Graz aufgewachsen und komme aus<br />

einer offen denkenden, aber doch auch konservativen<br />

Familie. Ich musste mich davon distanzieren.<br />

Nach <strong>Wien</strong> zu gehen auf die Angewandte<br />

war ein wichtiger Schritt. Dort gab es ein Umfeld,<br />

wo man ohne bestimmtes Ziel, den eigenen<br />

Vorstellungen folgend, versucht hat, Dinge herauszufinden.<br />

Wie man sich am besten vermarktet<br />

und am besten Geld verdient, war überhaupt<br />

kein Thema.<br />

Ist Frau-Sein als Chefin potenziellen Auftraggebern<br />

gegenüber ein Thema?<br />

Es kann mal ein Vorteil, mal ein Nachteil sein. Je<br />

sicherer und emanzipierter ein Mensch ist, desto<br />

weniger ist mein Frau-Sein ein Thema. Wenn<br />

ich als Fachperson nicht so ernst genommen<br />

werde, dann ist das meistens ein Zeichen von<br />

Unsicherheit. Natürlich hat Architektin zu sein<br />

noch immer einen Besonderheitsstatus, das<br />

kann ein Vorteil sein. Vielleicht kann ein Geschäftspartner<br />

mit mir auch genauer seine eigenen<br />

Ziele formulieren und finden, weil ich anders<br />

auf ihn eingehe als ein Mann.<br />

Was ist notwendig, damit Frauen sich mehr<br />

trauen?<br />

Frauen <strong>sind</strong> nicht dazu erzogen, auf ihre eigene<br />

Leistung stolz zu sein und das auch zu vermitteln.<br />

Die Unterstützung, die man in der Schule<br />

und während des Studiums bekommt, ist enorm<br />

wichtig. Die FFG-Forschungsförderungsgesellschaft<br />

macht zum Beispiel Workshops für Frauen<br />

in der Technik. So etwas hilft enorm. Ich<br />

glaube auch, dass das Thema Bildung ein ganz<br />

wichtiges in der Integration ist. Das spezielle<br />

Fördern der Mädchen könnte ein starker Integrationsmotor<br />

sein. Es gibt auch eine große Hilflosigkeit<br />

der Männer, weil sie mit ihren alten<br />

Mustern nicht mehr bestehen. Wenn man über<br />

Emanzipation nachdenkt, muss man auch immer<br />

über das Männerbild nachdenken. Es wird<br />

Männern nicht mehr selbstverständlich das Feld<br />

überlassen. Das erzeugt Angst. Sie müssen ihr<br />

Profil neu finden. Das wird zu wenig berücksichtigt.<br />

Es müssen also auch den Buben in der<br />

Schule neue Wege gezeigt werden.<br />

Finden Sie das Gendern der Sprache wichtig?<br />

Ja, denn die Sprache formt das Denken. Entweder<br />

das weibliche Element existiert in den Büchern<br />

und dem Sprachschatz – oder eben nicht.<br />

Ich glaube, wir kommen nicht darum herum,<br />

genauso wenig wie um die Frauenquote in Aufsichtsräten<br />

und Führungspositionen.<br />

18 smartguide für GANZ WIEN


SELMA PRODANOVIC<br />

Selma Prodanovic<br />

Geboren in Sarajewo,<br />

Bosnien-Herzigowina,<br />

seit 1991 in Österreich<br />

Lebte in verschiedenen Kulturen und<br />

Ländern in Europa und Afrika, wurde in<br />

4 unterschiedlichen Schulsystemen ausgebildet,<br />

kommuniziert und unterrichtet<br />

fließend in 5 Sprachen (Deutsch, Englisch,<br />

Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Französisch<br />

und Spanisch).<br />

Seit 20 Jahren ist Prodanovic in den<br />

Bereichen New Business Development,<br />

Creative Industries und International<br />

Marketing tätig, u. a. für Young & Rubicam<br />

sowie Ogilvy & Mather.<br />

1995 gründete sie die kreative Unternehmensberatung<br />

Brainswork. Prodanovic<br />

ist Initiatorin von „IncrediblEurope“,<br />

dem europäischen Netzwerk für<br />

Innovation, Kreativität und Zukunftsforschung.<br />

Außerdem hat sie viele Initiativen<br />

der Kreativwirtschaft in Österreich,<br />

Bosnien-Herzegowina und Kroatien<br />

koordiniert und beraten.<br />

Für ihre innovative Unternehmensphilosophie<br />

und ihr Bekenntnis zu Unternehmertum<br />

und sozialem Engagement<br />

wurden ihr der „WOMAN Award<br />

2006“, der „MIA-Award 2010“ und<br />

der „Anerkennungspreis der Jury des<br />

Integrationspreises 2010“ verliehen.<br />

2007 und 2010 nominierten sie die<br />

„Austrian Leading Ladies“ zur „Netzwerkerin<br />

des Jahres“.<br />

Wie <strong>sind</strong> Sie aufgewachsen?<br />

Ich bin in Sarajevo geboren und mit meiner Familie<br />

1991, ein Jahr vor dem Krieg, nach <strong>Wien</strong><br />

gekommen. Ich habe in Sarajevo, Madrid und<br />

<strong>Wien</strong> <strong>Wir</strong>tschaft studiert und dann im Business<br />

Development gearbeitet. Nach 15 Jahren<br />

habe ich mich selbstständig gemacht, damit bin<br />

ich total glücklich.<br />

Wären ihre Kunden anders zu Ihnen, wenn<br />

Sie ein Mann wären?<br />

Von der Expertise ist es gleich, aber wahrscheinlich<br />

habe ich mehr Frauen als Kundinnen<br />

als meine Kollegen. Bis jetzt ist die Welt<br />

nur auf Geld aufgebaut, aber heute werden andere<br />

Faktoren immer wichtiger, es geht auch<br />

darum, dass sich Menschen wohlfühlen, dass<br />

sie anerkannt werden in ihrem Unternehmen,<br />

es geht auch um Sinnfragen. Menschen, die<br />

sich an mich wenden, haben sowieso schon eine<br />

anderes Weltbild und kein Problem damit,<br />

dass ich eine Frau bin. Als Person und Unternehmen<br />

mache ich Frauen Mut, den Schritt in<br />

die Selbstständigkeit zu machen, berate sie und<br />

helfe ihnen, einen Investor zu finden.<br />

Ist es für Frauen schwieriger, Investments für<br />

ihr Start-up zu bekommen?<br />

Männer werden ernster genommen, Frauen<br />

machen sich oft ein bisschen kleiner und erwecken<br />

dann damit weniger Vertrauen in ihre Geschäftstüchtigkeit.<br />

Ich bin allerdings davon<br />

überzeugt, dass Männer sehr bald Gründerinnen<br />

als gleichwertige Business Partner ansehen<br />

werden, aus dem einfachen Grund, dass sie als<br />

eventuelle Investoren damit einen Profit machen<br />

können und es ein Verlust wäre, darauf zu<br />

verzichten. Das ist eine Frage der Zeit. Es wird<br />

auch in Zukunft mehr weibliche Investorinnen<br />

geben.<br />

Was brauchen wir, damit sich das ändert?<br />

Role Models und Öffentlichkeit <strong>sind</strong> ganz<br />

wichtig, damit man sieht, dass es für den Einzelnen<br />

und die Gesellschaft als Ganzes etwas<br />

bringt. Im Mai organisieren wir eine Konferenz:<br />

„Women investing in women“, um „Business<br />

Angelinas“, wie ich sie nenne, zu fördern.<br />

„Role Models<br />

<strong>sind</strong> ganz<br />

wichtig“<br />

Selma Prodanovic,<br />

Geschäftsführerin<br />

Brainswork<br />

Die Porträts von Tatjana Oppitz und Marie-Therese<br />

Harnoncourt <strong>sind</strong> dem Foto- und Interview-Buch „Selbstbewusst:<br />

Frauen die ihren Weg gehen“ entnommen.<br />

Zu beziehen über die Buchhandlung Orlando, 1090<br />

<strong>Wien</strong>, Ecke Liechtensteinstraße und Berggasse oder in<br />

anderen gut sortierten Buchhandlungen.<br />

Erschienen im Metro Verlag.<br />

19


ÖSTERREICH IN ZAHLEN<br />

THOMAS TRIMMEL<br />

F R A U E N & M I G R A T I O N I N Ö S T E R R E I C H<br />

HEIMAT GROSSER TÖCHTER<br />

4.3 Millionen Frauen leben 2014 in Österreich, davon wurden 737.798 im<br />

Ausland geboren. Sie engagieren sich im heimischen <strong>Wir</strong>tschaftsprozess und<br />

<strong>sind</strong> als Mitglieder in Vereinen, als Studienkolleginnen oder Nachbarinnen<br />

ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Lebens in diesem Land.<br />

18.900 €<br />

15.400 €<br />

3.500 €<br />

mit österreichischer<br />

Staatsbürgerschaft<br />

ohne österreichische<br />

Staatsbürgerschaft<br />

Gehaltsunterschied<br />

pro Jahr<br />

Ö sterreicherinnen verdienten im Jahr 2012 im Schnitt fast 18.900 Euro.<br />

Bei in Österreich lebenden Frauen ohne Österreichische Staatsbürgerschaft<br />

lag das Nettojahreseinkommen im Schnitt bei 15.400 Euro.<br />

Frauen mit türkischer Staatsbürgerschaft mussten sogar lediglich mit nur<br />

rund 13.200 Euro auskommen (70% des Nettoeinkommens der Österreicherinnen).<br />

300<br />

€Hälfte<br />

der<br />

durchschnittlichen<br />

Monatsmiete<br />

22% der Migrantinnen<br />

haben einen Uni-Abschluss<br />

2013 verfügten rund 17% aller österreichischen<br />

Frauen ohne Migrationshintergrund<br />

über einen akademischen Abschluss. Dieser<br />

Wert betrug bei Frauen mit Migrationshintergrund<br />

etwas mehr als 22%.<br />

146.000<br />

arbeitslose Frauen<br />

Von insgesamt 390.000 arbeitslosen<br />

Personen im Jahr 2014, waren<br />

146.000 Frauen. Problematisch<br />

dabei ist, die grundsätzlich<br />

zu geringe Anzahl an<br />

Arbeitsplätzen.<br />

Migrantinnen<br />

seltener erwerbstätig<br />

Die Erwerbstätigenquote von<br />

Frauen mit Migrationshintergrund<br />

war mit 59% deutlich geringer als<br />

bei Frauen ohne Migrationshintergrund.<br />

Diese lag bei 70%<br />

(Stand 2013)<br />

Fotos: 123rf, Infografik: Halmschlager<br />

20 smartguide für GANZ WIEN


Z A H L E N . D A T E N . F A K T E N .<br />

Der Anteil an Frauen mit Universitätsabschluss stieg unter<br />

Frauen mit österreichischer Staatsbürgerschaft von etwas über 1%<br />

(1971) auf rund 17% (2013). Unter Frauen ohne Österreichischer<br />

Staatsbürgerschaft stieg der Anteil an Universitätsabschlüssen<br />

deutlich stärker: von etwa 3% (1971) auf rund 22% (2013).<br />

Bildungsniveau<br />

von Migrantinnen steigt stärker<br />

Österreichische<br />

Staatsbürgerinnen:<br />

1971 4.000.000<br />

2013 4.352.000<br />

Ausländische<br />

Staatsbürgerinnen:<br />

1971 115.000<br />

2013 529.000<br />

Annerkennung der<br />

Bildung problematisch<br />

Die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse<br />

stellt für viele Migrantinnen<br />

eine besondere Hürde für eine qualifizierte<br />

Beschäftigung dar. Neben den teils<br />

hohen Kosten bestehen häufig formale<br />

Schwierigkeiten in der Vergleichbarkeit<br />

mit einer österreichischen Ausbildung.<br />

Viele Migrantinnen arbeiten deshalb<br />

unter ihrem Qualifikationsniveau. Informationen<br />

zum Thema Anerkennung<br />

unter www.berufsanerkennung.at.<br />

WEIBLICHE<br />

GESAMTBEVÖLKERUNG<br />

4.352.000<br />

100,0%<br />

Österreichische<br />

Staatsangehörige<br />

3.823.000<br />

87,8%<br />

Ausländische<br />

Staatsangehörige<br />

529.000<br />

12,2%<br />

Stand: 1. Jänner 2014<br />

Migrantinnen aus Deutschland an der Spitze<br />

Mit Stichtag 1.1.2014 lebten 113.200 in Deutschland geborene Frauen in Österreich.<br />

Mit weitem Abstand folgten in Bosnien und Herzegowina geborene Frauen (77.500).<br />

Auf Platz drei rangierten 75.500 Frauen mit Geburtsort in der Türkei.<br />

TOP 10 NATIONALITÄTEN<br />

WEIBLICHE BEVÖLKERUNG AM 1.1.2014 nach Geburtsland und Staatsangehörigkeit<br />

GEBURTSLAND<br />

Deutschland<br />

Bosnien Herzigowina<br />

Türkei<br />

Serbien<br />

Rumänien<br />

Polen<br />

Ungarn<br />

Tschechische Republik<br />

Kroatien<br />

Slowakei<br />

STAATSANGEHÖRIGKEIT<br />

113.234 (32% Ö. / 68% andere)<br />

77.509 (36% Ö. / 64% andere)<br />

75.471 (38% Ö. / 62% andere)<br />

69.649 (35% Ö. / 65% andere)<br />

44.117 (32% Ö. / 68% andere)<br />

35.350 (24% Ö. / 76% andere)<br />

30.161 (22% Ö. / 78% andere)<br />

25.520 (69% Ö. / 21% andere)<br />

21.415 (45% Ö. / 55% andere)<br />

20.829 (20% Ö. / 80% andere)<br />

SlowakInnen<br />

Die slowakische Migration fand bereits zur<br />

Zeiten der Österreichisch-Ungarischen<br />

Monarchie statt und hat Tradition. Nach der<br />

Gründung der Tschechoslowakei Ende des<br />

Ersten Weltkriegs kehrten viele SlowakInnen in<br />

ihre ursprüngliche Heimat zurück. Nach Ereignissen<br />

wie dem Zweiten Weltkrieg, und dem Fall des<br />

Eisernen Vorhangs kam es zu einer großen<br />

Re-Migrationsbewegung. Nach dem EU-Beitritt<br />

hat sich die Zahl der slowakischen StaatsbürgerInnen<br />

in Österreich verdreifacht. Viele der<br />

zugezogenen nutzen die Gelegenheit und<br />

pendeln regelmäßig über die Landesgrenzen.<br />

TschechInnen<br />

Auch die erste große tschechische Migrationswelle<br />

fand noch zu zeiten der Monarchie statt.<br />

Damals wanderten vor allem böhmische<br />

Adelsfamilien nach Österreich aus. Diese prägen<br />

bis heute die Club und Vereinslandschaft Österreichs.<br />

Auch findet man vor allem in der Kulinarik<br />

starke Einflüsse der tschechischen Kultur. Beide<br />

Kulturen <strong>sind</strong> enger verbunden.<br />

Das Fazit: Viele TschechInnen nehmen die<br />

österreichische Staatsbürgerschaft an.<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

21


HOLOCAUST IM UNTERRICHT<br />

Niemals!<br />

INTERVIEW: JÜRGEN ZACHARIAS<br />

Fotos: www.picturedesk.com(1), beigestellt<br />

22 smartguide für GANZ WIEN


HOLOCAUST IM UNTERRICHT<br />

Der Holocaust, der Genozid an den Armeniern oder<br />

die Verfolgung von Roma und Sinti. Die Geschichten<br />

der Völker zeigen viele Parallelen auf. Was man aus<br />

der Vergangenheit verschiedener Kulturen für die<br />

Gegenwart mitnehmen kann, das lernen Schüler<br />

beim Zeitzeugenseminar. Die Vergangenheit<br />

verstehen – für eine bessere Zukunft.<br />

n Erzählte Geschichte als<br />

Beitrag für eine andere Zukunft:<br />

Zeitzeugengespräche und<br />

zeitgeschichtliche Gedenkarbeit<br />

als Werkzeug der politischen<br />

Bildung gemeinsam mit Schülern<br />

aller Altersstufen organisiert der<br />

Verein erinnern.at<br />

Herr Dreier, der Verein<br />

„erinnern.at“ hat es sich zur<br />

Aufgabe gemacht, über die<br />

Zeit des Nationalsozialismus<br />

und den Holocaust zu informieren.<br />

Warum ist das auch<br />

70 Jahre nach Ende des Zweiten<br />

Weltkriegs immer noch<br />

wichtig?<br />

Die Gewaltverbrechen während<br />

der Zeit des Nationalsozialismus<br />

wurden in der<br />

Nachkriegszeit aus dem öffentlichen<br />

Bewusstsein verdrängt.<br />

Es gab zwar eine Diskussion<br />

darüber in privaten<br />

Räumen, aber kaum in der<br />

Öffentlichkeit, was zum Paradoxon<br />

führt, dass wir heute als<br />

Gesellschaft viel mehr über<br />

diese Zeit wissen als vor 20<br />

oder 30 Jahren. Unser Ziel ist<br />

es, auf dieser Basis ein Bewusstsein<br />

für die Verbrechen<br />

dieser Zeit zu schaffen, damit<br />

Lehren daraus gezogen werden<br />

können.<br />

„Die Schüler<br />

reagieren auf<br />

persönliche<br />

Erfahrungen<br />

sensibel und<br />

verständnisvoll.“<br />

Werner Dreier<br />

Aber kann und will ein Jugendlicher<br />

heute überhaupt<br />

noch Lehren aus dieser Geschichte<br />

ziehen?<br />

Das ist die zentrale Frage, die<br />

jeder Mensch für sich beantworten<br />

muss. Ist die Geschichte<br />

weit weg oder immer noch<br />

präsent und hat sie für unser<br />

Leben noch eine Bedeutung?<br />

Die Antwort darauf können<br />

wir nicht vorgeben, die muss<br />

sich jeder Mensch selbst klarmachen.<br />

Was wir tun können,<br />

ist Anreize zu geben, damit die<br />

Auseinandersetzung mit der<br />

Geschichte erleichtert wird …<br />

…etwa indem Sie Zeitzeugen<br />

aus ihren Erfahrungen erzählen<br />

lassen?<br />

Genau. Erfahrungen von<br />

Menschen, die in dieser Zeit<br />

zu Opfern gemacht wurden,<br />

die verfolgt wurden, die Angehörige<br />

verloren haben oder<br />

die sich retten konnten, <strong>sind</strong><br />

ganz wesentliche Anreize. Diese<br />

persönlichen Geschichten<br />

zeigen, wie sich die große Geschichte<br />

im Leben von Menschen<br />

niederschlägt und damit<br />

wird diese Zeit auch anschlussfähig<br />

an unser heutiges<br />

Leben.<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

23


HOLOCAUST IM UNTERRICHT<br />

Weil wir uns in die<br />

Personen hineinversetzen<br />

können?<br />

Das, und weil wir uns dadurch<br />

auch in diese Zeit hineinversetzen,<br />

Vergleiche anstellen<br />

und daraus etwas lernen können.<br />

Dadurch kann sich auch<br />

unser Blick auf die Welt heute<br />

ändern und darauf, wie wir<br />

uns als Gesellschaft einrichten<br />

und wie wir als Bürger agieren<br />

– viele der von den Zeitzeugen<br />

geschilderten Themen <strong>sind</strong><br />

überraschend aktuell.<br />

Haben Sie dafür ein<br />

Beispiel?<br />

Bei einer Zeitzeugenerzählung<br />

hat eine jüdische <strong>Wien</strong>erin<br />

beispielsweise darüber berichtet,<br />

wie sie als Mädchen aus<br />

Galizien in den 1920er-Jahren<br />

mit ihrer Familie nach <strong>Wien</strong><br />

kam und wie wichtig es für sie<br />

damals war, eine Volksschullehrerin<br />

zu haben, die sie als<br />

nicht gut Deutsch sprechende<br />

Schülerin unterstützt hat.<br />

Schüler, die sich heute in einer<br />

ähnlichen Situation befinden,<br />

können das gut nachvollziehen<br />

und auch was es heißt, einer<br />

religiösen Minderheit anzugehören.<br />

Wie reagieren Jugendliche,<br />

wenn sie mit einem derart<br />

sensiblen Thema wie dem Holocaust<br />

konfrontiert werden?<br />

In den überwiegenden Fällen<br />

einer Zeitzeugenerzählung<br />

<strong>sind</strong> die Schüler sehr interessiert<br />

und verständnisvoll. Und<br />

dabei ist es egal, ob das Schüler<br />

<strong>sind</strong>, die zugewandert <strong>sind</strong><br />

oder nicht, die Migrationshintergrund<br />

aufweisen oder<br />

sprachliche Schwierigkeiten<br />

haben – die Schüler reagieren<br />

auf persönliche Erfahrungen<br />

und Geschichten quer durch<br />

die Bank meist sensibel und<br />

verständnisvoll.<br />

n Marko Feingold wurde 1913 geboren und wuchs in der <strong>Wien</strong>er<br />

Leopoldstadt auf. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten<br />

wurde er verhaftet, 1939 in der Tschechoslowakei eingesperrt und<br />

1940 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Über die Konzentrationslager<br />

Neuengamme und Dachau kam er schließlich 1941 nach<br />

Buchenwald, wo er die Befreiung erlebte. Danach ließ er sich in Salzburg<br />

nieder. Dort ist er seit 1979 Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde.<br />

Das lernen Kinder im<br />

Zeitzeugenseminar<br />

Richtiger Umgang mit Vorurteilen: Überall gibt es Vorurteile. Entscheidend<br />

ist aber, wie man diese entkräftet und wie man damit umgeht. Durch politsche<br />

Bildung im Unterricht werden die Schüler im kritischen Umgang mit Abneigung<br />

und Intoleranz geschult und sensibilisiert.<br />

Wie organisiere ich Unterrichtsbesuche?<br />

Schulen können Opfer des Nationalsozialismus als ZeitzeugInnen für Vorträge<br />

zum Themenbereich Nationalsozialismus und Holocaust ab der 8. Schulstufe<br />

einladen. Dadurch können im Unterricht ZeitzeugInnen-Gespräche (Oral<br />

History) – neben der Verwendung von Literatur und schriftlichen ZeitzeugInnen-<br />

Berichten, Videodokumentationen über ZeitzeugInnen und Besuch von<br />

Ausstellungen und Gedenkstätten – zur Vertiefung der zeitgeschichtlichen<br />

Inhalte beitragen.<br />

Mit Vorurteilen sehen Sie<br />

sich also nicht konfrontiert?<br />

Doch, natürlich. Jeder von uns<br />

hat Vorurteile, entscheidend<br />

ist aber, wie man diese entkräftet<br />

und wie man damit<br />

umgeht. Daher gelten bei unseren<br />

Zeitzeugenerzählungen<br />

auch gewisse Regeln, die Respekt<br />

sichern und Verletzungen<br />

vermeiden sollen. Das setzt<br />

aber Vertrauen und Offenheit<br />

voraus – von allen Seiten.<br />

Welche Lehren sollen die<br />

Schüler aus einer Zeitzeugenerzählung<br />

mitnehmen?<br />

<strong>Wir</strong> <strong>sind</strong> überzeugt, dass wir<br />

heute noch viel aus der Geschichte<br />

lernen können, wir<br />

wollen aber nicht auch schon<br />

die richtige Moral liefern. Welche<br />

Konsequenzen gezogen<br />

werden und welche Zukunftsbilder,<br />

ist das Ergebnis eines<br />

Aushandlungsprozesses, den<br />

wir nur anstoßen können.<br />

n Lucia Heilman wurde 1929 in <strong>Wien</strong> in eine jüdische<br />

Familie geboren. Sie überlebte zusammen mit<br />

ihrer Mutter als eine der wenigen in einem Versteck<br />

in <strong>Wien</strong>, das Reinhold Duschka, der Bergkamerad<br />

ihres Vaters, in seiner Werkstätte im 6. <strong>Wien</strong>er Gemeindebezirk<br />

gebaut hatte. Nach dem Krieg studierte<br />

Lucia Heilman Medizin an der Universität <strong>Wien</strong>.<br />

Sie lebt mit ihrem Mann, zwei Töchtern und zwei<br />

Enkelkindern in <strong>Wien</strong>.<br />

Der Zweite Weltkrieg ist wie<br />

eingangs erwähnt mittlerweile<br />

70 Jahre vorbei: <strong>Wir</strong>d es<br />

vor diesem Hintergrund immer<br />

schwieriger, Zeitzeugen<br />

zu finden?<br />

Viele der Menschen, die die<br />

Zeit bewusst erlebt haben,<br />

<strong>sind</strong> mittlerweile gestorben<br />

oder sehr alt und tun sich daher<br />

zunehmend schwer, in die<br />

Schule zu gehen und öffentlich<br />

aufzutreten. Allerdings<br />

wird seit 20 Jahren darüber<br />

geredet, dass die Zeitzeugengeneration<br />

abtritt – wir erleben<br />

bei unseren<br />

Seminaren aber, dass jedes<br />

Jahr neue dazukommen.<br />

Weil sich immer mehr Menschen<br />

überwinden können,<br />

über ihre Erfahrungen und<br />

Erlebnisse zu sprechen?<br />

Als in den 1980er-Jahren erstmals<br />

Zeitzeugen an Schulen<br />

gingen, waren das überwiegend<br />

Männer mit politischem<br />

Bewusstsein, die vor allem einem<br />

gesellschaftspolitischem<br />

Aufklärungsauftrag nachgekommen<br />

<strong>sind</strong>. Heute sprechen<br />

mehr Frauen und wird mehr<br />

über persönliche Erlebnisse<br />

gesprochen.<br />

Fotos: Sabine Sowieja<br />

24 smartguide für GANZ WIEN


n Paul Grünberg wurde 1923 in <strong>Wien</strong><br />

geboren. Er begann eine Schneiderlehre,<br />

die er aber nach dem „Anschluss“ abbrechen<br />

musste. 1939 wurde er verhaftet<br />

und nach Buchenwald verschleppt.<br />

Dort musste er mit seinem Vater zunächst<br />

im Steinbruch arbeiten. 1942<br />

wurde er ins neu errichtete Lager Buna/Monowitz<br />

(Auschwitz III)<br />

deportiert. Dort arbeitete er in der<br />

Schreibstube. Im Jänner 1945 trieb die<br />

SS die Häftlinge, darunter auch Paul<br />

Grünberg, auf Todesmärsche. Er erlebte<br />

das Kriegsende in Tschechien.<br />

Trotzdem werden Sie sich wohl<br />

Gedanken darüber machen,<br />

wie Sie auch in zehn oder 15<br />

Jahren Zeitzeugenberichte in<br />

die Schule bringen können?<br />

Natürlich machen wir uns die,<br />

und da gibt es im Wesentlichen<br />

zwei große Ideen: Eine davon<br />

basiert auf der Videodokumentation<br />

von Zeitzeugen-Interviews,<br />

wie wir sie etwa auch<br />

schon im Rahmen von zwei<br />

Wanderausstellungen in Schulen<br />

nutzen. Schüler können sich<br />

dort die Geschichten der Menschen<br />

durchlesen und über QR-<br />

Codes kommen sie online zu<br />

den Interviews.<br />

Und was ist der zweite Ansatz?<br />

Dieser Ansatz ist mitten unter<br />

uns, in den Erfahrungen von<br />

vielen von uns gespeichert. Ein<br />

Beispiel: Denken sie an eine<br />

Familie in <strong>Wien</strong>, die heute lebt<br />

und in der mütterlicherseits<br />

beide Elternteile aus verfolgten<br />

Familien stammen. Diese Verfolgungsgeschichte<br />

hat heute<br />

immer noch Auswirkungen auf<br />

das Leben der Familie, die Familienmitglieder<br />

haben ein<br />

ganz anderes Sensorium für<br />

potenzielle Gefahren, benennen<br />

ihre Kinder anders und<br />

wählen andere Formen von Besitz<br />

oder andere Berufe. Dabei<br />

geht es ihnen immer darum,<br />

möglichst flexibel zu sein, um<br />

im Notfall auch anderswo auf<br />

der Welt zurechtzukommen.<br />

Das Sein in der Welt ist dadurch<br />

grundlegend anders,<br />

und diese Erfahrungen mit einer<br />

Gesellschaft zu teilen, die<br />

davon keine Ahnung hat, ist<br />

aus unserer Sicht eine sehr<br />

wichtige Sache.<br />

Das Thema Holocaust und Verfolgung<br />

wird dadurch aber<br />

deutlich breiter an gelegt?<br />

Genau. Es ist interessant zu sehen,<br />

wie sich die Verbrechen zur<br />

Zeit des Nationalsozialismus etwa<br />

zum Genozid an den Armeniern<br />

verhalten oder welche Parallelen<br />

die Verfolgung der Juden<br />

damals mit der Verfolgung<br />

von Roma und Sinti und ihre<br />

Diskriminierung bis heute aufweist.<br />

Welche Muster lassen sich<br />

darin erkennen? Diese Zugangsweise<br />

führt zu einem tieferen<br />

Verständnis des sozialen Prozesses<br />

eines Völkermordes oder der<br />

Verfolgung einer ganzen Bevölkerungsgruppe<br />

und wir lernen<br />

daraus, auf welche Kriterien wir<br />

achten müssen, um kritische<br />

Momente herauszufiltern, in denen<br />

eine Gesellschaft in Massengewalt<br />

abgleiten kann.


KAMPF DER NEUEN<br />

DICHTER<br />

TEXT & INTERVIEW: JÜRGEN ZACHARIAS<br />

Literatur zum Anfassen.<br />

Neu, aufregend, charmant und witzig.<br />

So präsentieren die Dichter von morge<br />

ihre Lyrik. Die Poeten im Wettstreit<br />

<strong>sind</strong> der Importschlager aus Übersee.<br />

Ab sofort wird poetry geslamt!<br />

26<br />

Es ist noch nicht lange her, da<br />

verstopfte die Videoaufnahme<br />

eines Poetry Slams die<br />

sozialen Netzwerke. Darauf<br />

zu sehen: Die 21-jährige Julia<br />

Engelmann, wie sie über ihr<br />

Leben philosophiert. Sie<br />

spricht viel von Feigheit,<br />

Faulheit und Lethargie, noch<br />

mehr über Verpassensangst<br />

und darüber, all die Mutlosigkeit<br />

und Befangenheit endlich<br />

über Bord zu werfen und sich<br />

mit Haut und Haaren auf das<br />

Abenteuer Leben einzulassen.<br />

Mit Zitaten wie „Lass uns<br />

möglichst viele<br />

Fehler machen und möglichst<br />

viel aus ihnen lernen“ sprach<br />

sie vielen Zuhörern des Poetry<br />

Slams in Bielefeld aus der<br />

Seele und so ganz nebenbei<br />

auch der deutschsprachigen<br />

Webcommunity: Mit Stand<br />

heute wurde das Video ihres<br />

Auftritts auf YouTube knapp<br />

acht Millionen mal aufge -<br />

rufen.<br />

Foto: Anna Konrath


SPRACHKULTUR<br />

Für Diana Köhle, Frau der<br />

ersten Stunde der heimischen<br />

Poetry-Slam-Szene und Veranstalterin<br />

des Slam B und<br />

des Tagebuchslams, kommen<br />

Eloquenz und Selbstbewusstsein,<br />

mit der Julia Engelmann<br />

ihre Botschaft mit der Öffentlichkeit<br />

teilte, nicht überraschend.<br />

„Es ist unglaublich<br />

faszinierend, mit welchem<br />

Selbstverständnis junge Leute<br />

heute vortragen und welch<br />

tolle Texte sie präsentieren“,<br />

sagt die Wahl-<strong>Wien</strong>erin. „Immer<br />

wieder in Erstaunen versetzt<br />

mich, wie bereitwillig sie<br />

dabei auch aus ihrem eigenen<br />

Leben erzählen und wie sie<br />

ihre Gedanken, Wünsche und<br />

Träume mit der Öffentlichkeit<br />

teilen.“ Probleme, genügend<br />

Kandidaten für ihre Slams zu<br />

finden, hat Diana Köhle daher<br />

nicht. Erst recht nicht, da bei<br />

dem Dichterwettstreit nicht<br />

nur junge Nachwuchsliteraten<br />

auf die Bühne drängen. „Von<br />

14-Jährigen bis hin zu 89-Jährigen<br />

hatte ich schon alles dabei.<br />

Insgesamt waren bei meinem<br />

Slam B schon mehr als<br />

200 Leute auf der Bühne, von<br />

denen mittlerweile einige auf<br />

Buchveröffentlichungen verweisen<br />

können, und fast jedes<br />

Jahr ist einer unserer Slammer<br />

beim Bachmann-Preis dabei.<br />

Auch das Publikum ist schön<br />

gemischt – Poetry Slam gefällt<br />

quer durch alle Altersschichten.“<br />

Seinen Ursprung hat das Literaturformat<br />

in den USA, 1986<br />

soll Performance-Künstler<br />

Marc Kelly Smith in Chicago<br />

erstmals einen Poetry Slam<br />

veranstaltet haben. Über das<br />

restliche Nordamerika schaffte<br />

die neue Veranstaltungsidee<br />

dann den Sprung nach London,<br />

mit gebotener Verzögerung<br />

irgendwann weiter nach<br />

Mitteleuropa und schließlich<br />

Anfang der Nullerjahre auch<br />

nach Österreich. Meist treten<br />

zwölf Kandidaten zu den literarischen<br />

Wettkämpfen an.<br />

Mriri, Frau Schreiber, Hirschl<br />

oder wie auch immer sich die<br />

Hobbydichter nennen, haben<br />

dann fünf Minuten<br />

Zeit, mit selbstverfassten<br />

Geschichten über<br />

One-Night-Stands,<br />

ihre Hobbys, die<br />

Grauslichkeiten des<br />

Zeitungsboulevards<br />

oder den Diätwahn unserer<br />

Gesellschaft die<br />

Gunst des Publikums zu gewinnen.<br />

Einen schnell zusammengekritzelten<br />

Text einfach<br />

abzulesen, reicht dafür aber<br />

schon lange nicht mehr. „Im<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

27


SPRACHKULTUR<br />

n Ein Poetry Slam ist keine klassische Lesung, sondern es handelt<br />

sich hierbei um einen vielfältigen literarischen Wettkampf<br />

vor allem um die Gunst des Publikums. Als Applausometer ist<br />

die Moderatorin Diana Köhle bei der Entscheidung behilflich.<br />

n Eine lustige Zeitreise in die Abgründe der eigenen und<br />

fremden Pubertät und Kindheit. Der TAGebuch SLAM<br />

führt das Publikum verschiedener Nationen noch einmal<br />

gemeinsam zurück in die eigenen „glory days“.<br />

Regelfall steckt da schon sehr<br />

viel mehr Arbeit dahinter“,<br />

sagt Diana Köhle, „die meisten<br />

Kandidaten lernen ihre Texte<br />

auch auswendig, das ganze<br />

wird immer professioneller.“<br />

Um den Vortrag aufzuwerten,<br />

werden kurze Gesangspassagen<br />

eingebaut, es wird gerappt,<br />

auch Satire und Comedy<br />

<strong>sind</strong> willkommen, Hilfsmittel<br />

und Requisiten <strong>sind</strong><br />

allerdings nicht erlaubt. Die<br />

Lautstärke des Applauses entscheidet<br />

über den Aufstieg in<br />

die nächste Runde und letztendlich<br />

auch den Sieg. Hat<br />

Frau Schreiber die Zuhörer<br />

überzeugt und den meisten<br />

Applaus bekommen, gewinnt<br />

sie ein Buch, mal einen Gutschein<br />

oder andere Anerkennungspreise.<br />

Auf jeden Fall<br />

anerkennende Schulterklopfer.<br />

Denn beim Poetry Slam geht<br />

es nicht um den Sieg allein,<br />

sondern darum, ein Publikum<br />

für lebendig vorgetragene<br />

Literatur zu begeistern.<br />

„Das verbindende Element<br />

zwischen Kandidaten und<br />

Publikum ist die Liebe zur Literatur<br />

und die Lust, sich auf<br />

Neues einzulassen“, sagt Diana<br />

Köhle. „Dadurch, dass wir<br />

nur neue Texte zulassen und<br />

immer wieder andere Leute<br />

auf der Bühne stehen, bekommt<br />

jeder Abend einen eigenen<br />

und unverwechselbaren<br />

Charakter.“ Bei manchen<br />

Texten stehen witzige Pointen<br />

und spaßige Passagen im Vordergrund,<br />

bei anderen geht es<br />

um unser Dasein auf Erden<br />

oder den Ernst des Lebens. „In<br />

Summe überwiegt das Lustige“,<br />

sagt Diana Köhle, „ gerade<br />

zum Jahresanfang war heuer<br />

aber schon auch sehr viel<br />

Ernst in den Texten.“ Da war<br />

etwa der Kuss-Aufreger im<br />

Café Prückel Thema oder<br />

auch der Anschlag auf das<br />

französische Satiremagazin<br />

„Charlie Hebdo“ in Paris.<br />

Fotos: Anna Konrath<br />

28 smartguide für GANZ WIEN


„DURCH DIE<br />

GENERATIONSÜBERGRIEFENDE<br />

LIEBE ZUR LITERATUR ISTJEDER<br />

ABEND ANDERS“<br />

Sind Poetry Slams damit<br />

quasi literarisches Abbild<br />

aktueller öffentlicher Diskussionen<br />

und Probleme?<br />

Auch, der Dichterwettstreit<br />

kann aber noch viel mehr<br />

sein, wie Julia Engelmanns Video<br />

zeigt, die mit ihren fünf<br />

Minuten eine neue, breite<br />

Diskussion über die Zwänge<br />

unseres Alltags erst in Gang<br />

brachte. „Unser Leben ist ein<br />

Wartezimmer und niemand<br />

ruft uns auf“, sprach sie und<br />

regte damit zum Nachdenken<br />

an. Mit Poetry Slams gibt es<br />

praktischerweise auch gleich<br />

einen möglichen Ausgang aus<br />

diesem Wartezimmer, den jeder<br />

für sich selbst beschreiten<br />

kann – bei offenen Slams darf<br />

sich schließlich jeder beim<br />

Veranstalter als Kandidat aufstellen<br />

lassen. Dabei darf man<br />

ein anderes Zitat von Julia Engelmann<br />

durchaus als Warnung<br />

verstehen: „Mach ich<br />

später, ist die Bassline meines<br />

Alltags.“ Also ranhalten und<br />

anmelden. Nicht erst morgen,<br />

sondern heute.<br />

Diana Köhle veranstaltet in<br />

<strong>Wien</strong> seit 2004 regelmäßig<br />

Poetry Slams und hat es mit<br />

ihrem Tagebuch Slam auch<br />

ins ORF-Hauptabendprogramm<br />

geschafft. <strong>Wir</strong> haben<br />

mit ihr über die Faszination<br />

der etwas anderen Literaturveranstaltungen<br />

gesprochen.<br />

Wie läuft ein Poetry Slam ab?<br />

Das Prozedere ist grundsätzlich<br />

immer das gleiche: Es gibt<br />

mehrere Teilnehmer, die meist<br />

fünf Minuten Zeit haben, um<br />

einen eigenen Text unterzubringen,<br />

und eine Jury, die im<br />

Regelfall das Publikum bildet<br />

und darüber entscheidet, welcher<br />

Teilnehmer eine Runde<br />

weiterkommt und den Slam<br />

gewinnt. Wie das Publikum<br />

abstimmt, ist unterschiedlich<br />

– meist entscheidet die Lautstärke<br />

des Applauses, es gibt<br />

aber auch andere Votingsysteme.<br />

Auf welche Art auch immer<br />

wird schlussendlich ein<br />

Teilnehmer zum Sieger des<br />

Abends gewählt.<br />

Welche Texte werden dabei<br />

vorgetragen?<br />

Das ist immer vom Thema<br />

des Slams abhängig. Ich veranstalte<br />

beispielsweise regelmäßig<br />

einen Tagebuch Slam,<br />

bei dem – wie der Name schon<br />

sagt – aus einem Tagebuch<br />

vorgelesen werden muss. Slams<br />

gibt es aber auch zu ganz anderen<br />

Themen und die Art der<br />

Texte reicht dabei von ernst bis<br />

lustig. Alles ist möglich und<br />

jeder muss für sich selbst entscheiden,<br />

welches Thema er<br />

aufgreift und wie er den Text<br />

dann auch rüberbringt.<br />

Es entscheidet also nicht nur<br />

der Inhalt des Textes?<br />

Klarerweise stehen der Text<br />

und dessen Inhalt im Mittelpunkt,<br />

aber auch die Performance<br />

entscheidet. Wichtig ist<br />

es aber in jedem Fall, authentisch<br />

zu bleiben und seine ei-<br />

gene, verschrobene Art zu zeigen.<br />

Kopieren funktioniert<br />

nicht, wichtig ist der eigene Stil.<br />

Ergibt sich aus der Authentizität<br />

der Teilnehmer und deren<br />

unterschiedlichen<br />

Stilen auch die Faszination<br />

von Poetry Slams?<br />

Definitiv. Durch die unterschiedlichen<br />

Texte und Performances<br />

und die generationsübergreifende<br />

Liebe zur<br />

Literatur ist jeder Abend anders,<br />

und das ist es auch, was<br />

mich so süchtig nach Poetry<br />

Slams macht. Man kann nie<br />

im Vorhinein sagen, was passieren<br />

wird, und trotzdem ist<br />

klar, dass es in jedem Fall unterhaltsam<br />

sein wird.<br />

Sie haben zuvor vom Tagebuch<br />

Slam gesprochen, der<br />

es sogar ins Fernseh-Hauptabendprogramm<br />

geschafft<br />

hat.<br />

Genau, wobei ich damit nicht<br />

gerechnet habe. Offensichtlich<br />

<strong>sind</strong> wir aber so voyeuristisch<br />

veranlagt, dass wir<br />

gerne die ganz persönlichen<br />

und intimen Probleme, Gefühle<br />

und Träume anderer<br />

Personen hören. Für mich<br />

zeigt das aber auch, dass Poetry<br />

Slams mittlerweile der<br />

Schritt aus der Nische in die<br />

breite Öffentlichkeit gelungen<br />

ist. Lange Zeit gab es in<br />

<strong>Wien</strong> nur einen Slam, mittlerweile<br />

gibt es jeden Monat<br />

zehn Slams und auch in den<br />

anderen Bundesländern hat<br />

sich eine unglaublich lebendige<br />

Szene entwickelt.<br />

INTERVIEW<br />

INTERVIEW MIT DIANA KÖHLE<br />

Poetry Slams<br />

in Österreich –<br />

eine Auswahl<br />

Tagebuch Slam<br />

Nach der Sommerpause ab<br />

27. September (20.00 Uhr)<br />

wieder jeden Monat im TAG<br />

– Theater an der Gumpendorfer<br />

Straße in <strong>Wien</strong>,<br />

www.liebestagebuch.at<br />

Slam B<br />

Nach der Sommerpause<br />

ab 16. Oktober (20.00 Uhr)<br />

wieder jeden Monat im<br />

Literaturhaus <strong>Wien</strong>,<br />

www.slamb.at<br />

PostSkriptum Poetry<br />

Slam Linz<br />

Einmal monatlich in der<br />

SolarisBar in Linz, Termine<br />

unter www.postskriptum.at<br />

Kultum Slam<br />

Am 16. Oktober (20.00 Uhr)<br />

im Kleinen Minoritensaal in<br />

Graz, www.kultum.at<br />

Bäckerei Poetry Slam<br />

Jeden letzten Freitag im<br />

Monat (20.30 Uhr) in<br />

der Kulturbackstube<br />

Die Bäckerei in Innsbruck,<br />

www.baeckereipoetryslam.<br />

wordpress.com<br />

Poetry Slams in der<br />

ARGEkultur<br />

Regelmäßige<br />

Slam-Veranstaltungen in<br />

der ARGEkultur in Salzburg,<br />

Termine unter<br />

www.argekultur.at/projekte/<br />

poetryslam<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

29


Houchang<br />

Allahyari<br />

ist mit 18 Jahren aus dem Iran<br />

nach Österreich gekommen und<br />

gilt mit seinen zahlreichen<br />

filmischen Arbeiten als einer der<br />

wichtigsten österreichischen<br />

Regisseure. Sein Film Der letzte<br />

Tanz hat bei zuletzt der<br />

Diagonale 2014 den großen<br />

Filmpreis gewonnen.<br />

INTERVIEW: THOMAS BRANDSTÄTTER<br />

PERSISCHER<br />

GESCHICHTEN<br />

ERZÄHLER<br />

Der vielfach preisgekrönte österreichische Filmregisseur HOUCHANG ALLAHYARI<br />

sieht sich lieber als persischer Geschichtenerzähler, denn als Psychiater, der Filme macht.<br />

Ein Gespräch über die zunehmende Ausländerfeindlichkeit, aber auch über die positive<br />

Entwicklung des österreichischen Kinos.<br />

Foto:beigestellt<br />

30 smartguide für GANZ WIEN


INTERVIEW<br />

Was waren die Umstände<br />

ihrer Migration und wie gestaltete<br />

sich die Intergration<br />

in Österreich?<br />

Ich bin Weihnachten 1960<br />

nach <strong>Wien</strong> gekommen, um<br />

zu studieren. Damals hat die<br />

Botschaft im Iran Reklame<br />

für das Studium in Österreich<br />

gemacht. <strong>Wir</strong> haben<br />

Prospekte von der österreichischen<br />

Botschaft und der<br />

Kulturabteilung bekommen.<br />

Ich habe dann meine Unterlagen<br />

zur Uni geschickt, im<br />

europäischen Vergleich war<br />

es auch wirklich in Österreich<br />

am günstigsten und am<br />

leichtesten, einen Studienplatz<br />

zu bekommen. Das ist<br />

überhaupt nicht vergleichbar<br />

mit der heutigen Zeit.<br />

Wollten Sie Film studieren?<br />

Eigentlich wollte ich Filmund<br />

Theaterwissenschaft<br />

studieren, aber das erlaubte<br />

meine Familie nicht, daher<br />

machte ich Medizin, und das<br />

war eigentlich ein sekundäres<br />

Interesse, das erst mit<br />

dem Studium wirklich erwacht<br />

ist, ich war sehr neugierig<br />

und habe überall hineingeschaut,<br />

aber es war innerhalb<br />

der Medizin immer<br />

klar, dass Psychiatrie mein<br />

Fach sein würde.<br />

Wurden Sie hier entsprechend<br />

freundlich aufgenommen?<br />

<strong>Wir</strong> waren damals einfach<br />

Studenten hier, wir waren<br />

Exoten hier und haben bei<br />

weitem nicht erlebt, was ich<br />

dann viel viel später leider in<br />

<strong>Wien</strong> erlebt habe, diese Ausländerfeindlichkeiten<br />

und<br />

das alles, das war damals absolut<br />

nicht, wir waren Studenten<br />

und es war gut, dass<br />

die Studenten hier <strong>sind</strong>.<br />

Steht das im Gegensatz zu<br />

heute?<br />

Die Vorurteile hier im Land<br />

haben sehr stark zugenommen.<br />

Ich schildere hier so rosarote<br />

Zeiten und heute <strong>sind</strong><br />

sie schwarz. Wenn ein Patient<br />

sagt, er geht zum Dr.<br />

Allahyari, der ist Ausländer,<br />

aber ein guter Arzt, so als<br />

würde sich das gegenseitig<br />

ausschließen, dann ist das<br />

für einen vernünftigen Menschen<br />

schon zum Lachen<br />

oder eben zum Weinen.<br />

Wie haben Sie das Regiehandwerk<br />

erlernt?<br />

Ich habe versucht, es selbst<br />

zu lernen, bin autodidaktisch<br />

vorgegangen, selbstorganisiert,<br />

habe eine Menge Kurzfilme<br />

gemacht und habe viele<br />

Preise gewonnen, danach<br />

habe ich viele Seminare gemacht<br />

im Ausland und habe<br />

sehr viele großartige Leute<br />

kennengelernt, Pier Paolo<br />

Pasolini, Federico Fellini, mit<br />

dessen Frau ich auch noch<br />

lange Kontakt hatte, mein<br />

letztes Seminar habe ich bei<br />

Andrej Tarkowski in Italien<br />

gemacht, kurz bevor er starb.<br />

Viele Ihrer Filme <strong>sind</strong> sehr<br />

österreichisch. Hilft Ihnen<br />

Ihre Herkunft beim Blick<br />

auf die österreichische<br />

Gesellschaft?<br />

Ich glaube nicht bewusst.<br />

Aber wenn Sie aus einer anderen<br />

Kultur kommen, diese<br />

Kultur können sie nicht vergessen,<br />

das ist immer vorhanden,<br />

ich denke, dass meine<br />

Filme etwas sehr Orientalisches<br />

in sich haben. Ich mache<br />

aber eigentlich weder<br />

österreichische noch persische<br />

Filme, einfach nur Filme<br />

mache ich. Ich versuche,<br />

dass die Filme mit mir und<br />

meiner Umgebung übereinstimmen.<br />

Ich kann das nicht<br />

so trennen, für mich ist das<br />

quasi eine Einheit.<br />

Würden Sie gerne einmal<br />

einen „iranischen“ Film<br />

machen, also in der Tradition<br />

des großen iranischen<br />

Kinos?<br />

Mein nächstes Experiment<br />

ist ein vier Stunden langer<br />

Dokumentarfilm im Iran.<br />

Aber ich fühle mich deshalb<br />

überhaupt nicht dem iranischen<br />

Kino verpflichtet, oder<br />

dem österreichischen. Selbstverständlich<br />

bin sehr stolz<br />

auf die Entwicklung des<br />

österreichischen Kinos. Ich<br />

habe hier noch die Ära von<br />

Peter Alexander, Gunter Philip<br />

oder Franz Antel erlebt,<br />

der österreichische Film hat<br />

sich enorm entwickelt seither.<br />

Als wir „Geboren in Absurdistan“<br />

mit Karl Markovics<br />

gemacht haben, da<br />

schrieb eine Zeitung, es sei<br />

eine Koproduktion zwischen<br />

Türkei und Iran, und nicht<br />

Österreich. Ich fragte nach,<br />

und man sagte mir, das sei<br />

besser, denn iranische Filme<br />

seien besser als österreichische.<br />

Aber der Ruf hat<br />

sich geändert. Im Iran bin<br />

ich zuletzt mit Filmstudenten<br />

zusammengekommen,<br />

die orientieren sich alle an<br />

Michael Haneke. Keiner seiner<br />

Filme wurde dort im Kino<br />

gezeigt, aber sie kennen<br />

die Filme. Ich bin eigentlich<br />

stolz auf die Filmlandschaften<br />

beider Länder.<br />

„Eine gute<br />

Filmlandschaft ist<br />

wichtig für<br />

gesellschaftliche<br />

Vielfalt“<br />

Houchang Allahyari<br />

Werden nicht zu wenige<br />

österreichische Filme verwirklicht?<br />

Sehr wohl. Die Förderungslandschaft<br />

ist sehr eng. Bei<br />

„Der letzte Tanz“ hat es fünf<br />

Jahre gedauert, bis die Finanzierung<br />

möglich wurde. Einige<br />

Regelungen <strong>sind</strong> kontraproduktiv,<br />

es ist schwierig,<br />

das Handwerk zu üben,<br />

wenn man nur alle paar Jahre<br />

ein Projekt realisieren<br />

kann. Ich habe den österreichischen<br />

Film gerade sehr<br />

gelobt, aber diese Entwicklung<br />

muss auch wahrgenommen<br />

werden und er kommt<br />

international sehr gut an. Da<br />

muss mehr Geld kommen.<br />

Ich habe das goldene Verdienstzeichen<br />

<strong>Wien</strong>s bekommen,<br />

das ehrt mich, aber ich<br />

hätte lieber Geld bekommen,<br />

um einen Film zu machen, es<br />

ist ja dann doch kein Ehrenamt,<br />

Kultur zu machen, eine<br />

gute Filmlandschaft ist wichtig<br />

für die gesellschaftliche<br />

Vielfalt und Filme zu machen<br />

kostet Geld. Man muss<br />

vor allem aufhören, die Förderungsvergabe<br />

am Publikumserfolg<br />

zu messen.<br />

Wie spüren Sie die gesellschaftlichen<br />

Themen auf.<br />

Sind das mehr Erlebnisse<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

31


INTERVIEW<br />

oder Beobachtungen?<br />

Meine Beobachtungen <strong>sind</strong><br />

nicht distanziert, ich bin jemand,<br />

der in Gesellschaft<br />

ist, ich fahre immer mit der<br />

U-Bahn, ich bin immer unter<br />

Leuten, das bringt mir<br />

was, und ich will mich nicht<br />

von Menschen fernhalten,<br />

ich bin immer mit Menschen<br />

zusammen. Die Themen,<br />

die auftauchen, haben<br />

menschliche Aspekte, <strong>sind</strong><br />

menschliche Themen, es<br />

<strong>sind</strong> Tausende Themen in<br />

meinem Kopf, ich habe täglich<br />

40 Patienten, ich erlebe<br />

sehr viel und meine Persönlichkeit<br />

spielt in meinem<br />

Film natürlich eine Rolle.<br />

Der Kontext des Humanitären<br />

taucht oft bei Ihnen<br />

auf. Wie kamen Sie in diesen<br />

Nahbereich von Strafvollzug,<br />

Anstalten und der<br />

Flüchtlingsthematik?<br />

Da haben auch wichtige Zufälle<br />

beigetragen. Ich war<br />

Neurologe im Unfallspital<br />

bei Prof. Lorenz Böhler, und<br />

wollte eine Veränderung. Da<br />

war eine Stelle in der Justiz<br />

ausgeschrieben, und das hat<br />

mir mehr zugesagt. Und mit<br />

Flüchtlingen war ich immer<br />

in Kontakt, weil Frau Bock<br />

meine Schwägerin ist.<br />

„Überall, wo wir den<br />

Teufelskreis von Vorurteilen<br />

durchbrechen, haben<br />

wir etwas gewonnen“<br />

Sie haben damals mit „Ute<br />

Bock for President“ das<br />

Thema im goldrichtigen<br />

Moment aufgegriffen, wie<br />

kam es dazu?<br />

Diese Frau habe ich schon<br />

immer bewundert, ich kenne<br />

sie seit meinem achtzehnten<br />

Lebensjahr, sie ist<br />

mein Liebling in der Familie.<br />

<strong>Wir</strong> haben auch oft zusammengearbeitet.<br />

Bis ich<br />

dann eines Tages sagte:<br />

„Ute, ich möchte einen Film<br />

über dich machen.“ Und<br />

danach kam noch einer, weil<br />

sie so viele Geschichten hat,<br />

dass sie gar nicht einen Film<br />

hineinpassen.<br />

Der Film ist auch im Konfliktfeld<br />

von rechtlicher<br />

und moralischer Schuld<br />

und Unschuld angesiedelt.<br />

Wie stehen Sie zum Strafvollzug?<br />

Ich bin im allgemeinen<br />

nicht gegen die Gesetze. Im<br />

Houchang Allahyari<br />

Film geht es um Sex mit einer<br />

entmündigten Person,<br />

und da gibt es Gesetze, die<br />

die Patienten schützen. Es<br />

kommt auch darauf an, wie<br />

die Gesellschaft das Gesetz<br />

interpretiert, wie viele Vorurteile<br />

vorhanden <strong>sind</strong>,<br />

wenn zum Beispiel alten<br />

Menschen ihre Sexualität<br />

abgesprochen wird, weil das<br />

ein Tabu ist. Da kann dann<br />

ein solcher Vorfall als Vergewaltigung<br />

ausgelegt werden<br />

und die Strafe ist dann eine<br />

andere. Gesellschaftliche<br />

Vorurteile spielen da eine<br />

große Rolle.<br />

Wie kann man Vorurteilen<br />

entgegenwirken?<br />

Ich finde da auch keinen<br />

Ausweg, ich bin kein Guru,<br />

der sagt, wo es langgeht.<br />

Man kann nur versuchen,<br />

die Vorurteile der Leute zu<br />

reduzieren, korrigieren<br />

kann man sie nicht. Im<br />

Hintergrund <strong>sind</strong> diese Vorurteile<br />

immer da, wie schon<br />

gesagt, derzeit sehr stark gegen<br />

Ausländer. Mir gegenüber<br />

ist das nicht so stark,<br />

weil die Leute wollen was<br />

von mir als Arzt, aber die<br />

umgekehrte Situation will<br />

ich mir gar nicht vorstellen,<br />

und die betrifft die meisten.<br />

Können sie irgendeinen<br />

Ursprung dieser Vorurteile<br />

festmachen?<br />

Also zum Beispiel die populistischen<br />

Politiker der letzten<br />

Jahrzehnte erzeugen die<br />

diese Vorurteile, oder<br />

schöpfen sie sie nur ab?<br />

Ich glaube Zweiteres. Die<br />

Fotos:beigestellt<br />

32 smartguide für GANZ WIEN


Der Film „Bock for President“ porträtiert Ute Bock,<br />

eine für ihr Engagement für Flüchtlinge bekannte österreichische<br />

Erzieherin. Nicht nur ihre Arbeit, sondern auch<br />

die aktuelle Situation von Asylwerbern und Flüchtlingen<br />

in Österreich werden dabei thematisiert.<br />

t<br />

In „Der letzte Tanz“ nimmt sich Regisseur Houchang<br />

Allahyari dem Tabu Sexualität im Alter an.<br />

t<br />

Populisten <strong>sind</strong> nicht der<br />

Ursprung. Der Ursprung ist<br />

wohl eher in der Familie.<br />

Wenn zwei, drei Leute zusammenkommen,<br />

beginnen<br />

die Vorurteile. Man wird<br />

mehr oder weniger geimpft.<br />

Und später entwickelt man<br />

sich dann von dort aus. Da<br />

geht es auch um Ängste, die<br />

in der psychodynamischen<br />

Entwicklung entstehen, aus<br />

dem, was man sieht, auch<br />

über Politik, Medien, über<br />

Einflüsse von Freunden und<br />

Bekannten. Ängste <strong>sind</strong><br />

nicht erblich, sie <strong>sind</strong> ein<br />

Verhalten, das man annimmt,<br />

und da muss man<br />

selbst schauen, woher sie<br />

kommen.<br />

Woher kommen die gesellschaftlichen<br />

Ängste?<br />

Politik und Medien spielen<br />

eine große Rolle, die <strong>Wir</strong>tschaft,<br />

die Arbeitslosigkeit<br />

schüren Ängste. Ängste <strong>sind</strong><br />

Emotionen. Es gibt sehr viele<br />

Faktoren, die dazu führen,<br />

dass man emotional vorgeht,<br />

ohne zu wissen warum. Und<br />

eines führt zum anderen.<br />

Die Propaganda, die von<br />

diesen Seiten kommt, verursacht<br />

diesen Teufelskreis.<br />

Und überall, wo wir einen<br />

Teufelskreis durchbrechen,<br />

haben wir was gewonnen, ob<br />

es ein Film ist oder ein Zeitungsartikel.<br />

Das darf man<br />

nicht aufgeben. Es ist nicht<br />

der Tropfen im Meer, sondern<br />

der stete Tropfen, der<br />

den Stein höhlt.<br />

Sie haben lange als Psychiater<br />

in einer Strafanstalt gearbeitet<br />

und in Ihren Filmen<br />

ist Strafvollzug ein<br />

wiederkehrendes Thema.<br />

Wie stehen Sie zum Thema<br />

Verbrechen und Strafe?<br />

Wenn sie jemandem die<br />

Freiheit wegnehmen, kann<br />

er nicht leben. Es gibt Leute,<br />

die leider lernen, in dieser<br />

Atmosphäre zu sein, dadurch,<br />

dass sie so oft dort<br />

waren. Freiheitsentzug kann<br />

die Menschen kaputtmachen.<br />

Eine Gesellschaft ohne<br />

Gefängnisse ist aber leider<br />

eine Utopie.<br />

Wie kann sich unter Freiheitsentzug<br />

bessern?<br />

Das ist sehr ambivalent. Ich<br />

war in der Justizanstalt Favoriten,<br />

einer Therapieanstalt<br />

hauptsächlich für Drogenabhängige<br />

und ich fand<br />

das absurd: Wie kann man<br />

in Unfreiheit eine Therapie<br />

machen. Ich bin eigentlich<br />

dagegen, jemanden für eine<br />

Therapie einzusperren. Man<br />

versucht mittlerweile auch<br />

schon, die Therapie außerhalb<br />

des Gefängnisses zu<br />

machen, wenn der Richter<br />

es erlaubt. Aber trotzdem<br />

<strong>sind</strong> die Gefängnisse voll.<br />

Arzt und Künstler, das hat<br />

sich in der Kunstgeschichte<br />

schon sehr oft als günstige<br />

Mischung erwiesen. Profitieren<br />

die beiden Berufe<br />

direkt voneinander?<br />

Ja tatsächlich, es gibt viele<br />

Mediziner/Künstler, aber<br />

Filmemacher kenne ich eigentlich<br />

keine. Ich habe nie<br />

versucht, einen wissenschaftlich<br />

korrekten psychiatrischen<br />

Film machen, ich<br />

bin dagegen und ich filme<br />

keine psychiatrischen Angelegenheiten.<br />

Ich filme, was<br />

mich bewegt, und ich kann<br />

nicht vermeiden, dass mein<br />

Beruf unbewusst in mir<br />

drinnen ist. Ich gehe nie<br />

sehr bewusst vor. Bei mir<br />

<strong>sind</strong> aber beide Berufe darin<br />

eine Einheit, dass ich mit<br />

Leuten zu tun habe. Ich mag<br />

Vorstellungen, nach denen<br />

ich mit dem Publikum sprechen<br />

kann, am liebsten. ich<br />

mag den Kontakt mit den<br />

Emotionen und Reflexionen,<br />

ebenso ist es auch in<br />

der Arbeit als Arzt.<br />

Danke für das Gespräch.<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

33


n Der in Moskau<br />

geborene Sänger<br />

Georgij Makazaria<br />

ist Frontman der<br />

aus „Willkommen<br />

Öster reich“ bekannten<br />

Turbo-Polka-<br />

Formation Russkaja<br />

INTERVIEW: THOMAS BRANDSTÄTTER FOTOS: SEBASTIAN FREILER


INTERVIEW<br />

Mit Russkaja bringt Georgij Makazaria wöchentlich Humor<br />

und Rhythmus in Österreichs Wohnzimmer. <strong>Wir</strong> sprachen mit ihm über seine Anfänge in<br />

Österreich und seine Integration durch Musik.<br />

WILLKOMMEN<br />

(IN) ÖSTERREICH<br />

War es schwierig für Sie,<br />

sich in Österreich zu integrieren?<br />

Absolut nicht. Die Sprache<br />

zu lernen war die größte<br />

Aufgabe. Ich bin 1989 als Jugendlicher<br />

aus Russland gekommen,<br />

also eigentlich aus<br />

der damaligen Sowjetunion<br />

und es ging eigentlich alles<br />

ganz reibungslos. Das war<br />

knapp vor dem Zerfall der<br />

UdSSR.<br />

Worin besteht Integration<br />

für Sie?<br />

Für mich war das das Reinkommen<br />

in die Sozialisierung<br />

mit Österreichern, aber<br />

auch unter den vielen Ausländern<br />

unterschiedlichster<br />

Herkunft, mit denen ich in<br />

der Schule war. Bei der offiziellen<br />

Seite der Integration<br />

hatte ich Glück. Damals gab<br />

es in Russland die Gefahr, in<br />

den Krieg gegen Georgien<br />

eingezogen zu werden, da<br />

hätte ich schon kämpfen<br />

müssen, wenn ich hier nicht<br />

die Staatsbürgerschaft bekommen<br />

hätte. Dafür, dass<br />

mir das erspart wurde, bin<br />

ich sehr dankbar.<br />

Sind Sie auch stark in der<br />

russischen Community in<br />

<strong>Wien</strong> verbunden?<br />

Ich kenne einige Russen bzw.<br />

Leute aus der ehemaligen<br />

Sowjetunion in <strong>Wien</strong>, aber<br />

ich bin heute so ins Familienleben<br />

und in die Arbeit<br />

eingebunden, dass sehr wenig<br />

Zeit bleibt, um auszugehen<br />

und die Kontakte, egal<br />

aus welcher Community, zu<br />

pflegen. Am ehesten kommt<br />

es dazu im Zusammenhang<br />

mit meinem Side-Project<br />

„Russian Gentleman Club“,<br />

da spielen wir von tradi -<br />

tionell über nostalgisch bis<br />

folkloristisch, und bei sol-<br />

„Die Musik war<br />

das verbindende<br />

Element.“<br />

Georgij Makazaria<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

35


INTERVIEW<br />

chen Events wollen die Russen<br />

schon auch einmal Kalinka<br />

hören.<br />

Haben sie schon immer Musik<br />

gemacht?<br />

Ich war in der Sowjetunion<br />

im Pionier-Chor. Die Pio niere<br />

waren die staatliche<br />

Jugendorganisation in der<br />

UdSSR. Der Chorleiter hat<br />

mich eines Tages als erste<br />

Stimme eingeteilt, worauf<br />

meine Mutter mir sofort das<br />

volle Jungtalent-Paket verpasst<br />

hat. Es inkludierte Musikschule,<br />

privaten Klavierunterricht,<br />

Gesangsstunden und<br />

Üben ohne Ende. So hat das<br />

begonnen.<br />

Hat die Musik bei der<br />

Integration geholfen?<br />

Ja, sogar ganz direkt. Die<br />

Musik war das verbindende<br />

Element. Ich kam zuerst in<br />

den Polytechnischen Lehrgang,<br />

und das war ziemlich<br />

in Ordnung, denn das war<br />

ein gutes Einstiegsniveau,<br />

um Deutsch zu lernen.<br />

Jedenfalls konnte ich die<br />

Sprache anfangs noch kaum,<br />

aber ich hatte eine Gitarre.<br />

Mit der saß ich in der Pause<br />

am Gang und hab mir das<br />

Spielen beigebracht. Und<br />

dann kam der Erste und sagte:<br />

„Ich habe zu Hause ein<br />

Schlagzeug, komm einfach<br />

36 smartguide für GANZ WIEN<br />

mal bei mir vorbei.“ Dann<br />

kam noch einer mit einem<br />

Keyboard. Und so kam es<br />

dann schon zur ersten Band.<br />

Und daraus wurde dann die<br />

Musiker-Karriere?<br />

Es ist alles sehr gut aufgegangen<br />

und gewachsen, mittlerweile<br />

ist Russkaja ein internationaler<br />

Act. Begonnen hat<br />

das 2005 im Club Ost und<br />

dann in den Bundesländern.<br />

Das neue Album, das im<br />

Sommer herauskommt, heißt<br />

„Peace, Love and Russian<br />

Roll“. Da hatte ich die Ehre,<br />

im Produzentenduo mit<br />

Engel Mayr zu arbeiten. <strong>Wir</strong><br />

können es alle kaum erwarten,<br />

das neue Album endlich<br />

fertig in der Hand zu haben.<br />

Es wird teilweise punkiger,<br />

teils rockiger, dann balladesk<br />

und sogar countryesk. Aber<br />

es bleibt immer Russkaja,<br />

auch wenn es mal härter zur<br />

Sache geht.<br />

n Russkaja ist eine Band, an der niemand vorbeischauen und –<br />

hören kann. Vor allem, seit das Septett die Studiokapelle von<br />

„Willkommen Österreich“ geworden ist.<br />

Woher kommt die Inspiration<br />

beim Songwriting?<br />

Ach, die Ideen kommen<br />

überall, wo es Geräusche<br />

oder Melodien gibt. Ich singe<br />

alles, was mir einfällt, auf<br />

mein Telefon und schreibe<br />

ganze Songtexte auf Servietten<br />

oder was immer ich in die<br />

Hände bekomme. Einmal habe<br />

ich im Flugzeug einen ganzen<br />

Song auf einem „Speib -<br />

sackerl“ niedergeschrieben,<br />

das hab ich sogar aufgehoben,<br />

weil es so grotesk war.<br />

Wann kam dann das Fernsehen<br />

dazu?<br />

Fotos: Sebastian Freiler, www.picturedesk.com (1)


„Wenn das Leben<br />

dir 100 Gründe<br />

gibt zu weinen,<br />

zeige, dass du<br />

1.000 Gründe hast<br />

zu lachen!“<br />

Georgij Makazaria<br />

„Willkommen Österreich“<br />

begann 2008, als die Produktionsfirma<br />

das Konzept der<br />

Sendung umstrukturierte<br />

und sich für eine Live-Band<br />

entschieden hat, da wurden<br />

wir gefragt.<br />

Wie ist die Arbeit mit Stermann<br />

und Grissemann?<br />

Ich vermute, sie haben uns<br />

genommen, weil es ein guter<br />

Kontrast ist. Allein eine russische<br />

Band in „Willkommen<br />

Österreich“, das passt schon<br />

zu den ironischen, satirischen<br />

Klängen, die da eingeschlagen<br />

werden. Die Arbeit ist tatsächlich<br />

sehr lustig, Dirk und<br />

Christoph <strong>sind</strong> wirklich<br />

spontan, wortgewandt,<br />

manchmal mit erfrischend<br />

scharfer Zunge, das macht<br />

Spaß. Bei der Aufzeichnung<br />

selbst ist konzentrierte Arbeitsatmosphäre<br />

angesagt.<br />

Oft <strong>sind</strong> die misslungenen<br />

Beiträge gerade deswegen<br />

witzig, weil die beiden es sehr<br />

gut meistern, über sich selbst<br />

zu lachen. Es <strong>sind</strong> schon 8<br />

Jahre vergangen, dennoch ist<br />

es nie zur langweiligen Routine<br />

gekommen, jede Sendung<br />

ist eine neue, interessante Herausforderung;<br />

eine Besonderheit<br />

für uns ist jedes Mal,<br />

wenn wir mit musikalischen<br />

Gästen kooperieren.<br />

Es gibt ja am Anfang jeder<br />

„Willkommen Österreich“-<br />

Sendung ein weises Wort<br />

von Ihnen, hätten Sie für unsere<br />

Leser auch eines im Integrationszusammenhang?<br />

Wenn das Leben dir 100<br />

Gründe gibt zu weinen, zeige,<br />

dass du 1.000 Gründe<br />

hast zu lachen. Friede für<br />

dein Zuhause.<br />

Georgij<br />

Makazaria<br />

Georgij Makazaria kam 1989<br />

nach Österreich und<br />

gründete 2005 die Band Russkaja,<br />

die in Österreich den Turbo-<br />

Polka-Balkan-Punk-Hype des<br />

letzten Jahrzehnts einläutete.<br />

Seit 2008 ist Russkaja fester Bestandteil<br />

der wöchentlichen TV-<br />

Show im ORF „Willkommen<br />

Österreich“. Im Sommer 2015<br />

erscheint das neue Album<br />

„Peace, Love & Russian Roll“.<br />

www.russkaja.com<br />

www.r-g-c.at<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

37


INTERVIEW<br />

INTEGRATION<br />

DURCH LEISTUNG<br />

INTERVIEW: THOMAS TRIMMEL<br />

Robin Lumsden ist zugelassener <strong>Wir</strong>tschaftsanwalt in New York und<br />

Österreich. Als Integrationsbotschafter setzt er sich für eine neue<br />

Willkommenskultur ein.<br />

Herr Lumsden,<br />

Sie waren<br />

professioneller<br />

Tennisspieler,<br />

haben<br />

über fünfzehn Jahre in der<br />

AFBÖ (Österreichische Football<br />

Leage) gespielt, eine Ausbildung<br />

beim Jagdkommando<br />

des österreichischen Bundesheeres<br />

absolviert und<br />

<strong>sind</strong> zugelassener Anwalt in<br />

Österreich und New York.<br />

Welche Bedeutung hat für Sie<br />

Leistung im Zusammenhang<br />

mit Integration und Gesellschaft?<br />

Ich habe relativ früh gelernt,<br />

dass es mit einem anderen<br />

Phänotyp, einer anderen<br />

Hautfarbe schon manchmal<br />

schwerer oder komplizierter<br />

ist, seine Ziele zu verwirklichen.<br />

Ich habe mir dann immer<br />

gesagt: „Ich muss zeigen,<br />

was in mir steckt.“ Das habe<br />

ich dann versucht, über meine<br />

Leistungen zu beweisen. Ich<br />

wollte bessere Leistungen erbringen<br />

und so andere von<br />

mir überzeugen.<br />

Sie überspringen also die<br />

Hürden, die Ihnen in den<br />

Weg gestellt werden?<br />

Genau, so in etwa kann man<br />

das sagen.<br />

Wie sehen Sie in diesem<br />

Zusammenhang das Thema<br />

Chancengleichheit?<br />

Vorweg möchte ich sagen,<br />

dass ich immer wieder aufgrund<br />

meiner Ausbildung als<br />

privilegiert erachtet wurde –<br />

das stimmt so nicht ganz. Natürlich<br />

waren meine Eltern als<br />

Vorbilder und Leistungsträger<br />

prägend. Leute, die diese Role<br />

Models nicht haben, haben es<br />

selbstverständlich schwerer. In<br />

Österreich wird bis heute Bildung<br />

und Wohlstand zu<br />

einem großen Teilvererbt.<br />

Bildung ist also stark vom<br />

Elternhaus abhängig. Aber ich<br />

bin schon der Meinung, dass<br />

man mit Leistung und Willen<br />

etwas erreichen kann. Für<br />

mein Studium in Berkeley habe<br />

ich 70.000 Euro Kredit aufgenommen.<br />

Ich habe das Risiko<br />

gewagt und es als Investition<br />

in meine Zukunft gesehen.<br />

Wie gehen Sie und Ihre<br />

Kanzlei mit dem Thema um?<br />

Würden Sie jemandem die<br />

Chance einräumen, sich zu<br />

beweisen?<br />

Ein klares Ja. <strong>Wir</strong> versuchen<br />

unsere Kanzlei sehr offen zu<br />

führen, sodass sich jeder Mitarbeiter,<br />

jede Mitarbeiterin<br />

frei entfalten und entwickeln<br />

kann. <strong>Wir</strong> stellen also nicht<br />

bloß Eliteabsolventen ein, wie<br />

das Anwaltskanzleien in manchen<br />

TV-Serien gerne tun.<br />

Natürlich muss jeder sein Asset<br />

mitbringen. Also irgendeinen<br />

Mehrwert muss er oder<br />

sie der Kanzlei bringen. <strong>Wir</strong>tschaftliches<br />

Verständnis, hohe<br />

Merkfähigkeit, Organisationstalent<br />

oder Ähnliches. <strong>Wir</strong> haben<br />

sogar einen Mitarbeiter<br />

ohne Juskenntnisse, der ist einer<br />

der effizientesten, was Organisation<br />

und Zuarbeit anbelangt,<br />

und ist enorm wichtig<br />

für die Kanzlei.<br />

Zurück zum Sport. Sie <strong>sind</strong><br />

auch im Präsidium des<br />

Österreichischen Tennisverbandes<br />

tätig. Welchen Stellenwert<br />

haben Sport und Vereinskultur<br />

in Österreich für<br />

das Thema Integration?<br />

Der Sport hilft ungemein bei<br />

der Integration. Denn im<br />

Sport ist es nicht wichtig, woher<br />

du kommst, sondern wasdu<br />

leistest. Auch <strong>sind</strong> vielerlei<br />

Fähigkeiten gefragt. Beim<br />

Football benötigen manche<br />

Spieler Ausdauer, manche<br />

Kraft, manche Geschwindigkeit.<br />

Alle bekommen eine<br />

Chance, wenn Sie sich einbringen<br />

und für das Team einsetzen.<br />

Gerade der Teamsport<br />

ist enorm wichtig für den integrativen<br />

Prozess, weil hier<br />

gruppendynamische Entwicklungen<br />

stattfinden, die zusammenschweißen<br />

und aus vielen<br />

Einzelpersonen ein Ganzes<br />

entstehen lassen.<br />

Wie in der Gesellschaft.<br />

Ja, zwischen Sport und Gesellschaft<br />

gibt es viele Parallelen.<br />

Wie sieht es hier mit dem Bereich<br />

der Fachkräfte-Akquise<br />

aus? Gibt es hier eventuell<br />

Dinge, die die <strong>Wir</strong>tschaft<br />

vom Sport lernen könnte.<br />

Das finde ich einen schönen<br />

Gedanken und es ist tatsächlich<br />

so. Beim Sport geht es um<br />

Leistung. Alles andere ist sekundär<br />

und wird dem untergeordnet.<br />

Der Verein signalisiert:<br />

„<strong>Wir</strong> wollen dich. Komm<br />

zu uns und wir schauen, dass<br />

es dir bei uns gut geht.“ Diese<br />

Willkommensmentalität vermisse<br />

ich noch ein bisschen in<br />

Österreich. Es ist an der Zeit<br />

zu sagen: „Ja, wir wollen qualifizierte<br />

Arbeitskräfte und sie<br />

<strong>sind</strong> herzlich willkommen.“<br />

Es hat sich schon sehr viel getan<br />

und das Punktesystem der<br />

Rot-Weiß-Rot-Karte finde ich<br />

grundsätzlich sehr gelungen.<br />

Einige Dinge könnten jedoch<br />

noch Verbessert werden.<br />

Zum Beispiel?<br />

Die Punktvergabe ist meiner<br />

Meinung nach noch nicht<br />

ganz optimal gelöst. Beispielsweise<br />

bekommt ein Bauarbeiter<br />

für grundlegende Sprachkenntnisse<br />

gleich viele Punkte<br />

Foto: beigestellt<br />

38 smartguide für GANZ WIEN


wie zum Beispiel jemand, der<br />

perfektes Fachdeutsch im Bereich<br />

Jus oder Medizin beherrscht.<br />

Auch die Befristung<br />

des Aufenthaltstitels auf ein<br />

Jahr halte ich für kontraproduktiv.<br />

Wenn man zuwandert,<br />

soll man sagen können: „Ich<br />

möchte nach Österreich, weil<br />

ich dort leben möchte“. Das<br />

ist eine langfristige Entscheidung,<br />

da reicht ein Jahr nicht<br />

aus. Aus rein psychologischer<br />

Sicht wirkt das eher abschreckend.<br />

Das heißt, die Rahmenbedingunen<br />

in Österreich sollten<br />

adaptiert werden?<br />

Ja und Nein. Ich finde, Österreich<br />

ist ein sehr pluralistischer,<br />

multikultureller Staat<br />

und ist sich dessen auch bewusst.<br />

Viele Dinge werden bereits<br />

getan, aber natürlich gibt<br />

es noch viel Verbesserungspotenzial.<br />

Hier gibt es zahlreiche<br />

Best Practices aus Kanada und<br />

Australien.<br />

Sprechen Sie von bürokratischen<br />

Hürden?<br />

Ja, ich denke, wenn der Einwanderungsprozess<br />

qualifizierter<br />

Menschen einfacher<br />

gestaltet würde, gäbe es noch<br />

mehr, die sich bewusst für<br />

Österreich als neuen Lebensmittelpunkt<br />

entscheiden würden.<br />

Wie im Sport sollte die<br />

Botschaft sein: „<strong>Wir</strong> wollen<br />

dich.“ Dass die Einwanderunskriterien<br />

transparent gemacht<br />

wurden, finde ich einen<br />

wichtigen Schritt in die<br />

richtige Richtung.<br />

Sie wünschen sich also eine<br />

aktivere Zuwanderungsstrategie<br />

im Sinne einer Willkommenspolitik<br />

für qualifizierte<br />

Fachkräfte?<br />

Genau. Es wäre wichtig, diese<br />

Botschaft zu vermitteln. Aber<br />

man sollte auch daran denken,<br />

diese Menschen zum Bleiben<br />

zu bewegen. Beispielsweise<br />

wird sehr viel Geld im Tourismus<br />

für Österreichwerbung<br />

INTERVIEW<br />

ausgegeben, um die Leute dazu<br />

zu bewegen, kurz in Österreich<br />

zu verweilen, Urlaub zu<br />

machen. Ein Teil dieser Gelder<br />

könnte sicher effektiv für die<br />

Bewerbung Österreichs als Lebensziel,<br />

nicht „bloß“ als Reiseziel<br />

verwendet werden.<br />

Welchen Wert hat für Sie als<br />

international agierender Anwalt<br />

das Thema interkulturelle<br />

Kompetenz?<br />

Andere Kulturen zu verstehen<br />

und zu deuten, ist ein wichtiger<br />

Bestandteil, ein wichtiges<br />

Asset in einer modernen, globalisierten<br />

<strong>Wir</strong>tschaft. Denn<br />

auch wenn man manchmal<br />

dieselbe Sprache spricht, gibt<br />

es doch kulturelle Unterschiede.<br />

Hier gilt es zu vermitteln.<br />

Kulturvielfalt bereichert, wir<br />

sehen das auch in unserer<br />

Kanzlei so. <strong>Wir</strong> haben Mitarbeiter<br />

verschiedenster Nationalitäten.<br />

Oft ist unsere Vielfalt<br />

auch ein Wettbewerbsvorteil<br />

gerade im internationalen<br />

Geschäft.<br />

„<strong>Wir</strong> wollen qualifizierte<br />

Arbeitskräfte<br />

und sie <strong>sind</strong> herzlich<br />

willkommen.“<br />

Robin<br />

Lumsden<br />

Dr. Robin L. Lumsden, LL.M.<br />

(Berkeley) ist Rechtsanwalt in<br />

<strong>Wien</strong> und New York und Honorarkonsul<br />

von Jamaika in Österreich.<br />

Seine juristische Ausbildung<br />

absolvierte er zunächst an<br />

der Universität <strong>Wien</strong>. Anschließend<br />

absolvierte er ein Postgraduate-Programm<br />

an der University<br />

of Berkeley (LL.M. 2005). Er<br />

ist spezialisiert in den Bereichen<br />

<strong>Wir</strong>tschaftsrecht, M&A, Umstrukturierungen,<br />

Gesellschaftsrecht<br />

sowie Vertragsrecht.<br />

Weiters ist Robin Lumsden Vizepräsident<br />

des Österreichischen<br />

Tennisverbandes (ÖTV) und<br />

Integrationsbotschafter von<br />

Österreichs Außenminister<br />

Sebastian Kurz.<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

39


INTERVIEW<br />

RESPEKT<br />

IST KOPFSACHE<br />

INTERVIEW: THOMAS BRANDSTÄTTER<br />

Integration ist Ihr Ressort.<br />

Die <strong>Wien</strong>er Stadträtin Sandra Frauenberger über Bewusstseinsbildung,<br />

Respekt und ihre politische Motivation.<br />

Fotos: www.picturedesk.com<br />

40 smartguide für GANZ WIEN


Gab es für Sie<br />

einen konkreten<br />

Auslöser,<br />

um in Frauenfragen<br />

aktiv<br />

zu werden?<br />

Die Ungleichbehandlung von<br />

Frauen hat mich bereits zu<br />

Beginn meiner politischen<br />

Aktivität bewegt. Ich war damals<br />

in der Gewerkschaft und<br />

Johanna Dohnal hat mich in<br />

den Arbeitskreis „Töchter<br />

können mehr“ geholt. Ziel<br />

war es, mehr Mädchen zu untypischen<br />

Berufen zu motivieren.<br />

Die Förderung, das<br />

Stärken von Frauen, ist bis<br />

heute eines meiner zentralen<br />

Anliegen.<br />

Wenn Sie in die Gesellschaft<br />

schauen, sehen Sie in der<br />

Gleichstellung von Frauen<br />

und Männern in der Berufswelt<br />

oder in der Privatwelt<br />

mehr Bedarf für Bewusstseinsbildung?<br />

Bis zur völligen Gleichstellung<br />

zwischen Männern und<br />

Frauen ist es noch ein weiter<br />

Weg. Bewusstseinsbildung ist<br />

dabei sicher ein ganz wichtiger<br />

Aspekt, denn das Private<br />

ist politisch. Mit unserer<br />

Kampagne „4Wände 4Hände“<br />

haben wir versucht, dazu zu<br />

motivieren, sich die unbezahlte<br />

Arbeit wie Kinderbetreuung<br />

und den Haushalt<br />

zwischen Frauen und Männern<br />

gerecht aufzuteilen. Darüber<br />

hinaus müssen wir natürlich<br />

auch gesellschaftliche<br />

Tatsachen erkennen und den<br />

passenden Rahmen zur Verfügung<br />

stellen. Ich denke da<br />

zum Beispiel an ausreichende<br />

und qualitativ hochwertige<br />

Kinderbetreuungsplätze, auch<br />

für unter 3-Jährige. Die Stadt<br />

<strong>Wien</strong> ist hier Vorreiterin und<br />

bietet mit dem Gratiskindergarten<br />

eine wichtige Unterstützung<br />

für Familien an.<br />

Kann man sich als Bürger<br />

auch richtig verhalten, ohne<br />

sich aller Ungerechtigkeiten<br />

unbedingt immer bewusst<br />

zu sein? Gibt es eine Abkürzung<br />

zum gleichgestellten<br />

Miteinander, eine Art<br />

Grundverhaltensregel?<br />

Unsere jüngste Kampagne<br />

„Der Bauch sagt: Respekt ist<br />

Kopfsache!“ setzt genau hier<br />

an. Zu überlegen, wie möchte<br />

ich selbst behandelt werden<br />

und meinem Gegenüber respektvoll<br />

zu begegnen, das<br />

muss eine Selbstverständlichkeit<br />

sein. Hautfarbe, Geschlecht,<br />

Alter oder sexuelle<br />

Orientierung dürfen dabei<br />

keinen Unterschied machen.<br />

Haben Sie schon einmal<br />

Fremdenfeindlichkeit oder<br />

Diskriminierung gegen sich<br />

selbst erfahren bzw. im Ausland<br />

gelebt?<br />

Diskriminierung passiert auf<br />

sehr vielen Ebenen. Ich denke,<br />

dass die meisten von uns<br />

schon einmal damit konfrontiert<br />

waren, wenn auch auf<br />

unterschiedliche Art und<br />

Weise. Das reicht von sexistischen<br />

Bemerkungen bis hin<br />

zu einem Job, den jemand<br />

nicht bekommt, weil er eine<br />

dunklere Hautfarbe hat.<br />

Wie sollte man spontan auf<br />

Ungerechtigkeiten, Gewalt<br />

oder Diskriminierung im<br />

öffentlichen Stadtalltag<br />

reagieren?<br />

Zivilcourage im Alltag ist für<br />

das Zusammenleben sehr<br />

wichtig. Es geht vor allem darum,<br />

nicht wegzusehen. Oft<br />

reicht es schon, einer Person<br />

zu verstehen zu geben, dass<br />

sie nicht alleine ist. Im<br />

schlimmsten Fall muss die<br />

Polizei verständigt werden.<br />

Was wäre der kleinste gemeinsame<br />

Nenner aus den<br />

vielen Agenden, Belangen<br />

und Zielen ihrer Funktion<br />

als Stadträtin?<br />

Das ist keine so leichte Frage.<br />

Mein Ressort reicht von Integration<br />

über die <strong>Wien</strong>er<br />

Märkte bis hin zur Wahlorganisation.<br />

Dabei sehe ich es<br />

nicht als meine Aufgabe, den<br />

kleinsten gemeinsamen Nenner<br />

zu finden, sondern möchte<br />

die Aufgaben in jedem einzelnen<br />

Bereich bestmöglich<br />

erledigen. Meistens dreht es<br />

sich um das Zusammenleben<br />

und das gute Miteinander<br />

aller. Das verstehe ich eher als<br />

das größte gemeinsame Vielfache.<br />

Wie organisiert man sich bei<br />

einer solchen Anzahl von<br />

Themen von gleich hoher<br />

Dringlichkeit? Wie setzt man<br />

Prioritäten?<br />

Gutes Terminmanagement!<br />

Auf Facebook sprachen sie<br />

kritisch vom „langen, steinigen<br />

Weg zur österreichischen<br />

Staatsbürgerschaft“.<br />

Ist das Erlangen der<br />

Staatsbürgerschaft mit dem<br />

Erreichen von Gleichberechtigung<br />

zu vergleichen?<br />

Die Einbürgerungsgesetze in<br />

Österreich gehören zu den<br />

strengsten Europas. Es gibt<br />

vergleichsweise hohe bürokratische,<br />

aber auch finanzielle<br />

Hürden, das habe ich mit<br />

dem „langen und steinigen<br />

Weg gemeint“. Sie müssen<br />

sich vorstellen, unser Recht<br />

macht in Österreich geborene<br />

Kinder zu AusländerInnen.<br />

Diese Kinder <strong>sind</strong> hier geboren<br />

und aufgewachsen, das<br />

Geburtsland ihrer Eltern kennen<br />

sie oft nur aus dem Urlaub.<br />

Dennoch müssen auch<br />

sie diesen teuren und schwierigen<br />

Weg auf sich nehmen,<br />

um rechtlich voll gleichgestellt<br />

zu sein. Denn die Staatsbürgerschaft<br />

ist nach wie vor<br />

der Schlüssel zur Partizipation:<br />

Wer keine Staatsbürgerschaft<br />

hat, darf nicht wählen.<br />

Darüber hinaus hat sich der<br />

Zuzug nach Österreich verändert<br />

und kommt heute vor<br />

allem aus der EU. Diese Menschen<br />

haben kaum Anreize,<br />

österreichische StaatsbürgerInnen<br />

zu werden. Daraus<br />

leite ich vor allem zwei Forderungen<br />

ab: Das Wahlrecht<br />

für AusländerInnen, die sich<br />

in <strong>Wien</strong> ihren Lebensmittelpunkt<br />

aufgebaut haben,<br />

sowie die Doppelstaatsbürgerschaft<br />

für in Österreich<br />

geborene Kinder ausländischer<br />

Eltern.<br />

Sie eilen allwöchentlich von<br />

Event zu Event, langweilen<br />

Sie sich manchmal in dieser<br />

Routine? Wie halten Sie ihr<br />

Interesse am oft „immer<br />

Gleichen“ wach?<br />

Ich kann glücklicherweise<br />

sagen, dass ich meinen Job<br />

wirklich sehr gerne mache.<br />

Kein Tag gleicht dem anderen.<br />

Natürlich gibt es Routinetermine,<br />

aber das gehört<br />

dazu und hat nichts mit Langeweile<br />

zu tun.<br />

Gibt es Ungerechtigkeiten,<br />

bei denen Ihnen „die Hutschnur<br />

platzt“?<br />

<strong>Wien</strong> hat eine klare Haltung<br />

gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit<br />

und jede Form<br />

der Diskriminierung. Wer<br />

<<br />

dagegen arbeitet, wird eine<br />

Gegnerin in mir finden, da<br />

kenne ich kein Pardon.<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

41


REPORTAGE<br />

MEI MEIDLING<br />

Eine schillernde Hutkünstlerin,<br />

eine orientalische Kunstgalerie<br />

und ein Stecktuchmacher!<br />

Und das alles in Meidling? Ja – denn so spannend und bereichernd offenbart<br />

sich die Vielfalt in Meidling für jene mit Entdeckergeist. Folgen Sie uns auf eine<br />

faszinierende Reise hinter die drei sehenswertesten Fassaden des 12. Bezirks.<br />

Kunstgalerie für junge Talente<br />

Abd A. Masoud stellt die Ausstellungsräume<br />

seiner Rearte Gallery internationalen<br />

Nachwuchskünstlern gratis zur Verfügung.<br />

Blickt man hinter die<br />

Fassaden, gibt es in<br />

Meidling einiges zu<br />

entdecken: Wer hätte geahnt,<br />

dass es in der Nähe des U4<br />

die wohl spannendste Hutkünstlerin<br />

der Stadt gibt?<br />

Oder dass sich in einer von<br />

außen unscheinbar wirkenden<br />

Mauer ein Haus erstreckt,<br />

das an Hundertwasser<br />

denken lässt? Oder dass<br />

sich in einem noch graueren<br />

Haus jene Wohnung befindet,<br />

von der aus kreative<br />

Stecktücher ihren Weg in die<br />

Modeszene zurückgefunden<br />

haben? Vermutlich könnte<br />

man sogar jeden Tag spannende<br />

Menschen wie jene<br />

entdecken, die hinter diesen<br />

unscheinbaren Fassaden im<br />

12. Bezirk leben und werken.<br />

Denn nicht nur in Meidling,<br />

in der ganzen Stadt lässt sich<br />

die wunderbare Vielfalt der<br />

Gesellschaft finden. Bisweilen<br />

muss man dafür mit offeneren<br />

Augen durch die Stadt<br />

gehen, hinter die Fassaden<br />

blicken und auch einmal eine<br />

Tür öffnen, ohne zu wissen,<br />

ob die Person dahinter einen<br />

freundlich empfängt oder<br />

aber abweist, aus welchen<br />

Gründen auch immer. Das ist<br />

nicht immer angenehm, und<br />

nicht immer öffnen sich die<br />

Türen. Wurden sie jedoch<br />

einmal geöffnet und hält<br />

man die Augen weiterhin offen,<br />

kann man in andere Welten<br />

eintauchen, die das Leben<br />

bereichern. Sie lassen einen<br />

auch erleben, wie bereichernd<br />

Vielfalt auch für die<br />

Gesellschaft selbst ist, wenn<br />

man sie erst einmal wahrnimmt<br />

und vor allem mit ihr<br />

Kontakt aufnimmt.<br />

Von außen wirkt das Haus in<br />

der Spießhammergasse 4 bescheiden,<br />

geradezu unscheinbar.<br />

Doch sobald man durch<br />

die Eingangstür in der Nähe<br />

des Meidlinger Bahnhofs<br />

geht, kommt man aus dem<br />

Staunen nicht mehr heraus.<br />

An den Wänden im Eingangsbereich<br />

hängen eindrucksvolle<br />

Bilder mit Kalligrafien, im<br />

Ausstellungsraum gibt es neben<br />

dem Raum an sich und<br />

den dort ausgestellten Bildern<br />

auch einen wunderschönen<br />

Kamin zu bewundern. Dessen<br />

orientalische Dekoration verweist<br />

auf die Herkunft des<br />

Hausbesitzers: Abd A. Masoud<br />

ist aus Jordanien und<br />

unterhält in dem Haus seit<br />

nunmehr fünf Jahren die „Rearte<br />

Gallery“. Den Ausstellungsraum<br />

stellt er internationalen<br />

Nachwuchskünstlern<br />

gratis zur Verfügung. Inzwischen<br />

ist er über Jahre ausgebucht,<br />

wie er erzählt.<br />

42 smartguide für GANZ WIEN


„Ich komme nun einmal aus einem<br />

mediterranen Land, da ist es einfach<br />

ein bisschen lauter“ Abd A. Masoud<br />

Liebe auf den<br />

ersten Blick<br />

So beschreibt Masoud seine<br />

Beziehung zu diesem Haus.<br />

Denn aus ihrem alten Haus<br />

im 13. Bezirk mussten er und<br />

seine Frau raus. Sie machten<br />

sich also auf die Suche und<br />

stolperten gleich im ersten Inserat<br />

über das Haus, das sie<br />

nun ihr Eigen nennen. „Ich<br />

kann mich erinnern, wie ich<br />

von der Aßmayergasse kam<br />

und dieses Portal mit der Stuckatur<br />

sah. Da habe mir gedacht:<br />

Ach, hoffentlich bekommen<br />

wir das!“, erzählt<br />

Masoud. Auch seine Frau verliebte<br />

sich auf Anhieb in das<br />

Haus. Nach <strong>Wien</strong> kam der<br />

Jordanier Mitte der 80er-Jahre.<br />

Er hatte an einer englischen<br />

Universität auf Zypern<br />

<strong>Wir</strong>tschaft studiert. Danach<br />

musste er sich entscheiden:<br />

<strong>Wien</strong> oder Madrid? „Mein Vater<br />

hat mir nicht erlaubt, nach<br />

Madrid zu gehen, weil die politische<br />

Lage unsicher war. Die<br />

Entscheidung fiel also auf<br />

<strong>Wien</strong>, da es ein bisschen ruhiger<br />

ist und nicht so weit weg.<br />

Man braucht ja nur vier Stunden<br />

nach Jordanien.“ Masoud<br />

schrieb sich also an der Webster<br />

Universität ein. Als im Jahr<br />

1992 die jordanische Botschaft<br />

in <strong>Wien</strong> eröffnete,<br />

fing er dort zu arbeiten an:<br />

„Ich war zuständig für die<br />

Konsularabteilung. Das ist eigentlich<br />

wie ein kleines Standesamt.“<br />

13 Jahre lang arbeitete<br />

er dort, zum Ausgleich<br />

fing er an, alte Möbel zu restaurieren.<br />

Neues Abenteuer<br />

Was dem Paar an ihrem neuen<br />

Haus in Meidling besonders<br />

gefiel, war die Tatsache,<br />

dass es baufällig war. Damit<br />

hatten sie weitgehend freie<br />

Hand bei den Umbauarbeiten.<br />

Doch parallel zum Job in<br />

der Botschaft wären diese<br />

kaum machbar gewesen. Also<br />

kündigte Masoud und ließ<br />

sich auf ein neues Abenteuer<br />

ein – und die Geschichte der<br />

Rearte Gallery nahm ihren<br />

Lauf. Begonnen hatte diese<br />

damit, dass Masoud einen<br />

Raum im Erdgeschoss als<br />

Ausstellungsraum herrichtete.<br />

Dort zeigte er Freunden seine<br />

eigenen Bilder – und dachte<br />

sich eines Tages: „Warum<br />

nicht anderen diese Chance<br />

geben?“ Den schmucken Kamin<br />

im Ausstellungsraum hat<br />

er selbst gebaut und Räume<br />

wie Garten liebevoll hergerichtet.<br />

Nicht ohne Grund wirken<br />

sie wie ein Kunstwerk, denn<br />

Masoud ist selbst Künstler: Er<br />

verarbeitet arabische Handschriften<br />

bzw. Kalligrafien in<br />

seinen Bildern. „Kalligrafien:<br />

einmal anders“ nennt er das.<br />

Anders ist daran, dass er sie<br />

nicht mit schwarzer Farbe auf<br />

weißem Hintergrund anfertigt.<br />

„Kalligrafie ist handwerklich<br />

etwas Schönes. Aber Kalligrafien<br />

<strong>sind</strong> fast wie auf der<br />

Schreibmaschine geschrieben.<br />

Für mich ist das zu hart“, erklärt<br />

er, warum er andere Wege<br />

ging. Im Unterschied zur<br />

traditionellen Kalligrafie arbeite<br />

er außerdem nicht auf<br />

Papier, sondern auf Leinwänden.<br />

Inspiration findet er in<br />

alten Handschriften, oft vermischt<br />

er verschiedene Handschriften<br />

und fügt sie zu einem<br />

neuen Bild zusammen.<br />

Ideen holt er sich aus Manuskripten<br />

zu Themen wie Astronomie,<br />

Mechanik, Zeitberechnung,<br />

Medizin oder Kartografie.<br />

„Ich nehme einzelne<br />

Blätter, sehe sie mir an und<br />

interpretiere sie neu“, erklärt<br />

er. „Es war wichtig, dass ich<br />

eine Nische finde, denn ich<br />

habe ja nicht Kunst studiert.“<br />

Diese Nische hat er in der Tat<br />

gefunden und hat seine Werke<br />

auch schon international ausgestellt.<br />

Neue Heimat<br />

Zugleich hat er in Meidling<br />

eine Heimat gefunden. Die<br />

Vielfalt des Bezirks habe ihn<br />

immer schon fasziniert: „Für<br />

mich ist hier Leben. Ich komme<br />

nun einmal aus einem<br />

mediterranen Land, da ist es<br />

ein bisschen laut“, meint er.<br />

Umso mehr freut er sich darüber,<br />

dass Meidling nun in<br />

Bewegung kommt, seitdem<br />

immer mehr junge Familien<br />

nach Meidling ziehen. „Ich<br />

habe meine schönsten Jahre<br />

hier verbracht“, sagt er. Nicht<br />

zuletzt deshalb freut er sich<br />

über Initiativen wie „<strong>Wir</strong> <strong>sind</strong><br />

12“, die neuen Schwung in<br />

den Bezirk bringen. Gerade<br />

bei ihnen habe er immer wieder<br />

einen „Aha-Effekt“ erzeugt.<br />

Denn mancher Aktivist<br />

habe erstaunt festgestellt, an<br />

seinem Haus auf dem Weg<br />

zum Kindergarten schon oft<br />

vorbeigekommen zu sein –<br />

ohne zu sehen, welche Schätze<br />

sich hinter den Mauern<br />

verbergen. Stolz ist Masoud<br />

aber auch darauf, dass er in<br />

den fünf Jahren des Bestehens<br />

seiner Galerie bereits 200<br />

KünstlerInnen ausgestellt hat,<br />

die aus allen Kontinenten<br />

kommen, um in Meidling<br />

auszustellen.<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

43


REPORTAGE<br />

Die Hutmacherin – mit Liebe und Leidenschaft<br />

für ausgefallene Kopfedeckungen<br />

Meidling und Kunst:<br />

Diese beiden Welten<br />

verbinden Masoud<br />

mit Karin Bergmayer.<br />

Sie hat ihr Atelier in der Nähe<br />

eines anderen Bahnhofs in<br />

Meidling: Gleich um die Ecke<br />

der U-Bahnstation Meidlinger<br />

Hauptstraße. Dass Bergmayer<br />

Hutmacherin geworden<br />

ist, scheint rückblickend<br />

wenig überraschend. „Es gibt<br />

so witzige Fotos, wo ich<br />

schon als Kind immer ein<br />

kleines Huterl aufhatte“,<br />

amüsiert sie sich. Ein solches<br />

findet sich auch auf ihrem<br />

Facebook-Auftritt, dort steht<br />

die Absolventin der Hutklasse<br />

der Modeschule Hetzendorf<br />

auf einem Hocker vor einem<br />

Osterstrauch – auf dem Kopf<br />

eine Art Matrosenhut mit<br />

Bommel. „Und auch da schon<br />

in Meidling“, hat sie darunter<br />

gepostet. Der 12. Bezirk ist<br />

der zweite rote Faden, der<br />

sich neben den Hüten durch<br />

ihr Leben zieht. Denn Bergmayer<br />

hat „ganz, ganz, ganz,<br />

lange, tiefe Meidling-Wurzeln“,<br />

wie sie sagt. Ihre Großmutter<br />

wohnte in dem Haus<br />

in einer Seitengasse der<br />

Schönbrunner Straße, in dem<br />

Bergmayer ihre Hüte kreiert.<br />

Nach dem Tod der Großmutter<br />

war Bergmayer in deren<br />

Wohnung eingezogen, das<br />

Atelier hat sie Ende der<br />

1980er-Jahre dazu gemietet.<br />

„Die andere Großmutter hatte<br />

in der Singrienergasse ein<br />

44 smartguide für GANZ WIEN<br />

Karin Bergmayer alias „Die Hutmacherin“ hat sich als schillerndes<br />

Meidlinger Urgestein ganz dem traditionellen Handwerk verschrieben.<br />

An Konventionen hält sie sich die Kreative trotzdem nicht.<br />

kleines Lebensmittelgeschäft.<br />

Auch meine Eltern <strong>sind</strong> natürlich<br />

aus Meidling und haben<br />

sich hier kennengelernt.“<br />

Bergmayer selbst wohnte bis<br />

zu ihrem siebten Lebensjahr<br />

im 12. Bezirk, nach Meidling<br />

kehrte sie für die Ausbildung<br />

an der Modeschule Hetzendorf<br />

zurück. Dort ging sie ihrer<br />

Hut-Leidenschaft nach<br />

und absolvierte die Hutklasse<br />

– bzw. sie ließ sich zur Modistin<br />

ausbilden, wie der Ausbildungszweig<br />

korrekt heißt.<br />

Hutobjekte: So bezeichnet<br />

Bergmayer ihre Produkte.<br />

Konventionell <strong>sind</strong> ihre Hüte<br />

nicht, vielmehr sehen sie in<br />

der Tat wie Kunstobjekte aus.<br />

Heute stelle sie nur noch<br />

„kleinere“ Hüte aus, denn für<br />

die größeren hat sie in ihrem<br />

Atelier nicht mehr genug<br />

Platz. „Einen ganzen Schrebergarten<br />

am Kopf“: So beschreibt<br />

sie augenzwinkernd


n In Karin Bergmayers<br />

Atelier gibt es Hüte, Kappen<br />

und Kopftücher in unterschiedlichen<br />

Designs –<br />

jedes Objekt ein<br />

Einzelstück.<br />

„Ich nenne mein Label Hutobjekte,<br />

weil es einfach keine normalen Hüte <strong>sind</strong>,<br />

sondern kleine Kunstobjekte“<br />

Karin Bergmayer<br />

diese großen Hutobjekte. Betrachten<br />

kann man sie noch<br />

auf ihrer Homepage: „Die Sachen<br />

habe ich noch, weil die<br />

komischerweise noch keiner<br />

gekauft hat“, sagt sie und<br />

lacht. In ihrem Atelier gibt es<br />

Hüte, Kappen und Kopftücher<br />

in unterschiedlichen Designs<br />

– jedes Objekt ein Einzelstück.<br />

Für Männer gibt es<br />

„Caps“, wie Bergmayer sie<br />

nennt. Die Idee dazu entstand<br />

aus einem eigenen Hobby heraus,<br />

denn sie hört gerne<br />

Swing und hat selbst angefangen<br />

Swing zu tanzen. „In dieser<br />

Szene versuchen sehr viele,<br />

sich einigermaßen authentisch<br />

zu stylen.“ Also fing sie<br />

vor etwa zehn Jahren an, diese<br />

selbst zu produzieren. Die<br />

Männer können sich die Stoffe<br />

selbst aussuchen: „Wenn<br />

jetzt einer zu einem Anzug<br />

dazu das Cap haben will und<br />

noch Stoff übrig hat, aus dem<br />

er den Anzug hat machen lassen,<br />

ist das natürlich eine tolle<br />

G’schicht.“<br />

Schmuckkastel<br />

Ob sie von den Hutkünsten<br />

leben kann? „Man macht’s<br />

nicht in erster Linie, um reich<br />

zu werden, speziell ich nicht “,<br />

stellt sie fest. Um sich die Hutkunst<br />

leisten zu können, hat<br />

Bergmayer immer Nebenjobs<br />

in der Garderobe gemacht – in<br />

den Bundestheatern, der<br />

Oper, bei den Salzburger Festspielen<br />

und im ORF. Außerdem<br />

sei sie nicht anspruchsvoll.<br />

Allerdings bedauert sie<br />

ein wenig, dass sie kein Geschäftslokal<br />

hat. Ihr Atelier<br />

nämlich liegt im Halbstock<br />

und man stolpert nicht unbedingt<br />

darüber, wenn man am<br />

Haus vorbeigeht. „Aber irgendwie<br />

vergeht auch die Zeit<br />

und man richtet sich das her,<br />

hängt total dran und fühlt sich<br />

sehr wohl hier.“ Im Laufe der<br />

Jahre hat Bergmayer aus ihrem<br />

Atelier geradezu ein<br />

Kunstwerk gemacht. Dekorativ<br />

<strong>sind</strong> schon die Wände, die<br />

Hutobjekte auf Regalen und<br />

Ständern <strong>sind</strong> Dekoration und<br />

Ausstellungsstücke zugleich.<br />

Dazu kommen Schmuck und<br />

andere Kunstobjekte, nicht zu<br />

vergessen die neuen Produkte<br />

ihrer Kollektion: „Gschirrln“<br />

für Möpse, die sie unter dem<br />

Label „Mopsfidel“ vertreibt.<br />

„Das ist eigentlich sehr privat<br />

hier, aber es ist auch bewusst<br />

so, weil das ist ja kein Geschäft.<br />

Man sitzt da und plaudert<br />

oder probiert in Ruhe,<br />

das gefällt auch vielen Leuten<br />

auf der anderen Seite wieder.“<br />

In der Tat kann man sich<br />

kaum sattsehen und bekommt<br />

Lust, die verschiedenen<br />

Hüte und Kappen<br />

durchzuprobieren, um das<br />

eine Hutobjekt zu finden, das<br />

wie angegossen auf den eigenen<br />

Kopf passt – oder vielleicht<br />

auch gleich mehrere.<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

45


REPORTAGE<br />

n Die Belebung des<br />

Meidlinger Marktes<br />

hat den 12. Bezirk<br />

zu seiner <strong>Wien</strong>er<br />

Heimat werden lassen,<br />

wie Arnim<br />

Wahls erzählt.<br />

Der Kavalier mit Stecktuch<br />

Nicht weit entfernt von<br />

Bergmayers Ateiler<br />

liegt die dritte Entdeckung,<br />

die man in Meidling<br />

machen kann: Die Urban Cavaliers.<br />

Allerdings lässt einen<br />

das Haus an der Adresse, die<br />

auf dem schicken und höchstprofessionellen<br />

Internet-Auftritt<br />

angegeben ist, ratlos zurück:<br />

Vergeblich sucht man<br />

nach einem Firmenschild. Zumindest<br />

eine Boutique würde<br />

man erwarten, in der man die<br />

Stecktücher erstehen könnte,<br />

die von den Urban Cavaliers<br />

vertrieben werden – so überraschend<br />

das inmitten dieser<br />

Meidlinger Wohngegend<br />

auch erscheinen mag. Das ist<br />

nur einer von vielen Widersprüchen,<br />

den Arnim Wahls<br />

ausmacht. Zwar produziert er<br />

so klassische Accessoires wie<br />

Stecktücher, die Meidlinger<br />

Adresse aber ist seine private,<br />

er wohnt dort mit seiner<br />

Freundin Daniela Weihbrecht.<br />

Von ihrer kleinen Dachgeschoss-Wohnung<br />

aus schupfen<br />

die beiden das Stecktuch-<br />

Geschäft. Weihbrecht macht<br />

die Buchhaltung und hilft,<br />

„wo Not am Manne ist“, wie<br />

sie es ausdrückt.<br />

tücher fallen allein schon wegen<br />

der bunten Farben und<br />

kreativen Muster heraus: „Ich<br />

mag an sich lieber unauffällige<br />

Kleidung, aber mit ein paar<br />

Akzenten drinnen. Bunte Socken<br />

oder Schnürsenkel zum<br />

Beispiel. Da haben Stecktücher<br />

perfekt gepasst.“ Es ist<br />

kein Zufall, dass dem Profi-<br />

Webauftritt eine Home-Boutique<br />

gegenübersteht. Für beide<br />

ist der Verkauf der Stecktücher<br />

mehr ein Hobby: „Ich<br />

wollte mir nie finanziellen<br />

Druck machen, dass ich damit<br />

Geld verdienen muss. Sonst<br />

schafft man so ein Projekt<br />

nicht, ohne sich an die Masse<br />

anzupassen“, sagt Wahls. Das<br />

Stecktuch hat Wahls in <strong>Wien</strong><br />

entdeckt: „Hier tragen eigentlich<br />

viele Leute Einstecktücher<br />

Bunte Stecktücher<br />

Es <strong>sind</strong> keine klassischen<br />

Stecktücher, vielmehr spielt<br />

Wahls mit dem Widerspruch.<br />

Von Beruf ist er Personalberater,<br />

wo der Anzug die klassische<br />

wie erwartete Kleidung<br />

des Mannes ist. Ein Stecktuch<br />

würde sich eigentlich perfekt<br />

einreihen, doch Wahls Steckund<br />

sie <strong>sind</strong> mir hier das erste<br />

Mal als Accessoire aufgefallen.“<br />

Genauso international,<br />

wie die Absatzmärkte ist die<br />

Produktion. Die ersten Designs<br />

haben Wahl und Weihbrecht<br />

gemeinsam gemacht.<br />

Die anderen kommen von<br />

Designern aus den USA, Kanada<br />

und Großbritannien, die<br />

sie im Internet gefunden haben.<br />

Firmen zu finden, die<br />

Seidentücher bedrucken, ist<br />

nicht leicht, wie Wahls erzählt.<br />

In den USA wurde er fündig.<br />

Einmal bedruckt, geht die<br />

Ware nach Italien. Dort wiederum<br />

hat Wahls eine Werkstatt<br />

gefunden, welche die<br />

Tücher zu akzeptablem Preis<br />

und in guter Qualität „rollierte“,<br />

ihnen also einen schönen<br />

Rand verpasst. Von Italien aus<br />

46 smartguide für GANZ WIEN


REPORTAGE<br />

n Das Stecktuch<br />

hat Wahls in <strong>Wien</strong><br />

entdeckt: „Hier<br />

tragen eigentlich<br />

viele Leute<br />

Einstecktücher<br />

und sie <strong>sind</strong> mir<br />

hier das erste Mal<br />

als Accessoire<br />

aufgefallen.“<br />

Der Wahlwiener Armin Wahls entdeckte in Meidling seine Passion für bunte<br />

Seidentücher. Unter dem Label Urban Cavaliers vertreibt er mitlerweile seine<br />

modischen Accessoires erfolgreich in aller Welt.<br />

gehen die Stücke retour nach<br />

Meidling – und von dort aus<br />

an die weiteren Bestimmungsorte.<br />

In der Wohnung<br />

stapeln sich die runden Dosen,<br />

in denen er die Stecktücher<br />

verkauft. Diese gehen als<br />

Vorführstücke an Boutiquen –<br />

in der Hoffnung, dass die eine<br />

oder andere sie in ihr Programm<br />

aufnimmt. Dass er international<br />

denkt, hat wohl<br />

mit seiner Biografie zu tun:<br />

Er kommt aus Donaueschingen,<br />

sein <strong>Wir</strong>tschaftsstudium<br />

absolvierte er in Heilbronn<br />

und arbeitete danach in<br />

Ungarn und Rumänien, bis es<br />

ihn nach <strong>Wien</strong> verschlug.<br />

Schon in den Dosen <strong>sind</strong> die<br />

Tücher „zerknüllt“, wie es der<br />

Süddeutsche ausdrückt. Natürlich<br />

ließen sich die Stecktücher<br />

falten, meint er. „Aber sie<br />

<strong>sind</strong> mehr zum wild reinstecken.“<br />

Die Einstecktücher der<br />

britischen Gentlemen waren<br />

im übrigen sorgfältig gefaltet,<br />

wie Wahls erzählt, lachend ergänzt<br />

er: „Es gab die Regel,<br />

dass man zwei Stecktücher<br />

hatte: ‚One to blow and one to<br />

show‘ – also ein schönes weißes,<br />

das man herzeigt, und<br />

eins, das man versteckt und in<br />

das man sich schnäuzt.“ Die<br />

Marke von Wahls und Weihbrecht<br />

nennt sich im Übrigen<br />

Phetberg – im Unterschied<br />

zum <strong>Wien</strong>er Künstler Hermes<br />

Phettberg allerdings mit einem<br />

t. Die Stecktücher seien<br />

eine „Hommage an das Unangepasste“,<br />

das in Österreich<br />

wohl von kaum einer Person<br />

so deutlich verkörpert wird<br />

wie von Phettberg: „Die kleinen<br />

Makel und Ecken machen<br />

das Leben erst interessant<br />

und genau das gleiche<br />

gilt für die Kleidung“, meint<br />

Wahls.<br />

Glücklicher Zufall<br />

In Meidling <strong>sind</strong> Wahls und<br />

Weihbrecht per Zufall gelandet,<br />

inzwischen haben sie dort<br />

so etwas wie eine „Heimat“<br />

gefunden: „Seitdem es diese<br />

Dynamik am Meidlinger<br />

Markt gibt“, sagt Wahls. Er<br />

schwärmt von der dörflichen<br />

Atmosphäre, die dort inzwischen<br />

entstanden ist. Dabei<br />

zieht er Parallelen zwischen<br />

Meidling und seiner Studentenstadt<br />

Heilbronn. Diese<br />

Stadt habe zwar wenig<br />

Charme: „Aber auch da ist in<br />

den kleinen Ecken und Gassen<br />

hinter den grauen Fassaden<br />

viel passiert, das man sich<br />

von außen nicht erwartet hätte.“<br />

So wie im grauen Haus<br />

ohne Boutique und Firmenschild<br />

– und ganz so wie in<br />

den Häusern von Abd Masoud<br />

und Karin Bergmayer.<br />

Porträts der drei Kleinunternehmer<br />

entstanden im Rahmen<br />

des Projekts „Vielfalt12“<br />

des Fotografen Sebastian Philipp<br />

und der Journalistin Sonja<br />

Fercher. Porträts von weiteren<br />

Kleinunternehmern und<br />

Künstlern aus Meidling finden<br />

Sie unter<br />

www.vielfalt12.at.<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

47


SERVICE FÜR WIENERINNEN<br />

Die Stadt fürs Leben<br />

Nicht ohne Grund ist <strong>Wien</strong> ein weiteres Mal zur lebenswertesten Stadt gewählt worden. Denn<br />

kulturelle Vielfalt, Bildung, Bewegung, soziale Kompetenz und verantwortliches Handeln<br />

werden großgeschrieben. Verschaffen Sie sich auf den kommenden Seiten einen Überblick über<br />

das reichhaltige Angebot.<br />

Rundum-Service<br />

Zum Beispiel das Amt für Kinder,<br />

Jugend und Familie. Die<br />

MAG ELF unterstützt Familien<br />

dabei, ihren Kindern von<br />

Beginn an ein möglichst sorgenfreies<br />

Aufwachsen zu ermöglichen,<br />

und hilft sozial benachteiligten<br />

Familien bei der<br />

Teilnahme am wirtschaftlichen<br />

und sozialen Leben in der<br />

Stadt <strong>Wien</strong>. Das umfangreiche<br />

Beratungsangebot kann kostenfrei<br />

in Anspruch genommen<br />

werden. Die ExpertInnen<br />

der MAG ELF stehen mit viel<br />

Einfühlungsvermögen und ihunterstützt<br />

Eltern dabei, sich<br />

auf die neue Situation vorzubereiten.<br />

Der Wickelrucksack<br />

kann acht Wochen vor der Geburt<br />

in einem der acht Eltern-<br />

Kind-Zentren der Stadt <strong>Wien</strong><br />

mit dem Mutter-Kind-Pass abgeholt<br />

werden. Im Wickelrucksack<br />

ist auch die Dokumentenmappe<br />

enthalten, die<br />

Informationen für junge Eltern<br />

bereithält. Bei der Abholung<br />

des Willkommensgeschenkes<br />

in den Eltern-Kind-<br />

Zentren ist auch Zeit, Fragen<br />

zu stellen und sich über Serviceangebote<br />

der Stadt <strong>Wien</strong><br />

zu informieren. Es ist eine gute<br />

Gelegenheit, das Eltern-Kind-<br />

Zentrum kennenzulernen.<br />

Fotos: Andrew Rhinky, Houdek, Fahrrad <strong>Wien</strong> Peter Provaznik, Alexandra Krohmus, <strong>Wien</strong>er Linien, MA 42<br />

48 smartguide für GANZ WIEN<br />

rem Fachwissen jedem in den<br />

unterschiedlichsten Problemsituationen<br />

zur Seite. Ein neues<br />

Familienmitglied macht<br />

Freude, erfordert aber auch eine<br />

Menge an Vorbereitungen<br />

und bringt auch die eine oder<br />

andere Frage mit sich. Um<br />

bestmöglich zu unterstützen,<br />

bietet die MAG ELF ein umfassendes<br />

Beratungsangebot<br />

für Eltern an. Neben psychologischer<br />

und sozialer Unterstützung<br />

umfasst das Angebot<br />

auch alle Infos über die anstehenden<br />

Amtswege, zum Beispiel<br />

für die Geburtsurkunde<br />

oder auch die Feststellung der<br />

Vaterschaft. In den Eltern-<br />

Kind-Zentren und Elternberatungen<br />

der Stadt <strong>Wien</strong> bieten<br />

SozialpädagogInnen im Team<br />

mit SozialarbeiterInnen, FachpsychologInnen,<br />

Hebammen<br />

und ÄrztInnen Informationen<br />

über Pflege sowie Ernährung<br />

und beraten bei Fragen zur<br />

Entwicklung und Erziehung<br />

des Kindes.<br />

Wickelrucksack<br />

Mit dem Wickelrucksack begrüßt<br />

die Stadt <strong>Wien</strong> ihre Babys<br />

bereits vor der Geburt und


Entgeltliche Einschaltung<br />

Elternberatung<br />

Doch viele Eltern sehen sich in<br />

der Betreuung ihrer Babys und<br />

Kleinkinder mit immer neuen<br />

Herausforderungen konfrontiert.<br />

In den Elternberatungen<br />

steht die körperliche und gesundheitliche<br />

Entwicklung<br />

und die altersentsprechende<br />

Förderung ihrer Kinder im<br />

Mittelpunkt. Ansprechpartnerinnen<br />

und Ansprechpartner<br />

aus den Bereichen Medizin,<br />

Sozialarbeit und Sozialpädagogik<br />

stehen zur Beratung zur<br />

Verfügung. Darüber hinaus<br />

besteht auch die Möglichkeit,<br />

sich mit anderen Eltern auszutauschen<br />

und Kontakte zu<br />

knüpfen.<br />

Beitragsfreier<br />

Kindergarten<br />

Die stätdischen Kindergärten<br />

<strong>sind</strong> ein weiterer Puzzlestein,<br />

wenn es um die Unterstützung<br />

von Eltern und Kindern<br />

geht. Seit 2009 gibt es in<br />

<strong>Wien</strong> daher den „Gratiskindergarten”.<br />

2014 investierte<br />

die Stadt dafür rund 700 Mio<br />

Euro so konnten rund 3.000<br />

neue Plätze geschaffen werden.<br />

In <strong>Wien</strong> wird der Kindergarten<br />

als erste wichtige<br />

Bildungseinrichtung verstanden.<br />

Die Vereinbarkeit von<br />

Beruf und Familie wird damit<br />

wesentlich erleichtert.<br />

Eingewöhnungsphase<br />

Die Eingewöhnungsphase im<br />

Kindergarten ist besonders<br />

wichtig und wird professionell<br />

betreut. Wenn ein Kind<br />

zum ersten Mal in den Kindergarten<br />

kommt, braucht es<br />

Zeit, um sich an die neue Situation<br />

und Umgebung zu<br />

gewöhnen. Spürt das Kind,<br />

dass seine Eltern Vertrauen<br />

zum Kindergarten und den<br />

Pädagoginnen sowie Pädagogen<br />

haben, fühlt es sich sicher.<br />

Die Eingewöhnung ist<br />

individuell so unterschiedlich<br />

wie die Kinder, sie dauert<br />

durchschnittlich aber vier bis<br />

sechs Wochen. In den ersten<br />

Tagen besucht das Kind meist<br />

gemeinsam mit einer Bezugsperson<br />

für kürzere Phasen<br />

den Kindergarten.<br />

Nachmittagsbetreuung<br />

Aber auch am Nachmittag ist<br />

die Betreuung der Kinder ge-<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

49


SERVICE FÜR WIENERINNEN<br />

währleistet. Der Hort bietet<br />

Nachmittagsbetreuung für<br />

Kinder aus halbtägig geführten<br />

Volksschulen. In einer<br />

Gruppe werden bis zu 25<br />

Volksschulkinder betreut. Eine<br />

Hortpädagogin oder ein Hortpädagoge<br />

ist für die Gruppe<br />

verantwortlich. Dabei wird sie<br />

oder er von einer Hortassistentin<br />

oder einem Hortassistenten<br />

unterstützt.<br />

Angebotsvielfalt<br />

Es ist wichtig, auf die aktuellen<br />

Interessen und Bedürfnisse<br />

der Kinder einzugehen. Kinder<br />

haben so die Möglichkeit, ihren<br />

Kindergartenalltag selbst<br />

mitzubestimmen. Im Kindergarten<br />

sprechen die Bildungsangebote<br />

die gesamte Persönlichkeit<br />

der Kinder an. Gefühl,<br />

Geist und Körper der Kinder<br />

können täglich wachsen und<br />

sich weiterentwickeln. Im Kindergarten<br />

spiegelt sich die gesellschaftliche<br />

Vielfalt wider.<br />

Die Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter der <strong>Wien</strong>er Kindergärten<br />

(MA 10) erleben<br />

dieses Miteinander als bereichernd<br />

mit gegenseitigem Respekt<br />

und viel Spaß. Qualifizierte<br />

Pädagoginnen und Pädagogen<br />

legen individuelle<br />

Bildungsinhalte, Ziele und<br />

Methoden fest. Die städtischen<br />

Kindergärten <strong>sind</strong> mit<br />

qualitativ hochwertigem Spielund<br />

Bildungsmaterial ausgestattet.<br />

In dieser Umgebung<br />

können Kinder spielen und<br />

arbeiten, handeln und reflektieren,<br />

beobachten und nachahmen,<br />

forschen und gestalten.<br />

Diversität<br />

Aber auch der Erwerb sozialer<br />

und kultureller Kompe-<br />

tenz wird in <strong>Wien</strong> großgeschrieben.<br />

<strong>Wir</strong> leben in einer<br />

vielfältigen und vielschichtigen<br />

Gesellschaft. Respekt vor<br />

der Individualität der uns<br />

anvertrauten Kinder ist Voraussetzung<br />

für gelingende<br />

Bildungsprozesse. Das Team<br />

im städtischen Kindergarten<br />

begegnet Kindern offen – im<br />

Gespräch miteinander, im<br />

Spiel, im Begleiten von Konflikten<br />

und im Setzen von<br />

Impulsen und Bildungsangeboten.<br />

So werden die Individualität<br />

und die besonderen<br />

Bedürfnisse jedes einzelnen<br />

Kindes wahrgenommen und<br />

respektiert. Kindergarten ist<br />

eine Chance für alle Beteiligten,<br />

verschiedene Wertmaßstäbe,<br />

Familienformen<br />

und Lebensweisen kennenzulernen,<br />

die über den eigenen<br />

bekannten Familienhorizont<br />

hinausgehen.<br />

Bildung unter<br />

einem Dach<br />

Neben den vielen Vorhaben,<br />

die in Zukunft umgesetzt werden<br />

sollen, gibt es aber auch<br />

bereits heute wichtige Projekte,<br />

die moderne Bildung in<br />

den Mittelpunkt stellen. Mit<br />

dem Projekt Bildungscampus<br />

wird die Vernetzung von Kindergarten-,<br />

Schul- und Freizeitpädagogik<br />

an einem zentralen<br />

Standort als moderner<br />

und visionärer Ansatz zur<br />

weiteren Steigerung der Bildungsqualität<br />

im urbanen<br />

Raum forciert. Gesellschaftliche<br />

Entwicklungen und moderne<br />

pädagogische Prinzipien<br />

wie individuelle Förderung,<br />

Arbeiten in unterschiedlichen<br />

Gruppengrößen, selbst<br />

organisiertes und offenes Lernen<br />

sowie Projektunterricht<br />

waren Anlässe zur Entstehung<br />

des <strong>Wien</strong>er Campusmodells.<br />

Durch die ganztägige Betreuungsform<br />

und die unmittelbare<br />

Nähe der einzelnen Institutionen<br />

können Synergien fließend<br />

genutzt und eine ganzheitliche<br />

Bildungskontinuität<br />

gewährleistet werden. Die Erfahrungen<br />

der ersten Jahre<br />

von Seiten vieler Erziehungsberechtigter,<br />

aber auch der<br />

vielen Kinder und Jugendlichen<br />

<strong>sind</strong> durchwegs positiv.<br />

Derzeit befinden sich der Bildungscampus<br />

Monte Laa im<br />

10. Bezirk, der Bildungscampus<br />

Gertrude Fröhlich-Sandner<br />

im 2. Bezirk, sowie der<br />

Bildungscampus Donaufeld<br />

im 21. Bezirk mit jeweils Kindergarten<br />

und Volksschule im<br />

Einsatz. Der Bildungscampus<br />

Sonnwendviertel, ebenfalls im<br />

10. Bezirk, ging vergangenes<br />

Jahr erstmals mit Kindergarten,<br />

Volksschule und Neue<br />

Mittelschule in Betrieb. Mit<br />

dem Schuljahr 2015/16 eröffnet<br />

weiters der Bildungscam-<br />

Fotos: Stadt <strong>Wien</strong>, MA 42, WKV<br />

50 smartguide für GANZ WIEN


Entgeltliche Einschaltung<br />

pus in „aspern Die Seestadt<br />

<strong>Wien</strong>s“.<br />

Verbindung von<br />

Freizeit und Schule<br />

In der Zeit von 8 bis 15.30<br />

Uhr wechseln sich Lerneinheiten<br />

und Freizeitangebote<br />

ab. Darüber hinaus gibt es bei<br />

Bedarf, orientiert an den Öffnungszeiten<br />

der Kindergärten,<br />

ein Betreuungsangebot<br />

von 6.30 bis 17.30 Uhr. Der<br />

Tagesablauf folgt einem<br />

Rhythmus aus Lern- und<br />

Freizeitphasen, die sowohl<br />

konzentriertes Arbeiten ermöglichen<br />

als auch Ruhe und<br />

Kreativität zulassen. Es gibt<br />

Zeit für Reflexion, Bewegung,<br />

das Miteinander-Reden, ein<br />

gemeinsames Essen und individuelle<br />

Förderung.<br />

Optimale räumliche<br />

Nutzung<br />

Durch die Vernetzung der ein-<br />

zelnen Institutionen können<br />

die vorhandenen Ressourcen<br />

optimal genutzt werden. Eine<br />

wesentliche Rolle beim Zusammenwachsen<br />

von Kindergarten<br />

und Schule spielt die<br />

Architektur der Campus-<br />

Standorte. In der offenen Bildungsarbeit<br />

stehen Räume<br />

und Bereiche des Gebäudes allen<br />

zur Verfügung. Dabei ermöglichen<br />

gemeinsame Projekte,<br />

miteinander und voneinander<br />

zu lernen. Damit der<br />

jeweilige Campus für die Kinder<br />

wie ein „Zuhause“ wird,<br />

gibt es wohnliche Erholungsbereiche<br />

und individuelle<br />

Rückzugsnischen. Solche Bereiche<br />

kommen auch der modernen<br />

Pädagogik und der<br />

Arbeit in Kleingruppen entgegen.<br />

Die Räume müssen die nötige<br />

Flexibilität aufweisen, um<br />

rasch zwischen Arbeits- und<br />

Erholungsbereich zu variieren<br />

und somit die optimale Infrastruktur<br />

für die Lern- und<br />

Freizeitphasen zu bieten. Die<br />

räumliche Abwechslung ist im<br />

Tagesbetrieb ein wesentlicher<br />

Bestandteil.<br />

Schulbauprojekte<br />

Aber auch die Betreuung und<br />

Bildung in der Zukunft wird<br />

bereits heute abgesichert.<br />

Denn alle Zukunftsprogno -<br />

sen weisen auf steigende<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

51


SERVICE FÜR WIENERINNEN<br />

SchülerInnen-Zahlen hin.<br />

Neue Wohnbauten und die<br />

Nachfrage nach Campus-<br />

Standorten und ganztägiger<br />

Betreuung erfordern den Bau<br />

von Bildungseinrichtungen.<br />

Derzeit besuchen rund 86.000<br />

Schülerinnen und Schüler die<br />

rund 380 Pflichtschulen der<br />

Stadt <strong>Wien</strong>. In Zukunft allerdings<br />

wird noch weit mehr<br />

Platz im Bereich der sozialen<br />

Infrastruktur nötig sein, um<br />

allen Kindern und Jugendlichen<br />

einen erfolgreichen Bildungsweg<br />

zu garantieren. In<br />

den vergangenen fünf Jahren<br />

konnte die Stadt <strong>Wien</strong> zusätzlichen<br />

Raum für mehr als<br />

1.000 Schülerinnen und Schüler<br />

schaffen. Die Entwicklungen<br />

im Bereich der Pflichtschulen<br />

gehen rasch<br />

voran und werden mittels<br />

moderner Neubau-, Erweiterungs-<br />

und Sanierungsprojekte<br />

zeitgemäß umgesetzt.<br />

Bildungscampus in<br />

„aspern Die Seestadt<br />

<strong>Wien</strong>s“<br />

Eines dieser ambitionierten<br />

Bauprojekte wird bereits im<br />

Schuljahr 2015/2016 eröffnet.<br />

Dann wird der fünfte Bildung-<br />

scampus die Tore für insgesamt<br />

800 Kinder und Jugendliche<br />

öffnen. Der neue Bildungscampus<br />

in „aspern Die Seestadt<br />

<strong>Wien</strong>s“ wird auf einer<br />

Gesamtfläche von 16.800 Quadratmetern<br />

einem 11-gruppigen<br />

Kindergarten sowie einer<br />

17-klassigen Ganztagsvolksschule<br />

Platz bieten. Auch acht<br />

Klassen, die auf die Bedürfnisse<br />

von Kindern und Jugendlichen<br />

mit Behinderung ausgerichtet<br />

<strong>sind</strong>, wird es an diesem<br />

Standort geben. Das Projekt<br />

zeichnet sich vor allem durch<br />

sonnendurchflutete Terrassen,<br />

eine großzügige Freifläche<br />

und die kurzen Wege zum ersten<br />

Wohnquartier der Seestadt<br />

aus. Das Gartengeschoß beherbergt<br />

Turnsäle und den<br />

Kindergartenbereich, der unmittelbar<br />

an den Garten<br />

grenzt. In Summe werden 800<br />

Kinder und Jugendliche im<br />

Alter bis zum zehnten Lebensjahr<br />

die neue Bildungsadresse<br />

besuchen. Zwei Jahre später<br />

soll in der zweiten Ausbaustufe<br />

ein Bauteil mit Bundesschulen<br />

entstehen. Dann werden<br />

rund 2.000 Kinder und<br />

Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr<br />

hier Platz finden.<br />

Jugendbetreuung<br />

Aber auch die außerschulische<br />

Betreuung wird nicht außer<br />

Acht gelasssen. Die Abteilung<br />

Bildung und außerschulische<br />

Jugendbetreuung (MA 13)<br />

stellt Jugendlichen ein breit gefächertes<br />

Bildungsangebot bereit,<br />

das von der Musikausbildung,<br />

der Vermittlung von<br />

Grundkompetenzen, Leseförderung<br />

und Sprachunterricht<br />

bis hin zur künstlerischen Ausbildung<br />

reicht. Dabei<br />

stehen Chancengleichheit,<br />

Vielfalt und lebensbegleitendes<br />

Lernen im Mittelpunkt des<br />

Bildungsauftrages der Stadt.<br />

Virtuelle Bücherei<br />

Bildung findet in <strong>Wien</strong> jedoch<br />

nicht nur in Räumlichkeiten<br />

Fotos: <strong>Wien</strong>er Wasser/Knie, Houdek, <strong>Wien</strong>er Wohnen<br />

52 smartguide für GANZ WIEN


Entgeltliche Einschaltung<br />

statt. Und so können die <strong>Wien</strong>erInnen<br />

in der Virtuellen<br />

Bücherei <strong>Wien</strong> über 40.000<br />

eMedien aus den Bereichen<br />

Sachbuch und Belletristik<br />

und über 2.500 Kindermedien<br />

per Download ausleihen.<br />

Neben dem monatlich erscheinenden<br />

Kindermagazin<br />

„Dein Spiegel“ gibt es zahlreiche<br />

Abenteuer-, Grusel- und<br />

Fantasy-Romane, Märchen<br />

sowie Sachbücher als eBook<br />

oder digitales Hörbuch. Darunter<br />

finden sich Klassiker<br />

der Kinderliteratur wie „Der<br />

Räuber Hotzenplotz“ und<br />

„Alice im Wunderland“, „Die<br />

drei ???“ oder „Fünf Freunde“.<br />

Voraussetzung für die Nutzung<br />

der Virtuellen Bücherei<br />

ist lediglich eine gültige Büchereikarte<br />

und ein Com puter mit<br />

Internetzugang. Das Service<br />

ist darüber hinaus mit keinen<br />

weiteren Kosten verbunden.<br />

Erwachsenenbildung<br />

Aber nicht nur Kinder lernen.<br />

Lebenslanges Lernen wird zunehmend<br />

zur Voraussetzung<br />

für eine sich schnell entwickelnde<br />

Arbeitswelt. Daher<br />

unterstützt die MA 13 innovative<br />

Bildungsprojekte und<br />

-initiativen sowie im geringen<br />

Ausmaß auch Musikprojekte<br />

und -wettbewerbe. Sie sichert<br />

die Qualitätsstandards der<br />

von ihr geförderten Institutionen<br />

und unterstützt Bildungseinrichtungen<br />

bei der<br />

Entwicklung langfristiger<br />

Konzepte der Wissensvermittlung.<br />

Ziel ist es, allen <strong>Wien</strong>erinnen<br />

und <strong>Wien</strong>ern Zugang<br />

zum Angebot des lebensbegleitenden<br />

Lernens zu ermöglichen.<br />

Durch die Mitwirkung<br />

in zahlreichen regionalen und<br />

nationalen Gremien wird aktiv<br />

an der Entwicklung der<br />

<strong>Wien</strong>er Erwachsenenbildung<br />

mitgestaltet.<br />

Freizeitangebote<br />

Neben Bildung und Weiterbildung<br />

<strong>sind</strong> aber auch Entspannung<br />

und Freizeit wichtig<br />

für Lebensqualität und Regeneration.<br />

<strong>Wien</strong> animiert<br />

junge Menschen zu Kreativität<br />

und vermittelt ihnen Freude<br />

am Aktivsein in der Stadt.<br />

Ebenso fördert <strong>Wien</strong> kulturelle<br />

Vielfalt, Bewegung, soziale<br />

Intelligenz und verantwortliches<br />

Handeln. Ob Spiel und<br />

Spaß im Park, Skaten oder<br />

Slacken: Viele Kinder und Jugendliche<br />

in <strong>Wien</strong> <strong>sind</strong> gerne<br />

spielend und sportlich unterwegs.<br />

Ausgebildete Parkbetreuerinnen<br />

und Parkbetreuer<br />

sowie Trainerinnen und Trainer<br />

unterstützen sie dabei, ihre<br />

Kreativität und Freude an der<br />

Bewegung auszuleben. Dabei<br />

achten sie darauf, dass das respektvolle<br />

Miteinander gefördert<br />

wird und die persönlichen<br />

Grenzen – im Sinne der Risikooptimierung<br />

– nicht überschritten<br />

werden. Auch im Bereich<br />

Medien erhalten junge<br />

Menschen einen (selbst)kritischen<br />

Zugang zum Ausleben<br />

der eigenen Kreativität vor und<br />

hinter einer Filmkamera. Für<br />

alle Musikbegeisterten gibt es<br />

ebenfalls ein breites Angebot –<br />

von Rap, Hip-Hop bis Song -<br />

writing inklusive Auftrittsmöglichkeiten.<br />

Die <strong>Wien</strong>er Parkbetreuung ist<br />

seit mittlerweile 22 Jahren<br />

eines der beliebtesten Freizeitangebote<br />

der Stadt. Sie bietet<br />

in allen 23 Bezirken Kindern<br />

im Alter von sechs bis 13 Jahren<br />

Spiel, Spaß und Action in<br />

Parks, Sport- und Wohnhausanlagen.<br />

<strong>Wien</strong>er Bäder<br />

Besonderes Sommerschmankerl:<br />

Ab Juni gibt es in den<br />

<strong>Wien</strong>er Sommerbädern und<br />

Familienbädern wieder Badespaß<br />

pur. Für unterhaltsame<br />

Abwechslung ist gesorgt.<br />

Beim Bäder-Sommerzauber<br />

wird unter Anleitung geplanscht,<br />

gesportelt und<br />

gespielt. Das Angebot gibt<br />

es täglich außer Montag,<br />

bei Schönwetter von 4. Juli<br />

bis 16. August 2015. Das<br />

genaue Tagesprogramm hängt<br />

am Anschlag im jeweiligen<br />

Bad.<br />

www.kinder.wien.at<br />

www.kindergaerten.wien.at<br />

www.schulbau.wien.at<br />

www.bildungjugend.wien.at<br />

www.buechereien.wien.at<br />

www.virtuellebuecherei.wien.at<br />

www.freizeit.wien.at<br />

www.wienerbaeder.at<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

53


KULINARIK<br />

die neue Generation<br />

Würstelstand<br />

<strong>Wien</strong> ist in Bewegung. Abwechslungsreiches und hochwertiges Essen von mobilen Ständen<br />

liegt im Trend. Nach New York, London und Berlin boomen die “Food Trucks” auch in der<br />

Welthauptstadt des Würstelstandes.<br />

TEXT: THOMAS TRIMMEL<br />

Unter Street Food verstand man in<br />

<strong>Wien</strong> bis vor kurzem am ehesten ein<br />

Käsekrainer Hot Dog oder eine aufgeschnittene<br />

Bosna-Wurst. Dabei kann Street<br />

Food so viel mehr sein als ein fetttriefendes<br />

Würstchen in einem senfverschmierten Weckerl.<br />

Es kann bio sein, vegan oder deftig, jedenfalls<br />

schmackhaft und nicht unbedingt ungesund.<br />

Mit dem Phänomen der Food Trucks<br />

ist <strong>Wien</strong> etwas spät dran. Das mag auch am<br />

magistratischen Wesen liegen, das bei der Vergabe<br />

von Zulassungen und Standplätzen nicht<br />

immer eine leichte Hand beweist. Der Hunger<br />

setzt sich aber durch: <strong>Wien</strong>s kulinarischer<br />

Fuhrpark umfasst derzeit schon ein gutes Dutzend<br />

Anbieter. Es reicht von kunstvollendet gefüllten<br />

Rollen („WrapStars“) bis zur feinen<br />

Biokost („Hy Kitchen“), darunter eine ganze<br />

Flotte dreirädriger Espressomobile, die man<br />

speziell nach einem guten Mittagessen gern in<br />

der Nähe weiß.<br />

Immer in Bewegung<br />

Die meisten Betreiber der Food Trucks achten<br />

darauf, frische regionale Produkte zu verwenden.<br />

Im Vordergrund steht dennoch die Geschwindigkeit<br />

- lange auf sein Essen warten<br />

muss man bei den mobilen Imbissständen nie.<br />

Die Food Trucker versuchen neben ihren Speisen<br />

auch durch ihre Fahrzeuge aufzufallen. Je<br />

bunter, desto besser, scheint das Motto zu sein.<br />

Die Trucks haben den Vorteil, nicht an einen<br />

Standort gebunden zu sein. So stehen sie einmal<br />

im Gewerbegebiet, um berufstätige Menschen<br />

in der Mittagspause zu versorgen, dann<br />

wieder vor Universitäten, bei Festivals, Sportveranstaltungen<br />

oder vor Nachtklubs.<br />

<strong>Wien</strong>er Street Food Pioniere<br />

Als eine der ersten begannen vor bereits zwei<br />

Jahren Wrapstars und Hy-kitchen für<br />

hochwertiges Street Food, zu sorgen.<br />

Ziel war schnelles, leckeres Essen anzubieten<br />

das nicht tagelang im Magen<br />

liegt. Aber auch die Street Food Nachzügler<br />

und Neulinge stellen ihr Können unter Beweis.<br />

Wie alles begann<br />

Wrapstars – das <strong>sind</strong> Marko und Matthias,<br />

die für das Unternehmen vor zwei Jahren ihr<br />

Studium unterbrochen haben um sich um<br />

<strong>Wien</strong>s kulinarische Vielfalt zu kümmern.<br />

Hinter der Hy-kitchen steht Monica Kranner,<br />

die als Ernährungsberaterin arbeitet und ein<br />

Drittel des Jahres in London lebt. Beiden Unternehmen<br />

<strong>sind</strong> frische, handgemachte Lebensmittel<br />

wichtig, die am besten auch regional<br />

produziert <strong>sind</strong>. „Es geht um Qualität“,<br />

sagt Monica Kranner „und es fließen neue<br />

Foodtrends mit ein.“ Street Food trifft einen<br />

Nerv, wie auch Marko Ertl von den Wrapstars<br />

erkannt hat: „Für viele <strong>Wien</strong>er war es am Anfang<br />

ungewohnt hochwertiges Essen auf der<br />

Straße zu bekommen, aber die Nachfrage<br />

nach handgemachtem Essen in Fast Food Geschwindigkeit<br />

steigt”. Die Hy-kitchen und<br />

Wrapstars waren vor zwei Jahren die ersten<br />

Anbieter in <strong>Wien</strong>, die von mobilen Verkaufsständen<br />

aus verkauften. „Da macht es Sinn<br />

sich zu unterstützen“, sagt Ertl. Also taten sie<br />

sich 2015 als Artisan Food Collective zusammen.<br />

„<strong>Wir</strong> wollen ein Sprachrohr für Street<br />

Food sein. Mit unserem Know-How können<br />

wir auch Ansprechpartner für andere Trader<br />

sein“, meint Marko Ertl, „damit nicht mehr<br />

jeder Trader alleine für seine Locations kämpfen<br />

muss.“ Daneben wollen sie Events organisieren<br />

und permanente Street Food Standorte<br />

etablieren, damit <strong>Wien</strong> ein bisschen wie London<br />

oder San Francisco wird.<br />

Hy-kitchen<br />

Feine Biokost<br />

Die Hy-kitchen befindet sich<br />

in einem cremefarbigen Citroen-Kleintransporter<br />

aus<br />

der Nachkriegszeit und wird<br />

von Monica Kranner betrieben,<br />

die sich in London die<br />

Inspiration für ihren Food<br />

Truck geholt hat. Drei Tage<br />

die Woche verköstigt sie nun<br />

an der Freyung die Passanten<br />

mit hochwertigem Street<br />

Food. Auf der Speisekarte<br />

stehen dabei meistens Burger<br />

und Quiche, die allerdings in<br />

immer anderen Variationen<br />

auf den Teller kommen. Top<br />

<strong>sind</strong> neben dem Essen auch<br />

die Gin Tonics, die Monika<br />

aus ihrer Hy-Kitchen heraus<br />

serviert.<br />

Standorte & Speisen unter:<br />

Facebook --> Hy-kitchen<br />

Fotos: beigestellt<br />

54 smartguide für GANZ WIEN


Dongdong Fan<br />

Asia on the Road<br />

Dongdong fan ist ein kulinarisch integratives<br />

Stadtprojekt, das den <strong>Wien</strong>ern „die chinesische<br />

Küche“ näherbringen möchte. Auf dem Dreirad,<br />

das als fahrbarer Küchenraum dient, wird dabei<br />

abwechselnd von ChinesInnen, die in <strong>Wien</strong> leben,<br />

gekocht. Das Dreirad zieht dabei von Standort zu<br />

Standort – bevorzugt werden Leerstände und bisher<br />

ungenutzte Örtlichkeiten, wo dann einfaches<br />

chinesisches Straßenessen, wie liangmian “kalte<br />

Nudeln“ mit speziellen Nudeln aus Bohnen- oder<br />

Tapiokastärke mit geraspelten Gurken und einer<br />

kräftigen Würzsauce oder jianbing – chinesische<br />

Crêpes serviert werden.<br />

Standorte & Speisen unter: Facebook --><br />

dondong fan<br />

Gourmet Nomaden<br />

Köstlichkeiten aus aller Welt<br />

Mit den Gourmet Nomaden ist seit diesem Jahr ein neuer Food Truck<br />

in <strong>Wien</strong> unterwegs, welcher die <strong>Wien</strong>erInnen mit Köstlichkeiten aus<br />

aller Welt verköstigt. Auf der Speisekarte stehen Eintöpfe, Curries,<br />

Schmorgerichte aber auch diverse frische Salate und Sandwiches. Die<br />

Speisen werden jeden Tag frisch zubereitet und kommen ohne Konservierungsmittel<br />

und Zusatzstoffe aus.<br />

Standorte & Speisen unter: Facebook --> Gourmet Nomaden<br />

Road<br />

Crêpe<br />

Crêpes in allen Variationen<br />

Road Crêpe steht für Fast Superfood<br />

auf 3 Rädern. Die süßen und<br />

pikanten Crêpe-Kreationen werden<br />

von Marc Schweiger in seiner<br />

Piaggio Ape frisch zubereitet. Großes<br />

Augenmerk legt er dabei auf<br />

frische, nährstoffreiche und saisonale<br />

Bio-Zutaten aus der Region.<br />

Und das schmeckt man einfach.<br />

Die köstlichen Crêpes gibt’s<br />

regelmäßig an fixen Standorten,<br />

wie z.B. dem Naschmarkt (hinter<br />

dem Marktamt) oder dem Meidlinger<br />

Markt. Darüber hinaus ist<br />

Road Crêpe aber fleißig in ganz<br />

<strong>Wien</strong> unterwegs.<br />

Standorte & Speisen unter:<br />

www.roadcrepe.at<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

55


KULINARIK<br />

Wrapstars<br />

Fastfood ohne Chemie<br />

Fast Food ohne Bullshit versprechen die<br />

Wrapstars und das halten sie auch. <strong>Wien</strong>s erster<br />

Food Truck ist mittlerweile seit über zwei<br />

Jahren auf den Straßen <strong>Wien</strong>s unterwegs und<br />

versorgt die hungrigen <strong>Wien</strong>er mit köstlichen<br />

Wraps. Dabei setzen sie auf simples Essen,<br />

mit den besten Zutaten der Saison, mit Liebe<br />

hausgemacht und ohne unnötige Chemie zubereitet.<br />

Um diesen strengen Anforderungen<br />

gerecht zu werden, haben die beiden Gründer<br />

Marko und Matthias sogar einen Ehrenkodex<br />

ins Leben gerufen. Und dies schmeckt man<br />

den Wraps, die in den Varianten Tasty By Nature,<br />

Pepper Ann und Soulja Boy serviert<br />

werden, einfach an.<br />

Standorte & Speisen unter: www.wrapstars.at<br />

Hildegard Wurst<br />

Hot Dogs aus aller Welt<br />

<strong>Wien</strong>s erstes American Hot Dog Mobil auf<br />

3 Rädern ist mittlerweile eines der Pioniere<br />

des mobilen Fast Food in der Hauptstadt.<br />

Egal, wo es hinkommt der feuerrote Flitzer<br />

von Hildegard Wurst verbreitet mit seinen<br />

American Hot Dogs Central Park Feelding<br />

in <strong>Wien</strong>. Demnächst ist gibt’s die verschiedenen<br />

Hot Dog Variationen, wie Malmö,<br />

Amsterdam oder Tijuana dann auch ganz<br />

unmobil in der Operngasse, dort eröffnen<br />

die Betreiber von Hildegard Wurst nämlich<br />

ihr erstes Lokal.<br />

Standorte & Speisen unter: www.hildegardwurst.at<br />

Fotos: beigestellt<br />

56 smartguide für GANZ WIEN


Spritzer Flitzer<br />

Erfrischungsgertränke<br />

Der Spritzer Flitzer ist eine mobile Pop-Up-Bar und versorgt die durstigen <strong>Wien</strong>erInnen an der alten Donau und bei diversen Freiluftevents<br />

mit gut gekühlten Spritzwein. Verkauft werden Hugo, Aperol, Spritzer und Bier aus einer umgebauten Ape. Neben dem fixen<br />

Standort bei der Roma-Wiese an der alten Donau ist der Spritzer Flitzer den ganzen Sommer über immer wieder bei Open Airs anzutreffen.<br />

Standorte & Speisen unter: Facebook --> Spritzer Flitzer<br />

Espresso to go<br />

Wer in <strong>Wien</strong> gerne mal einen<br />

Coffee to go trinkt, der kommt<br />

am Espressomobil nicht vorbei.<br />

Das erste Espressomobil erblickte<br />

bereits 2012 das Licht der<br />

Welt. Mittlerweile düsen 11 umgebaute<br />

dreirädrige Vespa-Cars<br />

durch die Stadt und versorgen<br />

an vielen Plätzen in <strong>Wien</strong> Kaffeliebhaber<br />

mit erstklassigem Kaffee.<br />

Im alten AKH im Hof 1, bei<br />

der TU <strong>Wien</strong>, im Stadt- und im<br />

Votivpark, beim Volkstheater<br />

und bei der Publizistik in Währingerstr.,<br />

beim CAT <strong>Wien</strong> Mitte<br />

und in Grinzing <strong>sind</strong> die Espressomobile<br />

regelmäßig anzutreffen.<br />

Darüber hinaus ist das Espressomobil<br />

bei vielen Veranstaltungen<br />

in <strong>Wien</strong> und Österreich<br />

gern gesehener Gast.<br />

Standorte & Speisen unter:<br />

www.espressomobil.at<br />

Espressomobil<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

57


MUSIK KULTUR<br />

Austro<br />

Der pop ist tot.<br />

Es lebe der Austropop!<br />

Der Dialekt ist zurück! Dank Bands wie Wanda und Bilderbuch wurde der<br />

Mundart-Pop fulminant aus der Versenkung katapultiert. Mit sich bringt er<br />

die wieder spürbare Begeisterung für die Vielfalt der österreichischen<br />

Sprache.<br />

TEXT: MARKUS DEISENBERGER<br />

Das „wieder wer sein“<br />

überstrahlt derzeit<br />

alles in Österreich.<br />

Blitzgescheite, auch noch gut<br />

aussehende Burschen, echte<br />

Rockstars, stehen wieder<br />

einmal breitbeinig vorne<br />

und sagen Sätze wie „<strong>Wir</strong><br />

gehen durch die Mitte“<br />

(Maurice Ernst von Bilderbuch<br />

in einem Special der<br />

Bayrischen Jugendradiosendung<br />

Zündfunk über die<br />

„neue Pophauptstadt<br />

<strong>Wien</strong>“) oder „<strong>Wir</strong> trauen<br />

uns“ (Marco Michael Wanda).<br />

Was dabei aber nicht<br />

aus den Augen verloren werden<br />

sollte, ist die Vielfalt der<br />

österreichischen Popszene,<br />

die diesem Moment des begeisterten<br />

Konsenses überhaupt<br />

erst den nötigen Boden<br />

bereitet hat. Eine ungeheuer<br />

produktive Integrationsfigur<br />

ist auch der lange<br />

medial geächtete, jetzt allseits<br />

geliebte Ernst Molden.<br />

Erst sang er in <strong>Wien</strong> hochdeutsch,<br />

dann befreite er an<br />

der Wende zu den Zehnerjahren<br />

die Form des Dialekt-<br />

Songs vom bis dahin noch<br />

strikt verleugneten Austropop-Mief<br />

der 1970er und<br />

1980er. Dabei fand er eine<br />

gemeinsame Wellenlänge<br />

mit seinem jüngeren Eigenbrötler-Kollegen<br />

Der Nino<br />

aus <strong>Wien</strong>, der seinerseits das<br />

Solo-Talent Raphael Sas in<br />

seiner Band beherbergte.<br />

Tatsache ist, dass kein Musikmagazin,<br />

kein Formatradio<br />

derzeit an Bands wie Bilderbuch<br />

oder Wanda vorbeikommt.<br />

Ob „Maschin“ mit<br />

seinem einprägsamen Hook<br />

und dieser Schneidbrenner-<br />

Gitarre oder „Amore“ mit<br />

seinem unwiderstehlichen<br />

Mitsing-Refrain. Es gibt sie<br />

wieder, deutschsprachige<br />

Pop-Songs „Made in A“, die<br />

das Zeug zu großen Hits haben.<br />

Und Bilderbuch und<br />

n Gruppenbild mit Hangover: Wanda<br />

inszenieren sich auf ihrem Debüt-<br />

Album „Amore“ über den Dächern<br />

der italienischen Stadt Bologna als<br />

räudige Großstadt-Romantiker.<br />

Das Rezept ging voll auf, die Hallen<br />

in Österreich und Deutschland <strong>sind</strong><br />

ausverkauft.<br />

Fotos: beigestellt,<br />

58 smartguide für GANZ WIEN


„Als ich<br />

begonnen habe,<br />

gab es nichts<br />

Skurrileres<br />

als das, was<br />

ich mache“<br />

Ernst Molden<br />

n „Unser Österreich: Auf ihrem<br />

gemeinsamen Album covern Ernst<br />

Molden und der Nino aus <strong>Wien</strong> ihre<br />

liebsten Austropop-Songs.<br />

Altbekanntes, aber auch<br />

Unerwartetes findet sich da.<br />

Wanda <strong>sind</strong> ihre derzeitigen<br />

Aushängeschilder.<br />

Dialekt? Verpönt?<br />

Austropop galt ja lange Zeit<br />

als verpönt. Anfang der<br />

1990er-Jahre war es vielleicht<br />

cool, einer Grunge-<br />

Band anzugehören oder später<br />

Teil eines DJ-Kollektivs<br />

zu sein. Aber deutsche Texte?<br />

Und noch dazu im Dialekt?<br />

Ernst Molden, heute<br />

so etwas wie der Grand Seigneur<br />

der neuen Austropop-<br />

Szene, erinnert sich: „Als ich<br />

begonnen habe, war gerade<br />

die <strong>Wien</strong>er Elektronik en<br />

vogue. Da gab es nichts<br />

Skurrileres als das, was ich<br />

mache. Ich habe damals aber<br />

nichts anderes können und<br />

daher einfach mit einer gewissen<br />

Beharrlichkeit weitergemacht.“<br />

Und diese Beharrlichkeit<br />

hat sich letztlich<br />

bezahlt gemacht. Auch wenn<br />

er sich „eine Zeit lang der<br />

Gleichgültigkeit, des Hohns<br />

und der Ablehnung erwehren<br />

musste“, wie er sagt.<br />

Fünfzehn Jahre sei es sehr<br />

schwer und nur unter Gefährdung<br />

seiner Existenz gelaufen.<br />

„Erst seit fünf, sechs<br />

Jahren läuft es wirklich gut.“<br />

Sein Album „Ho Rugg“<br />

(gemeinsam mit Resetarits,<br />

<strong>Wir</strong>th und Soyka) kann man<br />

getrost als Meilenstein dieser<br />

neuen Austropop-Bewegung<br />

bezeichnen. Obwohl<br />

es die heimischen Radios<br />

kaum spielten, wurde es<br />

zum stillen Verkaufshit.<br />

Sein aktuelles, ein „Unser<br />

Österreich“ genanntes Austropop-Album<br />

mit dem Nino<br />

aus <strong>Wien</strong>, könnte ein<br />

ebensolcher werden. Darauf<br />

werden Nummern der Altvorderen<br />

Ludwig Hirsch,<br />

Georg Danzer und Sigi Maron<br />

gecovert. Nur mit Gitarre<br />

und entsprechendem Understatement.<br />

Falcos legendär-morbides<br />

„Ganz <strong>Wien</strong>“<br />

entwickelt da fast so etwas<br />

wie einen Lagerfeuer-<br />

Charme. Und wenn dieses<br />

Album eines zeigt, dann dass<br />

der Austropop viel Gutes<br />

hervorgebracht hat und das<br />

Gute vor allem auch dort<br />

schlummert, wo man es<br />

nicht vermuten würde.<br />

Denn wer hätte gedacht,<br />

dass einen „Nachtflug“ –<br />

eine Nummer aus Falcos<br />

später Phase –, wenn man<br />

es vom Bombast der Überproduktion<br />

befreit, als funkelndes<br />

Kleinod anstrahlt?<br />

Austropop ist eben nicht<br />

nur der Bababanküberfall,<br />

er steht auch für Leute,<br />

die man, wenn man gemeinhin<br />

von Austropop spricht,<br />

oft vergisst: Sigi Maron mit<br />

seiner Unangepasstheit,<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

59


MUSIK KULTUR<br />

n Um Gustavs Debüt-Album „Rettet<br />

die Wale“ gab es einen ähnlichen<br />

Hype wie um die jüngsten Arbeiten<br />

von Wanda und Bilderbuch:<br />

Gekonnt bewegt sie sich darauf<br />

zwischen Pop und Protestlied.<br />

Ludwig Hirsch mit seiner<br />

tiefen Traurigkeit und André<br />

Heller mit seiner Poesie.<br />

Rückfall in alte<br />

Klischees?<br />

Umgekehrt: Dass Austropop<br />

so lange verpönt war, und<br />

sich viele Bands in den<br />

1990er- und 2000er-Jahren<br />

eher das Ohr abgetrennt als<br />

auf Deutsch gesungen hätten,<br />

lag wohl auch daran,<br />

dass es nicht nur den frühen,<br />

sondern auch den späten<br />

Ambros gab, und dass<br />

sich jemand wie Falco vom<br />

Trendsetter zum Brigitte<br />

Nielsen-Duett-Partner entwickelte.<br />

Der Austropop, der<br />

sich in seiner Anfangsphase<br />

als ein bewusster<br />

Gegentrend zum britischamerikanisch<br />

dominierten<br />

Radio-Einheitsbrei verstanden<br />

hatte und dann allmählich<br />

seinen eigenen Stil entwickelte,<br />

hatte sich totgelaufen,<br />

weil er sich selbst genügte.<br />

Irgendwann wurde<br />

nichts Neues mehr geschaffen,<br />

sondern man beschränkte<br />

sich darauf, alte<br />

Klischees zu reproduzieren.<br />

Eine Sorge, die der <strong>Wien</strong>er<br />

Musikjournalist Robert Rotifer<br />

auch aktuell hat. Im<br />

Österreichischen Wochenmagazin<br />

„Profil“ schrieb er,<br />

dass der neue Austropop<br />

Gefahr laufe, in alte Klischees<br />

zurückzukippen. Und<br />

er zitiert dabei Andreas<br />

Spechtl, Sänger und Mastermind<br />

von Ja, Panik – eine<br />

überaus erfolgreiche Band,<br />

die schon früh den Weg<br />

nach Berlin suchte, weil ihnen<br />

<strong>Wien</strong> zu eng war.<br />

Spechtl scheint der Medienrummel<br />

um den neuen Austro-Pop<br />

zuwider. „Da wird<br />

mit Kunst wieder einmal nationale<br />

Selbstbestätigung<br />

betrieben. Und niemand<br />

von den Protagonisten<br />

wehrt sich wirklich dagegen.<br />

Weil’s ja auch eine gut funktionierende<br />

Marke ist.“ Robert<br />

Rotifer befürchtet gar,<br />

die Charts würden bald wie<br />

Ski-WM-Klassements mit<br />

(AUT) hinter den Bandnamen<br />

gelesen und tritt auf<br />

die Euphoriebremse. Seltsamerweise<br />

empfindet er gerade<br />

die Hinwendung von<br />

Molden/Nino zu den alten<br />

Wurzeln in „Unser Österreich“<br />

als Ausweg aus der<br />

Sackgasse, weil die lokale<br />

Pop-Geschichte auf für Hurra-Patriotismus<br />

ungeeignet<br />

brüchige Art interpretiert<br />

werde.<br />

Goldkettchen und<br />

Guerilla-Gigs<br />

Aber warum gehen Wanda<br />

und Bilderbuch – die beiden<br />

Aushängeschilder des neuen<br />

Trends – gerade so durch die<br />

Decke? Warum <strong>sind</strong> sie in<br />

Deutschland so beliebt? Ein-<br />

Fotos: beigestellt,<br />

60 smartguide für GANZ WIEN


„<strong>Wir</strong> wollten<br />

weg vom Einheitsbrei“<br />

Maurice, Bilderbuch<br />

mal, weil sie Bands <strong>sind</strong>, die<br />

nicht gemacht wurden, sondern<br />

sich selber machten.<br />

Viel zu lange hat man in der<br />

Branche nach dem „neuen<br />

Falco“ gesucht und dabei<br />

schlicht und ergreifend<br />

übersehen, dass die wirklich<br />

erfolgversprechenden Pflanzen<br />

in den Nischen wuchsen.<br />

Gustav, Ja, Panik oder<br />

Attwenger: Sie alle wurden<br />

nicht von irgendeiner großen<br />

Plattenfirma entdeckt,<br />

sondern kamen aus dem<br />

Underground und suchten<br />

sich ihren teils mühevollen<br />

Weg selbst. Bei all der derzeit<br />

herrschenden Euphorie<br />

vergisst man leicht, dass Bilderbuchs<br />

„Schick Schock“<br />

ihr bereits drittes Album ist.<br />

Die beiden ersten wurden<br />

weit weniger begeistert aufgenommen.<br />

Dass man<br />

nichts geschenkt bekam,<br />

sondern sich den Platz, den<br />

man heute hat, hart erkämpfen<br />

musste, belegt die<br />

Geschichte, dass Bilderbuch<br />

beim Popfest 2013 einen<br />

Guerilla-Gig geben mussten,<br />

weil sie im offiziellen<br />

Line-up nicht vorgesehen<br />

waren. Uneingeladen enterte<br />

man die Bühne des Brut.<br />

Dem Publikum gefiel’s. Neben<br />

Können und dem<br />

Kampf dafür, dieses Können<br />

auch ans Publikum zu bringen,<br />

ist es aber auch dieser<br />

ungezwungene, geradezu<br />

spielerisch leichte Umgang<br />

mit der musikalischen Vergangenheit.<br />

Man höre nur<br />

Bilderbuchs „Schick<br />

Schock“. Da wird nach allen<br />

Regeln der Kunst zitiert, bearbeitet.<br />

„Goldkettchen und<br />

Falco-Pose“ nannte es der<br />

deutsche Spiegel. Und gerade<br />

da ortete Rotifer die Gefahr,<br />

dass man durch das Arbeiten<br />

mit Zitaten, das Verwursten<br />

all dieser Klischees<br />

sehr leicht ins Klischee zurückkippt.<br />

Das stimmt<br />

schon, greift aber zu kurz.<br />

Denn zwar erkennt man das<br />

exaltierte Auftreten und<br />

auch das Spiel mit den Klischees<br />

wieder. Die Musik<br />

aber ist zu vielschichtig, um<br />

sie mit einem Verweis allein<br />

erklären zu können. Sich<br />

seiner Geschichte bewusst<br />

zu sein, sich aber nicht von<br />

ihr erdrücken zu lassen, ist<br />

das erklärte Ziel. So klingen<br />

Wanda zwar ein wenig nach<br />

Austropop, <strong>sind</strong> aber gleichzeitig<br />

unglaublich lässig. Das<br />

muss man erst mal schaffen.<br />

„<strong>Wir</strong> wollten weg vom Einheitsbrei“<br />

erklärt es Bilderbuch-Sänger<br />

Maurice Ernst.<br />

Die Musik sei als Trotzreaktion<br />

darauf gedacht, wie<br />

merkwürdig klein Österreich<br />

in den letzten Jahren<br />

gedacht hat. Womit wir<br />

beim Thema wären. Oft<br />

braucht es gerade für das<br />

Formatradio den<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

61


MUSIK KULTUR<br />

MUSIK-TIPPS<br />

Bilderbuch:<br />

Schick Schock (Vorhin<br />

Records/Universal Music)<br />

Wanda: Amore (Problembär<br />

Records/rough trade)<br />

Molden/Resetarits/Soyka/<br />

<strong>Wir</strong>th: Ho Rugg (monkeymusic)<br />

Molden & Nino aus <strong>Wien</strong>:<br />

Unser Österreich<br />

(monkey/rough trade)<br />

Ja, Panik: Libertatia<br />

(Staatsakt/rough trade)<br />

n Ja, Panik haben <strong>Wien</strong> den<br />

Rücken gekehrt, um ihren Traum<br />

von der erfolgreichen Rock-Band<br />

zu verwirklichen. Ab und zu kehren<br />

die Wahl-Berliner aber in die alte<br />

Heimat zurück, um ausverkaufte<br />

Konzerte zu spielen.<br />

Anstoß von außen, um<br />

überhaupt erst zu bemerken,<br />

wie außergewöhnlich<br />

ein bestimmtes Stück<br />

österreichi scher Popmusik<br />

ist. Man denkt zu klein. So<br />

auch bei Bilderbuch. Ich<br />

kann mich noch gut erinnern,<br />

als beim letzten Popfest<br />

ein verärgerter Walter<br />

Gröbchen (Musikmanager,<br />

monkeymusic) in Richtung<br />

Ö3, die Bilderbuch in all<br />

ihren Rotationen damals<br />

geflissentlich ignorierten,<br />

meinte: „Ihr werdet sie<br />

schon noch spielen!“ Und<br />

recht sollte er behalten,<br />

jedoch erst, nachdem sie in<br />

Deutschland durch die<br />

Decke gegangen waren.<br />

Rosige Zukunft<br />

Was bringt die Zukunft? Ist<br />

der Plafond erreicht? Mitnichten!<br />

Es ginge noch viel<br />

mehr. Eine Lied wie „Malipop“<br />

etwa von Ernst Molden<br />

hätte es sich aufgrund seiner<br />

Ohrwurmqualität verdient,<br />

in Radio <strong>Wien</strong> auf und ab<br />

gespielt zu werden. Ein Publikum<br />

wäre ihm gewiss. Bilderbuch<br />

und Wanda haben<br />

das Zeug, mit dem nächsten<br />

Album nachzulegen und<br />

noch erfolgreicher zu werden.<br />

Ja, Panik und Kreisky<br />

werden weiter unbeirrt ihren<br />

Weg gehen. Was man bei aller<br />

Austropop-Glückseligkeit<br />

allerdings nicht vergessen<br />

darf, ist, wie unglaublich<br />

reichhaltig die Szene hierzulande<br />

in den vergangenen<br />

Jahren geworden ist. Bei<br />

Weitem nicht nur im<br />

deutschsprachigen Pop,<br />

sondern in nahezu jedem<br />

Genre gibt es zahllose Acts,<br />

die wirklich Klasse haben<br />

und keinen internationalen<br />

Erfolg zu scheuen brauchen.<br />

Das sieht man allein schon<br />

daran, wie bunt Veranstaltungen<br />

wie das <strong>Wien</strong>er Popfest<br />

oder auch das Donauinselfest<br />

programmiert <strong>sind</strong>.<br />

Das sieht man aber auch daran,<br />

wie groß das Interesse<br />

im Ausland an Acts wie<br />

HVOB (Elektronik/Pop)<br />

oder Elektro Guzzi (Techno<br />

in Band-Besetzung) ist.<br />

Fotos: beigestellt<br />

62 smartguide für GANZ WIEN


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Tanz<br />

TEXT: THOMAS TRIMMEL<br />

Du kommst hier nicht<br />

rein! Wer diesen Satz<br />

vorm Club eingang<br />

vom Türsteher zu hören bekommt,<br />

für den ist der<br />

Abend gelaufen, bevor er<br />

überhaupt begonnen hat.<br />

Nicht selten fühlen sich Partygäste<br />

nach einer solchen<br />

Abweisung persönlich angegriffen.<br />

Diskussionen über<br />

die Türpolitik gibt es selten.<br />

Türpolitik<br />

Dass an den Türen der Clubs<br />

nicht immer die richtigen<br />

Entscheidungen getroffen<br />

werden und das zu Frust<br />

führt, weiß auch der Festivalkurator<br />

Georg Russegger.<br />

Unter dem Projektnamen<br />

Club Courage beschäftigen<br />

sich er und ein Kernteam<br />

von rund sechs Personen seit<br />

November damit, mehr Zivilcourage<br />

und Toleranz in<br />

Österreichs Nachtleben zu<br />

bringen. Club Courage<br />

möchte für soziales Handeln<br />

im Rahmen von Clubs, Discos,<br />

Musikveranstaltungen<br />

und Partys einstehen. Auf<br />

der Unterstützerliste finden<br />

sich bereits in der <strong>Wien</strong>er<br />

Clubszene bekannte Namen<br />

wie die Grelle Forelle oder<br />

das WUK. Werbeveranstalter<br />

für einzelne Festivals oder<br />

Veranstaltungen will der<br />

Club Courage aber nicht<br />

sein. Viel mehr will die Plattform<br />

ein Sprachrohr sowohl<br />

für die Veranstalter als auch<br />

das Publikum sein. In Zukunft<br />

soll es in regelmäßigen<br />

Abständen einen Stammtisch<br />

geben, zu dem Veranstalter<br />

eingeladen werden, um über<br />

ihre Erfahrungen zu diskutieren.<br />

Dabei soll nicht nur<br />

die Türpolitik der Clubs<br />

n Paul Smith ließ auf dem<br />

Konzert von Maximo Park in der<br />

<strong>Wien</strong>er Arena so virtuos die<br />

Hüften kreisen, dass zum<br />

Schluss sogar die hartnäckigsten<br />

Tanzverweigerer ihre müden<br />

Knochen schütteln mussten.<br />

Fotos: Fotolia (1), beigestellt<br />

64 smartguide für GANZ WIEN


NACHTLEBEN<br />

Die Initiative „Club Courage“ von Georg Russegger<br />

steht für ein friedliches Miteinander in Stadt<br />

und Land. <strong>Wir</strong> zeigen Ihnen, welche Clubs für<br />

couragiertes Engagement und Toleranz im<br />

Nachtleben eintreten.<br />

der<br />

Toleranz<br />

Thema sein. Auf der Agenda<br />

stehen auch die Auseinandersetzung<br />

mit dem Publikum<br />

oder die Preispolitik der<br />

Clubs.<br />

Clubs mit Charakter<br />

Eine der zentralen Fragen für<br />

den Club Courage im Moment<br />

ist, wie alle Leute in das<br />

Projekt integriert werden<br />

können, ohne dass sich andere<br />

auf den Schlips getreten<br />

fühlen. Der Club soll eine<br />

freie Flächte für Leute sein,<br />

die sich austoben wollen. „Es<br />

gibt in der Clubszene wenig<br />

tiefe Reflexion darüber, was<br />

das bedeutet. Die Clubszene<br />

hat kein Gesicht. Oft geht es<br />

nur ums Feiern und Saufen.<br />

Hier wollen wir etwas gestalten“,<br />

sagt Russegger. Für die<br />

Gründung der Initiative ausschlaggebend<br />

war unter<br />

anderem der Ausgang der<br />

Nationalratswahl 2013.<br />

Damals postete der <strong>Wien</strong>er<br />

Club Grelle Forelle auf<br />

Facebook, dass FPÖ-Wähler<br />

dort keinen Platz haben.<br />

„Man merkt ein verstärktes<br />

Verlangen von Veranstaltern<br />

und der Clubszene, sich<br />

zu gesellschaftspolitischen<br />

Themen zu äußern“, sagt<br />

Russegger.<br />

Statement gegen Rechts<br />

Die Grelle Forelle unterstützt<br />

nun den Club Courage, man<br />

wolle für eine gemeinsame<br />

Sache eintreten und einen<br />

Teil dazu beitragen, das Bewusstsein<br />

von Gast und Personal<br />

hinsichtlich eines<br />

friedlichen Beisammenseins<br />

sowie Toleranz im Nachtleben<br />

zu schärfen.<br />

Verhalten positiv gestalten<br />

Der Club Courage soll nicht<br />

„gegen etwas“ sein. „Das<br />

Projekt ist positiv konnotiert<br />

und keine Gegenbewegung“,<br />

sagt Russegger. Ein Manifest,<br />

wie man sich zu verhalten<br />

hat, wird es vom Club Courage<br />

nicht geben. „<strong>Wir</strong> wollen<br />

Dinge vorschlagen und<br />

nichts aufdoktrinieren.“ So<br />

soll zum Beispiel bei Türstehern<br />

ein Bewusstsein geschaffen<br />

werden, um mit<br />

Gästen – auch bei einer Abweisung<br />

– auf Augenhöhe<br />

umzugehen.<br />

n Georg Russegger steht für<br />

eine Welt ohne Fremdenfeindlichkeit<br />

und Ausgrenzung.<br />

DIE CLUBS<br />

Fluc + Fluc Wanne<br />

Praterstern 5, 1020 <strong>Wien</strong><br />

www.fluc.at<br />

Elektro Gönner<br />

Mariahilfer Straße 101, 1060 <strong>Wien</strong><br />

www.elektro-g.at<br />

The Loft<br />

Lerchenfelder Gürtel 37<br />

1160 <strong>Wien</strong>, www.theloft.at<br />

Oben<br />

Lehargasse 7,1060 <strong>Wien</strong><br />

www.schaunachoben.at<br />

Grelle Forelle<br />

Spittelauer Lände 1, 1090 <strong>Wien</strong><br />

www.grelleforelle.com<br />

Der Club als Wohnzimmer<br />

Am Ende <strong>sind</strong> es aber dennoch<br />

die Clubs, die das Publikum<br />

gestalten. „Ein Club ist<br />

kein Park, sondern ein<br />

Wohnzimmer, in dem die Regeln<br />

des Besitzers gelten“, sagt<br />

Russegger. Diese sollten laut<br />

ihm aber zumindest transparent<br />

sein. Man hofft nun auf<br />

eine junge, aufgeklärte Szene,<br />

die Lust hat mitzumachen.<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

65


SERVICE FÜR WIENERINNEN<br />

Vielfältig wie die Stadt<br />

Das Erfolgsmusical „Mary Poppins“ im Ronacher, Pink in der <strong>Wien</strong>er Stadthalle, Wellness in der<br />

Therme <strong>Wien</strong>, der <strong>Wir</strong>tschaftsstandort Neu Marx, der Twin City Liner u. v. m.<br />

Alle diese Projekte haben eines gemeinsam:<br />

Sie wurden von der<br />

<strong>Wien</strong> Holding realisiert.<br />

Rund 75<br />

Unternehmen<br />

bündelt die <strong>Wien</strong><br />

Holding derzeit unter ihrem<br />

Dach. So vielfältig wie die<br />

Projekte <strong>sind</strong> auch die MitarbeiterInnen,<br />

die in dem städtischen<br />

Konzern arbeiten. Internationalität<br />

und Integration<br />

wird hier großgeschrieben.<br />

Ob Pink-Konzert in der<br />

Stadthalle, entspannen in der<br />

Therme <strong>Wien</strong> oder per Twin<br />

City Liner auf der Donau von<br />

<strong>Wien</strong> nach Bratislava cruisen<br />

– die <strong>Wien</strong> Holding hat diese<br />

Projekte realisiert.<br />

n Mauro Novello<br />

arbeitet an der<br />

Verbesserung der<br />

Effizienz von EU-<br />

Programmen.<br />

Der städtische Konzern erfüllt<br />

kommunale Aufgaben<br />

und ist gleichzeitig stets bestrebt,<br />

die Lebensqualität in<br />

der Stadt zu erhöhen. Die<br />

rund 75 Unternehmen <strong>sind</strong><br />

im Kulturbereich, in der Entwicklung<br />

von Immobilien, im<br />

Logistik-, Umwelt- und Mediensektor<br />

tätig. Vielfalt spielt<br />

hier eine wichtige Rolle.<br />

Nicht nur auf Projekt- und<br />

Kundenebene – ein guter Teil<br />

der rund 2.900 MitarbeiterInnen<br />

ist international oder hat<br />

Migrationshintergrund. Integration<br />

ist in den Unternehmen<br />

der <strong>Wien</strong> Holding gelebte<br />

Praxis.<br />

Für ein besseres<br />

Europa<br />

Mauro Novello arbeitet und<br />

lebt seit 2005 in Österreich. Ursprünglich<br />

kommt er aus Italien,<br />

wo er in der Nähe von Venedig<br />

aufgewachsen ist. Seit<br />

2008 ist er Abteilungsleiter bei<br />

INTERACT, einem Projekt der<br />

EU-Förderagentur, das die Effizienz<br />

der EU-Programme vorantreibt.<br />

Er und sein Team,<br />

bestehend aus MitarbeiterInnen<br />

aus der gesamten EU, erarbeiten<br />

Seminare, Studien, Arbeitsprozesse<br />

und IT-Werkzeuge,<br />

um so gemeinsam zu einer<br />

besseren und effizienteren EU<br />

beizutragen. Gerade dieser Gemeinschaftsgedanke<br />

und die<br />

internationale Zusammenarbeit<br />

liegen<br />

ihm besonders<br />

am Herzen. „Unser<br />

bisher größter Erfolg<br />

war die Entwicklung<br />

einer<br />

Monitoring-Software,<br />

die den EU-<br />

SteuerzahlerInnen<br />

über 15 Millionen<br />

Euro gespart hat.<br />

Projekte wie dieses<br />

<strong>sind</strong> gut für<br />

die EU-Länder<br />

und auch gut<br />

für <strong>Wien</strong>“, so<br />

Mauro Novello.<br />

In Österreich<br />

fühlt er sich inzwischen<br />

schon wie zu Hause,<br />

denn „die ÖsterreicherInnen<br />

<strong>sind</strong> den ItalienerInnen ähnlicher<br />

als gedacht“, lacht er.<br />

Kunstliebhaberin aus<br />

Leidenscha<br />

Lalaine Cerrada ist seit 2004<br />

im Aufsichtsbereich und als<br />

„Guide“ im Kunst Haus <strong>Wien</strong><br />

im Einsatz. Sehr passend, wollte<br />

sie doch immer Künstlerin<br />

werden. Ihre Mutter hingegen<br />

wollte, dass sie zuerst ein<br />

„greifbares“ Studium absolviert.<br />

Also hat sie Marketingmanagement<br />

belegt, „den einzigen<br />

Bereich der <strong>Wir</strong>tschaft,<br />

in dem Kunst vorkommt“,<br />

lacht sie. In ihrer Heimat, den<br />

Philippinen, war Cerrada als<br />

Modedesignerin tätig, in<br />

Österreich hat sie dann als erste<br />

Ausstellung gleich eine Modeausstellung<br />

betreut. Neben<br />

n Lalaine Cerrada ist Künstlerin<br />

und Modedesignerin und setzt sich<br />

für das Kunst Haus <strong>Wien</strong> ein.<br />

66 smartguide für GANZ WIEN


Entgeltliche Einschaltung<br />

n Zuhdija Begic ist Betriebsleiter<br />

der <strong>Wien</strong>er Stadthalle und sorgt für<br />

den reibungslosen Ablauf bei<br />

Events und Konzerten.<br />

n Angela Djuric engagiert sich als<br />

studierte Kommunikationswirtschafterin<br />

im Marketing der<br />

<strong>Wien</strong> Holding.<br />

Fotos: Eva Kelety,Katrin Bruder, <strong>Wien</strong> Holding<br />

dem Einsatz für das Kunst<br />

Haus <strong>Wien</strong> ist Lalaine Cerrada<br />

nach wie vor als Künstlerin tätig<br />

und experimentiert liebend<br />

gern mit neuen Materialien.<br />

Ihren Arbeiten kann man auf<br />

www.lalaine-art.com einen Besuch<br />

abstatten.<br />

fen: Er war Bühnenmeister,<br />

Hallenmeister und Maschinist.<br />

Heute führt er 80 KollegInnen<br />

aus den Bereichen Hallen-,<br />

Ton- und Lichttechnik sowie<br />

Mechanik, Portiere und Reinigung.<br />

„Ein volles Haus ist das<br />

Schönste. Ich krieg’ noch immer<br />

eine Gänsehaut, wenn<br />

16.000 Menschen jubeln“, sagt<br />

Zuhdija Begic über seine Arbeit.<br />

Arbeiten, wo die Stars<br />

zu Hause <strong>sind</strong><br />

Zuhdija Begic ist Betriebsleiter<br />

in der <strong>Wien</strong>er Stadthalle. Von<br />

den KollegInnen wird er meist<br />

„Sudo“ genannt, da die Aussprache<br />

seines seltenen bosnischen<br />

Vornamens „Zuhdija“<br />

den ÖsterreicherInnen<br />

schwerfällt. Zuhdija Begic, geboren<br />

am 23. März 1957 in<br />

Boskrupa im Norden Bosnien-<br />

Herzegowinas, ist im Alter von<br />

13 Jahren seinen Eltern nach<br />

<strong>Wien</strong> gefolgt. Seit mittlerweile<br />

30 Jahren gehört der gelernte<br />

Maschinenschlosser fest zum<br />

Betrieb der Stadthalle und hat<br />

hier viele Stationen durchlaubeit<br />

tätig. Als bisher jüngste<br />

Teilnehmerin machte sie im<br />

Managementprogramm der<br />

<strong>Wien</strong> Holding mit. Ihre Wurzeln<br />

liegen am Balkan, aufgewachsen<br />

ist sie in <strong>Wien</strong>. Hier<br />

wird sie immer Migrantin<br />

bleiben, in Bosnien immer<br />

Auswanderin. Sie selbst<br />

sagt, dass sie sich weder als<br />

Österreicherin noch als Bosnierin<br />

fühlt, sondern<br />

als <strong>Wien</strong>erin.<br />

„Deswegen arbeite ich auch<br />

gerne bei der <strong>Wien</strong> Holding.<br />

<strong>Wien</strong> ist eine großartige Stadt<br />

und hat so viel zu bieten, immer<br />

ist irgendetwas los. Mit<br />

ihren Tochterunternehmen<br />

trägt die <strong>Wien</strong> Holding viel<br />

dazu bei und ich finde es toll,<br />

hier auch dazuzugehören.“<br />

Vom Ferialjob zur<br />

Marketing-Lady<br />

Angela Djuric wurde 1989 in<br />

Brcko in Bosnien-Herzegowina<br />

geboren und zog im Alter<br />

von zwei Jahren mit ihren<br />

Eltern nach <strong>Wien</strong>. In der <strong>Wien</strong><br />

Holding arbeitete Angela Djuric<br />

zum ersten Mal im Jahr<br />

2008 als Ferialpraktikantin.<br />

Seit Oktober 2011, kurz nach<br />

ihrem Bachelorabschluss in<br />

„Kommunikationswirtschaft“,<br />

ist sie Vollzeit im Bereich Marketing<br />

und Öffentlichkeitsarwww.wienholding.at


POLIZEI & GESELLSCHAFT<br />

„Das schaffst<br />

*erschienen in: DIE ZEIT 03/2015<br />

du nie“<br />

Will sie die Gesellschaft widerspiegeln,<br />

braucht die Polizei Migranten. Doch die<br />

österreichische Exekutive tut sich schwer –<br />

trotz gegenteiliger Beteuerungen.<br />

TEXT: JUDITH E. INNERHOFER* FOTOS: GIANMARIA GAVA<br />

68 smartguide für GANZ WIEN


Die österreichische Polizei<br />

lernte Mladen<br />

Mijatovic in Traiskirchen<br />

kennen. Im Juli 1993,<br />

der Jugoslawienkrieg war im<br />

vollen Gang, strandete der<br />

damals sechsjährige Junge<br />

mit seiner kroatischen Mutter<br />

in der Erstaufnahmestelle<br />

für Flüchtlinge südlich von<br />

<strong>Wien</strong>. Sie waren aus dem völlig<br />

zerstörten Sarajevo geflohen,<br />

der Vater, ein bosnischer<br />

Serbe, blieb im Kriegsgebiet.<br />

35 Polizisten wachten in diesem<br />

Sommer über das Lager,<br />

patrouillierten zwischen den<br />

Schlafhütten und notierten<br />

an der Eingangspforte jeden,<br />

der das Kasernenareal betreten<br />

und verlassen wollte. Als<br />

Flüchtling nach Traiskirchen<br />

zu kommen bedeutete Fingerabdrücke<br />

abgeben, Formulare<br />

ausfüllen, Fragen beantworten,<br />

kontrolliert werden.<br />

Mehr als zwei Jahrzehnte<br />

später sitzt der Ex-Asylwerber<br />

wieder bei der Polizei.<br />

Doch nicht als Delinquent,<br />

wie es sich zornige Wutbürger<br />

und rechte Populisten<br />

gerne ausmalen. Mladen Mijatović<br />

trägt selbst die blaue<br />

Uniform der Gesetzeshüter.<br />

Aus dem Flüchtlingskind<br />

wurde ein Polizist.<br />

Verständigung in der<br />

Muttersprache<br />

Ein grauer Wintermorgen in<br />

<strong>Wien</strong>-Meidling, Polizeiinspektion<br />

Hufelandgasse. Hinter<br />

einer zusätzlichen Sicherheitstür<br />

versteckt sich im ersten<br />

Stock das Referat Minderheitenkontakte.<br />

Es wurde<br />

2010 geschaffen, mit dem<br />

Anspruch, das angeschlagene<br />

Verhältnis zwischen Polizei<br />

und Migranten zu verbessern.<br />

Im Flur weist ein Hin-<br />

weisschild, auf dem "Revierinspektor<br />

Mladen Mijatović"<br />

steht, in ein enges Dienstzimmer<br />

linker Hand, wo sich der<br />

heute 29-Jährige über den<br />

vielleicht langweiligsten Teil<br />

des Jobs bei der Polizei beugt:<br />

Protokolle. Solche von Gesprächen<br />

mit einem Imam<br />

zum Beispiel oder von Einsätzen,<br />

bei denen ihn Kollegen<br />

von der Streife als Übersetzer<br />

zu Hilfe gebeten haben.<br />

"Natürlich macht es einen<br />

Unterschied, wenn ein<br />

Migrant wie ich Polizist ist",<br />

sagt Mijatović dann – und<br />

zwar in astreinem <strong>Wien</strong>erisch.<br />

Er spricht schnell und<br />

überzeugend. In <strong>Wien</strong>-Favoriten,<br />

einem Bezirk mit hohem<br />

Migrantenanteil, wird er<br />

immer wieder gerufen.<br />

Jüngst etwa bei einem Notruf<br />

wegen Gewalt in der Familie.<br />

Die Stimmung sei geladen<br />

gewesen, erzählt Mijatović,<br />

und der Täter vom Eintreffen<br />

der Polizei wenig angetan.<br />

Mijatović spricht ihn in seiner<br />

Muttersprache an, "und<br />

allein damit habe ich die Situation<br />

beruhigt".<br />

Kulturvermittler<br />

Ob als Dolmetscher, Kulturvermittler<br />

oder Milieu-Experten:<br />

Spät, aber doch hat<br />

man auch in Österreich entdeckt,<br />

dass die Polizei Migranten<br />

in den eigenen Reihen<br />

braucht. Seit 2007 wirbt die<br />

<strong>Wien</strong>er Exekutive mit dem<br />

Slogan "<strong>Wien</strong> braucht Dich"<br />

um sie. Ein Jahr später, nach<br />

den Nationalratswahlen<br />

2008, folgte die Bundesregierung<br />

der schon lange zuvor<br />

ausgesprochenen Empfehlung<br />

des Europarates und<br />

schrieb die Agenda erstmals<br />

im Koalitionsvertrag fest. "Ja,<br />

wir wollen mehr Polizisten<br />

mit Migrationshintergrund",<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

69


POLIZEI & GESELLSCHAFT<br />

heißt es bei der <strong>Wien</strong>er Polizei<br />

ebenso wie im Inenministerium.<br />

Nur: Polizisten wie<br />

Mladen Mijatović <strong>sind</strong> noch<br />

immer selten. Einerseits, weil<br />

sich alte Muster zäh halten<br />

innerhalb dieser auf Hierarchie<br />

und uniforme Werte angelegten<br />

Organisation, in der<br />

sich Recht und rechts nicht<br />

immer klar trennen lassen.<br />

Und andererseits, weil sich<br />

Österreich insgesamt schwer<br />

mit seinen "Fremden" tut.<br />

70 smartguide für GANZ WIEN<br />

„Es braucht Menschen die gewisse Dinge<br />

authentisch rüberbringen können. “<br />

SKB Christian Doneis<br />

In Berlin ist jeder fünfte<br />

neu eingestellte Polizist<br />

Migrant<br />

Damals, vor sieben Jahren, als<br />

Politik und Polizeiführung<br />

erstmals das Thema Migranten<br />

in Uniform in den Mund<br />

nahmen, traten sie auf der<br />

rechten Flanke das erwartbare<br />

Sturmgeheul los. Im Gegensatz<br />

zu Deutschland stand<br />

die österreichische Staatsbürgerschaft<br />

als Zugangskriterium<br />

zwar nie zur Debatte,<br />

doch vielen scheint der Pass<br />

alleine noch nicht genug:<br />

Vom drohenden "Migrantenbonus"<br />

tönte die FPÖ-nahe<br />

Polizeigewerkschaft<br />

AUF/Exekutive, der ein<br />

"Schlag ins Gesicht" sei "für<br />

jeden aus Österreich stammenden<br />

Bewerber". Die Fakten<br />

geben den rechten Ängsten<br />

nicht recht, im Gegenteil:<br />

Zwar werden keine Zahlen<br />

erhoben – "vor einem Stempel<br />

›Migrant‹ in den Personalakten<br />

würde mir grauen",<br />

lautet ein Argument aus der<br />

Sicherheitsdirektion. Am<br />

ehesten lässt sich ein Migrationshintergrund<br />

aber bei den<br />

Polizeianwärtern ablesen:<br />

Wer etwa Türkisch, Polnisch<br />

oder Urdu als Zusatzqualifikation<br />

angibt, hat mit hoher<br />

Wahrscheinlichkeit familiäre<br />

Wurzeln im Ausland. 2007<br />

gab es demnach nicht mehr<br />

als ein Prozent solcher Bewerber<br />

in der Bundeshauptstadt.<br />

Mittlerweile sollen es<br />

sieben bis acht Prozent sein.<br />

Anwerben von<br />

Zuwanderern<br />

In <strong>Wien</strong>, wo der Migrantenanteil<br />

weit höher ist als in den<br />

Bundesländern, versehen insgesamt<br />

rund 7.000 Polizisten<br />

ihren Dienst. In der Beantwortung<br />

einer parlamentarischen<br />

Anfrage der FPÖ sprach<br />

ÖVP-Innenministerin Johanna<br />

Mikl-Leitner im vergangenen<br />

Sommer davon, dass 175<br />

Migranten die blaue Uniform<br />

in der Hauptstadt tragen würden,<br />

Polizeischüler inklusive.<br />

Damit zählt die <strong>Wien</strong>er Polizei<br />

nicht mehr als 2,5 Prozent Zuwanderer<br />

in erster oder zweiter<br />

Generation, während es in<br />

der <strong>Wien</strong>er Bevölkerung fast<br />

jeder zweite ist. In Paris und<br />

Berlin ist man längst weiter.<br />

Die Polizeiapparate der beiden<br />

Metropolen werben seit<br />

Langem intensiv um Zuwanderer.<br />

In der deutschen Bundeshauptstadt<br />

ist von den im<br />

Herbst 2014 eingestellten Polizisten<br />

im mittleren Dienst bereits<br />

mehr als jeder Fünfte Migrant<br />

erster Generation. Unlängst<br />

hat auch Daueragitator<br />

Thilo Sarrazin das Thema für<br />

sich entdeckt und über eine<br />

angebliche Bevorzugung von<br />

türkischen und arabischen<br />

Bewerbern gewettert. Zu breiterer<br />

Empörung reichte dieser<br />

These in Deutschland allerdings<br />

nicht aus. In Österreich<br />

hat hingegen Gewicht, was<br />

Freiheitliche und ihre Gewerkschafter<br />

in Sachen Polizei<br />

anzumerken haben. Blau ist in<br />

der Republik nicht nur die<br />

Uniform: Jeder vierte Exekutivbeamte<br />

hat bei den jüngsten<br />

Gewerkschaftswahlen für<br />

die AUF votiert, Tendenz steigend.<br />

Das blaue Lager versteht<br />

„Ja, wir wollen mehr Polizisten mit Migrationshintergrund.“<br />

<strong>Wien</strong>er Polizei


sich gut darauf, die Befindlichkeiten<br />

der Law-and-Order-Organisation<br />

zu bedienen.<br />

Nicht jedem AUF- und<br />

FPÖ-Wähler in Uniform darf<br />

Xenophobie vorgeworfen werden.<br />

Dennoch, ebenso wie die<br />

FPÖ tut sich die Polizei<br />

schwer mit Ausländern. Das<br />

Zeugnis, das NGOs wie die<br />

Rassismusbeobachtungsstelle<br />

Zara der Polizei ausstellen, ist<br />

ebenso nachhaltig schlecht<br />

wie der Länderbericht der Europäischen<br />

Kommission gegen<br />

Intoleranz und Rassismus<br />

Ecri. Weit über die Hälfte aller<br />

befragten Afrikaner gab in einer<br />

Studie 2012 an, innerhalb<br />

eines Jahres mindestens einmal<br />

von der Polizei angehalten<br />

und kontrolliert worden<br />

zu sein. Jeder Zweite hatte dabei<br />

den Eindruck, die Amtshandlung<br />

sei nicht korrekt<br />

verlaufen.<br />

Erfolgsgeschichte<br />

Als Christian Doneis vor 30<br />

Jahren zum ersten Mal die<br />

<strong>Wien</strong>er Polizeischule betrat,<br />

sei es still geworden, "mucksmäuschenstill",<br />

erzählt er. "Jemanden<br />

wie mich, das hatte<br />

man dort noch nie gesehen."<br />

Mit "das" meint Doneis Teint<br />

und Gesichtszüge: milchkaffeefarben<br />

und leicht afrikanisch,<br />

das Erbe der niederösterreichischen<br />

Mutter und<br />

des Vaters, der als Medizinstudent<br />

aus Nigeria gekommen<br />

war. Abgesehen davon, ist der<br />

50-jährige Doneis Österreicher<br />

durch und durch, spricht<br />

außer Deutsch nur Englisch<br />

und hat von Afrika wenig mitbekommen.<br />

Aber als erster<br />

farbiger Polizist Österreichs<br />

war er in den 1980ern eine<br />

Kuriosität. Doneis fällt auch<br />

zwischen den uniformierten<br />

Beamten auf, die an diesem<br />

„Das Interesse für den Polizistenjob ist<br />

unter Zuwanderern gering. Weil man<br />

als hochqualifizierter Migrant eher<br />

eine Stelle in einer Anwaltskanzlei<br />

anstreben möchte.“<br />

Freitagmorgen durch die fahlen<br />

Flure und Zimmer des<br />

Siebziger-Jahre-Bürohauses<br />

am Schottenring streifen, des<br />

Sitzes der <strong>Wien</strong>er Landespolizeidirektion.<br />

Ein sportlicher<br />

Hüne in Sneakers, Jeans und<br />

Kapuzensweater, der früher<br />

einmal Tormann werden<br />

wollte, jetzt locker in den<br />

Stuhl rutscht und ebenso<br />

zwanglos von Fußball und der<br />

dazugehörigen Fanszene erzählt.<br />

Match für Match begleitet<br />

er seit elf Jahren als "Fanpolizist"<br />

den harten Kern der<br />

Gefolgschaft von Rapid <strong>Wien</strong><br />

und übt sich im Dribbling auf<br />

der Linie zwischen Vertrauen<br />

und Mahnen, Vermitteln und<br />

Strafen. "Ein bisschen ist das<br />

schon wie in einer großen Familie",<br />

sagt Doneis, der wie alle<br />

szenekundigen Beamten<br />

nur Zivil trägt. "Man verbringt<br />

so viel Zeit miteinander,<br />

dass man sich mit manchen<br />

längst nicht mehr nur<br />

über Fußball unterhält." Bei<br />

Polizeisoziologe Reinhard Kessl<br />

Auswärtsfahrten dauert ein<br />

Einsatz schon einmal über 24<br />

Stunden, immer in der Hoffnung,<br />

dass es nicht zu größeren<br />

Eskalationen kommt wie<br />

etwa beim berüchtigten <strong>Wien</strong>er<br />

Derby 2007. Auch da<br />

stand Christian Doneis mittendrin,<br />

während Anhänger<br />

der beiden Erzrivalen das<br />

Horr-Stadion in ein Schlachtfeld<br />

verwandelten und außer<br />

die jeweiligen Gegner auch die<br />

Sicherheitsbeamten attackierten.<br />

Angst? Die wäre fehl am<br />

Platz, sagt der bullige Beamte.<br />

"Aber Respekt muss man<br />

schon haben, niemand ist unverletzlich."<br />

Und Rassismus<br />

im Fußball, ein Dauerthema?<br />

Nicht wirklich, meint Doneis.<br />

Rechte Hooligans seien in<br />

Österreich nur eine Randerscheinung.<br />

"Und vielleicht ist<br />

mein Anderssein auch ein<br />

Vorteil in der Szene, weil ich<br />

nicht ganz dem typischen Kieberer<br />

entspreche."<br />

n XXit Yves Chikuru unterwegs am Schöpfwerk in <strong>Wien</strong>: „Hier fühle<br />

ich mich wohl, hier ist man lebendig.“<br />

Polizeialltag<br />

Früher spielte die Hautfarbe<br />

sehr wohl eine Rolle. Mitte der<br />

1980er trat Doneis als Revierinspektor<br />

am Karlsplatz seinen<br />

Dienst an, dem langjährigen<br />

<strong>Wien</strong>er Drogendrehkreuz.<br />

Ein damals dunkles, muffiges<br />

Wachzimmer war sein Büro,<br />

der Arbeitsalltag einsatzintensiv<br />

und hart wie nirgendwo<br />

sonst: Unter österreichischen<br />

Polizisten steht die Zuteilung<br />

zu dieser Dienststelle bis heute<br />

im Ruf einer Strafversetzung.<br />

"Scheiß Kieberer", sagt Doneis<br />

leise lächelnd, das sei noch die<br />

netteste Form der Ansprache<br />

gewesen. Der bürgerlich-behütet<br />

aufgewachsene Sohn des<br />

nigerianischen Mediziners<br />

blieb zehn Jahre lang und erlebte<br />

damit an vorderster<br />

Front das Aufkommen jener<br />

offenen Drogenszene, die bis<br />

heute das Vorurteil vom<br />

Schwarzen als Drogenhändler<br />

prägt. Es liegt vielleicht gerade<br />

an dieser intensiven Erfahrung<br />

zwischen Spritzen, Verwahrlosung<br />

und Brutalität,<br />

dass es der Halbnigerianer<br />

nicht wirklich übel nimmt,<br />

wenn bei Kollegen "der Polizeialltag<br />

auf gewisse Denkschemata<br />

abfärbt". Bestes Gegenmittel,<br />

meint er: der Kontakt<br />

zu Migranten und Minderheiten<br />

abseits von Einsätzen<br />

und Anzeigen, auch zu<br />

Kollegen wie ihm selbst oder<br />

Mladen Mijatović.<br />

Chancengleichheit<br />

Nur bleibt das Interesse für<br />

diesen Job bei Zuwanderern<br />

aus, und zwar auch, darauf<br />

weist Polizeisoziologe Reinhard<br />

Kreissl vom Institut für<br />

Rechts- und Kriminalsoziologie<br />

hin, "weil ich als hoch qualifizierter,<br />

mehrsprachiger Migrant<br />

eher eine Stelle in einer<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

71


POLIZEI & GESELLSCHAFT<br />

Anwaltskanzlei annehme".<br />

Mladen Mijatovic wurde von<br />

seinem Umfeld von der Bewerbung<br />

teils abgeraten: "Das<br />

schaffst du doch nie", waren<br />

manche Verwandten überzeugt.<br />

"Nicht weil sie mir das<br />

nicht zugetraut hätten, sondern<br />

aus ethnischen Gründen."<br />

Ein bosnisch-kroatischserbischer<br />

Ex-Asylant kriege<br />

keine Chance, waren die<br />

Freunde überzeugt. Dazu<br />

komme in manchen Communitys<br />

noch eine ganz grundsätzliche<br />

Polizeiskepsis, sagt<br />

Mijatović. "Wo die Erfahrungen<br />

im Herkunftsland besonders<br />

schlecht <strong>sind</strong>, wie etwa in<br />

afrikanischen Bürgerkriegsländern,<br />

gilt ein Landsmann<br />

in Uniform oft sogar als Verräter."<br />

An alledem ändern gelegentliche<br />

Werbeveranstaltungen,<br />

Broschüren und<br />

Schulbesuche nur wenig. Bislang<br />

jedenfalls hält Kreissl den<br />

Wunsch nach mehr Migranten<br />

in Uniform für ein Lippenbekenntnis.<br />

Zwar gebe es<br />

durchaus starke Bemühungen,<br />

den Polizeiapparat insgesamt<br />

zu modernisieren. Aber:<br />

"Lieber hält man den Laden<br />

ruhig und verharrt im Status<br />

quo, anstatt das Ziel zu exakt<br />

zu formulieren und laut über<br />

konkrete Maßnahmen nachzudenken."<br />

Die Durchfallquoten<br />

beim Deutschtest <strong>sind</strong><br />

enorm, nicht nur unter<br />

Migranten<br />

Diskussionen wie etwa über<br />

eine Quote wären verlässliches<br />

Wasser auf populistische<br />

Mühlen. Da müsse, wie ein<br />

Vertreter der FPÖ einmal<br />

unkte, "auch die Frage erlaubt<br />

sein, was dann als<br />

Nächstes kommt – etwa eine<br />

Quote für Homosexuelle?" In<br />

72 smartguide für GANZ WIEN<br />

„Natürlich macht es einen Unterschied,<br />

wenn ein Migrant wie ich Polizist ist.“<br />

Revierinspektor Mladen Mijatovic<br />

der Sicherheitsdirektion will<br />

man den Vorwurf der "Minderqualifizierung"<br />

vermeintlicher<br />

Quotenpolizisten gar<br />

nicht erst aufkommen lassen:<br />

"<strong>Wir</strong> wollen keine Zwei-Klassen-Polizei."<br />

Ähnliche Erfahrungen<br />

habe man in Österreich<br />

gewissermaßen schon<br />

gemacht, als in den 1990ern –<br />

mit enormer Verspätung im<br />

internationalen Vergleich –<br />

Frauen in den Exekutivdienst<br />

aufgenommen und gefördert<br />

wurden. Hierarchien haben<br />

eine starke Tendenz zur Homogenisierung.<br />

Diese Tendenz<br />

verstärke sich umso<br />

mehr, wenn aufgrund von<br />

Quotenregelungen Minderqualifizierung<br />

unterstellt<br />

wird, sagt ein Sprecher des<br />

Innenministeriums. Immer<br />

wieder sei zu beobachten,<br />

"wie stark manche Frauen einen<br />

männlichen Habitus angenommen<br />

haben, um ihre<br />

Zugehörigkeit zu beweisen".<br />

Umgelegt auf uniformierte<br />

Migranten bedeute das:<br />

"Muss er oder sie dann besonders<br />

viele Leberkässemmeln<br />

essen und Bier trinken,<br />

um als richtiger Österreicher<br />

dazuzugehören?"<br />

Quote? Nein Danke.<br />

Es ist Mittagszeit bei den Polizisten<br />

vom Minderheitenreferat<br />

in der Hufelandgasse. Im<br />

Gemeinschaftsraum wird<br />

selbst gemachte Maronicreme<br />

mit Schlag herumgereicht.<br />

Mladen Mijatović, den die<br />

Kollegen wegen seines akkuraten<br />

Arbeitsstils lächelnd "den<br />

General" nennen, interessiert<br />

sich jetzt aber nicht für Süßes.<br />

Eine Quote? "Da würde man<br />

sich selbst auch nichts Gutes<br />

tun, im Sinne der Anerkennung",<br />

sagt er. Auf dem Weg<br />

zurück in sein penibel aufgeräumtes<br />

Dienstzimmer mit<br />

den kroatischen und den<br />

österreichischen Fähnchen<br />

und Wimpeln kommt Mijatović<br />

noch einmal darauf zurück.<br />

Migrantenvorteil? "Es<br />

gibt bestimmte formale Erfordernisse.<br />

Für alle." De facto<br />

heißt das auch für ihn: Perfekt<br />

Bosnisch, Serbisch und Kroatisch<br />

zu sprechen spielt weder<br />

eine Rolle, wenn es um Karriere<br />

geht, noch spielte es damals<br />

eine im Rekrutierungstest.<br />

Denn mehr als Fitness<br />

und der Psychotest zählen<br />

dort deutsche Rechtschreibung<br />

und Grammatik. Die<br />

Durchfallquoten im Deutschtest<br />

seien enorm – nicht nur<br />

unter Migranten, betont das<br />

Innenministerium. Dort<br />

spricht man offen über die<br />

Mängel eines überholten Verfahrens,<br />

in dem sich ein mäßig<br />

erfolgreiches Deutschdiktat<br />

zwar durch eine sportliche<br />

Spitzenleistung, nicht aber<br />

durch Mehrsprachigkeit wettmachen<br />

lässt.<br />

Keine Diskriminierung<br />

Einmal im Dienst, geht es<br />

auch um Chancen und Stimmung<br />

innerhalb der Behörde.<br />

Dabei betonen uniformierte<br />

Migranten, die sich wie der<br />

Ex-Asylwerber Mijatović oder<br />

der Halbnigerianer Doneis öffentlich<br />

dazu äußern, im Kollegenkreis<br />

nie diskriminiert<br />

worden zu sein. Und das hat<br />

seinen Grund: Sie <strong>sind</strong> ebenso<br />

sehr Vorzeige-Polizisten wie<br />

Vorzeige-Österreicher, integriert<br />

und qualifiziert, akzentund<br />

reibungsfrei. Modellkandidaten,<br />

die als Werbeträger<br />

gerne vorgeschickt werden,<br />

von denen man mit leisen politischen<br />

Absichtsbekundungen<br />

alleine nicht genügend<br />

finden wird. Nervt es eigentlich,<br />

der Vorzeige-Farbige der<br />

Polizei zu sein? Überhaupt<br />

nicht, sagt Christian Doneis<br />

und lächelt wieder ziemlich<br />

entspannt. "Es braucht halt<br />

Menschen, die gewisse Dinge<br />

authentisch rüberbringen<br />

können. Und wenn mir die<br />

Hautfarbe dabei hilft: auch<br />

gut so."


Auf sozialer Schiene<br />

31 Flüchtlinge absolvieren gerade ihre Lehre bei den ÖBB. Im Rahmen der<br />

integrativen Lehrausbildung werden die Jugendlichen gezielt unterstützt und<br />

gefördert.<br />

Entgeltliche Einschaltung<br />

Fotos: ÖBB, ÖBB/Eisenberger<br />

Die ÖBB <strong>sind</strong> einer<br />

der wenigen<br />

integrativen<br />

Lehrbetriebe, wo<br />

auch Jugendliche<br />

aufgenommen werden, die<br />

es auf dem Arbeitsmarkt besonders<br />

schwer haben. Aktuell<br />

absolvieren 31 Flüchtlinge ihre<br />

Lehre bei den ÖBB. 2015 stehen<br />

weitere 14 Ausbildungsplätze<br />

für dieses Projekt zur<br />

Verfügung. Die Jugendlichen<br />

werden meist über Vereine –<br />

wie lobby.16 oder Caritas –<br />

empfohlen. Die Ausbildungsplätze<br />

bei den ÖBB werden im<br />

Vorfeld mit dem AMS abgestimmt.<br />

Ohne den Einsatz des<br />

ÖBB-Ausbildungsbereiches mit<br />

speziellen Förderprogrammen<br />

wäre dieses Lehrlingsprojekt<br />

nicht umsetzbar. Eine Berufsausbildung<br />

ist gerade für Menschen<br />

mit Flüchtlingsstatus<br />

die Basis für den weiteren<br />

Lebensweg. Die Jugendlichen<br />

haben alle ein schweres Schicksal<br />

und einen erschütternden<br />

Lebenslauf. Durch ihre oft<br />

dramatische Flucht und ihren<br />

Kampf ums Überleben haben<br />

sie ungeheure Kräfte entwickelt.<br />

Sie haben einen überdurchschnittlichen<br />

Ehrgeiz,<br />

lernen sehr rasch mit neuen<br />

Herausforderungen umzugehen<br />

und <strong>sind</strong> für die ÖBB eine<br />

riesige Chance. Das ÖBB-<br />

Flüchtlingsprojekt befindet<br />

sich heuer im dritten Ausbildungsjahr.<br />

Gelungene Integration<br />

Der ÖBB-Mitarbeiter Rajesh<br />

Mukherjee – Spitzname „Muki“<br />

– startete seine Lehre zum Metallbearbeiter<br />

im Rahmen der<br />

Integrativen Berufsausbildung<br />

in der ÖBB-Lehrwerkstätte Floridsdorf.<br />

„Muki“, geboren 1988<br />

in Kalkutta/Indien, kam mit seiner<br />

Familie 2004 nach <strong>Wien</strong>.<br />

2009 schloss er seine Lehrausbildung<br />

mit „Ausgezeichnetem Erfolg“<br />

ab und ist seither in der<br />

ÖBB-Servicestelle Floridsdorf<br />

beschäftigt. Inzwischen hat<br />

„Muki“ eine Ausbildung zum<br />

Werkstätten-Lokführer gemacht<br />

und absolviert nun eine Schulung<br />

zum Thema „Zerstörungsfreie<br />

Überprüfung für Metalle“.<br />

Ismet Parmaksiz stammt aus der<br />

Türkei. Er absolvierte seine Lehre<br />

in der ÖBB-Lehrwerkstätte<br />

Floridsdorf im Rahmen der Integrativen<br />

Berufsausbildung mit<br />

„Gutem Erfolg“. Nach Beendigung<br />

seiner Lehrzeit wurde ihm<br />

eine freie Stelle bei ÖBB-Technische<br />

Services im Werk Floridsdorf<br />

angeboten – wo er bereits<br />

im Rahmen eines Praktikums<br />

mit seinem Fleiß gepunktet hat.<br />

Außerdem hat er seither einen<br />

Kran- und einen Staplerschein,<br />

eine Schweißprüfung sowie<br />

Schulungen, die für Revisionsbedingtes<br />

Arbeiten notwendig<br />

<strong>sind</strong>, gemacht.<br />

Top Lehrlingsausbilder<br />

Die ÖBB bieten derzeit insgesamt<br />

1.724 Lehrlingen eine fundierte<br />

Ausbildung in 22 Lehrberufen.<br />

Bemerkenswert: Rund die<br />

Hälfte der weiblichen ÖBB-<br />

Lehrlinge entschied sich für<br />

einen technischen Lehrberuf.<br />

Im Vergleich zur Ausbildungs -<br />

situation in Gesamtösterreich,<br />

die insgesamt nur 12 Prozent<br />

weibliche Lehrlinge in technischen<br />

Berufen aufweist, ist der<br />

starke weibliche Techniknachwuchs<br />

ein beeindruckendes<br />

Signal. Die ÖBB gehören zu<br />

den größten Lehrlingsausbildungsbetrieben<br />

Österreichs –<br />

und als Ausbilder in technischen<br />

Berufen <strong>sind</strong> sie sogar die klare<br />

Nummer eins.<br />

oebb.at/lehre<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

73


FREIZEIT<br />

<strong>Wien</strong>er Kultourkalender 2015<br />

Mai bis Juni<br />

MUSIK – Musikfest der<br />

Vielfalt 2015<br />

Das „Musikfest der Vielfalt“ in<br />

Österreich widmet sich dem<br />

Thema der Vielfalt im Sinne der<br />

„UNESCO-Konvention über den<br />

Schutz und die Förderung der<br />

Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“<br />

und will damit gleichermaßen<br />

eine öffentliche Feier der Musik<br />

sowie ein Bekenntnis des harmonischen<br />

Dialoges der Vielfalt.<br />

www.musikfestdervielfalt.at<br />

4. bis 6. Juni<br />

MUSIK – Rock in Vienna<br />

<strong>Wien</strong> ist bekanntlich eine Musikstadt<br />

– im Sommer 2015 wird es<br />

nun auch zu einer Rockfestival-<br />

Stadt. Das erste Rock in Vienna<br />

Festival geht an den Start. Mit<br />

dabei: Metallica, Muse, Kiss und<br />

viele mehr. www.rockinvienna.at<br />

4. bis 6. Juni<br />

MUSIK – 36. Blasmusikfest<br />

Insgesamt 26 Blasmusikkapellen<br />

aus allen österreichischen<br />

Bundesländern und aus Südtirol<br />

präsentieren sich am Samstag,<br />

6. Juni 2015 in <strong>Wien</strong>.<br />

Höhepunkt: Ein gemeinsames<br />

Abschlusskonzert mit 1.200<br />

Musikerinnen und Musikern<br />

am Rathausplatz bildet den<br />

Schlussakkord der Veranstaltung.<br />

www.blasmusik.at<br />

74 smartguide für GANZ WIEN<br />

n Bootskonzert der anderen Art: Mit Funkkopfhörern leise durch die Nacht<br />

feiern.<br />

13. Juni<br />

KUNST – StraßenKunstFest<br />

Buntes Treiben am Brunnenmarkt!<br />

Das StraßenKunstFest findet<br />

im Brunnenviertel zwischen<br />

Payergasse und Grundsteingasse<br />

sowie rund um den Yppenplatz<br />

statt. Unterschiedliche Straßen<br />

Musik-Acts, Spiele und Akrobatik,<br />

Konzerte und Performances,<br />

Workshops, Zirkus und Tanz<br />

bilden ein vielfältiges Programm,<br />

das vom Nightshopping und<br />

einem Kunsthandwerkmarkt<br />

ergänzt wird.<br />

www.brunnenpassage.at<br />

n Metallica: Wer sie noch nicht live<br />

erlebt hat, der hat noch nichts erlebt!<br />

21. Juni<br />

MUSIK – Silent Bootskonzert<br />

Zwei Funkkopfhörer-Konzerte in<br />

Booten! Am längsten Tag des<br />

Jahres lädt das WIR SIND<br />

WIEN.FESTIVAL 2015 zu einem<br />

Funkkopfhörer-Special auf der<br />

Alten Donau, bei dem der Medienkünstler<br />

Oliver Hangl sowohl<br />

Musiker als auch Publikum aufs<br />

Wasser schickt! So schwärmen<br />

20 Boote individuell aus, um<br />

mit der Müßig Gang feat. SKERO<br />

quasi lautlos durch die sanften<br />

Wellen zu elektro-tret-rudern.<br />

Die Kabinenparty am Land wird<br />

von DJane Mazery befeuert.<br />

www.olliwood.at<br />

Sommer 2015<br />

FESTIVAL –<br />

Holi Festival der Farben<br />

Das Frühlingsfest aus Indien erobert<br />

Europa! 10 österreichische<br />

Städte werden 2014 HOLI-Luft<br />

schnuppern, einige davon zum<br />

ersten Mal. HOLI bedeutet: ein<br />

schönes friedliches Fest mit viel<br />

Farbe auf Kleidung, Körper und in<br />

der Luft! Gemeinsam mit einem<br />

abwechslungsreichen Band- und<br />

DJ-Programm feiern wir das bun-<br />

teste Fest Österreichs!<br />

Termine & Städte unter:<br />

http://holiopenair.at<br />

16. Juni bis 18. Juli<br />

FILM – Kino unter Sternen<br />

Zum sechsten Mal schlägt das<br />

Kino unter Sternen seine Zelte<br />

am Karlsplatz auf; diesmal mit<br />

Schwerpunkten zu Endzeitszenarien<br />

und Filmschaffenden im<br />

Exil. Weitere Film- und Public-<br />

Viewing- Locations unter<br />

www.sommerkino.at<br />

4. bis 11. Dezember<br />

FILM – Internationales<br />

Filmfestival der<br />

Menschenrechte<br />

Als Mitglied des internationalen<br />

Human Rights Film Network<br />

(HRFN) präsentiert das Festival<br />

jährlich rund 90 Spiel-, Dokumentar-<br />

und Kurzfilme, die von<br />

Panels, Diskussionen und<br />

Vorträgen begleitet werden.<br />

http://thishumanworld.com<br />

IMPRESSUM<br />

Medieninhaber und Herausgeber:<br />

QMM Quality Multi Media GmbH,<br />

Beatrixgasse 32, 1030 <strong>Wien</strong><br />

Redaktion: Mariahilfer Straße 51/Top 33,<br />

5. Stiege, 1060 <strong>Wien</strong>, Tel. 01/342 242-0,<br />

E-Mail: office@qmm.at, www.qmm.at<br />

Herausgeber: Andreas Dressler<br />

Artdirektion: Gottfried Halmschlager<br />

Redaktionsleitung: Thomas Trimmel<br />

Fotoredaktion: Natascha Senegacnik<br />

Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />

Jürgen Zacharias, Nadia Weiss, Aleksandra<br />

Pawlov, Markus Deisenberger, Thomas<br />

Trimmel, Sonja Fercher, Judith E. Innerhofer<br />

Büro: Brigitte Janko, Tel. 01/342 242-0,<br />

E-Mail: b.janko@qmm.at<br />

Geschäftsführung: Andreas Dressler,<br />

Günther Havranek<br />

Redaktionsadresse:<br />

Mariahilfer Straße 51/5. Stiege, 1060 <strong>Wien</strong>,<br />

Tel. 01/342 242-0, www.qmm.at<br />

Coverfoto: Getty Images<br />

Hersteller:<br />

Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H.<br />

Fotos :beigestellt


Ohne Erich Lessing<br />

wäre <strong>Wien</strong> um ein gutes<br />

Stück ärmer<br />

Die Bilder des österreichischen<br />

Fotografen Erich Lessing gingen<br />

um die Welt. Sein legendäres<br />

Foto anlässlich des österreichi -<br />

schen Staatsvertrages wurde zu einer<br />

Ikone des neuen Österreich. Erich<br />

Lessing erlebte als jüdisches Kind die<br />

Verfolgung und Deportation seiner<br />

Familie aus <strong>Wien</strong>, ihm selbst gelang<br />

die Flucht nach Palästina. Er begann<br />

als Fotograf zu arbeiten und wurde<br />

nach seiner Rückkehr nach Österreich<br />

1945 Fotoreporter bei Associated<br />

Press, Mitglied bei Magnum Photos<br />

und 1956 zum fotografischen Chronisten<br />

des ungarischen Volksaufstandes.<br />

Zum Schwerpunkt 1945/2015,<br />

„Um ein gutesFoto zu machen,<br />

braucht man zwei Augen“<br />

den das Jüdische Museum <strong>Wien</strong> mit<br />

der Ausstellungschiene „<strong>Wien</strong> und die<br />

Welt nach 1945“ begeht, hat Hannah<br />

Lessing, Generalsekretärin des Österreichischen<br />

Nationalfonds, eine persönliche<br />

Auswahl von Bildern ihres<br />

Vaters getroffen. „Lessing zeigt Lessing“<br />

bietet einen sehr privaten Einblick in<br />

die Arbeit des großen österreichischen<br />

Fotografen von seinen politischen<br />

Dokumentarfotos bis zu den Girls of<br />

the Sixties.<br />

Die Ausstellung „Lessing zeigt Lessing“<br />

ist noch bis 6. September 2015<br />

im Jüdischen Museum <strong>Wien</strong> zu sehen.<br />

www.jmw.at<br />

www.lessingimages.com<br />

SCHLUSSPUNKT<br />

Neuer <strong>Wien</strong>er alter Schule: Sein<br />

legendäres Foto anlässlich des<br />

österreichischen Staatsvertrages<br />

mit Leopold Figl und den alliierten<br />

Außenministern auf dem Balkon<br />

des Belvedere wurde zu einer Ikone<br />

des neuen Österreich.<br />

smartguide für GANZ WIEN<br />

75


PROGRAMM<br />

ERLEBEN!<br />

Alle Führungen unter backstage.ORF.at<br />

Hotline: (01) 877 99 99

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