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Regieren ohne den Schatten der Hierarchie. - Institut für ...

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4. Juni 2007<br />

<strong>Regieren</strong> <strong>ohne</strong> <strong>den</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong>.<br />

Ein mo<strong>der</strong>nisierungstheoretischer Fehlschluss?<br />

TANJA A. BÖRZEL*<br />

boerzel@zedat.fu-berlin.de<br />

Beitrag <strong>für</strong> die IB Sektionstagung, Panel E “Governance und Staat“, Darmstadt, 13.-<br />

14.7.2007<br />

* Für hilfreiche Kritik und Anregungen danke ich Andrea Liese, Diana Panke und<br />

Thomas Risse.


1. Einleitung<br />

Wenn wir uns mir dem <strong>Regieren</strong> in Räumen begrenzter Staatlichkeit beschäftigen, bietet es<br />

sich förmlich an, auf Konzepte <strong>der</strong> Governance-Forschung zurückzugreifen, die <strong>ohne</strong><br />

hierarchische Formen <strong>der</strong> sozialen Handlungskoordination auskommen, son<strong>der</strong>n auf <strong>der</strong><br />

Kooperation öffentlicher und privater Akteure in formalisierten Verhandlungssystemen o<strong>der</strong><br />

informellen Netzwerken beruhen. Bereits in <strong>den</strong> 70er Jahren hat die deutsche Forschung zur<br />

politischen Steuerung gezeigt, dass nicht-hierarchische Formen des <strong>Regieren</strong>s eine Lösung <strong>für</strong><br />

Probleme von Staatsversagen bieten können. Der Vorteil <strong>der</strong> direkten Einbeziehung nichtstaatlicher<br />

Akteure in <strong>den</strong> Politikprozess wurde in problemadäquateren Politikprogrammen<br />

sowie <strong>der</strong>en effektiveren Umsetzung gesehen, weil die Zielgruppen <strong>der</strong> Regelungen ihre<br />

Ressourcen und Interessen einbringen können. Diese Argumente wur<strong>den</strong> von <strong>der</strong><br />

Governance-Forschung aufgegriffen – was heute unter dem Begriff „neue Formen des<br />

<strong>Regieren</strong>s“ (new modes of governance) diskutiert wird, gilt zunehmend als funktionales<br />

Äquivalent zur hierarchischen Steuerung, sowohl diesseits wie jenseits des Nationalstaates.<br />

Empirische Arbeiten haben jedoch gezeigt, dass nicht-hierarchische Formen des <strong>Regieren</strong>s<br />

unter Einbeziehung nicht-staatlicher Akteure keineswegs immer effektiv sind. Sie produzieren<br />

vor allem dann problemadäquate(re) Politiken, wenn die Möglichkeit besteht, politische<br />

Entscheidungen auch hierarchisch zu verabschie<strong>den</strong> und gegen Wi<strong>der</strong>stand durchzusetzen.<br />

Der „<strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong>“ hat eine ausschlaggebende Wirkung auf die<br />

Kooperationsbereitschaft staatlicher bzw. nicht-staatlicher Akteure (Ritter 1990;<br />

Mayntz/Scharpf 1995a; Prätorius 2000; Héritier 2003; Töller 2007). 1 . Darüber hinaus zeigen<br />

staatliche Akteure, die nicht o<strong>der</strong> nur begrenzt auf hierarchische Steuerung rekurrieren<br />

können, wenig Bereitschaft, mit nicht-staatlichen Akteuren zu kooperieren bzw. öffentliche<br />

Aufgaben zu delegieren. Auch wenn sich daraus nicht notwendigerweise ein Paradox <strong>für</strong> die<br />

Governance-Forschung ergeben muss (vgl. Börzel 2007a), so entsteht doch zumindest ein<br />

Dilemma – die Ineffektivität hierarchischer Steuerung erfor<strong>der</strong>t <strong>den</strong> Einsatz nichthierarchischer<br />

Formen <strong>der</strong> Handlungskoordination, <strong>der</strong>en Effektivität (und Legitimität)<br />

wie<strong>der</strong>um vom <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> abhängt.<br />

1 Zum <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> und (New) Modes of Goverance in <strong>der</strong> EU siehe auch die Forschungsarbeiten<br />

im Rahmen des durch das 6. Rahmenprogramm <strong>der</strong> EU finanzierte Integrierte Projekt „New Modes of<br />

Governance“ (CITI-CT-2004-506392), v.a. innerhalb <strong>der</strong> Cluster 2 und 3, die sehr unterschiedliche<br />

Politikfel<strong>der</strong> abdecken (Energie, Telekommunikation, Umwelt, Sozialpolitik, Landwirtschaft, Arzneimittel,<br />

Regionalpolitik, Wettbewerbs- und Subventionskontrolle); http://www.eu-newgov.org/public/Research.asp,<br />

21.3.2007.<br />

1


Dieser Beitrag geht <strong>der</strong> Frage nach, wie viel an (Rest-) Staatlichkeit gegeben sein muss, damit<br />

Governance auch unter <strong>den</strong> Bedingungen von begrenzter Staatlichkeit effektiv Regeln setzen<br />

und implementieren kann, um kollektive Güter bereitzustellen. Im ersten Teil wird unter<br />

Rückgriff auf die deutsche Governance-Forschung, v.a. um Renate Mayntz und Fritz Scharpf,<br />

das Verhältnis zwischen hierarchischen und nicht-hierarchischen Governance-Formen<br />

theoretisch konzeptualisiert. Aus <strong>den</strong> theoretischen Überlegungen wer<strong>den</strong> dann<br />

Randbedingungen <strong>der</strong> Effektivität nicht-hierarchischer Governance-Formen diskutiert, bei<br />

<strong>den</strong>en <strong>der</strong> „<strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong>“ von zentraler Bedeutung ist. Der zweite Teil nimmt <strong>den</strong><br />

Zusammenhang zwischen <strong>Hierarchie</strong> und Staatlichkeit in <strong>den</strong> Blick. Wenn es zumindest eines<br />

<strong>Schatten</strong>s <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> bedarf, damit sich nicht-hierarchische Governance-Formen<br />

herausbil<strong>den</strong>, stellt sich unmittelbar die Frage, wodurch dieser <strong>Schatten</strong> erzeugt wird. Die<br />

Governance-Forschung meint damit zumindest implizit <strong>den</strong> Kern von Staatlichkeit, wenn sie<br />

<strong>Hierarchie</strong> als Fähigkeit, „befehlsförmig und zwangsbewehrt“ zu handeln, begreift (Offe<br />

1987: 311). Daraus ergibt sich ein fundamentales Problem <strong>für</strong> die „Reisefähigkeit“ zentraler<br />

Governance-Konzepte in Räumen begrenzter Staatlichkeit (vgl. Risse 2007), mit dem sich<br />

auch ein Dilemma verbindet <strong>für</strong> die praktische Politik verbindet – die Begrenztheit staatlicher<br />

Steuerung soll durch nicht-hierarchischer Formen <strong>der</strong> Handlungskoordination kompensiert<br />

wer<strong>den</strong>, <strong>der</strong>en Effektivität (und Legitimität) jedoch einen Kern von unbegrenzter Staatlichkeit<br />

voraussetzt.<br />

Inwieweit ein Governance-Dilemma tatsächlich besteht, d.h. Verhandlungssysteme auf<br />

hierarchische Regelungsstrukturen angewiesen sind, ist letztlich eine empirische Frage, die in<br />

diesem Beitrag nicht geklärt wer<strong>den</strong> kann. Der letzte Teil soll vielmehr <strong>der</strong> Frage nachgehen,<br />

inwiefern es sich bei <strong>der</strong> Argumentation zum <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> nicht um einen<br />

mo<strong>der</strong>nisierungstheoretischen Fehlschluss handelt, <strong>der</strong> <strong>den</strong> Blick auf funktionale Äquivalente<br />

<strong>für</strong> mo<strong>der</strong>ne Staatlichkeit verstellt.<br />

2. <strong>Hierarchie</strong> und Governance<br />

In Anlehnung an die Arbeiten von Renate Mayntz und Fritz W. Scharpf versteht dieser<br />

Beitrag unter Governance institutionalisierte Modi <strong>der</strong> sozialen Handlungskoordination, durch<br />

die kollektiv verbindliche Regelungen (policies) verabschiedet und implementiert wer<strong>den</strong><br />

2


(Mayntz/Scharpf 1995a; Mayntz/Scharpf 1995a; Mayntz 2004; Scharpf 2000). Governance-<br />

Formen haben somit eine Struktur- und eine Prozesskomponente (Scharpf 1997: 97;<br />

Mayntz/Scharpf 1995b: 19). Zum einen handelt es sich um Regelungsstrukturen (governance<br />

structures). Hier lassen sich <strong>Hierarchie</strong>, Verhandlungssysteme und Wettbewerbssysteme<br />

unterschei<strong>den</strong>. Die Regelungsstrukturen grenzen sich hinsichtlich <strong>der</strong> beteiligten Akteure und<br />

<strong>der</strong>en Grad <strong>der</strong> strukturellen Kopplung voneinan<strong>der</strong> ab.<br />

Zum an<strong>der</strong>en geht es um Koordinations- o<strong>der</strong> Interaktionsprozesse, die auf (wechselseitige)<br />

Verhaltensän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> beteiligten Akteure abzielen. Hierarchische Koordination erfolgt<br />

durch hoheitlicher Weisung, <strong>der</strong> sich Akteure unterwerfen müssen. Nicht-hierarchische<br />

Koordination beruht hingegen auf Freiwilligkeit. Interessenskonflikte wer<strong>den</strong> über<br />

Verhandlungen gelöst. Die freiwillige Einigung erfolgt entwe<strong>der</strong> über das Aushandeln von<br />

Kompromissen und wechselseitigen Konzessionen (Tausch- und Koppelgeschäfte,<br />

Ausgleichszahlungen) vor dem Hintergrund feststehen<strong>der</strong> Akteursinteressen (bargaining)<br />

o<strong>der</strong> über nicht-manipulative Verständigungs- und Überzeugungsprozesse (arguing), über die<br />

Akteure gemeinsame Interessen entwickeln und ihre ursprünglichen Interessen entsprechend<br />

än<strong>der</strong>n (Benz 1994: 118-127; Börzel/Risse 2005).<br />

Sowohl die Regelungsstrukturen als auch die Modi sozialer Handlungskoordination wer<strong>den</strong><br />

wesentlich durch <strong>Institut</strong>ionen bestimmt. Sie organisieren Arenen <strong>für</strong> die soziale<br />

Handlungskoordination, teilen Akteuren Kompetenzen und Ressourcen zu, regulieren <strong>den</strong><br />

Zugang zu politischen Entscheidungsarenen und beeinflussen die Handlungsorientierungen<br />

von Akteuren. <strong>Institut</strong>ionen definieren somit einerseits <strong>den</strong> Grad <strong>der</strong> strukturellen Kopplung<br />

zwischen <strong>den</strong> Akteuren und setzen an<strong>der</strong>erseits <strong>den</strong> Rahmen <strong>für</strong> die Modi <strong>der</strong><br />

Handlungskoordination. Sie verbin<strong>den</strong> also die strukturelle und die prozessuale Komponente<br />

von Governance. Dabei wirken Regelungsstrukturen nicht determinierend, son<strong>der</strong>n<br />

unterstützen vielmehr bestimmte Modi <strong>der</strong> Handlungskoordination. Fritz Scharpf spricht von<br />

„Möglichkeitsgrenzen“, die institutionell anspruchsvollere Modi nicht zulassen, aber weniger<br />

anspruchsvolle Optionen nicht ausschließen (Scharpf 2000: 90-94; 323). 2 So kann in<br />

hierarchischen Strukturen grundsätzlich auch nicht-hierarchisch koordiniert wer<strong>den</strong>, während<br />

hierarchische Koordination in nicht-hierarchischen Strukturen ausgeschlossen ist. Welcher<br />

Handlungsmodus im Rahmen <strong>der</strong> institutionellen Möglichkeitsgrenzen gewählt wird, hängt<br />

2 Außerdem weist Scharpf darauf hin, dass die Problemlösungsfähigkeit <strong>der</strong> Modi mit ihrer institutionellen<br />

Einbettung variieren kann.<br />

3


nicht zuletzt von <strong>den</strong> Handlungsorientierungen <strong>der</strong> Akteure ab, die wie<strong>der</strong>um durch die<br />

<strong>Institut</strong>ionen beeinflusst wer<strong>den</strong>.<br />

<strong>Hierarchie</strong> als Governance-Form beruht auf einem institutionalisierten Über-/<br />

Unterordnungsverhältnis, welches die Handlungsautonomie <strong>der</strong> untergeordneten Akteure<br />

entschei<strong>den</strong>d einschränkt o<strong>der</strong> ganz beseitigt (feste Kopplung). Damit besteht die Möglichkeit<br />

<strong>der</strong> asymmetrischen Beeinflussung (hierarchische Koordination), die in <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en bei<strong>den</strong><br />

Regelungsstrukturen ausgeschlossen ist. In Verhandlungs- und Wettbewerbssystemen stehen<br />

sich die Akteure nämlich formal gleichberechtigt gegenüber. Das schließt keineswegs aus,<br />

dass Akteure über unterschiedliche Verhandlungsmacht o<strong>der</strong> Konkurrenzfähigkeit verfügen<br />

(Benz 2001: 173). 3 Es kommt vielmehr darauf an, dass sie institutionell gleichgestellt sind,<br />

also kein Akteur durch die erzielte Einigung gegen seinen Willen gebun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> kann.<br />

<strong>Hierarchie</strong> ermöglicht es also, Akteure zu zwingen, gegen ihre Präferenzen und Interessen zu<br />

handeln, um gewählte Ziele zu erreichen (Scharpf 2000: 282). Diese Möglichkeit kann auf <strong>der</strong><br />

Anwendung von physischer Gewalt beruhen, wird aber in <strong>der</strong> Regel durch <strong>Institut</strong>ionen<br />

(Recht, soziale Normen) legitimiert (Wahlen, Vereinbarungen, Sozialisation). Entschei<strong>den</strong>d<br />

ist, dass Akteure we<strong>der</strong> die Möglichkeit bzw. das Recht zum Austritt (exit) noch zum<br />

Einspruch (voice) haben, son<strong>der</strong>n einer Anweisung uneingeschränkt Folge leisten müssen<br />

(Hirschman 1970). Ob Ungehorsam durch die Anwendung von Zwangsgewalt o<strong>der</strong> aufgrund<br />

eines Vertragsverhältnisses bzw. einer internalisierten Norm ausgeschlossen ist, bleibt<br />

letztendlich unerheblich. Entschei<strong>den</strong>d ist vielmehr, dass materielle o<strong>der</strong> immaterielle<br />

Sanktionen – an<strong>der</strong>s als bei <strong>der</strong> nicht-hierarchischen Koordination – nicht als negative<br />

Anreize eingesetzt wer<strong>den</strong>, die wie beispielsweise bei <strong>der</strong> negativen Konditionalität Akteuren<br />

immer noch die Freiheit lassen, sich <strong>für</strong> o<strong>der</strong> gegen ein bestimmtes Handeln zu entschei<strong>den</strong>.<br />

Die hierarchische Koordination zielt nicht auf die Beeinflussung von Akteursentscheidungen<br />

ab, son<strong>der</strong>n schränkt die Entscheidungsfreiheit von Akteuren einseitig ein bzw. beseitigt sie<br />

ganz.<br />

Unter <strong>den</strong> drei idealtypischen Regelungsstrukturen mit ihren jeweils dominanten Modi <strong>der</strong><br />

Handlungskoordination besitzt die <strong>Hierarchie</strong> theoretisch zunächst die größte<br />

Leistungsfähigkeit, weil sie grundsätzlich jede Art von gesellschaftlichen Problemen in<br />

politische Ergebnisse transformieren kann. Allerdings unterliegt die Effektivität von<br />

3 Stark asymmetrische Beziehungen können allerdings hierarchische Züge annehmen (Scharpf 1993: 57-83).<br />

4


<strong>Hierarchie</strong> sehr restriktiven Rahmenbedingungen, die in <strong>der</strong> Realität nur selten gegeben sind<br />

(Scharpf 2000: 282-300; Benz 2001: 174 f.). 4<br />

Verhandlungssysteme können die mittels <strong>Hierarchie</strong> erzielten Wohlfahrtseffekte auch<br />

erreichen, bergen allerdings die Gefahr von (zu) hohen Transaktionskosten,<br />

Entscheidungsblocka<strong>den</strong> sowie <strong>der</strong> Nichteinhaltung von Vereinbarungen (Trittbrettfahren;<br />

involuntary defection). Aus normativer Sicht verbindet sich mit Verhandlungslösungen<br />

außerdem das Risiko, dass Akteure ihre Einigung über die Externalisierung von Kosten zu<br />

Lasten Dritter treffen o<strong>der</strong> sich auf suboptimale Kompromisse einigen, um die Kosten<br />

gleichmäßig zu verteilen. So hat Fritz Scharpf gezeigt, dass nicht-hierarchische Koordination<br />

insbeson<strong>der</strong>e bei Akteurskonstellationen mit hohem Konfliktniveau dazu tendiert, politische<br />

Lösungen hervorzubringen, die nicht <strong>den</strong> normativen Standards von Wohlfahrtsmaximierung<br />

und Verteilungsgerechtigkeit genügen (Scharpf 2000).<br />

Somit weisen <strong>Hierarchie</strong>n und Verhandlungssysteme hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit<br />

gleichermaßen wesentliche Vorzüge auf, bringen aber auch erhebliche Risiken <strong>für</strong> die<br />

Effektivität und Legitimität von Governance. 5 Dies könnte erklären, weshalb sie selten in<br />

Reinform zu fin<strong>den</strong> sind, son<strong>der</strong>n vielmehr in Kombinationen auftreten.<br />

3. Der <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> als Voraussetzung <strong>für</strong> nicht-hierarchische Governance<br />

Bei <strong>den</strong> oben eingeführten Regelungsstrukturen handelt es sich um Idealtypen, die sowohl<br />

diesseits als auch jenseits des Staates in <strong>der</strong> Regel in Kombinationen auftreten (Benz 2001:<br />

175-202). Benz spricht in diesem Zusammenhang auch von Governance-Regimen, bezieht<br />

sich dabei allerdings auf die Modi <strong>der</strong> Handlungskoordination, die eingebettet sind, also in<br />

einer Rangordnung zu einan<strong>der</strong> stehen („<strong>Schatten</strong>“) o<strong>der</strong> miteinan<strong>der</strong> verbun<strong>den</strong>en sind, d.h.<br />

gleichberechtigt nebeneinan<strong>der</strong> stehen (Benz 2004). Dieser Beitrag will sich näher mit <strong>der</strong><br />

wohl prominentesten Form eingebetteter o<strong>der</strong> verschachtelter Regelungsstrukturen<br />

beschäftigen: Verhandlungen im <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong>. 6 Die Verschachtelung o<strong>der</strong><br />

Einbettung impliziert eine Rangordnung, indem die einbettende Regelungsstruktur die<br />

4 Zum Folgen<strong>den</strong> ausführlicher Börzel 2007a.<br />

5 Es würde <strong>den</strong> Rahmen dieses Beitrages sprengen, auch noch auf Wettbewerbssysteme als dritte Governance-<br />

Form einzugehen (vgl. Benz 2007). Hier soll <strong>der</strong> Fokus auf Verhandlungen im <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> gelegt<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

6 Zu an<strong>der</strong>en Formen <strong>der</strong> Verschachtelung o<strong>der</strong> Governance-Mix (siehe Börzel 2007b).<br />

5


institutionellen Spielregeln <strong>für</strong> die eingebettete Regelungsstruktur festlegt bzw. än<strong>der</strong>t sowie<br />

korrigierend bzw. substituierend in die Handlungskoordination eingreifen kann. Der<br />

institutionelle <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> Regelungsstruktur auf <strong>der</strong> übergeordneten Ebene hat somit einen<br />

entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Einfluss auf die Handlungsorientierung und Kosten-Nutzen Kalküle <strong>der</strong><br />

Akteure in <strong>der</strong> Regelungsstruktur auf <strong>der</strong> untergeordneten Ebene.<br />

Der <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> wirkt in zweifacher Weise auf die Dynamik und die Ergebnisse<br />

von Verhandlungen, in <strong>den</strong>en Akteure divergierende Interessen verfolgen. 7 Zum einen erhöht<br />

sich die Einigungsbereitschaft <strong>der</strong> beteiligten Akteure, wenn sie im Falle einer Nichteinigung<br />

mit einer „Ersatzvornahme“ durch die übergeordnete Ebene zu rechnen haben. Zum an<strong>der</strong>en<br />

müssen die Akteure darauf achten, dass sich die von ihnen erzielte Einigung in <strong>den</strong> von <strong>der</strong><br />

übergeordneten Ebene gesetzten Parametern bewegt. Dieser „doppelte Mechanismus <strong>der</strong><br />

antizipierten Reaktion und <strong>der</strong> Rute im Fenster“ (Scharpf 2000: 326-327) erlaubt es, sowohl<br />

die Effektivität als auch die Legitimität nicht-hierarchischer Governance-Formen zu steigern<br />

bzw. zu gewährleisten. Erstens bildet die Aussicht auf einen einseitigen Erlass <strong>der</strong> höheren<br />

Ebene mit ggf. negativen Auswirkungen <strong>für</strong> die an <strong>den</strong> Verhandlungen beteiligten Akteure<br />

einen wesentlichen Anreiz, sich in die Verhandlungen einzubringen bzw. sich auf Ergebnisse<br />

zu einigen, welche die Eigeninteressen <strong>der</strong> Verhandlungsparteien zumindest teilweise<br />

verletzen. Der <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> verschiebt also die „Lage des Nichteinigungspunktes“<br />

weg vom Status quo hin zu einem näher am Gemeinwohl liegen<strong>den</strong> Ergebnis<br />

(Mayntz/Scharpf 1995b: 28-29). Zweitens verringert die Möglichkeit <strong>der</strong> hierarchischen<br />

Ersatzvornahme auch die Anreize zum Trittbrettfahren. Das gilt umso mehr, wenn<br />

Verhandlungslösungen durch administrative o<strong>der</strong> legislative Entscheidungen in bin<strong>den</strong>des<br />

Recht umgesetzt wer<strong>den</strong> (Mayntz/Scharpf 1995b: 21-23). Drittens wer<strong>den</strong> die<br />

Erfolgsaussichten opportunistischer Verhandlungsstrategien auch dadurch verringert, dass die<br />

Verhandlungslösungen auf <strong>der</strong> höheren Ebene auf ihre Gemeinwohlfähigkeit überprüft<br />

wer<strong>den</strong>. 8 Akteure, welche die Fähigkeit zur hierarchischen Koordination besitzen, sind in <strong>der</strong><br />

Regel <strong>der</strong> „Fremdnützigkeit“ o<strong>der</strong> dem Gesamtinteresse verpflichtet. Das gilt insbeson<strong>der</strong>e <strong>für</strong><br />

öffentliche Akteure, die durch formale (Verfassung, Amtseid) und/o<strong>der</strong> soziale Normen (z.B.<br />

7 Zum Folgen<strong>den</strong> ausführlicher Börzel (2007a: .<br />

8 Dies entspricht ein Stück weit dem Konzept des „Gewährleistungsstaats“, wie er in <strong>der</strong> Rechtswissenschaft<br />

entwickelt wurde (Franzius 2003: 493ff.; Schuppert 2005).<br />

6


professionelle Ethik) auf gemeinwohlorientiertes Handeln festgelegt wer<strong>den</strong> (Scharpf 1993:<br />

63; Mayntz/Scharpf 1995b: 28). 9<br />

Folgt man <strong>der</strong> Argumentation von Mayntz und Scharpf, so wirkt <strong>der</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong><br />

vor allem dadurch, dass er wichtige Kooperationsanreize erzeugt (so auch Prätorius 2000;<br />

Newman/Bach 2004; Töller 2007). Das legt zunächst einmal einen logischen Wi<strong>der</strong>spruch<br />

nahe – <strong>der</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> kann nur wirken, wenn die Möglichkeit besteht, „die<br />

erwünschte Regelung als bin<strong>den</strong>de und sanktionsbewehrte Vorschrift zu beschließen und zu<br />

implementieren“ (Mayntz/Scharpf 1995b: 29). Mit an<strong>der</strong>en Worten braucht es Akteure, die<br />

sowohl fähig als auch willens sind, gemeinwohlorientierte Regelungen zu erlassen, wenn<br />

Verhandlungslösungen scheitern sollten bzw. sich nicht am Gemeinwohl orientieren. Damit<br />

hängt die Wirksamkeit des <strong>Schatten</strong>s <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> als zentrale Randbedingung <strong>für</strong> die<br />

Effektivität und Legitimität von Verhandlungssystemen von <strong>den</strong> gleichen Voraussetzungen<br />

ab, die <strong>für</strong> die Leistungsfähigkeit <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> gelten.<br />

Das vermeintliche Paradox kann jedoch weitgehend aufgelöst wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n theoretisch lässt<br />

sich nachweisen, dass ein mittleres Maß an staatlicher Handlungsfähigkeit ausreicht, um <strong>den</strong><br />

notwendigen Kooperationsanreiz <strong>für</strong> Akteure zu erzeugen (vgl. Börzel 2007a).<br />

Verhandlungen unterliegen erheblichen Transaktionskosten. Wenn dann außerdem die<br />

angestrebte Regelung nicht vollständig im Eigeninteresse <strong>der</strong> betroffenen Akteure liegt,<br />

bedarf es <strong>der</strong> Aussicht auf eine hierarchische Ersatzvornahme, um die Kosten-Nutzen<br />

Verteilung zugunsten einer freiwilligen Einigung entschei<strong>den</strong>d zu verän<strong>der</strong>n – vorausgesetzt,<br />

dass die hoheitlich gesetzte bzw. angedrohte Regelung nicht bereits innerhalb <strong>der</strong> von <strong>den</strong><br />

Regelungsadressaten akzeptablen Politikergebnissen liegt bzw. diesen immer noch näher<br />

kommt als jede antizipierte Verhandlungslösung. Der <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> scheint<br />

beson<strong>der</strong>s relevant <strong>für</strong> die Selbstkoordination gesellschaftlicher Akteure. Sie verfügen selten<br />

über ausreichende Sanktionsmöglichkeiten zur Unterbindung opportunistischen Verhaltens<br />

bei <strong>der</strong> Umsetzung freiwillig erzielter Einigungen (Problem des Trittbrettfahrens). Deshalb ist<br />

gesellschaftliche Selbstkoordination <strong>ohne</strong> Beteiligung von öffentlichen Akteuren mit <strong>der</strong><br />

9 Dabei muss es sich nicht notwendigerweise um ein demokratisch legitimiertes Mandat handeln. So sind<br />

beispielsweise unabhängige Regulierungsbehör<strong>den</strong> durch <strong>den</strong> Akt <strong>der</strong> Delegation institutionell auf<br />

gemeinwohlorientierte Politikergebnisse festgelegt. Auch bedeutet es nicht, dass öffentliche Akteure immer<br />

gemeinwohlorientiert handeln. An<strong>der</strong>s als private Akteure unterliegen sie aber einer Rechenschaftspflicht,<br />

die in <strong>der</strong> Regel mit entsprechen<strong>den</strong> Sanktionsmöglichkeiten versehen ist (Scharpf 1991: 621-634)). Diese<br />

sind nicht immer effektiv. Am Eigeninteresse orientiertes Handeln bringt aber <strong>für</strong> öffentliche Akteure immer<br />

einen Legitimationsverlust mit sich, ist also mit Kosten verbun<strong>den</strong>.<br />

7


Fähigkeit zur hierarchischen Koordination schwierig und in <strong>der</strong> Praxis kaum zu fin<strong>den</strong> (vgl.<br />

Scharpf 2000: 327-333). Es handelt sich bei nicht-hierarchischen Governance-Formen<br />

vielmehr um „Mischformen von Regelungsstrukturen, in <strong>den</strong>en Selbstregelung und staatliche<br />

Intervention nebeneinan<strong>der</strong> wirksam wer<strong>den</strong> bzw. miteinan<strong>der</strong> verklammert sind“<br />

(Mayntz/Scharpf 1995b: 23).<br />

Diese Argumentation greift freilich nur, wenn Akteure grundsätzlich mit <strong>der</strong> hierarchischen<br />

Ersatzvornahme rechnen müssen, was die Governance-Forschung zumindest implizit<br />

unterstellt. Dass damit funktionierende Staatlichkeit vorausgesetzt wird, problematisiert <strong>der</strong><br />

nächste Abschnitt. Vorher gilt es jedoch noch zu erörtern, inwiefern <strong>der</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Hierarchie</strong> nicht nur <strong>für</strong> private, son<strong>der</strong>n auch <strong>für</strong> öffentliche Akteure einen wichtigen Anreiz<br />

zur Kooperation erzeugt.<br />

Wenn <strong>der</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> einen wichtigen Kooperationsanreiz <strong>für</strong> (private) Akteure<br />

<strong>ohne</strong> die Fähigkeit zur hierarchischen Koordination darstellt, dann sollte ihre Bereitschaft zur<br />

Mitwirkung in Verhandlungssystemen mit dem Grad <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> zunehmen. Für<br />

(öffentliche) Akteure an <strong>der</strong> Spitze einer <strong>Hierarchie</strong> verhält es sich genau umgekehrt. Je<br />

größer ihre Fähigkeit zur hierarchischen Koordination, desto geringer ist ihr Anreiz, sich mit<br />

an<strong>der</strong>en (privaten) Akteuren zu koordinieren, weil sie nicht auf <strong>der</strong>en Ressourcen angewiesen<br />

sind. Dies gilt insbeson<strong>der</strong>e, wenn wir nicht dem folgen, was Renate Mayntz einen<br />

funktionalistischen Fehlschluss <strong>der</strong> Governance-Forschung nennt, wir also nicht unterstellen,<br />

dass öffentliche Akteure per se an <strong>der</strong> Effektivität und Legitimität von Politik interessiert sind<br />

(Mayntz 2004: 71; Mayntz 2001); sie orientieren sich vielmehr an <strong>der</strong> Aufrechterhaltung ihrer<br />

eigenen Autonomie und Handlungsfähigkeit, wer<strong>den</strong> aber durch <strong>Institut</strong>ionen auf<br />

gemeinwohlorientiertes Handeln verpflichtet. Öffentliche Akteure sind vor allem dann bereit,<br />

Einschränkungen ihrer Autonomie hinzunehmen (agency loss), wenn sie durch die<br />

Kooperation mit an<strong>der</strong>en Akteuren (Staaten, Regionen, Verbände,<br />

Nichtregierungsorganisationen) im Vergleich zur hierarchischen Koordination an Handlungsbzw.<br />

Problemlösungsfähigkeit (zurück)gewinnen. Zu <strong>der</strong> Anfang <strong>der</strong> 80er Jahre konstatierten<br />

funktionalen Ausdifferenzierung von Staat und Gesellschaft (statt vieler Mayntz 1987) kommt<br />

heute die von <strong>der</strong> Ausweitung, Intensivierung und Integration grenzübergreifen<strong>der</strong> Aktivitäten<br />

auf internationaler und europäischer Ebene vorangetriebene „Entterritorialisierung <strong>der</strong><br />

Politik“ (Kohler-Koch 1998), welche die Fähigkeit des Staates zur einseitigen hierarchischen<br />

Koordination eng begrenzt. Während inner- und zwischenstaatliche Verhandlungssysteme <strong>den</strong><br />

8


Verlust an Handlungsfähigkeit ausgleichen sollen, schränken sie die Handlungsautonomie des<br />

Staates noch weiter ein. Dieses „Paradox <strong>der</strong> Schwäche“ (Kohler-Koch 1996), welches die<br />

Komparatistik mit dem Konzept des „verhandeln<strong>den</strong> Staates“ umschrieben hat (statt vieler<br />

Voigt 1995) und in <strong>den</strong> Internationalen Beziehungen als „neue Staatsräson“ diskutiert wird<br />

(Wolf 2000; vgl. Grande/Risse 2000), gilt als zentrales Merkmal mo<strong>der</strong>ner Staatlichkeit.<br />

Der <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> erzeugt also <strong>für</strong> öffentliche und private Akteure gegenläufige<br />

Anreize zur Kooperation (vgl. Abbildung 1). Daraus folgt, dass <strong>der</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong><br />

nicht so lang sein muss, wie Mayntz und Scharpf annehmen. Staatliche Akteure brauchen<br />

nicht in <strong>der</strong> Lage sein, die von ihnen „erwünschte Regelung als bin<strong>den</strong>de und<br />

sanktionsbewehrte Vorschrift zu beschließen zu implementieren“ (Mayntz/Scharpf 1995b:<br />

29). Gleichzeitig darf <strong>der</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> aber auch nicht zu kurz sein. Verfügen<br />

staatliche Akteure nicht über die Fähigkeit, einseitige Regelungen glaubwürdig anzudrohen,<br />

haben vor allem Unternehmen wenig Anreiz, sich selbst zu koordinieren o<strong>der</strong> die<br />

Zusammenarbeit mit dem Staat zu suchen, insbeson<strong>der</strong>e, wenn es darum geht, Regelungen auf<br />

<strong>den</strong> Weg zu bringen, die ihnen erhebliche Kosten verursachen. Aber auch <strong>für</strong> staatliche<br />

Akteure stellen schwache Handlungskapazitäten ab einem bestimmten Punkt ein<br />

Kooperationshin<strong>der</strong>nis dar. Zum einen können sie die Einhaltung freiwilliger<br />

Selbstregelungen o<strong>der</strong> die effektive Ausführung von an private Akteure delegierten<br />

Staatsaufgaben kaum überwachen. Und selbst wenn die Erbringung von Governance-<br />

Leistungen durch private Akteure als nicht o<strong>der</strong> zu wenig gemeinwohlverträglich konstatiert<br />

wird, können staatliche Akteure diese Aufgaben nicht einfach zurückholen, da ihnen <strong>für</strong> eine<br />

hierarchische Ersatzvornahme die notwendigen Kapazitäten fehlen. So haben viele<br />

Entwicklungslän<strong>der</strong> o<strong>der</strong> osteuropäische Transformationslän<strong>der</strong> schlicht nicht die finanziellen<br />

Ressourcen <strong>für</strong> eine flächendeckende Trinkwasserversorgung, weshalb die einmal begonnene<br />

Privatisierung kaum rückgängig zu machen ist.<br />

Zum an<strong>der</strong>en besteht die Be<strong>für</strong>chtung, dass nicht-hierarchische Governance-Formen nicht nur<br />

zu „agency loss“, son<strong>der</strong>n gar zu „agency capture“ führen (Stigler 1971; Hellman/Kaufman<br />

2001). So suchen staatliche Akteure in osteuropäischen Transformationslän<strong>der</strong>n häufig erst<br />

gar nicht <strong>den</strong> Kontakt zu privaten Akteuren, wenn sie <strong>für</strong>chten, nicht über ausreichend<br />

wissenschaftliche und technische Expertise zu verfügen, um mit Unternehmen und<br />

Umweltexperten auf gleicher Augenhöhe über Umweltmaßnahmen zu verhandeln, bzw. nicht<br />

genügend qualifiziertes Personal und die notwendige Technologie zu besitzen, um die<br />

9


Einhaltung von freiwilligen Vereinbarungen zu überwachen. Bevor sie das Risiko eingehen,<br />

sich zum Instrument industrieller Interessen zu machen, bevorzugen staatliche Akteure<br />

hierarchische Regelungen, auch wenn diese aufgrund fehlen<strong>der</strong> Kapazitäten nicht effektiv<br />

sind. 10<br />

Der <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> bleibt damit eine wichtige Voraussetzung <strong>für</strong> die Herausbildung<br />

nicht-hierarchischer Governance-Formen. Er darf allerdings we<strong>der</strong> zu lang noch zu kurz sein,<br />

um nicht selbst zu einem Kooperationshin<strong>der</strong>nis zu wer<strong>den</strong>.<br />

Abbildung 1: Gegenläufige Kooperationsanreize<br />

stark<br />

Kooperationsanzreize<br />

schwach stark<br />

4. Staatlichkeit und <strong>der</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong><br />

Nicht-hierarchische Governance-Formen setzten nicht nur Kooperationsbereitschaft, son<strong>der</strong>n<br />

auch Handlungsfähigkeit voraus. Öffentliche Akteure müssen zunächst in <strong>der</strong> Lage sein, einen<br />

mittelmäßigen <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> zu erzeugen, dann aber auch private Akteure, die<br />

kooperationsbereit sind, in Verhandlungen zusammenbringen können. Private Akteure<br />

brauchen wie<strong>der</strong>um die Kapazität, autonome Entscheidungen zu treffen und entsprechend zu<br />

handeln. Die Frage ist nun, inwiefern die Handlungsfähigkeit bei<strong>der</strong> Akteure nicht implizit<br />

unbegrenzte Staatlichkeit voraussetzt.<br />

Staatskapazität<br />

Private<br />

Akteure<br />

Öffentliche<br />

Akteure<br />

<strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong><br />

10 Die empirischen Befunde stammen aus dem Projekt No. 12 „Coping with Accession: New Modes of<br />

Governance and European Enlargement“, das Teil des in Integrierten Projekts „New Modes of Governance“<br />

ist, vgl. http://www.eu-newgov.org/datalists/project_detail.asp?Project_ID=12, 21.3.2007.<br />

10


Auch ein „mittelmäßiger“ <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> erfor<strong>der</strong>t grundsätzlich die Fähigkeit,<br />

kollektiv verbindliche Entscheidungen zu treffen, die <strong>den</strong> Adressaten erhebliche Kosten<br />

auferlegen, und diese Regelungen dann auch gegen <strong>der</strong>en Wi<strong>der</strong>stand durchsetzen können.<br />

Damit stellt sich unmittelbar die Frage, worauf die Fähigkeit öffentlicher Akteure zur<br />

einseitigen Herstellung und Durchsetzung politischer Entscheidungen beruht. In <strong>der</strong><br />

Governance-Literatur wird hierarchische Koordination in <strong>der</strong> Regel mit hoheitlichem Handeln<br />

gleichgesetzt; sie ist nicht nur „zwangsbewehrt“, son<strong>der</strong>n auch „befehlsförmig“ (Offe 1987:<br />

311) und entspricht damit weitgehend dem legitimen Gewaltmonopol, das <strong>den</strong> Kern von<br />

Staatlichkeit bildet, wie er auch im SFB 700 definiert wird (Risse/Lehmkuhl in diesem Band;<br />

Risse 2007).<br />

Wenn jedoch die Fähigkeit zur hierarchischen Koordination die Existenz von Staatlichkeit<br />

voraussetzt, kann das Konzept des <strong>Schatten</strong>s <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> nicht <strong>ohne</strong> weiteres auf Räume<br />

begrenzter Staatlichkeit übertragen wer<strong>den</strong>, weil diese ja gerade durch die Abwesenheit o<strong>der</strong><br />

zumindest erhebliche Einschränkung von mo<strong>der</strong>ner Staatlichkeit definiert sind. Vor allem<br />

würde es aber bedeuten, dass die Herausbildung nicht-hierarchische Governance-Formen als<br />

funktionale Äquivalente zu Staatlichkeit kaum zu erwarten wäre.<br />

Inwiefern ist also die Fähigkeit zur Herstellung und Durchsetzung kollektiv verbindlicher<br />

Regelungen auf die Existenz von Staatlichkeit angewiesen? Die Literatur zu Staatskapazität<br />

ist hier durchaus instruktiv, sofern sie Kapazität nicht über die Performanz von Staaten, misst,<br />

son<strong>der</strong>n auf die Faktoren abstellt, die es Staaten ermöglichen, effektive Politik zu machen. 11<br />

Ressourcen-basierte Ansätze verweisen <strong>für</strong> die Herstellung und Durchsetzung kollektiv<br />

verbindlicher Entscheidungen auf Handlungskapazitäten öffentlicher Akteure. Dazu gehören<br />

neben <strong>der</strong> (rechtlichen) Handlungsermächtigung (Kompetenz) ausreichende finanzielle Mittel,<br />

Humanressourcen sowie Informationen (Faktenwissen) und wissenschaftliche und technische<br />

Expertise (Przeworski 1990; Zürn 1997; Haas 1998; Simmons 1998). Aber selbst wenn<br />

grundsätzlich genügend Handlungsressourcen vorhan<strong>den</strong> sind, können öffentliche Akteure<br />

immer noch Schwierigkeiten haben, diese auch zusammenzuziehen und rechtzeitig in <strong>den</strong><br />

Entscheidungs- bzw. Implementationsprozess einzuspeisen. Die Effizienz bzw. interne<br />

Koordinationsfähigkeit öffentlicher Akteure ist somit ein wesentlicher Faktor (Mbaye 2001;<br />

Börzel 2003).<br />

11 Zur Unterscheidung zwischen out-put und in-put orientierten Ansätzen in <strong>der</strong> Literatur zu Staatskapazität<br />

(siehe Honadle 1981: 575-580; Börzel 2007c).<br />

11


Neo-institutionalistische Ansätze stellen hingegen stärker auf die Handlungsautonomie ab, die<br />

wesentlich von <strong>den</strong> <strong>Institut</strong>ionen bestimmt wird, in die öffentliche Akteure eingebettet sind<br />

(Evans 1995, Katzenstein 1978). Vetospieler können die Verabschiedung o<strong>der</strong> Umsetzung<br />

einer politischen Entscheidung verhin<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> zumindest verzögern. (Putnam 1988;<br />

Alesina/Rosenthal 1995; Tsebelis 2002). Allerdings hat die Implementationsforschung<br />

aufgezeigt, dass die Einbeziehung potentieller Vetospieler in <strong>den</strong> Entscheidungsprozess die<br />

Um- und Durchsetzung wesentlich erleichtern kann (Mayntz 1983; Héritier 2003; Franck<br />

1990; vgl. Lijphart 1999). Ein weiterer Einwand gegen Handlungsautonomie als zentrale<br />

Determinante von Staatskapazität findet sch in <strong>der</strong> Literatur zur<br />

Entwicklungszusammenarbeit, die darauf hinweist, dass autoritäre, d.h. autonome o<strong>der</strong> von<br />

gesellschaftlichen Interessen isolierte Regime („insulated states“) in Ostasien und<br />

Lateinamerika große Unterschiede im Erfolg ihrer Politiken verzeichnen (Evans 1995,<br />

Ams<strong>den</strong> 1989).<br />

Für die Erzeugung eines mittelmäßigen <strong>Schatten</strong>s <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> braucht es sowohl<br />

ausreichende Handlungsressourcen als auch genügend Handlungsautonomie. Dass sowohl ein<br />

zu viel als auch ein zu wenig von beidem kooperationshin<strong>der</strong>lich ist, wurde bereits dargelegt.<br />

Entschei<strong>den</strong>d ist hier nun die Frage, inwieweit Handlungsressourcen und<br />

Handlungsautonomie an Staatlichkeit gebun<strong>den</strong> sind. Dabei wird schnell deutlich, dass dies<br />

nur <strong>für</strong> die Fähigkeit, kollektive Regelungen per Zwang durchzusetzen, gelten kann. Alle<br />

an<strong>der</strong>en Komponenten von Staatskapazität sind neutral und sind <strong>für</strong> die Bestimmung <strong>der</strong><br />

Handlungsfähigkeit aller Akteure, öffentlich wie privat, relevant. Die Zwangsbewehrtheit ist<br />

aber in <strong>der</strong> Tat ein konstitutives Merkmal hierarchischer Koordination und macht einen<br />

wesentlichen Teil des <strong>Schatten</strong>s <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> aus, weil sie Trittbrettfahrer abschreckt und<br />

damit auch ein wichtiges Kooperationshin<strong>der</strong>nis beseitigt. Nun können auch private Akteure<br />

Zwang ausüben – das Konzept <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> wurde nicht zuletzt in <strong>der</strong><br />

<strong>Institut</strong>ionenökonomie entwickelt, um die Firma als Governance-Form von Markt und<br />

Netzwerken abzugrenzen (Williamson 1985; Powell 1990). Die Fähigkeit, Akteure gegen<br />

ihren Willen zu einer Handlung zu zwingen, beruht hier auf einem Vertragsverhältnis, kann<br />

also sogar als legitimiert gelten. Die Anwendung physischer Gewalt ist allerdings<br />

ausgeschlossen. Das bedeutet wie<strong>der</strong>um nicht, dass Unternehmen keine Zwangsgewalt<br />

anwen<strong>den</strong> können. Sie bedürfen da<strong>für</strong> aber <strong>der</strong> ausdrücklichen Ermächtigung durch<br />

öffentliche Akteure (des Staates o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Staatengemeinschaft), <strong>den</strong>en gegenüber sie auch<br />

12


verantwortlich sind. Der Beitrag von Sven Choijnacki in diesem Band zeigt eindrucksvoll,<br />

was passiert, wenn private Sicherheitsunternehmen außerhalb eines wirksamen <strong>Schatten</strong>s <strong>der</strong><br />

<strong>Hierarchie</strong> operieren. Außerdem verfügen private Akteure niemals über das Gewaltmonopol<br />

und können auch keinen legitimen Anspruch darauf erheben. Wenn es aber in einem Raum<br />

rivalisierende Akteure gibt, die alle über die Fähigkeit zur Anwendung von rechtlicher bzw.<br />

physischer Zwangsgewalt verfügen, bietet sich opportunistisch handeln<strong>den</strong> privaten Akteuren<br />

eine Exitoption, welche die Wirksamkeit hierarchischer Koordination entschei<strong>den</strong>d<br />

unterminieren kann.<br />

Zumindest aus <strong>der</strong> Perspektive rationalistisch-institutionalistischer Kooperationstheorien, auf<br />

<strong>der</strong>en Grundlage das theoretische Konzept des <strong>Schatten</strong>s <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> entwickelt wurde,<br />

scheint Staatlichkeit eine entschei<strong>den</strong>de Rolle <strong>für</strong> die Effektivität hierarchischer Koordination<br />

zu spielen. Die effektive Durchsetzung kollektiv verbindlicher Regelungen beruht letztlich auf<br />

dem legitimierten Monopol zur Anwendung von physischem und rechtlichem Zwang, was<br />

<strong>den</strong> Kern von Staatlichkeit ja ausmacht. Nur, wenn öffentliche Akteure in <strong>der</strong> Lage sind,<br />

politische Entscheidungen auch gegen Wi<strong>der</strong>stand durchzusetzen, können sie einen<br />

ausreichen<strong>den</strong> <strong>Schatten</strong>s <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> erzeugen, <strong>der</strong> <strong>den</strong> entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Kooperationsanreiz<br />

<strong>für</strong> private Akteure darstellt, die opportunistisch handeln und sich am rationalen<br />

Eigeninteressen orientieren.<br />

Damit scheint es keine wirkliche Alternative zum staatlichen Gewaltmonopol zu geben – es<br />

sei <strong>den</strong>n die Kosten <strong>der</strong> Nicht-Kooperation sind <strong>für</strong> private Akteure prohibitiv, weil keinerlei<br />

Aussicht auf eine hierarchische Ersatzvornahme besteht. Wenn Staaten Gemeinschaftsgüter<br />

nicht bereitstellen können o<strong>der</strong> wollen, 12 stehen privaten Akteure vor <strong>der</strong> Wahl, entwe<strong>der</strong> die<br />

Governance-Leistung wie Sicherheit o<strong>der</strong> (minimale) Sozial- und Umweltstandards selbst<br />

bereitzustellen o<strong>der</strong> ganz darauf verzichten zu müssen. Das könnte erklären, weshalb sich auf<br />

internationaler Ebene weitaus mehr Formen gesellschaftlicher Selbstkoordination<br />

herausgebildet haben als in vielen Nationalstaaten und <strong>der</strong> Europäischen Union (vgl. Cutler/<br />

Haufler/Porter 1999; Biersteker/Hall 2002; Börzel 2007b). Der „<strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> Anarchie“<br />

(Mayntz/Scharpf 1995b: 23, Fn. 5) zeichnet sich aber nicht nur durch die vollständige<br />

Abwesenheit einer sanktionsbewehrten Zentralgewalt aus. Wie auch die öffentlichen Akteure,<br />

richten private Akteure, die sich an nicht-hierarchischer Governance jenseits des<br />

12 Shalini Ran<strong>der</strong>ia verweist in diesem Zusammenhang auf das Phänomen <strong>der</strong> „cunning states“, die ihre<br />

mangelnde Bereitschaft zur Bereitstellung von Governance-Leistungen mit fehlen<strong>den</strong> Kapazitäten<br />

rechtfertigen (Ran<strong>der</strong>ia 2003: 27-60).<br />

13


Nationalstaates beteiligen, ihr Handeln zumindest zu einem gewissen Maße am Gemeinwohl<br />

aus, was nicht zuletzt dadurch beför<strong>der</strong>t wird, dass sie in Räumen intakter Staatlichkeit<br />

agieren und dort – durch ihre Regierung, nationale Gerichte o<strong>der</strong> die Zivilgesellschaft – <strong>für</strong><br />

ihr Handeln auf <strong>der</strong> trans- und internationalen Ebene zur Verantwortung gezogen wer<strong>den</strong><br />

können. So ist es kein Zufall, dass sich vor allem multinationale Markenfirmen (brand names)<br />

<strong>für</strong> corporate social responsibilty einsetzen, die ihren Firmensitz bzw. ihre<br />

Hauptabsatzmärkte in <strong>den</strong> OECD Län<strong>der</strong>n haben (vgl. Börzel/Héritier/Müller-Debus in<br />

diesem Band). Gleichzeitig sind global agierende transnationale Akteure teil einer<br />

„Weltgesellschaft“, die sich über in internationalen <strong>Institut</strong>ionen und dem Völkerrecht<br />

abgelagerte gemeinsame Normen und Werte definiert (Brock/Albert 1995). Aber selbst wenn<br />

sich die Gemeinwohlorientierung in <strong>Institut</strong>ionen außerhalb von Räumen begrenzter<br />

Staatlichkeit ablagern lässt (Internationale Organisationen und Regime, „Mutterstaaten“),<br />

setzt das Engagement privater Akteure in <strong>der</strong> Regel ein Mindestmaß an Stabilität und<br />

Sicherheit (physischer wie rechtlicher Natur) voraus, das – wie die Beispiele von Irak und<br />

Afghanistan zeigen – externe Akteure nur bedingt und zeitlich wie räumlich begrenzt<br />

gewährleisten können.<br />

Da <strong>der</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> also eng mit Staatlichkeit verknüpft ist, lässt er sich nicht <strong>ohne</strong><br />

weiteres auf Räume begrenzter Staatlichkeit übertragen. Für die Herausbildung nichthierarchischer<br />

Governance-Formen ist dann letztendlich entschei<strong>den</strong>d, inwiefern<br />

Kooperationsanreize <strong>für</strong> private Akteure auch <strong>ohne</strong> <strong>den</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> erzeugt<br />

wer<strong>den</strong> können bzw. wie viel Reststaatlichkeit da<strong>für</strong> notwendig ist. Damit rücken die<br />

wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteure in <strong>den</strong> Blickpunkt. Und auch hier scheint die<br />

Governance-Literatur sehr von Überlegungen mo<strong>der</strong>ner Staatlichkeit durchdrungen zu sein,<br />

die nicht nur durch ein legitimes Gewaltmonopol, son<strong>der</strong>n auch durch die Existenz einer<br />

autonomen gesellschaftlichen Sphäre gekennzeichnet ist. Dies gilt insbeson<strong>der</strong>e auch <strong>für</strong> die<br />

Forschung zum so genannten „Sozialkapital“, das häufig als Alternative o<strong>der</strong> zumindest<br />

wichtiges Komplement zur staatlichen Bereitstellung von Governance-Leistungen diskutiert<br />

wird und somit ein funktionales Äquivalent zum <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> bieten könnte.<br />

Gesellschaftliche Mo<strong>der</strong>nisierung<br />

14


Ähnlich wie öffentliche Akteure müssen private Akteure nicht nur über ausreichende<br />

Handlungsressourcen verfügen (Informationen, Expertise, Personal, Koordinationsfähigkeit),<br />

um strategische Entscheidungen zu treffen und mit an<strong>der</strong>en Akteuren zu verhandeln, son<strong>der</strong>n<br />

auch die notwendige Handlungsautonomie haben, um frei von politischer Kontrolle<br />

selbstbestimmt zu handeln (Mayntz 1993b: 41-43; Mayntz 1995: 157-158). Unter solchen<br />

Bedingungen sind gesellschaftliche Akteure dann auch in <strong>der</strong> Lage, „Sozialkapital“<br />

auszubil<strong>den</strong> (vgl. Putnam 1993; Lin 2001; Hooghe und Stolle 2003). Sozialkapital beruht auf<br />

gesellschaftlichem Vertrauen und för<strong>der</strong>t sowohl die Kooperationsbereitschaft als auch die<br />

Gemeinwohlorientierung gesellschaftlicher Akteure. Es entsteht vor allem in freiwilligen<br />

Vereinigungen, in <strong>den</strong>en die Mitglie<strong>der</strong> in Normen diffuser Reziprozität hineinsozialisiert<br />

wer<strong>den</strong> und soziales Vertrauen entwickeln. Dies führt zu einer größeren Bereitschaft, sich <strong>für</strong><br />

das Gemeinwohl zu engagieren und <strong>der</strong> Erwartung, dass entsprechende Regelungen<br />

grundsätzlich auch befolgt wer<strong>den</strong>. Damit kann Sozialkapital eine vergleichbare Funktion<br />

erfüllen wie <strong>der</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong>, um aus dem Verhandlungsdilemma herauszuführen.<br />

Da gemeinwohlorientiertes Handeln (civic engagement) als sozial angemessen gilt, bieten die<br />

entsprechen<strong>den</strong> gesellschaftlichen Erwartungen <strong>den</strong> entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Anreiz zur Kooperation,<br />

<strong>der</strong> auch nicht durch das die Erwartung des Trittbrettfahrens an<strong>der</strong>er geschmälert wird, weil<br />

ein solches Verhalten als sozial unangemessen gilt und entsprechend gesellschaftlich<br />

sanktioniert würde. Auf ähnliche Weise ist die Gemeinwohlfähigkeit dadurch gewährleistet,<br />

dass Politikergebnisse, die sich an Partikularinteressen ausrichten, gesellschaftlich nicht<br />

akzeptabel wären (Putnam 1993).<br />

Inwiefern Sozialkapital tatsächlich als funktionales Äquivalent zum <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong><br />

gesehen wer<strong>den</strong> kann, ist umstritten. 13 Levi argumentiert beispielsweise, dass das Vertrauen<br />

<strong>der</strong> Bürger/innen in die allgemeine Regelbefolgung nicht über Sozialkapital, son<strong>der</strong>n durch<br />

die Sanktionsfähigkeit politischer <strong>Institut</strong>ionen, also dem <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong>, generiert<br />

wird (Levi/Stoker 2000; Levi 1996). Problematisch ist hierbei, dass staatliche<br />

Handlungsfähigkeit und Sozialkapital stark miteinan<strong>der</strong> korrelieren, <strong>ohne</strong> dass klar wäre, ob<br />

ein Kausalzusammenhang besteht und in welche Richtung die Kausalität wirkt (vgl. Dudziak<br />

2007).<br />

Auf die gesellschaftlichen Voraussetzungen <strong>für</strong> die Herausbildung nicht-hierarchischer<br />

Governance-Formen kann hier nicht weiter eingegangen wer<strong>den</strong>. Entschei<strong>den</strong>d ist vielmehr,<br />

13 Dazu kritisch Deth 2000: 115-147;Levi 1996: 45-55.<br />

15


dass <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Governance-Forschung postulierte Zusammenhang zwischen <strong>Hierarchie</strong> und<br />

Verhandlungssystemen ganz im Sinne <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierungstheorie ein „positives“ Verhältnis<br />

zwischen Staatlichkeit und Demokratie impliziert. Die Entstehung von gesellschaftlichen und<br />

intermediären Verhandlungssystemen wird hier als dialektischer Mo<strong>der</strong>nisierungsprozess<br />

begriffen, in dem formale Organisationen unstrukturierte Akteursgruppen zerstören und durch<br />

formale <strong>Hierarchie</strong>n, dem Staat, ersetzen. Die mit <strong>der</strong> Konzentration und Zentralisierung<br />

politischer Macht einhergehende Expansion des Staates führt wie<strong>der</strong>um zu einer internen<br />

Ausdifferenzierung formaler <strong>Hierarchie</strong>n, die zum Verlust ihre Einheitlichkeit und Integrität<br />

führt und die Voraussetzung <strong>für</strong> eine gesellschaftliche Differenzierung in funktionale<br />

Teilsysteme schafft (Tilly 1975; Mann 1988; Luhmann 1996). Politische und gesellschaftliche<br />

Dezentralisierung und Differenzierung führen zur Herausbildung von übergreifen<strong>den</strong><br />

Verhandlungssystemen, welche die verschie<strong>den</strong>en Teilsysteme mit einan<strong>der</strong> koppeln und so<br />

Governance ermöglichen (Mayntz 1993b; Mayntz/Scharpf 1995b). Am Ende dieses<br />

dialektischen Mo<strong>der</strong>nisierungsprozesses steht dann <strong>der</strong> verhandelnde Staat des 21.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts (Mayntz 1993a; Mayntz 1995).<br />

Diese Entwicklung lässt sich <strong>für</strong> westliche Staaten sicherlich theoretisch begrün<strong>den</strong> und<br />

empirisch beobachten. In diesen Räumen verfügen Staat und Gesellschaft über die <strong>für</strong> die<br />

Kooperationsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit notwendige Stärke. Das Kräfteverhältnis<br />

variiert zwischen etatistischen (z.B. Frankreich), korporatistischen (z.B. Schwe<strong>den</strong>) und<br />

pluralistischen (z.B. UK) Systemen. Aber im Vergleich zu Län<strong>der</strong>n, die nicht zum Kern <strong>der</strong><br />

industrialisierten, liberalen Demokratien gehören, bil<strong>den</strong> <strong>der</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> und<br />

autonome gesellschaftliche Interessengruppen eine Rahmenbedingung <strong>für</strong> Governance, die<br />

weitgehend als konstant gelten kann.<br />

Außerhalb <strong>der</strong> „OECD Welt“ ist diese Argumentation jedoch theoretisch und empirisch<br />

gleichermaßen problematisch. Semi-autoritäre und autoritäre Regime unterdrücken<br />

systematisch die Herausbildung autonom organisierter gesellschaftlicher Interessen. Während<br />

hier ein zu viel an Staatlichkeit Demokratisierungsprozesse verhin<strong>der</strong>t, verfügen fragile,<br />

zerfallende und verfallene Staaten über zu wenig Staatlichkeit, um die <strong>für</strong><br />

Demokratisierungsprozesse notwendigen Stabilität zu gewährleisten.<br />

Folgt man mo<strong>der</strong>nisierungstheoretischen Ansätzen, wird die Wahrscheinlichkeit <strong>der</strong><br />

Herausbildung und Effektivität nicht-hierarchischer Governance-Formen sowohl mit <strong>der</strong> Zu-<br />

16


als auch mit <strong>der</strong> Abnahme von <strong>Hierarchie</strong> bzw. Staatlichkeit geringer (Abbildung 2).<br />

Während bei <strong>den</strong> schwachen, zerfallenen und verfallen<strong>den</strong> Staaten die Staatlichkeit durch die<br />

abnehmende Fähigkeit zur Verabschiedung und Durchsetzung kollektiv verbindlicher<br />

Regelungen zunehmend begrenzt ist, leidet die Staatlichkeit semi-autoritärer und autoritärer<br />

Regime unter <strong>der</strong> zunehmen<strong>den</strong> Nicht-Begrenzung genau dieser Fähigkeit, weil es an<br />

politischen <strong>Institut</strong>ionen fehlt, die staatliche Akteure auf Gemeinwohlorientiertes Handeln<br />

festlegen und gesellschaftliche Akteure vor staatlichen Eingriffen schützen. 14<br />

Abbildung 2: <strong>Hierarchie</strong> und Verhandlungssysteme<br />

Verhandlungssysteme<br />

zerfallene und<br />

verfallende<br />

Staaten<br />

pluralistisch<br />

Schwache<br />

Staaten<br />

Westliche<br />

Demokratien<br />

etatistisch<br />

semiautoritär<br />

<strong>Hierarchie</strong><br />

5. Nicht-hierarchische Governance-Formen und das Paradox <strong>der</strong> doppelten Schwäche<br />

Nicht-hierarchische Governance-Formen wer<strong>den</strong> häufig als Alternative o<strong>der</strong> funktionale<br />

Äquivalente zur hierarchischen Steuerung (durch <strong>den</strong> Staat) angesehen. Das gilt nicht nur <strong>für</strong><br />

<strong>den</strong> mo<strong>der</strong>nen Staat, <strong>der</strong> politisch und gesellschaftlich so ausdifferenziert ist, dass seine<br />

Fähigkeit zur hierarchischen Steuerung eng begrenzt ist (Ritter 1990; Scharpf 1991; Mayntz<br />

1993b; Benz 1994; Benz 2001; Leibfried und Zürn 2006). Es trifft vor allem auch auf die so<br />

genannten Räume begrenzter Staatlichkeit zu, die über kein intaktes Gewaltmonopol verfügen<br />

und <strong>der</strong>en Fähigkeit zur Setzung und Durchsetzung rechtlich verbindlicher Regelungen<br />

äußerst beschränkt ist. Einerseits besteht <strong>für</strong> Staaten diesseits und jenseits <strong>der</strong> „OECD Welt“<br />

ein zunehmen<strong>der</strong> Bedarf nach nicht-hierarchischen Governance-Formen, um <strong>für</strong> die<br />

Schwächen bzw. Defizite von (staatlicher) <strong>Hierarchie</strong> zu kompensieren. An<strong>der</strong>erseits braucht<br />

es aber die Fähigkeit und Bereitschaft zur hierarchischen Koordination, die einen gewissen<br />

14 Zu <strong>den</strong> unterschiedlichen Dimensionen von (begrenzter) Staatlichkeit vgl. Risse/Lehmkuhl in diesem Band<br />

und Risse 2007.<br />

autoritär<br />

17


<strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> erzeugt, <strong>der</strong> gewährleistet, dass Verhandlungssysteme Governance-<br />

Leistungen effektiv und legitim erbringen. Da<strong>für</strong> setzt die Governance-Literatur zumindest<br />

implizit einen Kern an mo<strong>der</strong>ner Staatlichkeit voraus, <strong>der</strong> zunächst über die Existenz eines<br />

legitimen Gewaltmonopols definiert ist. Neben dem <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> müssen aber<br />

auch autonome und handlungsfähige gesellschaftliche Akteure geben, die mit öffentlichen<br />

Akteuren kooperieren wollen und können.<br />

Zwar leidet die deutsche Governance-Forschung nicht notwendigerweise an einem Paradox,<br />

weil an<strong>der</strong>s als von Renate Mayntz und Fritz W. Scharpf angenommen ein mittelmäßiger<br />

<strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> <strong>für</strong> die Herausbildung nicht-hierarchischer Governacne-Formen<br />

ausreicht. Sie muss sich aber unter Umstän<strong>den</strong> <strong>den</strong> Vorwurf eines<br />

mo<strong>der</strong>nisierungstheoretischen Bias gefallen lassen, wenn als zentrale Voraussetzung <strong>für</strong> die<br />

„Kombination gesellschaftlicher Selbstregulierung und politischer Steuerung“ ein „starker<br />

Staat und eine starke Gesellschaft“ postuliert wird (Mayntz 1995: 163). 15<br />

Ob mo<strong>der</strong>ne Staatlichkeit tatsächlich eine Bedingung <strong>für</strong> die Herausbildung nichthierarchischer<br />

Governance-Formen darstellt, ist bisher kaum systematisch untersucht wor<strong>den</strong>,<br />

weil sich die Forschung fast ausschließlich mit Län<strong>der</strong>n beschäftigt hat, in <strong>den</strong>en Gesellschaft<br />

und Staat über die <strong>für</strong> die Kooperationsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit notwendige<br />

Stärke verfügen. Dabei gilt es, die in <strong>der</strong> Governance-Forschung verbreitete<br />

mo<strong>der</strong>nisierungstheoretische Perspektive kritisch zu hinterfragen und zu untersuchen,<br />

inwieweit sich funktionale Äquivalente zu <strong>den</strong> Kernelementen mo<strong>der</strong>ner Staatlichkeit<br />

theoretisch <strong>den</strong>ken und empirisch fin<strong>den</strong> lassen. Diese funktionalen Äquivalente müssten<br />

erstens genügend Anreize <strong>für</strong> nicht-staatliche Akteure erzeugen, sich an <strong>der</strong> Bereitstellung<br />

von Governance-Leistungen zu beteiligen. Sie sollten zweitens in <strong>der</strong> Lage sein, diese<br />

Akteure auf gemeinwohlorientiertes Handeln festzulegen bzw. davon abweichendes Handeln<br />

zu sanktionieren. Dabei stellt sich allerdings zunächst einmal die Frage, welche nichtstaatlichen<br />

Akteure in überhaupt die Fähigkeit besitzen, Governance-Leistungen in Räumen<br />

begrenzter Staatlichkeit zu erbringen.<br />

Als Erbringer von Governance-Leistungen in Räumen begrenzter Staatlichkeit rücken<br />

zunächst externe Akteure in <strong>den</strong> Blick wie z.B. Internationale Organisationen, transnationalen<br />

Nicht-Regierungsorganisationen o<strong>der</strong> multinationale Unternehmen. Dabei wird häufig<br />

15 Dieser Vorwurf wurde bereits an die Literatur zu Politiknetzwerken gerichtet (Grote 1997).<br />

18


vernachlässigt, dass es auch auf lokaler Ebene zivilgesellschaftliche bzw. kommerzielle<br />

Akteure geben kann, die in <strong>der</strong> Lage sind, Gemeinschaftsgüter bereitzustellen. So hat die<br />

Hamas in <strong>den</strong> palästinensischen Autonomiegebieten weite Teile des Gesundheits- und<br />

Bildungswesens organisiert. Und in Teilen Zentralasiens und Afrikas übernehmen immer<br />

wie<strong>der</strong> Clan- und Stammesoberhäupter die Aufrechterhaltung <strong>der</strong> „öffentlichen Sicherheit“<br />

(zu <strong>der</strong> sich daraus ergeben<strong>den</strong> Klubgüterproblematik siehe Risse in diesem Band). Durch<br />

gezielten Ressourcentransfer von außen bzw. durch die Zusammenarbeit mit externen<br />

Akteuren lassen sich die Kapazitäten lokaler Governance-Akteure stärken. Da in Räumen<br />

begrenzter Staatlichkeit, wenn überhaupt, nur begrenzt die Möglichkeit zur Repression<br />

besteht, kann das Problem <strong>der</strong> fehlen<strong>den</strong> Handlungsautonomie – zumindest <strong>für</strong> zerfallene und<br />

verfallende Staaten – vernachlässigt wer<strong>den</strong>.<br />

Erst wenn es Akteure gibt, die grundsätzlich über die notwendigen Ressourcen und die<br />

entsprechende Handlungsautonomie zur Erbringung von Governance-Leistungen verfügen,<br />

wer<strong>den</strong> funktionalen Äquivalenten <strong>für</strong> Staatlichkeit relevant, da<strong>für</strong> aber umso virulenter.<br />

Warum sollten Akteure ein Interesse daran besitzen, in Räumen begrenzter Staatlichkeit mit<br />

ihrer hohen Instabilität und Unsicherheit Gemeinschaftsgüter bereitzustellen? Es gibt keine<br />

funktionieren<strong>den</strong> <strong>Institut</strong>ionen, die Akteure auf gemeinwohlorientiertes Handeln festlegen.<br />

Noch sind staatliche Akteure willens o<strong>der</strong> fähig, gemeinwohlorientierte Politikergebnisse<br />

hierarchisch herzustellen und durchzusetzen bzw. nicht-gemeinwohlorientiertes Handeln zu<br />

sanktionieren. Aber genau darin könnte <strong>der</strong> entschei<strong>den</strong>de Kooperationsanreiz liegen. Fehlt es<br />

an einer zentralen Instanz, die willens und fähig ist, gemeinwohlorientierte Politikergebnisse<br />

herbeizuführen und auch gegen Wi<strong>der</strong>stände durchzusetzen, sieht die Entscheidungssituation<br />

<strong>der</strong> betroffenen Akteure völlig an<strong>der</strong>s aus. Sie müssen nicht mehr zwischen mit<br />

Transaktionskosten verbun<strong>den</strong>en Verhandlungen einerseits und einer <strong>für</strong> sie ggf.<br />

suboptimalen hierarchischen Entscheidung an<strong>der</strong>erseits wählen, son<strong>der</strong>n sehen sich mit <strong>der</strong><br />

Möglichkeit konfrontiert, dass es zu überhaupt keinem Politikergebnis kommt. Hängt die<br />

Verfolgung bzw. Maximierung ihrer Eigeninteressen von <strong>der</strong> Regelung eines<br />

gesellschaftlichen Sachverhaltes ab und wird diese nicht hierarchisch bereit gestellt, haben<br />

private Akteure einen erheblichen Anreiz, die notwendige Handlungskoordination selbst zu<br />

leisten. So lässt sich beispielsweise erklären, weshalb sich im Bereich <strong>der</strong> HIV/Aids<br />

Bekämpfung in Südafrika zunehmend Formen unternehmerischer Selbstregulierung fin<strong>den</strong><br />

(siehe Börzel/Héritier/Müller-Debus in diesem Band).<br />

19


Der <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> Anarchie könnte also in Räumen begrenzter Staatlichkeit ein funktionales<br />

Äquivalent zum fehlen<strong>den</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> darstellen. 16<br />

Es gibt aber noch einen zweiten Anreizmechanismus, <strong>der</strong> sich als „externer <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Hierarchie</strong>“ bezeichnen ließe. Zum einen können internationale Organisationen und Regime<br />

das Handeln von Akteuren auf das Gemeinwohl festlegen. Das gilt nicht nur <strong>für</strong><br />

Unternehmen, die sich zunehmend an Standards <strong>für</strong> corporate social responsibility messen<br />

lassen müssen, wie sie z.B. <strong>der</strong> Global Compact festlegt. Auch Nicht-<br />

Regierungsorganisationen und lokale Akteure können an völkerrechtliche Standards <strong>für</strong><br />

„gutes <strong>Regieren</strong>“ gebun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> (siehe <strong>den</strong> Beitrag von Beate Rudolf in diesem Band). Die<br />

Einhaltung dieser Standards wird nicht nur durch internationale <strong>Institut</strong>ionen überwacht und<br />

ggf. sanktioniert, son<strong>der</strong>n auch durch die Staaten, in <strong>den</strong>en multinationale Konzerne ihren<br />

Firmensitz und transnationale Nicht-Regierungsorganisationen ihre Zentrale haben.<br />

Während <strong>der</strong> <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> Anarchie ganz <strong>ohne</strong> Staatlichkeit auskommt, wird <strong>der</strong> externe<br />

<strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> durch Räume funktionieren<strong>der</strong> Staatlichkeit erzeugt. Da <strong>der</strong> <strong>Schatten</strong><br />

<strong>der</strong> Anarchie die entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Anreize <strong>für</strong> die Herausbildung nicht-hierarchischer<br />

Governance-Formen bildet und <strong>der</strong> externe <strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> vor allem <strong>der</strong>en<br />

Gemeinwohlverträglichkeit gewährleisten soll, können sich die bei<strong>den</strong> funktionalen<br />

Äquivalente durchaus ergänzen bzw. wechselseitig verstärken. Inwiefern sie <strong>den</strong> fehlen<strong>den</strong><br />

<strong>Schatten</strong> <strong>der</strong> <strong>Hierarchie</strong> in Räumen begrenzter Staatlichkeit tatsächlich ausgleichen können,<br />

ist eine empirische Frage, die sich nur durch vergleichende Fallstudien klären lässt.<br />

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