Juli - PwC
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<strong>Juli</strong> 2009<br />
pwc:<br />
Das Magazin für Vorausdenker<br />
Die Bürgschaft<br />
Ein Klassiker wird neu entdeckt<br />
Konsenskultur<br />
Salzgitter-Vorstand Schneider im Gespräch<br />
Krisenbewältigung<br />
So bestehen Sie den Psychostresstest<br />
Attraktive<br />
Allianzen<br />
Kooperation ist in:<br />
Unternehmenspartnerschaften<br />
eignen sich sowohl als<br />
Wachstumstreiber als auch als<br />
Lebensretter
pwc: Inhalt<br />
Titel Märkte Wissen Lösungen<br />
Attraktive Allianzen<br />
Unternehmen ketten sich immer enger aneinander<br />
– ohne gesellschaftsrechtliche Verflechtung.<br />
So können Effizienz und Flexibilität<br />
in Einklang gebracht werden. Seite 4<br />
Lebenslange Treue Seite 6<br />
Groß mit Klein Seite 9<br />
Rivalisierende Partner Seite 11<br />
Lösungen für die Auflösung Seite 1<br />
Dobellistik<br />
Der Schweizer Unternehmer und Schriftsteller<br />
Rolf Dobelli über das Miteinander<br />
von Menschen und Bilanzen. Seite 1<br />
Trends Seite 14<br />
Warschau, Istschau, Wirdnochschauer<br />
Zwei Manager erzählen, wie Polen für<br />
den HochtiefKonzern zum immer näheren<br />
Osten wurde. Seite 16<br />
Kein Bürgschaftsbegehren<br />
Der Bund will Unternehmen mit Bürgschaften<br />
in Höhe von 75 Milliarden Euro<br />
helfen. Seite 0<br />
„Im Konsens meistern wir die Krise besser“<br />
Wie der SalzgitterPersonalvorstand Peter<br />
Jürgen Schneider die Rezession ohne<br />
Kündigungen überstehen will. Seite 4<br />
Trends Seite 8<br />
Die Geheimniskrämer<br />
Was Exchefs der britischen Geheimdienste<br />
MI5 und MI6 von den Überwachungsmethoden<br />
der Konzerne halten. Seite 0<br />
Blassgrüne Logistik<br />
Eine Branche hat Nachholbedarf in Sachen<br />
Klimaschutz. Seite 4<br />
Stressfest im Stresstest<br />
Wie Manager die Wirtschaftskrise<br />
psychisch überstehen können. Seite 6<br />
Der Reformator<br />
Mit seinen Ideen für Schulreformen setzt<br />
sich Bildungsökonom Ludger Wößmann<br />
zwischen alle Stühle. Seite 40<br />
pwc: | juli 009<br />
Trends Seite 4<br />
Die klösterliche Behörde<br />
Die Klosterkammer Hannover ist eine landesweit<br />
einmalige Institution: eine Behörde<br />
als Fondsverwalter mit kirchlicher Zweckbestimmung.<br />
Seite 44<br />
Schweres Erbe<br />
Wie Unternehmerfamilien auf das neue<br />
Erbrecht reagieren müssen, um keinen<br />
Gestaltungsspielraum einzubüßen. Seite 50<br />
Publikationen Seite 54<br />
Impressum Seite 55<br />
pwc: | juli 009<br />
pwc: Editorial<br />
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,<br />
dass man gemeinsam stärker ist und 1 + 1 = sein kann, sind Binsen<br />
weisheiten – aber trotzdem sind sie richtig und wahr. Gerade jetzt, in<br />
schwierigen Zeiten, besinnen sich Unternehmen darauf, mit anderen<br />
gemeinsame Sache zu machen. Die Krise führt allerdings auch dazu,<br />
dass man sich mit einem möglichen Partner etwas unverbindlicher und<br />
weniger verpflichtend einlassen möchte – nicht im starren Vertrags<br />
korsett eines Joint Ventures, nicht mit der Endgültigkeit einer Über<br />
nahme; sondern eher in einer wilden Ehe, aus der man relativ leicht<br />
wieder ausbrechen kann. Wunschpartner sind dabei oft Unternehmen,<br />
die das eigene Portefeuille ergänzen, oder Zulieferer. Aber auch Wett<br />
bewerber schweißt die Not zusammen, und gleich wurde dafür ein<br />
neuer Begriff kreiert: Coopetition.<br />
Ganz auf Kooperation setzt Stahlproduzent Salzgitter, und zwar auf<br />
die zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft. Wie das aus<br />
sieht, erklärt SalzgitterPersonalvorstand PeterJürgen Schneider im<br />
Interview. Ein wegen der Wirtschaftskrise derzeit in den Medien sehr<br />
präsentes Thema sind Bürgschaften. Dabei sind Bürgschaften kei<br />
neswegs eine bloße „Krisenhilfe“, sondern ein verlässliches, markt<br />
schonendes und erfolgreiches Instrument, das gerade gesunden<br />
Unternehmen in der jetzigen Phase der Kreditklemme helfen kann.<br />
Um Hilfe einer ganz anderen Art geht es in einem Artikel, der sich da<br />
mit beschäftigt, wie Unternehmer und Topmanager psychisch mit der<br />
Belastung umgehen, dass die eigene Existenz, aber auch die vieler<br />
Mitarbeiter und des Unternehmens auf dem Spiel steht.<br />
Hans Wagener,<br />
Vorstandssprecher der<br />
Pricewaterhouse<br />
Coopers AG<br />
Ich wünsche Ihnen eine interessante und anregende Lektüre,<br />
Hans Wagener
pwc: Titel<br />
pwc: | juli 2009 pwc: | juli 2009<br />
Symbiose: Die Orienta-<br />
lische Süßlippe lässt sich<br />
vom Putzerlippfisch das<br />
Maul reinigen. Den Klei-<br />
nen zu schlucken bräch-<br />
te dem Großen ein paar<br />
schnelle Kalorien – und<br />
kostete ihn einen lebens-<br />
lang angenehmen Service.<br />
Attraktive<br />
Allianzen<br />
Unternehmen ketten sich immer enger aneinander –<br />
ohne gesellschaftsrechtlich verflochten zu sein. In<br />
„wilder Ehe“ können die Partner Effizienz und Flexibilität<br />
am besten in Einklang bringen. Von Michael Gneuss<br />
Allein sein möchte Recaro ganz offen-<br />
bar nicht. Vom „Glück guter Beziehungen“<br />
schreibt der Hersteller von Autositzen auf<br />
seiner Website. In ihrer Philosophie sieht<br />
sich die Firma aus Kirchheim unter Teck als<br />
Partner für sämtliche Menschen und Unter-<br />
nehmen, die mit ihr in Verbindung stehen.<br />
Darunter fasst Recaro nicht nur Kunden<br />
und Mitarbeiter, sondern auch Lieferanten,<br />
Importeure und Händler. „Wie in jeder guten<br />
Partnerschaft möchte auch Recaro mehre-<br />
ren Rollen gerecht werden“, heißt es weiter.<br />
Als Ideengeber und Problemlöser sowie als<br />
Kreativ- und Diskussionspartner möchte<br />
das Unternehmen seinen Mitstreitern zur<br />
Seite stehen.<br />
Das Bewusstsein für die Bedeutung von<br />
Partnerschaften rührt aus der mit 180 Mil-<br />
lionen Euro Umsatz und 700 Mitarbeitern<br />
eher bescheidenen Unternehmensgröße.<br />
„Wir können und wollen nicht alles selbst<br />
machen und konzentrieren uns daher auf<br />
strategische Partnerschaften“, erklärt Ein-<br />
kaufsleiter Peter Frentzel. Für ihn sind das<br />
vor allem Kooperationen, in denen gemein-<br />
sam Innovationen realisiert werden. Mit der<br />
BASF hat Recaro zum Beispiel ein Granu-<br />
lat entwickelt, aus dem Sitzlehnen gebaut<br />
werden, welche die gleiche Festigkeit wie<br />
Metalllehnen haben, aber weitaus weniger<br />
wiegen.<br />
Kooperationen werden wichtiger als Fusionen<br />
„Wir sind Spezialist darin, den kompletten<br />
Sitz zusammenzubauen und zu vermarkten.<br />
Andere haben mehr Kenntnisse von den<br />
Werkstoffen“, erklärt Frentzel. Gern stellen<br />
die Recaro-Vertriebsmanager die Innovati-<br />
onen auch gemeinsam mit dem Lieferanten<br />
beim Kunden vor. „Da wir nicht die Größten<br />
sind, ist es positiv, wenn unser Kunde sieht,<br />
dass Konzerne wie BASF oder Bosch mit<br />
uns hinter den Entwicklungen stehen“, so<br />
Frentzel. Die Beziehungen zu den strate-<br />
gischen Lieferanten sollen daher eng und<br />
langfristig ausgerichtet sein. Schon früh<br />
Was CEOs für die bessere Wachstumsstrategie in den nächsten drei Jahren halten<br />
M&A Allianzen weder noch bzw. keine Angabe<br />
2008<br />
2009<br />
19<br />
30<br />
%<br />
22<br />
37<br />
Nordamerika<br />
Quelle: PricewaterhouseCoopers, CEO Survey<br />
2008<br />
2009<br />
36<br />
24<br />
%<br />
51<br />
29<br />
Lateinamerika<br />
2008<br />
2009<br />
36<br />
27<br />
%<br />
41<br />
24<br />
Westeuropa<br />
2008<br />
2009<br />
21<br />
20<br />
%<br />
30 16<br />
Osteuropa<br />
2008<br />
2009 27<br />
22<br />
%<br />
50<br />
46<br />
Asien/Pazifik
pwc: Titel<br />
wird Recaro über die Innovationsprojekte<br />
seiner strategischen Partner informiert, um<br />
daraus schließlich gemeinsam mehr ma-<br />
chen zu können.<br />
In solchen engen und langfristig orientierten,<br />
aber dennoch formbaren Partnerschaften<br />
fühlen sich Unternehmen jeder Größenord-<br />
nung heute am wohlsten, erklärt Professor<br />
Thomas Rautenstrauch von der Hochschule<br />
Luzern, der sich schon lange mit Unterneh-<br />
mensnetzwerken beschäftigt. Egal ob es<br />
kleine Bauunternehmen sind, die sich zu Ar-<br />
beitsgemeinschaften zusammenschließen,<br />
um größere Projekte stemmen zu können,<br />
oder Dax-Konzerne, die in Einkaufs- oder<br />
Entwicklungskooperationen ihre Wettbe-<br />
werbsfähigkeit verbessern: „Wilde Ehen“<br />
erweisen sich im Wettbewerb als wider-<br />
standsfähiger gegenüber verschachtelten<br />
Konglomeraten aus Mutter-Tochter-Bezie-<br />
hungen. Moderne Partnerschaften sind mit<br />
klaren Regeln fixiert, aber jederzeit flexibel.<br />
Sie können je nach Erfolg und Belieben be-<br />
endet, verlängert, intensiviert oder redu-<br />
ziert werden. Gegenseitige Abhängigkeiten<br />
schweißen die Partner aneinander, aber von<br />
einer gesellschaftsrechtlichen Bindung für<br />
die Ewigkeit halten sie wenig.<br />
Der Trend zur Partnerschaft ist jetzt auch<br />
mit Macht auf der Ebene der großen<br />
Konzerne angekommen, wo noch vor<br />
Kurzem der Fokus klar auf dem M&A-Ge-<br />
schäft lag, also der festen, unternehmens-<br />
rechtlichen Bindung. Das belegt der Anfang<br />
2009 veröffentlichte „CEO Survey“ von<br />
PricewaterhouseCoopers (<strong>PwC</strong>), eine Be-<br />
fragung von mehr als 1.000 CEOs aus aller<br />
Welt. In allen Weltregionen schätzten die<br />
Topmanager die Bedeutung von Partner-<br />
schaften höher ein als die von Fusionen und<br />
Übernahmen – ein Jahr zuvor waren die<br />
Partnerschaften nur in Asien höher bewer-<br />
tet worden.<br />
Diese Einschätzung korrespondiert mit dem<br />
dramatischen Einbruch im M&A-Markt im<br />
Lebenslange Treue<br />
Als alles begann, waren die beiden bereits<br />
zusammen. 1971 eröffnete McDonald’s sein<br />
erstes Restaurant in Deutschland. Schon<br />
damals kamen die Gurken auf dem Ham-<br />
burger sowie der Ketchup zu den Pommes<br />
von der Firma Develey aus Unterhaching.<br />
Bis heute sind sich die Deutschlandtochter<br />
des US-Gastrogiganten und das 18 gegründete<br />
bayerische Traditionsunternehmen<br />
treu geblieben.<br />
Kein Zufall, denn es ist die Strategie von<br />
McDonald’s, überall auf der Welt langfristig<br />
mit regionalen Partnern zusammen zu arbeiten.<br />
So könnten Produkt- und Prozessqualität<br />
am besten optimiert, vorangetrieben und<br />
die Versorgungssicherheit gewährleistet werden.<br />
„Wir brauchen schließlich große Mengen“,<br />
heißt es in der Deutschlandzentrale<br />
in München. Und das kommt auch Develey<br />
zugute.<br />
Mittlerweile werden rund 2 0 Produkte für<br />
McDonald’s produziert: Soßen, Gurken und<br />
Senfe, Ketchups, Mayos und Salatdressings.<br />
In rund 0 Länder werden die Develey-<br />
McDonald’s-Produkte exportiert. Und dass<br />
McDonald’s ein bedeutender Partner ist,<br />
beweisen die Zahlen für das Lizenzprodukt<br />
McDonald’s Tomato Ketchup: Über fünf<br />
Millionen Flaschen werden jährlich im Einzelhandel<br />
verkauft.<br />
Als Lebensmittellieferant ist Develey auch in<br />
die Entwicklung von Produkten und Promotionaktionen<br />
bei McDonald’s eng eingebunden.<br />
Und auch bei der Entwicklung neuer<br />
Spezialitäten ist der Rat der Unterhachinger<br />
Lebensmittelexperten gefragt.<br />
Die Gurken aus Unterhaching wurden bei<br />
McDonald’s zur weltweiten Benchmark<br />
gekürt. Auch bei der Zubereitung der Burger<br />
in Schanghai, Kapstadt oder Rio de Janeiro<br />
müssen sich die lokalen Küchenchefs an<br />
der bayerischen Qualität orientieren. Beim<br />
Ketchup allerdings muss Develey einem<br />
fremden Vorbild folgen – hier gilt der<br />
japanische Lieferant als Maß aller Dinge.<br />
vergangenen Jahr: So lag nach einer Studie<br />
der Universität St. Gallen das Gesamt-<br />
volumen aller angekündigten Unterneh-<br />
menstransaktionen mit 3,3 Billionen Dol-<br />
lar satte 28 Prozent unter dem Ergebnis<br />
des Jahres 2007. Den einzigen Rekordwert<br />
schaffte das Krisenjahr 2008 bei der Zahl<br />
der abgesagten Transaktionen: Insgesamt<br />
1.362 angekündigte M&A-Vorhaben wurden<br />
abgebrochen.<br />
Der tatsächliche Rückgang des klassischen<br />
M&A-Geschäfts fiel sogar noch stärker aus,<br />
als es die Transaktionsstatistiken anzeigen.<br />
Denn bei vielen dieser „Deals“ des vergan-<br />
genen Jahres hat nicht ein Unternehmen<br />
das andere gekauft, sondern der Staat sich<br />
bei einem Unternehmen eingekauft, um es<br />
vor der Pleite zu retten. Besonders heftig<br />
traf es da natürlich die Banken: Gleich bei<br />
zwölf der 20 größten Transaktionen in der<br />
europäischen Finanzdienstleistungsbranche,<br />
so eine <strong>PwC</strong>-Studie, traten im Jahr 2008<br />
Staaten oder Zentralbanken als Käufer auf.<br />
Die „wilden Ehen“ in der Wirtschaft sind ein<br />
vergleichsweise junges Phänomen. Zwar<br />
wechselten sich in der Wirtschaftsgeschich-<br />
te schon mehrfach Epochen, in denen es<br />
auf Größenwachstum ankam (wie Ende des<br />
19. Jahrhunderts), mit solchen ab, in denen<br />
Konzentration und Flexibilität belohnt wur-<br />
den (wie in der „Corporate Raider“-Zeit vor<br />
2 Jahren). Aber jetzt, so Professor Rauten-<br />
strauch, geht es nicht so sehr um Groß oder<br />
Klein, sondern um die Fähigkeit, in Netz-<br />
werken zu denken und zu arbeiten. Und für<br />
diesen Trend stehen vor allem zwei Begriffe:<br />
Globalisierung und Internet.<br />
Laut Rautenstrauch wurde das Umden-<br />
ken im Zuge der Globalisierung und dem<br />
sich daraus verschärfenden Wettbewerb<br />
erzwungen. Im harten globalen Wettbe-<br />
werb mussten bei der Herstellung von Wa-<br />
ren und Dienstleistungen auf jeder einzel-<br />
nen Wertschöpfungsstufe Höchstleistungen<br />
vollbracht werden.<br />
Statt viele Produkte auf wenigen Märken<br />
zu verkaufen, galt es nun, mit wenigen Pro-<br />
dukten auf vielen Märkten erfolgreich zu<br />
sein. Ohne lokale Partner war dieses Ziel<br />
schlicht nicht zu erreichen. Die Kommu-<br />
nikationsrevolution der vergangenen zwei<br />
Jahrzehnte schuf die Werkzeuge, um glo-<br />
bale Netzwerke auch tatsächlich installie-<br />
ren und nutzen zu können. Und das auch<br />
nicht nur in einer festen Konstellation, wie<br />
etwa in den internationalen Netzwerken der<br />
großen Werbeagenturen oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften,<br />
sondern in ständig<br />
wechselnden Formen.<br />
6 pwc: | juli 2009<br />
Treue: Seit Jahrtausenden gehen<br />
Hund und Mensch gemeinsam<br />
durchs Leben – in Jagd- oder<br />
Transportgemeinschaft oder ganz<br />
schlicht in gegenseitiger Sympathie.<br />
pwc: | juli 2009 7
pwc: Titel<br />
Für Professor Hans Corsten vom Lehrstuhl<br />
für Produktionswirtschaft an der Universität<br />
Kaiserslautern bestehen solche Netzwerke<br />
aus vielen Partnerschaften, die sich gegen-<br />
seitig permanent auf ihre Qualität hin über-<br />
prüfen und sich von Projekt zu Projekt neu<br />
konfigurieren.<br />
„Im Wettbewerb muss jeder Kooperationspartner<br />
versuchen, attraktiv für das Netzwerk zu bleiben.“<br />
Hans Corsten, Professor für Produktionswirtschaft, Universität Kaiserslautern<br />
Dabei kann die Kooperation durchaus auch<br />
mit Konkurrenzen innerhalb des Netzwerks<br />
einhergehen. „In der Praxis finden wir in<br />
den Unternehmensnetzwerken eine Fül-<br />
le von Kompetenzüberschneidungen“, so<br />
Corsten. Mit „Coopetition“ beschreiben<br />
Fachleute das Phänomen, dass Unterneh-<br />
men sich einerseits auf Märkten bekämpfen,<br />
gleichzeitig und punktuell aber zusammen-<br />
arbeiten.<br />
Pioniere des Coopetition-Modells waren in<br />
den 90er-Jahren die Fluglinien. Im Jahr 1997<br />
wurde die Star Alliance gegründet. Dieser<br />
Kooperation gehören derzeit 21 Fluggesell-<br />
8 pwc: | juli 2009<br />
schaften an, sie ist damit die größte Luft-<br />
fahrtallianz der Welt. Täglich finden im Rah-<br />
men des Verbunds 16. 00 Flüge zu rund<br />
912 Zielen in 1 9 Ländern statt.<br />
Zu den Gründungsmitgliedern gehört auch<br />
die Lufthansa. Aus ihrer Sicht ist die Star<br />
Alliance eine „wichtige Marketingallianz, aus<br />
der vielen Kunden große Vorteile entstehen“,<br />
so Lufthansa-Sprecher Boris Ogursky. Zu<br />
diesen Vorzügen gehören zum Beispiel auf-<br />
einander abgestimmte Linienflüge und der<br />
Aufbau eines weltweiten Netzwerks. So sind<br />
Around-the-World-Tickets möglich. Reisen-<br />
de benötigen auch für lange Strecken nur<br />
eine Buchung. Gemeinsam wurden auch<br />
Angebote für Vielflieger entwickelt. Dennoch,<br />
so Ogursky, „bleiben in einigen Bereichen<br />
die Teilnehmer der Allianz Wettbewerber“.<br />
Um Fluggäste buhlen die Linien eigenstän-<br />
dig, jeder legt einzeln seine Preise fest.<br />
Koexistenz: Der Madenhacker<br />
pickt sich Insekten und Lar-<br />
ven aus dem Fell der Impala-<br />
antilope, die dadurch parasi-<br />
tenfrei lebt.<br />
Nicht nur entlang der Wertschöpfungskette,<br />
sondern auch auf der gleichen Stufe voll-<br />
ziehen sich daher moderne Partnerschaften.<br />
„Und das ist wichtig“, meint Professor Hans<br />
Corsten. Nur so werde verhindert, dass die<br />
Netzwerke zu Schlafmützenvereinen wür-<br />
den: „Im Wettbewerb muss jeder Teilneh-<br />
mer versuchen, attraktiv für das Netzwerk<br />
zu bleiben.“<br />
Für das globale Wirtschaftssystem haben<br />
sich die erfolgreichen Unternehmen auf<br />
Symbiosen besonnen, die ihnen – zum ge-<br />
genseitigen Vorteil – ein sattes Wachstum<br />
jenseits der Heimatmärkte versprechen.<br />
Beispiel Autoindustrie: Die Hersteller bauen,<br />
oft mit lokalen Partnern, neue Fertigungs-<br />
stätten auf, konzentrieren sich auf die<br />
Montage vorproduzierter Systeme sowie<br />
Marketing und Vertrieb im neuen Land. In<br />
ihrem Gefolge bauen auch die Zulieferer<br />
neue Werke in der Nachbarschaft der Auto-<br />
fabrik auf.<br />
Der Erfolg solcher Kooperationen hat dazu<br />
beigetragen, dass es heute erklärtes Ziel<br />
der Autohersteller ist, gerade nicht an ihren<br />
Partnern beteiligt zu sein. Sie sehen sich als<br />
die Spitze eines Netzwerks aus Kernkom-<br />
petenzen und betrachten dies als System<br />
höchstmöglicher Effizienz. Dass dadurch<br />
auch Abhängigkeiten entstehen, ist ihnen<br />
bewusst. „Aber der Trend ist unumkehrbar“,<br />
sagt Rautenstrauch. „Vertrauen ist ein kon-<br />
stituierendes Element in allen Netzwerken.“<br />
Zulieferer wie Hersteller sind sich bewusst,<br />
dass sie ohneeinander nicht mehr können.<br />
So paradox es auch klingt: Ein Automobil-<br />
hersteller ist heute allein nicht mehr in der<br />
Lage, ein wettbewerbsfähiges Fahrzeug<br />
auf den Markt zu bringen. Aus den Zuliefe-<br />
rungen sind derart hochanspruchsvolle Sys-<br />
temkomponenten geworden, dass ein soge-<br />
nannter Tier-1-Zulieferer gar nicht mehr zu<br />
ersetzen ist.<br />
Dass es sich um eine gegenseitige Abhän-<br />
gigkeit handelt, macht die gegenwärtige<br />
Krise deutlich. Angesichts des starken<br />
Preisdrucks haben viele Zulieferer eine<br />
viel zu geringe Eigenkapitalbasis und sind<br />
schlecht auf die Rezession vorbereitet.<br />
Wenn ein Hersteller hustet, bekommen die<br />
Lieferanten eine Lungenentzündung. Doch<br />
die Hersteller können ihre Lieferanten nicht<br />
einfach sterben lassen, weil sonst die Pro-<br />
duktion und das Know-how gefährdet wä-<br />
ren. Das geht so weit, dass Autokonzerne<br />
sich zu der Geschäftsbeziehung zu insol-<br />
venten Zulieferern bekennen, um damit de-<br />
ren Fortbestand zu sichern – wie gerade<br />
geschehen beim niedersächsischen Boden-<br />
belagshersteller Stankiewicz, dem sowohl<br />
Groß mit Klein<br />
Karlsruhe ist für Peter Poths ein hervorra-<br />
gender Standort. Nicht nur, weil er und sei-<br />
ne rund 20 Mitarbeiter sich in der Region<br />
wohlfühlen, auch seine Firma B2M Soft-<br />
ware, die 200 gegründet wurde, ist dort in<br />
guter Gesellschaft: Rund um die Technische<br />
Universität (TU) hat sich aus Sicht von Po-<br />
ths eine interessante Szene aus kleinen<br />
und mittleren IT-Unternehmen angesiedelt.<br />
Mittendrin sitzt auch das Forschungszentrum<br />
CEC des Softwarekonzerns SAP, und<br />
dessen Zentrale in Walldorf ist auch nur 20<br />
Autominuten entfernt.<br />
Von Anfang an war klar, dass B2M eigen-<br />
ständig, aber nicht einsam bleiben sollte.<br />
Für die Partnersuche setzte Poths vor allem<br />
auf Forschungsprojekte: eine großartige<br />
Gelegenheit, um potenziellen Partnern fürs<br />
Leben näherzukommen.<br />
So zum Beispiel bei Soknos, einer jener<br />
Innovationsallianzen, welche die Bundesregierung<br />
im Rahmen ihrer Hightechstrategie<br />
fördern will. Das mit 9, Millionen Euro<br />
vom Bund unterstützte Projekt soll ein Einsatzleitsystem<br />
schaffen, das eine erheblich<br />
bessere Koordination der Sicherheits- und<br />
Rettungskräfte im Fall von Naturkatastrophen<br />
oder Terroranschlägen ermöglicht.<br />
B2M ist gemeinsam mit SAP beteiligt<br />
– alleine, so Poths, könnte er solche Projekte<br />
nicht stemmen: „Wir müssen 0 Prozent<br />
des Budgets selbst tragen. Unternehmen<br />
unserer Größe fällt es schwer, sich<br />
glaubwürdig allein um ein mehrere Millionen<br />
schweres Projekt zu bewerben.“ Da hilft ein<br />
großer Partner wie SAP.<br />
Die Forschungsallianzen sind für Poths kein<br />
Wert an sich: „Wenn daraus nicht neue Produkte<br />
und neue Kunden resultieren, bringen<br />
sie uns keinen Vorteil.“ Die Chancen<br />
auf neue Produkte und neue Kunden seien<br />
aber nirgends so groß wie in unmittelbarer<br />
Nähe zu einem Konzern wie SAP. „In einer<br />
solchen Partnerschaft ist es viel leichter, die<br />
Marktchancen neuer Produkte abzuschätzen.<br />
Daher sinkt auch das Risiko, Geld in<br />
die falschen Technologien zu investieren.“<br />
BMW als auch Mercedes die Treue aus-<br />
sprachen. Eine ähnliche industrielle Evo-<br />
lution, wie sie die Autobranche schon seit<br />
Jahrzehnten durchfährt, steht nach Ansicht<br />
von Netzwerkexperte Rautenstrauch jetzt<br />
auch der IT-Branche bevor. Eine neue Bau-<br />
weise für Software macht den Wandel mög-<br />
lich. Waren es früher, in der Blütezeit von<br />
pwc: | juli 2009 9
pwc: Titel<br />
„Vertrauen ist ein konstituierendes Element<br />
in allen Netzwerken.“<br />
Thomas Rautenstrauch, Professor für Controlling, Hochschule Luzern<br />
Coopetition: Eigentlich sind sie<br />
Konkurrenten. Was der Pelikan<br />
erjagt, kann der Kormoran nicht<br />
mehr bekommen. Aber weil sie<br />
gemeinsam mehr Beute machen<br />
als allein, gehen die Wettbewerber<br />
zusammen auf Fischzug.<br />
Rivalisierende Partner<br />
Daimler und BMW haben eines gemeinsam:<br />
Sie bauen Premiumfahrzeuge. Gerade<br />
das hat sie zu Rivalen gemacht, die sich im<br />
Wettbewerb nichts schenken. Doch heute<br />
ist aus dem reinen Wettbewerbsverhältnis<br />
eine Coopetition geworden. Die beiden<br />
Automobilhersteller aus Süddeutschland<br />
sind gleichzeitig Konkurrenten und Kooperationspartner.<br />
Entstanden ist eine Einkaufskooperation,<br />
die sogar noch ausgeweitet<br />
werden soll. Hauptwettbewerber ist Audi,<br />
denn der Oberklassekonkurrent aus dem<br />
Volkswagen-Konzern kann Mengenvorteile<br />
aus dem Konzernverbund realisieren. Volkswagen<br />
produziert jährlich sechs Millionen<br />
Autos – das sind mehr als doppelt so viel<br />
wie BMW und Mercedes zusammen. Diese<br />
beiden Hersteller suchen daher nach Teilen<br />
wie Gurtroller, Stellmotoren für Fensterheber<br />
oder Klimaanlagen, die für Kunden nicht<br />
sichtbar sind. Wenn sie davon gemeinsam<br />
größere Stückzahlen bei den Lieferanten<br />
einkaufen, können sie günstigere Konditionen<br />
aushandeln. Gemeinsam bringen<br />
BMW und Daimler auch ein Hybridsystem<br />
Microsoft, große monolithische Blöcke, die<br />
ein Unternehmen überwiegend allein erstell-<br />
te, so ist heute mithilfe der neuen service-<br />
orientierten Architektur – kurz: SOA – eine<br />
modulierte Entwicklung möglich.<br />
Am Ende könnte dann ein Softwareprodu-<br />
zent die Programme – ähnlich wie heute ein<br />
Automobilhersteller – aus einzelnen Sys-<br />
temkomponenten quasi „zusammenste-<br />
cken“. Kunden könnten ihre individuellen<br />
Lösungen entsprechend aus passenden<br />
Komponenten konfigurieren. Auf diese Wei-<br />
se lädt SOA ähnlich wie Open-Source-Soft-<br />
ware die IT-Entwickler zum Mitmachen ein<br />
und führt so zu einer stärkeren Arbeits-<br />
teilung in der Softwareindustrie – wobei an-<br />
ders als bei Open Source auch alle Beteilig-<br />
ten daran verdienen können.<br />
Die Zahl der Unternehmen, die auf die-<br />
se Methode setzen, wächst gerade rasant.<br />
Das zeigt der „SOA Check 2009“, den die<br />
TU Darmstadt und der IT-Analyst Wolfgang<br />
Martin gerade vorgestellt haben. Von 2007<br />
bis 2009 stieg der Anteil der Unternehmen,<br />
die in SOA-Projekten involviert sind, von 31<br />
auf 7 Prozent.<br />
Über SOA macht sich auch Professor Lutz<br />
Heuser Gedanken. Er ist Forschungschef<br />
bei SAP in Walldorf. Sein Unternehmen hat<br />
sich längst dazu bekannt, die Programme<br />
für die S-Klasse von Mercedes und den 7er-<br />
BMW auf den Markt.<br />
Bei Teilen, die der Kunde wahrnimmt und<br />
über welche die beiden Marken sich<br />
differenzieren, gilt eine Kooperation aber<br />
weiterhin als undenkbar. Gemeinsame Antriebsaggregate<br />
von BMW und Daimler sind<br />
daher chancenlos, ebenso wie eine gemeinsame<br />
Plattformstrategie. „Die Unverwechselbarkeit<br />
der Marken ist ein hohes Gut. Ich<br />
verzichte lieber auf einen Größenvorteileffekt,<br />
als unsere Marken zu gefährden“, hat<br />
BMW-Vorstandschef Norbert Reithofer erklärt.<br />
Reithofer kann sich aber gut vorstellen,<br />
dass weitere Möglichkeiten der Kooperation<br />
mit Daimler bei Teilen geprüft werden,<br />
die nicht markenprägend sind.<br />
So können die Bayern den Nachteil, den sie<br />
als mittelgroßer Hersteller im Einkauf gegenüber<br />
den ganz Großen haben, wettmachen,<br />
ohne ihre Flexibilität und die schlankeren<br />
Strukturen aufzugeben. Man wolle<br />
auch in Zukunft ein unabhängiges Unternehmen<br />
bleiben, betont Reithofer im Zuge<br />
der Kooperationsdiskussion denn auch.<br />
künftig mithilfe der neuen Architektur zu<br />
bauen, um sie besser und ökonomischer<br />
entwickeln zu können und für die Zukunft<br />
immer komplexere Produkte beherrschbar<br />
zu halten. Dazu braucht der Konzern<br />
starke Partner, ist sich Heuser bewusst. So<br />
arbeiten seine Forscher nicht nur an Ideen<br />
für Programme, sondern auch an Netzwerken<br />
– und zwar global, in Karlsruhe, Darmstadt<br />
und Dresden genauso wie in Schanghai,<br />
Brisbane, Pretoria, oder im israelischen<br />
Ra´anana.<br />
Auf allen Kontinenten formt Heuser Kooperationen,<br />
indem er seine SAP-Kollegen mit<br />
Wissenschaftlern aus Hochschulinstituten,<br />
Mittelständlern oder anderen Konzernforschern<br />
vernetzt. Die Partnerschaften,<br />
die daraus entstehen, braucht SAP genauso<br />
wie andere Unternehmen, weil sich die<br />
Märkte der Zukunft immer weniger mit einfachen<br />
Produkten zufriedengeben werden.<br />
„Sie werden nach komplexen Lösungen verlangen,<br />
also Kombinationen aus Produkten<br />
und Dienstleistungen“, erklärt Heuser. Und<br />
natürlich darf Software dabei nicht fehlen.<br />
Damit am Ende wirkliche Innovationen<br />
stattfinden, brauchen Softwareentwickler<br />
den Kontakt zu Hardwareproduzenten, und<br />
beide zusammen wiederum benötigen Integrationsspezialisten,<br />
welche die Komponenten<br />
zusammenführen. Alleine könnte<br />
wohl selbst ein Riese wie SAP die großen<br />
Innovationen der Zukunft gar nicht mehr<br />
beherrschen. Wie in der Automobilindustrie<br />
werden Netzwerke, in denen sich jeder<br />
auf seine Kernkompetenz konzentriert, den<br />
Wettbewerb dominieren.<br />
Vergleichsweise kooperationsfern agiert<br />
hingegen derzeit noch eine andere<br />
Zukunftsbranche: die Biotechnologie. Die<br />
großen Pharmaunternehmen setzen eher<br />
auf Übernahmen als auf Partnerschaften,<br />
so wie sie es aus ihrem klassischen Markt<br />
gewohnt sind. Das ist auch so lange sinnvoll,<br />
wie es bei der Entwicklung neuer Arzneien<br />
vor allem auf die Schutzrechte auf<br />
den Wirkstoff ankommt: Der Großkonzern<br />
verfügt über die Marketingpower, um neue<br />
Medikamente weltweit zu verkaufen, und<br />
wenn seine eigene Forschungsabteilung<br />
nicht genügend Nachschub für die Produktpipeline<br />
liefert, kauft er eben Biotechfirmen<br />
dazu, die über Patente auf aussichtsreiche<br />
Wirkstoffe verfügen.<br />
Aber dieses bewährte Muster ändert sich<br />
gerade. Denn auf dem Pharmamarkt der<br />
Zukunft spielen nicht nur Wirkstoffe, sondern<br />
auch die dazugehörigen Diagnosetechniken<br />
eine große Rolle – und die lassen<br />
sich nicht so einfach kaufen.<br />
Der Schlüsselbegriff für diese neue Entwicklung<br />
heißt Biomarker. Das sind DNA-<br />
Sequenzen, die Aussagen darüber ermöglichen,<br />
ob ein Wirkstoff bei einem Patienten<br />
überhaupt anspricht oder bestimmte Nebenwirkungen<br />
zu erwarten sind. Auch Prädispositionen<br />
für Krankheiten lassen sich so<br />
aufzeigen.<br />
Wenn, so Branchenexperten, die Diagnostik<br />
per Biomarker bald zu den Medikamenten<br />
dazugehören wird, werde das die Unternehmen<br />
auf einen Kooperationspfad zwingen.<br />
Erstens, weil die Schutzrechte an<br />
solchen Biomarkern jetzt schon zu weit<br />
innerhalb der Industrie – auch unter den<br />
großen Playern der Branche – gestreut sind.<br />
10 pwc: | juli 2009 pwc: | juli 2009 11
pwc: Titel<br />
Und zweitens, weil die hohe Nachfrage<br />
nach Biomarkern es nahelege, Netzwerke<br />
mit Anreizsystemen so aufzubauen, dass<br />
möglichst viele Biomarker möglichst schnell<br />
entdeckt werden. Sowohl Coopetition-<br />
Modelle als auch Kooperationen zwischen<br />
kleinen Unternehmen und Großkonzernen<br />
dürften dann auch in der Biotechbranche<br />
Einzug halten.<br />
Der Zwang zu Partnerschaften gilt für die<br />
klein- und mittelständischen Unternehmen,<br />
die KMUs, erst recht. Die im Mittelstand<br />
noch knapperen Ressourcen machen es<br />
noch zwingender erforderlich, zu gemein-<br />
samer Stärke zu finden. Das haben frag-<br />
Lösungen für die Auflösung<br />
Hinter einer Unternehmenskooperation<br />
steht in der Regel der Wunsch nach einer<br />
stabilen und langlebigen Partnerschaft, und<br />
oft sind die Beziehungen auch von Dau-<br />
er. Dennoch sollten Kooperationspartner<br />
schon vor der „wilden Ehe“ darüber nach-<br />
denken, welche Abhängigkeiten im Laufe<br />
der Jahre entstehen und welche Auswir-<br />
kungen eine Trennung haben kann. Denn<br />
oft bestehen keine detaillierten Verträge, in<br />
denen geregelt ist, wie die Auflösung der<br />
Beziehung erfolgen soll. Und alles ist ver-<br />
traglich auch nicht zu regeln.<br />
So ist es geradezu unvermeidlich, dass der<br />
Partner im Laufe der Jahre Know-how auf-<br />
baut und Einblicke in die eigenen Prozesse<br />
und Technologien erhält. Hier ist grund-<br />
sätzlich zu prüfen, wie eng die Beziehung<br />
werden soll und wo kritisches Know-how<br />
nicht die Unternehmensgrenzen verlas-<br />
sen darf. Dafür ist es notwendig, ganz un-<br />
abhängig vom Vertrauen zwischen den<br />
Partnern und der Intensität der Beziehung<br />
einmal das Szenario des Scheiterns durch-<br />
los auch die Wirtschaftsförderungsgesell-<br />
schaften erkannt. Sie bauen seit Jahren<br />
Cluster auf, mit denen sie die Wirtschafts-<br />
kraft der Regionen stärken wollen, indem<br />
zuspielen – das Risikomanagement soll-<br />
te die Wahrscheinlichkeit eines Verlustes<br />
von Großkunden ebenso berücksichtigen<br />
wie Handlungsoptionen für den Fall neuer<br />
Konstellationen, etwa nach einer fusions-<br />
bedingten Branchenkonsolidierung.<br />
Am Beispiel der Autoindustrie lässt sich<br />
aufzeigen, dass oft auf vertragliche Rege-<br />
lungen zum Trennungsfall verzichtet wird.<br />
Typisch ist, dass der Hersteller mit seinen<br />
Zulieferern nach der Auswahl lediglich ei-<br />
nen Nomination Letter verfasst, erklärt der<br />
Jurist und Transaktionsexperte Denis Ba-<br />
cina von PricewaterhouseCoopers (<strong>PwC</strong>).<br />
Diese „Letter of Intent“ sind Schriftstücke,<br />
in denen im Fall von unvorhergesehenen<br />
Schwierigkeiten mit der Folge einer Auflö-<br />
sung der Beziehung relativ wenig geklärt ist.<br />
Bacina weist darauf hin, dass die Partner<br />
einen Nomination Letter jederzeit beenden<br />
können. Für ihn ist das aber ein eher theo-<br />
retischer Fall: „In der Regel wird das keiner<br />
machen. Die Investitionen in den Beginn der<br />
Partnerschaft sind einfach zu groß.“<br />
Auflösung: Nicht alle Probleme kann man gemein-<br />
sam lösen. Manchmal muss man sich, wie hier Ze-<br />
bras und Gnus, trennen und alleine weitermachen.<br />
sie Unternehmen vernetzen. Christiane<br />
Kerlen, wissenschaftliche Beraterin am VDI/<br />
VDE Innovation und Technik in Berlin und<br />
Expertin für Evaluation von Unternehmens-<br />
netzwerken, hat schon eine ganze Reihe<br />
dieser Kooperationen untersucht. Ihr Urteil:<br />
Das Tempo ist in der Wirtschaft durch den<br />
Einsatz der Informations- und Kommunika-<br />
tionstechnologien derart schnell geworden,<br />
dass es für Firmen immer schwieriger ist,<br />
auf sich allein gestellt zu bleiben.<br />
Erfolgsfaktoren sind aus Sicht der Bera-<br />
terin vor allem Geduld und ein festes Be-<br />
kenntnis der Entscheidungsträger. Denn<br />
es kann Jahre dauern, bis Partnerschaften<br />
echten Nutzen bringen. Und umsonst gibt<br />
es nichts. „Unternehmen müssen Geld und<br />
personelle Ressourcen einbringen“, so Ker-<br />
len. „Sie müssen Mitarbeiter für gemein-<br />
same Arbeitsgemeinschaften abstellen und<br />
Zeit einräumen, damit diese ihre mitge-<br />
brachten Hausaufgaben erledigen können.“<br />
In der Regel zahle sich der Einsatz am Ende<br />
aber aus, weil Kosten gespart werden und<br />
die Wettbewerbsfähigkeit steigt.<br />
Die menschlichen Kontakte sind am Ende<br />
viel entscheidender für den Erfolg als eine<br />
gesellschaftsrechtliche Bindung. Denn die<br />
lenkt nur von den eigentlichen Zielen der<br />
Kooperation ab und schafft neue Probleme<br />
und Konfliktherde. Am Ende ist es das ge-<br />
meinsame Ziel, dass die Partnerschaft zum<br />
Erfolg führt und nicht der Treueschwur vor<br />
dem Handelsregister.<br />
12 pwc: | juli 2009<br />
Der Schweizer Rolf Dobelli, 3, ist Grün-<br />
der, CFO und Aufsichtsratschef von get-Ab-<br />
stract, dem Weltmarktführer für Buchzu-<br />
sammenfassungen, und Schriftsteller.<br />
Er lebt in Miami und Luzern.<br />
Dobellistik<br />
Kooperation, meine Damen und Herren, ist<br />
die Grundlage allen Wirtschaftens. Ohne<br />
Kooperation kein Fortschritt, keine Zivilisa-<br />
tion, kein Wohlstand. Schauen Sie ins Tier-<br />
reich. Es gibt keine Spezies, die so intensiv<br />
kooperiert wie der Mensch. Löwen jagen<br />
in Gruppen von höchstens vier, fünf Tie-<br />
ren. Ein halbes Dutzend Schimpansen rottet<br />
sich zusammen, um Eindringlinge aus ihrem<br />
Revier zu verjagen.<br />
Wie armselig im Vergleich zu uns! Ameisen,<br />
ja, aber die sind genetisch betrachtet alle<br />
Schwestern, und keine Kolonie kooperiert<br />
mit der anderen. Wie mickrig im Vergleich<br />
zur globalen Wirtschaft, wo Millionen von<br />
Menschen, Staaten und Firmen zusammen-<br />
arbeiten. Man darf behaupten: Was den<br />
Menschen zum Menschen macht, ist nicht<br />
seine Intelligenz, sondern seine Fähigkeit<br />
zur Kooperation. Was kann ich Ihnen zum<br />
Thema Kooperation raten? Erstens: Koope-<br />
rieren Sie! Vergessen Sie emotionale Intel-<br />
ligenz. Was Sie brauchen, ist kooperative<br />
Intelligenz. Machen Sie Ihre Kooperations-<br />
fähigkeit zum unschlagbaren Wettbewerbs-<br />
vorteil. Verwirren Sie Ihre Konkurrenten mit<br />
Ihrer Paarungsfähigkeit, mit Ihrer poly-<br />
gamen Potenz. Kündigen Sie jeden Tag<br />
mindestens eine neue Allianz an. Auf Ihrer<br />
Homepage sollten die Logos Ihrer Koope-<br />
rationspartner leuchten wie New York by<br />
Night. Ihr neues Credo lautet: Cooperate or<br />
perish. Zweitens: Stellen Sie sicher, dass<br />
jeder Mitarbeiter mindestens in ein Dutzend<br />
Kooperationen eingebunden ist. Eine vier-<br />
dimensionale Matrixstruktur eignet sich<br />
hierfür bestens. Oft ist es gar nicht so wich-<br />
tig, den Zweck einer Partnerschaft festzu-<br />
legen. Menschen sind kreativ. Sie werden<br />
den Kooperationen einen Sinn geben.<br />
Drittens: Je größer Ihr Kooperationspartner,<br />
desto besser. Großfirmen sind so sehr mit<br />
sich beschäftigt, dass Sie jede Zusammen-<br />
arbeit zu Ihren Gunsten drehen können.<br />
Davids unschlagbarer Vorteil. Wenn Sie eine<br />
kleine Softwarefirma sind, kooperieren Sie<br />
mit Microsoft. Sind Sie ein Sanitärgeschäft,<br />
nennen Sie sich Kooperationspartner des<br />
Stararchitekten Frank Gehry – auch wenn<br />
Sie nur ein Abwasserrohr geliefert haben.<br />
Viertens: Irgendwann werden Sie keine<br />
Partner mehr finden, mit denen Sie koope-<br />
rieren können. Dann kooperieren Sie mit Ih-<br />
ren Konkurrenten. Und wenn Sie sich mit al-<br />
len Ihren Konkurrenten vereint haben, dann<br />
lassen Sie Ihre Kooperationen miteinander<br />
kooperieren. Lassen Sie sie Joint Ventures<br />
eingehen, Mergers anbahnen, Allianzen<br />
schmieden, lassen Sie sie sich gegenseitig<br />
bestäuben. Sie werden staunen, welch<br />
entzückende Firmenflora sich daraus<br />
höchstorganisch entwickelt. Kein Investor,<br />
kein Wirtschaftsprüfer, kein Steuerkommis-<br />
sar wird das wuchernde Dickicht je durch-<br />
dringen. Stattdessen wird man staunen ob<br />
der Vielfalt und Vitalität Ihres Konzerns. Ein<br />
Tipp zum Sprachgebrauch. Nennen Sie<br />
eine Kooperation niemals einfach Koope-<br />
ration. Argumentieren Sie mit Begriffen wie:<br />
natürlicher Fit, Ehe im Himmel, Yin-Yang,<br />
Traumpaar, organische Kombination, Eins-<br />
pluseinsgleichdrei, Verschmelzung, strate-<br />
gisches Bündnis, taktischer Pakt, globale<br />
Entente – und zögern Sie nicht, Adjek-<br />
tive wie revolutionär, bahnbrechend und<br />
epochemachend in den Mund zu nehmen.<br />
Fünftens: Lösen Sie Kooperationen niemals<br />
auf. Auch nicht, wenn sie Ihrer Bottom-Line<br />
schaden. Lassen Sie ein Rumpfteam weiter-<br />
hin Aktivitäten entfalten – einige Meetings<br />
pro Monat und rege E-Mail-Korrespondenz<br />
genügen. Merken Sie sich: Eine Koopera-<br />
tion, die nichts taugt, taugt immerhin für<br />
einen gesunden Komplexitätsschub.<br />
Sie zweifeln? Dann denken Sie sich einmal<br />
das Gegenteil: keine Kooperation. Jede Fir-<br />
ma ein Monolith, klassizistisch rein, sauber,<br />
transparent und langweilig. Mitarbeiter, die<br />
wissen, was zu tun ist. Manager, die erken-<br />
nen, was ihr eigentlicher Auftrag ist. Eine<br />
unmissverständliche Strategie. Ein glas-<br />
klares Organigramm. Ich frage Sie: Wollen<br />
Sie das? Und – was wäre damit gewonnen?<br />
Ich frage Sie auch: Gibt es ein schöneres<br />
Gefühl, als durch Tokio, New York, Moskau,<br />
Buenos Aires oder Zürich zu schlendern<br />
und Menschen anzusprechen mit: „Kennen<br />
wir uns nicht von irgendwoher? Wir haben<br />
doch diese Kooperation …?“ Sie werden<br />
sich in die Arme fallen und vor Freude<br />
schluchzen. Fraternité! 220 Jahre nach der<br />
Französischen Revolution werden wir end-<br />
lich alle Brüder sein.<br />
PS: Wenn ich, meine Damen und Herren,<br />
nach einem anstrengenden Tag nach Hause<br />
komme und meiner Frau eine Kooperation<br />
anbiete, dann könnte sie die Welt umarmen.<br />
Nein: Sie tut es.<br />
pwc: | juli 2009 13
pwc: Trends<br />
Grün einkaufen für den Staatshaushalt<br />
Von Dienstwagen bis zum Kantinenessen,<br />
vom Recyclingpapier bis zum Stromvertrag<br />
– wenn die Bundesregierung shoppen geht,<br />
macht sie das im großen Stil. Mit einem Vo<br />
lumen von etwa 360 Milliarden Euro macht<br />
die öffentliche Beschaffung rund 17 Pro<br />
zent des Bruttoinlandsprodukts aus. Solan<br />
ge aber die Ausgaben nicht an Kriterien der<br />
Nachhaltigkeit ausgerichtet werden, besteht<br />
die Gefahr, dass der Steuerzahler doppelt<br />
zahlt. Denn der Kauf ökologisch vorteilhaf<br />
ter Produkte schützt nicht nur die Um<br />
welt. „Dem höheren Einkaufspreis für um<br />
weltfreundliche Güter stehen in der Regel<br />
niedrigere Betriebskosten gegenüber“, sagt<br />
Stefan Calvi, Nachhaltigkeitsexperte bei<br />
<strong>PwC</strong>. Eine Vergabepraxis nach dem Mot<br />
to „Geiz ist geil“ führt zwangsläufig in die<br />
Sackgasse. Das weiß man schon lange. Be<br />
reits im Jahre 2002 beim UNWeltgipfel für<br />
nachhaltige Entwicklung in Johannesburg<br />
haben sich die teilnehmenden Regierungen,<br />
Süße Grüße aus Mannheim<br />
Mit 50 Kilogramm Schokolade hat SchokinagChef HansJoachim<br />
Herrmann vier <strong>PwC</strong>Mitarbeiter aus Mainz belohnt. „Sie haben die<br />
Dinge meisterlich auseinandergenommen und präsentiert und auf<br />
diese Weise wieder einmal unter Beweis gestellt, dass wir uns mit<br />
den richtigen Prüfern zusammengetan haben“,<br />
schreibt Herrmann in einem Brief.<br />
Der Produzent von Rohschokolade<br />
konnte mit Beistand der <strong>PwC</strong>ler Verkaufsverhandlungen<br />
mit dem USamerikanischen<br />
Hersteller von Rohstoffen<br />
für Lebensmittel ADM mit Erfolg<br />
abschließen. Für ADM bedeutet diese<br />
Akquisition einen wichtigen strategischen<br />
Schritt zur Erschließung des<br />
europäischen Markts. Ob ADM nun<br />
auch ein Dankeschönpaket nach<br />
Mainz schickt, bleibt abzuwarten –<br />
es könnte wieder lecker werden.<br />
darunter die Bundesrepublik Deutschland,<br />
dazu verpflichtet, „umweltfreundliche<br />
Produkte und Dienstleistungen durch öffentliche<br />
Beschaffung auf allen Ebenen zu<br />
fördern“. Dennoch hinkt Deutschland hinterher.<br />
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung<br />
verweist auf die Niederlande, wo sich<br />
die Regierung bis 2020 das Ziel gesetzt hat,<br />
100 Prozent der öffentlichen Beschaffung<br />
nachhaltig zu gestalten. In Deutschland<br />
kaufen zwar einige Kommunen fair gehandelten<br />
Kaffee oder Ökostrom, es fehlen aber<br />
gesetzliche Vorgaben und Kontrollen vom<br />
Bund. www.pwc.de/de/sustainability<br />
Sonnige Aussichten für Solarbranche<br />
Mit einer Vervierfachung<br />
des Gesamtwerts der Fusionen<br />
und Beteiligungen<br />
kann die Solarbranche aufwarten,<br />
der Wert ist von<br />
1,15 auf rund 5,36 Milliarden<br />
USDollar gestiegen.<br />
Das Potenzial ist noch nicht<br />
ausgeschöpft. „Für Anbieter<br />
erneuerbarer Energien<br />
dürfte 2009 ein Schlüsseljahr<br />
werden“, sagt Manfred<br />
Wiegand, der bei <strong>PwC</strong> weltweit für die Energieversorgungsbranche<br />
verantwortlich ist. Das weitere Wachstum der Branche hängt davon<br />
ab, ob sich die Regierungen – insbesondere die der USA – auch in<br />
Zeiten der Rezession auf Klimaschutzziele verpflichten lassen und<br />
die alternative Energieerzeugung trotz Krise weiter subventionieren.<br />
www.pwc.de/de/pwc367<br />
Attraktivere Renditen in der Krise<br />
München und Hamburg sind die hervorragendsten Städte<br />
Europas – so jedenfalls sehen das internationale Immobilieninvestoren.<br />
<strong>PwC</strong> und das Urban Land Institute fragten über<br />
500 Experten nach ihrer Einschätzung zu den Entwicklungen im<br />
internationalen Immobilienmarkt. Vier deutsche Städte sind im<br />
europäischen Vergleich unter den Top Ten. „Der deutsche<br />
Immobilienmarkt gewinnt in der Krise an Attraktivität“, sagt<br />
Helmut Trappmann, RealEstateExperte bei <strong>PwC</strong>. Die Risiken<br />
hierzulande sind niedriger als in früheren Boomregionen. Die<br />
Renditechancen haben zwar unmittelbar nach der Krise nachgelassen,<br />
die deutschen Städte konnten aber mit überdurchschnittlichen<br />
Erträgen punkten – München an der Spitze mit<br />
einem besonders attraktiven privaten Wohnungsmarkt und Hamburg auf Platz zwei. Berlin<br />
und Frankfurt stehen auf dem neunten und zehnten Rang. Frankfurt ist um drei Plätze von<br />
der Sieben auf die Zehn gerutscht. „Die Bankenmetropole bekommt die Finanzkrise zweifellos<br />
zu spüren“, sagt Trappmann. Der Markt für Büroimmobilien scheint gesättigt.<br />
Vorjahressieger Moskau hat 2009 nur den sechsten Platz erreichen können: Investitionsrisiken.<br />
Istanbul, im letzten Jahr die zweitattraktivste Metropole Europas, ist einen Rang<br />
heruntergerutscht und steht jetzt auf Platz drei. Die Schöne am Bosporus biete für Immobilienentwickler<br />
sogar die besten Perspektiven, wird aber von den Experten auch mit einem<br />
hohen Risiko bewertet. www.pwc.de/de/pwc368<br />
16.400.000.000<br />
USDollar beträgt das Volumen der Fusionen und<br />
Übernahmen der Metallindustrie in der Region Asia<br />
Pacific, 2007 waren es noch 7,2 Milliarden. Die Zahl<br />
der Übernahmen ist in Asien von 148 auf 185 gestiegen.<br />
In Europa läuft der Trend konträr: Die<br />
Anzahl der Übernahmen ist von 104 auf 65 gesunken,<br />
die Volumina fielen von 20,1 auf 8,5 Millionen<br />
USDollar. www.pwc.de/de/pwc369<br />
Die Welt der Versicherer steht Kopf<br />
Die Versicherungsindustrie ist tief verunsichert. „Für die<br />
Versicherungskonzerne ist die Welt heute eine vollkommen<br />
andere als noch vor 18 Monaten“, sagt Werner<br />
Hölzl, Vorstandsmitglied und Leiter des Bereichs Versicherungen<br />
bei <strong>PwC</strong>. Vor dem Ausbruch der Finanzkrise<br />
gingen noch über 20 Prozent der Brancheninsider<br />
davon aus, dass die Versicherungswirtschaft gut aufgestellt<br />
sei. Inzwischen sagen das nur noch vier Prozent.<br />
Das ergab der diesjährige „Insurance Banana Skins<br />
Survey“ von <strong>PwC</strong>. 2007 standen noch Überregulierung,<br />
Naturkatastrophen und Managementqualität ganz oben<br />
auf der Sorgenskala der Versicherungsmanager und<br />
Branchenbeobachter. Heute bereiten sinkende Renditen,<br />
volatile Aktienmärkte und Kapitalknappheit der Branche<br />
Kopfschmerzen. www.pwc.de/de/pwc370<br />
Drei Fragen an ...<br />
Jens Rönnberg<br />
... zu Transaktionen im Finanzsektor<br />
pwc: Welche Rolle spielt der Staat aktuell<br />
im Bankensektor?<br />
Rönnberg: Die teilweise oder komplette Verstaatlichung<br />
europäischer Banken ist 2008<br />
weit vorangeschritten. Die Regierungen investierten<br />
rund 104 Milliarden Euro in nationale<br />
Institute. Damit entfielen fast 70 Prozent<br />
des M&ATransaktionsvolumens im<br />
Bankensektor auf Anteilskäufe von Staaten.<br />
Wie sieht es in den anderen Finanzdienstleistungsbereichen<br />
aus?<br />
Im Vergleich zu 2007 fiel das M&AVolumen<br />
im gesamten Finanzdienstleistungssektor<br />
von 208 auf 179 Milliarden Euro. Bereinigt<br />
um die staatlichen Aktivitäten wäre das Volumen<br />
sogar um 65 Prozent eingebrochen.<br />
Wie wird sich die staatliche Einflussnahme<br />
auf die Politik der Banken auswirken?<br />
Die Vorstände der Finanzinstitute werden<br />
Übernahmen künftig nicht nur gegenüber<br />
privaten Anteilseignern, sondern auch<br />
gegenüber Ministern und Steuerzahlern<br />
rechtfertigen müssen.<br />
Jens Rönnberg ist Transaktionsexperte im<br />
Bereich Financial Services.<br />
14 pwc: | juli 2009 pwc: | juli 2009 15
pwc: Märkte<br />
Warschau, Istschau,<br />
Wirdnochschauer<br />
Dass Polen für Hochtief zum immer näheren Osten wurde, verdankt der<br />
Baukonzern Managern wie Bernhard Bürklin und Christoph Kohlhaussen.<br />
Von Anja Dilk<br />
Über den Dächern von<br />
Warschau: In Polens<br />
Hauptstadt mischen sich<br />
glitzernde Bürohochhäuser<br />
unter die klassizistischen<br />
Regierungsbauten.<br />
„Polen ist ein glückliches Land, die Wirtschaftskrise<br />
wird sich nicht so stark niederschlagen.“<br />
Christoph Kohlhaussen, CFO Hochtief Polska<br />
16 pwc: | juli 2009<br />
An einem grauen Januarnachmittag 1990<br />
betritt Bernhard Bürklin zum ersten Mal<br />
polnischen Boden. Tief hängen die Wolken<br />
über dem Flughafengelände am Rande von<br />
Warschau. Grau sind auch die Gebäude, in<br />
der Ferne sieht Bürklin Baucontainer, Laster,<br />
Zäune, einen alten Hubschrauberlandeplatz.<br />
Er atmet tief durch: In zweieinhalb<br />
Jahren sollen hier Flugzeuge im Minutentakt<br />
starten und landen. „Wie sollen wir das bloß<br />
schaffen?“ Der 34-Jährige schlägt den Kragen<br />
seiner Jacke hoch und stapft durch den<br />
Schneematsch zum Bauherrenbüro.<br />
April 2009, Essen, Hochtief-Zentrale. Die<br />
Sonne steht hoch über dem Altbau aus<br />
Gründerzeiten. „Herzlich willkommen“, ruft<br />
Bernhard Bürklin lächelnd und bittet in sein<br />
Büro. „Leiter Corporate Projects“ steht inzwischen<br />
auf seiner Visitenkarte. Er ist bester<br />
Stimmung an diesem strahlenden Montagmorgen.<br />
Vielleicht, weil er sich gerne<br />
erinnert an seine Pionierjahre in Polen, von<br />
denen er heute erzählen soll.<br />
19 Jahre ist es jetzt her, dass sein Chef ihn<br />
zu sich bat, kurz nachdem Hochtief den<br />
Zuschlag für den Ausbau des internationalen<br />
Flughafens in Warschau erhalten hatte.<br />
„Bürklin, wir brauchen jemanden für die Bauleitung:<br />
Wollen Sie das machen?“ Ein gewaltiges<br />
Projekt stemmen auf einem neuen<br />
Markt; zwei Jahre in einer völlig neuen Welt<br />
an Deutschlands Ostgrenze.<br />
Natürlich hatte Bürklin schon „Fronterfahrung“,<br />
wie er es nennt: Auslandseinsätze in<br />
Malaysia, Togo, Oman und zwei Jahre in der<br />
Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf.<br />
Auch dieses Mal war der Ingenieur bereit,<br />
mit seiner Frau und drei Kindern die Koffer<br />
zu packen: „Wieder eine besondere Herausforderung<br />
im Ausland, das hat mich gereizt.“<br />
Zumal das Flughafenprojekt zu den ersten<br />
gehörte, bei denen Hochtief nicht nur den<br />
Bau, sondern auch Planung und Strukturierung<br />
der Finanzierung übernehmen sollte.<br />
Ein „Meilenstein“, wie er heute sagt, für die<br />
Geschäftspolitik des Konzerns.<br />
Bernhard Bürklin nimmt einen Schluck grünen<br />
Tee und lehnt sich zurück. Polen kurz<br />
nach dem Mauerfall, „das war eine völlig<br />
andere Welt. Ostzone, mehr Russland als<br />
Europa.“ In der Ausschreibungsphase hatten<br />
Hochtief-Mitarbeiter bereits einige Ansprechpartner<br />
vor Ort kennengelernt, wertvolle<br />
Kontakte für den Start aus dem Nichts.<br />
Nichts hieß: kein Büro, fast keine Mitarbeiter,<br />
keine Unterkünfte, keine Geräte, keine<br />
Bankverbindung, kein Telefon. Bürklin<br />
zapfte seine Kontakte an und die Kontakte<br />
der Kontakte. „Kennt ihr jemanden, habt ihr<br />
Tipps, könnt ihr uns weiterhelfen?“<br />
Er holt einen Ingenieur aus der Essener<br />
Zentrale, einen gebürtigen Polen, der ihm<br />
hilft, über das Polytechnikum in Warschau<br />
Nachwuchs anzuwerben. Studenten für<br />
Praktika, Absolventen für den ersten Job. In<br />
Essen bekommen sie den Endschliff für das<br />
Projekt. Viele der Polytech-Ingenieure sind<br />
heute Bauleiter.<br />
Nach ein paar Monaten zieht die Mannschaft<br />
in einen eigenen Baucontainer, mit<br />
Ikea-Möbeln aus Berlin. Zwar gibt es ein<br />
Telefon, doch durchzukommen ist unmöglich.<br />
Kurzerhand stellt der Bauleiter eine Telefonistin<br />
ein, die nichts anderes zu tun hat,<br />
als morgens eine Leitung herzustellen und<br />
anschließend den Hörer den ganzen Tag<br />
neben die Gabel zu legen. Standleitung auf<br />
polnische Art.<br />
Ohne Sprachkenntnisse fallen die ersten<br />
Schritte schwer. Die Gespräche mit dem<br />
Bauherrn laufen auf Englisch, doch der Arbeitsalltag<br />
ist ohne Dolmetscher undenkbar.<br />
Gerade bei Verhandlungen ein tückischer<br />
Fallstrick. Irgendwann merken Bürklin<br />
und sein Team, dass manche Lieferanten<br />
durchaus Deutsch verstehen, es aber verschweigen,<br />
um sich unbemerkt absprechen<br />
zu können. Wie jener Betonproduzent, der<br />
im Verhandlungsschacher nach polnischer<br />
Rücksprache mit seinem Kollegen sagte:<br />
„Mehr als drei Prozent Nachlass können<br />
wir nicht geben.“ Da hat sich Bürklin aber<br />
schon etwas eingehört in die polnischen<br />
Zahlen: „Ihr Kollege hat aber doch gerade<br />
gesagt, vier Prozent sind absolut machbar.“<br />
Wie versteinert habe da der Lieferant<br />
geschaut. Wie ein Buschfeuer habe sich danach<br />
herumgesprochen: „Der Bürklin ist ein<br />
ganz Arger.“ Der ganz Arge grinst. „Bis heute<br />
denken die von Hochtief Polska, dass ich<br />
gut Polnisch kann.“<br />
Hinter dem Fallstrick Sprache verbirgt sich<br />
freilich noch mehr: Vertrauen. Immer wieder<br />
müssen die Männer erfahren, dass sie<br />
nicht nur Bauexperten sind. Sondern auch:<br />
Deutsche. Gerade mal 45 Jahre ist der<br />
Krieg vorbei, manche auf der Baustelle haben<br />
ihn selbst erlebt. Misstrauische Blicke,<br />
scharfe Bemerkungen, Diskussionen über<br />
den Krieg – damit müssen Bürklin und seine<br />
Mannen leben. „Da blieb nur, in die Defensive<br />
zu gehen.“ Und zu zeigen: Es gibt sie,<br />
die anderen Deutschen.<br />
Im Frühjahr 1991 haben das Land und der<br />
Bauleiter die größten Turbulenzen überstanden.<br />
Mit der Wirtschaft geht es langsam<br />
bergauf, mit dem Flughafenbau zügig<br />
voran. Die polnischen Lieferanten gewinnt<br />
das Team mit Know-how-Transfer. Als etwa<br />
Hochtief bei minus 20 Grad betonieren will,<br />
um den Zeitplan einzuhalten, entwickeln<br />
die deutschen Ingenieure ein spezielles<br />
Heizmittel, um Sand und Kies vor dem Mischen<br />
erwärmen zu können. Das polnische<br />
Unternehmen besorgt die Mischanlagen<br />
und kann nach Abschluss der Arbeiten die<br />
Betonheizanlage billig übernehmen – und<br />
macht bis heute damit gute Geschäfte.<br />
Wo es anfangs manchmal knirscht, kehrt<br />
langsam Routine ein. Zum Beispiel in puncto<br />
Arbeitsweise. Die Mitarbeiter gewöhnen<br />
sich daran, dass die Deutschen klare Vorstellungen<br />
von Struktur, Ablauf, Ende des<br />
Projekts haben, scharfe Termine setzen und<br />
wenn irgend möglich einhalten. Sie gewöhnen<br />
sich an das eng durchgetaktete Qualitätssicherungssystem.<br />
Die Deutschen wiederum<br />
werden erfahrener im Networking,<br />
binden Vertreter aus Wissenschaft, Politik<br />
und Kirche ein.<br />
Das zahlt sich bis heute aus. Denn anders<br />
als ursprünglich geplant bleibt die Hochtief-Crew<br />
auch über den Flughafenausbau<br />
hinaus im Land. Denn mit dem Wirtschaftsaufschwung<br />
kündigt sich ein Bauboom an.<br />
pwc: | juli 2009 17
pwc: Märkte<br />
Bürklin: „Allmählich wurde uns klar: Hier<br />
ist ein gewaltiger Markt, eine ungeheure<br />
Chance für ein Bauunternehmen.“ Neue<br />
Einkaufszentren, Fabriken, Bürohäuser, öf-<br />
fentliche Gebäude sollen entstehen. Warum<br />
also nicht seine Fühler ausstrecken? Am<br />
besten über Beteiligungen.<br />
Bürklins Blick fällt auf die Firma Budokor,<br />
die am Flughafenrand eine Brücke baut.<br />
Man kennt sich. Bürklin kauft für Hochtief<br />
Anteile, erst im kleinen Maßstab. Vorsichtig<br />
locken die Deutschen mit Know-how, finan-<br />
zieller Stabilität und internationalen Aufträ-<br />
gen. Machen immer wieder klar: Wir wollen<br />
euch nicht übernehmen, wir greifen nicht in<br />
eure Strukturen ein. 1993 steigen die Hochtief-Mitarbeiter<br />
in die Geschäftsleitung von<br />
Budokor ein, Bürklin in den Aufsichtsrat.<br />
Die Vertrauensbildung trägt Früchte. Budokor<br />
wird ein polnisch-deutsches Unternehmen.<br />
Die nächsten beiden Hochtief-Beteiligungen,<br />
Ende 1995, fädelt schon nicht<br />
mehr Bürklin ein. Seine Zeit in Polen ist vorbei,<br />
der Schritt auf den Markt geschafft.<br />
Wenn Christoph Kohlhaussen heute nach<br />
seinen schönsten Projekten gefragt wird,<br />
sprudelt es aus dem CFO von Hochtief<br />
Polska nur so heraus. Rondo 1, dieser markante<br />
Bürokomplex mitten in Warschau;<br />
das Containerterminal in Danzig, gemeinsam<br />
mit der Hochtief-Schwester in Hamburg<br />
realisiert; das Einkaufszentrum Galeria<br />
Malta in Posen mit Platz für mehr als 170<br />
Läden; das internationale Business-Center<br />
in der Hauptstadt; das Stadion in Lublin,<br />
ein Referenzprojekt, realisiert mit einem polnischen<br />
Partner, mit dem Hochtief Polska in<br />
der Ausschreibung um die Sportstätten für<br />
die Europameisterschaft 2012 punkten will.<br />
Schneematsch gibt es in Warschau noch<br />
wie zu Bürklins Zeiten. Aber das Grau ist<br />
verschwunden – spiegelnde Glasfassaden<br />
haben es verdrängt. Nach Jahren mit dem<br />
inoffiziellen Titel „größte Baustelle Europas“<br />
ist die achtgrößte Stadt der Europäischen<br />
Union (EU) zum wichtigsten Finanzzentrum<br />
Aufbau und Ausbau: Bernhard Bürklin (links), vor 19 Jahren Hochtief-Pionier in Polen, heute<br />
Leiter Corporate Projects, Christoph Kohlhaussen, seit 2007 CFO von Hochtief Polska.<br />
Ostmitteleuropas geworden, die Skyline<br />
steht der Frankfurts kaum noch nach. 30<br />
Theater, noch mehr Museen und ein<br />
Dutzend Universitäten mit zusammen mehr<br />
als einer Viertelmillion Studenten beleben<br />
die Metropole des modernen Polen – in<br />
dem Hochtief zu einem wichtigen Player geworden<br />
ist: Die vier Tochtergesellschaften<br />
vor Ort (Hochtief Polska, Hochtief Development<br />
Poland, Hochtief Facility Management<br />
Polska und Streif Baulogistik Polska)<br />
beschäftigen zusammen knapp 1.400 Mitarbeiter,<br />
haben Standorte in allen großen<br />
Städten und einen Gesamtumsatz von 444<br />
Millionen Euro im Jahr 2008. Hochtief Polska,<br />
die den klassischen Baubereich abdeckt,<br />
ist die größte der vier Gesellschaften.<br />
Und ihr CFO Christoph Kohlhaussen ist<br />
auch in der aktuellen weltweiten Krise optimistisch:<br />
„Polen ist ein glückliches Land,<br />
die Härte der Wirtschaftskrise wird sich<br />
nicht so stark niederschlagen.“ Die Auftragsbücher<br />
sind ordentlich gefüllt, Hochtief<br />
Polska schaut zuversichtlich auf das Jahresende<br />
2009.<br />
Kohlhaussen ist seit August 2007 dabei,<br />
ein Vorstandskollege kommt ebenfalls aus<br />
Deutschland, der andere aus Großbritannien,<br />
der Rest der Mitarbeiter ist polnisch.<br />
Kein Wunder, dass seine Leute Hochtief<br />
Polska als polnisches Unternehmen mit<br />
deutschem Hintergrund sehen, auch wenn<br />
sich die deutschen Organisationsgrundsätze<br />
vom Risikomanagement bis zur Qualitätssicherung<br />
seit Bürklins Zeit längst<br />
durchgesetzt haben. Kohlhaussen: „Auf<br />
dem Markt allerdings werden wir im Prinzip<br />
als deutsches Unternehmen wahrgenommen,<br />
als Spezialist mit hohen Qualitätsansprüchen<br />
– und haben nichts dagegen.“<br />
Mit Begeisterung hat er sich eingefuchst<br />
in diese Welt, die immer noch ein bisschen<br />
anders tickt als zu Hause. In der alte Seilschaften<br />
und das „Old-Boys-Netzwerk der<br />
Baubranche“ auch 2009 noch eine erstaunlich<br />
große Rolle spielen. In der er sich umso<br />
mehr in die besonderen Geschäftsgepflogenheiten<br />
stürzen musste, um Kontakte<br />
aufzubauen und warmzuhalten. Gemeinsam<br />
essen gehen, feiern, tanzen und zum Nachtisch<br />
singen. Mal polnische Schlager, mal<br />
Volkslieder. Das gehört für die Polen dazu,<br />
„mit unglaublicher Inbrunst und Herzblut“.<br />
Kohlhaussen, Ehrensache, singt mit, zur<br />
Not mangels Textkenntnis mit freundlichem<br />
„Lalalalalala“. Einmal im Jahr lädt er die<br />
Hochtief-Kunden selbst zum Fest, für die<br />
Mitarbeiter gibt es regelmäßig „Integracja“,<br />
also Feiern, „um den Unternehmensgeist zu<br />
beflügeln“.<br />
Bernhard Bürklin wäre gerne mal dabei. Es<br />
hat sich so viel getan seit damals. Schon<br />
bei seinem letzten Besuch in Warschau war<br />
es unübersehbar: Polen ist ein modernes<br />
europäisches Land geworden. Und er hat<br />
ein bisschen dazu beigetragen. Den Orden,<br />
den er damals von den Polen bekam, weil<br />
er und seine Mannschaft den Flughafen tatsächlich<br />
pünktlich fertig bekommen haben,<br />
hält er heute noch in Ehren.<br />
18 pwc: | juli 2009<br />
„Modern und attraktiv“<br />
Günter Westphal lebt seit sechs Jahren in Polen. Als Leiter des German Desk<br />
von <strong>PwC</strong> begleitet er deutsche Unternehmen beim Gang in das osteuropäische<br />
Land und betreut sie vorort.<br />
Von Anja Dilk<br />
Herr Westphal, wie lebt es sich in Polen 2009?<br />
Hervorragend. Polen ist zu einem hochmodernen europäischen<br />
Land geworden, in dem wir auf nichts mehr verzichten müssen.<br />
Weil es sich später und daher schneller modernisiert hat, ist das<br />
Niveau oft so sogar höher als bei uns. So gibt es fantastische Einkaufszentren<br />
wie das Stary Browar in Posen, die alles übertreffen,<br />
was es bislang in Deutschland gibt. Sicher, Straßen und Trinkwasser<br />
entsprechen noch nicht europäischem Standard. Aber die<br />
verstaubten Bilder von einst haben nichts mehr mit dem Polen von<br />
heute zu tun.<br />
Also ein prosperierendes Land?<br />
Absolut. Bis Ende 2008 gab es für die Wirtschaft in Polen nur eine<br />
Richtung: nach oben. Die Wirtschaft wuchs um sechs, sieben Prozent<br />
im Jahr, in der Baubranche gab es Steigerungsraten von 300<br />
bis 500 Prozent. Die Polen wussten: Egal was ich heute tue, morgen<br />
geht es mir noch besser. Diese fulminante Entwicklung hat seit<br />
Ende 2008 auch hier einen Dämpfer bekommen, statt bei sechs<br />
liegt das Wachstum 2009 vermutlich bei etwa einem Prozent. Doch<br />
damit ist Polen immer noch führend in Europa. Außerdem gehen<br />
die Polen viel pragmatischer und offener mit Veränderungen um<br />
als wir. Sie sind harte Zeiten gewohnt und zuversichtlich, dass es<br />
nach ein, zwei Jahren wieder aufwärtsgehen wird.<br />
Für welche deutschen Unternehmen lohnt es sich, die Fühler nach<br />
Polen auszustrecken?<br />
Bereits jetzt kommen die meisten ausländischen Unternehmern in<br />
Polen aus Deutschland, viele Maschinenbauer, Autozulieferer und<br />
Dienstleister. Vor allem Mittelständler, die jetzt flexibel auf die Entwicklungen<br />
reagieren, haben hier sehr gute Perspektiven: um einen<br />
neuen Markt zu erschließen oder um die Produktion an einen günstigeren<br />
Standort zu verlagern. Gerade durch die Krise bleibt Polen<br />
in dieser Hinsicht länger attraktiv, als bislang gedacht. Statt weiter<br />
zu steigen, werden die Löhne plötzlich wieder gekürzt.<br />
Welche Branchen sind besonders lohnenswert?<br />
Die Baubranche. Dort ist ein Ende des Booms gar nicht absehbar.<br />
Milliarden von EU-Fördermitteln fließen hierhin, vor allem in den<br />
Straßen- und Autobahnausbau, denn die Infrastruktur ist in Polen<br />
bis heute wesentlich schlechter als in den meisten osteuropäischen<br />
Ländern. Ebenfalls attraktiv ist das Gesundheitswesen, also Krankenhäuser,<br />
Medizintechnik, medizinische Ausrüstungen.<br />
Von welchen Vorteilen profitieren deutsche Unternehmen?<br />
Neben den niedrigen Löhnen können sie erhebliche Steuererleichterungen<br />
in den 14 Sonderwirtschaftszonen Polens nutzen. Vor<br />
allem produzierende, lohnintensive Industrien werden im Einklang<br />
mit den EU-Regelungen massiv gefördert. Im Idealfall kann ein Unternehmen<br />
dort riesige Gewinne machen, ohne einen Cent Steuern<br />
zahlen zu müssen.<br />
Muss man sich auf eine andere Arbeitsweise einstellen?<br />
Die Mentalität ist schon anders. Statt Punkt für Punkt Tagesordnungen<br />
abzuarbeiten, steuern Polen eher auf Umwegen zum Ziel.<br />
Viel wichtiger als bei uns ist unter Geschäftspartnern das soziale<br />
Miteinander, die Chemie muss stimmen. In vielen Gesprächen geht<br />
es daher erstmal darum, das Eis zu brechen.<br />
Gibt es interkulturelle Fallstricke speziell für Deutsche?<br />
Eines darf ein deutscher Geschäftsmann nie vergessen: Wann immer<br />
Polen und Deutsche miteinander in Kontakt kommen, schwingt<br />
die Geschichte mit. Da spielt nicht nur der Weltkrieg eine Rolle,<br />
sondern auch jene 123 Jahre, in denen Polen von der Landkarte<br />
verschwunden war – mit deutscher Beteiligung. Wer hier daher wie<br />
ein kleiner Preuße auftritt und den Leuten sagen will, wo es langgeht,<br />
ist schlecht beraten. Wer dagegen sensibel mit diesen Themen<br />
umgeht und auch die persönliche Geschichte eines Geschäftspartners<br />
im Blick hat, kann hervorragende Geschäfte machen.<br />
Kontakt: guenter.westphal@de.pwc.com, Tel.: +48 61 850-5103<br />
<strong>PwC</strong>-Polenexperte<br />
Günter Westphal über den<br />
Dächern von Warschau.<br />
pwc: | juli 2009 19
pwc: Wissen<br />
20 pwc: | juli 2009<br />
Kein Bürgschaftsbegehren<br />
Der Bund will mit Bürgschaften im Wert von 75 Milliarden Euro helfen. Doch<br />
Banken und Unternehmen nutzen dieses Angebot nur wenig.<br />
Von Corinna Freudig<br />
Für den Komponisten Kurt Weill, langjähriger<br />
Weggefährte von Bertolt Brecht und<br />
kongenialer Vertoner von dessen „Dreigroschenoper“,<br />
waren Bürgschaften eine Angelegenheit<br />
hoher Moral. Sie gaben sogar<br />
seiner Oper „Die Bürgschaft“ den Titel. Bei<br />
ihr wird der Verfall einer menschlichen Gesellschaft<br />
daran festgemacht, dass niemand<br />
mehr für den anderen bürgt. Es war wohl<br />
kaum ein Zufall, dass die Arbeit an diesem<br />
Werk im August 1930 begann, knapp ein<br />
Jahr nach dem Beginn der Weltwirtschaftskrise.<br />
Die hohe moralische Verpflichtung der<br />
Bürgschaft stellt auch Friedrich Schillers<br />
schulische Lyrik-Pflichtlektüre „Die Bürgschaft“<br />
in den Mittelpunkt: Das mit einer<br />
Bürgschaft für Leib und Leben besiegelte<br />
Vertrauen zweier Freunde erweicht im sizilianischen<br />
Syrakus das versteinerte Herz des<br />
Tyrannen Dionys und lässt ihn die viel zitierte<br />
Bitte aussprechen, im Freundschaftsbunde<br />
der Dritte werden zu dürfen.<br />
So unterschiedlich diese musischen Bürgschaftsbearbeitungen<br />
und eine wirtschaftliche<br />
Bürgschaftsvergabe sein mögen, eine<br />
Gemeinsamkeit gibt es: Auch die materielle<br />
Bürgschaft steht für Vertrauen und damit für<br />
einen Wert, der durch die weltweite Finanzund<br />
Wirtschaftskrise einen massiven Wertverlust<br />
hinnehmen musste. Und sie steht für<br />
Sicherheit. Denn in Deutschland lautet eine<br />
haushaltsrechtliche Voraussetzung für die<br />
Bürgschaftsvergabe unumstößlich: „Es darf<br />
nicht mit einem Ausfall gerechnet werden.“<br />
Ergo: Der Staat bürgt nur für überlebensfähige<br />
Unternehmen.<br />
Die Welt arbeitet daran, Vertrauen und Sicherheit<br />
wiederherzustellen. Die Bundesregierung<br />
hat dafür mittlerweile schon das<br />
zweite Konjunkturprogramm und in dessen<br />
Rahmen den sogenannten Deutschlandfonds<br />
aufgelegt. Der ermöglicht neben Krediten<br />
durch das staatseigene Finanzinstitut<br />
KfW die Übernahme von Bürgschaften von<br />
bis zu 75 Milliarden Euro. Flankierend wurden<br />
für Bürgschaften die Regelungen des<br />
„Temporary Framework“ der Europäischen<br />
Union (EU) umgesetzt: Danach kann für die<br />
Jahre 2009 und 2010 eine Deckungsquote<br />
von 90 Prozent genehmigt werden – bisher<br />
liegt dieser Wert bei maximal 80 Prozent.<br />
Bis Ende 2010 stehen diese 75 Milliarden<br />
Euro zum Abruf bereit, um eine Brücke vom<br />
aktuellen Notstand hin zum erhofften Normalzustand<br />
zu schlagen – vorausgesetzt,<br />
die Eigenkapitalpositionen der Banken sind<br />
wieder belastbarer geworden, die Risikobewertung<br />
erfolgt weniger angstgesteuert,<br />
und die Kreditvergabebereitschaft ist weniger<br />
restriktiv geworden.<br />
Alfred Höhn, Bernd Papenstein und weitere<br />
<strong>PwC</strong>-Experten für die öffentliche Hand im<br />
Allgemeinen und das Bürgschaftsgeschäft<br />
im Besonderen sind seit Monaten als<br />
Mandatare des Bundes und einiger Bun-<br />
Der Weg zur Bürgschaft<br />
Bei der öffentlichen Bürgschaft stellt sich<br />
die öffentliche Hand auf Bundes- oder<br />
Länderebene als Bürge zur Verfügung,<br />
damit Unternehmen von Kreditinstituten<br />
Gelder bekommen, um notwendige Finanzierungen<br />
vornehmen zu können. Eine Antragstellung<br />
erfolgt immer über ein Kreditinstitut,<br />
das auch ein eigenes Risiko – in<br />
der Regel zehn bis 20 Prozent – tragen<br />
muss. Die Banken nehmen damit als erste<br />
Stufe eine Risikoselektion vor. Bürgschaften<br />
werden via Urkunde besiegelt und haben<br />
immer eine definierte Laufzeit. Neben wirtschaftlichen<br />
Aspekten muss es auch einen<br />
volkswirtschaftlichen Nutzen für den Bürgen<br />
öffentliche Hand geben.<br />
Seit 2008 wird der Beilhilfewert aller Bürgschaften<br />
in Deutschland mittels eines Beihilfewertverfahrens<br />
berechnet, das <strong>PwC</strong><br />
entwickelt hat. Darauf hatte die EU gedrängt,<br />
um die Transparenz öffentlicher Fördermaßnahmen<br />
und dabei die Zuwendungen, die<br />
der Staat einem Unternehmen gewährt, zu<br />
verbessern.<br />
desländer in Gesprächen, Verhandlungen,<br />
Konferenzen und Sitzungen unterwegs in<br />
Sachen Bürgschaftsprogramm. So nennt es<br />
die Bundesregierung – laut Höhn handele<br />
es sich aber eben noch nicht um ein Programm:<br />
„Das Thema Bürgschaft wird viel zu<br />
oft einzelfallbezogen betrachtet.“<br />
Ein Fehler aus Sicht der Fachleute, die mit<br />
Verwunderung verfolgen, wie sehr sich<br />
die Medien plötzlich der „Bürgschaften“<br />
annehmen. Verwundert deshalb, weil<br />
dieses Förderinstrument in Deutschland<br />
auf Bundes- und Länderebene seit Jahrzehnten<br />
im Einsatz und damit alles andere<br />
als neu ist. „Bürgschaften sind schon lange<br />
ein verlässliches, marktschonendes und<br />
erfolgreiches Instrument, dessen Ausfall-<br />
quoten niedrig und dessen Risiken gut zu<br />
steuern sind; außerdem sind sie ein Instru-<br />
ment, das im Gegensatz zu der aktuellen<br />
Darstellung keineswegs nur für sanierungs-<br />
bedürftige und krisengeschüttelte Unter-<br />
nehmen von Interesse ist“, sagt Bernd<br />
Papenstein.<br />
Die mediale Darstellung vermittelt aller-<br />
dings oft einen anderen Eindruck, denn das<br />
Wort Bürgschaften wird in aller Regel von<br />
Opel oder Qimonda begleitet. Die Exper-<br />
ten beobachten mit Sorge die negative Pu-<br />
blicity für Unternehmen, die Bürgschaften<br />
beantragen und mit einem Verliererstempel<br />
versehen werden. Denn wer Bürgschaft<br />
hört, denkt heute an extrem krisengeschüttelte<br />
Firmen. „Dabei sollte die Nachfrage<br />
nach Bürgschaften vor allem von den<br />
Unternehmen getrieben werden, die auf der<br />
Grundlage eines an sich tragfähigen Geschäftsmodells<br />
mit temporären Finanzierungsschwierigkeiten<br />
zu kämpfen haben“,<br />
sagt Höhn. „Opel ist völlig atypisch für einen<br />
Bürgschaftsprozess.“<br />
Und was wäre „typisch“? „Wenn Unternehmen<br />
das Instrument jetzt, da wir keinen<br />
funktionierenden Banken- und Kapitalmarkt<br />
haben, nutzen, um ihre Unternehmensfinanzierung<br />
zu sichern“, so Experte Papenstein.<br />
Denn während Bürgschaften in der Vergan-<br />
pwc: | juli 2009 21
pwc: Wissen<br />
genheit häufig für Investitionsfinanzierungen<br />
in Anspruch genommen wurden, so können<br />
sie heute dazu beitragen, den laufenden<br />
Betrieb eines Unternehmens zu unterstüt-<br />
zen.<br />
„Bürgschaften können verhindern, dass<br />
Bücher vielleicht zu früh und unumkehr-<br />
bar zugeschlagen werden“, sagt Papen-<br />
stein, der nicht nur Unternehmer wie Ma-<br />
nager ermuntern möchte, sich mit diesem<br />
Förderinstrument vertraut zu machen, son-<br />
dern vor allem auch die Banken: Denn die<br />
sind die ersten, die ein „Go“ zu einer Bürg-<br />
schaft geben müssen: Über sie werden die<br />
Anträge gestellt, sie müssen zudem einen<br />
bestimmten Prozentsatz des Risikos tragen.<br />
Anträge auf Großbürgschaften des Bundes<br />
werden dem Lenkungsausschuss Unternehmensfinanzierung<br />
zur Entscheidung vorgelegt.<br />
Ihm gehören auf Staatssekretärsebene<br />
die Bundesministerien der Wirtschaft (Vorsitz),<br />
der Finanzen und der Justiz an sowie<br />
ein Vertreter des Bundeskanzleramts. Er<br />
wird aktiv bei der Überschreitung bestimmter<br />
Schwellenwerte (Bürgschaften: mehr als<br />
300 Millionen Euro Bundesobligo) und bei<br />
Bürgschaftsfällen von grundsätzlicher Bedeutung<br />
(zum Beispiel bei erhöhten<br />
Risiken, bei besonderer strukturpolitischer<br />
Bedeutung, bei hoher sektoraler oder regionaler<br />
Bedeutung oder bei bedeutenden<br />
Arbeitsmarkteffekten).<br />
Der „Lenkungsausschuss Unternehmensfinanzierung“<br />
trifft seine Entscheidungen auf<br />
Basis einer Reihe von Kriterien. So kommt<br />
es insbesondere darauf an, dass das betroffene<br />
Unternehmen nach einer Beruhigung<br />
der wirtschaftlichen Krise ohne staatliche<br />
Hilfe auskommt, die beantragte<br />
Aber was, wenn der Staat am Ende des<br />
Tages – oder Ende 2010 – tatsächlich für<br />
Bürgschaftsausfälle aufkommen muss? Das<br />
wäre in der Tat ein Problem – nach Ansicht<br />
der Bürgschaftskenner allerdings ein sehr<br />
theoretisches, da die Risiken absolut über-<br />
schaubar seien: „Wir analysieren die vorge-<br />
legten Daten und Zahlen bis ins letzte De-<br />
tail und fahren etliche Abstimmungs- und<br />
Strukturierungsschleifen, bis wir eine solide<br />
Entscheidungsgrundlage für die politischen<br />
Gremien haben“, erläutert Höhn. Banken<br />
und Mandatare gehen Punkt für Punkt alle<br />
Risikopositionen durch, entwerfen die ver-<br />
schiedensten Szenarien, Finanzierungs-<br />
und Besicherungsstrukturen, sodass eine<br />
Entscheidungsprozess bei Großbürgschaften<br />
Finanzierung damit nur vorübergehender<br />
Natur ist sowie keine dauerhaften und<br />
gravierenden Wettbewerbsverzerrungen zu<br />
befürchten sind.<br />
Außerdem ist Voraussetzung, dass alle anderen<br />
Möglichkeiten der Finanzierung ausgeschöpft<br />
sind. Dementsprechend hat der<br />
Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags<br />
die Bundesregierung aufgefordert,<br />
dass Unternehmen mit Kapitalmarktzugang<br />
als Antragsteller ausgeschlossen werden,<br />
sofern nicht aus zwingenden Gründen<br />
eine Ausnahme geboten ist. Der Lenkungsausschuss<br />
Unternehmensfinanzierung<br />
entscheidet abschließend. Fälle ab 300<br />
Millionen Euro oder mehr werden dem<br />
Haushaltsausschuss des Deutschen<br />
Bundestags vorab vorgelegt. Die Tätigkeit<br />
des Lenkungsausschusses wird durch einen<br />
Lenkungsrat Unternehmensfinanzierung<br />
begleitet, der sich aus Persönlichkeiten mit<br />
besonderen Erfahrungen in Wirtschaftsund<br />
Finanzfragen zusammensetzt.<br />
verlässliche Risikoeinschätzung für die Ent-<br />
scheidungsgremien möglich ist, bei der ne-<br />
ben betriebswirtschaftlichen Überlegungen<br />
auch volkswirtschaftliche Fragestellungen<br />
berücksichtigt werden.<br />
Die öffentliche Hand und die Mandatare<br />
sind inhaltlich in einem Bürgschaftspro-<br />
zess übrigens nicht als Erste gefordert: Das<br />
sind die Gesellschafter, das Unternehmen<br />
selbst und die Banken, die in der Pflicht<br />
stehen, ein Konzept zu erarbeiten. Das wird<br />
in einem diskursiven und iterativen Prozess<br />
gegebenenfalls verfeinert, optimiert und angepasst,<br />
auch an die Vorgaben, die es seitens<br />
der EU für Beihilfen gibt. „Die Hauptarbeit<br />
liegt bei den betroffenen Unternehmen.<br />
Die nehmen wir ihnen nicht ab. Aber wir<br />
beurteilen, ob das Ergebnis ihrer Arbeit den<br />
Anforderungen der Bürgen gerecht werden<br />
kann“, macht Höhn deutlich. Dass die Bürgschaftsvergaben<br />
für die aktuellen prominenten<br />
Fälle so lange dauern, sei der beste<br />
Beweis dafür, dass man sich eben nicht mit<br />
dem erstbesten Papier zufriedengebe.<br />
Und wie sieht er aus, der Alltag eines Bürgschaftsberaters<br />
in Zeiten der Krise? Gar<br />
nicht – denn „Alltag“ gibt es nicht. Die Terminplanung<br />
muss mindestens alle zwei<br />
Tage umgeworfen werden, da hier eine<br />
Sitzung im Wirtschaftsministerium, dort<br />
eine Besprechung mit einem Unternehmen<br />
anberaumt wird. Fast immer sitzen<br />
alle Beteiligten gemeinsam an einem Tisch.<br />
„Besonders in der Anfangszeit lief vieles<br />
sehr hektisch – leider waren wir dadurch<br />
nicht immer schnell“, sagt Höhn selbstkritisch.<br />
„Mittlerweile ist etwas mehr Ruhe<br />
eingekehrt, und wir kommen zügiger voran.<br />
Bedauerlich ist aber, dass das Instrumentarium<br />
oft nicht zur rechten Zeit genutzt wird.<br />
Wir wünschen uns einen aktiveren Umgang<br />
mit Bürgschaften, auf Bundes- und Landesebene.<br />
Denn sie bieten jetzt, da der Finanzund<br />
Kapitalmarkt fast zum Erliegen gekommen<br />
ist, eine große Chance – gerade für<br />
gesunde Unternehmen.“<br />
22 pwc: | juli 2009<br />
Das Bürgschaftskrisenprogramm der Bundesregierung<br />
Der Bund entlastet im Zeitraum bis 31.<br />
Dezember 2010 die Hausbanken und Bürg-<br />
schaftsbanken im Risiko bei Investitionsund<br />
Betriebsmittelfinanzierungen stärker<br />
als bisher und beteiligt sich auch am Risiko<br />
der Länder an ihren Bürgschaften.<br />
Gefördert werden Unternehmen der gewerblichen<br />
Wirtschaft, die sich ganz oder<br />
mehrheitlich in privater Hand befinden.<br />
Was wird gefördert?<br />
Für Bürgschaften, in den meisten Bundesländern<br />
bis zu einer Höhe von 2 Millionen<br />
Euro, stehen die Bürgschaftsbanken oder<br />
Kreditgarantiegemeinschaften der Länder<br />
bereit, um Investitions- und Betriebsmittelkredite<br />
für Existenzgründer und mittelständische<br />
Unternehmen abzusichern.<br />
Für Bürgschaften bis 50 Millionen (in den<br />
neuen Ländern bis zehn Millionen) Euro<br />
können die Länder oder Landesförderinstitute,<br />
soweit nicht die neun Bürgschaftsbanken<br />
zuständig sind, mit Risikobeteiligung<br />
des Bundes Bürgschaften zum Ausgleich<br />
unzureichender Sicherheiten übernehmen.<br />
Für höhere Bürgschaftsbeträge sind<br />
parallel Bundes- und Landesbürgschaften<br />
vorgesehen.<br />
Welche Voraussetzungen gibt es?<br />
Das Vorhaben muss volkswirtschaftlich förderungswürdig,<br />
das Unternehmenskonzept<br />
muss wirtschaftlich tragfähig und das Vorhaben<br />
darf nicht anderweitig finanzierbar<br />
sein. Ferner ist das EG-Beihilferecht zu beachten;<br />
es ist jedoch für den Zeitraum bis<br />
Ende 2010 flexibilisiert worden.<br />
Staatsbürgschaften sind bei ausgetrockneten<br />
Kapitalmärkten eine gute Alternative. Und zwar<br />
keineswegs für Problemunternehmen, sondern für<br />
solche, deren Überleben als sicher gilt.<br />
Wie und in welcher Höhe wird gefördert?<br />
Die Bürgschaften decken höchstens 80 Prozent<br />
– unter besonderen Voraussetzungen<br />
bis 90 Prozent – des Ausfallrisikos ab; das<br />
den Kredit gewährende Institut muss ein Eigenrisiko<br />
von mindestens 20 Prozent oder<br />
zehn Prozent ohne Vorabbefriedigungsrecht<br />
und Sondersicherheiten übernehmen. Die<br />
Investoren/Anteilseigner müssen sich angemessen<br />
mit Eigen- respektive Haftkapital<br />
an der Finanzierung beteiligen und für alle<br />
Bürgschaften ein Bürgschaftsentgelt zahlen.<br />
Kann die Förderung zusätzlich zu anderen<br />
Förderinstrumenten beantragt werden?<br />
Grundsätzlich können Bürgschaften mit anderen<br />
Förderinstrumenten kombiniert werden.<br />
Dabei sind allerdings die Kumulationsregeln<br />
des EG-Beihilferechts zu beachten.<br />
Kontakt<br />
alfred.hoehn@de.pwc.com<br />
bernd.papenstein@de.pwc.com<br />
Tel.: 030 2636-1245, 0211 981-2639<br />
www.pwc.de/de/pwc371<br />
pwc: | juli 2009 23
pwc: Märkte<br />
„Im Konsens meistern<br />
wir die Krise besser“<br />
Wie Salzgitter-Personalvorstand Peter-Jürgen Schneider mit nordeuropäischer<br />
Kultur den Dax-30-Neuling durch die Rezession bringen will.<br />
Das Gespräch führte Detlef Gürtler.<br />
pwc: Herr Schneider, Sie stecken mitten in einer heftigen Krise ...<br />
Schneider: ... wie die gesamte Stahlindustrie. Alle Abnehmerbranchen,<br />
die für uns wichtig sind, außer der Energiebranche, haben ihre<br />
Produktion reduziert. Der Einbruch ist bei uns derzeit besonders<br />
dramatisch, weil das, was unsere Abnehmer produzieren, im Augenblick<br />
sehr stark aus den Lagerbeständen bestückt wird. Deshalb<br />
trifft es die Stahlindustrie härter, als die Produktionsrückgänge in<br />
den Abnehmerbranchen ausfallen. Wenn diese Bestände abgebaut<br />
sind, werden wir auch verstärkt neue Auftragseingänge verzeichnen.<br />
Der aktuelle Einbruch folgte direkt auf eine Hochkonjunktur ...<br />
... innerhalb von ein paar Wochen knickte das ab, in einer noch nie<br />
da gewesenen Geschwindigkeit.<br />
Wie ist dieser Umbruch vor sich gegangen? Wo war der Punkt, als<br />
Sie merkten, dass es ans Eingemachte geht?<br />
In einigen Geschäftsbereichen gab es bereits im Frühjahr 2008<br />
eine Reduktion, wenn auch auf sehr hohem Niveau. Der rapide<br />
Einbruch wurde erst nach der Sommerpause spürbar, und zwar<br />
in jenen Bereichen, die unmittelbar an die Autoindustrie liefern. In<br />
anderen Bereichen, etwa Grobblech, gab es da noch gar keine<br />
Auswirkungen – die sind erst mit ein paar Monaten Verzögerung im<br />
Zuge der allgemeinen Wirtschaftskrise gekommen. Das Großrohr-<br />
geschäft hingegen ist ein Teilbereich, der auch weiterhin gut läuft.<br />
Ihre Zuständigkeit ist der Personalbereich. Gab es auch dort einen<br />
Punkt, an dem Sie von der Boom- zur Krisenstrategie wechselten?<br />
Der Begriff Strategiewechsel ist an dieser Stelle nicht der richtige.<br />
Ich unterscheide hier zwischen Strategie und Taktik: Die Strategie<br />
bleibt – die Taktik muss sich verändern. Wir haben im Personal-<br />
bereich einige grundsätzliche strategische Probleme zu lösen und<br />
daraus Entscheidungen abgeleitet. Und die ändern sich nicht durch<br />
eine veränderte Konjunktur.<br />
Zum Beispiel?<br />
Ein ganz wichtiger Bereich ist das Phänomen der alternden Belegschaft.<br />
Das ist in der Stahlindustrie deutlich ausgeprägter als in anderen<br />
Branchen – aus historischen Gründen, weil man über viele<br />
Jahre keinen Personalaufbau, sondern nur -abbau betrieben hat.<br />
Das führt naturgemäß zu Überalterung. Um gegenzusteuern, habe<br />
ich konzernweit das Projekt GO gestartet – Generationenoffensive<br />
2025. In diesem Projekt bearbeiten wir auch die Bereiche Personalbeschaffung<br />
und -marketing. Wir reden also nicht nur über alte<br />
Mitarbeiter, sondern auch über junge. Da gibt es zum Beispiel den<br />
Versuch, Schüler aus der Stadt Salzgitter für naturwissenschaftlichtechnische<br />
Berufe zu interessieren.<br />
Zu diesem Interesse gehört der persönliche Nutzen – wo soll der für<br />
die Schüler herkommen, wenn Sie auf absehbare Zeit kaum noch<br />
junge Leute einstellen können?<br />
Na klar können wir das. Wir haben immer über Bedarf ausgebildet,<br />
auch in den allerschlechtesten Zeiten, und werden das auch<br />
weiter tun. Und wir haben uns dann immer bemüht, möglichst viele<br />
der Ausgebildeten auf feste Arbeitsplätze zu bringen. Die Reaktionszeiten<br />
in diesem Gewerbe sind so lang, dass ich das nicht nach<br />
der aktuellen Konjunktur entscheiden kann – wenn ich heute entscheide,<br />
wie viele junge Menschen ich ausbilden möchte, muss ich<br />
mich am voraussichtlichen Bedarf in vier bis fünf Jahren orientieren.<br />
Da helfen Ihnen die Prognosen der Ökonomen auch nicht weiter.<br />
Überhaupt nicht. Deswegen ist man gut beraten, auf Kontinuität zu<br />
setzen. Die eigentliche Frage stellt sich, wenn die Auszubildenden<br />
ihre Ausbildung abschließen – oder Studenten ihr Studium: Können<br />
wir ihnen die Tür aufhalten? Darüber müssen wir uns natürlich<br />
immer neu unterhalten. Aber auch da werden wir uns weiterhin bemühen,<br />
möglichst vielen, und natürlich insbesondere den Besten,<br />
eine Chance zu geben. Wenn der junge Ingenieur hier nicht unter-<br />
Heißer Stuhl: Der Salzgitter-Personalvorstand<br />
Peter-Jürgen Schneider, 61, muss den<br />
Stahlkonzern durch den heftigsten<br />
Konjunktureinbruch seit Jahrzehnten steuern.<br />
24 pwc: | juli 2009 pwc: | juli 2009 25
pwc: Märkte<br />
kommt und sich dann anderswo etabliert – dann kommt er auch<br />
nicht wieder zurück.<br />
Mitten im schärfsten Produktionseinbruch der Nachkriegszeit kön-<br />
nen Sie aber nicht nur auf Kontinuität setzen.<br />
Bei der Strategie schon. Die Sicherung des Nachwuchses und der<br />
Wettbewerbsfähigkeit und der Umgang mit dem Problem, dass die<br />
Belegschaften immer älter werden, weil die Menschen immer älter<br />
werden, das ist die strategische Aufgabe, der wir uns stellen, und<br />
da wackeln wir auch nicht. Gleichzeitig müssen wir aktuell kurz-<br />
fristig auf die Krise reagieren. Aber auch da werden wir alles ver-<br />
suchen, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Dafür<br />
müssen wir allerdings das ganze Instrumentarium nutzen, das uns<br />
Gesetzgeber und Tarifverträge einräumen. Wir haben erfreulicher-<br />
weise in Deutschland in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe<br />
flexibler Instrumente entwickelt.<br />
Alle auf einmal oder eines nach dem anderen?<br />
Eher Letzteres. Für die verschiedenen konjunkturellen Situationen<br />
gibt es auch unterschiedliche Instrumente. Das erste sind die Ar-<br />
beitszeitkonten. Wenn mehr als vereinbart gearbeitet wurde, wurde<br />
das nicht über Überstunden abgegolten, sondern dem Konto gut-<br />
geschrieben. Als die Konjunktur schwach wurde, konnten die ge-<br />
speicherten Schichten abgebucht werden – die Leute konnten zu<br />
Hause bleiben und wurden trotzdem bezahlt.<br />
Gibt es auch die Möglichkeit, Minuskonten aufzubauen – sozusa-<br />
gen der Dispo auf dem Arbeitszeitkonto?<br />
Gibt es. Aber irgendwann müssen sie das bereits verdiente Geld<br />
abarbeiten. Dieses Instrument lässt sich nicht beliebig ausweiten.<br />
Der Dispo ja auch nicht ...<br />
Der zweite Bereich war die Reduzierung des Einsatzes von Leih-<br />
arbeitern. Wir haben noch nicht alle Leiharbeitsverhältnisse aufge-<br />
löst, aber es werden deutlich weniger von Monat zu Monat. Die drit-<br />
te Ebene sind Zeitverträge, die nach dem Auslaufen nicht verlängert<br />
werden, und dann fremd vergebene Arbeitsvolumina, die wieder<br />
zurück ins eigene Unternehmen verlagert wurden. Das alles hat uns<br />
dazu verholfen, einige Monate weitgehend ohne Kurzarbeit auszu-<br />
kommen. Das ist jetzt aber ausgereizt, weshalb wir in großem Aus-<br />
maß in die Kurzarbeit gegangen sind.<br />
„Wenn die Krise länger dauert und härter wird, wird auch die<br />
Diskussion im Unternehmen härter werden – weil es Interessengegensätze<br />
gibt, die man nicht so einfach wegschieben kann.“<br />
Aber auch Kurzarbeit ist ein Instrument, das nicht ewig laufen kann.<br />
Kurzarbeit ist eine Brücke und eine Brücke braucht zwei Pfeiler.<br />
Den einen haben wir, das ist die Vergangenheit. Und über den zweiten,<br />
die Zukunft, ist keine verlässliche Aussage möglich. Außer der:<br />
So schlecht, wie es jetzt ist, wird es nicht bleiben.<br />
Und das alles, um auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten?<br />
Konzernvorstand und Konzernbetriebsrat sind sich einig im Ziel,<br />
betriebsbedingte Kündigungen zu verhindern. Das ist schon seit<br />
Jahrzehnten Praxis bei uns und an diesem erklärten Ziel halten wir<br />
auch fest. Mein Finanzkollege hat das kürzlich so formuliert: In unserer<br />
Werteskala stehen betriebsbedingte Kündigungen ganz hinten.<br />
Was wir aber nicht machen können, ist eine verbindliche Garantie<br />
für die Zukunft abgeben.<br />
Dass der Betriebsrat keine Kündigungen möchte, ist klar. Aber<br />
warum ist dem Management der Verzicht auf Kündigungen so<br />
wichtig?<br />
Eine neue Produktionsanlage kann sich jeder hinstellen, der das<br />
Geld dazu hat. Die deutschen Anlagenbauer bauen rund um die<br />
Welt, und die letzte Anlage ist immer die beste. Trotzdem sind wir<br />
hier, auch mit unseren hohen Löhnen und Sozialkosten, immer<br />
noch wettbewerbsfähig auf dem Weltmarkt. An den Anlagen kann<br />
es also nicht liegen, da haben alle im Prinzip die gleichen. Es liegt<br />
daran, dass wir besser qualifizierte, engagierte Mitarbeiter haben.<br />
Wenn wir das aufgeben, verlieren wir unseren entscheidenden<br />
Wettbewerbsvorteil. Das ist sicherlich nicht jedem in der Industrie<br />
so richtig klar. Aber hier bei uns ist das Konsens. Wir haben ohnehin<br />
über die Jahre eine Konsenskultur entwickelt. Keine Konfrontation,<br />
flache Hierarchien nicht im Sinne von Organigrammen,<br />
sondern im Sinne des Umgangs miteinander.<br />
Funktioniert das in der Krise genauso? Wenn 50 Prozent der Auf-<br />
träge wegfallen, muss man vielen Menschen wehtun – geht das mit<br />
einer Konsenskultur?<br />
Wir haben uns bemüht, die Anpassungen verträglich zu gestalten<br />
und insoweit den Konsens nicht aufzukündigen. Wenn die Krise<br />
länger dauert und härter wird, wird auch die Diskussion härter wer-<br />
den – weil es natürlich Interessengegensätze gibt, die man nicht so<br />
einfach wegschieben kann. Aber ich bin davon überzeugt, dass das<br />
Konsensmodell am Ende das bessere ist. Weil wir die Krise besser<br />
bewältigen werden, wenn wir mit den Betriebsräten und den<br />
Beschäftigten gemeinsam nach Lösungen suchen, als wenn wir<br />
auf Demonstrationen und Konfrontation setzen. Da werden die Lösungen<br />
nicht besser und die Motivation auch nicht.<br />
Ist denn die in Deutschland weitverbreitete Konsenskultur ins Ausland<br />
exportierbar?<br />
Nicht so einfach. Weltweit ohnehin nicht, aber auch in Europa kann<br />
man im Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Unternehmen<br />
eine nordeuropäische und eine südeuropäische Kultur unterscheiden.<br />
Im Norden setzen die Gewerkschaften eher auf Kooperation:<br />
26 pwc: | juli 2009<br />
Erst verhandeln wir und wenn wir uns nicht einigen können, streiten<br />
wir. In Südeuropa herrscht eher Konfrontation: Erst streiten wir und<br />
auf dieser Grundlage wird dann verhandelt. Die Arbeitgeber denken<br />
dort ähnlich. So eine Kultur zu verändern gestaltet sich sehr<br />
zäh. Es gibt zwar einen langfristigen Trend zur stärkeren Konsensorientierung<br />
– aber der ist sehr langfristig.<br />
Das Konsensmodell hatte es in den vom Shareholder-Value-Denken<br />
dominierten Jahren schwer, in denen die Interessen der Aktionäre<br />
besonders hoch gewichtet wurden. Mussten Sie sich daran anpassen<br />
– gerade als Sie im Dax landeten?<br />
Wir haben damals unsere Argumentation nicht geändert, deshalb<br />
müssen wir sie auch heute nicht ändern. Der Shareholder-Value-<br />
Ansatz ist für die Stahlindustrie unbrauchbar. Wir sind eine kapitalgetriebene<br />
Branche mit Großanlagen. Von der Überlegung, eine<br />
Anlage zu bauen, bis zum Abschluss der Hochlaufkurve vergehen<br />
drei bis fünf Jahre. Da ist mit Quartalsberichten nichts zu machen.<br />
Wir führen derzeit ein Investitionsprogramm von 1,7 Milliarden Euro<br />
an den Standorten Peine und Salzgitter durch und machen damit<br />
diese Werke fit für die nächsten 20 Jahre. Die Mittel, die wir dort<br />
binden, werden sich später auszahlen – aber kurzfristig natürlich<br />
den Überschuss mindern. Alle kurzfristig orientierten Maßstäbe sind<br />
nicht geeignet, um solche Investitionen zu bewerten. Eigentlich<br />
Peter-Jürgen Schneiders Karriere begann<br />
1970 im Salzgitter-Konzern und wird dort<br />
vermutlich auch zu Ende gehen. Aber dazwischen<br />
hat der heute 61-jährige Vorstand<br />
mit Zuständigkeit für Personal und Dienstleistungen<br />
eine ganz andere berufliche Laufbahn<br />
absolviert: in der Politik. 1986 gewann<br />
er bei der niedersächsischen Landtagswahl<br />
für die SPD das Direktmandat im Wahlkreis<br />
Salzgitter. Nach drei Wahlperioden wurde<br />
er 1997 Regierungspräsident in Braunschweig<br />
und 1999 Leiter der Staatskanzlei<br />
in Hannover: Sein Vorgänger Frank-Walter<br />
Steinmeier war mit Gerhard Schröder ins<br />
dürften wir als Vorstand solchen Investitionen gar nicht zustimmen,<br />
weil wir wegen der Tantiemeregelungen damit unser aktuelles Einkommen<br />
schmälern ...<br />
... zugunsten des zukünftigen Einkommens ...<br />
... von dem aber einige dann nicht mehr profitieren werden, weil sie<br />
dann gar nicht mehr im Amt sind. Als verantwortungsbewusste Vorstände<br />
haben wir die Investitionsentscheidung natürlich trotzdem<br />
getroffen, weil sie richtig ist. Der Aufsichtsrat hat dies ebenso bewertet.<br />
Mit Stock-Options braucht man Ihnen wohl gar nicht zu kommen?<br />
Wir haben im Konzern eine Gewinnbeteiligung für die Beschäftigten,<br />
von ganz unten bis ganz oben, aber keinen einzigen Aktienoptionsplan,<br />
und auch keine Kapitalbeteiligungsprogramme<br />
für die Belegschaft. Wir haben das einmal versucht und sind auf<br />
ein sehr geteiltes Echo bei den Beschäftigten gestoßen. Eine<br />
Herausgabe von Aktien an die Belegschaft setzt eine Bewusst-<br />
seinslage voraus, dass es sich dabei um eine langfristige Wert-<br />
anlage handeln soll. Sonst verkaufen die Arbeitnehmer die Aktien<br />
gleich wieder – da geben wir ihnen lieber gleich das Geld, anstatt<br />
den Umweg über Aktien zu machen. Wer will, kann dann Aktien<br />
davon kaufen.<br />
Zwischen Stahl und Politik<br />
Kanzleramt gegangen. Im April 2003 wechselte<br />
Schneider zurück zu seinem Heimatkonzern<br />
in seine heutige Position. Nach den<br />
Regeln der Montan-Mitbestimmung liegt<br />
das Vorschlagsrecht für den Posten des<br />
Arbeitsdirektors beziehungsweise Personalvorstands<br />
bei der Gewerkschaft. Bei Salzgitter<br />
ist Schneider zuständig für weltweit<br />
mehr als 25.000 Beschäftigte. Diese erwirtschafteten<br />
bei einem Umsatz von 12,5<br />
Milliarden Euro einen Jahresüberschuss von<br />
677 Millionen Euro (alle Zahlen für 2008).<br />
Die wichtigsten Unternehmensbereiche sind<br />
Stahl- und Röhrenproduktion.<br />
Hat der Dax Ihr Leben verändert?<br />
Kein bisschen. Wir haben unseren Job vor der Aufnahme in den Dax gut gemacht, und wir<br />
machen ihn weiter wie bisher.<br />
Was ist Ihr bestes Argument, um Leute nach Salzgitter zu holen?<br />
Ein Häuschen im Grünen ist hier 100.000 Euro billiger als an der Ruhr.<br />
Wann hat Sie zuletzt ein Headhunter angerufen?<br />
Es ist noch gar nicht so lange her, da wollte mich einer zu einem wesentlich größeren Konzern<br />
abwerben. Aber schon altersbedingt ist Salzgitter meine letzte Karrierestation.<br />
Wie sieht Ihre Bonusregelung aus?<br />
Der variable Teil der Vergütung der Salzgitter-Vorstände misst sich zum kleineren Teil an der<br />
persönlichen Performance, zum größeren an der Entwicklung des ROCE (Return on Capital<br />
Employed). Insoweit sausen unsere Einkommen jetzt nach unten.<br />
Wann war Ihre letzte Weiterbildung?<br />
Ich bin jeden Tag in Weiterbildung.<br />
Was zog Sie nach Salzgitter?<br />
Ich bin hier geboren. Am Hüttenwerkszaun.<br />
pwc: | juli 2009 27
pwc: Trends<br />
Inflation<br />
Niedriglohnwettbewerber<br />
Das macht den CEOs Sorgen<br />
Ressourcenknappheit<br />
Terrorismus Terrorismus<br />
Protektionismus Protektionismus Ressourcenknappheit<br />
Rezession<br />
Klimawandel<br />
Klimawandel<br />
Rezession<br />
Überregulierung Überregulierung<br />
Infrastrukturmängel Infrastrukturmängel Energiekosten<br />
Niedriglohnwettbewerber<br />
Pandemien Pandemien<br />
Kapitalmarkt-Chaos<br />
So dramatisch wie die ökonomische Lage ist auch der Stimmungsumschwung bei den CEOs. Das hat der „Global CEO Survey“ ergeben,<br />
den <strong>PwC</strong> jedes Jahr im Rahmen des Weltwirtschaftsgipfels in Davos vorstellt und für den 2009 1.124 Unternehmenschefs aus 50 Ländern<br />
befragt wurden. Klimawandel und Ressourcenknappheit, aber auch der Wettbewerb durch Niedriglohnkonkurrenz haben auf der Sorgen-<br />
skala an Relevanz verloren, ganz obenauf stehen in diesem Jahr die Weltwirtschaftskrise und die Erschütterungen an den Kapitalmärkten.<br />
Das Bild zeigt die Probleme und ihre Gewichtung in 2008 (Hellbraun) und in 2009 (Dunkelbraun). www.pwc.de/de/ceosurvey2009<br />
Leonardo da Vinci hat die Mona Lisa nie signiert<br />
Gutes Theater – wie geht<br />
das? Wo liegen die Ursprünge<br />
der Töpferkunst?<br />
Und warum sind eigentlich<br />
Leonardo da Vincis<br />
Bilder so berühmt? Ist es<br />
überhaupt wichtig, die<br />
Antworten auf solche Fragen<br />
zu kennen? „Nutzloses<br />
Wissen“, sagen die<br />
einen ganz salopp, „kulturelle<br />
Bildung ist lebensnotwendig“,<br />
entgegnen die anderen. „Kunst und Kultur gehören zur<br />
menschlichen Reife“, das sagen die Dritten. Und Reife sei schließ-<br />
lich auch ein Einstellungskriterium für Unternehmen. So ganz unnütz<br />
kann eine ästhetische Ausbildung also nicht sein. Um Kindern<br />
und Jugendlichen den Zugang zu Kunst und Kultur zu eröffnen, hat<br />
die <strong>PwC</strong>-Stiftung im Februar gemeinsam mit der Deutschen Kinderund<br />
Jugendstiftung (DKJS) das Programm KULTUR.FORSCHER!<br />
gestartet. 24 Schulen haben sich erfolgreich beworben. Jeweils drei<br />
Lehreinrichtungen in Hamburg, Rostock, Berlin, Düsseldorf, Stuttgart,<br />
Dresden, Frankfurt und München hat die Jury der Initiative<br />
auserkoren. In den nächsten drei Jahren wird an diesen Schulen<br />
geforscht, gemalt, musiziert, getanzt oder analysiert. Die <strong>PwC</strong>-Stiftung<br />
stellt den kleinen Forschern und ihren Schulen in dieser Zeit<br />
über 1,3 Millionen Euro zur Verfügung. Theater, Museen und andere<br />
kulturelle Einrichtungen vernetzen sich projektbezogen mit den jeweiligen<br />
Schulen. www.pwc-stiftung.de<br />
Digitale Kriminalität attackieren<br />
Wie im echten Leben tummeln sich allerlei Gestalten in<br />
der virtuellen Welt des Internets – auch Gauner und<br />
Halunken. „Die Kriminalität im Internet nimmt zu, allein<br />
schon deshalb, weil unsere Abhängigkeit von dem<br />
Medium tagtäglich wächst“, sagt Steffen Salvenmoser,<br />
bei <strong>PwC</strong> im Bereich Forensic Services tätig. Die Internet-<br />
nutzer sind auf der Hut: Jeder Zweite vermeidet es, sei-<br />
ne Bankverbindung oder Kreditkartennummer bei Online-<br />
geschäften zu nennen. Das ergab eine <strong>PwC</strong>-Umfrage auf<br />
der diesjährigen Cebit. Schlecht für Unternehmen, die im E-Commerce angesiedelt<br />
sind. Die Ängste der User sollten von der Branche ernst genommen werden, die Unternehmen<br />
sollten noch sicherere Lösungen anbieten, um so das Vertrauen der Kunden<br />
zu gewinnen. Der Beliebtheit des Internets an sich tut die Vorsicht mit den persönlichen<br />
Daten aber keinen Abbruch. 74 Prozent der Internetsurfer halten das World Wide Web<br />
für „praktisch, um Dinge im Alltag schnell zu erledigen“. Allerdings bewegen sich auch<br />
bis zu 40 Prozent der Deutschen gar nicht im weltweiten Netz.<br />
Netzbetreiber kaum verbunden<br />
Die prognostizierte Konsolidierung auf dem DSL-<br />
Markt lässt auf sich warten. Der Grund: Die Preiserwartungen<br />
von Käufern und Verkäufern liegen<br />
häufig noch zu weit auseinander. „Noch ist kein<br />
Handlungsdruck da, weil Spieler sich beispielsweise<br />
refinanzieren müssten oder ihre operativen<br />
Ergebnisse einbrechen“, sagt Arno Wilfert, Telekommunikationsexperte<br />
bei <strong>PwC</strong>. Und solange das<br />
nicht gegeben ist, warten alle noch eine Weile ab.<br />
Hansenet und AOL fusionieren mit Versatel, United Internet<br />
übernimmt das DSL-Geschäft von Freenet, die drei<br />
Kabelnetzbetreiber Kabel Deutschland, Kabel BW und Unitymedia<br />
verbünden sich: Gedankenspiele wie diese gab es in den vergangenen Jahren reichlich<br />
– passiert ist bisher wenig. Zwar interessiert sich aktuell der Telekommunikationsanbieter<br />
Telefónica für eine Übernahme der Telecom-Italia-Tochter Hansenet, aber nicht um jeden<br />
Preis. Vodafone und United Internet schielen auch nach Hansenet, aber nur interessiert und<br />
nicht gierig. www.pwc.de/de/pwc373<br />
Es bleibt dabei: Anteile an einer Ka-<br />
pitalgesellschaft und Gesellschaftsdarlehen sind<br />
steuerlich gesehen zwei verschiedene Wirtschafts-<br />
güter – mit unterschiedlichen Rechtsfolgen im Falle<br />
der Wertminderung. Eine Revision gegen das Urteil<br />
des Finanzgerichts Niedersachsen (6K 442/05) wur-<br />
de im Januar als unbegründet zurückgewiesen.<br />
Drei Fragen an ...<br />
Derk Fischer<br />
... zum Datenschutz<br />
pwc: Aus welchem Grund sollten sich Unternehmen<br />
mit Datenschutz befassen?<br />
Fischer: Das Risiko, morgen ebenfalls zum<br />
Thema „Datensicherheit im Unternehmen“<br />
in einer der großen Tageszeitungen aufzutauchen,<br />
die Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes<br />
und das für Mitte 2010 angekündigte<br />
Datenschutzauditgesetz sind für<br />
sich genommen schon valide Gründe.<br />
Derk Fischer ist Experte für Datensicherheit<br />
und Datenschutz bei <strong>PwC</strong>.<br />
Gibt es weitere Gründe?<br />
Allein die steigende Bedeutung von Informationen<br />
als Rohstoff der heutigen Wirtschaft<br />
und als wesentliches, aber oft vernachlässigtes<br />
Gut sind weitere gute Gründe,<br />
die Datensicherheit in Firmen einer unabhängigen<br />
Analyse zu unterziehen.<br />
Wie helfen Sie den Unternehmen?<br />
Wir unterstützen sie bei der Erstellung geeigneter<br />
Konzepte zu Datenschutz und Datensicherheit<br />
und überprüfen bestehende<br />
Konzepte. Und wir machen Unternehmen<br />
mit unserem Know-how fit für Datenschutz-<br />
Audits.<br />
28 pwc: | juli 2009 pwc: | juli 2009 29
pwc: Wissen<br />
Stella Rimington leitete von 1992 bis 1996 den britischen Inlandsgeheimdienst MI5 – und war zugleich die erste Frau an der Spitze der<br />
Behörde, die „dem Schutz des Königreichs und dessen Wirtschaft“ dient. Heute ist Rimington eine bekannte Autorin von Thrillern.<br />
30 pwc: | juli 2009<br />
Die Geheimniskrämer<br />
Immer mehr Unternehmen fallen mit dubiosen Überwachungsmethoden auf.<br />
Doch was sagen echte Agenten zu dem Trend? pwc: fragte die Ex-Chefs der<br />
britischen Geheimdienste MI5 und MI6: Stella Rimington und Richard Dearlove.<br />
Von Peter Littger<br />
Ihr Name ist M. Nur M. Seit 1995 ist sie die<br />
Chefin von Agentenlegende James Bond.<br />
Das reale Vorbild für M ist eine Agentin aus<br />
dem wahren Leben: Stella Rimington. Die<br />
schmächtige Dame sitzt vor mir auf einem<br />
englischen Sofa. Kurze Haare, warmer,<br />
Blick, die faltigen Hände einer Gärtne-<br />
rin und eine leise Stimme. Von 1992 bis<br />
1996 war Rimington die erste Frau an der<br />
Spitze des britischen Nachrichtendiensts<br />
MI5 – und sie war auch die erste Person<br />
in diesem Amt, die dem Volk bekannt war.<br />
Denn gegen jede Konvention hatte sie ihre<br />
Identität preisgegeben und sogar eine Bro-<br />
schüre über die Arbeit des MI5 veröffent-<br />
licht. Und auch nach ihrer Pensionierung<br />
hat sie sich nicht in Schweigen gehüllt. Ri-<br />
mington wurde zur öffentlichen Kritikerin<br />
der zunehmenden Überwachung durch den<br />
Staat und warnt vor „polizeistaatlichen Ten-<br />
denzen“. Außerdem hat sie sich einen mitt-<br />
lerweile großen Namen gemacht als Autorin<br />
von Kriminalromanen, in denen sie aus dem<br />
Geheimdienstmilieu erzählt. So wie Ian Fle-<br />
ming, der Erfinder von James Bond.<br />
Wir haben uns verabredet, weil sich Stel-<br />
la Rimington auch gut auskennt in einem<br />
Grenzbereich zwischen unternehmerischen<br />
Interessen und verdeckter Ermittlung, der<br />
gerade in letzter Zeit immer häufiger ins<br />
Licht der Öffentlichkeit rückt. Denn als MI5-<br />
Chefin war es Rimingtons Aufgabe, das<br />
britische Königreich und ausdrücklich auch<br />
seine Wirtschaft zu beschützen. („to protect<br />
national security and safeguard the eco-<br />
nomic well-being“). Ihre Agenten mussten<br />
also Gefahren für Unternehmen identifizie-<br />
ren, die manchmal nur in Umrissen und oft<br />
gar nicht bekannt waren. Nach ihrer aktiven<br />
Zeit als Topagentin brachte Stella Rimington<br />
ihr Wissen als Beraterin bei British Gas und<br />
beim Handelskonzern Marks & Spencer ein,<br />
wo sie sogar Aufsichtsrätin wurde.<br />
Ich frage Rimington, was in der Wirtschaft<br />
eigentlich schief läuft, wenn ein Großkon-<br />
zern nach dem anderen dabei ertappt wird,<br />
mit geheimdienstlichen Methoden gegen<br />
potenzielle Gegner inner- und außerhalb<br />
des Unternehmens vorzugehen – ist dieser<br />
vermeintliche Selbstschutz der Unterneh-<br />
men gerechtfertigt? „Die Entwicklung hat<br />
mit dem mangelnden Traditionsbewusstsein<br />
der Manager zu tun. Und das sind meistens<br />
Männer.“ Die mittlerweile 73 Jahre alte<br />
Dame lächelt triumphierend über ihren ausholenden<br />
und auch provozierenden Gedanken.<br />
Dann nimmt sie einen Schluck Wasser.<br />
Wir sitzen im Computerraum des Londoner<br />
Carlton Clubs, ein traditioneller Ort der<br />
britischen Konservativen – Männer. Zwar<br />
hat es die eiserne Margaret Thatcher einst<br />
geschafft, den Club zur Gleichbehandlung<br />
zu zwingen, sodass auch Frauen Mitglieder<br />
werden konnten. Doch den Salon im Erdgeschoss<br />
dürfen die Ladys noch immer<br />
nicht betreten. Deshalb treffen sie sich hier,<br />
im dritten Stock – die Computer benutzt sowieso<br />
meist niemand.<br />
„Genauso wie Staaten haben natürlich auch<br />
Unternehmen handfeste Gründe, sich bedroht<br />
zu fühlen – und sich vielleicht auch zu<br />
wehren“, betont Rimington. Doch das kurz-<br />
fristige, zyklische Denken von Managern<br />
unterscheide die Wirtschaft fundamental<br />
von staatlichen Diensten, erklärt die studierte<br />
Archivwissenschaftlerin. Am Anfang ihrer<br />
Laufbahn arbeitete sie mehrere Jahre als<br />
Archivarin. Das wenig ausgeprägte historische<br />
Denken führe zu einem großen Fehler<br />
vieler Manager, nämlich unüberlegt, also<br />
ohne „Intelligence“, zu handeln. „Und das,<br />
obwohl es die Pflicht von Unternehmenslenkern<br />
sein muss, jede Aktion zu verhindern,<br />
die später dauerhaft ein schlechtes<br />
Licht auf die Firma werfen könnte, weil sie<br />
unverhältnismäßig und illegal ist.“<br />
Es sei ein grober Fehler, fährt Rimington<br />
fort, wenn in die Firmenkultur kein Sinn für<br />
die Unternehmensgeschichte eingebaut<br />
ist. „Der muss gepflegt und weitergegeben<br />
werden.“ Beim MI5 sei Kontinuität selbst<br />
in stürmischen Zeiten wichtig: „Das Büro<br />
lebt von seiner Geschichte, die es ernst<br />
nimmt. Von den Details seiner Organisation.<br />
Eigenschaften, die prägend sind. Und von<br />
einem großen Gedächtnis.“ Dieses „große<br />
Gedächtnis“ bedeutet vor allem eine flächendeckende<br />
Archivierung aller internen<br />
Abläufe. „Es ist falsch, die Gefahren zuerst<br />
außerhalb der Organisation zu suchen anstatt<br />
im Kreis der handelnden Personen“,<br />
sagt Rimington. In Geheimdiensten werde<br />
jeder Brief und jede E-Mail registriert, und<br />
von den meisten Sitzungen würden Aufzeichnungen<br />
gemacht – manchmal auch per<br />
Video –, um Zwischentöne und menschliche<br />
Regungen der Verantwortlichen festzuhalten.<br />
„Die meisten Unternehmen machen<br />
das nicht, soweit ich das richtig sehe.“<br />
Nun ja, Miss Rimington, zumindest in<br />
Deutschland werden einige große Unter-<br />
„Es ist nicht einzusehen, warum ein Vorstand Informationen<br />
über alle Mitarbeiter sammelt und damit<br />
Misstrauen sät, anstatt bei sich selber anzufangen.“<br />
Stella Rimington, Exchefin des britischen Nachrichtendiensts MI5<br />
nehmen gerade dafür angegriffen, dass sie<br />
alles und jedes über ihre Mitarbeiter herausfinden<br />
wollen. Sie lächelt. Natürlich könne<br />
es von Bedeutung sein zu wissen, wie<br />
das Personal tickt, was die Leute bewegt<br />
und frustriert, welche Hobbys, Unarten und<br />
Schwächen sie haben. Fahnder, die jedoch<br />
mit der Datenrecherche zu kleinmaschig<br />
und zu technisch würden, verlören die Spur.<br />
Dasselbe gelte für Fahnder, die unwichtige<br />
Menschen beobachtete und nicht die wichtigsten.<br />
„Es ist nicht einzusehen, warum ein<br />
pwc: | juli 2009 31
pwc: Wissen<br />
Vorstand Informationen über alle Mitarbeiter<br />
sammelt und damit Misstrauen sät, anstatt<br />
bei sich selbst anzufangen.“<br />
Sammeln, Verstehen, Planen – das sind<br />
die Prinzipien der „Intelligence“ – jeder ge-<br />
heimdienstlichen Arbeit. „Das bedeutet<br />
nicht automatisch, dass es sich um eine<br />
Geheimwissenschaft handelt“, unterstreicht<br />
Rimington. Vielmehr gehe es in der Beurteilung<br />
darum, den gesunden Menschenverstand<br />
einzusetzen: „Wie reagiert jemand?<br />
Wofür ist er anfällig? Wann wird er<br />
schwach? Wo bleibt er stark? Das ist Psychologie,<br />
aber ich behaupte: Psychologie,<br />
die jeder versteht.“<br />
Stella Rimington ist überzeugt, dass Sicherheit<br />
historisches Denken erfordert, die Pflege<br />
und Deutung kritischer Unterlagen – und<br />
die dafür notwendigen Budgets. Darüber<br />
hinaus sei langfristige Sicherheit nur möglich,<br />
wenn die Verantwortlichen abwarten<br />
und vor allem abwägen könnten.<br />
Das Abwägen gefällt auch Richard Dearlove.<br />
„Ich bin ein starker Verfechter des Prinzips<br />
der Verhältnismäßigkeit: Übermäßig ausgefeilte<br />
Kontrollen bringen nichts, wenn nicht<br />
genau klar ist, was wirklich wichtig ist, was<br />
wirklich kontrolliert werden muss und wer<br />
und was wirklich kontrolliert werden kann.“<br />
Viele Manager hätten Schwierigkeiten zu<br />
akzeptieren, dass es heutzutage sehr viele<br />
Dinge gebe, die sich nicht mehr geheim<br />
halten lassen.<br />
„Im Internet befinden sich selbst technische<br />
Details über Atomkraftwerke.Diese Uhr können<br />
wir nicht zurückdrehen.“ Richard Dearlove<br />
zählt zu denjenigen, die nur allzu gut<br />
wissen, wie sehr sich die Schleusen der Informationsflut<br />
alleine in den vergangenen<br />
zehn Jahren geöffnet haben. Zwischen<br />
1999 und 2004 war er Chef („The big C“)<br />
des britischen Auslandsgeheimdiensts MI6.<br />
Im selben Zeitraum wuchsen die Speicherkapazitäten<br />
sowie die Rechen- und Übertragungsgeschwindigkeiten<br />
der Computersysteme<br />
so stark wie niemals zuvor.<br />
„The big C“: Richard Dearlove war von 1999 bis<br />
2004 Chef des britischen Auslandsgeheimdiensts<br />
MI6. Heute ist er Master des Pembroke College<br />
in Cambridge.<br />
Dearlove sitzt an einem leeren Holztisch in<br />
einem leeren Dachzimmer des altehrwürdigen<br />
Pembroke College in Cambridge. Er<br />
ist dort seit 2004 „Master“ – eine Art Ehrenpräsident.<br />
Er arrangiert Kontakte, vielleicht<br />
zu Spendern, vielleicht zu hochrangigen<br />
Politikern, vielleicht zu zukünftigen Agenten.<br />
Keiner weiß das so genau. Durch das Gaubenfenster<br />
hinter seinem Rücken strahlt die<br />
Sonne und lässt von seinem großem Kopf<br />
und den weißen Schläfen beinahe nur die<br />
Silhouette erkennen. Gut möglich, dass der<br />
Mann nicht einmal der Queen verraten hat,<br />
was er über die Umstände von Prinzessin<br />
Dianas Tod weiß und über die Hintergründe<br />
des Irakkriegs. Zyniker mögen unterstellen,<br />
er heiße „Dearlove“, um über das Böse hinwegzutäuschen.<br />
James-Bond-Fans stellen<br />
sich lieber vor, dass seine Sekretärin „Miss<br />
Moneypenny“ ist.<br />
Sir Richard setzt auf Kontrolle. Auf totale<br />
Kontrolle – nicht durch verdeckte Operationen,<br />
sondern durch Gesetz und Ordnung:<br />
„Wenn Unternehmen glauben, dass sie geheimdienstliche<br />
Methoden benötigen, müssen<br />
sie den Fall bei den Behörden anzeigen<br />
und um Unterstützung bitten.“ Gerade in<br />
Großbritannien entwickele sich die Koopera-<br />
32 pwc: | juli 2009<br />
tion zwischen Staat und Unternehmen gut –<br />
es gebe sogar gemeinsame Workshops.<br />
Dass Firmen eigene Spione oder private<br />
Dienste beauftragen, illegal zu handeln,<br />
nennt Dearlove „unerträglich, lächerlich und<br />
dumm“. Vor allem, wenn Mitarbeiter überwacht<br />
werden, damit sie kein Klopapier<br />
stehlen oder Onlinevideos schauen. Solche<br />
Fälle bereiten dem coolen Charakter eine<br />
gewisse Hitze. „Diese Unternehmen zerstören<br />
viel Vertrauen. Wenn ich Vorstand eines<br />
Unternehmens wäre, das Menschen aushorcht,<br />
würde ich zurücktreten.“ Er fordert<br />
deshalb „drakonische Strafen“ mit hohem<br />
Abschreckungswert, selbst noch für den<br />
größten Konzern. Damit liegt Dearlove fast<br />
auf einer Linie mit den deutschen Datenschützern,<br />
die der Meinung sind, dass einige<br />
Unternehmen eine Straftat begehen und<br />
dabei von vornherein kalkulieren, dass sie<br />
anschließend die Strafe aus der Portokasse<br />
bestreiten.<br />
Unbehagen bereitet Sir Richard auch die<br />
Paradoxie, dass Geheimdienste in Europa<br />
immer mehr der Überwachung durch<br />
Parlamente und Gerichte unterstellt werden,<br />
während parallel ein unkontrollierter,<br />
privater Graumarkt für Spionageleistungen<br />
entsteht – der allerdings nicht selten von<br />
ehemaligen MI6-Kollegen aufgebaut wird.<br />
„Ich sage das nicht, weil ich es sagen muss,<br />
sondern aus tiefster Überzeugung und zum<br />
Schutz unserer Demokratie: Es darf keine<br />
Freiräume für Überwachung außerhalb der<br />
Gesetze geben.“<br />
Mit der Krise habe der Trend hin zur Überwachung<br />
nichts zu tun, argumentiert Dearlove,<br />
sondern mit dem Wesen des Menschen.<br />
Die Formel dazu ist einfach: Da es<br />
immer leichter wird, andere zu bespitzeln,<br />
wird es auch immer mehr gemacht. „Die<br />
Gesetze werden schon bald erheblich verschärft<br />
werden müssen, weil sich die Technologie<br />
rasant weiterentwickelt und immer<br />
mehr Möglichkeiten bietet, in alle möglichen<br />
Systeme und Privatsphären einzudringen.<br />
Also müssen wir auch die Regeln weiterentwickeln.“<br />
Doch was rechtfertigt dann überhaupt<br />
Überwachungen – wo lauern die größten<br />
Gefahren? Durch Wirtschaftsspionage sollen<br />
jährlich Schäden in gigantischer Höhe<br />
entstehen, die OECD gab vor zwei Jahren<br />
Forensic Services<br />
Wirtschaftskriminelle manipulieren Bilanzen,<br />
unterschlagen, veruntreuen, richten hohe finanzielle<br />
Schäden an und erschüttern das<br />
Vertrauen der Anteilseigner, Kapitalgeber<br />
und Mitarbeiter. Zwar sind nur zwei Prozent<br />
aller in Deutschland verübten Verbrechen<br />
sogenannte Fraud-Delikte, der angerichtete<br />
Schaden ist aber horrend. Etwa 50 Prozent<br />
der Gesamtschadenssumme aller Straftaten<br />
geht auf das Konto von Wirtschaftskriminellen.<br />
PricewaterhouseCoopers (<strong>PwC</strong>) bietet<br />
seinen Kunden Unterstützung bei Prävention<br />
und Aufklärung von wirtschaftskriminellen<br />
Vorfällen an. Zu den Leistungen des<br />
Bereichs Forensic Services gehören unter<br />
anderem die Ermittlung bei Verdacht auf<br />
dolose Handlungen, die Erstellung gerichtsverwertbarer<br />
Sachverhaltsdarstellungen und<br />
die Analyse der individuellen Risikostruktur<br />
eines Unternehmens. Ausgehend von tatsächlichen<br />
Fällen haben die <strong>PwC</strong>-Experten<br />
das Software-Tool FRAUD-SCAN® entwickelt.<br />
Damit können unsaubere Praktiken in<br />
Firmen verhindert und betrügerische Handlungen<br />
identifiziert werden. FRAUD-SCAN®<br />
wurde im April von der Standortinitiative<br />
„Deutschland – Land der Ideen“ mit dem<br />
Innovationspreis „Ausgewählter Ort 2009“<br />
ausgezeichnet. www.pwc.de/de/pwc358<br />
eine Schätzung von 50 Milliarden Euro ab.<br />
Dearlove rät deshalb dazu, „die Augen sehr<br />
weit offen zu halten“. Mit anderen Worten:<br />
sich Hilfe zu holen und in Sicherheit zu investieren.<br />
Also brauchen Unternehmen eher mehr als<br />
weniger Geheimdienstler in ihren Sicherheitsabteilungen?<br />
Es sei der falsche Weg,<br />
hier über die Besetzung von einzelnen<br />
Planstellen oder die Vergabe von Schnüffel-<br />
„Wenn ich Vorstand eines Unternehmens wäre,<br />
das Menschen aushorcht, würde ich zurücktreten.“<br />
Richard Dearlove, Master des Pembroke College (Cambridge), Ex-MI6-Chef<br />
aufträgen nachzudenken, meint Dearlove,<br />
das Problem liege tiefer. „Ich bezweifle,<br />
dass viele Unternehmen überhaupt eine Ahnung<br />
davon haben, was Sicherheit wirklich<br />
heißt. Wer sie in seinem Unternehmen will,<br />
muss bereit sein, die Kultur radikal darauf<br />
einzustellen.“ In einer Regierungsabteilung,<br />
die absolute Geheimhaltung praktizierte,<br />
wollten die meisten Menschen nicht arbeiten<br />
– weil sie auch gar nicht könnten.<br />
Eine Regel, die Dearlove selber stets beachtet<br />
haben will und die das Wissen als<br />
wertvollste Ressource schützt, nennt er<br />
„Need to know“. „Sie erfordert Disziplin und<br />
Genauigkeit“, erklärt Dearlove. Im Prinzip<br />
funktioniere sie wie ein Fragenkatalog und<br />
sämtliche Antworten müssten ständig absolut<br />
zuverlässig gegeben werden können.<br />
Zum Beispiel: Wer weiß etwas? Welche Sekretärin<br />
ist involviert? Wer hat Zugang zu<br />
den Patenten? Wer versteht überhaupt die<br />
Patente? Unternehmen, denen es gelingt,<br />
sich nach dieser Regel zu strukturieren,<br />
seien automatisch sicherer.<br />
Richard Dearlove hat drei konkrete Tipps:<br />
„Erstens: Ich habe noch nie einen Papierkorb<br />
in meiner beruflichen Laufbahn<br />
verwendet, sondern alles geschreddert.<br />
Zweitens habe ich alle noch so banalen Vorgänge<br />
wenigstens einmal überprüft: Welches<br />
Putzpersonal hat welchen Zugang?<br />
Wer hat welchen Schlüssel? Und drittens<br />
müssen sie Luftschleusen anlegen, sogenannte<br />
Air-Gaps, wenn sie ein wirklich<br />
großes Geheimnis schützen wollen. Keine<br />
Computernetze, keine Stromnetze, gar keine<br />
Netze dürfen dorthin führen. Dorthinein<br />
legen sie ihr größtes Geheimnis.“<br />
Doch die Haltbarkeit und die Relevanz von<br />
Unternehmensgeheimnissen seien meistens<br />
nicht von langer Dauer. Dearlove spricht in<br />
englischer Sprache von „Limited Shelf-Life“.<br />
Manche Dinge müsse man nur ein paar Wochen,<br />
vielleicht Monate behüten, selten Jahre.<br />
Verantwortliche gehen, Straftaten verjähren,<br />
Unternehmen verändern sich – werden<br />
geschluckt, verkauft oder geschlossen.<br />
Welches Geheimnis lebt ewig?<br />
Dann fällt Dearlove das Coca-Cola-Rezept<br />
ein, das schon viel imitiert, aber nie vollständig<br />
kopiert worden ist. Eine Meisterleistung<br />
der Verschwiegenheit. Das Geheimnis<br />
hat Kriege überstanden und ganze Generationen<br />
von Produzenten reich – und noch<br />
viel mehr Menschen dick – gemacht. Es<br />
zählt zu der Sorte von Geheimnissen, die es<br />
nicht oft gibt, nicht einmal in Geheimdiensten.<br />
„Das größte Geheimnis der Briten ist<br />
die wahre Identität unserer Spione während<br />
des Kalten Kriegs. Sie mögen im Laufe der<br />
Geschichte von anderen entlarvt werden –<br />
wir Briten werden sie jedenfalls niemals<br />
verraten. Ihre Akten werden für immer verschlossen<br />
bleiben.“<br />
Und das ist dann indirekt vielleicht der letzte<br />
Tipp: Akten, die es gar nicht mehr gibt,<br />
kann auch niemand mehr öffnen.<br />
pwc: | juli 2009 33
pwc: Wissen<br />
Blassgrüne Logistik<br />
Die deutschen Transport- und Logistikunternehmen tun sich schwer mit<br />
dem Klimaschutz. Dabei wäre gerade jetzt der richtige Zeitpunkt dafür.<br />
Ein Kommentar von Michael Werner, Nachhaltigkeitsexperte bei <strong>PwC</strong><br />
Mit Maßnahmen zum Klimaschutz im Sinne<br />
der Verringerung des Ausstoßes von CO2 kann der Klimawandel begrenzt und sein<br />
Tempo verlangsamt werden. Neben den üblichen<br />
Kriterien wie Preis, Liefertreue und<br />
Schadensquoten rücken Themen wie Klimaschutz<br />
und verantwortliches Handeln zunehmend<br />
auch in den Fokus der Transportund<br />
Logistikbranche.<br />
Die großen Kunden der Logistikunternehmen<br />
nutzen die Zeit des wirtschaftlichen<br />
Abschwungs, um ihre Lieferkette zukunftsfähig<br />
zu machen. Der Nachweis von CO2-<br />
Emissionen, die mit der Herstellung und<br />
Lieferung eines Produkts verbunden sind,<br />
wird insbesondere für Markenartikelhersteller<br />
und Handelsunternehmen immer wichtiger.<br />
Diese werden in zunehmendem Maße<br />
auch von ihren Logistikdienstleistern CO2- Nachweise verlangen. Die wiederum stehen<br />
in der Verantwortung, den Klimaschutz<br />
als festen Bestandteil eines strategischen<br />
Nachhaltigkeitskonzepts zu integrieren.<br />
Die multinationalen Logistikunternehmen<br />
haben mit der Umsetzung von Maßnahmen<br />
zum Klimaschutz schon begonnen.<br />
Das zeigte eine Untersuchung der Internetauftritte<br />
von 25-Toplogistikunternehmen im<br />
April 2009. Sechs der betrachteten Unternehmen<br />
• Veröffentlichen eigene Umwelt- oder<br />
Nachhaltigkeitsberichte.<br />
• Berichten über ihre CO2-Emissionen. • Implementieren ein Umweltmanagementsystem<br />
nach ISO 14001.<br />
• Bieten teilweise CO2-neutrale Dienstleistungen<br />
an.<br />
• Berichten über weitere Nachhaltigkeitsthemen.<br />
Die Studie<br />
Nur 30 Prozent der<br />
mittleren und großen<br />
deutschen Logistikunternehmen<br />
bieten ökologische<br />
Produkte an. Das<br />
ergab eine Befragung<br />
von PricewaterhouseCoopers (<strong>PwC</strong>)<br />
unter den Top 100 der Branche. Weitere<br />
17 Prozent tragen sich immerhin mit dem<br />
Gedanken, ihre Produktpalette entsprechend<br />
zu erweitern. Die Kunden würden<br />
solche Produkte nicht verlangen, antworteten<br />
62 Prozent der befragten Manager.<br />
Bei den global agierenden deutschen Logistikkonzernen<br />
stellt sich das Kundenverhalten<br />
schon anders dar. Hier gab fast jeder<br />
zweite Befragte (47 Prozent) an, dass die<br />
Kunden Nachweise über Emissionsreduktionen<br />
erwarten. www.pwc.de/de/pwc364<br />
Korrelierend mit der Umsatzstärke zeigen<br />
die mittleren und kleinen Spediteure<br />
durchweg weniger oder gar keine diesbezüglichen<br />
Aktivitäten. Die im Mittelfeld<br />
angesiedelten Unternehmen veröffentlichen<br />
zwar Nachhaltigkeitsberichte, erfassen<br />
und dokumentieren die CO2-Emis sionen, doch die Zertifizierung nach ISO<br />
14001 und grüne Logistikprodukte sind für<br />
sie keine relevanten Themen. Insgesamt 14<br />
der Top-25-Logistikunternehmen bilden das<br />
Schlusslicht in Sachen Klimaschutz –<br />
keines der genannten Themen ist für sie<br />
von Bedeutung.<br />
Immer mehr Kunden werden von ihren Logistikpartnern<br />
Nachweise über die CO2-Emissionen<br />
verlangen. Die Branche sollte deshalb ökologisch<br />
nachhaltige Services in ihr Angebot aufnehmen.<br />
Die Großen der Transport- und Logistikbranche<br />
beginnen jetzt, ihre Logistikpartner<br />
in die Klimaschutzmaßnahmen einzubeziehen,<br />
indem sie Basisinformationen wie Angaben<br />
über Alter und Zusammensetzung<br />
des Fuhrparks sowie Treibstoffverbrauch<br />
und den Auslastungsgrad anfordern. Aber<br />
auch weitergehende Fragen zu technischen,<br />
organisatorischen und betrieblichen Maßnahmen<br />
sind Bestandteil der teilweise sehr<br />
umfangreichen Fragebögen.<br />
Die Umfrageergebnisse der aktuellen <strong>PwC</strong>-<br />
Studie zeigen deutlich, dass gerade kleine<br />
Logistikdienstleister den Trend zum kundenseitig<br />
geforderten Nachweis der Emissionen<br />
verkennen. Als Teil der Lieferkette<br />
sollten auch diese Unternehmen in der<br />
Lage sein, diese Angaben zu liefern. Heute<br />
gestellte Fragen können schon morgen Kriterien<br />
für die Auftragsvergabe sein.<br />
Die vollständige Erfassung und Dokumentation<br />
der CO2-Emissionen ist die erste und<br />
größte Hürde. Der Weg zum „grünen“ Produktangebot<br />
ist dann nur noch ein verhältnismäßig<br />
kleiner Schritt. Ist die Herausforderung<br />
der Emissionsdokumentation erst<br />
einmal bewältigt, überdenken vielleicht<br />
auch einige der bisherigen Nichtanbieter<br />
grüner Logistikprodukte ihre Haltung.<br />
Die aktuell geringeren Wachstumsraten im<br />
Transport- und Logistikmarkt sollten als<br />
Chance begriffen werden, sich neuen Herausforderungen<br />
wie dem klimaschonenden<br />
Transport zu widmen und neue Geschäftsfelder<br />
oder Produkte wie die klimaneutrale<br />
Logistikdienstleistung zu entdecken – mit<br />
dem Ziel, gestärkt in den Aufschwung hineinzugehen.<br />
Kontakt<br />
michael.werner@de.pwc.com<br />
<strong>PwC</strong>-Experte Nachhaltigkeit<br />
klaus-dieter.ruske@de.pwc.com<br />
<strong>PwC</strong>-Experte Transport und Logistik<br />
34 pwc: | juli 2009 pwc: | juli 2009 35
pwc: Wissen<br />
Stressfest im Stresstest<br />
Die Wirtschaftskrise schlägt vielen Managern auf Gesundheit und Gemüt. Wie<br />
sie den Existenzkampf physisch und psychisch überstehen.<br />
Von Heike Littger<br />
36 pwc: | juli 2009<br />
Wenn Roland Stiefel in die Gesichter seiner<br />
Mitarbeiter blickt, weiß er genau: Sie möch<br />
ten von ihm klare Antworten. Wie geht es<br />
mit unserem Unternehmen weiter? Wird es<br />
weitere Entlassungen geben? Können wir<br />
unserer Zukunft sicher sein? 100 Prozent<br />
verlässlich kann sich der Geschäftsführer<br />
der französischen und der Schweizer Nie<br />
derlassung des norddeutschen Familien<br />
unternehmens Ado Goldkante dazu nicht<br />
äußern. „Das ist das Schwierige an der mo<br />
mentanen Situation“, sagt er. „Keiner kann<br />
sagen, wie lange die Krise noch andauern<br />
und wie sie sich konkret auswirken wird.“<br />
Nach Januar und Februar – zwei Monaten<br />
mit Umsatzeinbußen von bis zu 20 Prozent<br />
in seinen Märkten – zog das Geschäft da<br />
nach wieder deutlich an. „Ich gehe aber da<br />
von aus, dass es das übliche Saisonhoch<br />
ist – Gardinen werden vor allem im Frühjahr<br />
gekauft – und wir auch noch über das Jahr<br />
2010 hinaus mit der Krise zu kämpfen ha<br />
ben werden.“ Mit dieser Einschätzung ist<br />
Stiefel nicht allein.<br />
PricewaterhouseCoopers (<strong>PwC</strong>) hat zum<br />
Auftakt des diesjährigen Weltwirtschafts<br />
forums im schweizerischen Davos 1.124<br />
Chief Executive Officers aus 50 Ländern<br />
befragt. Ihr Vertrauen in die zukünftige ge<br />
schäftliche Entwicklung ist tief gesunken.<br />
<strong>PwC</strong>Vorstandssprecher Hans Wagener:<br />
„Der Optimismus hat in allen Bereichen ab<br />
genommen. Nur 21 Prozent der befragten<br />
CEOs rechnen mit einem Wirtschafts<br />
wachstum in laufenden Jahr.“ Nicht viel<br />
besser: die langfristigen Prognosen. „Le<br />
diglich 34 Prozent glauben an ein Wachs<br />
tum in den nächsten drei Jahren“, so Wa<br />
gener. „In der Befragung des Vorjahrs, als<br />
sich das Ausmaß der weltweiten Finanz<br />
und Wirtschaftskrise langsam abzuzeich<br />
nen begann, waren es noch 42 Prozent.“<br />
Die Frage: Was steckt hinter diesen Zah<br />
len? Wie wirkt sich die Krise, die Unge<br />
wissheit vor der Zukunft auf die physische<br />
und psychische Gesundheit von Managern<br />
und Unternehmern aus?<br />
Der Sozialwissenschaftler und Manage<br />
mentberater Peter WollschingStrobel<br />
erzählt: „Gerade in Frankfurt sind die<br />
Arztpraxen voll, Hörsturz und Magenge<br />
schwür stark im Trend.“ Und auch er hat<br />
gut zu tun. In seinem Kalender findet sich<br />
für die kommenden acht Wochen keine<br />
Lücke. „Die Stimmungslage unter meinen<br />
Klienten ist angespannt, alle sind sehr be<br />
sorgt.“ Die schlimmsten Nachrichten sind<br />
noch gar nicht über den Newsticker ge<br />
laufen, so die Überzeugung, die Banken<br />
haben noch längst nicht alles gebeichtet.<br />
„Manche rechnen sogar mit einem Staats<br />
bankrott innerhalb der EUZone“, so Woll<br />
schingStrobel. Die Reaktion hänge von<br />
der Persönlichkeit ab: Flucht oder Angriff.<br />
„Die einen ducken sich weg – ich kann so<br />
wieso nichts tun. Die anderen arbeiten wie<br />
verrückt – jetzt nur nicht aufgeben.“<br />
„Besonders gefährdet“, sagt Ulrich Soll<br />
mann, „sind Manager und Unternehmer,<br />
die nicht wissen, wo sie in ihrem Leben<br />
hinwollen und was ihnen wirklich wich<br />
tig ist.“ Sie funktionieren, so der Manage<br />
mentcoach aus Bochum, weil sie gelernt<br />
haben zu funktionieren. Nur: Inmitten der<br />
tiefsten und am stärksten synchronisierten<br />
Rezession, wie OECDChefvolkswirt Klaus<br />
SchmidtHebbel kürzlich sagte, scheinen<br />
ihre alten Handlungsmuster nicht mehr zu<br />
greifen, und auch die herkömmlichen, vertrauten<br />
Alternativen nicht. „Es herrscht die<br />
große Desillusionierung“, so Sollmann, „wer<br />
da keine verinnerlichten Ziele hat, an die er<br />
selbst noch glauben kann, hat keinen inneren<br />
Piloten mehr und fällt ins Bodenlose.“<br />
So wie jener Manager, der seit drei Monaten<br />
den Vertrieb eines mittelständischen<br />
Unternehmens leitet. Sein Vorgänger hatte<br />
versucht, den Laden trotz Krise am Laufen<br />
zu halten. Plötzlich fiel er tot um. Herzinfarkt.<br />
Er selbst liegt seit zwei Wochen wegen<br />
einer schweren Autoimmunerkrankung<br />
im Krankenhaus. Doch anstatt sich zu erholen,<br />
macht er vom Krankenbett aus weiter<br />
Geschäfte. „Das ist kein extremer Fall. Viele<br />
Manager haben keinen Zugang zu ihrer körperlichen<br />
und seelischen Gesundheit“, so<br />
pwc: | juli 2009 37
pwc: Wissen<br />
Sollmann. „Sie machen sich hart bis zur<br />
Selbstaufgabe. Das Funktionieren und die<br />
Illusion von der eigenen Allmacht stehen im<br />
Vordergrund.“<br />
Andreas Hillert kennt das. Der Chefarzt an<br />
der MedizinischPsychosomatischen Klinik<br />
Roseneck in Prien am Chiemsee hat<br />
derzeit alle Hände voll zu tun. Auf seiner<br />
Station liegen viele Manager, welche die<br />
Krise völlig unvorbereitet aus dem Alltag<br />
geschleudert hat. „Die meisten erleben das<br />
entweder als Kränkung oder als Hilflosigkeit,<br />
besonders, wenn sie mit Macht oder<br />
Gesichtsverlust verbunden ist“, so Hillert.<br />
Wer so eine Möglichkeit in seiner Lebensplanung<br />
bisher für ausgeschlossen hielt,<br />
gerät jetzt ins Schlingern. Allzu oft hört der<br />
Psychiater Sätze wie diese: „Herr Doktor,<br />
seien wir mal ehrlich, wer in meiner Branche<br />
mal in eine Psychoklinik musste, der<br />
ist doch fertig ...“ Da ist der Schritt nicht<br />
weit, die Schuld bei anderen zu suchen<br />
und resigniert in Richtung Berufsunfähigkeitsrente<br />
zu schielen. „Zumal viele Spitzenleute<br />
auch mit dem Imagewandel vom<br />
coolen Erfolgsmenschen zum raffgierigen<br />
Sündenbock nicht fertig werden. Sie sehen<br />
sich selbst als unschuldige Opfer globaler<br />
Entwicklungen.“ Es ist ein langer Prozess,<br />
diese Depression zu bewältigen und neue<br />
Perspektiven zu entwickeln. Entscheidend<br />
sei dabei, dass Manager aufhörten, nur<br />
nach außen zu schauen, der Blick müsse<br />
sich nach innen richten, so Götz Mundle,<br />
Professor für Psychiatrie und Psychotherapie<br />
an der Universität Tübingen und<br />
Geschäftsführer der OberbergKliniken<br />
Schwarzwald. „Die meisten kennen ihr<br />
Leistungsprofil hervorragend, doch sie wissen<br />
wenig über ihr emotionales Persönlich<br />
Seelische Alarmsignale<br />
Eine psychische Krise kündigt sich an. Warnzeichen,<br />
die man ernst nehmen sollte:<br />
• Das Gefühl „Ich werde gebraucht“ schlägt<br />
um in das Gefühl „Ich bin unersetzlich“.<br />
• Eigene Bedürfnisse werden verdrängt,<br />
der Terminkalender lässt angeblich keine<br />
Freiräume für Privates zu. Selbst für Mittagessen<br />
und Toilettengänge bleibt kaum Zeit.<br />
• Joggen, Paragliding, ins Konzert gehen –<br />
was auch immer früher wichtig war, erscheint<br />
als Zeitverschwendung. Der Job ist<br />
das Maß aller Dinge.<br />
• Körperliche Symptome wie Kopf, Magen<br />
oder Rückenschmerzen, Harndrang,<br />
Ohrensausen oder Atembeschwerden wer<br />
den kleingeredet, Fragen nach dem Sinn<br />
des Lebens ignoriert.<br />
• Kollegen werden als stupide, faul, ständig<br />
keitsprofil. Nur durch den wechselseitigen<br />
Abgleich bleiben sie dauerhaft leistungsfähig<br />
und gesund.“ Das heißt, sich zu fragen:<br />
Wo bin ich stark, wo bin ich verwundbar,<br />
wo brauche ich im Arbeitsalltag Unterstützung,<br />
wovor habe ich Angst, was ist meine<br />
innere Richtschnur?<br />
Nur wer sich darüber im Klaren ist, hat<br />
die Kraft und die Souveränität, auch in<br />
Zeiten extremer Dauerbelastung und enormen<br />
Stresses in einer Krise zu bestehen.<br />
Mundle: „Doch Topleute haben oft nicht<br />
einmal gelernt, abzuschalten, sich Zeit zu<br />
nehmen, um nachzudenken und zur Ruhe<br />
zu kommen. Ein erster Schritt ist, die Rahmenbedingungen<br />
zu verbessern.“ Einen<br />
von sieben Tagen Pause machen, egal<br />
was ansteht; 15 Minuten die Tür schließen<br />
und Entspannungsübungen machen, auch<br />
wenn der nächste Termin im Vorzimmer<br />
„Die meisten Manager wissen zu wenig über ihr<br />
emotionales Persönlichkeitsprofil.“<br />
Götz Mundle, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Tübingen<br />
drängelt; zweimal die Woche Sport machen<br />
und Zeiten für Familie und Freunde<br />
einplanen. „Dann fällt es leichter, in sich<br />
hineinzuhören und seinem Persönlichkeitsprofil<br />
auf die Spur zu kommen.“<br />
Das ist ein weiter Weg, der alleine manchmal<br />
kaum zu bewältigen ist. AdoGoldkanteGeschäftsführer<br />
Roland Stiefel hat sich<br />
bereits im Sommer vergangenen Jahres an<br />
fordernd und undiszipliniert wahrgenommen,<br />
ebenso Freunde und Bekannte. Man<br />
geht auf Distanz, reduziert soziale Kontakte<br />
auf ein Minimum.<br />
• Freie Tage bringen keine Erholung mehr,<br />
Alkohol und Drogen sorgen für Entspannung,<br />
Schlaf und Energie.<br />
JörgPeter Schröder gewandt. „Ado steckte<br />
damals mitten in einer Reorganisation, und<br />
auch damals wollten seine Mitarbeiter von<br />
ihm Antworten“, so der Arzt und Managementcoach<br />
aus Mainz. „Dazu war er aber<br />
nicht wirklich in der Lage. Seine Gedanken<br />
kreisten um seine eigene Existenz. Um seine<br />
Angst und zum Teil auch Machtlosigkeit.“<br />
Heute weiß Stiefel: „Eine Krise, auch die<br />
Weltwirtschaftskrise, hat nichts mit meinem<br />
persönlichen Glück zu tun. Sie kann mir im<br />
Grunde nichts anhaben. Sie gefährdet nicht<br />
meine nackte Existenz, sondern höchstens<br />
mein Leben in gewohnten Bahnen.“ Das<br />
zu wissen gibt dem 35Jährigen heute die<br />
nötige Kraft, Entscheidungen zu treffen,<br />
Perspektiven zu wechseln und selbstbewusst<br />
vor seine Mitarbeiter zu treten und zu<br />
sagen: „Ich weiß auch nicht, was morgen<br />
und übermorgen kommt. Aber lasst es uns<br />
trotzdem anpacken und flexibel auf die Entwicklung<br />
reagieren.“ Im Moment die einzig<br />
sinnvolle Strategie.<br />
Rudolf Bündgen hat seine Entscheidungen<br />
längst getroffen. Er weiß genau, wo es hin<br />
gehen soll in den nächsten Monaten und<br />
Jahren. Vielleicht ist es auch das, was ihn<br />
so anpackend, so wohlgelaunt, so krisen<br />
stark erscheinen lässt, wenn er den Hörer<br />
abhebt. Und das, obwohl der Vorstands<br />
sprecher sein Unternehmen gerade in die<br />
Insolvenz führt: die Schiesser AG.<br />
38 pwc: | juli 2009<br />
Schlägt das nicht auf die Stimmung?<br />
„Ganz und gar nicht“, sagt Bündgen. „Die<br />
Stimmung bei uns ist gut. Denn wir wis<br />
sen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“<br />
Seit 2007 ist der CEO dabei, das Unter<br />
nehmen wieder auf das Kerngeschäft zu<br />
eichen. Mit Ausflügen in wenig ertragreiche<br />
Geschäftsfelder wie die Lizenzproduktion<br />
für Markenhersteller wie Puma oder Mexx<br />
hatte sich sein Vorgänger gründlich ver<br />
galoppiert. Gemeinsam mit seinen beiden<br />
Vorstandskollegen warf Krisenmanager<br />
Bündgen das Ruder herum: Er stieß den<br />
größten Teil dieser Felder ab, entließ 1.000<br />
Mitarbeiter weltweit, machte Prozesse im<br />
Unternehmen effizienter. Ein gewaltiges<br />
Restrukturierungsprogramm, von dem 70<br />
Prozent bereits geschafft waren. Da drehte<br />
die Krise dem Unternehmen den Saft ab:<br />
Die Banken strichen die Kredite, mit denen<br />
Schiesser jedes Halbjahr die Saisonware<br />
vorfinanziert. Ausreichend Rücklagen gab<br />
es nicht. Da blieb nur die Insolvenz.<br />
Wie macht es einer wie Bündgen, an so<br />
einem Druck nicht zu zerschellen, seine<br />
Leute mitzuziehen? „Ich gehe offen mit der<br />
Situation um und beziehe permanent die<br />
anderen mit ein“, sagt er. „Statt meinen<br />
Mitarbeitern vorzumachen, alles sei in But<br />
ter, und plötzlich streift uns doch noch ein<br />
DZug, nehme ich lieber in Kauf, dass wir<br />
gemeinsam lange Phasen der Unsicherheit<br />
durchlaufen. Das macht die Lage transparent,<br />
und ich bekomme mehr davon mit,<br />
was im Unternehmen passiert.“ Einmal im<br />
Monat versammelt er die Belegschaft und<br />
informiert sie über den Status quo. Bündgen<br />
bleibt optimistisch. Das Konzept für<br />
den Weg aus der Insolvenz hat er schon in<br />
der Tasche. Die Auftragsbücher sind gefüllt,<br />
die Handelspartner solidarisch, der<br />
Insolvenzverwalter auf seiner Seite. Jetzt<br />
muss er nur noch die Gläubigerversammlung<br />
überzeugen. Bündgen: „Ich befürchte<br />
nichts, wir schaffen es aus eigener Kraft.<br />
100 Prozent.“<br />
„Tief getroffen“<br />
Oliver Sinner, einst Dotcomgründer, heute Hotelier,<br />
über Nackenschläge und Auswege in der Krise.<br />
Das Gespräch führte Heike Littger.<br />
Herr Sinner, in Sachen Krise macht Ihnen<br />
keiner mehr etwas vor. Als 2001 die DotcomBlase<br />
an den Börsen und in der Wirklichkeit<br />
zerplatzte, hat Ihr Unternehmen, der<br />
Onlinedienstleister SinnerSchrader, überlebt.<br />
Wie haben Sie das gemacht?<br />
Es hat sich ausgezahlt, dass wir die Langweiler<br />
der Branche waren: im Grunde ein<br />
Unternehmen alter Schule. Wir waren finanziell<br />
nicht vom Aktienkurs abhängig, hatten<br />
weder mit Venture Capital noch mit Darlehen<br />
unser Geschäft aufgebaut – sondern<br />
nur mit Geld, das wir bereits verdient hatten.<br />
Außerdem haben wir nie coole Websites<br />
gebaut oder Branding gemacht. Natürlich<br />
brach auch unser Aktienkurs am Neuen<br />
Markt ein, da wurden wir genauso abgestraft<br />
wie alle anderen. Aber die Existenz<br />
unseres Unternehmens war dadurch nicht<br />
gefährdet.<br />
War die Krise nach dem Ende des Internetbooms<br />
für Sie als Unternehmer ein Schock?<br />
Eigentlich nicht, denn bei uns kam die Krise<br />
schleichend an. Unsere Kunden waren nicht<br />
die Dotcoms, die nach dem Börsencrash<br />
den Bach runtergingen, sondern Unternehmen<br />
wie die Deutsche Bank oder Tchibo.<br />
Natürlich, die Zeit zum Feiern war ebenso<br />
vorbei wie die der Wachstumsraten im dreistelligen<br />
Bereich.<br />
Also nur eine ganz normale Normalisierung?<br />
Nein. Eines hat sich nach dem Crash von<br />
einem auf den anderen Tag geändert: die<br />
Stimmung der Mitarbeiter. Sie wurden ungeheuer<br />
nervös, hatten Angst um ihren Job ...<br />
... und bald mussten Sie tatsächlich Mitarbeiter<br />
entlassen ...<br />
... auch wir mussten schließlich sehen, dass<br />
wir nicht in die Miesen rutschen. Leichtgefallen<br />
ist mir das nicht. Aber ich habe es<br />
einfach gemacht. Das gehört zum Unter<br />
nehmertum. Zum Glück waren das alles<br />
Leute zwischen 20 und 30, die würden bald<br />
etwas Neues finden. Hätte ich Familien<br />
väter, die sich für ein Haus verschuldet<br />
haben und in einer strukturschwachen<br />
Gegend leben, entlassen müssen – Heidewitzka,<br />
das wäre etwas völlig anderes gewesen!<br />
Und doch sind Sie 2002 aus der Firma ausgestiegen.<br />
Warum?<br />
Es hat mir keinen Spaß mehr gemacht. Der<br />
Umgang mit den Mitarbeitern wurde immer<br />
schwieriger. Solange alles schön lief, war<br />
das Vertrauen groß. Als der Markt einbrach,<br />
war schnell Misstrauen da. Das hat mich<br />
persönlich enttäuscht, ja, in den Grundfesten<br />
meines Unternehmertums erschüttert.<br />
Ich hatte immer eine enge, persönliche<br />
Beziehung zu meinen Leuten, kein ArbeitgeberAngestelltenVerhältnis.<br />
Zum Ende hin nicht mehr ...<br />
Eines Tages bekam ich einen Anruf in<br />
meinem Ferienhaus auf Mallorca: Morgen<br />
darfst du nicht ins Unternehmen, die Gewerkschaft<br />
will mit den Mitarbeitern einen<br />
Betriebsrat gründen. Das hat mich tief getroffen.<br />
Antriebslos habe ich noch ein bisschen<br />
weitergemacht. Und mich auf das Leben<br />
mit meiner Familie und meiner kleinen<br />
Tochter gefreut.<br />
pwc: | juli 2009 39
pwc: Wissen<br />
Der Reformator<br />
Seine Ideen für Schulreformen tun manchem weh. Ludger Wößmann ist<br />
Bildungsökonom – das allein ist hierzulande schon fast unerhört. Trotzdem<br />
hören immer mehr auf ihn.<br />
Von Oliver Driesen<br />
Ludger Wößmann konnte nur verlieren.<br />
Eisige Ablehnung erwartete den Münchner<br />
Professor für Bildungsökonomie auf dem<br />
Podium und im Saal. Das verhieß erstens<br />
der Titel der Tagung im Stuttgarter Haus<br />
der Wirtschaft: „Das Wahre wird zur Ware –<br />
Privatisierung im Bildungswesen“. Zwei<br />
tens der Veranstalter: die stramm rotgrüne<br />
Lehrergewerkschaft GEW. Und schließlich<br />
die Begrüßung durch Rainer Dahlem, einen<br />
ehemaligen GEWLandesvorsitzenden, der<br />
Wößmann mit den Worten ankündigte: „Er<br />
kann es weder den Linken noch den Konservativen<br />
recht machen.“<br />
Dieses Versprechen löste der erst 35jährige<br />
Professor spielend ein: mit seiner Kernforderung<br />
nach mehr Privatschulen, die<br />
aber bitte schön ausschließlich vom Staat<br />
finanziert werden und auf Schulgebühren<br />
verzichten müssten. Ein Tritt mit dem Spielbein<br />
in die Weichteile der Linken, einer mit<br />
dem Standbein in die der Rechten, die indes<br />
gar nicht anwesend waren.<br />
Es ist aber auch irritierend: Ein Thirtysomething,<br />
der als Kinnbartträger in Cordsakko<br />
und Jeans bei der Arbeit zunächst an einen<br />
progressiven Sozialkundelehrer erinnert,<br />
setzt sich in der Bildungsdebatte offensiv<br />
zwischen alle Stühle. Fordert einerseits,<br />
dass Deutschland die Schullaufbahnen<br />
wesentlich später als nach der vierten Klas<br />
se aufteilen müsse, weil sozial benachteilig<br />
te Jugendliche mit 15 oder 18 Jahren sonst<br />
keine Möglichkeit mehr zum Umsteuern<br />
hätten. Findet andererseits, dass staatli<br />
che Schulen viel mehr Wettbewerb bräuch<br />
ten, statt sich träge der Zuteilungen von<br />
Vater Staat gewiss sein zu dürfen. Hat für<br />
alles empirische Belege aus internationalen<br />
Schulvergleichsstudien, die er interpretie<br />
ren kann wie wenige in Deutschland – und<br />
ist allemal angriffslustig: „Diese Fakten zu<br />
Leuten zu tragen, die es überhaupt nicht<br />
hören wollen, das macht doch Spaß. War<br />
um sollen wir uns was erzählen, worüber wir<br />
Bildung in der Bilanz<br />
Bildung ist nicht nur ein Wert an sich, son<br />
dern auch ein Wert für Unternehmen. Auf<br />
dem Weg in die Wissensgesellschaft nimmt<br />
der Anteil stetig zu, den Wissen, Bildung<br />
und Erfahrung, kurz: das Humankapital<br />
der Beschäftigten, am Unternehmenserfolg<br />
haben. Nur in der Bilanz taucht dieser<br />
Wert weiterhin nicht auf: Die Aktivierung des<br />
Humankapitals als Vermögenswert ist weder<br />
nach deutschen noch nach internationalen<br />
Bilanzregeln zulässig. Für die Unternehmensbewertung<br />
ist es jedoch wichtig,<br />
alle Werttreiber identifizieren und quantifizieren<br />
zu können.<br />
Bei PricewaterhouseCoopers ist ein Team<br />
um Fachfrau Jutta Menninger für die Bewertung<br />
immaterieller Vermögenswerte zuständig.<br />
Sowohl für Marken als auch für<br />
Patente, als auch für Humankapital liegen<br />
aktuelle Studien vor.<br />
www.pwc.de/de/pwc331<br />
uns einig sind? Wenn sich irgendwo etwas<br />
ändern soll, dann muss man genau da hin<br />
gehen, wo es wehtut.“<br />
In keine Schublade passt dieser junge<br />
Mann, der sich außer Professor auch noch<br />
Bereichsleiter Humankapital und Innovation<br />
nennen darf – am renommierten Ifo Institut<br />
für Wirtschaftsforschung. „Humankapital“<br />
ist schon mal zum Unwort des Jahres<br />
gewählt worden. Natürlich nicht von Öko<br />
nomen wie Wößmann, der es gerne be<br />
nutzt: „Es bedeutet ja, dass zum ersten Mal<br />
der einzelne Mensch ins Zentrum der wirt<br />
schaftswissenschaftlichen Überlegungen<br />
gerückt wird.“ Und nicht mehr ein anonymer<br />
„Faktor Arbeit“.<br />
Eines ist Wößmann mit Sicherheit: ein<br />
Überflieger. Abi mit 1,0 am Bischöflichen<br />
Gymnasium im münsterländischen Ahlen,<br />
Volkswirtschaftsdiplom in Marburg mit sehr<br />
gut, Promotion zum Doktor der Politikwis<br />
senschaften an der Uni Kiel, summa cum<br />
laude, mit 28 Jahren. Habilitiert in München<br />
mit 33, Gastprofessuren in Harvard und<br />
Stanford.<br />
Das Bischöfliche Gymnasium, das Müns<br />
terland und Wößmann sind übrigens alle<br />
katholisch. Das ist erwähnenswert, weil er<br />
später mit einem Forschungsergebnis von<br />
sich reden machte, das den Soziologen<br />
Urvater Max Weber (1864–1920) widerlegte.<br />
Weber zufolge war der messbare Wohl<br />
standsvorsprung der preußischen Protes<br />
tanten vor den Katholiken ihrer besonderen<br />
„Arbeitsethik“ zu verdanken.<br />
40 pwc: | juli 2009<br />
Wößmann aber hinterfragte und publizierte<br />
im vergangenen Jahr seine eigene „Human<br />
Capital Theory of Protestant Economic His<br />
tory“: Der teilweise bis heute feststellbare<br />
höhere Wohlstand lag am protestantischen<br />
Bildungswesen. Wo Lutheraner lebten, ent<br />
standen Schulen, Schulen schafften Alpha<br />
betisierung, Bildung schaffte Arbeit, Arbeit<br />
schaffte Wohlstand. So schlicht ist das,<br />
aber alles andere als einfach.<br />
Heutigen Hauptschülern mit Migrationshin<br />
tergrund steht kein Reformator bei, sie wer<br />
den früh und gnadenlos aufs Abstellgleis<br />
verschoben. Gegen diese Ungerechtigkeit<br />
helfe nur längeres gemeinsames Lernen vor<br />
der Aufteilung der Schullaufbahnen – und<br />
der clevere Umgang mit begrenzten Mitteln:<br />
„Effizienz ist sehr wichtig, denn damit holen<br />
wir aus den knappen Ressourcen das Beste<br />
heraus. Gerade für benachteiligte Schichten,<br />
denen man sonst etwas vorenthält, das<br />
sie eigentlich bekommen könnten.“<br />
Auch deshalb ist Wößmann in der Bildungsökonomie<br />
gelandet. Sein steiler Aufstieg in<br />
dieser Disziplin wird angetrieben von Idealismus<br />
und von Fragen. Er beginnt beim<br />
Aufbau eines DritteWeltLadens, wo Wöß<br />
mann auch Zivildienst leistet und anfängt,<br />
sich für Entwicklungsländerökonomien zu<br />
interessieren: Warum kommen so viele nie<br />
auf einen grünen Zweig? Er geht zum Studium<br />
nach Marburg, Entwicklungsökonomie.<br />
Doch er findet nur unzureichende Antworten,<br />
wechselt nach Kiel, wendet sich internationalen<br />
Wachstumstheorien zu. Erstmals<br />
gibt es Ende der 90erJahre weltweit<br />
konsistente Daten über den Zusammenhang<br />
zwischen Bildungsanstrengungen und<br />
Wohlstandswachstum.<br />
In den USA stößt er auf Bildungsökonomen.<br />
Die Amerikaner beackern dieses Feld seit<br />
Jahrzehnten, denn sie wissen, dass ihr<br />
teures Schul und Universitätssystem neben<br />
wenigen Eliteleuchttürmen viel zu viel<br />
traurige Massenware produziert. Als einer<br />
der Ersten hierzulande nimmt sich Wößmann<br />
die Daten der international vergleichenden<br />
Bildungsstudie TIMSS vor und<br />
macht daraus seine Dissertation. Da trifft<br />
Deutschland zur Jahrtausendwende mit voller<br />
Wucht der PISASchock. Und plötzlich<br />
ist er ein gefragter Experte, denn nun will<br />
alle Welt Lösungen. Und Wößmann bohrt<br />
Der krumme Weg kam gerade recht: Vom Zivi im DritteWeltLaden<br />
zum Ordinarius für Bildungsökonomie gelangte Ludger Wößmann<br />
durch Idealismus und Hartnäckigkeit.<br />
sich in die Daten. Das genau bringt IfoChef<br />
HansWerner Sinn dazu, ihn 2003 an sein<br />
Münchner Institut zu holen: „Wößmann ist<br />
ein hartnäckiger Forscher, der sich innovativen<br />
Themen zuwendet und sich dann mit<br />
großem Einsatz durchkämpft, bis die Wahrheit<br />
ans Licht kommt. Er ist ergebnisoffen<br />
und versteht es, die Daten zum Sprechen<br />
zu bringen. Ein begnadeter Forscher.“<br />
Sinn hat als Koberichterstatter auch Wößmanns<br />
Habilitation den Weg geebnet. Der<br />
ist nun einer von neun Professoren des<br />
Aktionsrats Bildung, der auf Initiative der<br />
Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft<br />
das deutsche Bildungssystem mit Jahresgutachten<br />
begleitet. Die aktuelle Krise<br />
hat Wößmanns Vision von mehr Chancengleichheit<br />
durch mehr Wettbewerb im Bildungssektor<br />
nicht erschüttert. Ein Zwang<br />
zur Konkurrenz um Schüler, so glaubt er,<br />
dürfte auch öffentliche Schulen kreativer<br />
machen. Seine eigenen Kinder sind noch<br />
im Kindergarten. Doch voll Zuversicht will<br />
er sie zunächst dem Staat anvertrauen:<br />
„Ich möchte, dass sie einen ganz normalen<br />
Schulweg nehmen, weil öffentliche Schulen<br />
genauso gut sein können wie private.“<br />
pwc: | juli 2009 41
pwc: Trends<br />
Werkzeuge<br />
gegen<br />
die Krise<br />
Gegen die Wirtschaftskrise ist kein Kraut<br />
gewachsen – fast jedes Unternehmen<br />
muss sich mit ihren Folgen befassen. Eini-<br />
ge schlittern sogar in eine Liquiditätskrise.<br />
Mithilfe der richtigen Tools können die Ver-<br />
antwortlichen aber Geschäftsprozesse so<br />
umgestalten, dass sie zunächst transparent<br />
werden, um dann auf Basis eines ganzheit-<br />
lichen Konzeptes mit Bedacht durchgreifen<br />
zu können. „Die Erfolgsaussichten einer Re-<br />
strukturierung steigen bei Einsatz der rich-<br />
tigen Tools“, bestätigt Patrick Ziechmann,<br />
Restrukturierungsberater bei <strong>PwC</strong>. „Dabei<br />
kommt dem Liquiditätsmanagement be-<br />
sondere Bedeutung zu – Cash is King!“ Die<br />
Manager sollten auf Basis einer detaillier-<br />
ten, verlässlichen und permanent aktuali-<br />
sierten Liquiditätsplanung operieren. Wirt-<br />
schaftsprüfer, die ein Unternehmen bei<br />
Stadtwerke trauen sich<br />
Zahlungsunfähigkeit beraten, nutzen etwa<br />
als fachliche Grundlage den Prüfstandard<br />
(PS) 800 des Instituts der Wirtschaftsprü-<br />
fer (IDW). Die Anforderungen des IDW PS<br />
800 machen eine rollierende Liquiditätspla-<br />
nung sinnvoll, also eine periodenorientierte,<br />
möglichst detaillierte Planung, die immer<br />
wieder aktualisiert wird. Ein integriertes<br />
„Sehr wahrscheinlich“ oder „wahrscheinlich“ werden 72 Prozent der<br />
Stadtwerke in Deutschland noch in diesem Jahr untereinander<br />
kooperieren. Der Kostendruck steigt, der Markt hat nach der<br />
Liberalisierung an Dynamik gewonnen – die sonst unabhängig<br />
wirtschaftenden Stadtwerke fangen an, die Branche nach einem<br />
passenden Partner zu durchkämmen. Von Dienstleistungsmodellen<br />
bis zur Fusion – die Entwürfe, die gedacht werden, sind vielfältig.<br />
Nach dem Motto „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht<br />
etwas Besseres findet“ sollten<br />
auch die Stadtwerke ihre Partner<br />
mit Bedacht wählen, raten<br />
die Experten von <strong>PwC</strong>. Eine<br />
Kooperation ist dann von Erfolg<br />
gekrönt, wenn strategische,<br />
technische, kulturelle und persönliche<br />
Übereinstimmungen<br />
schon bestehen.<br />
www.pwc.de/de/pwc374<br />
Planungstool, mit dem die wechselseitigen<br />
Effekte der Gewinn-und- Verlust-Rechnung,<br />
der Bilanz und der Cashflow-Rechnung mit-<br />
einander verknüpft und so deren Effekte auf<br />
die Liquidität hin simuliert und analysiert<br />
werden können, sollte die Landkarte aus<br />
der Krise darstellen. Ein externer Sachverständiger<br />
kann in so einer Lage auch Wunder<br />
vollbringen.<br />
www.pwc.de/de/pwc365<br />
Bürokratie digital dezimieren<br />
Rechnungen sollen künftig auch in elektronischer Form verschickt<br />
und archiviert werden dürfen, schlägt die EU-Kommission im Zuge<br />
der Überprüfung der Mehrwertsteuervorschriften vor. Auch die<br />
2006 eingeführte Signaturpflicht für digitale Rechnungen möchten<br />
die Herrschaften in Brüssel wieder kippen. Ein deutscher Händler<br />
muss etwa seine elektronisch versandten Rechnungen digital<br />
mit seiner Signatur versehen, damit sein Vertragspartner Vorsteuerabzug<br />
bei deutschen Finanzämtern geltend machen kann. Viel zu<br />
kompliziert, so die Kommission,<br />
außerdem viel zu bürokratisch.<br />
Durch die neuen Regelungen<br />
könnten die Unternehmen jährlich<br />
18 Milliarden Euro einsparen.<br />
Der Europäische Rat und<br />
das Europaparlament müssen<br />
noch zustimmen, dann könnten<br />
die Regelungen 2013 in Kraft<br />
treten.<br />
Günstig und schnell,<br />
individuell und präventiv<br />
Die Pharmaindustrie hatte bisher ein bewährtes Modell:<br />
Medizin entwickeln und verkaufen. Diese Strategie<br />
wird jetzt hinfällig – die Gesundheitssysteme in den<br />
Industriestaaten ändern sich, und mit ihnen steht die<br />
Pharmabranche unter Reformdruck. Da Patienten im<br />
Jahr 2020 einen großen Teil der Gesundheitsausgaben<br />
selbst übernehmen müssen, werden sie verstärkt nach<br />
Alternativen zur Verschreibung teurer Medikamente fragen,<br />
heißt es in der <strong>PwC</strong>-Studie „Pharma 2020“. Die<br />
immer besser informierten Patienten werden künftig<br />
vermehrt auf individualisierte Behandlung pochen. Der<br />
Pharmaindustrie wird nichts anderes übrig bleiben, als<br />
sich mit Ärzten, Kliniken, Forschern, Versicherungen und<br />
last but not least den Patienten kurzzuschließen. Einzige<br />
Alternative zum Netzwerkmodell ist die Diversifikation. Das stelle aber eine neue Herausforderung<br />
an die Unternehmenskultur der jeweiligen Unternehmen, sagt Volker Fitzner,<br />
Pharmaexperte bei <strong>PwC</strong>. Es wird nicht mehr darum gehen, Medikamente zu kreieren und<br />
zu vertreiben, die Mitarbeiter der künftigen Gesundheitskonzerne müssten das Ziel „optimale<br />
Gesundheitsversorgung“ im Visier haben. www.pwc.de/de/pwc347<br />
+1 646 471–4058<br />
ist die Rufnummer des German Desk von Wirtschaftsprüfer<br />
Jürgen Lehnus und +1 646 471-8242 die von Steuerberater<br />
Stefan Brunsbach. Beide leiten das German Desk von <strong>PwC</strong><br />
in den Vereinigten Staaten. Die größten Tochtergesellschaften<br />
deutscher Unternehmen sind immer noch in Nordamerika<br />
ansässig. Das German Network von <strong>PwC</strong> in den USA hilft<br />
deutschen Unternehmern, transatlantische Geschäfte zu stabilisieren<br />
oder neu anzugehen.<br />
Ein sicherer Hafen für Manager<br />
Über Recht und Wirklichkeit der Managerhaftung<br />
gibt es landläufig abenteuerliche Spekulationen.<br />
So wird etwa behauptet, dass Manager für fehler-<br />
hafte Weisungen nicht haften, jedenfalls nicht mit<br />
Privatvermögen. Ganz so simpel ist die Rechtslage<br />
nicht. Der Gesetzgeber hat 2005 durch das Gesetz<br />
zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des An-<br />
fechtungsrechts (UMAG) die aus dem angelsächsischen<br />
Raum bekannte Business Judgment Rule (BJR) in das deutsche<br />
Aktienrecht aufgenommen. Geschäftsleiter, also Vorstände, Geschäftsführer und<br />
Aufsichtsräte, sind danach nur unter genau bezeichneten Bedingungen haftungsfrei.<br />
Beispielsweise ist eine Pflichtverletzung nur dann hinfällig, wenn der Manager bei einer<br />
unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage<br />
angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Die BJR gilt übrigens<br />
über das Aktienrecht hinaus auch für Verantwortliche von KGaA, Genossenschaft und<br />
Thomas Schräder ist bei <strong>PwC</strong> Experte für<br />
Corporate Treasury Solutions.<br />
42 pwc: | juli 2009 pwc: | juli 2009 43<br />
GmbH.<br />
Drei Fragen an ...<br />
Thomas Schräder<br />
... zu Hedge Accounting<br />
pwc: Hedging wird als Form der Risiko-<br />
absicherung von Experten kritisiert.<br />
Welche Alternative bietet sich den Unter-<br />
nehmen?<br />
Schräder: Derivate sind infolge der Finanz-<br />
marktkrise in die Diskussion geraten, blei-<br />
ben aber für viele Firmen unverzichtbar zur<br />
Absicherung gegen Marktpreisrisiken.<br />
Welche Konsequenzen ergeben sich<br />
daraus?<br />
Das Problem war bisher, dass kompensie-<br />
rende Effekte durch Derivate nicht zeitgleich<br />
in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung<br />
abgebildet wurden. Dieser unerwünschte<br />
Ergebniseffekt ist nur unter Anwendung<br />
komplizierter Bilanzierungsvorschriften,<br />
dem sogenannten Hedge Accounting, zu<br />
vermeiden.<br />
Ist der Gesetzgeber gefragt?<br />
Gefordert sind Bilanzregeln, die Hedging<br />
für Anteilseigner, Gläubiger und ande-<br />
re Geschäftspartner transparent machen,<br />
ohne den Unternehmen effektive Instrumen-<br />
te zur Risikobegrenzung zu nehmen.
pwc: Lösungen<br />
Zuständig für ganz neue<br />
und ganz alte Immobili-<br />
en: Neubaugrundstücke<br />
aus Klosterkammerbesitz<br />
in Lüneburg (links), Kloster<br />
Lüneburg mit Äbtissin<br />
Freifrau Reinhild von der<br />
Goltz an den Glockenseilen<br />
(rechts).<br />
Klosterfrau<br />
Behördengeist<br />
Die Klosterkammer Hannover verwaltet eines der ältesten deutschen<br />
Stiftungsvermögen – als Behörde mit kirchlicher Zweckbestimmung.<br />
Von Susanne Osadnik<br />
pwc: | juli 2009 45
pwc: Lösungen<br />
Dass sie ihren Job hat, hat Sigrid Maier-<br />
Knapp-Herbst eigentlich Martin Luther zu<br />
verdanken. Ohne den Reformator hätte<br />
es niemals jenes welfische Sondervermö-<br />
gen gegeben, das sie heute verwalten darf,<br />
aber auch vermehren muss. Keine ganz<br />
einfache Aufgabe: „Wir arbeiten hier im<br />
Spannungsfeld zwischen Verwaltung und<br />
Fondsmanagement“, sagt die Präsidentin<br />
der Klosterkammer Hannover, der ältesten<br />
Behörde in Niedersachsen.<br />
Die Klosterkammer ist eine Institution mit<br />
Seltenheitswert. Besser gesagt: Sie ist<br />
hierzulande einzigartig – der Form nach<br />
Staat, dem Inhalt nach Kirche. Sie verwal-<br />
tet vier selbstständige, historisch gewach-<br />
sene öffentlich-rechtliche Stiftungen: den<br />
Allgemeinen Hannoverschen Klosterfonds,<br />
den Domstrukturfonds Verden, das Stift<br />
Ilfeld und den Hospitalfonds Sankt Bene-<br />
dikt. Die Stiftungen sind mit ihrem Ver-<br />
mögen und ihren Erträgen getrennt vom<br />
Landeshaushalt und auch unabhängig<br />
von ihm – hingegen kirchlichem Interes-<br />
se verpflichtet. Rund 40.000 Hektar Land,<br />
darunter 24.500 Hektar Wald und 11.000<br />
Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche,<br />
gehören dazu – insgesamt eine Fläche, die<br />
fast so groß ist wie der Stadtstaat Bremen.<br />
Und dann sind da noch die Calenberger<br />
Klöster: Barsinghausen, Mariensee, Mari-<br />
enwerder, Wennigsen und Wülfinghausen<br />
sowie zahlreiche evangelische und katho-<br />
lische Kirchen.<br />
Die Existenz des Klosterfonds ist eng ver-<br />
bunden mit der Geschichte Niedersach-<br />
sens und einer weitsichtigen Herrscherin,<br />
der Herzogin Elisabeth von Calenberg-Göt-<br />
tingen. Ihr ist es zu verdanken, dass der<br />
ehemals kirchliche und klösterliche Besitz<br />
Säkulare Klöster<br />
Mit der Reformation werden die meisten<br />
Klöster in Nord- und Ostdeutschland auf-<br />
gelöst und von den Landesfürsten häu-<br />
fig in Bildungsstätten umfunktioniert. Denn<br />
zu Beginn des 16. Jahrhunderts liegt die<br />
Volksbildung am Boden. So entstehen in<br />
dieser Zeit etwa die sächsischen Landes-<br />
gymnasien: Sankt Afra in Meißen, Sankt<br />
Augustin in Grimma und die Landesschule<br />
Pforta. Auch die älteste Hauptstadtschule,<br />
das Evangelische Gymnasium zum Grauen<br />
Kloster, war bis 1574 ein Franziskanerklos-<br />
ter, benannt nach den grauen Kutten seiner<br />
einstigen Bewohner.<br />
Rund 250 Jahre später geht es wieder ge-<br />
gen die Klosterbesitzungen. Infolge der<br />
militärischen Siege Napoleons weht der<br />
antiklerikale Geist der Französischen Revo-<br />
lution durch die Lande und verstaatlicht die<br />
vorwiegend in Süd- und Westdeutschland<br />
noch verbliebenen Klöster. Die meisten wer-<br />
den als landwirtschaftliche Betriebe weiter-<br />
geführt. Sie dienen im 19. Jahrhundert aber<br />
auch als Eisenhütte, Gefängnis oder „Irren-<br />
heil- und Pflegeanstalt“.<br />
als einheitliches Vermögen erhalten blieb<br />
und nicht aufgelöst wurde – wie es oft ge-<br />
schah, wenn Regenten vom katholischen<br />
zum damals neuen lutherischen Glauben<br />
konvertierten und so nebenbei mit den<br />
enteigneten Schätzen ihre eigene Kasse<br />
füllten. Stattdessen ordnete die Welfen-<br />
herzogin 1542 an, dass ehemals katho-<br />
lische Klöster zu evangelischen Damen-<br />
stiften umgewandelt wurden. „Wenig spä-<br />
ter verfügte Elisabeth, dass der durch die<br />
Reformation an ihr Fürstentum gefallene<br />
Klosterbesitz nicht mit dem Staatsvermö-<br />
„Wären wir nicht bodengebunden als Stiftung,<br />
hätten wir die beiden Weltkriege nicht überlebt.“<br />
Sigrid Maier-Knapp-Herbst, Präsidentin der Klosterkammer Hannover<br />
gen verschmolzen werden sollte“, erklärt<br />
Maier-Knapp-Herbst die Entstehungsge-<br />
schichte des zehntgrößten öffentlich-recht-<br />
lichen Stiftungsvermögens in Deutschland.<br />
„Die Erträge der Klöster sollten für kirch-<br />
liche, schulische und soziale Zwecke ver-<br />
wendet werden.“<br />
Das ist auch mehr als 450 Jahre später<br />
noch so: Die Arbeit mit trauernden Kin-<br />
dern und Jugendlichen, Unterstützung<br />
von Lernbehinderten, Schreibwerkstätten<br />
mit Schriftstellern in Hauptschulen – der<br />
sechsten Klosterkammerpräsidentin liegen<br />
vor allem Projekte am Herzen, die Kindern<br />
und Eltern erlauben, in der „Begegnung<br />
mit Kunst, Kultur und Glauben jene Kraft<br />
zu entwickeln, die sie brauchen, um das<br />
eigene Leben zu gestalten“, sagt die Päda-<br />
gogin Maier-Knapp-Herbst. „Wir fühlen<br />
uns bis heute unserem Auftrag verpflich-<br />
tet, das welfische Erbe zu bewahren – und<br />
zwar nicht nur im materiellen Sinne.“<br />
Prinzregent Georg IV., der spätere König<br />
von Großbritannien, Irland und Hannover,<br />
hat dafür 1818 mit der Gründung der „Kö-<br />
niglichen Klosterkammer“ die heute noch<br />
bestehende Institution geschaffen. Über<br />
Deutschland tobte erst Napoleon und dann<br />
eine Enteignungswelle kirchlicher Güter<br />
– und der Klosterfonds wuchs dabei gewal-<br />
tig an. Dem Kurfürstentum Hannover fielen<br />
die Fürstbistümer Hildesheim und Osna-<br />
brück zu, dem Fonds deren Klöster. Nach<br />
dem Ende der Wirren und der territorialen<br />
Neuordnung auf dem Wiener Kongress<br />
1814/1815 hatte sich das Fondsvermögen<br />
mehr als vervierfacht.<br />
Georg IV. wollte, wie einst Elisabeth, das<br />
Vermögen „auf ewige Zeiten“ sichern. Es<br />
solle „auf eine den Erfordernissen der Zeit<br />
angemessene Art die geistlichen Bedürf-<br />
nisse Unserer Untertanen nach Möglich-<br />
keit befriedigen und solche namentlich für<br />
Kirchen, Schulen, höhere Gymnasien und<br />
wohltätige Anstalten aller Art verwenden“.<br />
Und diese angemessene Art war nicht mehr<br />
ein Fonds, sondern eine Behörde. Eine Bü-<br />
rokratisierung, die sich auszahlte: Nach der<br />
Kammergründung stiegen die Einnahmen<br />
des Klosterfonds von 50.000 auf 300.000<br />
Taler jährlich.<br />
Heute liegen die Einkünfte des Kloster-<br />
fonds regelmäßig im zweistelligen Millio-<br />
nenbereich, im Jahr 2007 waren es fast<br />
25 Millionen Euro. Der Löwenanteil davon,<br />
56,3 Prozent oder mehr als 13 Millionen<br />
Euro, wurde mit Erbbauzinsen erwirtschaf-<br />
46 pwc: | juli 2009<br />
In direkter Linie: Klosterkammer-<br />
präsidentin Sigrid Maier-Knapp-<br />
Herbst vor einem Bild Georgs IV.<br />
(1762–1830). Der spätere König von<br />
Großbritannien, Irland und Hannover<br />
gründete 1818, noch als Prinzregent,<br />
die Königliche Klosterkammer.<br />
pwc: | juli 2009 47
pwc: Lösungen<br />
tet. Denn die Klosterkammer vergibt seit<br />
Beginn des 20. Jahrhunderts Baugrund-<br />
stücke auf dem Wege des Erbbaurechts für<br />
die Dauer von 80 Jahren und gegen jähr-<br />
liche Zinszahlung. Derzeit sind rund 16.500<br />
solcher Verträge geschlossen. „Erbbau-<br />
rechte und Verpachtung sind unsere Cash-<br />
cow“, bekennt Kammerdirektor Andreas<br />
Hesse freimütig.<br />
Dass das nicht immer so bleiben muss,<br />
weiß der Direktor der Klosterkammer aber<br />
auch. „Die Einnahmesituation des Fonds<br />
ist von der Entwicklung des Immobilien-<br />
markts abhängig. Und im ländlichen Raum<br />
werden künftig nicht mehr so viele Erbbau-<br />
rechte vergeben.“ Sinkende Bevölkerungs-<br />
zahlen machen auch weniger Wohnraum<br />
notwendig. In Niedersachsen sank die Zahl<br />
der Baugenehmigungen allein von 2006<br />
auf 2007 um 39 Prozent. „Somit lief auch<br />
die Nachfrage nach Erbbaurechten äußerst<br />
schleppend“, erläutert Hesse. „Einnahme-<br />
steigerungen sind hauptsächlich auf erneu-<br />
erte Erbbaurechte und die vertraglich ange-<br />
passten Erbbauzinsen zurückzuführen.“ Bis<br />
zur nächsten großen Erneuerungswelle ist<br />
es aber noch ein bisschen Zeit – sie steht<br />
Tradition mit hohen<br />
Unterhaltskosten: Stiftskirche<br />
Bardowick bei Lüneburg, vor<br />
mehr als 600 Jahren erbaut.<br />
48 pwc: | juli 2009<br />
2030 an, wenn viele Erbbaurecht-Verträge<br />
aus den 20er-Jahren auslaufen.<br />
Ab und zu werden Grundstücke auch verk-<br />
auft, aber nicht „im großen Stil“, erklärt die<br />
Kammerpräsidentin das Immobilien-<br />
management. „Grundbesitz ist schließlich<br />
unser Kapital.“ Außerdem sei das Fonds-<br />
vermögen auch laut Landesverfassungs-<br />
gesetz von 1840 unveräußerlich. „Wären<br />
wir nicht bodengebunden als Stiftung, hät-<br />
ten wir die beiden Weltkriege nicht über-<br />
lebt“, ist Sigrid Maier-Knapp-Herbst über-<br />
zeugt. „Das sehen wir jetzt auch. Viele<br />
Stiftungen, die rein kapitalorientiert sind,<br />
haben enorme Probleme.“<br />
So habe die weltweite Krise die Hannove-<br />
raner bislang auch nur „marginal“ getroffen,<br />
sagt Kammerdirektor Hesse. Im Immobi-<br />
lienbereich gebe es keine Ausfälle: „Die<br />
Zahl der notleidenden Verträge ist nicht<br />
gestiegen.“ Generell würden jährlich nur<br />
knapp ein Prozent aller Verträge zwangs-<br />
vollstreckt. Mit Vermögensanlagen hat<br />
die Klosterkammer in vergangenen Jahr<br />
jedoch auch knapp neun Prozent Rendi-<br />
te gemacht. Allerdings liege der Anteil an<br />
Wertpapieren nie höher als 30 Prozent,<br />
derzeit sogar darunter, so Hesse.<br />
Zocken passt ohnehin nicht zur Tradition<br />
der Institution und birgt auch zu viele Ri-<br />
siken für das jahrhundertealte Erbe, ist man<br />
hier sicher. Außerdem hat die Kammer er-<br />
hebliche Unterhaltszahlungen zu leisten<br />
gegenüber Kirchengemeinden und Klös-<br />
tern – allein 42 Kirchen, davon auch elf ka-<br />
tholische, die zum Fondsvermögen gehören,<br />
sowie auch Gotteshäuser, die nicht dazu-<br />
gehören, aber unterhalten werden müssen.<br />
Komplizierte Systeme, die sich über die<br />
Jahrhunderte entwickelt haben. „Wir haben<br />
allein drei Sorten von Klöstern“, sagt Maier-<br />
Knapp-Herbst. Da gibt es die Calenberger<br />
Klöster, die zum Fonds gehören, die Lüne-<br />
burger Klöster, die rechtlich eigenständig<br />
sind, aber zwischen 50 und 90 Prozent vom<br />
Fonds finanziert werden, und die eigenstän-<br />
digen Stifte, die ihren Alltag finanzieren kön-<br />
nen. Aber, so die Präsidentin, „wenn ihnen<br />
das Dach auf den Kopf fällt, brauchen sie<br />
Zuwendungen vom Fonds“.<br />
Für die Zukunft ist deshalb auch Kreativität<br />
gefragt, um neue Einnahmequellen zu er-<br />
schließen: Da werden stadtnahe Kleingar-<br />
tenkolonien in Bauland umgewandelt, eine<br />
Biogasanlage für das Kloster Wülfing-<br />
Begehrlichkeiten<br />
Im Laufe der Jahrhunderte musste sich die<br />
Klosterkammer immer wieder gegen Be-<br />
gehrlichkeiten staatlicher Stellen zur Wehr<br />
setzen, die auf das Klosterfondsvermö-<br />
gen zugreifen wollten. So versuchte etwa<br />
Feldmarschall Wilhelm Keitel während des<br />
Zweiten Weltkriegs, an einen Forst im Be-<br />
sitz des Klosterfonds heranzukommen. Nur<br />
durch Verzögerungstaktik, etwa durch die<br />
Behauptung, der keitelsche Kaufvorgang sei<br />
Opfer von Luftangriffen geworden, schiebt<br />
die Kammer den Verkauf so lange hinaus,<br />
bis sich die Sache durch das Kriegsende<br />
von selbst erledigt. Noch in den 70er-Jah-<br />
ren versucht der sozialdemokratische Minis-<br />
terpräsident Niedersachsens, Alfred Kubel,<br />
das Fondsvermögen zu vereinnahmen. Der<br />
Staatsgerichtshof entschied jedoch 1972,<br />
dass der Klosterfonds als „überkommene<br />
heimatgebundene und daher verfassungs-<br />
rechtlich geschützte Einrichtung zu gelten<br />
habe“. Seitdem genießt der Fonds Be-<br />
standsschutz nach der Niedersächsischen<br />
Verfassung.<br />
hausen entwickelt oder es wird auch darü-<br />
ber nachgedacht, „inwieweit man Wasser-<br />
gewinnungsverbände zum Aufforsten und<br />
Pflegen des Waldes mit heranziehen kann“.<br />
Denn große Teile des Fondswaldbestands<br />
liegen beispielsweise in der Lüneburger<br />
Heide, dem Wasserreservoir Hamburgs.<br />
„Wald als Wasserreiniger wird bisher aber<br />
nicht bezahlt“, sagt Maier-Knapp-Herbst.<br />
Und dann sind da noch die Klöster selbst,<br />
deren Popularität in den vergangenen Jah-<br />
ren als Orte der Ruhe und Besinnung, aber<br />
auch als Experimentierfeld des Glaubens<br />
stetig stieg. Selbst Berliner Politiker ziehen<br />
sich regelmäßig in die Klöster zurück, weiß<br />
die Kammerpräsidentin. Seminare, in de-<br />
nen es um die Lehren des heiligen Benedikt<br />
für Manager von heute geht, seien immer<br />
ausgebucht. „Die Menschen spüren zuneh-<br />
mend, dass Auto, Haus und Urlaub nicht<br />
ausreichen, um glücklich zu werden“, ist<br />
Maier-Knapp-Herbst überzeugt.<br />
Trägt auch ein deutsches Oberhaupt der ka-<br />
tholischen Kirche mit zur Beliebtheit evan-<br />
gelischer Klöster bei? Nein, ganz sicher<br />
nicht, sagt die Kammerpräsidentin: „Ein Ba-<br />
rack Obama kann sicher mehr zur Popula-<br />
rität der Klöster beitragen als ein deutscher<br />
Papst. Obamas Charisma basiert ja auch<br />
auf seiner geistigen Dimension, ohne dass<br />
er sie vor sich herträgt.“<br />
pwc: | juli 2009 49
pwc: Lösungen<br />
21 Generationen des Hauses Habsburg: Wären Herrscherhäuser auch so stabil gewesen, wenn sie hätten Erbschaftsteuer zahlen müssen?<br />
50 pwc: | juli 2009<br />
Schweres Erbe<br />
Unternehmerfamilien, die sich nicht beizeiten auf die neuen Spielregeln<br />
einstellen, riskieren spürbar höhere Erbschaft- und Schenkungsteuer und<br />
büßen Gestaltungsspielraum ein.<br />
Von Ulrike Wirtz<br />
Alles scheint wichtiger als die Nachfolge-<br />
planung. Quer durch die Wirtschaft fordert<br />
die weltweite Krise ihren Tribut, mit Um-<br />
satzeinbrüchen, Kurzarbeit, Entlassungen<br />
und Dividendenkürzungen. Es stehen Ver-<br />
handlungen mit Arbeitsämtern, Banken, Be-<br />
triebsräten, Kunden und Lieferanten an.<br />
Obwohl das Anfang 2009 novellierte<br />
Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz<br />
(ErbStG) Familienunternehmen die attrak-<br />
tive Option auf 85 oder 100 Prozent Steuer-<br />
befreiung eröffnet, wenn die nächste<br />
Generation das Ruder übernimmt, stellen<br />
Unternehmerfamilien derzeit die Planung<br />
für diesen Schritt zurück. Und gehen damit<br />
ein weiteres Risiko ein, noch dazu in der<br />
Rezession. Denn das neue ErbStG knüpft<br />
die Verschonung zwar an strikte, aber teils<br />
gestaltbare Kriterien – und bittet ohne sie<br />
brutaler zur Kasse als vor der Reform. Familienunternehmer<br />
sollten bedenken, dass<br />
Schenkung und Erbe jetzt rechtsformunabhängig<br />
zum hohen Verkehrswert abzurechnen<br />
sind.<br />
Ab sofort gelten für die nächste Generation<br />
gerade auch Behaltensfristen von sieben<br />
beziehungsweise zehn Jahren, sonst geht<br />
die Begünstigung der Übertragung ganz<br />
oder anteilig verloren. „Fristen und Folgen<br />
zwingen dazu, die Nachfolge steuerlich regelrecht<br />
zu managen – von der Planung<br />
bis zum Monitoring der Fristen“, betont Lothar<br />
Siemers, Steuerberater bei PricewaterhouseCoopers<br />
(<strong>PwC</strong>) in Düsseldorf, Leiter<br />
des Geschäftsbereichs Private Client Solutions<br />
und Experte für Nachfolgeplanung.<br />
Manche Steuerabteilungen von Familienunternehmen<br />
stellen sich daher trotz Krise<br />
vorsorglich im neuen „Bereich“ auf, andere<br />
sind notgedrungen mit Hochtouren dabei<br />
– wegen eines plötzlichen Todesfalls. Die<br />
neuen Verschonungswege für unternehmerisches<br />
Vermögen sind vielversprechend,<br />
werfen aber komplexe Fragestellungen,<br />
aufwendige Datenrecherche und umfängliche<br />
Berechnungen auf. Immerhin gibt es<br />
ein Wahlrecht: Bei der „Regelverschonung“<br />
gehen 85 Prozent des Betriebsvermögens<br />
steuerfrei über, vorausgesetzt, Erbe oder<br />
Beschenkter führen den Betrieb sieben Jahre<br />
unverändert fort und halten eine Mindestlohnsumme<br />
von 650 Prozent im Verhältnis<br />
zur Ausgangslohnsumme ein. Das „Optionsmodell“:<br />
100 Prozent steuerfrei bei zehn<br />
Jahren Fortführung, gemessen an der Mindestlohnsumme<br />
von 1.000 Prozent im Verhältnis<br />
zur Ausgangslohnsumme.<br />
Geht es nur um deutsche Sachverhalte,<br />
gestalten sich die Ermittlungen der Lohnsummen<br />
nicht so aufwendig, wie es der<br />
Gesetzeswortlaut befürchten lässt. Das<br />
verspricht der inzwischen als Entwurf vorliegende<br />
Anwendungserlass des Bundesfinanzministeriums<br />
(BMF) zur Novelle.<br />
„Danach werden Löhne und Gehälter ohne<br />
Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung<br />
aus den vorliegenden handelsrechtlichen<br />
Gewinn-und-Verlust-Rechnungen übernommen“,<br />
so Siemers. „Das ist eine deutliche<br />
Erleichterung bei der Lohnsummenklausel.<br />
Dennoch wirkt die Klausel an sich in ihrer<br />
aktuellen Gestaltung in einer Rezession krisenverschärfend“,<br />
betont Raimund Niklas,<br />
Leiter des Fachbereichs Steuern bei der<br />
SMS Group in Hilchenbach.<br />
Das gilt genauso bei der Übertragung mehrstufiger<br />
Unternehmensgruppen. Die müssen<br />
die Lohnsummen aus jeder ihrer mittelbaren<br />
und unmittelbaren Beteiligungen<br />
einbeziehen, „was natürlich sehr viel Aufwand<br />
durch Ermittlung und Überwachung<br />
mit sich bringt“, so SMS-Steuerchef Niklas.<br />
Die Gruppe weist 2008 eine Bilanzsumme<br />
von rund 3,8 Milliarden Euro aus, ist in<br />
Besitz der Familie Weiss und baut weltweit<br />
Anlagen. Und konkurriert dabei auch mit<br />
anonymen Kapitalgesellschaften. Niklas: „In<br />
diesem Wettbewerb bleibt die Erbschaftsteuer<br />
trotz Reform weiter ein Wettbewerbsnachteil,<br />
nicht nur in Krisenzeiten.“<br />
In einer anderen Frage lässt der Erlassentwurf<br />
ebenfalls klarsehen, nämlich wenn<br />
im Konzern die Holdinggesellschaft, deren<br />
Anteile übertragen werden, keine zehn Arbeitnehmer<br />
beschäftigt. Dann kommt das<br />
Lohnsummenkriterium erst gar nicht zum<br />
Tragen. <strong>PwC</strong>-Experte Siemers: „Auf die<br />
Lohnsummen der zum Konzern gehörenden<br />
Tochter- und Enkelgesellschaften kommt es<br />
dann auch nicht an.“ Auch das könne hilfreich<br />
sein. Dagegen wird es nicht einfacher<br />
bei der Ermittlung der Lohnsummen, sobald<br />
es in den Raum der Europäischen Wirtschaft<br />
oder der EU geht. „Kommt bei einer<br />
ausländischen Betriebsstätte der vorgesehene<br />
Regelfall – Rückgriff auf die Gewinnund-Verlust-Rechnung<br />
– nicht zum Tragen,<br />
bedeutet das womöglich, die dortigen<br />
Lohn- und Gehaltskonten über 12 oder 15<br />
Jahre analysieren zu müssen“, so Berthold<br />
„Die Lohnsummenklausel wirkt in ihrer aktuellen<br />
Form in einer Rezession krisenverschärfend.“<br />
Raimund Niklas, Leiter des Fachbereichs Steuern der SMS Group<br />
Welling, Leiter des Bereichs Recht, Steuern,<br />
Wettbewerb im Bundesverband der<br />
Deutschen Industrie. Besonders diffizil wird<br />
es bei der Ausgangslohnsumme, was die<br />
EU-Länder im Osten angeht. „Sie gehören<br />
erst kurz zur EU, arbeiten erst kurz mit dem<br />
Euro und führen ihre Bücher oft nach anderen<br />
handelsrechtlichen Grundsätzen. Dort<br />
lassen sich die Lohnsummen kaum nach<br />
Vorgabe des deutschen ErbStG ermitteln.“<br />
Bleibt nur zu hoffen, dass die Finanzverwaltung<br />
das pragmatisch angeht.<br />
Worauf Familienunternehmen sich zusätzlich<br />
einstellen müssen, wenn in diesem<br />
pwc: | juli 2009 51
pwc: Lösungen<br />
Jahr der Erbfall eintritt oder Schenkungen<br />
erfolgen: Rezessionsbedingt fallen zwar<br />
die Löhne. „Für die Ausgangslohnsumme<br />
ist trotzdem die durchschnittliche jährliche<br />
Lohnsumme der Jahre 2004 bis 2008 anzulegen,<br />
insbesondere ab 2006 deutliche<br />
Boomjahre“, so Welling. Abgerechnet wird<br />
am Ende der Haltefrist. Die Verschonung<br />
geht anteilig verloren – prozentual in der<br />
Höhe, wie die Mindestlohnsumme (650<br />
oder 1.000 Prozent) in der Haltezeit (sieben<br />
oder zehn Jahre) die hohe Ausgangslohnsumme<br />
unterschreitet.<br />
Fest steht auch, dass das neue Recht<br />
gewisse Ausweich- und Rettungsmanöver<br />
in der Sieben- oder Zehnjahresfrist mit<br />
zeitanteiligem Entzug der Begünstigung<br />
bestraft. Schädlich sind Verkauf und Teilverkauf<br />
von Betrieb/Teilbetrieb, überdies<br />
die Veräußerung geschenkter oder geerbter<br />
Anteile an Personen- oder Kapitalgesellschaften<br />
sowie der Verkauf wesentlicher<br />
Betriebsteile. Sogar die Insolvenz gilt als<br />
schädliche Betriebsaufgabe und löst eine<br />
Nachversteuerung aus.<br />
Zwingend zur Prophylaxe gehört die akribische<br />
Prüfung, was nach dem ErbStG als<br />
begünstigtes Betriebsvermögen gilt und<br />
was als schädliches Verwaltungsvermögen.<br />
Siemers: „Es bedarf eines gewissen<br />
Vorlaufs, weil die Wertverteilung alles oder<br />
nichts bedeuten kann und je nachdem vorbeugend<br />
Umstrukturierungen erfolgen müssen.“<br />
Erreicht nämlich das Verwaltungsvermögen<br />
im Zeitpunkt der Übertragung<br />
gegenüber dem Unternehmenswert prozentual<br />
einen zu hohen Anteil, entfällt jede<br />
Verschonung. Die Grenzen von Gesetzes<br />
wegen: In der Regelverschonung darf das<br />
Verwaltungsvermögen nicht mehr als 50<br />
Prozent des Unternehmenswerts insgesamt<br />
ausmachen, im Optionsmodell nicht mehr<br />
als zehn Prozent.<br />
Als Verwaltungsvermögen gelten laut<br />
ErbStG Dritten zur Nutzung überlassene<br />
Grundstücke – außer bei Betriebsaufspal-<br />
„Besser, man überlässt die Substanzwertermittlung<br />
nicht dem Finanzamt, sondern macht das selbst.“<br />
Lothar Siemers, Leiter Private Client Solutions bei <strong>PwC</strong> Deutschland<br />
tung, Sonderbetriebsvermögen oder Konzernvermietung<br />
–, überdies Wertpapiere<br />
und vergleichbare Forderungen. SMS-Steuerchef<br />
Niklas kritisch: „Entsprechend sehen<br />
Erlassentwurf und Gesetz selbst Wertpapiere<br />
und vergleichbare Forderungen zur<br />
So bereiten Sie sich mit vertretbarem Aufwand<br />
und angemessenen Kosten auf die<br />
Nachfolge vor:<br />
1. Wert: Verlässlichen Unternehmenswert<br />
ermitteln. Der sollte künftig jährlich aktualisiert<br />
vorliegen. Das gilt umso mehr, je mehr<br />
Gesellschafter ein Unternehmen hat, je größer,<br />
je internationaler oder komplexer es ist.<br />
2. Verwaltungsvermögen: Sein Anteil ist im<br />
Verhältnis zum Unternehmenswert zu identifizieren<br />
und zu dokumentieren. Fehler können<br />
den kompletten Steuernachlass kosten.<br />
3. Pool: Liegt der Anteil an einer Kapitalgesellschaft<br />
bei nicht mehr als 25 Prozent,<br />
greift die Verschonung nicht. Es sei denn,<br />
die Beteiligten poolen ihre Anteile vor dem<br />
Ernstfall. Szenarien auf Machbarkeit durchspielen<br />
und Verträge vorbereiten.<br />
4. Lohnsummen-Controlling: Der neue<br />
BMF-Erlass erleichtert die Erhebung der<br />
Lohnsummen nur im Inland, nicht im<br />
EU-/EWR-Raum. Diese Daten daher beizeiten<br />
ermitteln, da das viel aufwendiger wird.<br />
Jährliche Fortschreibung installieren.<br />
5. Altverträge: Gesellschaftsverträge und<br />
Testamente, Eheverträge und sonstige relevante<br />
Vereinbarungen sind auf Passgenauigkeit<br />
zum neuen Gesetz zu checken.<br />
6. Fristen: Monitoring der Bezugsgrößen installieren.<br />
Absicherung von Pensionsrückstellungen<br />
als schädlich an.“ Siemers: „Das gilt hier<br />
auch für Ansprüche aus Rückdeckungsversicherungen.“<br />
Laut Erlasspapier dagegen<br />
unschädlich: Forderungen an verbundene<br />
Unternehmen und Festgeldguthaben.<br />
Derzeit ist die SMS-Steuerabteilung mit<br />
Hochdruck an der Analyse ihres Unternehmensvermögens<br />
und prüft, was sich an<br />
„schädlichem“ Verwaltungsvermögen umverteilen<br />
lässt, damit für den Fall der Fälle<br />
eine optimale Steuerverschonung greift. Je<br />
mehr Stufen ein Unternehmen hat, umso<br />
höher der Aufwand für Analyse und Bewertung.<br />
Oft genug hält die ältere Generation nicht<br />
mehr als 25 Prozent an einer Kapitalgesellschaft.<br />
Hier sieht das ErbStG eine Lösung<br />
vor, wenn es diese Anteile auch grundsätzlich<br />
einstuft als Verwaltungsvermögen und<br />
damit nicht begünstigt. Doch es erlaubt<br />
das Poolen, damit kleine Beteiligungen gemeinsam<br />
die kritische 25-Prozent-Marke<br />
nehmen – eine attraktive Familienkomponente<br />
nicht nur für in der Rechtsform der<br />
Kapitalgesellschaft geführte Traditionsbetriebe<br />
mit Hunderten von Familiengesellschaftern.<br />
Bleibt nicht zuletzt die Bewertung – als Bemessungsgrundlage<br />
der konkreten Steuerlast.<br />
Zu ermitteln ist der gemeine Wert,<br />
sprich Verkehrswert, unter Beachtung der<br />
Ertragsaussichten des Unternehmens oder<br />
einer anderen betriebswirtschaftlich anerkannten<br />
Methode – in Zeiten wie diesen oft<br />
ein mit Negativzahlen behafteter Wert. Im<br />
neuen Bewertungsgesetz (BewG) gibt der<br />
Gesetzgeber selbst ein Bewertungsverfahren<br />
vor – aus „Vereinfachungsgründen“.<br />
„Aber dieses vereinfachte Ertragswertverfahren<br />
stellt auf die Vergangenheit ab – mit<br />
zu Beginn einer Rezession regelmäßig drei<br />
guten Jahren – und arbeitet noch dazu mit<br />
einen Kapitalisierungsfaktor von 12,33“, erklärt<br />
Siemers. „Das ergibt in der Rezession<br />
kein realistisches Bild.“<br />
52 pwc: | juli 2009<br />
Im Zuge der Novelle wird der Vorbehaltsnießbrauch für den Schenker<br />
wieder attraktiver. Hier hatte der Steuergesetzgeber zuvor einen<br />
Abzug der Nießbrauchslast nicht zugelassen, sondern nur<br />
einen Stundungseffekt gewährt. Nun findet der Kapitalwert<br />
einer Schenkung unter vorbehaltenem Nießbrauch wieder<br />
Berücksichtigung. Das zeigt folgender Vergleich. Die Ausgangslage:<br />
Vater V ist mit einem Zehn-Prozent-Kommanditanteil<br />
an einer gewerblich tätigen GmbH & Co. KG beteiligt. Der anteilige Unternehmenswert der<br />
Beteiligung beträgt zehn Millionen Euro. V will im Jahr 2009 seinen Anteil im Wege der vorweggenommenen<br />
Erbfolge der Tochter T schenken. Er behält sich bei der Schenkung auf rund 80<br />
Prozent der Erträge den Nießbrauch vor, dessen Kapitalwert beträgt sechs Millionen Euro. Das<br />
Verwaltungsvermögen der GmbH & Co. KG liegt zwischen zehn und 50 Prozent des Unternehmenswerts.<br />
Die persönlichen Freibeträge sind bereits durch Vorschenkungen verbraucht.<br />
Besser gerechnet wird nach der in Deutschland<br />
gängigen Ertragsbewertung nach<br />
IDW S 1, auf Basis der dem Unternehmen<br />
künftig entziehbaren Überschüsse und je<br />
nach Branche variabler Kapitalisierungsfaktoren.<br />
Hier ist eine Planung auf Dreijahresbasis<br />
samt laufendem Jahr zugrunde zu legen,<br />
die sich aktuell ebenfalls als schwierig<br />
erweist. Klar ist nur, dass die Erträge fallen<br />
werden. Eine besonders bittere Pille: Das<br />
Gesetz schreibt als Untergrenze den sogenannten<br />
Substanzwert vor, wenn der höher<br />
ist als der Ertragswert. Siemers: „Also<br />
bleibt nichts anderes übrig, als auch noch<br />
den Substanzwert zu ermitteln. Dieser wird<br />
künftig im Rahmen der Steuererklärung in<br />
jedem Fall anzugeben sein. Besser man<br />
überlässt die Substanzwertermittlung nicht<br />
dem Finanzamt, sondern macht das selbst.“<br />
Auf einfachere Zeiten in Sachen Werter-<br />
Das neue Erbschaftsteuerrecht enthält für Unternehmen<br />
sowohl Fußangeln als auch Gestaltungsspielräume.<br />
Wer Letztere nutzen will, sollte nicht<br />
auf den Ernstfall warten, sondern Vorsorge treffen.<br />
mittlung macht auch der neue Erlass wenig<br />
Hoffnung. In den Substanzwert sollen<br />
alle Wirtschaftsgüter zum gemeinen Wert<br />
eingehen, auch solche, die einem Bilanzierungsverbot<br />
unterliegen wie etwa selbst<br />
entwickelte Patente. Laut Erlass sind alle<br />
abnutzbaren Wirtschaftsgüter mit 30 Prozent<br />
der Anschaffungskosten anzusetzen<br />
– es sei denn, das führt zu unzutreffenden<br />
Ergebnissen. Wann das der Fall ist, sagt<br />
der Erlass nicht. Klar ist aber: Die komplexe<br />
Wertermittlung – mit eventuell drei Bewertungsmethoden<br />
– kostet die Unternehmen<br />
Zeit und Geld.<br />
Daher hat <strong>PwC</strong> standardisierte, jedoch auf<br />
das betreffende Unternehmen zuschneidbare<br />
technische Lösungen entwickelt, die<br />
neben der Dokumentation der Lohnsumme<br />
die Wertermittlung erleichtern und eine<br />
integrierte Steuerplanung erst ermöglichen.<br />
Dabei wird nicht nur auf die Bewertung abgestellt,<br />
sondern die Ermittlung des Verwaltungsvermögens<br />
wird einbezogen. Denn es<br />
muss nicht nur positiv sein, wenn der Unternehmenswert<br />
besonders gering ausfällt.<br />
Ist doch der Wert auch maßgebend, um<br />
das verschonte Betriebsvermögen mit dem<br />
schädlichen Verwaltungsvermögen abzugleichen.<br />
Siemers: „Im Zähler steht das Verwaltungsvermögen<br />
mit seinem Bruttowert,<br />
im Nenner der Nettowert des Unternehmens.<br />
Ist Letzterer zu niedrig, überschreitet<br />
das Verwaltungsvermögen eventuell die<br />
kritische Marke von 50 oder zehn Prozent.<br />
Dann steht Erben und Beschenkten eventuell<br />
keine Begünstigung zu. Also besser auf<br />
15 Prozent von 1.000 Steuer zahlen, als auf<br />
100 Prozent von 500.“ Ein unnötig hoher Tribut<br />
für Nachfolger – gerade im Abschwung.<br />
Kontakt<br />
Lothar Siemers<br />
lothar.siemers@de.pwc.com<br />
Tel.: 0211 981-2757<br />
www.pwc.de/de/pwc366<br />
pwc: | juli 2009 53
pwc: Lösungen<br />
Publikationen<br />
Back to the future<br />
Zurück in die<br />
„heimische“ Zukunft?<br />
Die sechste<br />
<strong>PwC</strong>-Studie zu<br />
den europäischen<br />
M&A-Aktivitäten<br />
von Finanzdienstleistern<br />
zeigt,<br />
dass die Konsolidierung<br />
auf nationaler<br />
Ebene für<br />
die Branche Vorrang hat vor der Erschließung<br />
neuer Geschäftsfelder. Von dem durch<br />
die Finanzkrise bedingten starken Konsolidierungsdruck<br />
sind die Kreditinstitute weiterhin<br />
am stärksten betroffen.<br />
Ihr Ansprechpartner:<br />
jens.roennberg@de.pwc.com<br />
Tel.: 069 9585-2226<br />
Download: www.pwc.de/de/pwc373<br />
Europas Städte<br />
Die Studie<br />
„Emerging Trends<br />
in Real Estate<br />
Europe 2009“<br />
wurde zum<br />
sechsten Mal<br />
vom Urban Land<br />
Institute durchgeführt<br />
und zusammen<br />
mit <strong>PwC</strong><br />
herausgegeben.<br />
Rund 500 Immobilienspezialisten in ganz<br />
Europa wurden darum gebeten, europäische<br />
Städte in Bezug auf Immobilieninvestitionen<br />
und die Herausforderungen<br />
am Markt einzuschätzen.<br />
Ihr Ansprechpartner:<br />
helmut.trappmann@de.pwc.com<br />
Tel.: 030 2636-1161<br />
Download: www.pwc.de/de/pwc368<br />
Käufer aus dem Osten<br />
Investoren aus<br />
Schwellenländern<br />
wollen sich<br />
zunehmend in<br />
Westeuropa engagieren<br />
– trotz<br />
der weltweiten<br />
Finanzkrise. Im<br />
Jahr 2008 erreichte<br />
die Zahl<br />
der Transaktionen<br />
ein Rekordniveau. Doch oft erschweren<br />
Interessenkonflikte und kulturelle Unterschiede<br />
die Zusammenarbeit. Die neue<br />
Veröffentlichung von <strong>PwC</strong>, „Eastern Approaches“,<br />
zeigt, wie es doch funktioniert.<br />
Ihr Ansprechpartner:<br />
werner.suhl@de.pwc.com<br />
Tel.: 069 9585-5650<br />
Bestellbar unter: www.pwc.de/de/pwc372<br />
Hedging von Risiken<br />
Im Zentrum der<br />
Untersuchung<br />
von <strong>PwC</strong> und<br />
der Justus-<br />
Liebig-Universität<br />
Gießen zum<br />
Hedging von<br />
Finanzrisiken in<br />
börsennotierten<br />
Industrie- und<br />
Handelsunternehmen<br />
steht die Anwendung des Hedge<br />
Accounting nach IAS 39. Die Studie basiert<br />
auf einer breit angelegten Befragung von<br />
Unternehmen.<br />
Ihr Ansprechpartner:<br />
thomas.schraeder@de.pwc.com<br />
Tel.: 0211 981-2110<br />
Preis: 38 Euro<br />
Bestellbar unter: www.pwc.de/de/treasury<br />
Auf einen Blick<br />
Die Flut neuer<br />
Steuern ist gewaltig<br />
– und das<br />
Risiko groß, in der<br />
Hektik des Beratungsalltags<br />
eine<br />
wichtige, beratungsrelevante<br />
Neuerung zu verpassen.<br />
Das Arbeitshandbuch<br />
„Steueränderungen 2009“ aus der renommierten<br />
Reihe „Haufe aktuell“ bereitet alle<br />
wichtigen Änderungen praxisorientiert und<br />
übersichtlich auf.<br />
Ihr Ansprechpartner:<br />
dieter.endres@de.pwc.com<br />
Tel.: 069 9585-6459<br />
Preis: 48 Euro, Rudolf Haufe Verlag<br />
ISBN 978-3-44808-7550-0<br />
Pharma 2020<br />
Jahrzehnte haben<br />
sich Pharmaunternehmen<br />
auf<br />
die Entwicklung<br />
neuer Präparate<br />
und den Arzneimittelverkauf<br />
konzentriert.<br />
Bislang war diese<br />
Strategie erfolgreich.<br />
Doch nun<br />
steht das bewährte Geschäftsmodell vor<br />
grundlegenden Veränderungen. Das geht<br />
aus der Studie „Pharma 2020: Challenging<br />
Business Models. Which path will you<br />
take?“ von <strong>PwC</strong> hervor.<br />
Ihr Ansprechpartner:<br />
volker.booten@de.pwc.com<br />
Tel.: 089 5790-6347<br />
Download: www.pwc.de/de/pwc347<br />
54 pwc: | juli 2009<br />
Grünes Wirtschaften lohnt sich<br />
Die Möglichkeiten, Umweltbelange in den<br />
Beschaffungsprozess der öffentlichen<br />
Hand zu integrieren, ist seit Langem ein<br />
viel diskutiertes Thema. Mit der in Kürze<br />
auch in Deutschland umgesetzten Reform<br />
des Vergaberechts ist nun ausdrücklich<br />
klargestellt, dass soziale, umweltbezogene<br />
und innovative Aspekte bei der<br />
Vergabe öffentlicher Aufträge berücksichtigt<br />
werden können. Im Auftrag der Europäischen<br />
Kommission hat <strong>PwC</strong> zusammen<br />
mit den niederländischen Beratungsunternehmen Significance<br />
und Ecofys eine Studie zum Thema umweltfreundliche öffentliche<br />
Beschaffung erstellt. Im Rahmen dieser Studie wurden über 2.500<br />
öffentliche Stellen in sieben Mitgliedsstaaten der Europäischen<br />
Union befragt.<br />
Ihr Ansprechpartner:<br />
stefan.calvi@de.pwc.com<br />
Tel.: 069 7431-2112<br />
Download: www.pwc.de/de/sustainability<br />
Bilanzrecht für Familienunternehmen<br />
Das deutsche Bilanzrecht ist mit dem<br />
Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz auf<br />
Reformkurs. Wie wirkt sich das bei Familienunternehmen<br />
aus? Dieser Frage gehen<br />
Norbert Winkeljohann, der als <strong>PwC</strong>-Vorstand<br />
das Geschäft mit Familienunternehmen<br />
und mittelständischen Unternehmen<br />
verantwortet, und der Vorstandsvorsitzende<br />
der VMEBF, Frank Reuther, mit weiteren<br />
Experten in ihrem Buch nach. Gefragt<br />
wird nach: Anforderungen an das<br />
Bilanzrecht aus Sicht von Familienunternehmen, Ausschüttungsbemessung,<br />
steuerliche Gewinnermittlung, Rechnungslegung als<br />
Basis einer effektiven Corporate Governance und vielem mehr. Das<br />
Werk zeigt Lösungsvorschläge für die Bilanzierung in der Praxis auf.<br />
Ihr Ansprechpartner:<br />
norbert.winkeljohann@de.pwc.com<br />
Tel.: 0541 3304-517<br />
Preis: 44 Euro, Erich Schmidt Verlag<br />
ISBN 978-3-503-11426-9<br />
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
PricewaterhouseCoopers AG WPG<br />
Olof-Palme-Straße 35, 60439 Frankfurt am Main<br />
www.pwc.de<br />
Verantwortlich für den Inhalt (V.i.S.d.P.):<br />
Oliver Heieck (PricewaterhouseCoopers AG)<br />
Tel.: 069 9585-1577<br />
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben<br />
die Meinung der Autoren wieder.<br />
Adressänderungen: pwc_magazin@de.pwc.com<br />
Chefredaktion:<br />
Corinna Freudig (PricewaterhouseCoopers AG),<br />
Detlef Gürtler (Facts & Figures)<br />
E-Mail an die Redaktion: pwc_magazin@de.pwc.com<br />
CvD: Heiko Hamann<br />
Art-Direktion: Frauke Backer/backerdesign.com<br />
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Redaktionelle Mitarbeit: Oranus Mahmoodi<br />
Lektorat: Christiane Barth, Werkstatt für moderne Sprache<br />
Verlagsleitung: Frank Parlow<br />
Verlag:<br />
Facts & Figures GmbH<br />
Ein Unternehmen der FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND<br />
Stubbenhuk 3, 20459 Hamburg<br />
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12.000 Exemplaren.<br />
© <strong>Juli</strong> 2009. PricewaterhouseCoopers AG<br />
PricewaterhouseCoopers bezeichnet die PricewaterhouseCoopers<br />
AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und die anderen selbstständigen<br />
und rechtlich unabhängigen Mitgliedsfirmen der<br />
PricewaterhouseCoopers International Limited.<br />
PricewaterhouseCoopers. Die Vorausdenker.<br />
pwc: | juli 2009 55
Erfolgsformeln<br />
Nach dieser Formel des britischen Mathematikers James Murray ist das Verhalten eines Partners<br />
in einer Beziehung von seinem Wesen, seinem bisherigen Verhalten und vom Einfluss des anderen<br />
Partners auf ihn abhängig. Gilt für Menschen – und auch für Unternehmen? Mehr ab Seite 4.