FINE Ein Magazin für Wein und Genuss 2|2015
FINE Ein Magazin für Wein und Genuss 2|2015 - Sonderbeilage in der Süddeutschen Zeitung
FINE Ein Magazin für Wein und Genuss 2|2015 - Sonderbeilage in der Süddeutschen Zeitung
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E I N E S O N D E R B E I L A G E D E S T R E T O R R I V E R L A G S<br />
der Verlag <strong>für</strong> Essen, Trinken <strong>und</strong> <strong>Genuss</strong> <strong>2|2015</strong><br />
EIN MAGAZIN FÜR WEIN UND GENUSS<br />
FLEISCHESLUST UND GAUMENFREUDE
Geben Sie einem 82er Château Margaux das Gefühl, zuhause zu sein.<br />
EIN MAGAZIN FÜR WEIN UND GENUSS<br />
Verleger <strong>und</strong> Herausgeber<br />
Ralf Frenzel<br />
ralf.frenzel@fine-magazines.de<br />
Chefredakteur<br />
Thomas Schröder<br />
thomas.schroeder@fine-magazines.de<br />
Redaktion<br />
Carola Hauck<br />
Art Direction<br />
Guido Bittner<br />
Mitarbeiter dieser Ausgabe<br />
Till Ehrlich, Bernd Fritz, Ursula Heinzelmann,<br />
Uwe Kauss, Christian Neimöck, Dr. Stefan<br />
Pegatzky, Angelika Ricard-Wolf<br />
Fotografen<br />
Guido Bittner, Rui Camilo, Marco Gr<strong>und</strong>t,<br />
Thilo Weimar<br />
Titel-Foto: Rui Camilo<br />
Editorial-Fotos: Johannes Grau, Pekka Nuikki<br />
Verlag<br />
Tre Torri Verlag GmbH<br />
Sonnenberger Straße 43<br />
65191 Wiesbaden<br />
www.tretorri.de<br />
Geschäftsführer: Ralf Frenzel<br />
Anzeigen<br />
Judith Völkel<br />
Tre Torri Verlag GmbH<br />
+49 (o) 611-57 990<br />
info@fine-magazines.de<br />
Druck<br />
Prinovis Ltd. & Co. KG · Nürnberg<br />
Fine <strong>Ein</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>für</strong> <strong>Wein</strong> <strong>und</strong> <strong>Genuss</strong> ist eine<br />
Sonder beilage des Tre Torri Verlags <strong>und</strong> erscheint<br />
im Verb<strong>und</strong> mit Fine Das <strong>Wein</strong> magazin viermal<br />
Jährlich im ausgesuchten Zeitschriftenhandel.<br />
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt<br />
die Meinung der Redaktion wieder. Der Verlag<br />
haftet nicht <strong>für</strong> unverlangt eingereichte Manus kripte,<br />
Dateien, Datenträger <strong>und</strong> Bilder. Alle in diesem <strong>Magazin</strong><br />
veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt.<br />
Verehrte Leserin, lieber Leser,<br />
da hat er uns wieder, schon wieder – der Herbst. Nichts<br />
dagegen! Ob er uns nun mit goldener Oktobersonne<br />
verwöhnt, ob er uns in dichte Nebelschwaden hüllt oder<br />
ganze Wochen in die Regentonne tunkt – einschlägige<br />
Blätter wissen Rat, wie einer postsommerlichen Depression<br />
am besten zu entrinnen sei: Cuddling heißt der<br />
Trend – Kuscheln. Kuscheln am Kamin. Wiederum:<br />
Nichts dagegen, auch wir geben uns solcher Besinnlichkeit<br />
zuweilen gern hin. Dennoch wollen <strong>und</strong> werden wir<br />
das Thema in diesem Heft nicht vertiefen, sondern den<br />
Blick auf zwei andere probate Trost- <strong>und</strong> Ermutigungshelfer<br />
richten, die dem genervten Menschen an trüben<br />
Tagen <strong>und</strong> in dunklen Zeiten aufhelfen können: auf<br />
köstliches Speisen <strong>und</strong> gedeihliches Trinken – <strong>und</strong> das<br />
kluge Bedenken dieser Wohltaten.<br />
Den <strong>Genuss</strong>-Carnivoren zum Beispiel dreht es die<br />
Mägen um, wenn sie sehen, welcher Art das Fleisch ist,<br />
das in deutschen Pfannen <strong>und</strong> auf deutschen Grills bisweilen<br />
brutzelt. Ihre Devise lautet: wenig – aber vom<br />
Allerbesten. Doch woher nehmen? Als unentbehr licher<br />
Helfer der Gourmets erweist sich da der logistisch nach<br />
modernsten Methoden arbeitende Versandhandel. <strong>Ein</strong><br />
von Feinstschmeckern <strong>und</strong> Spitzenköchen gleichermaßen<br />
gerühmter Anbieter von Premiumfleisch findet<br />
sich in Düsseldorf. Die Porträt-Reportage über diesen<br />
Qualitätsfanatiker zeigt ihn am derzeitigen Highend<br />
der Gourmandise in Deutschland, deren Entwicklung<br />
nach dem Vorüberrauschen der so genannten Fresswelle<br />
in den frühen sechziger Jahren begann. Stefan<br />
Pegatzky betrachtet dazu als kulinaristischer Archäologe<br />
einige Artefakte unserer feinschmeckerischen Vor<strong>und</strong><br />
Frühgeschichte.<br />
Und der <strong>Wein</strong>? Dass ausgerechnet ein Amerikaner<br />
urbi et orbi zeigen musste, wie <strong>und</strong> warum welcher <strong>Wein</strong><br />
mit besonderem <strong>Genuss</strong> zu trinken sei, wie Winzer <strong>und</strong><br />
<strong>Wein</strong>fre<strong>und</strong>e auf die geschmacklichen Vorlieben <strong>und</strong><br />
Bewertungen des großen Gurus abfuhren – <strong>und</strong> wie<br />
seit einiger Zeit so mancher doch wieder vom Glauben<br />
abfällt: Die tolle Geschichte von Werk <strong>und</strong> weltweiter<br />
Wirkung des <strong>Wein</strong>journalisten Robert Parker, der auch<br />
die deutsche <strong>Wein</strong>szene nachhaltig beeinflusst hat, kann<br />
uns lehren, den Geschmacksdiktaten von Experten nicht<br />
einfach zu folgen, sondern skeptisch den eigenen Gusto<br />
daran zu prüfen <strong>und</strong> erkenntnisfroh zu schärfen. Denn<br />
über nichts streiten noch die friedfertigsten <strong>Wein</strong>liebhaber<br />
leidenschaftlicher als eben über den Geschmack.<br />
Außer Zweifel steht aber wohl unter <strong>Wein</strong>- <strong>und</strong> sonstigen<br />
Gourmets, auch <strong>und</strong> gerade in der dritten Jahreszeit,<br />
der sinnliche Erkenntniswert des Cuddlings. Es sei<br />
denn, das Feuer im Kamin ist gänzlich erloschen.<br />
Ralf Frenzel<br />
Herausgeber<br />
Thomas Schröder<br />
Chefredakteur<br />
Der Unterschied heißt Gaggenau.<br />
Der 82er Château Margaux gehört zu den Besten seines<br />
Jahrgangs. Damit er es auch bleibt, schafft der <strong>Wein</strong>schrank<br />
RW 464 ideale Lagerbedingungen. Zwei getrennt steuerbare<br />
Klimazonen mit gradgenauer Temperaturregelung, vibrationsarmer<br />
Lagerung <strong>und</strong> voll ausziehbaren Flaschenablagen<br />
bieten Raum <strong>für</strong> bis zu 99 Flaschen. Alles, um einen Margaux<br />
auf den perfekten Moment vorzubereiten: den <strong>Genuss</strong>.<br />
Informieren Sie sich unter 089 20 355 366 oder unter<br />
www.gaggenau.com.<br />
INHALT<br />
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10<br />
14<br />
18<br />
22<br />
26<br />
32<br />
36<br />
38<br />
46<br />
Albers Food <strong>und</strong> die Fleischkultur<br />
Hummer <strong>und</strong> seine Begleiter<br />
Das deutsche Küchenw<strong>und</strong>er<br />
Micha Siebenhandl <strong>und</strong> das Wohlbefinden<br />
Bocuse d’Or, der begehrteste Preis der Spitzenköche<br />
Luce della Vite, die dunkle Sonne von Montalcino<br />
MCIII, eine Champagner-Revolution<br />
Craft-Stoff <strong>für</strong> den Biergourmet<br />
Robert Parker, das Bordelais <strong>und</strong> die <strong>Wein</strong>welt<br />
Champagner in seinem Milieu<br />
| <strong>FINE</strong> 2 | 2015<br />
3
»Die Moral<br />
kann man<br />
schmecken«<br />
Der Düsseldorfer Grosshändler Albers Food<br />
setzt ein Zeichen <strong>für</strong> die Fleischkultur<br />
Von Uwe Kauss<br />
Fotos Rui Camilo<br />
Beharrlich <strong>und</strong> hartnäckig: Udo Albers <strong>und</strong> sein<br />
jüngerer Cousin Frank haben jahrelang da<strong>für</strong><br />
gekämpft, das legendäre Kobe-Wagyu aus Japan<br />
zu importieren. Der <strong>Ein</strong>satz hat sich gelohnt:<br />
Seit 2013 darf das Familienunternehmen Albers<br />
Food als erstes in Deutschland das kostbare<br />
Edelfleisch anbieten. Die Initialzündung dazu<br />
kam von einer Probekiste mit australischem<br />
Wagyu des Farmbetriebs Jack’s Creek, von dessen<br />
Qualität die beiden Düsseldorfer Großhändler<br />
geradezu überwältigt waren; natürlich haben sie<br />
dieses kostbare Premiumfleisch noch immer in<br />
ihrem Sortiment.<br />
Auf dem Parkplatz hinterm Stahlzaun rangiert der LKW-Fahrer seinen Sechzehn-Tonner Zentimetern um Zentimeter zwischen eng<br />
geparkten Autos rückwärts an die Laderampe des weißen Zweckbaus. Druckluft zischt, der Fahrer nickt, der LKW steht. <strong>Ein</strong>e kerzengerade<br />
Hauptstraße durchschneidet das Düsseldorfer Industriegebiet Lichtenbroich nahe des Flughafens. <strong>Ein</strong> Autohaus, ein Druckzentrum,<br />
Speditionen, Lager, Büros liegen still in der Vormittagssonne. An der Straßenseite neben der Rampe spiegelt ein sauber poliertes<br />
Schaufenster ihre Strahlen. Dahinter füllt eine Frau mit weißer Haube, Kittel <strong>und</strong> Handschuhen die Fleischtheke auf. Wenige Meter<br />
nebenan, hinter dem schlichten <strong>Ein</strong>gang ins Bürogebäude, sieht man gewaltige Rinderhälften auf armdicken Stahlstangen hängen. Das<br />
eindrucksvolle Foto füllt die Wand im engen Flur neben Kopierer <strong>und</strong> steiler Treppe. Es zeigt, was hier im Mittelpunkt steht: Fleisch.<br />
Gourmet-Restaurants, Top-Hotels <strong>und</strong> Delikatessen läden beziehen allererste<br />
Qualität aus dem Zweckbau mit Lager in Lichtenbroich. Albers <strong>und</strong> Metzger. Die Albers-Cousins waren die ersten, die Strauß importiermission,<br />
Warenannahme <strong>und</strong> Qualitätskontrolle arbeiten nur gelernte Köche<br />
Food ist einer der renommiertesten Fleischgroßhändler in Deutschland. »Bei ten. In ihrem Lager haben sie bestes Iberico-Fleisch, Premium-Steaks in<br />
uns kommt erst das Fleisch<br />
unterschiedlichen Cuts aus<br />
<strong>und</strong> danach der Preis«, sagt<br />
Nebraska, Black Angus aus<br />
Frank Albers, der mit Dreitage<br />
bart, Jeans, V-Pullover<br />
aus Irland, feinstes Geflügel<br />
Australien, Dry Aged Beef<br />
<strong>und</strong> Bluetooth-Hörnchen<br />
aus Deutschland <strong>und</strong> Frankreich<br />
– <strong>und</strong> seit 2014 auch<br />
im Ohr die Treppe hinabspringt<br />
<strong>und</strong> kurz im Büro verschwindet.<br />
Er bereitet eine<br />
<strong>und</strong> teuerste Rindfleisch der<br />
japanisches Wagyu, das beste<br />
wichtige Messe vor, er muss<br />
Welt.<br />
die Ladung des Sechzehn-<br />
Nur ein deutscher Unternehmer<br />
erhielt von den<br />
Tonners kontrollieren, <strong>und</strong><br />
das Smartphone brummt<br />
japanischen Behörden eine<br />
auch schon wieder. Wenige<br />
Importlizenz <strong>für</strong> das Fleisch<br />
Minuten später holt er Kaffee<br />
der Tajima- Rinder aus der<br />
<strong>und</strong> seinen Cousin Udo<br />
Region Hyogo mit der<br />
Albers. Sie lassen sich in die<br />
anderthalb Millionen <strong>Ein</strong>wohner<br />
zählenden Haupt-<br />
schwarzen schlichten Stühle<br />
im engen Besprechungsraum<br />
stadt Kobe. Pro Jahr dürfen<br />
fallen. Die beiden leiten das<br />
nur dreitausend Tiere ge-<br />
1962 von ihrem Großvater gegründete Unternehmen schon seit langer Zeit, schlachtet <strong>und</strong> verkauft werden, neunzig Prozent des Fleisches müssen laut<br />
haben den einstigen Lebensmittelhandel der Familie im Düsseldorfer Großmarkt<br />
innerhalb von fünfzehn Jahren zum vielleicht besten Fleischanbieter land. »Ich habe die Lieferung selbst am Frankfurter Flughafen abgeholt. Wir<br />
Gesetz in Japan bleiben. 2014 brachte Frank Albers Kobe-Wagyu nach Deutsch-<br />
des Landes entwickelt. Dreißig Mitarbeiter sind hier beschäftigt; in Kom-<br />
haben jahrelang hart <strong>für</strong> diesen Moment gearbeitet, haben mit japanischen<br />
6 7<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | <strong>FINE</strong> 2 | 2015
Ministerien verhandelt, mit der EU, mit den Produ zenten.<br />
Das war schwierig <strong>und</strong> manchmal frustrierend. Uns war sehr<br />
wichtig, hier der erste Anbieter von japanischem Wagyu zu sein.<br />
Damit wollten wir ein Zeichen <strong>für</strong> die Fleisch kultur setzen.«<br />
Wa-gyu bedeutet übersetzt schlicht »Rind aus Japan«. Das<br />
um 500 Euro pro Kilo teure Fleisch ist nicht nur rar, es hat<br />
einen außergewöhnlichen Geschmack <strong>und</strong> eine butter zarte<br />
Konsistenz aufgr<strong>und</strong> der feinen Fett- Marmorierung. »Wagyu<br />
ist wie Crème Brûlée«, schwärmt Udo Albers, »oben perfekt<br />
knusprig, darunter butterweich, dass man es löffeln könnte,<br />
mit nussig-mildem Geschmack. Wahnsinn!«<br />
Anders als in Deutschland gibt es in Japan genau definierte,<br />
objektive Qualitätskriterien <strong>für</strong> Rindfleisch. Die Kriterien<br />
sind Fleischfarbe, Festigkeit, Textur, Marmorierung <strong>und</strong><br />
dazu Qualität, Farbe <strong>und</strong> Glanz des Fettes. Japanisches Rindfleisch<br />
darf sich nur Kobe-Wagyu nennen, wenn es von den<br />
staatlichen Prüfern mit den Bestnoten bewertet worden ist.<br />
Dazu müssen die Tiere eine eindeutige Genetik aufweisen,<br />
etwa drei Jahre in der Region im Freiland aufwachsen. Das<br />
Futter aus Heu, Gräsern, Sojabohnen, Gerste <strong>und</strong> Weizenkleie<br />
ist das Geheimnis jeden Züchters. Hormone <strong>und</strong> Antibiotika<br />
sind zudem verboten. Doch die Tiere hören weder<br />
Mozart noch werden sie mit Bier massiert. »Diese Stories<br />
sind ein Teil des Mythos«, sagt Frank Albers <strong>und</strong> hebt die<br />
Schultern.<br />
Diese Maßstäbe haben den Import so schwierig gemacht:<br />
»In Kobe werden die Rinder wie Rennpferde gezüchtet.<br />
Jeder zertifizierte Betrieb darf maximal vier<strong>und</strong>dreißig<br />
Tiere besitzen. Das hat mit der Rinderzucht in der EU gar<br />
nichts zu tun. Auch nicht bei den Bio-Produzenten.« Doch<br />
Albers ließ nicht locker. Wieder <strong>und</strong> wieder vereinbarte er<br />
Termine in Ministerien <strong>und</strong> platzierte seine Botschaft: Wir<br />
wollen Wagyu anbieten. <strong>Ein</strong> anspruchsvolles Ziel: Bislang<br />
galt Wagyu reinrassiger Tiere in Japan als Prestige produkt,<br />
als eine Art National heiligtum – das gab es nur bei zertifizierten<br />
Händlern <strong>und</strong> ausschließlich innerhalb der Grenzen.<br />
Kleine Mengen schmuggelten Touristen gelegentlich außer<br />
Landes, größere verließen Japan nie. Doch die schwere Wirtschaftskrise<br />
von 2007 ließ die Verantwort lichen vorsichtig<br />
um denken. Der Export von Waren aller Art war nun ein<br />
wichtiger Faktor. 2012 erlaubten die Behörden erstmals, das<br />
Fleisch von sechsh<strong>und</strong>ertein<strong>und</strong>sechzig Tieren nach Macao,<br />
Hongkong, Thailand, Singapur <strong>und</strong> in die Vereinigten Staaten<br />
zu ver kaufen. Aber nicht in die EU.<br />
Doch dann kam Bewegung in die Sache: Japanische<br />
Züchter saßen bei Albers im Besprechungsraum, um diesen<br />
deutschen Händler kennenzulernen. »Sie fragten: Kann<br />
man Wagyu hier verkaufen? Ich antwortete: Wir importieren<br />
jährlich etwa anderthalb Tonnen Wagyu aus Australien. Das<br />
überzeugte sie.« Pünktlich zur Nahrungsmittelmesse Anuga<br />
2013 traf die offizielle Lieferung der ersten dreih<strong>und</strong>ert Kilo<br />
Wagyu-Entrecôte, -Roastbeef <strong>und</strong> -Filet in Deutschland ein.<br />
Wagyu ist <strong>für</strong> die »Meat Scouts«, wie Frank <strong>und</strong> Udo<br />
Albers von Sterneköchen oft bezeichnet werden, ein<br />
Schlüsselprodukt: »Der Kern unseres Unternehmens ist das<br />
Produkt in seiner bestmöglichen Ausprägung. Das ist nur<br />
möglich, wenn wir es aus Orten beziehen, in denen eine<br />
Kultur <strong>und</strong> Tradition da<strong>für</strong> besteht«, erklärt Frank Albers<br />
seinen Anspruch. Das butterzarte Fleisch bezieht er seit vielen<br />
Jahren schon genehmigungsfrei aus Australien. Die dort mit<br />
Black Angus gekreuzten Tajima-Rinder wachsen unter ebenso<br />
guten Bedingungen auf, doch Geschmack <strong>und</strong> Textur unterscheiden<br />
sich vom japanischen Wagyu. »Das Fleisch ist etwas<br />
kräftiger <strong>und</strong> dichter, es verträgt etwas mehr Hitze, ist aber<br />
fast ebenso zart«, erklärt Udo Albers den feinen Unterschied.<br />
Nach der BSE-Krise stand Albers am Abgr<strong>und</strong>. Der Markt<br />
<strong>für</strong> Rindfleisch war zusammengebrochen. In dieser Zeit kam<br />
Frank Albers als Geschäftsführer wieder ins Unternehmen.<br />
Nach dem Abitur war er mit dem Rucksack durch Amerika<br />
<strong>und</strong> Afrika gereist, hatte beim renommierten französischen<br />
Feinkost-Großhändler Rungis Express eine Lehre<br />
als Groß- <strong>und</strong> <strong>Ein</strong>zelhandelskaufmann gemacht, sich <strong>für</strong><br />
die kulinarischen Spezialitäten der Welt begeistert <strong>und</strong><br />
danach Europäisches Management in Köln studiert. Die<br />
High- Potential- Veranstaltungen der großen Unternehmensberatungen<br />
überzeugten ihn nicht: »War nicht meine Welt.«<br />
Als er im Familienunternehmen einstieg, war ein Krisenmanager<br />
nötig. Udo <strong>und</strong> Frank Albers suchten nach Produkten,<br />
die zu ihnen passten <strong>und</strong> die sie wieder auf Kurs<br />
bringen würden. »Wir haben uns mit Strauß <strong>und</strong> Känguru<br />
aus Austra lien beschäftigt«, erzählt Udo Albers, »da kam<br />
vom Farm betrieb Jack’s Creek eine Probekiste mit australischem<br />
Wagyu. Wir haben das probiert – <strong>und</strong> es hat das Verständnis<br />
unserer Arbeit verändert. Das war so fein, so anders,<br />
dass wir wussten: Das müssen wir machen. So etwas Gutes<br />
gibt’s hier nicht.«<br />
Die beiden entwickelten »ein lückenloses System zum<br />
Erkennen, <strong>Ein</strong>kaufen, Verarbeiten <strong>und</strong> Ausliefern von<br />
Gourmet fleisch der Spitzenklasse«, wie Frank Albers erzählt,<br />
»von der Weide bis zu dem Moment, in dem der K<strong>und</strong>e in<br />
der Gastronomie oder der heimischen Küche das Steak, den<br />
Braten oder das Hähnchen auspackt.« Und sie arbeiten dabei<br />
als Vermittler der Fleischkultur: »Wir erklären unsere Produkte<br />
<strong>und</strong> schenken den K<strong>und</strong>en dabei reinen <strong>Wein</strong> ein. Wir<br />
erzählen den Leuten, wie es ist. Keine Mythen, keine Metzgermärchen.«<br />
Das alles hat Albers zum Premium-Anbieter aufsteigen<br />
lassen. Das edle Fleisch aus Düsseldorf haben Angela<br />
Merkel <strong>und</strong> Barack Obama ebenso gern verspeist wie Bernie<br />
Ecclestone <strong>und</strong> George Clooney.<br />
Die jahrelange Arbeit hat den Blick der beiden ver ändert.<br />
Sie beobachten die Entwicklungen sehr genau. Über<br />
Deutschland fällt Udo Albers kein gutes Urteil: »Hier gibt<br />
es keine Fleischkultur mehr, nur noch auf Hocheffizienz<br />
getrimmte Fleischwerke. Der Preis diktiert die Bedingungen.<br />
In die Schlachthöfe haben Händler wie wir heute keinen<br />
Zutritt mehr.«<br />
Ihr Angus-Rindfleisch in Gourmetqualität beziehen sie<br />
aus Nebraska von den Greater Omaha Packers (GOP), einem<br />
Verb<strong>und</strong> regionaler Farmer <strong>und</strong> Großhändler. 1920 wurde<br />
er gegründet, seine legendäre Fleischqualität hat Weltruf.<br />
»Die Rinder leben draußen auf tausenden Hektar Weideland,<br />
später in sehr großen Freigehegen, sie fressen Gras <strong>und</strong><br />
Körner«, schwärmt Frank Albers, der mindestens einmal<br />
jährlich <strong>für</strong> eine Woche dort ist, »sie bekommen auch keine<br />
vorbeugenden Antibiotika oder Hormone.«<br />
<strong>Ein</strong> GOP-Farmer habe einem Rind übers Fell gestrichen,<br />
<strong>und</strong> sofort gewusst, welche Klassifizierung das Fleisch bekommen<br />
wird, staunt Udo Albers noch heute. »Mit Ultraschallgeräten<br />
können sie vorab checken, wie sich die Marmorierung<br />
ausprägt. Der hatte aber so viel Erfahrung über die<br />
Jahrzehnte gesammelt, dass er die Qualität fühlen konnte.«<br />
Auch in Montana hatten sie auf einer Partnerfarm solch ein<br />
Erlebnis. »Da ging der Farmer mit uns auf die Weide <strong>und</strong><br />
rief die Rinder mit Namen. Da kamen sie angetrabt. Das<br />
mag kitschig klingen – aber uns hat das echt beeindruckt.«<br />
<strong>Ein</strong> Ribeye von solchen Rindern, in der Pfanne zubereitet,<br />
schrumpft keinen Millimeter, es klebt nicht am Boden, keine<br />
Flüssigkeit tritt aus. Seine Textur ist kraftvoll <strong>und</strong> zugleich<br />
zart, das Fleisch fasert nicht. Mehr Steak geht nicht. Für Frank<br />
Albers steckt eine einfache Gleichung dahinter: »Wenn es<br />
dem Tier schlecht gegangen ist, kann das Fleisch nicht gut<br />
sein. Bei unseren Produkten geht es den Tieren gut, es geht<br />
Ambitioniert <strong>und</strong> ehrgeizig: Während sich<br />
Frank Albers mit fast zärtlicher Hingabe um die<br />
inneren Angelegenheiten der Firma kümmert, ist<br />
Udo Albers als eine Art Außenminister <strong>für</strong> die<br />
Kontakte mit Zulieferern <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en zuständig.<br />
Im Portfolio von Albers Food steht auch Dry Aged<br />
Beef, das im Klimaschrank mehrere Wochen reift.<br />
den Farmern gut, <strong>und</strong> es geht den K<strong>und</strong>en gut, weil sie Top-<br />
Qualität bekommen. R<strong>und</strong>e Sache. Die Moral kann man<br />
schmecken.«<br />
Zurück im Flur mit den Rinderhälften an der Wand kommt<br />
den beiden eine Frau in weißer Arbeitskleidung ent gegen,<br />
in der Hand einen Teller mit zarten Fleischscheiben <strong>und</strong><br />
einigen Holzspießen – frisch geräuchertes Pastrami, derzeit<br />
ein Klassiker des Street Food. »Den Trend haben wir mit aufgebaut«,<br />
sagt Frank Albers beiläufig zwischen zwei Handygesprächen.<br />
Die Probe schmeckt saftig, zart, mit sehr feinen<br />
Räucheraromen. Albers kostet. »Da brauchst du nicht mal<br />
Salz. Alles richtig so.« Doch trotz Termindruck, Hektik <strong>und</strong><br />
Messe beschäftigt ihn eine Frage: »Ich habe kürzlich ein Steak<br />
probiert, das hatte eine Struktur wie roher Schinken. Das war<br />
aber nicht geräuchert. Ich will wissen, wie man das macht.<br />
Und wer es macht.« Wieder brummt sein Smartphone. •<br />
8 9<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | <strong>FINE</strong> 2 | 2015
Hummer<br />
<strong>und</strong> seine Begleiter<br />
Es muss nicht immer Champagner sein<br />
Von Ursula Heinzelmann<br />
DIESES BUCH<br />
IST DER BEWEIS ...<br />
BEEF! GRILLEN – MEISTERSTÜCKE FÜR MÄNNER.<br />
Hummer – ja bitte. Geht<br />
immer, <strong>und</strong> zwar<br />
am liebsten frisch<br />
gekocht, gerade so<br />
weit abgekühlt, dass ich Spaß haben kann,<br />
mit Fingern, Zange <strong>und</strong> Gabel an das feste<br />
<strong>und</strong> doch zarte Fleisch zu gelangen, süß<br />
<strong>und</strong> unbeschreiblich köstlich. Zitronige<br />
Mayonnaise dazu, <strong>Wein</strong> im Glas, <strong>und</strong> das<br />
Leben ist gut.<br />
In heimischen Stadtgefilden erfordert diese kulinarische<br />
<strong>Ein</strong>fachheit allerdings erhebliche finanzielle<br />
Investitionen, während sich an der Quelle<br />
vergleichsweise unbeschwert schwelgen lässt.<br />
Wie zuletzt im Sommer in Wales: Die Fischer<br />
in Aberystwyth in der Cardigan Bay sind auf<br />
Hummer spezialisiert, vor ihren Schuppen am<br />
Hafen türmen sich die Reusen. <strong>Ein</strong> Klopfen an<br />
der richtigen Tür zur richtigen Tageszeit, eingehende<br />
Begut achtung des Angebots, <strong>und</strong> ein<br />
nach Meer <strong>und</strong> Algen duften der Karton wechselt<br />
den Besitzer. Der ferien heimische Herd<br />
steht in einem alten Bauern haus, die Küche ist<br />
Kollateral schäden gegenüber aufgeschlossen (die<br />
bei echter Hummer freude nicht auszu schließen<br />
sind – da fliegen die Schalen <strong>und</strong> spritzt der Saft),<br />
der lange Holztisch genau richtig <strong>für</strong> solche Festgelage.<br />
Indes – der <strong>Wein</strong> bestand ist ebenfalls in<br />
wali sischer Urlaubs stimmung, die Vorräte gegen<br />
Ende des Urlaubs sind längst geplündert. Da liegt<br />
kein Puligny- Montrachet <strong>und</strong> kein Meursault, kein<br />
Champagner <strong>und</strong> kein Chablis.<br />
Doch braucht es diese traditionellen Hummer-<br />
Begleiter tatsächlich? Um Missverständnissen<br />
vorzubeugen: Selbstverständlich haben die<br />
Klassiker ihre Berechtigung. Beim Mayonnaise-<br />
Rühren steigt ein Puligny-Montrachet Folatières<br />
mit seiner nussig-gelben Frucht aus den Tiefen<br />
meines <strong>Wein</strong>gedächtnisses auf – bei einem romantischen<br />
Dinner- Date im englischen Kent vor mehr<br />
als fünf<strong>und</strong>zwanzig Jahren von einem exzentrischen<br />
Restaurateur auf rotkarierten Tischdecken<br />
zu groß artigem Hummer serviert, fre<strong>und</strong>lich<br />
kalku liert <strong>und</strong> die Sinnesfreude des Abends signi-<br />
fikant steigernd. Die porphyr steinigen Vorberg-<br />
Weißburg<strong>und</strong>er aus dem Süd tiroler Terlan schleichen<br />
sich mir auf die Zunge, im letzten Frühjahr<br />
auf Sylt in alten <strong>und</strong> neuen Jahr gängen erlebt.<br />
Söl’ring-Hof-Hausherr Johannes King ließ dazu<br />
statt Hummer »Sylter Strand salat« auftragen, eine<br />
nordmeerige Komposition aus vieler lei Muscheln,<br />
Austern <strong>und</strong> Wattschnecken mit Bronze fenchel,<br />
Apfel, Meerrettich <strong>und</strong> Dillöl. Aber die strahlendfrische<br />
<strong>und</strong> doch reife Säure des 2012er Riserva<br />
der Terlaner Genossen hätte ein Gegenüber mit<br />
zwei großen Scheren genauso erfreut – wie ich<br />
gelegent lich von einer schlichten Hummerschere<br />
»auf die Faust« zu üppig- würzigem Champagner<br />
à la Bollinger träume.<br />
Doch es gibt auch noch ganz andere hummergute<br />
Momente. Im Le Bernardin in New York<br />
würzte Eric Ripert das Tier mit intensivaromatischem<br />
Gulasch-Jus, Spitzen- Sommelier<br />
Aldo Sohm schenkte dazu trefflich gereifte, kräftige<br />
Rotweine aus Spanien <strong>und</strong> Griechenland ein. Auf<br />
der Terrasse des Torre del Sarraceno zwischen<br />
Neapel <strong>und</strong> Sorrent brillierte Gennaro Esposito<br />
mit einem kräftigen Pracht exemplar in gewagt<br />
rustikal- pikanter Tomatensauce zu würzigem<br />
Fiano- Weißwein aus der Campagna, dem Kratos<br />
von Luigi Maffini. In meiner eigenen Küche<br />
ließen flaschen reife Riesling- Jahrgänge aus dem<br />
Nier steiner Ölberg von St. Antony mit goldener<br />
Frucht die großen Krustentierstücke in dick eingekochten,<br />
chili- angehauchten Tomaten noch<br />
eleganter wirken. Zu Stefan Hermanns asiatisch<br />
gebratenem Hummer tanzte in Dresden Klaus<br />
Zimmerlings Gewürztraminer aus dem königlichen<br />
Pillnitz – beileibe kein Leichtwein, sondern<br />
voller rieslingartiger Beschwingtheit, trocken <strong>und</strong><br />
doch glück verheißend vor rosa Grapefruit, Rosen<br />
<strong>und</strong> Hummersüße.<br />
Im walisischen Hier <strong>und</strong> Heute bedeutet <strong>Wein</strong><br />
zum Hummer zwangsläufig Grey Slate, restsüßen<br />
Riesling von Mosel-Master Ernst Loosen. Zugegeben,<br />
die Sommelière in mir ist damit nicht ganz<br />
glücklich – doch <strong>Wein</strong> muss ins Glas, signali siert<br />
das bereits rotleuchtend lockende Krusten getier.<br />
Da fällt mir ein Spitzenwinzer von der Nahe<br />
ein, der vor Jahren in Berlin mit einer frisch vergorenen<br />
Riesling- Beerenauslese auftauchte <strong>und</strong><br />
darauf bestand, den (an sich viel zu jungen) <strong>Wein</strong><br />
zum Hummercocktail einzuschenken. Doch er<br />
wusste genau, was er tat: Süße <strong>und</strong> Frucht von <strong>Wein</strong><br />
<strong>und</strong> Cocktailsauce verbanden sich all meinen Vorbehalten<br />
zum Trotz zu einem barocken Untergr<strong>und</strong>,<br />
auf dem sich der Hummer förmlich sonnte.<br />
Unkonventionell, unbeschwert – genau so sorgt<br />
auch der Loosen-Riesling <strong>für</strong> einen letzten Urlaubsmoment<br />
vollkommener Entspannung; im Verb<strong>und</strong><br />
mit der zitronigen Kremigkeit der Mayonnaise<br />
eine ausgesprochen vergnügliche Ausweitung<br />
von Theorie <strong>und</strong> Regeln. •<br />
Foto: sxc.hu<br />
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260 Seiten | zahlr. Farbfotos | 22 x 28 cm<br />
Hardcover | € 39,90 (D) | € 41,10 (A)<br />
ISBN: 978-3-944628-61-5<br />
Tre Torri Verlag GmbH, Sonnenberger Straße 43, 65191 Wiesbaden<br />
10 <strong>FINE</strong> 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN
Die Wurzeln <strong>und</strong> die Träume<br />
<strong>Ein</strong>e Vorgeschichte des deutschen Küchenw<strong>und</strong>ers Von Stefan Pegatzky Fotos Guido Bittner<br />
Fünf<strong>und</strong>zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung wird der Blick zurück in die alte<br />
B<strong>und</strong>e srepublik weich <strong>und</strong> versöhnlich. Zumal dort, wo sich diese Jahre als einzige<br />
Erfolgsgeschichte lesen lassen. Beispielsweise beim Essen <strong>und</strong> Trinken: Hat doch das<br />
angeblich so genuss- <strong>und</strong> sinnenfeindliche Deutschland seit den frühen 1970er Jahren<br />
eine beispiellose kulinarische Entwicklung genommen. Heute leben wir in einer vitalen<br />
Gourmet land schaft, in der zwischen weltweit anerkannten 3-Sterne-Küchen <strong>und</strong> trendigen<br />
Street-Food- Märkten jeder Feinschmeckerwunsch erfüllt wird. Doch jede Geschichte<br />
hat auch ihre Vorgeschichte.<br />
Die Vierteljahreszeitschrift<br />
»Der Feinschmecker«, die 1960<br />
erstmals erschien, war ein Ableger<br />
des französischen <strong>Magazin</strong>s<br />
»Cuisine et Vins de France«, was<br />
sich in zahl reichen, ins Deutsche<br />
über setzten Beiträgen <strong>und</strong> auch<br />
auf dem Titelblatt niederschlug.<br />
miert worden <strong>und</strong> in der Fassung seines Lehrbuchs<br />
»Le Guide culinaire« zum gefeierten Standard der<br />
Spitzen restaurants <strong>und</strong> Grand Hotels weltweit<br />
geworden war. In Hamburg war Franz Pfordte in<br />
seinem Restau rant der Botschafter einer radikal<br />
Frankreich- orientierten Küche – zur Weltausstellung<br />
1900 sorgte er im »Deutschen Restaurant«<br />
selbst im verwöhnten Paris <strong>für</strong> Aufsehen.<br />
Nachdem er in Hamburg das Hotel »Atlantic«<br />
übernommen hatte, führte er 1909 als Erster in<br />
Deutschland Escoffiers Postensystem ein, das die<br />
Arbeitsbereiche der Köche klar festlegt <strong>und</strong> bis<br />
heute das gr<strong>und</strong>legende Organisationsprinzip in<br />
der Spitzengastronomie darstellt.<br />
Aber auch von Berlin aus waren zu Beginn<br />
des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts Signale <strong>für</strong> die Geburt einer<br />
deutschen Spitzenküche ausgegangen. Die Stadt<br />
im märkischen Sand hatte, nachdem sie Hauptstadt<br />
des deutschen Kaiserreichs geworden war,<br />
in kürzes ter Zeit alles Altpreußische verloren. Das<br />
frische Geld aus französischen Reparationen <strong>und</strong><br />
der Gründerzeitboom, dazu das neue Hauptstadtbewusstsein<br />
– mit einem Mal war in Berlin eine<br />
international konkurrenzfähige Restaurantszene<br />
entstanden. Lorenz Adlon schuf 1907 ein Hotel<br />
mit internationaler Strahlkraft – kulinarisch<br />
beraten durch Auguste Escoffier. Sein berühmtes<br />
Berliner <strong>Wein</strong>lokal »Hiller«, in dem nahezu der<br />
gesamte deutsche Hochadel verkehrte, verkaufte er<br />
1910 an den jungen Alfred Walterspiel, der zuvor<br />
als Küchenchef an der Seite von Franz Pfordte im<br />
Hamburger »Atlantic« sein Können gezeigt hatte.<br />
1917 wurde das »Hiller« kriegsbedingt zum<br />
»unzeitgemäßen Luxusbetrieb« erklärt <strong>und</strong><br />
geschlossen. Alfred Walterspiel entfloh Kriegsende<br />
<strong>und</strong> Revolutionswirren ins nur wenig ruhigere<br />
München. Hier hatte die französische Küche,<br />
nicht zuletzt durch Theodor Hierneis, den legendären<br />
Leibkoch von König Ludwig II., schon erste<br />
Wurzeln geschlagen. Walterspiel gründete 1922<br />
ein nach ihm benanntes Restaurant <strong>und</strong> übernahm<br />
1926 gemeinsam mit seinem Bruder Otto<br />
das Münchner Nobelhotel »Vier Jahreszeiten« –<br />
beides Adressen, die bis zu Alfred Walterspiels Tod<br />
1960 einen allerersten Ruf genossen.<br />
Auch das rührige Pressewesen der wilhelminischen<br />
Zeit hatte sich dieser Restaurant- <strong>und</strong><br />
Hotelblüte in Deutschland angenommen. Ab<br />
1899 erschien in Frankfurt am Main das <strong>Magazin</strong><br />
»Kochkunst« (wenig später »Kochkunst <strong>und</strong><br />
Tafelwesen«, ab 1920 schlicht »Die Küche«),<br />
eine »moderne illustrierte Halbmonatsschrift<br />
<strong>für</strong> Hotels, Restaurationen <strong>und</strong> herrschaftliche<br />
Haushaltungen«. In Hamburg gab der Kaufmann<br />
Gemeinhin gilt 1971, das Jahr, in dem Eckart<br />
Witzigmann als Küchenchef im Münchner<br />
Restaurant »Tantris« anfing, als die Geburtsst<strong>und</strong>e<br />
der deutschen Feinschmeckerküche. Dieser<br />
Moment, so hat der Gourmetkritiker Wolfram<br />
Siebeck einmal bemerkt, teilte die deutsche Nachkriegsküche<br />
in ein ante <strong>und</strong> ein post Witzigmann.<br />
Die Geschichte seit jenem Gründerjahr<br />
wurde gern <strong>und</strong> viel erzählt, nicht zuletzt in den<br />
Hochglanzmagazinen, die infolge der Konjunktur<br />
einer deutschen Gourmetküche entstanden.<br />
Und auch die Geschichte davor meinen wir gut<br />
zu kennen: das harte Brot der frühen Jahre, das<br />
den <strong>Ein</strong>topf- Sonntagen der Nazis folgte. Dann<br />
die feisten Schweinebraten <strong>und</strong> der fette Speck<br />
des Wirtschaftsw<strong>und</strong>ers, die kalte Party- <strong>und</strong><br />
Büffetküche der modernen, emanzipierten<br />
Hausfrau <strong>und</strong> schließlich die Verlockungen der<br />
Gastarbeiterküchen.<br />
In den Jahren nach dem Krieg gab es tatsächlich<br />
kaum so etwas wie eine nennenswerte Hochküche.<br />
Dabei hatte es schon zu Beginn des Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
mit Hamburg, Berlin <strong>und</strong> München<br />
kulinarische Zentren gegeben, die stark von der<br />
französischen Haute Cuisine inspiriert waren. Die<br />
war zu jener Zeit besonders aufregend, weil sie<br />
durch den Meisterkoch Auguste Escoffier refor<strong>und</strong><br />
Verleger Heinrich Eisler, Spross einer jüdischungarischen<br />
Familie mit K.u.K-Staatsangehörigkeit,<br />
seit 1905 die Wochenzeitschrift »Küche <strong>und</strong><br />
Keller« heraus (ab 1922 »Deutsche Hotel-Nachrichten:<br />
mit Küche <strong>und</strong> Keller«), die rasch zum<br />
bedeutendsten gastronomischen Fachblatt aufstieg<br />
– <strong>und</strong> noch heute als »Allgemeine Hotel<strong>und</strong><br />
Gaststättenzeitung« das offizielle Organ<br />
des Deutschen Hotel- <strong>und</strong> Gaststättenverbandes<br />
(DEHOGA) ist.<br />
Heinrich Eislers Sohn Georg trat früh in den<br />
Verlag des Vaters ein <strong>und</strong> führte ihn nach<br />
dessen Tod weiter. Nach 1914 wurde er ein enger<br />
Fre<strong>und</strong> des Staatsrechtlers Carl Schmitt, dem er<br />
mehrfach finanziell half <strong>und</strong> Aufträge <strong>für</strong> die ebenfalls<br />
im Eisler-Verlag erscheinende »Hamburger<br />
Woche« gab. Während Schmitt als »Kronjurist<br />
des Dritten Reiches« nach 1933 Karriere<br />
machte, musste Georg Eisler über London nach<br />
New York emigrieren, wo er verschiedene Verlage<br />
gründete. Nach dem Krieg setzte er während<br />
einiger längerer Aufenthalte in Hamburg seine<br />
Wiedergut machungsansprüche durch <strong>und</strong> gründete<br />
1955, noch von Amerika aus, die Fachverlag<br />
GmbH zur Herausgabe von Fachzeitschriften <strong>und</strong><br />
Fachliteratur. Mit im Vorstand saß der sechs<strong>und</strong>-<br />
12 13<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | <strong>FINE</strong> 2 | 2015
Innerhalb von zwölf Jahren hatte sich »Der Feinschmecker« allmählich von<br />
seiner französischen Mutter »Cuisine et Vins de France« abgenabelt: Während<br />
die ersten Hefte noch auf das Vorbild aus Frankreich verwiesen, kam die Ausgabe<br />
vom Frühjahr 1964 schon ohne diesen Hinweis aus. Und im Februar 1972<br />
präsentierte sich das <strong>Magazin</strong> – mit neuem Format, neuem Gesicht <strong>und</strong> neuem<br />
Preis (aber ohne den bestimmten Artikel) – sehr modern <strong>und</strong> selbstbewusst.<br />
<strong>und</strong> Brühwürfel verbrauchende mittlere Gastronomie«,<br />
antwortete Arne Krüger resigniert, die<br />
Mehrzahl der Leser hätte ihm bescheinigt, dass<br />
das Niveau des <strong>Magazin</strong>s »zu hoch« sei.<br />
Tatsächlich war – so heimlich, still <strong>und</strong> leise die<br />
französische Küchenkultur nach dem Krieg auch<br />
wieder <strong>Ein</strong>fluss bei deutschen Feinschmeckern<br />
gewonnen hatte – von den Impulsen, die Frankreichs<br />
Hochküche einst der deutschen Gastro nomie<br />
verliehen hatte, Ende der sechziger Jahre nicht<br />
mehr viel übriggeblieben. Den Flirt mit der internationalen<br />
Haute Cuisine hatte schon das Dritte<br />
Reich nachhaltig beendet. Die Nazis hatten – insbesondere<br />
vegetarische – Selbst versorgung propagiert.<br />
Die Hausmannskost war weltanschaulich<br />
aufgeladen worden: kulinarische Finesse galt als<br />
Dekadenz- <strong>und</strong> Entartungs phänomen. Nur zwölf<br />
Jahre hatten Reichs nährstand, NS- Frauenschaft<br />
<strong>und</strong> Deutsches Frauenwerk Zeit gehabt, diese Botschaft<br />
in die Hirne der Deutschen zu trommeln.<br />
Aber da sie zumeist auf fruchtbaren Boden fiel,<br />
war die Wirkung umso dauerhafter. Der verlorene<br />
Krieg hatte ein Übriges getan.<br />
Natürlich gab es noch ein paar Leuchttürme,<br />
wie den »Erbprinz« in Ettlingen, »Katzenbergers<br />
Adler« in Rastatt oder, vielleicht zur<br />
falschen Zeit am falschen Ort, das »Maître« von<br />
Henri Levy in Berlin. Als Feinschmeckerlokale<br />
galten im Wirtschaftsw<strong>und</strong>erdeutschland aber vorzugsweise<br />
Etablissements wie das »Humplmayr«<br />
in München, in dem, wie sich der Stuttgarter<br />
Koch Vincent Klink erinnerte, jeden Abend<br />
dreißig bretonische Hummer zu Cocktail »verhackt«<br />
wurden, oder das »Ritz« in Berlin, das den<br />
Begriff Spezialitäten restaurant auf die Spitze trieb,<br />
indem es Klapperschlangen in Lehm <strong>und</strong> Leguan-<br />
Suppe auf die Speisekarte brachte. Das Gros der<br />
deutschen Feinschmeckerrestaurants dieser Zeit<br />
bot eine standardisierte <strong>und</strong> falsch verstandene<br />
Schrumpfversion der französisch- internationalen<br />
Hochküche.<br />
Wie eine Revolution musste in diesem Moment<br />
Eckart Witzigmanns Auftritt wirken, der ab 1971<br />
im Münchner »Tantris« die französische Küche<br />
nach Deutschland brachte – in Perfektion <strong>und</strong> in<br />
all der Konsequenz, die er bei seinen Lehr meistern<br />
Paul Haeberlin <strong>und</strong> Paul Bocuse gelernt hatte.<br />
Nicht zuletzt, weil diese Küche schon infiziert war<br />
von den Prinzipien, die 1973 nach dem Manifest<br />
der Journalisten Henri Gault <strong>und</strong> Christian Millau<br />
die Gastronomie erschüttern sollten: der Nouvelle<br />
Cuisine. <strong>Ein</strong>e Küche, die gegen die Routine gewordene<br />
Grande Cuisine revoltierte, wie sie Auguste<br />
Escoffier noch vor der Jahrh<strong>und</strong>ert wende sozusagen<br />
in Stein gemeißelt hatte, <strong>und</strong> wie sie nach<br />
dem Krieg auch in Frankreich zum Luxus- Inventar<br />
der Bourgeoisie wurde, gegen die nicht nur die<br />
Studen ten rebellierten.<br />
Es gab in Deutschland zunächst nur wenige,<br />
die den Beginn der Ära Witzigmann <strong>und</strong> einiger<br />
anderer gleichgesinnter Köche wie Otto Koch <strong>und</strong><br />
Dieter Müller richtig einordnen konnten. Deren<br />
Revolution war elitär, gewiss, <strong>und</strong> doch nicht<br />
weniger radikal als die der Studenten. Auch sie<br />
ver trieben den »Muff von tausend Jahren«, reinigten<br />
die Küche von falsch verstandenen Traditionen<br />
<strong>und</strong> sinnlosen Ritualen. Zu dem Zeitpunkt,<br />
als die klassische deutsche Küche ihren<br />
schlimmsten Tiefpunkt erreicht hatte, leitete<br />
Eckart Witzigmann das deutsche Küchenw<strong>und</strong>er<br />
ein, indem er in München seine eigene Nouvelle<br />
Cuisine zele brierte – radikal modern <strong>und</strong> radikal<br />
französisch.<br />
Tatsächlich erlebte die von der Nouvelle Cuisine<br />
wachgeküsste <strong>und</strong> durch Eckart Witzigmann<br />
so brillant vertretene Frankreich-orientierte<br />
Gourmet küche im Deutschland der siebziger Jahre<br />
eine enorme Erfolgsgeschichte. Sie spiegelte sich<br />
wider in dem nach fünfzigjähriger Unter brechung<br />
seit 1964 in Deutschland wieder publizierten<br />
»Guide Michelin«, der dann von 1966 an auch<br />
an Restaurants in Deutschland seine berühmten<br />
Sterne vergab. Bis 1969 war die Zahl der deutschen<br />
Restaurants mit einem Stern auf einh<strong>und</strong>ertsechs<strong>und</strong>achtzig<br />
gestiegen, doch erst 1974 kamen die<br />
ersten sieben Zwei-Sterne-Restaurants hinzu, <strong>und</strong><br />
1980 erhielt Eckart Witzigmann in seinem neuen<br />
eigenen Restaurant »Aubergine« in München als<br />
Erster den dritten Stern.<br />
Um 1972 professionalisierte sich die deutsche<br />
Restaurantkritik, <strong>und</strong> große Verlagshäuser<br />
begannen, sich <strong>für</strong> das einstmalige<br />
Nischenthema zu interessieren. In Hamburg war<br />
der Verleger Kurt Ganske auf Arne Krüger <strong>und</strong><br />
seinen »Feinschmecker« aufmerksam ge worden,<br />
der mittlerweile in Krügers Eigenverlag <strong>und</strong> trotz<br />
mehrerer grafischer Überarbeitungen immer<br />
noch mit einer nur vierstelligen Auflage dahindümpelte.<br />
Aber Krüger hatte bei anderen Projekten<br />
ein deutlich geschickteres Händchen<br />
gehabt. Sein Kompen dium »Spezialitäten der<br />
Welt« wurde 1967 als erstes deutsches Kochbuch<br />
ins Französische übersetzt. Für den Verlag<br />
Gräfe <strong>und</strong> Unzer (GU) hatte er im selben Jahr<br />
begonnen, nach japanischem Vorbild abwaschbare<br />
Koch karten zu produzieren, zu denen der<br />
Fotograf Christian Teubner die Bilder beisteuerte.<br />
GU verkaufte von diesen Karten päckchen im<br />
Lauf der Jahre sieben Millio nen Exemplare – <strong>und</strong><br />
sorgte <strong>für</strong> ein mittleres Erdbeben im konservativen<br />
Buchhandel, weil ein Großteil über den so genannten<br />
nichtbuchhändlerischen Fachhandel verkauft<br />
wurde: in Rosenthal-Studios, in WMF-Filialen<br />
<strong>und</strong> im Hausrat- Fachhandel. Für eine regelrechte<br />
Branchen krise sorgte 1973 »Kochen heute«, ein<br />
zwanzigjährige Koch, Konditor <strong>und</strong> Hotelfachmann<br />
Arne Krüger. 1960 gab dieser Verlag eine<br />
neue vierteljährlich erscheinende Zeitschrift in<br />
einer Auflage von sechstausend Exemplaren heraus,<br />
ihr Titel: »Der Feinschmecker«.<br />
Tatsächlich war das Heft nicht ganz so neu, wie<br />
es den Anschein hatte. In großen Teilen übernahm<br />
es das Layout <strong>und</strong> viele redaktionelle Beiträge<br />
der französischen Zeitschrift »Cuisine et Vins de<br />
France« in deutscher Übersetzung – was auf der<br />
Titelseite <strong>und</strong> im Impressum deutlich vermerkt<br />
war. Die »Cuisine et Vins de France« war erst<br />
1947 gegründet worden – von den beiden dominantesten<br />
Figuren der französischen Küche nach<br />
dem Ersten Weltkrieg: Prosper Montagné, der sich<br />
mit dem »Larousse Gastronomique« von 1938 ein<br />
Denkmal geschaffen hatte, <strong>und</strong> Maurice- Edmond<br />
Sailland, genannt Cournonsky, der »Prinz der<br />
Gastronomen«, zu dem ihn drei tausend Kollegen<br />
erwählt hatten, der Wegbereiter der modernen<br />
Restaurantkritik <strong>und</strong> der Vater des »Guide<br />
Michelin«. Noch heute ist »Cuisine et Vins de<br />
France« die auflagenstärkste kulinarische Zeitschrift<br />
Frankreichs. Nach Cournonskys Tod 1956<br />
wurde Madeleine Decure Chefredakteurin, <strong>und</strong><br />
die deutschen Leser des »Feinschmecker« lernten<br />
sie in vielen Artikeln <strong>und</strong> Koch rezepten – die mit<br />
ihren Phasen fotos die Kochbuch innovationen des<br />
Verlags Zabert & Sandmann in den 1990er Jahren<br />
vorwegnehmen sollten – als große Meisterin der<br />
Haute Cuisine kennen.<br />
Im Übrigen las sich der »Feinschmecker« wie<br />
das Begleitmaterial zu einem Volkshochschulkurs<br />
<strong>für</strong> französische Küche <strong>und</strong> Lebensart. Unablässig<br />
wurden die Reize der französischen Regionen<br />
beschworen, die Vielfalt <strong>und</strong> Qualität der <strong>Wein</strong>e<br />
<strong>und</strong> Lebensmittel sowie die Raffinesse der authentischen<br />
französischen Küche. Ganz seitig inserierten<br />
Agrarverbände <strong>und</strong> Produzenten aus dem<br />
Nachbarland – <strong>und</strong> selbst die Annoncen der<br />
Pariser Feinschmeckerlokale waren dem Muttermagazin<br />
entnommen. Was die »action culturelle«,<br />
die Kulturarbeit der französischen Besatzungsmacht<br />
nach 1945 zur demokratischen Erziehung<br />
der Jugend <strong>und</strong> zukünftiger politischer Eliten war,<br />
das war »Der Feinschmecker« auf dem Gebiet<br />
der kulinarischen Erziehung <strong>für</strong> die junge B<strong>und</strong>esrepublik.<br />
Auf dem Feld der Gastro nomie aber<br />
ging es nicht zuletzt um handfeste wirtschaftliche<br />
Interessen. Für Frankreich waren die Agrarexporte<br />
immerhin die wichtigste Säule des Außenhandels –<br />
Staatspräsident Giscard d’Estaing prägte später<br />
den Begriff vom »pétrole vert«, dem grünen Öl,<br />
<strong>für</strong> die Agrargüter Frankreichs.<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong> schuf die Grande Nation<br />
1961 die Sopexa, die Gesellschaft <strong>für</strong> den Export<br />
von Agrargütern <strong>und</strong> Lebensmitteln. Mit zahlreichen<br />
Marketinginstrumenten sollte sie in wichtigen<br />
ausländischen Märkten den Verkauf französischer<br />
Waren ankurbeln. Und da Deutschland<br />
hier<strong>für</strong> Exportpartner Nummer eins geworden war,<br />
wurden die Anstrengungen hierzulande – seit 1962<br />
von Düsseldorf aus, dem ersten Auslandsbüro der<br />
Sopexa, sowie von verschiedenen Zweig stellen –<br />
besonders nachhaltig betrieben. Kein W<strong>und</strong>er,<br />
dass die Agentur auch im »Feinschmecker« an<br />
vielen Stellen auftaucht, bei Berichten über Messen<br />
<strong>und</strong> Verkaufsaktionen <strong>und</strong> nicht zuletzt als Lieferant<br />
von Bildmaterial.<br />
Dennoch begann sich das <strong>Magazin</strong> allmählich<br />
von seiner französischen Mutter abzunabeln. Aber<br />
anstatt ein eigenes Profil zu entwickeln, wurde<br />
es vor allem ein Publikationsforum <strong>für</strong> Küchengeräte<br />
hersteller <strong>und</strong> die Nahrungsmittel industrie.<br />
Auf die Beschwerde eines Lesers, der 1969 den <strong>Ein</strong>druck<br />
gewonnen hatte, »Der Feinschmecker«<br />
schreibe »<strong>für</strong> eine Tiefkühlkost, Konserven<br />
Durch die zahl reichen, mit<br />
Phasenfotos unterlegten<br />
Rezepte von »Cuisine«-<br />
Chefredakteurin Madeleine<br />
Decure konnten die Leser<br />
des <strong>Magazin</strong>s »Der<br />
Feinschmecker« viel lernen.<br />
Willkommenen Rat gab es<br />
auch <strong>für</strong> die zweck mäßige<br />
<strong>Ein</strong>richtung der häus lichen<br />
Küche <strong>und</strong> den liebevoll<br />
gedeckten Tisch.<br />
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<strong>FINE</strong> 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | <strong>FINE</strong> 2 | 2015
Standardwerke der zeitgemäßen Küche versammelt der Tre Torri Verlag in Zusammen arbeit<br />
mit der Süddeutschen Zeitung in seiner neuen Gourmet Edition. Druckfrisch sind die »Deutsche<br />
Küche 2.0« <strong>und</strong> »Das Beste vom Schwein«, während »Die Küchenbibel« schon seit ein paar<br />
Wochen auf dem Markt ist. Bücher zu weiteren Themen werden in dieser Reihe folgen.<br />
Kochbuch von Arne Krüger, das im B<strong>und</strong>le mit<br />
einer Packung Kaffee bei Tchibo verkauft wurde<br />
<strong>und</strong> eine Auflage von insgesamt wohl über einer<br />
Million Exemplaren erreichte.<br />
Gründe genug <strong>für</strong> Kurt Ganske, dessen Verlag<br />
mit Lesezirkelausgaben groß geworden war, sich<br />
den »Feinschmecker« genauer anzusehen. Der<br />
Verleger beauftragte seinen früheren Assistenten<br />
Jochen Karsten mit einem Neu konzept der Zeitschrift,<br />
das schließlich, nach erheb lichem Widerstand<br />
des Managements seiner Verlagsgruppe,<br />
von Ganske abgenickt wurde. Im September 1975<br />
erschien das erste Heft des neuen »Feinschmecker«<br />
in einer Auflage von h<strong>und</strong>erttausend Exemplaren<br />
– mit Arne Krüger als Heraus geber <strong>und</strong><br />
Jochen Karsten als Chef redakteur. In diesem Jahr<br />
feiert »Der Feinschmecker« seinen vierzigsten<br />
Geburtstag. Wohl niemand in Hamburg hat noch<br />
eine Erinnerung daran, dass es eigentlich sein fünf<strong>und</strong>fünzigster<br />
ist.<br />
Das Jahr 1975 war tatsächlich ein perfekter<br />
Moment. Georg Eisler <strong>und</strong> Arne Krüger<br />
waren dagegen eindeutig zu früh gekommen. Es<br />
hatte einer Initialzündung bedurft, wie das Wirken<br />
Eckart Witzigmanns, um die Feinschmeckerküche<br />
in Deutschland wirklich dauerhaft heimisch zu<br />
machen. 1960 war es der Versuch des Emigranten<br />
Georg Eisler gewesen, an die verlegerischen Erfolge<br />
vor dem Krieg anzuknüpfen, <strong>und</strong> der Traum des<br />
begabten jungen Arne Krüger von der Erziehung<br />
der Deutschen zu Feinschmeckern mit Hilfe der<br />
Presse. Trotz der Strahlkraft des französischen<br />
Vorbilds (<strong>und</strong> seiner geballten Marketingmacht)<br />
war das nicht ausreichend. Es brauchte die sinnliche<br />
Evidenz, einen Koch, der Abend <strong>für</strong> Abend<br />
kulinarische Sensationen schuf, auch wenn die<br />
zunächst nicht gleich verstanden wurden. Erst als<br />
an immer mehr Orten in Deutschland Köche mit<br />
ihren Gerichten das Versprechen auf der Zunge<br />
einlösten, das die <strong>Magazin</strong>e <strong>und</strong> Zeitungen wortreich<br />
verkündeten, konnte ein Heft wie »Der Feinschmecker«<br />
erfolgreich sein.<br />
Tatsächlich entwickelte sich innerhalb weniger<br />
Jahre um das Phänomen einer neuen deutschen<br />
Gourmetküche ein ganzes »Ökosystem«.<br />
Logistik- Dienstleister wie der »Rungis express«<br />
versorgten Profis <strong>und</strong> engagierte Amateurköche<br />
mit taufrischen Spezialitäten vom Pariser Großmarkt,<br />
die Food-Fotografie in Deutschland wurde<br />
zu einer der besten ihrer Art weltweit. Zudem<br />
erwachte Mitte der siebziger Jahre wieder ein<br />
neues Interesse an genuin deutscher Küche. Das<br />
lag nicht zuletzt daran, dass gerade in Deutschland<br />
die Nouvelle Cuisine in einer Sackgasse zu<br />
enden drohte. Mangels ausreichenden kulturellen<br />
Vor verständnisses war sie hierzulande häufig völlig<br />
einseitig rezipiert worden: Ungegartes Gemüse,<br />
»originelle«, aber kulinarisch sinnfreie Produktzusammen<br />
stellungen, Miniatur-Portionen <strong>und</strong><br />
überhöhte Preise sorgten bald <strong>für</strong> Unmut bei<br />
Gästen <strong>und</strong> Medien. Während die wahren Meister<br />
ungerührt immer neue Höhepunkte erkochten,<br />
ohne sich in eine Schublade stecken zu lassen,<br />
verkam die Nouvelle Cuisine zur Karikatur.<br />
So schwang das Pendel zurück, <strong>und</strong> nachdem<br />
einige Sterneköche damit begonnen hatten,<br />
deutsche Klassiker in A-la-minute-Zubereitungen<br />
neu erstehen zu lassen, rief der Gastronomiekritiker<br />
Klaus Besser 1977 bereits eine »Neue<br />
Deutsche Küche« aus: »verfeinert, leichter<br />
gemacht, veredelt, stilisiert«. Das war seinerzeit<br />
noch ein wenig zu früh, aber tatsächlich sollte sich<br />
diese Tendenz fortsetzen. In den achtziger Jahren<br />
aber hatte die deutsche Küche zunächst mit einem<br />
anderen Megatrend zu kämpfen, der sich nicht<br />
zuletzt am Kochbuchmarkt in Millionen auflagen<br />
niederschlug: der italienischen Küche. Die war<br />
längst nicht mehr die der Gastarbeiter. Statt<br />
Pizza, Lasagne <strong>und</strong> Stracciatella waren Ossobuco<br />
milanese <strong>und</strong> Coniglio in porchetta angesagt. Das<br />
war nicht mehr nur einfaches Essen <strong>und</strong> Trinken,<br />
sondern ein ganzes Lebensgefühl, eine Art germanisches<br />
Dolce Vita. Deutschland, so schien es,<br />
hatte bei Cappuccino, Caprese <strong>und</strong> Prosecco die<br />
Nachkriegszeit endgültig überw<strong>und</strong>en. Der amerikanische<br />
Schriftsteller Adam Gopnik hatte <strong>für</strong><br />
sein Land, in dem sich damals der Paradigmenwechsel<br />
von Frankreich zu Italien ebenfalls ereignete,<br />
die Erklärung parat: »because it is easy Old<br />
World«. Präziser könnte man es auch <strong>für</strong> Deutschland<br />
nicht ausdrücken.<br />
Doch in den achtziger Jahren regte sich auch<br />
das Interesse an einem neuen Regionalismus,<br />
einerseits als Folge einer grün unterfütterten Bio-<br />
Bewegung, andererseits durch das politische Konzept<br />
eines »Europas der Regionen«. Dadurch<br />
richtete man auch in Deutschland, insbesondere<br />
nach dem Mauerfall <strong>und</strong> der Wiederentdeckung<br />
der fünf neuen Länder, den Blick zurück auf die<br />
Vielfalt der eigenen regionalen Küchen <strong>und</strong> ihrer<br />
Geschichte. Große Kraft erhielt dieser Gedanke<br />
vor allem dann, wenn der Akzent auf regionale<br />
Produkte gelegt wurde. Denn über die Vorzüge der<br />
traditionellen Küche ließ sich streiten, aber über<br />
die herausragende Qualität vieler regionaler Produkte<br />
war man sich einig.<br />
Die deutsche Gourmetküche, die mit Witzigmann<br />
ihren Ausgang genommen hatte, blieb<br />
trotz festgefügter französischer Basis von all dem<br />
nicht unberührt. Von 1971 bis heute gab es viele<br />
<strong>Ein</strong>flüsse <strong>und</strong> Herausforderungen stilistischer <strong>und</strong><br />
kochtechnischer Art. Die Kenntnis der authentischen<br />
Hoch- <strong>und</strong> Regionalküchen anderer<br />
Länder sowie ihrer Produkte bereicherte die deutsche<br />
Gourmetszene. Das Wissen um molekulare<br />
Zusammenhänge beim Kochen <strong>und</strong> neue Küchengeräte<br />
haben die Grenzen des Mach baren in bisher<br />
unbekannte Regionen verschoben. Und auch<br />
klassische Zubereitungsarten wie das Schmoren<br />
oder das Fermentieren entwickelten in neuen<br />
Zusammen hängen ungeahnte kulinarische Kraft.<br />
Mittlerweile ist die deutsche Feinschmeckerszene<br />
international eine der lebendigsten, die Zahl der<br />
mit drei Michelin- Sternen dekorierten Köche ist<br />
im Sommer 2015 nach Japan, Frankreich <strong>und</strong> den<br />
Vereinigten Staaten die vierthöchste in der Welt.<br />
Es ist wahrhaftig ein deutsches Küchenw<strong>und</strong>er.<br />
Unbeantwortet ist freilich die Frage nach dem<br />
Deutschen in der deutschen Gourmetküche. Seit<br />
Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts hatte sie sich durch ihren<br />
Bezug auf die französische Haute Cuisine definiert.<br />
Anders als die Hochküchen Italiens oder<br />
Japans, von den neuen Küchen Nordeuropas ganz<br />
zu schweigen, hat sie ihre nationalen Wurzeln<br />
fast ganz abgeschnitten. So handwerklich perfekt<br />
die deutsche Spitzenküche heute auch ist, es<br />
scheint ihr etwas zu fehlen. Manche nennen es<br />
neudeutsch: »ein Narrativ«. Andere: »Seele« –<br />
oder »Heimat«.<br />
Deshalb ist 2015 die »SZ Gourmet Edition«<br />
im Tre Torri Verlag an den Start gegangen. Sie<br />
will alle Ebenen des deutschen Küchenw<strong>und</strong>ers<br />
ausleuchten, seine rustikale regionale Seite <strong>und</strong><br />
seine vibrierende urbane. Sein Fremdes <strong>und</strong> sein<br />
Eigenes – das, was bleibt, <strong>und</strong> das, was sich wandelt.<br />
Seine Vergangenheit <strong>und</strong> seine Zukunft, seine<br />
Wurzeln <strong>und</strong> seine Träume. •<br />
Die SZ Gourmet Edition ist erhältlich im guten<br />
Buch handel oder zu bestellen bei:<br />
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16 <strong>FINE</strong> 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN<br />
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Micha Siebenhandl<br />
Dienstleister<br />
in Sachen<br />
Wohlbefinden<br />
Von Christian Neimöck<br />
Fotos Guido Bittner<br />
»Warum sollen nur die Frauen gut aussehen?«:<br />
Micha Siebenhandl, Geschäftsführer seines<br />
Unternehmens OTC7, ist von der Wirkungskraft<br />
der von ihm vertriebenen Produkte überzeugt –<br />
<strong>und</strong> scheint ihr bestes Testimonial zu sein.<br />
Der weiße Boden ist auf Hochglanz poliert, der treibende<br />
Beat aus der Musikanlage blendet die Außen geräusche<br />
der Zwanzigtausend-Quadratmeter-Halle 3 der Messe<br />
Düssel dorf aus. Diesen Stand werden wohl alle der r<strong>und</strong> acht<strong>und</strong>zwanzigtausend<br />
Besucher in den vier Tagen der »expopharm<br />
2015«, Europas größter pharmazeutischer Fachmesse,<br />
be merken. Denn selten ist Weiß so auffällig wie hier.<br />
Knapp zwei Dutzend komplett weiß gekleidete Mitarbeiterinnen<br />
<strong>und</strong> Mitarbeiter von OTC Siebenhandl informieren,<br />
beraten oder zapfen Getränke <strong>für</strong> die Gäste am Stand. Scheinbar<br />
ohne Pause. Nur einer trägt kein Namensschild. Das ist<br />
der Chef. Micha Siebenhandl. Immer mittendrin. »Wir sind<br />
hier nicht der kleine Bauchladen, wir ge hören in dem, was<br />
wir tun, zu den Top Vier in Deutschland, <strong>und</strong> das wollen<br />
wir auch zeigen«, sagt der Zwei<strong>und</strong>vierzig jährige lachend<br />
<strong>und</strong> nippt an seinem <strong>Wein</strong>, den er sich jetzt am fortgeschrittenen<br />
Nachmittag nach einem längeren K<strong>und</strong>en gespräch<br />
gönnt. Von der Decke hängen durchsichtige Kugeln, die mit<br />
Produkt neuheiten gefüllt sind, eingerahmt wird der Stand<br />
von Vitrinen mit einer Auswahl der acht h<strong>und</strong>ert rezeptfreien<br />
Produkte, mit denen der Großhändler von Ulm <strong>und</strong><br />
München aus mehr als neuntausend Apotheken im deutschsprachigen<br />
Raum beliefert. Neunzig Prozent davon sind nur<br />
in Apo theken erhältlich. Ausgestellt sind hauptsächlich Vitalpräparate.<br />
»Ich bin ein Vitamin-Fan«, verrät Siebenhandl<br />
strahlend. »Ab vierzig füllen sich Ihre Vitamindepots nicht<br />
mehr von allein auf. Und bei einem Vielflieger, wie ich es bin,<br />
schon mal gar nicht.« Dreih<strong>und</strong>ert Euro im Monat habe er<br />
früher <strong>für</strong> Vitaminampullen zum Trinken ausgegeben. Das<br />
Geld kann er sich jetzt sparen – Anfang des Jahres hat er<br />
kurzerhand einen Anbieter dieser Produkte gekauft (»Der<br />
gefiel mir so«). Und erst einmal alles geändert: das Logo,<br />
die Farben, die gesamte Rezeptur. Als »Vitamins to Go«<br />
werden die Produkte von Panta rhei (griechisch <strong>für</strong> »alles<br />
fließt«) nun beworben. Verkauft werden sie in Wochenpacks.<br />
»Diese Fünf<strong>und</strong>zwanzig-Milliliter-Fläschchen können Sie<br />
auch problem los mit in den Flieger nehmen«, sagt Micha<br />
Siebenhandl. »Da trinken Sie morgens <strong>und</strong> abends eins <strong>und</strong><br />
haben nach einer Woche ein viel, viel besseres Gefühl. Weil<br />
Ihr Vitaminhaushalt wieder im Lot ist. Für eine nachhaltige<br />
Wirkung sollten Sie das vier Wochen durchziehen.« Seine<br />
Begeisterung lässt sich schwer anzweifeln, so drahtig <strong>und</strong><br />
strahlend, wie er vor einem steht, hellwach, obwohl er heute<br />
schon unzählige Gespräche geführt hat.<br />
Panta rhei ist eine von sieben Eigenmarken, die Micha<br />
Sieben handl gewissermaßen nebenbei um- oder aufbaute, seit<br />
er im Oktober 2014 die von seinem Vater Hans-Jürgen gegründete<br />
Firma übernommen <strong>und</strong> völlig umgekrempelt hat. Dieselbe<br />
Firma, von der er sich bewusst immer ferngehalten hatte:<br />
»Mein Vater <strong>und</strong> ich waren uns in einem Punkt immer einig«,<br />
erzählt Siebenhandl: »Er <strong>und</strong> ich in einem Raum, das geht<br />
nicht, das ist <strong>für</strong> alle anderen Anwesenden zu viel Energie.« Um<br />
18 19<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | <strong>FINE</strong> 2 | 2015
zu verhindern, dass ihre starken Egos aufeinander prallen, ging<br />
der Sohn von Anfang an seinen eigenen Weg. Der führte ihn<br />
in die Eyewear-Branche – auf deutsch: Er machte eine rasante<br />
internationale Karriere in führen den Positionen bei verschiedenen<br />
Brillenherstellern. Sechzehn Jahre war er bei Marchon,<br />
davon sieben Jahre <strong>für</strong> die Calvin-Klein-Linie zuständig, bevor<br />
er zu Rodenstock ging. Kurz nachdem Siebenhandl Junior<br />
in die Textil branche gewechselt war, rief ihn der Senior an:<br />
»Junge, ich hatte einen Herzinfarkt. Du musst über nehmen.«<br />
Und er übernahm. Holte neue Leute. Tauschte das Apothekenrot<br />
der Firmenfarbe gegen Weiß <strong>und</strong> Grün aus. Veränderte das<br />
Sortiment. Nahm erstmals Nahrungs ergänzungs mittel auf:<br />
»Unser Claim ist ›Delivering Health‹ – <strong>und</strong> ich sehe mich<br />
als Dienstleister <strong>für</strong> den Verbraucher: Meine Aufgabe besteht<br />
darin, ihm Ges<strong>und</strong>heit zu liefern.« Und das macht er mit nie<br />
abebbender Begeisterung.<br />
Trotzdem mischt Micha Siebenhandl auch in der Brillenbranche<br />
weiter mit. Nicht nur, dass er mit »Lettori« eine<br />
eigene Marke <strong>für</strong> Lese- <strong>und</strong> Sonnenbrillen in die Apo theken<br />
gebracht hat: Mit »iviator« gründete er ein Unternehmen,<br />
über dessen Website man sich seine individuelle Sonnenbrille<br />
Rauchen (»zwei Schachteln Gauloises blau täglich«) aufgehört<br />
hatte – normalerweise ein Garant <strong>für</strong> Gewichts zunahme.<br />
»Und das Beste: Der Jojo-Effekt bleibt aus, weil ich seitdem<br />
keine Kohlenhydrate zu mir nehme.«<br />
Micha Siebenhandl hat offenbar, da lässt er keinen Zweifel<br />
aufkommen, <strong>für</strong> jeden Bedarf das passende Mittel im Angebot.<br />
Ob in Pulverform <strong>für</strong> Kaltgetränke in den verschiedensten<br />
Geschmacksrichtungen (VitaElan), flüssig mit Koffein-<br />
Zusatz in kleinen Fläschchen mit Saugventil- Verschluss<br />
(ReLoad) oder als Kautablette mit Koffein <strong>und</strong> Eisen (Cafecito,<br />
auch eine Siebenhandl-Eigenentwicklung), die speziell<br />
(Berufs-)kraftfahrer ansprechen soll <strong>und</strong> pro Stück so viel<br />
Koffein enthält wie vier Espressi.<br />
Schon heute nimmt jeder dritte Deutsche Nahrungsergänzungsmittel<br />
zu sich, um Ernährungsdefizite auszugleichen,<br />
sich besser zu fühlen <strong>und</strong> die Leistungsfähigkeit<br />
zu erhöhen. Gemessen am Umsatz werden die meisten<br />
Nahrungs ergänzungsmittel in Apotheken verkauft. Vier der<br />
sechs Milliarden Euro, die in diesem Bereich pro Jahr europaweit<br />
umgesetzt werden, werden in Deutschland erwirtschaftet.<br />
Grosse <strong>Wein</strong>e von Mosel <strong>und</strong> Rheingau<br />
»Ich komme mit dreieinhalb<br />
St<strong>und</strong>en<br />
pro Nacht aus«: Der<br />
bekennende Workaholic<br />
Micha Siebenhandl hat<br />
das Ver triebs unter nehmen<br />
von seinem Vater übernommen<br />
– <strong>und</strong> es von<br />
Gr<strong>und</strong> auf umgestaltet.<br />
in der klassischen Pilotenform zusammenstellen kann. Wann<br />
er das alles macht? Er halte sich an die bewährte Manager-<br />
Regel, alles, was sich innerhalb von drei Minuten erledigen<br />
lässt, sofort zu tun. Und: »Meine Leute sagen: Der ist irre,<br />
der geht nie schlafen! ›Irre‹ stimmt, aber ich schlafe. Allerdings<br />
komme ich mit dreieinhalb St<strong>und</strong>en pro Nacht aus –<br />
<strong>und</strong> schlafe auch mal ein Wochenende durch.« Das dürfte<br />
jedoch selten der Fall sein, denn eigentlich reserviert der<br />
Workaholic die Wochenenden <strong>für</strong> seine Frau <strong>und</strong> seine drei<br />
Kinder – die sind vier<strong>und</strong>zwanzig, zwei<strong>und</strong>zwanzig <strong>und</strong><br />
elf Jahre alt. »Seit ich siebzehn war, bin ich am Arbeiten,<br />
um meine Familie zu ernähren. Und es hat mir immer Spaß<br />
gemacht.« Es gibt nur eins, was er <strong>für</strong>chtet: »Wenn ich zwei<br />
Wochen in Urlaub fahren müsste, würde ich wahrscheinlich<br />
zusammenbrechen.«<br />
Im Alltag setzt er auf die kleinen Panta-rhei-Ampullen in<br />
den Versionen »Anti Stress« <strong>und</strong> »Beauty« (»Warum<br />
sollen nur die Frauen gut aussehen?«, findet er) oder auch mal<br />
»Herz-Kreislauf«. So überzeugt ist er von den »Vitamins to<br />
Go«, dass er nun auch TV-Werbung schalten <strong>und</strong> Promi nente<br />
von Lena Gercke bis Dieter Bohlen mit »Care- Paketen« versorgen<br />
will. Dabei ist Micha Siebenhandl selbst eigentlich das<br />
beste Testimonial <strong>für</strong> die von ihm vertriebenen Nahrungsergänzungsmittel.<br />
Sechs Kilo habe er in kürzester Zeit mit<br />
den Abnehmprodukten von Modifast verloren, schwärmt<br />
er beim Messe-R<strong>und</strong>gang, obwohl er da gerade mit dem<br />
20 <strong>FINE</strong> 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN<br />
Und ein Ende des Wachstums ist nicht abzusehen. Branchenkenner<br />
sind überzeugt: Drei bis fünf Prozent jährlich sind bis<br />
auf weiteres drin. Denn das Durchschnittsalter der Bevölkerung<br />
steigt, <strong>und</strong> das Ges<strong>und</strong>heitsbewusstsein wächst. Da<br />
bleibt es nicht aus, dass auch einige schwarze Schafe mit auf<br />
die Weide drängen. Doch was nichts taugt, sei auch schnell<br />
wieder weg vom Markt, weiß Micha Siebenhandl, »weil<br />
der K<strong>und</strong>e dann das Produkt nur einmal <strong>und</strong> nie wieder<br />
kauft.« Denn typisch <strong>für</strong> die Käufer sei ein hohes Qualitäts<strong>und</strong><br />
Ernährungsbewusstsein. Sie suchen eine ganzheitliche<br />
Nahrungs ergänzung <strong>für</strong> besondere Lebenssituationen oder<br />
wollen gr<strong>und</strong>sätzlich ihre Ernährung bereichern. Rechtlich<br />
gelten Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel <strong>und</strong> sind<br />
nicht zulassungspflichtig wie etwa Medikamente. Die Anbieter<br />
müssen sie allerdings beim B<strong>und</strong>esamt <strong>für</strong> Verbraucherschutz<br />
<strong>und</strong> Lebensmittelsicherheit registrieren lassen.<br />
Für Micha Siebenhandl steht es jedenfalls außer Frage,<br />
dass die zusätzlich aufgenommenen Vitalstoffe ihn leistungsfähiger<br />
machen. Das Schöne sei doch, »dass unser Körper<br />
ziemlich viel abkann. Die <strong>Ein</strong>drücke, die mein Sohn heute in<br />
einer St<strong>und</strong>e am iPad sammelt, hatte ich in seinem Alter nicht<br />
in einem Monat. Aber damit der Körper immer mehr verarbeiten<br />
kann, benötigt er eben auch immer mehr Nährstoffe.«<br />
Und was sagt nun Siebenhandl Senior zu dem Wandel,<br />
den die von ihm gegründete Firma in nur wenigen Monaten<br />
durchlaufen hat? »Der ist total begeistert«, strahlt der Sohn.<br />
Zwei Siebenhandls, eine Meinung. Geht doch. •<br />
www.wegeler.com
Mit Perlhuhn<br />
<strong>und</strong> Bachforelle<br />
am Start<br />
Alle zwei Jahre kämpfen vier <strong>und</strong>zwanzig<br />
inter nationale Spitzen köche im französischen<br />
Lyon um den begehrtesten Preis ihrer<br />
Zunft: den Bocuse d’Or. Dieses Jahr hat<br />
Christian Krüger aus Mannheim dort sein<br />
Glück versucht.<br />
Von Angelika Ricard-Wolf<br />
Fotos Marco Gr<strong>und</strong>t<br />
Rechts oben auf der Tribüne schmettert der britische Fan-Block die Nationalhymne. Prompt stimmen die Franzosen, mit Kreissäge<br />
behütet, die Marseillaise an. Worauf die Japaner mitgebrachte Holzlöffel im Stakkato gegeneinander schlagen. Was die Isländer animiert,<br />
mit ihren Tröten lautstark dagegenzuhalten. Die Hörner auf ihren Wikingerhelmen flackern flankierend in schrillen Neonfarben.<br />
Für Knalleffekte sorgen die Dänen. Mit Konfettikanonen, die winzige Flaggen in Landes farben ins Auditorium katapultieren.<br />
Das Perlhuhn ist bei<br />
Verwandlungs künstler<br />
Christian Krüger<br />
zum Riesen ei mutiert,<br />
während der Kratzfuß<br />
auf dem Teller ganz<br />
vege tarisch aus einer<br />
Peter silien farce besteht.<br />
Es herrscht ausgelassene Wettkampfstimmung<br />
in der Euroexpo-Messehalle in Lyon – bis eine<br />
neue La-Ola-Welle alle Lager wieder zu einem<br />
rhythmisch geschlossenen Publikum vereint. Wen<br />
feuern die zweieinhalbtausend Zuschauer eigentlich<br />
an? Wrestler, Boxer, Kicker? Nein, Köche!<br />
Vier<strong>und</strong>zwanzig erfolgreiche Küchenchefs aus aller<br />
Welt wetteifern bei einer Art Olympiade am Herd<br />
um die höchste Auszeichnung: den Bocuse d’Or.<br />
Christian Krüger ist einer von ihnen. Er führt<br />
in Mannheim das Gourmetrestaurant Axt <strong>und</strong><br />
ist Sieger der deutschen Vorr<strong>und</strong>e. Der Vier<strong>und</strong>dreißigjährige<br />
lässt sich vom Lärm auf der Tribüne<br />
nicht aus der Ruhe bringen. Erstens ist seine<br />
achtzig Schlemmer starke Gefolgschaft, angeführt<br />
von Stammgast Jürgen, bisher nicht in der Halle,<br />
sondern noch unterwegs. Zweitens findet er die<br />
Geräuschkulisse eher an-, als abtörnend. »Es hilft,<br />
das Fähnchen schwenkende Publikum zu sehen,<br />
wenn man mal kurz hochschaut.«<br />
Ja, wenn! Tut er aber nicht. Vier tiefe Querfalten<br />
auf der Stirn markieren die Konzentration,<br />
mit der er bei jedem Handgriff auf sein kulinarisches<br />
Gesamtkunstwerk fokussiert ist. Wie seine<br />
Mitstreiter muss er aus Perlhuhn <strong>und</strong> Bachforelle<br />
so überraschende Köstlich keiten zubereiten, dass<br />
Auge <strong>und</strong> Gaumen der internationalen Fachjury<br />
22 23<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | <strong>FINE</strong> 2 | 2015
Hochkonzentriert ist Christian Krüger bei der Arbeit, während Starköchin<br />
Lea Linster, die einzige Frau, die je den Bocuse d’Or in Gold gewann, heute<br />
den Zaungast gibt. Axel Hluchy, Vorsitzender der Geschäftsführung von Metro<br />
Cash&Carry Deutschland, das die Teilnahme des Mannheimer Spitzenkochs<br />
gesponsert hat, ist stolz auf die Leistung von Christian Krüger, seinem Coach<br />
Ludwig Heer <strong>und</strong> Commis Christian Döhner. Nach getaner Arbeit herrscht<br />
ausgelassene Stimmung bei der Gala mit akrobatischem Rahmenprogramm.<br />
dahinschmelzen. Denn hier vergeben vier<strong>und</strong>zwanzig<br />
kulinarisch verwöhnte Elite-Köche, deren<br />
Sterne die Milchstraße am Gourmethimmel kennzeichnen,<br />
die Punkte.<br />
Gerade schnitzt Christian Krüger die Kanten<br />
täuschend echt aussehender Kratzfüßchen<br />
nach, die er aus einer Farce von Petersilien wurzelcreme<br />
modelliert hat. In Silikonförmchen, die nach<br />
dem Originalabdruck eines echten Federvieh-<br />
Fußes ent standen sind. Nie zuvor hatte Perlhuhn,<br />
das auf dem Präsentier teller den Fleischgang gibt,<br />
gleichzeitig einen veritablen vegetarischen Auftritt!<br />
Ent sprechend beeindruckt steht die Mehrzahl<br />
der Jurymitglieder vor Krügers Box. Möglichst<br />
unauffällig nesteln sie unter dem blitzsauberen<br />
weißen Kochhabit ihr Handys hervor. <strong>Ein</strong> Foto<br />
als Gedächtnisstütze <strong>für</strong> mögliche Varianten in<br />
der eigenen Küche – warum auch nicht? Was die<br />
Formel <strong>Ein</strong>s <strong>für</strong> die Autoindustrie oder die Haute<br />
Couture <strong>für</strong> die Mode, das ist diese Veranstaltung<br />
<strong>für</strong> die Kochkunst: Teststrecke <strong>und</strong> Ideenbörse <strong>für</strong><br />
innovative Kreationen.<br />
Das beeindruckt auch Messebesucher Tim<br />
Mälzer, der Kochen als »Leidenschaft <strong>und</strong> nicht<br />
als Wett bewerb« versteht. Er grinst <strong>und</strong> legt nach:<br />
»Aber wenn alle so denken wie ich, würden wir nur<br />
Bratkartoffeln <strong>und</strong> Frikadellen essen.«<br />
Da ist mit illustren Kompositionen – rauchende<br />
Bouillon an Yoghurt <strong>und</strong> Wachtel ei – der Bocuse<br />
d’Or vor. Der Oscar der Geschmacks verfeinerung<br />
wird in Gold, Silber <strong>und</strong> Bronze ver geben. Er ist<br />
mit 20 000 Euro <strong>für</strong> den Sieger sowie mit 15 000<br />
<strong>und</strong> 10 000 Euro <strong>für</strong> die Plätze zwei <strong>und</strong> drei<br />
dotiert. Dazu wird die begehrte Statuette überreicht,<br />
die in Größe <strong>und</strong> Glanz der Hollywoodtrophäe<br />
ähnelt. Allerdings trägt die Küchenversion<br />
Schürze <strong>und</strong> Toque – <strong>und</strong> deutlich die markanten<br />
Züge ihres Namensgebers Paul Bocuse.<br />
Der legendäre französische Meisterkoch verfolgt<br />
den von ihm 1987 initiierten Wettbewerb<br />
erstmals von zu Hause aus. Er ist immerhin<br />
neun<strong>und</strong>achtzig Jahre alt. »Ich glaube, mein<br />
Vater hätte sich nie vorstellen können, welche<br />
Dimension dieser Wettbewerb einmal annehmen<br />
würde«, sagt sein Sohn Jérôme mit Blick auf die<br />
Ränge, »hier geht es doch zu wie bei einem Fußballspiel«.<br />
Bocuse junior, sechs<strong>und</strong>vierzig, ebenfalls<br />
Koch (er führt das »Les Chefs de France« im<br />
Walt Disney World Resort in Florida), ist dieses<br />
Jahr Ehrenvorsitzender (ohne Stimmrecht) der<br />
Jury. Statt des Papas.<br />
Dem entgeht trotzdem nichts. Das Kochspektakel<br />
wird, von zwei Moderatoren wortreich<br />
kommentiert, im Mutterland der Feinschmecker<br />
live im Fernsehen übertragen. »Mein Vater fiebert<br />
am Bildschirm mit«, erzählt Jérôme Bocuse. Hatte<br />
er selbst nie Ambi tionen, hier mal anzutreten?<br />
»Nein«, sagt er <strong>und</strong> lacht, »das ist mir viel zu<br />
schwer.«<br />
Wohl wahr. Es ist echte Knochenarbeit, die den<br />
Kandi daten abverlangt wird. Technisch – beim<br />
Entbeinen des in Gänze gelieferten, aber immerhin<br />
schon gerupften Perlhuhns. Und körperlich.<br />
In nur fünf St<strong>und</strong>en <strong>und</strong> fünf<strong>und</strong>dreißig Minuten<br />
müssen Fleisch- <strong>und</strong> Fischgang samt diverser Beilagen<br />
zu optisch ansprechenden <strong>und</strong> geschmacklich<br />
überzeugenden Finessen verarbeitet werden.<br />
Auf engstem Raum, in einer achtzehn Quadratmeter<br />
großen Küchenbox. <strong>Ein</strong> Dutzend dieser<br />
Miniküchen steht nebeneinander auf der Schaubühne<br />
im Veranstaltungssaal. So können pro Wettkampftag<br />
jeweils zwölf Teams gleichzeitig antreten.<br />
Jede Mannschaft besteht aus dem Kandidaten,<br />
seinem Commis, der höchstens zwei<strong>und</strong>zwanzig<br />
Jahre alt sein darf, <strong>und</strong> einer Spülkraft, die <strong>für</strong> den<br />
Kreislauf stets sauberer Gerätschaften im Hintergr<strong>und</strong><br />
runzlige Finger kriegt. Der vierte Mann<br />
steht als Coach vor der Box. Er hat eine Batterie<br />
Stopp uhren vor sich, mit deren Hilfe er die <strong>Ein</strong>haltung<br />
des Ablaufplans kontrolliert.<br />
Christian Krüger steigt am zweiten Tag in<br />
die Koch arena. Fünfmal hat er seine Versionen<br />
von Fleisch- <strong>und</strong> Fischgang daheim zur<br />
Probe gekocht. Unter Wettbewerbsbedingungen!<br />
Da<strong>für</strong> hatte ihm Metro Cash & Carry Deutschland<br />
im Mann heimer Markt eine Kitchenette<br />
aufbauen lassen, die exakt wie die in Lyon ausgestattet<br />
war. »Unser Ziel ist es, andere erfolgreich<br />
zu machen«, begründet Olaf Koch, Vorstandsvorsitzender<br />
des Handelskonzerns, das Engagement.<br />
In Frankreich unterstützt das Unternehmen<br />
schon länger Spitzen köche <strong>und</strong> auch den<br />
Bocuse d’Or, der im Rahmen der Gastronomie-<br />
Fachmesse SIRHA stattfindet. <strong>Ein</strong> Projekt, dem<br />
sich Metro Deutschland angeschlossen hat. »Wir<br />
streben eine engere Zusammenarbeit mit renommierten<br />
Köchen an, um über sie <strong>für</strong> die nachhaltige<br />
Qualität <strong>und</strong> Frische des Sortiments zu werben«,<br />
sagt Axel Hluchy, Vorsitzender der deutschen<br />
Geschäfts führung, die Christian Krüger sponsert.<br />
Im perfekt sortierten Frischemarkt, den der<br />
Konzern zu Schauzwecken auf der Ausstellung eingerichtet<br />
hat, decken sich die Finalisten mit allen<br />
Zutaten ein, die sie <strong>für</strong> ihre Menüvarianten benötigen.<br />
Was sie »einkaufen«, wird notiert, in Kisten<br />
verplombt, kühl gelagert <strong>und</strong> erst am Prüfungs tag<br />
an die Teams ausgegeben. Der Countdown startet<br />
morgens um acht Uhr. Im Abstand von zehn Minuten<br />
treten die Teams an.<br />
Fünf St<strong>und</strong>en später, Punkt ein Uhr, wird<br />
der Jury der erste Fischgang kredenzt. Auf Kommando<br />
werden die Cloches gelüpft – <strong>und</strong> zwölf<br />
Nasen senken sich Richtung Teller. Erst schnuppern,<br />
dann probieren, lautet die Devise der Jury,<br />
die an zwei langen Tafeln à zwölf Mann auf dem<br />
Podium residiert. <strong>Ein</strong> Anblick, der an Leonardo<br />
da Vincis »Abendmahl« erinnert. Zehn Minuten<br />
bleiben den Verkostern, sich ein Urteil zu bilden,<br />
dann wird der nächste Teller aufgetragen.<br />
Vor dem ersten Bissen haben die Edel tester<br />
gelost, wer an den beiden Tagen Fisch, wer Fleisch<br />
benotet. »Jeder freut sich, wenn er ein Fischlos<br />
zieht«, verrät der deutsche Meister koch Patrik<br />
Jaros. »Die Gerichte sind leichter – was bei zwölf<br />
Variationen pro Tag einfach angenehmer ist.«<br />
1995 gewann er eine der drei bronzenen Trophäen,<br />
die insgesamt an Deutschland gingen. Heute ist<br />
er Juror <strong>und</strong> im Glück, da auf der Fischseite.<br />
Luxemburgs Starköchin Lea Linster, die einzige<br />
Frau, die je einen Bocuse <strong>und</strong> dann noch<br />
den in Gold gewann, ist dagegen nur Zaungast.<br />
Das mit klein gehackten Pilzen panierte Riesenei,<br />
zu dem Christian Krügers Perlhuhn mutiert ist,<br />
gefällt ihr sehr. »So etwas könnte ich auch mal in<br />
meinem Restaurant anbieten«, meint sie. »<strong>Ein</strong>e<br />
gute Arbeit, ich drücke ihm die Daumen.«<br />
Vergebens. Finnland wird Dritter, das Team<br />
aus den Vereinigten Staaten Zweiter, Ørjan<br />
Johannessen aus Norwegen gewinnt. Aber der,<br />
so geht das Gerücht, habe vorher auch geübt wie<br />
kein Zweiter <strong>und</strong> jeden Gang angeblich drei<strong>und</strong>sechzig<br />
Mal probe weise gekocht. Da könne ja<br />
nichts mehr schiefgehen.<br />
»Die ersten drei Plätze sind gerechtfertigt«,<br />
gibt Christian Krüger neidlos zu. Er <strong>und</strong> seine<br />
Mit streiter Christian Döhner (Commis) <strong>und</strong><br />
Ludwig Heer (Coach) hatten gehofft, unter die<br />
ersten Zehn zu kommen. Das hat nicht ganz<br />
geklappt. »Platz elf ist mir doch zu blöd«, sagt<br />
der Mannheimer. Es muss ja nicht sein letzter Versuch<br />
gewesen sein. Und dann gehen die Drei erst<br />
mal was essen. Kochen macht hungrig. •<br />
24 25<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | <strong>FINE</strong> 2 | 2015
Tenuta Luce della Vite<br />
Die dunkle Sonne von Montalcino<br />
Zwanzig Jahrgänge Luce:<br />
Das am Anfang nicht<br />
unumstrittene kalifornischtoskanische<br />
<strong>Wein</strong> projekt<br />
hat ganz eigene Wurzeln<br />
geschlagen <strong>und</strong> ist in der<br />
Liga der grossen <strong>Wein</strong>e<br />
Italiens angekommen<br />
Von Till Ehrlich<br />
Fotos Thilo Weimar<br />
Alles ist r<strong>und</strong>. An einem kalten Donnerstagabend<br />
im März steht Marchese Lamberto Frescobaldi in<br />
der ehemaligen Kirche San Carpoforo im historischen<br />
Zentrum von Mailand vor einem r<strong>und</strong>en<br />
Tisch. Im Kreis sind zwanzig Magnumflaschen aufgestellt: zwanzig<br />
Jahrgänge des toskanischen Spitzenweins Luce aus Montalcino.<br />
Gefeiert wird das r<strong>und</strong>e Jubiläum des <strong>Wein</strong>s. Vor zwanzig Jahren,<br />
1995, wurde der erste Jahrgang, der 1993er Luce, präsentiert. Der<br />
Tisch steht dort, wo sich früher der Altar des Gotteshauses befand.<br />
Lamberto Frescobaldi spricht mit ruhiger Stimme über die <strong>Wein</strong>e.<br />
Er redet vor einem exklusiven, weit angereisten Publikum von<br />
<strong>Wein</strong> liebhabern <strong>und</strong> inter nationalen <strong>Wein</strong>experten. Unter ihnen<br />
sind auch der kali fornische <strong>Wein</strong>unternehmer Michael Mondavi<br />
<strong>und</strong> seine Frau Isabel, die mit ihrer Anwesenheit ihrer Ver b<strong>und</strong>enheit<br />
mit diesem <strong>Wein</strong> <strong>und</strong> der Familie Frescobaldi Ausdruck verleihen<br />
möchten. Lamberto Frescobaldi findet den angemessenen<br />
Ton, Erinnerungen an zwanzig sehr unterschiedliche Jahre ziehen<br />
herauf. Er berichtet von Regen, Sonne, Trocken heit <strong>und</strong> Kälte im<br />
<strong>Wein</strong>berg, die den Inhalt jeder der zwanzig Flaschen unterschiedlich<br />
geprägt haben. Lamberto Frescobaldi spricht über die <strong>Wein</strong>e,<br />
wie man über Menschen spricht, die einem sehr nahe sind <strong>und</strong> <strong>für</strong><br />
die man alles tut, damit aus ihnen etwas wird.<br />
Drei Monate später führt uns der Weg zum<br />
Luce in den lichtdurchfluteten Süden<br />
der Toskana, ins Herz des Nationalparks<br />
Val d’Orcia im Montalcino – diese Landschaft<br />
gehört heute zum UNESCO Kulturerbe. Hier,<br />
süd westlich der mittelalterlichen Stadt Montalcino,<br />
befindet sich die Tenuta Luce della Vite, die<br />
sich unmittelbar an die Tenuta di Castel giocondo<br />
der Familie Frescobaldi anschließt. Momentan<br />
nutzt die Tenuta Luce noch die Kelle rei von<br />
Castel giocondo. <strong>Ein</strong> eigener Keller ist lang fristig<br />
geplant. Die Frescobaldi nehmen ihre Investitionen<br />
sorgfältig vor. Die <strong>Wein</strong>berge der Tenuta Luce<br />
umfassen sieben<strong>und</strong>siebzig Hektar, in denen<br />
Merlot <strong>und</strong> Sangiovese wachsen. Zwischen 1997<br />
<strong>und</strong> 2007 wurde immens in die <strong>Wein</strong>berge investiert,<br />
die mit hochwertigen Rebstöcken erneuert<br />
wurden. Die Lagen der Tenuta sind ein gebettet<br />
in die wilde Schönheit der Macchia, des mediterranen<br />
Gebüschs zwischen den <strong>Wein</strong>bergen.<br />
Vom Horizont hebt sich dunkel die Silhou ette<br />
des Monte Amiata ab: ein erloschener Vulkan<br />
der mit seinen mehr als eintausendsiebenh<strong>und</strong>ert<br />
Metern die Luce <strong>Wein</strong>berge vor starken Unwettern<br />
schützt. Das Thyrrenische Meer ist knapp vierzig<br />
Kilo meter entfernt, man kann es riechen, wenn<br />
der Wind günstig ist; dann streicheln die salzigen<br />
Meeres brisen die Reben des Luce. Der besteht in<br />
der Regel etwa zu gleichen Teilen aus Merlot <strong>und</strong><br />
Sangiovese <strong>und</strong> reift zwei Jahre in Barriques.<br />
Zwei <strong>Wein</strong>kulturen<br />
Luce war das erste Projekt Italiens, bei dem ein<br />
toskanisches <strong>und</strong> ein kalifornisches <strong>Wein</strong>bauunternehmen<br />
zusammenkamen. Es war<br />
von der Freude getragen, zwei unterschiedliche<br />
<strong>Wein</strong>kulturen miteinander in Austausch zu bringen.<br />
Das F<strong>und</strong>ament dieser Zusammenarbeit beruhte<br />
auf der persönlichen Fre<strong>und</strong>schaft zwischen<br />
Vittorio Frescobaldi (geboren 1928), dem damaligen<br />
Präsidenten des Florentiner Hauses Marchesi<br />
de’ Frescobaldi, <strong>und</strong> der amerikanischen <strong>Wein</strong>bau-Ikone<br />
Robert Mondavi (1913 bis 2008), die<br />
von Respekt <strong>und</strong> Wertschätzung getragen war. Aus<br />
ihr entwickelte sich zu Beginn der 1990er Jahre das<br />
26 27<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | <strong>FINE</strong> 2 | 2015
Innovation<br />
»Weil<br />
Die Champagne ist in Bewegung. Spätestens<br />
seit der Jahrtausendwende gärt es in der Region,<br />
die jahrh<strong>und</strong>erte lang als Inbegriff der französischen<br />
Klassik galt. Neue Wege der Herstellung,<br />
sich wandelnde Konsumenten gewohnheiten<br />
<strong>und</strong> ein ver ändertes Geschmacksbild haben<br />
alte Weis heiten infrage gestellt. Mit behutsamen<br />
Modernisierungen <strong>und</strong> radikalen<br />
Produktinnovationen versuchen die großen<br />
Häuser, auf die Herausforderungen zu reagieren.<br />
Nun hat Moët & Chandon, Markt führer<br />
<strong>und</strong> Grande Maison der Region, die neue,<br />
äußerst limitierte Spitzen-Cuvée MCIII in<br />
Paris vorgestellt.<br />
Fotos: Moët & Chandon<br />
das<br />
Herz<br />
Stéphane Baschiera stutzt nur <strong>für</strong> einen Augenblick.<br />
Denn die Antwort liegt doch scheinbar<br />
auf der Hand. Inwiefern der MCIII die Seele von<br />
Moët & Chandon verkörpere? »Weil Inno vation das<br />
Herz des Hauses ist!« Dem fein sinnigen Präsidenten <strong>und</strong><br />
CEO von Moët & Chandon ist anzumerken, wie sehr er sich<br />
mit seinem Produkt identifiziert. Für ihn ist der MCIII der<br />
Champagner <strong>für</strong> das dritte Jahrtausend. Denn er reflektiert<br />
eine Zeit, in der alles infrage gestellt wird <strong>und</strong> in der sich<br />
die Dinge in unglaublicher Geschwindigkeit ändern. Und<br />
vor allem: in der es, wie er sagt, »nicht mehr nur die eine<br />
Wahrheit gibt«. Stéphane Baschiera lächelt, als er an diesem<br />
Morgen in einer Pariser Hotelsuite den Satz ausspricht, <strong>und</strong><br />
es macht nicht den <strong>Ein</strong>druck, als ob er darüber sonderlich<br />
betrübt wäre.<br />
Dabei beruhte das Geschäftsmodell aller großen Champagnerhäuser<br />
lange Zeit vor allem darauf: auf der einen<br />
Wahrheit, oder besser gesagt: ihrer eigenen – dem Style de la<br />
Maison. Dieser nahezu sakro sankte Stil eines Hauses drückte<br />
vor allem dem wichtigsten Produkt der großen Champagnerhäuser,<br />
den Standardcuvées oder Bruts sans année (Brut ohne<br />
Jahrgang, BSA), seinen Stempel auf. Wenn man sich vergegenwärtigt,<br />
dass etwa fünf<strong>und</strong> neunzig Prozent der Champagnererzeugung<br />
aus solchen BSAs besteht, erkennt man die Reichweite<br />
dieser Gr<strong>und</strong>idee. Zumal die restlichen fünf Prozent, die<br />
als Jahrgangschampagner abgefüllt werden, häufig lediglich<br />
als eine Art Super-BSA des Hauses interpretiert wurden, wie<br />
es der Journalist Bernard Burtschy einmal im Figaro formuliert<br />
hatte: intensiver <strong>und</strong> etwas fokussierter, aber auch ohne<br />
besondere Eigenart.<br />
Erreicht wurde diese <strong>Ein</strong>heitlichkeit durch die Kunst der<br />
Assemblage. Anders als es der Mythos der Méthode champenoise<br />
will − also der (zweiten) Gärung der <strong>Wein</strong>e in der<br />
Flasche –, ist diese Kunst wohl tatsächlich von Dom Pérignon<br />
erf<strong>und</strong>en worden. Der Benediktinermönch hatte zu Beginn<br />
des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts entdeckt, dass die Flaschen gärung aus<br />
<strong>Wein</strong>en verschiedener Jahrgänge, Trauben <strong>und</strong> Lagen bessere<br />
Resultate zeitigte als die von unverschnittenen <strong>Wein</strong>en. Die<br />
Assemblage eliminiert die Schwächen der <strong>Ein</strong>zelbestandteile<br />
<strong>und</strong> erzeugt ein Produkt von Harmonie <strong>und</strong> Balance. Auf<br />
jeden Fall entsteht ein <strong>Wein</strong>, der größer ist als die Summe<br />
seiner Teile.<br />
Diese Art der <strong>Wein</strong>erzeugung stand etwa der traditionellen<br />
Auffassung in den deutschen <strong>Wein</strong>anbaugebieten<br />
diametral entgegen. Hier lag die<br />
Reinheit, insbesondere die Reb sortenreinheit<br />
des <strong>Wein</strong>s, immer im ideellen Zentrum. <strong>Wein</strong> war wiederauferstandene<br />
Natur (»die Traube muss sterben, damit der <strong>Wein</strong><br />
zum Leben erweckt werden kann«, wie Stuart Pigott einmal<br />
zitiert hat), <strong>und</strong> der Winzer war gemäß dieser Idee mehr oder<br />
weniger nur die Hebamme. In der Champagne (aber auch<br />
in Regionen wie dem Bordelais oder der Rhône) sucht der<br />
Winzer da gegen eine Balance, von der er annimmt, dass sie<br />
in der Natur unmittelbar nicht gegeben ist. Er begreift die<br />
Trauben in ihrer Komplemen tarität, nicht als Wert an sich.<br />
des Hauses ist!«<br />
Von Stefan Pegatzky<br />
Der Kellermeister ist ein Schöpfer, ein Créateur, <strong>und</strong> die<br />
Natur nur sein Ausgangspunkt.<br />
In Deutschland benutzt man hier<strong>für</strong> das verächtlich<br />
gebrauchte Wort Verschnitt. Aber tatsächlich bedeutet die<br />
Assemblage in der Champagne etwas anderes als das ein fache<br />
Verschneiden, die Coupage, wie sie seit jeher in vielen französischen<br />
<strong>Wein</strong>baugebieten üblich war. Die Assem blage ist eine<br />
überaus kunstvolle <strong>und</strong> Erfahrung bedürfende Ver mählung<br />
von Gr<strong>und</strong>weinen aus einer möglichst umfang reichen Sammlung<br />
jüngerer wie alter Jahrgänge. Dadurch soll ein ganz<br />
bestimmtes Ziel erreicht werden: ein über Jahrzehnte hinweg<br />
möglichst konstanter, klar definierter Geschmack. Dieser<br />
Geschmack repräsentiert den jeweiligen Stil des Hauses, seine<br />
eigentliche Identität. Und er verwandelte die großen <strong>Wein</strong>e<br />
der Champagne in Markenprodukte.<br />
Keines war dabei so erfolgreich wie das 1743 gegründete<br />
Haus Moët & Chandon, das 1869 mit dem Brut Impérial<br />
den meistverkauften Standardchampagner <strong>und</strong> 1936 mit dem<br />
Dom Pérignon die wohl bekannteste Prestige-Cuvée schuf.<br />
Mittler weile besitzt das Unternehmen aus Epernay etwa eintausendeinh<strong>und</strong>ertfünfzig<br />
Hektar Rebfläche in mehr als zweih<strong>und</strong>ertdreißig<br />
Orten der Champa gne – davon die Hälfte<br />
in Grand-Cru- <strong>und</strong> ein Viertel in Premier-Cru-Lagen –<strong>und</strong><br />
kauft die Erzeugnisse aus dreimal so vielen Rebflächen dazu<br />
<strong>für</strong> eine Produktion von etwa dreißig Millionen Flaschen<br />
jährlich.<br />
Ausgerechnet in den hedonistischen acht ziger Jahren des<br />
vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts lauerte <strong>für</strong> das ruhmreiche Haus<br />
die größte Gefahr: die Selbst zufriedenheit <strong>und</strong> Sattheit, die<br />
zu viel leicht verdientes Geld erzeugen. In einer Zeit, in der<br />
sich der <strong>Wein</strong>bau weltweit revolutionierte <strong>und</strong> die Quali tät<br />
der <strong>Wein</strong>e weiter stieg, wurde der Brut Impérial immer nichts<br />
32 33<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | <strong>FINE</strong> 2 | 2015
Craft-Stoff<br />
<strong>für</strong> den biergourmet<br />
Von Bernd Fritz Foto Guido Bittner<br />
Dem deutschen Craft-Bier-Wesen kann man ja vieles nachsagen: dass es gerade mal fünf<br />
Jahre jung ist, dass seine Protagonisten »junge wilde Brauer« (FAZ) sind, dass deren<br />
Experimentier lust keine (Landes)grenzen kennt, dass man bei den Biernamen hochkreativ<br />
ist <strong>und</strong> anderes mehr. Nur eines muss entschieden dementiert werden: dass in<br />
den Craft- Braukesseln indisches Bier nachgebraut werde. Ja aber, fragt Seine Unbedarftheit,<br />
der gewöhnliche Tresen trinker, die haben doch alle so ein »Indien« Pale Ale im<br />
Angebot? Da lacht die Korallenkette der Braumeistersgattin, <strong>und</strong> wir wenden uns, nach<br />
dieser mustergültig aufgebauten Pointe, dem spannenden Bierstil zu, nicht ohne vermerkt<br />
zu haben, dass im heutigen Indien tatsächlich Bier gebraut werden darf, beispielsweise<br />
ein Premium Lager von den United Breweries in Bangalore.<br />
Das war vor zweih<strong>und</strong>ert Jahren noch anders.<br />
Da regierten die Briten die Kron kolonie,<br />
mit Hinduismus <strong>und</strong> Buddhismus herrschten<br />
alkohol feindliche Religionen, <strong>und</strong> der Bierdurst<br />
der Kolonial truppen musste mit britischem<br />
Gersten saft gelöscht werden. Vorzugsweise mit<br />
Pale Ale, dem beliebten hellen, trocknen Obergärigen.<br />
Dieses hatte allerdings eine enorm lange<br />
Seereise zu überstehen, einen mehrmonatigen<br />
Segeltörn ohne Kühlung. Da<strong>für</strong> war es tauglich,<br />
will heißen, haltbarer zu machen, was den schottischen<br />
<strong>und</strong> englischen Brauereien durch Erhöhung<br />
des Alkohol gehalts <strong>und</strong> vermehrte Hopfengaben<br />
gelang. <strong>Ein</strong> neuer Bierstil war geboren <strong>und</strong><br />
alsbald auch getauft: India Pale Ale.<br />
Die Abkürzung ließ ebenfalls nicht lange auf<br />
sich warten. <strong>Ein</strong> IPA ordert man an der Bar, knapp,<br />
klar <strong>und</strong> souverän. Und wen hätte es gew<strong>und</strong>ert,<br />
wenn im Craft-Brauwesen mit den drei Buchstaben<br />
nicht schon auf den Etiketten Scherz<br />
getrieben worden wäre: »Ei Pi Ai« nennt die<br />
Chiemgauer Brauerei Camba ihr indisches Ale,<br />
ein Stoff mit 8 Volumenprozent Alkohol <strong>und</strong> gut<br />
46 <strong>FINE</strong> 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN<br />
ein geb<strong>und</strong>ener Hopfenbittere – trotz eines IBU-<br />
Werts von 62. Womit wir bei der nächsten Abkürzung<br />
wären, die <strong>für</strong> »International Bitter Unit«<br />
steht. Und was 62 IBU bedeuten, sei kurz durch<br />
einen Vergleich veranschaulicht: <strong>Ein</strong> herbes Pils<br />
bringt es auf maximal 40 IBU.<br />
Für <strong>Ein</strong>steiger könnte sich daher ein schottisches<br />
IPA empfehlen, das sich bei mäßigem<br />
Alkohol (5,6 Prozent) mit 45 IBU begnügt. Auch<br />
trägt es, ganz wie die Brauerei, einen zünftigen<br />
Craft-Namen: das »Punk IPA« von Brew Dog.<br />
<strong>Ein</strong> Bier keineswegs <strong>für</strong> Underdogs, sondern mit<br />
seinem blumig-fruchtigen Aromahopfenduft <strong>und</strong><br />
der frischen Kohlensäure etwas <strong>für</strong> den anspruchsvollen<br />
Biergourmet.<br />
Überhaupt sollte man sich von getränkefernen<br />
Kreativnamen nicht abschrecken lassen.<br />
Das gilt vor allem <strong>für</strong> »Aufwind«, das IPA der<br />
Brauerei Propeller im westfälischen Bad Laasphe,<br />
<strong>für</strong> »Amarsi« aus dem Odenwälder Braukunstkeller<br />
<strong>und</strong> sogar <strong>für</strong> das brachiale »Backbone<br />
Splitter«, mit dem die Aschaffenburger Hanscraft-<br />
Neuland betritt die Brauerei Bitburger<br />
mit ihrer Sparte Craftwerk Brewing.<br />
Im Sommer 2013 präsentierte sie die<br />
Craft-Biere Howly Cowl, ein intensiv<br />
malziges Belgian Style Tripel mit<br />
bemerkenswerten Bittertönen <strong>und</strong><br />
stattlichen 9 Prozent Alkohol, Hop<br />
Head, ein frisch-fruchtig-herbes IPA,<br />
<strong>und</strong> Tangerine Dream, ein Pale Ale<br />
mit anhaltender Hopfennote; ein<br />
Jahr später vervoll ständigte Skipping<br />
Stone mit nur 4,8 Prozent Alkohol das<br />
Glückskleeblatt <strong>für</strong> Hopfenfans.<br />
Brauerei dem Bierfre<strong>und</strong> nicht das Kreuz brechen<br />
will, sondern, unter <strong>Ein</strong>satz von fünf Hopfen<strong>und</strong><br />
vier Malzsorten, den Widerstand gegen die<br />
Craft-Bier-Preise.<br />
Freilich machen nicht alle die sprachlichen<br />
Extra vaganzen mit. Die Brauerei Riedenburg im<br />
Altmühltal etwa hat ihr »Bavarian« IPA nachgerade<br />
sittsam »Dolden Sud« getauft. Und dementsprechend<br />
nimmt es sich aus: in der Nase unaufdringlich,<br />
ebenso fein die Bittere, eingeb<strong>und</strong>en in<br />
ein zartes, erfrischendes Mousseux. Da dürfte auch<br />
manch frommer Hindu schwach werden.<br />
Womit aber wäre wohl ein Buddhist zu verführen,<br />
dem das Fünfte Gebot Buddhas den<br />
<strong>Genuss</strong> berauschender Getränke eigentlich strikt<br />
untersagt? Zwei Kandidaten bieten sich an: Das<br />
»Progusta Harvest« von Braufactum, dem deutschen<br />
Craft-Pionier, <strong>und</strong> das »Double Jack« von<br />
Firestone Walker aus den Vereinigten Staaten, wo<br />
die Craft-Bier-Bewegung vor gut dreißig Jahren<br />
ihren Anfang nahm. Das Braufactum-IPA besticht<br />
mit samtig-frischem Mousseux, verwöhnt die<br />
Nase mit Litschi- <strong>und</strong> Aprikosenduft, die starke<br />
Bittere wird im Aroma der Cashewnuss <strong>und</strong> in<br />
Curry-Noten eingeb<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> der mit 6,8 Prozent<br />
moderate Alkohol macht das Ganze zu einem<br />
irdischen Vergnügen der reinen Art.<br />
In Richtung Nirwana aber lässt uns das »Double<br />
Jack« segeln. Nicht weniger als sechs Hopfensorten<br />
komponieren ein wahres Mandarine-<br />
Grapefruit-Parfüm, knapp 10 Prozent Alkohol<br />
erschaffen einen üppigen Körper, Karamellmalz<br />
bändigt die hohe Bittere aufs Eleganteste, <strong>und</strong> das<br />
<strong>für</strong> eine halbe Ewigkeit angelegte Mousseux verteilt<br />
alles auf sämtliche Geschmacksknospen <strong>und</strong><br />
Riechzellen. Kurzum: Zu einem kühlen Glas dieses<br />
göttlichen Craft-Stoffs Nein zu sagen hätte selbst<br />
Buddha seine liebe Mühe gehabt. •<br />
Unser einzigartiges Röstverfahren verleiht Köstritzer Schwarzbier Geschmacksnoten von gerösteter Esskastanie, dunklem Honig <strong>und</strong> Bitterschokolade.
Robert Parker,<br />
das Bordelais<br />
<strong>und</strong> die <strong>Wein</strong>welt<br />
<strong>Ein</strong>e Zwischenbilanz<br />
Von Stefan Pegatzky<br />
Kurz nach seinem 65. Geburtstag hat Robert Parker, der (immer noch) einflussreichste <strong>Wein</strong>kritiker der Welt,<br />
den Mehrheitsanteil seiner Zeitschrift »The Wine Advocate« an Investoren in Singapur verkauft. Gr<strong>und</strong><br />
genug, sich den <strong>Ein</strong>fluss des Amerikaners auf die <strong>Wein</strong>welt <strong>und</strong> insbesondere das Bordelais in Erinnerung<br />
zu rufen. <strong>Ein</strong> <strong>Ein</strong>fluss, der Winzer, Handel, Presse <strong>und</strong> Konsumenten enorm polarisiert <strong>und</strong> alle Ebenen des<br />
Themas <strong>Wein</strong> durchdrungen <strong>und</strong> verändert hat. Der aber auch wesentlich komplexer <strong>und</strong> ambivalenter ist,<br />
als viele von Parkers Kritikern unterstellen.<br />
Fotos: The Wine Advocate<br />
Der Markt <strong>und</strong> die Preise<br />
Hochwertiger Bordeaux ist in wenigen Jahren um ein Vielfaches<br />
teurer geworden: Der En-primeur-Preis einiger Spitzen<br />
Crus des Jahrgangs 2010 ist gegenüber dem von 1992 etwa um<br />
mehr als tausend Prozent gestiegen. Manche <strong>Wein</strong>e mit nur<br />
sehr geringen Produktionsmengen werden in Deutschland<br />
schon gar nicht mehr angeboten. Sentimentale <strong>Wein</strong>trinker<br />
übertünchen ihren Verdruss bei spärlich besetzten <strong>und</strong> überteuerten<br />
Bordeaux-Arrivage-Tastings daher gern mit Geschichten<br />
aus der guten alten Zeit: »Meinen letzten Lafite habe ich<br />
noch von ›Globus‹, die haben den damals <strong>für</strong> …« Those were<br />
the days. Doch die Legende, die dabei meist miterzählt wird,<br />
dass das angefangen habe, als Robert Parker den 1982er Jahrgang<br />
den Amerikanern so gut verkauft hat <strong>und</strong> damit die Spekulation<br />
<strong>und</strong> den Sog der »dummen, reichen Märkte« wie die<br />
Vereinigten Staaten, dann Japan <strong>und</strong> schließlich China auslöste,<br />
ist falsch, oder zumindest unvollständig.<br />
Denn Bordeaux war schon immer ein Spekulationsmarkt,<br />
seit Ende des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts der New French Claret<br />
»erf<strong>und</strong>en« wurde. Im 18. Jahr h<strong>und</strong>ert erzielten Château-<br />
Besitzer wie der Marquis de Ségur, der »Prince des Vignes«,<br />
Umsatz renditen von sechzig Prozent. Und der erste Bordeaux-<br />
Jahrgang, der in Amerika einen großen Auftritt hatte, war schon<br />
der von 1959. Zur Zeit eines Wall-Street-Booms war das der<br />
erste Ripe-for-Investment-Jahrgang der Nachkriegszeit, <strong>und</strong><br />
er begründete die langjährige amerikanische Vormacht stellung<br />
über Bordeaux. Tatsächlich spielt <strong>für</strong> Preis positionierung<br />
<strong>und</strong> Abverkauf eines <strong>Wein</strong>jahrgangs eine ganze Reihe von<br />
Faktoren eine wichtige Rolle: der Wechselkurs des Euro gegenüber<br />
der Währung der Zielmärkte, die Zinssätze, allgemeine<br />
Konjunktur daten oder die Frage, ob noch schwer verkäufliche<br />
Jahrgänge die Lager blockieren. Nicht zuletzt aber auch<br />
polit atmosphärische Schwankungen – wie etwa beim Boykott<br />
französischer Waren nach den Atomtests im Pazifik 1995<br />
oder der fehlenden militärischen Unterstützung im Irakkrieg<br />
2003. Oder gesellschaftliche Trends wie die immer wieder aufflammenden<br />
neo prohibitiven Stimmungen in den Vereinigten<br />
Staaten oder umgekehrt das sogenannte »French Paradox«<br />
<strong>und</strong> die »Mittelmeerdiät«-Welle.<br />
Und dennoch waren die Auswirkungen, die Robert Parker<br />
auf den Markt hatte, enorm. 1982 war insofern tatsächlich<br />
ein Schlüssel jahr, als die Amerikaner nach dem völlig missglückten<br />
Subskriptionsverlauf des miserablen <strong>und</strong> überteuerten<br />
1972ers, einem <strong>Wein</strong>skandal von 1973 <strong>und</strong> der Wirtschaftskrise<br />
nach dem Ölpreisschock lange Zeit nur ver halten eingekauft<br />
hatten. Robert Parker war nun beileibe nicht der einzige, der<br />
die über ragende Qualität des 1982er Jahrgangs erkannt hatte,<br />
aber er war der einzige amerikanische <strong>Wein</strong>kritiker. Und er verkündete<br />
dies auf eine so elek trisierende Art <strong>und</strong> Weise, dass der<br />
amerikanische Markt quasi explodierte.<br />
Die folgenden Jahre waren zumeist weit weniger spektakulär,<br />
aber es waren Jahre, in denen Parker seine Reputation<br />
durch harte Arbeit ausbaute. Seine Urteile waren ins gesamt<br />
sehr konsistent, <strong>und</strong> seine Unabhängigkeit verschaffte ihm<br />
Glaubwürdigkeit. Früh entdeckte der Handel, dass Parkers<br />
Bewertungen ein w<strong>und</strong>er bares Marketing instrument dar<br />
38 39<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | <strong>FINE</strong> 2 | 2015
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Champagner<br />
mit Erdbeeren - das geht<br />
nur im Film<br />
Von Ursula Heinzelmann<br />
Foto Guido Bittner<br />
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Champagner & Spirituosen<br />
Champagner im Glas ist gr<strong>und</strong>sätzlich ein<br />
erfreulicher Tatbestand, besonders wenn wir<br />
davon ausgehen, dass Fine-Leser bei der Auswahl<br />
desselben mit Sachverstand <strong>und</strong> Kompetenz vorgehen.<br />
Doch was bedeutet beschwingtes Schäumen<br />
<strong>für</strong> die feste Nahrungszufuhr? Schlimmstenfalls:<br />
gar nichts. Bei Empfängen nämlich, deren Veranstalter<br />
noch nie nach einem langen Arbeitstag<br />
mit durchhängendem Magen eine St<strong>und</strong>e ohne<br />
einen Bissen im Stehen verbrachten. Gar nichts<br />
bedeutet meist auch: der Champagner ist so lala.<br />
Passons. Nächste Stufe: Häppchen, auf Neudeutsch<br />
Fingerfood, von Räucherlachs bis Edel-<br />
Sushi. Entspricht am ehesten den Erwartungen,<br />
bietet aber wenig Überrraschungen. Tatsächlich<br />
als Begleitung zum Essen fließt Champagner eher<br />
selten in die Gläser, <strong>und</strong> wenn, wird meist Edles<br />
<strong>und</strong> tenden ziell Helles serviert, von Steinbutt bis<br />
Perlhuhn, gern in Beurre Blanc, mit ein wenig<br />
Hummer <strong>und</strong>/oder Trüffel, um der Kostbarkeit<br />
im Glas Rechnung zu tragen. Aber bedarf die tatsächlich<br />
einer solchen Bestätigung? Ist nicht <strong>Ein</strong>fachheit<br />
der wahre neue Luxus?<br />
Die großartigsten Champagner-Begleiter, die<br />
mir je begegnet sind, waren die kleinen, gesalzenen,<br />
in der Schale gekochten Kartoffeln von der französischen<br />
Atlantik-Insel Noirmoutier mit jodigem<br />
Meeres aroma <strong>und</strong> eher gemüsig als mehlig. Sie<br />
ergänzten <strong>und</strong> untermalten einen gestandenen<br />
Blanc de Blancs von R & L Legras aus Chouilly.<br />
Noch überraschender: geräucherte Sprotten,<br />
denen man nur den Kopf abzwickt, sie aber ansonsten<br />
goldglänzend <strong>und</strong> ganz verzehrt. Rauch <strong>und</strong><br />
Mineralik, Fischfett <strong>und</strong> Hefe- Malolaktik, feines<br />
Schäumen <strong>und</strong> das leise Knacken der Gräten –<br />
perfekt. Dazu eine der würzigmineralischen<br />
Nummern- Cuvées von Jacquesson, <strong>und</strong> das Leben<br />
ist so, wie es sein sollte. Mit den Händen essen passt<br />
nicht zum edlen langstieligen Glas? Ach was, wozu<br />
gibt es Servietten. Ebenso ungewöhnlich <strong>und</strong> quasi<br />
nie zum Champagner serviert: Büffel mozzarella.<br />
Und zwar bitte die allerbeste, aller frischeste,<br />
molke saftig <strong>und</strong> wiesen milch aromatisch. Das<br />
klingt befremdlich? Was der <strong>Wein</strong>liebhaber nicht<br />
kennt, trinkt er nicht? Deshalb: Champagner kaltstellen<br />
(etwa einen der Charakterköpfe von Bruno<br />
Paillard), Käse kaufen, ausprobieren!<br />
Nach dem Käse – doch halt, an dieser Stelle<br />
gehört angemerkt, dass Chaource, der säuerlichsahnige<br />
Käse aus der südlichen Champagne (wo die<br />
Kühe unter Apfelbäumen grasen) mit seiner feinen<br />
Bitternote zwar eine geographisch etwas weniger<br />
überraschende, deshalb aber nicht minder großartige<br />
Begleitstimme liefert (dass er aus Rohmilch<br />
<strong>und</strong> professionell affiniert sein sollte, versteht sich<br />
von selbst).<br />
Aber dann kommt, was kommen muss: das<br />
Thema Süßes. Was ich hier mit einem nur halb<br />
unterdrückten Seufzer anbringe. Denn einerseits<br />
sind da unsere französischen Nachbarn, <strong>für</strong> die<br />
»une coupe«, ein Glas Champagner, gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
immer <strong>und</strong> zu allem passt. Immer? D’accord.<br />
Zu allem? Ganz <strong>und</strong> gar nicht, weil das nämlich<br />
auch Desserts <strong>und</strong> Geburtstagskuchen einschließt.<br />
Selbst wenn der Champagner nicht ganz knochentrocken<br />
ist, kann er dem nicht standhalten, hisst<br />
die weiße Säurefahne <strong>und</strong> zeigt sich von der aggressiven<br />
Seite. Also: nein. Nein!<br />
Ebenfalls nein: Erdbeeren. Werden wir den<br />
Pretty-Woman-Fluch wohl je loswerden? Seit der<br />
Premiere dieses zugegebenermaßen in mancherlei<br />
Hinsicht unterhaltsamen Films vor fünf<strong>und</strong>zwanzig<br />
Jahren hat sich unser Frauenbild glücklicherweise<br />
(hoffentlich!) gewandelt. Aber die<br />
Erdbeeren, die Richard Gere Julia Roberts in der<br />
Silberschale serviert, weil das, wie er sie belehrt,<br />
»den Geschmack des Champagners zum Ausdruck<br />
bringt«, die geistern immer noch durch<br />
viele Köpfe. Also, noch mal ganz deutlich, verehrte<br />
Leserinnen <strong>und</strong> Leser: Erdbeeren <strong>und</strong> Champagner,<br />
das geht nur im Film. Im wahren Leben<br />
weiß unser Fre<strong>und</strong> im Glas aufgr<strong>und</strong> der Textur<br />
der Beeren einfach nicht, wohin mit seiner Säure,<br />
sowohl der sauren als auch der prickeligen.<br />
Dabei lag Richard Gere gar nicht so weit<br />
da neben, denn richtig großartig sind: Him beeren.<br />
Zu quasi jedem Champagner, vorweg, zum Dessert,<br />
einfach so. Die zerplatzen ebenso leise, fruchtig <strong>und</strong><br />
beschwingt auf der Zunge wie die Champagnerperlen,<br />
<strong>und</strong> wenn es sie nicht schon gäbe, dann<br />
hätte sie einer der genialen modernen Köche längst<br />
erf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> patentiert. Das ist nicht nur pretty,<br />
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46 <strong>FINE</strong> 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN
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