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7. Europäischer<br />

<strong>HOPE</strong> Kongress <strong>2010</strong><br />

zu Pädagogik bei Krankheit<br />

TAGUNGS-<br />

BAND<br />

„Das kranke Kind - aufgehoben im<br />

Netzwerk von Pädagogik und Medizin“<br />

München<br />

03.– 07.11.<strong>2010</strong><br />

www.hope<strong>2010</strong>munich.eu


Vorwort Schirmherrschaft<br />

2 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

3<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen!<br />

Sehr geehrte Damen und Herren!<br />

Wir freuen uns, Ihnen den <strong>Tagungsband</strong> des 7. <strong>HOPE</strong> Kongresses zu Pädagogik<br />

bei Krankheit mit dem Thema „ Das kranke Kind - aufgehoben im<br />

Netzwerk von Pädagogik und Medizin“ hiermit vorlegen zu können.<br />

In dieser Fassung sind die Vorträge, Darstellungen von Workshops und Ergebnisse<br />

von Foren zusammengefasst, die uns bei Drucklegung vorlagen,<br />

bzw. freigegeben oder übersetzt waren. Diese und weitere Beiträge werden<br />

Sie demnächst auf der Website des Kongresses www.hope<strong>2010</strong>munich.eu<br />

finden.<br />

Unser Ziel war es, die Notwendigkeit und Vielgestaltigkeit eines schützenden<br />

Netzwerks aufzuzeigen, das für kranke Kinder, ihre Familien und ihr<br />

schulisches und soziales Umfeld geknüpft werden muss. Krankheiten und<br />

Krisen dürfen den Weg in eine gute Zukunft nicht versperren. Medizin und<br />

Pädagogik sind dabei reale Partner, nicht zu vergessen ist auch die Rolle<br />

der Politik.<br />

Die Tagung wurde mit einem abendlichen Empfang eröffnet, zu dem der<br />

Bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus, Dr. Ludwig Spaenle,<br />

in den Kaisersaal der Residenz geladen hatte.<br />

Die beiden folgenden Tage begannen jeweils mit Vorträgen am Vormittag,<br />

denen nachmittags Workshops, thematische Foren und weitere Fachvorträge<br />

folgten. Entsprechend dem professionellen Netzwerk waren auch<br />

mehrere Standorte zusammengebunden worden. Der Festsaal des Alten<br />

Rathauses der Landeshauptstadt München, die Kinderklinik Schwabing<br />

der Technischen Universität München mit der Bandbreite aller medizinischen<br />

Bereiche und das Heckscher-Klinikum als Fachklinik für Kinder- und<br />

Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.<br />

Den Abschluss bildete eine Podiumsdiskussion, in der noch einmal verschiedene<br />

Blickwinkel auf ein gemeinsames Ziel deutlich wurden: Die Verbesserung<br />

der Bildungsversorgung für erkrankte Kinder und Jugendliche.<br />

Zusammengefasst sind die sich ergebenden Aufgaben in den Ergebnissen<br />

der Perspektiven Foren und in 12 Münchner Thesen.<br />

Wir freuten uns über zahlreiche positive Rückmeldungen der Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer. Und wir sehen erwartungsvoll dem nächsten <strong>HOPE</strong><br />

Kongress 2012 in Amsterdam entgegen.<br />

Abschließend hoffen wir, dass Sie beim Durchlesen des <strong>Tagungsband</strong>es<br />

Ihr fachliches Interesse vertiefen und die freundschaftliche Atmosphäre<br />

dieser Tage in München wieder aufleben lassen können. Annähernd 400<br />

Teilnehmer aus 33 Ländern trugen zu einem sehr regen internationalen<br />

Austausch bei, der auch uns Gastgebern so viel Freude bereitete.<br />

Elisabeth Meixner-Mücke Maria Schmidt<br />

Dezember <strong>2010</strong><br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

wenn Menschen schwer erkranken, dann reißt es sie oft aus ihrem gewohnten<br />

sozialen Umfeld, aus ihrem Arbeitsleben, häufig auch aus ihrem<br />

Freundes- und Familienkreis heraus. Besonders schlimm ist dies, wenn<br />

Kinder betroffen sind, die noch ganz am Anfang ihres Lebensweges stehen,<br />

die noch so viel vor sich haben, denen noch bis vor kurzem die Welt<br />

offen stand.<br />

In guter Absicht werden diese Kinder zu Hause oder im Krankenhaus nach<br />

bestem Wissen und Gewissen gepflegt und betreut. Die Schule und das<br />

Lernen verschiebt man auf später, der Zugang zu Bildung genießt oft weniger<br />

Priorität.<br />

Zuweilen geraten Kinder jedoch gerade durch solch vermeintliche Erleichterung<br />

in eine psychosoziale Krise, die die Bewältigung der körperlichen<br />

Krankheit nur noch schwerer macht. Ihnen fehlt das gewohnte Umfeld, das<br />

sie fordert und fördert, ihnen Anerkennung und Beteiligung zuteil werden<br />

lässt, indem sie aktiv ihre Rolle als Schülerinnen und Schüler ausfüllen.<br />

Auch dies trägt zur physischen und psychischen Gesundung bei.<br />

Deshalb brauchen kranke und besonders chronisch, langzeiterkrankte<br />

Kinder eine individuelle pädagogische Unterstützung, um den Kontakt zu<br />

ihrer Heimatklasse zu erhalten und sowohl vom Lerninhalt her als auch in<br />

sozialer Hinsicht mithalten zu können.<br />

Dabei kommt es darauf an, dass sich alle am Lern- und Genesungsprozess<br />

Beteiligten zusammentun und den Kindern diesen Weg ermöglichen.<br />

Im Sinne einer wirklichen freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit und einer<br />

gleichberechtigten Teilhabe, ist unsere moderne Gesellschaft dies den<br />

Kindern schuldig.<br />

Eva Luise Köhler


Spender & Sponsoren Organisationsteam<br />

4 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

5<br />

Wir danken folgenden Institutionen und<br />

Firmen für ihre Unterstützung<br />

MEDIA<br />

WEBBIte<br />

Wir programmieren Sie auf Erfolg<br />

STUDIO<br />

PHILIPP RÖCHLING<br />

GRAFIK/CORPORATE/<br />

WEB/DESIGN<br />

Schnorr-von-Carolsfeld-Str. 5a<br />

81927 München<br />

Koordinator zur EU<br />

Alto Merkt<br />

Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission fi -<br />

nanziert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung (Mitteilung)<br />

trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere<br />

Verwendung der darin enthaltenen Angaben.<br />

Titel:<br />

7. <strong>HOPE</strong> Kongress <strong>2010</strong> in München. Das kranke Kind aufgehoben im<br />

Netzwerk zwischen Pädagogik und Medizin.<br />

Rechtlicher Vertreter:<br />

Förderverein Schule für Kranke München e.V<br />

Dolores Waldschmidt<br />

Kölner Platz 1 - Haus 22<br />

80804 München<br />

Tel: +49 (0) 89 – 3068 3979<br />

www.foerderverein-schule-fuer-kranke.de<br />

Veranstalter:<br />

<strong>HOPE</strong> Sektion Deutschland<br />

c/o Maria Schmidt<br />

Schule für Kranke Ludwigsburg<br />

Kinderklinik - Posilipostr. 4<br />

71640 Ludwigsburg<br />

Tel: +49 (0) 7141– 9966 171<br />

Fax: +49 (0) 7141– 9966 179<br />

postmaster@casa.s.shuttle.de<br />

www.hospitalteachers.eu<br />

Staatliche Schule für Kranke München<br />

Elisabeth Meixner-Mücke<br />

Kölner Platz 1 - Haus 22<br />

80804 München<br />

Tel: +49 (0) 89 – 3068 3978<br />

Fax: +49 (0) 89 – 3068 3977<br />

sekretariat@sfk.musin.de<br />

www.schule-fuer-kranke.de<br />

Schule an der Heckscher-Klinik<br />

Anne-Kathrin Kohtz-Heldrich<br />

Deisenhofener Str. 28<br />

81539 München<br />

Tel: +49 (0) 89 – 9999 1501<br />

Fax: +49 (0) 89 – 9999 1503<br />

info@schule.heckscher-klinik.de<br />

www.heckscher-klinik.de<br />

Elisabeth Fuchsenberger<br />

Ulrike Kalmes<br />

Erhard Karl<br />

Anne-Kathrin Kohtz-Heldrich<br />

Gerrit Mazarin<br />

Mona Meister<br />

Elisabeth Meixner-Mücke<br />

Alto Merkt<br />

Ralph Peters<br />

Nina Röchling<br />

Bernhard Ruppert<br />

Maria Schmidt<br />

Rita Wagner<br />

Redaktion:<br />

Elisabeth Meixner-Mücke<br />

Maria Schmidt<br />

Layout und Satz:<br />

Philipp Röchling<br />

info@philipproechling.de<br />

www. philipproechling.de<br />

Druck:<br />

fl yeralarm GmbH<br />

Alfred-Nobel-Str. 18<br />

97080 Würzburg<br />

Impressum<br />

Die Verantwortung für die Inhalte liegt bei dem<br />

jeweiligen Verfasserinnen und Verfassern.


Inhalt 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

Inhalt<br />

8<br />

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I. Begrüßungen<br />

- Köhler<br />

- Spaenle<br />

- Falk-Schalk<br />

- Waldschmidt<br />

- Schmidt<br />

- Meixner-Mücke/Kohtz-Heldrich<br />

- Zwei Mütter<br />

II. Reden<br />

- Polzer<br />

- Burdach<br />

- Freisleder<br />

- von Hofacker<br />

- Rohde<br />

- Hoanzl<br />

- Führer<br />

- Hillenbrand<br />

- Oelsner<br />

- Ehrich<br />

III. Workshops und Foren<br />

- Wolf<br />

- Sanamyan<br />

- Frommelt/Wagner/Lehnerer<br />

- Huber A.<br />

- Seidel<br />

- Webster<br />

- Häcker<br />

- Gerber<br />

- Diallo<br />

- Teichert von Lüttichau/Kreutzer/Winkler<br />

- Laurinck/Ettenreich-Koschinsky/Rüth<br />

- Rieger<br />

- Huppert<br />

- Glauz/Schneider<br />

- Napp<br />

- Kalmes/Ramsauer<br />

- Weber/Welling/Steins<br />

- Wölfl<br />

- Jones<br />

- Ruppert<br />

- Aulin<br />

- Ramminger<br />

- Noterdaeme<br />

- Huber W./Schmidt<br />

- Tarquini/Passoni/Pertici<br />

- Becan<br />

- Kalmes/Ruppert<br />

- Fuchsenberger<br />

- Sobanski<br />

- Lizasoain<br />

- Sherlock/Marinho/Irigaray<br />

- Walser<br />

- Wittmann<br />

- Walser<br />

- Lantzsch/Ramminger<br />

- Falk-Schalk<br />

- Meister/Voigt<br />

- Brunander/Karelid/Lindberg/Nordenjack<br />

- Beste<br />

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107<br />

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136<br />

138<br />

IV. Zusammenfassung/Ergebnis/Ausblick<br />

- Meixner-Mücke<br />

- Oelsner<br />

- Münchner Thesen<br />

V. Presse/Echo<br />

Presse Inland<br />

- Merkt<br />

- Schor<br />

- Meixner-Mücke<br />

- Schmidt<br />

Presse Ausland<br />

- Schmidt<br />

- Australien „H.E.L.P.“<br />

- Molier<br />

VI. Register<br />

- Titel/Verfasser


I. Begrüssungen I. Begrüssungen<br />

8 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

9<br />

Eva Luise Köhler<br />

Grußwort gelesen in der Residenz am 3. November <strong>2010</strong><br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

als Schirmherrin dieser Tagung möchte ich Sie herzlich grüßen, insbesondere<br />

auch den Gastgeber dieses Abends, Herrn Minister Dr. Spaenle, sowie<br />

Herrn Minister Dr. Luksicč aus Slowenien, die zahlreichen Vertreter von Kultusministerien,<br />

Schulbehörden und privaten Initiativen aus dem In- und Ausland,<br />

besonders auch des Fördervereins Schule für Kranke München e.V.,<br />

die beiden Schulleiterinnen und die Vertreter von <strong>HOPE</strong>.<br />

Warum sollte ein krankes Kind Unterricht erhalten? - Stellen wir die Frage<br />

anders: Warum sollte ein Kind Unterricht erhalten? - Die Antwort ist nicht<br />

allein, weil es Vorbereitung ist auf das Leben, sondern vor allem, weil - wie<br />

für jeden Menschen - Lernen das Leben selbst bedeutet.<br />

Aus diesem Grund hat jedes Kind ein natürliches Recht auf Bildung. Das<br />

Motto dieses Kongresses greift diesen Gedanken auf: Das kranke Kind -<br />

aufgehoben in einem Netzwerk von Medizin und Pädagogik.<br />

Zahlreiche öffentliche Resolutionen postulieren das Recht des Kindes auf<br />

Bildung und ermahnen uns, benachteiligte und ausgegrenzte Kinder mit<br />

einzubeziehen. So hat z.B. die Europäische Union das Jahr <strong>2010</strong> zum ‚Europäischen<br />

Jahr der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ausgerufen‘<br />

und meint damit auch Ausgrenzung von Bildungsmöglichkeiten. Zu<br />

dem Kreis der potenziell Ausgegrenzten gehört auch die zunehmende Zahl<br />

an Kindern und Jugendlichen mit chronischen oder langwierigen Krankheiten,<br />

ebenso diejenigen, die psychotherapeutischer Intervention bedürfen.<br />

Die Lehrerinnen und Lehrer, die heute hier versammelt sind, setzen diese<br />

Idee, durch Bildungsangebote die Ausgrenzung zu vermeiden, in alltäglicher<br />

Praxis um.<br />

Sie - und Vertreter anderer Berufsgruppen - sind heute hier versammelt.<br />

Aus ganz Europa und aus Ländern weit außerhalb Europas sind Sie nach<br />

München gekommen, um in den kommenden Tagen für ihre Arbeit Neues<br />

zu lernen, Erfahrungen auszutauschen und mit neuen Ideen heimzureisen.<br />

Ich wünsche Ihnen allen fruchtbare und bereichernde Tage.<br />

Dr. Ludwig Spaenle<br />

Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus<br />

Begrüssung in der Residenz am 3. November <strong>2010</strong><br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

„Hoffnung und Freude sind die besten Ärzte.“<br />

Diese Feststellung von Wilhelm Raabe meint keineswegs, dass die klinische<br />

Behandlung von Krankheiten nachrangig ist. Medizinisches Fachpersonal<br />

ist absolut nötig!<br />

Aber es kommt auf die ganze Persönlichkeit des Erkrankten an – und daher<br />

auch auf die Psyche.<br />

Der siebte <strong>HOPE</strong>-Kongress, der heute beginnt, trägt das Motto: „Das kranke<br />

Kind – aufgehoben im Netzwerk von Medizin und Pädagogik“.<br />

Das Motto greift genau diesen ganzheitlichen Ansatz auf:<br />

• Denn hier wird die medizinische Versorgung der Erkrankung ebenso in<br />

den Blick genommen<br />

• wie die sozialen und intellektuellen Bedürfnisse: Schulunterricht – auch<br />

in schweren gesundheitlichen Krisen – kann dazu einen wichtigen Beitrag<br />

leisten.<br />

Denn der Unterricht hat zwei sehr positive Nebeneffekte:<br />

• Die schulische Situation bringt Freude – da sie ein Stück normalen Alltag<br />

ins Krankenhaus trägt: Diese psychische Komponente darf für den Heilungsprozess<br />

auf keinen Fall unterschätzt werden!<br />

• Und: <strong>HOPE</strong> ist nicht zufällig das Akronym der „Hospital Organisation of<br />

Pedagogues in Europe“, Ausrichter dieses Kongresses und seit mehr als<br />

zwei Jahrzehnten engagiert für die Schulrechte des kranken Kindes.<br />

Mit der schulischen Normalität im Ausnahmezustand Krankheit verknüpft<br />

sich – zusammen mit der medizinischen Behandlung – auch Hoffnung: Sie<br />

eröffnet die Perspektive auf ein Leben außerhalb der Klinik, und dass dieses<br />

für die Kinder und Jugendlichen wieder einmal wirklich normal sein wird.<br />

Schulische Bildung für kranke Kinder und Jugendliche – dieses Thema ist<br />

daher überaus wichtig.<br />

Und es ist so komplex, dass es nur in Zusammenarbeit vieler Beteiligter<br />

angemessen behandelt werden kann.<br />

• Deshalb freue ich mich, dass Vertreterinnen und Vertreter aller beteiligten<br />

Fachrichtungen nach München gekommen sind – aus Pädagogik,<br />

Psychologie und Medizin.<br />

• Referentinnen und Referenten aus ganz Europa – ja sogar darüber hinaus<br />

– beweisen, dass es sich hier um ein grenzübergreifendes Thema<br />

handelt.<br />

Ich bin mir sicher: Der Kongress verleiht durch den Austausch von Erfahrungen,<br />

Best practice und neuer Forschungsergebnisse dem Bestreben<br />

wichtige Impulse, die Verbindung von pädagogischer und medizinischer<br />

Zuwendung für kranke Kinder zu verbessern.<br />

Ich bin mir als Bayerischer Kultusminister der Tatsache bewusst, dass es<br />

dafür auch von politischer Seite passende Rahmenbedingungen braucht.<br />

In Deutschland haben wir die bildungspolitische Bedeutung der Schulen<br />

für das kranke Kind recht früh erkannt und zu einem gemeinsamen Anliegen<br />

der Kultusminister aller 16 Länder gemacht:<br />

• Bereits 1998 hat die Kultusministerkonferenz damals wegweisende<br />

Empfehlungen zum Förderschwerpunkt „Unterricht kranker Schülerinnen<br />

und Schüler“ veröffentlicht.<br />

• Die dadurch entstandene Zusammenarbeit zwischen den Ländern gilt<br />

es im Sinn des Wohls der kranken Kinder, ihrer Geschwister und Eltern<br />

weiter auszubauen.<br />

• Die Zusammenarbeit ist schon deshalb nötig, da die bestmögliche medizinische<br />

Versorgung nicht an Landesgrenzen haltmacht:<br />

In der Regel stammt ein Viertel der Schülerinnen und Schüler an den bayerischen<br />

Schulen für Kranke aus anderen Bundesländern. In Einzelfällen<br />

besuchen sogar Kinder aus dem Ausland diese Einrichtungen.<br />

Es ist daher ein wichtiges Zeichen, dass hier Vertreter aller deutschen Länder<br />

anwesend sind!<br />

Es ist meine feste Überzeugung: Alle Kinder und Jugendlichen haben ein<br />

Recht auf bestmögliche Bildung – das ist eine zentrale Forderung von Bildungsgerechtigkeit<br />

und -teilhabe! Dies gilt gerade im Fall einer schweren<br />

Krankheit – sei diese psychisch oder körperlich, chronisch oder hochakut.<br />

Die Krankheit verändert das Leben grundlegend und bedeutet für die Betroffenen<br />

eine gravierende Einschränkung ihrer Lebensqualität:<br />

• Sie leben oft über lange Zeit in einer Klinik,<br />

• getrennt von Familie und Freunden,<br />

• herausgerissen aus dem Alltag<br />

• und manchmal schwer belastet durch ihre gesundheitlichen Probleme.<br />

In dieser äußerst schwierigen Situation kommt der Schule für Kranke eine<br />

besondere Bedeutung zu:<br />

• Sie kann dabei helfen, einen Funken Normalität in den klinischen Alltag<br />

zu tragen.<br />

• Und sie schafft die Voraussetzung dafür, den schulischen Bildungsweg<br />

fortzusetzen: Orientiert an den individuellen Lernvoraussetzungen und<br />

den medizinischen Gegebenheiten, wird sie dem Bildungsanspruch der<br />

Schülerinnen und Schüler gerecht.<br />

• Ihr Ziel ist es, dass die Kinder – trotz ihrer Krankheit weiter motiviert<br />

lernen,č den schulischen Anschluss behalten, und nach Möglichkeit in<br />

die Heimatschule bzw. in die eigene Klasse zurückkehren.<br />

Auch für die betroffenen Eltern bedeutet die „Schule für Kranke“ eine Erleichterung.<br />

Von den vielen Sorgen, die diese Familien begleiten, ist ihnen<br />

zumindest die um den schulischen Weg ihres Kindes genommen.<br />

Gerade in einer Zeit, die von der Diskussion um Inklusion und die gleichberechtigte<br />

Teilhabe aller Menschen am Bildungsprozess geprägt ist, gewinnt<br />

die „Schule für Kranke“ an Bedeutung.<br />

Eine ganz wichtige Aufgabe ist dabei die Zusammenarbeit mit der Heimatschule:<br />

• Zusammen mit den dortigen Lehrkräften wird das individuelle Bildungsangebot<br />

bestimmt.<br />

• Und auch der wichtige soziale Kontakt zwischen dem erkranken Kind mit<br />

der Heimatklasse soll bestehen bleiben.<br />

Die Schule für Kranke ist zudem in besonderer Weise in beratender Funktion<br />

gefordert:<br />

• Das betrifft die Konzeption der schulischen Rahmenbedingungen – von<br />

der Behandlung im Krankenhaus bis zur Rückkehr an die Heimatschule.<br />

• In manchen Fällen geht es dabei auch um Schullaufbahnberatung.<br />

• Und bei Bedarf erarbeitet sie in Zusammenarbeit mit Ärzten, Stammschulen<br />

und Eltern auch Empfehlungen zum Nachteilsausgleich.<br />

Diese Leistungen werden in den letzten Jahren immer stärker nachgefragt:<br />

Seit dem Jahr 2000 ist die Schülerzahl an Schulen für Kranke in Bayern um<br />

fast 23 % gestiegen. Die Gründe dafür liegen –<br />

• zum einen in den stetig wachsenden Schülerzahlen in den Kinder- und<br />

Jugendpsychiatrien,<br />

• zum anderen in den verbesserten Therapiemöglichkeiten für schwer erkrankte<br />

Kinder.<br />

Diese jungen Menschen und ihre Familien in ihrer schwierigen Situation<br />

zu unterstützen ist uns eine Verpflichtung vor unserem christlichen Werteverständnis:<br />

„Das kranke Kind – aufgehoben im Netzwerk von Pädagogik und Medizin“<br />

– das ist uns ein großes Anliegen!<br />

Ich danke allen sehr herzlich, die sich täglich für diese anspruchsvolle Aufgabe<br />

engagieren:<br />

• Pädagogen, Ärzten und medizinischem Personal,<br />

• den Eltern und Angehörigen<br />

• den Förderern<br />

• und den Vertretern der Verbände aus Politik, Verbänden und Gesellschaft.<br />

Große Anerkennung gebührt auch dem Team an der „Schule für Kranke<br />

München“ für die Planung und Durchführung des Kongresses.<br />

Knüpfen Sie heute Abend das Netzwerk von Medizin und Pädagogik enger!<br />

Dazu wünsche ich Ihnen anregende und interessante Gespräche.<br />

Gerd Falk-Schalk<br />

Präsidentin von <strong>HOPE</strong> (Hospital Organisation of Pedagogues in Europe)<br />

Begrüssung in der Residenz am 3. November <strong>2010</strong><br />

Mein Name ist Gerd Falk-Schalk und ich vertrete hier als Präsidentin die Organisation<br />

Hospital Organisation of Pedagogues in Europe. Zuerst möchte<br />

ich Herrn Doktor Spaenle, Staatsminister für Unterricht und Kultus hier in<br />

Bayern, recht herzlich danken für die Einladung zu diesem Festempfang, der<br />

auch den Anfang unseres 7. <strong>HOPE</strong>-Kongresses ausmacht.<br />

Hoffentlich sage ich nicht zu viel, wenn ich Ihre Einladung als eine Anerkennung<br />

unserer Arbeit im Alltag mit unseren kranken oder funktionsbehinderten<br />

Schüler/innen verstehe. Ich bin sicher, dass die Kollegen und<br />

Kolleginnen aus ganz Europa und auch aus anderen Teilen unserer Welt sich<br />

mit mir freuen über diese Aufmerksamkeit.<br />

Einen besonderen Gruß an Herrn Dr. Luksic, dem Sport- und Bildungsminister<br />

aus Slowenien. Wir freuen uns Sie hier wiederzusehen. Wir sehen in Ihrer<br />

Anwesenheit hier eine Bestätigung Ihrer Freundschaft und ein geteiltes<br />

Interesse für unsere Anliegen zum Guten unserer Schüler und Schülerinnen.<br />

Dank auch an die Organisatoren deren Arbeit wir mit Spannung durch die<br />

hervorragende Webseite verfolgt haben und damit auch wissen, welche Kraftprobe<br />

hinter diesem tollen Programm steckt. Wir sind voller Erwartungen.<br />

Für noch ein paar Tage bin ich Präsidentin von <strong>HOPE</strong>. Hier offenbare ich mich<br />

nun also als eine Gerd aus dem Norden und nicht als ein germanischer Gerd.<br />

Ganz kurz zu meinem Namen möchte ich was erzählen. Ich bin ja schließlich<br />

auch Lehrerin und erzähle gerne Geschichten. Mein Name stammt aus der<br />

Nordischen Mythologie. Diese Gerd war die heiß Geliebte vom Gott Frey,<br />

dem Fruchtbarkeitsgott, dessen Namen im Wochentag Freitag noch bleibt.<br />

Ihre Liebesgeschichte dauerte nicht sehr lange. Die Gerd starb kurz nach<br />

der Heirat. Außer dem Namen habe ich keine große Ähnlichkeit mit ihr, denn<br />

sie stammte aus dem Geschlecht der Riesen und war Tochter des Riesens<br />

Gymer. Gern begegne ich aber hier meinen Namensvettern.<br />

Nun zu <strong>HOPE</strong>. Das erste Treffen von Krankenhauslehrern fand in Ljubljana<br />

in 1987 statt. Also wiederum ein Anknüpfungspunkt an das Slowenien<br />

von Herrn Luksic. Seitdem sind sich Krankenhauslehrer nicht nur an Kongressen,<br />

sondern auch an Europatagen, etlichen Seminaren und Workshoptreffen<br />

begegnet. Dabei haben wir wirklich Europa vom Süden bis Norden,<br />

Osten bis Westen durchquert.<br />

Das Resultat von den Workshops hat die Mitarbeit von unseren Schüler/<br />

innen mit einbezogen. Auch bei diesem Kongress wird ihre Arbeit als Ausstellungsmaterial<br />

oder in Workshops vorgestellt.<br />

Ein anderer Hinweis auf unsere Zusammenarbeit ist unsere Charta, die<br />

in zehn Punkten das Recht des kranken Kindes auf Bildung definiert. Die<br />

Charta wurde im Jahre 2000 bei der Generalversammlung in Barcelona angenommen.<br />

Seitdem hängt sie festgenagelt in allen Krankenhausschulen<br />

Europas, wo <strong>HOPE</strong>-Mitglieder arbeiten …oder? Wir feiern das 10- jährige<br />

Jubiläum am besten damit, die zehn Punkte nochmals zu prüfen gegen den<br />

heutigen Stand der Bildungsbedürfnisse unserer Schüler/innen und neue<br />

Regelungen oder Abkommen. An dieser Arbeit sind sie alle herzlichst eingeladen<br />

teilzunehmen. Ich sehe sehr gerne, dass meine Mailbox sich überfüllt<br />

ist mit kritischen Beobachtungen von Ihnen.<br />

Unsere Charta soll auch den Bildungsministerien Europas als Evaluierungsinstrument<br />

für den Unterricht von kranken oder funktionsbehinderten Schülern<br />

in ihren Ländern dienen.<br />

Das Motto von <strong>HOPE</strong> ist „Kontinuität in der Bildung des kranken Kindes“.<br />

Was das heißt, lässt sich auch mit der Charta definieren.<br />

Am Ende des Kongresses wollen unsere beiden Netzwerke Medizin und<br />

Schule ein Dokument zusammenstellen, das als ein Gruß an die Gesundheits-<br />

und Bildungsministerien geschickt werden soll, um sie auf noch bestehende<br />

Schwächen im Bildungsgang für die Schüler, deren Vertreter wir<br />

sind, aufmerksam zu machen. Bitte fangen Sie schon an, über den Inhalt zu<br />

reflektieren. So viel Wissen zum Thema sehen wir ja nur zum Zeitpunkt von<br />

den Kongressen gesammelt.<br />

<strong>HOPE</strong> hat auch eine Stellung als INGO (International Non Governmental<br />

Organization) beim Europarat erworben. Der Europarat wurde schon 1948<br />

gegründet, also vor der EU, und hat heute 47 Mitgliedsstaaten. Die Statuten<br />

sind sogleich auch die allgemeine Deklaration der Menschenrechte. Ihre<br />

„Regierung“ sozusagen sind die Minister des Auswärtigen Amts der Mitgliedsländer.<br />

Im Europarat läuft im Moment eine Kampagne “Raise your Hand against<br />

Smacking”. Einige von Ihnen haben schon ihren Namen online eingetragen<br />

zur Unterstützung der Kampagne gegen das Schlagen von Kindern. <strong>HOPE</strong><br />

hat einen Informationsstand in der Halle der Heckscher-Klinik. Für diejenigen,<br />

die erst jetzt von der Kampagne hören, gibt es wiederum eine Möglichkeit<br />

teilzunehmen. Machen Sie das am besten, wenn Sie sich für die<br />

Generalversammlung registrieren lassen. Die berühmte Münchnerin, Silvia<br />

Sommerlath, heute Königin von Schweden, hat schon unterschrieben. Man<br />

kommt dann mit ihr in die Hall of Fame der Kampagne.<br />

An unserem Informationsstand können Sie auch Karten, Kalender mit Zeichnungen<br />

von unseren Schülern/innen etc . (gegen eine kleine Spende) bekommen.<br />

Sie sind sehr geglückt und schön. Perfekte Weihnachtsgeschenke.


10 I. Begrüssungen 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

I. Begrüssungen<br />

11<br />

Es ist eine große Freude so viele bekannte Gesichter hier im Saal wiederzusehen.<br />

Eine Freude ist es auch, allen neuen Gesichtern zu begegnen. Zu den<br />

Neuen möchte ich sagen: Sie werden schon sehen, dass Sie gut aufgehoben<br />

werden in unserem Netzwerk. Wo sich Krankenhauslehrer treffen, herrscht<br />

eine freundliche Stimmung.<br />

Die Stellung als INGO beim Europarat sollte uns eine Möglichkeit geben,<br />

die Bedürfnisse unserer Schüler deutlich hervorzuheben. Das geht langsam.<br />

Viele Menschen wissen ja nicht mal von der Existenz dieser Schulform. Immer<br />

wieder müssen wir geduldig erklären, was wir als Krankenhaus- oder<br />

Kliniklehrer eigentlich machen. Um schneller erfolgreich arbeiten zu können,<br />

brauchen wir Freunde unter Medizinern und Politikern, die wissen, welche<br />

Bedeutung ein fortgesetzter Schulgang hat, auch für die Genesung der<br />

Patienten, unserer Schüler. Nach dem Kongress, hoffe ich, haben wir viele<br />

solche Freundschaften geknüpft.<br />

Nun lasset uns den Abend genießen. Wir danken Herrn Dr. Spaenle und der<br />

Stadt München nochmals. Morgen fängt unsere gute Zusammenarbeit an.<br />

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

Dolores Waldschmidt<br />

Vorsitzende Förderverein Schule für Kranke München e. V.<br />

Begrüssung in der Residenz am 3. November <strong>2010</strong><br />

Guten Abend,<br />

sehr verehrte Gäste des heutigen Abends, zu dem Sie, Herr Kultusminister<br />

Dr. Spaenle, in diesen so prächtigen Teil der Residenz geladen haben.<br />

Ich möchte mich noch einmal ganz herzlich bedanken, dass Sie und Ihre<br />

Mitarbeiter, im besonderen Herr Ministerialrat Weigl, sich so erfreulich am<br />

Gelingen dieses wichtigen <strong>HOPE</strong>-Kongresses <strong>2010</strong> beteiligt haben und diese<br />

Eröffnungsveranstaltung, die ein würdiger Rahmen sowohl für unsere Gäste<br />

als auch für die Wichtigkeit und Brisanz der Themen, die in den nächsten<br />

Tagen besprochen werden sollen, darstellt.<br />

Willkommen heißen darf ich die Vertreterin der Hospital Organisation of<br />

Pedagogues in Europe, Frau Gerd Falk- Schalk und ihre deutsche Repräsentantin<br />

Frau Maria Schmidt, deren großer Arbeitseinsatz maßgeblich zum<br />

Gelingen dieses Kongresses beigetragen hat. Vielen Dank!<br />

Ich darf mich kurz vorstellen:<br />

Ich bin die erste Vorsitzende des Fördervereins Schule für Kranke München<br />

e.V. und verstehe mich in diesem Amt nicht nur als „Finanzierungsermöglicherin“<br />

für den Kongress <strong>2010</strong> und für den Wunschzettel der Schule für<br />

Kranke München, sondern auch als Stimme elterlichen Willens unter gegebenen<br />

Umständen anstelle des Organs „Elternvertretung“, was für andere<br />

Schulen selbstverständlich ist und an den Krankhausschulen nicht existiert.<br />

In dieser Rolle setze ich meine Kraft gerne ein für gleiche Bildungschancen<br />

auch für das kranke Kind. Gerade hier ist die individuelle Förderung mit Zeit<br />

und Raum ohne Leistungsdruck unerlässlich.<br />

Zur Debatte um die Schule von morgen gehört es, dass man der ständig<br />

steigenden Zahl von chronisch oder psychisch erkrankten Kindern und<br />

Jugendlichen durch Nachteilsausgleich und individuelle Unterrichtsversorgung<br />

während und nach der Krankheit gerecht wird.<br />

Die Gesellschaft hat die Verpflichtung und das Kind oder der Jugendliche<br />

das Recht, dass die zum gesunden Kind unterschiedlichen Lernvoraussetzungen<br />

berücksichtigt und aufgefangen werden.<br />

Unser Verein hat in den Jahren seines Bestehens vieles bewirken können.<br />

Meist in großem Einverständnis und mit Unterstützung des Kultusministeriums<br />

und vor allem dank großzügiger Spender. An dieser Stelle von ganzem<br />

Herzen Dank, dass Sie unsere Arbeit als Förderverein so großartig unterstützen.<br />

Durch Sie konnten Videokonferenz-Unterricht, zusätzlich notwendige<br />

Förderunterrichtsstunden und von einer Ärztin begleitete Heimatschulbesuche<br />

finanziert werden.<br />

Als geschäftsführend Verantwortliche dieses Kongresses <strong>HOPE</strong> <strong>2010</strong> richte<br />

ich meinen besonderen Dank an die privaten Spender wie Röchling-Stiftung,<br />

Deutsche Bank, GlaxoSmithKline, Burgmann-Stiftung, Familienstiftung Seidel<br />

, Frau Elisabteh Porzelt u.a.<br />

Stolz dürfen wir sein -und dies mit unermüdlichem Einsatz der Sonderschulrektorin<br />

Lisa Meixner-Mücke und dem Sonderschulkonrektor Alto Merkt -auf<br />

die erfolgreiche Bewerbung bei der EU, die diesen Kongress als besonders<br />

förderungswürdig eingestuft und entsprechend bezuschusst hat.<br />

Euch beiden großer Dank. Ohne Euch wäre es nicht gelungen.<br />

Bedanken darf ich mich außerdem bei Frau Sonderschulrektorin Anne<br />

Kohtz-Heldrich für die fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Schulen für<br />

kranke Kinder in München anlässlich dieses Kongresses.<br />

Nun wünsche ich den Teilnehmern dieses Kongresses, Sie mögen um Vieles<br />

an Erfahrungen und Erkenntnissen bereichert in ihre Heimat zurückkehren.<br />

Den Beteiligten, die politisch oder administrativ an den Schaltstellen für<br />

fortschrittliche Entwicklung unseres Bildungssystems sitzen, wünsche ich<br />

leidenschaftlichen Austausch mit Lehrern und Ärzten, die sich tagtäglich<br />

der Aufgabe der individuellen Förderung am Krankenbett stellen.<br />

Ich bin glücklich nach 2 Jahren intensiver Vorbereitungszeit auf heute und<br />

die nächsten Tage in München blicken zu dürfen.<br />

Maria Schmidt<br />

Vorsitzende der <strong>HOPE</strong>-Sektion Deutschland<br />

Begrüssung im Alten Rathaussaal am 4. November <strong>2010</strong><br />

Guten Morgen, verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

liebe Freunde,<br />

für die deutsche Sektion von <strong>HOPE</strong> möchte ich Sie alle, die Sie heute hier<br />

versammelt sind, herzlich willkommen heißen.<br />

Dieser Kongress ist die Krönung einer Idee, die im Jahr 2007 entstand, und<br />

die heute - mit der Hilfe von sehr vielen - ihre Früchte trägt.<br />

Als ich vor vielen Jahren meine Arbeit als Lehrerin im Krankenhaus begann,<br />

war einer meiner ersten Schüler ein 16-Jähriger, der nach einem Unfall vom<br />

Hals an abwärts querschnittsgelähmt war. Dieses Unglück war kurz vor seiner<br />

Abschlussprüfung, der Mittleren Reife, passiert. Er konnte auch seine<br />

Hände nicht mehr bewegen und damit auch nicht mehr schreiben, zu den<br />

Unfallfolgen gehörten noch eine ganze Reihe anderer Behinderungen, darunter<br />

epileptische Anfälle.<br />

Aber er bestand darauf, dass er ‚seine‘ Prüfung machen wollte, um seinen<br />

‚Pass‘ für das Leben als Erwachsener zu erhalten und damit für eine berufliche<br />

Laufbahn. - Aber wie? Computer waren damals noch selten in Schulen,<br />

es gab keine Spracherkennung und Ähnliches. Zusätzlich kam er aus einem<br />

anderen Bundesland, einer anderen Schulhierarchie. Meine ersten Schritte<br />

in das neue Berufsfeld waren also, mit dem Kultusministerium eines anderen<br />

Bundeslandes Kontakt aufzunehmen und zu verhandeln, wie dieser<br />

Jugendliche die Anforderungen einer staatlichen Abschlussprüfung erfüllen<br />

konnte, die seinen Bedürfnissen Rechnung trug. - Das war vor rund 20 Jahren,<br />

und der Schüler kam aus Bayern. (Er bestand die Prüfung übrigens mit<br />

großem Erfolg.)<br />

Ich bin deshalb ganz besonders froh, dass sich hier der Kreis schließt und<br />

wir diese Tagung zu Pädagogik bei Krankheit in München veranstalten können<br />

mit der Unterstützung des bayerischen Ministeriums, der Regierung von<br />

Oberbayern und der Stadt München, sowie mit Hilfe der Europäischen Union.<br />

Ich danke allen, die dies möglich gemacht haben. Besonderen Dank möchte<br />

ich Lisa Meixner-Mücke sagen für die immense Arbeit über eine sehr lange<br />

Zeit der Vorbereitung, ebenso Alto Merkt, Anne Kohtz-Heldrich und vielen<br />

ihrer Kolleginnen, Kollegen und Mitarbeitern, dem ‚Förderverein Schule für<br />

Kranke München‘ mit Dolores Waldschmidt und Herrn Karl, der uns mit Rat<br />

und Zuspruch beistand.<br />

In den kommenden Tagen werden wir die Frage der rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

und ihre Schnittpunkte mit individuellen Bedürfnissen beleuchten,<br />

das Thema eines natürlichen Rechts auf Bildung und der konkreten<br />

Realität, der Wechselbeziehung von medizinischer Behandlung und schulischen<br />

Zielen; diese Fragen brauchen noch viel Betrachtung. Und da wir in<br />

Europa leben, einem Kontinent, der zusammenwächst - wie hier und heute<br />

deutlich sichtbar - muss es unser Ziel sein, über Grenzen hinweg zu kooperieren,<br />

um neue Antworten zu finden.<br />

Ich freue mich sehr, so viele Europäer hier in München zu sehen, und zahlreiche<br />

alte und neue Freunde aus anderen Teilen der Welt. Verbringen wir<br />

einige wunderbare Tage, in denen wir uns mitteilen, austauschen, vergleichen<br />

und lernen, und an unseren Netzwerken weiter knüpfen.<br />

Enden möchte ich mit einem Wort Martin Luthers vor rund 500 Jahren:<br />

„Alles, was in der Welt erreicht wurde, wurde aus Hoffnung getan.“ - ‚Everything<br />

that is done in the world is done by <strong>HOPE</strong>‘.<br />

Elisabeth Meixner-Mücke<br />

Sonderschulrektorin Schule für Kranke München<br />

Begrüssung im Alten Rathaussaal am 4. November <strong>2010</strong><br />

Anne-Kathrin Kohtz-Heldrich<br />

Sonderschulrektorin Schule an der Heckscher-Klinik Münche<br />

Sehr geehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen aus vielen Ländern, seien<br />

Sie herzlich willkommen in München!<br />

Liebe Maria Schmidt, Du bist „schuld“ an allem! Die Anfrage von Dir- Vorsitzende<br />

von <strong>HOPE</strong> Deutschland - bei der Schule für Kranke München und die<br />

weitergeleitete Anfrage an die Schule an der Heckscher-Klinik hat die Idee<br />

aufkeimen lassen, von hier aus die Anliegen kranker Kinder und Jugendlicher<br />

europaweit zu diskutieren. Wir als Leiterinnen zweier Klinikschulen,<br />

fanden dies durchaus spannend.<br />

Die Idee, dass die beiden Schulen gemeinsam einen Kongress gestalten,<br />

hat uns fasziniert. Unser Anliegen war, die weit gesteckte, schulische Arbeit<br />

mit somatisch, psychosomatisch und /oder psychiatrisch erkrankten<br />

Schülerinnen und Schülern erstmals auf einem gemeinsamen Kongress zu<br />

beleuchten und eine Weiterentwicklung anzuregen.<br />

Und Seite an Seite mit der Medizin ein Netzwerk von Pädagogik und Medizin<br />

zu knüpfen, in dem sich alle aufgehoben fühlen, darin sehen wir die Zukunft.<br />

Wir bedanken uns bei Professor Dr. Burdach und Prof. Dr. Freisleder für<br />

viele Anregungen und die gute Zusammenarbeit.<br />

Zur Umsetzung brauchten wir Geld! Unser Planungsteam entwickelte Ideen.<br />

Wir konnten unser gemeinsames Konzept bei vielen möglichen Sponsoren<br />

einreichen. Bei mehreren Stiftungen erhielten wir großes Lob, aber leider<br />

kein Geld …! Diese Anträge zu schreiben, unendlich viele Handreichungen<br />

von Stiftungen zu studieren, war eine Herkulesarbeit, die Herr Merkt, Konrektor<br />

der Schule für Kranke München gestemmt hat. Große Anerkennung<br />

von uns allen! An dieser Stelle möchten wir uns auch bei dem Projektteam<br />

der beiden Schulen, Frau Kalmes, Herrn Ruppert, Schule für Kranke München,<br />

Frau Fuchsenberger, Frau Wagner, Schule an der Heckscher-Klinik,<br />

sowie den vielen Helfern in diesen Tagen herzlich bedanken.<br />

Tatsächlich wurde unser Beitrag bei der Europäischen Union unter vielen<br />

ausgewählt und mit einer großzügigen finanziellen Unterstützung versehen.<br />

Die hohe Bewertung unseres Beitrages macht uns glücklich und gibt uns<br />

Ansporn, wir sind sehr dankbar.<br />

Jetzt erst ging die Arbeit so richtig los. Referenten finden, Geldangelegenheiten<br />

regeln!<br />

Die Auflage der EU war Eigenmittel aufzubringen, was wiederum hieß,<br />

Spenden für diesen Kongress einzuwerben - zu einem Zeitpunkt, als die Finanzkrise<br />

ihren Höhenpunkte erreichte und deshalb alle mit Spenden eher<br />

zurückhaltend waren. Aber, wir hatten Glück, wir fanden doch einige Geldgeber.<br />

Dabei hat uns der Förderverein Schule für Kranke München e.V. sehr<br />

geholfen. Mit dem Geld allein war es noch nicht getan. Wer sollte es ver-<br />

walten, die Ausgaben überprüfen, die Endabwicklung bewerkstelligen? Der<br />

Förderverein der Schule für Kranke München e.V. übernahm letztendlich<br />

mutig auch diese große Verantwortung. An Frau Waldschmidt, Vorsitzende<br />

des Vereins und den gesamten Vorstand geht unser ganz besonderer Dank.<br />

Trotzdem benötigten wir weitere Sponsoren und Unterstützer, denn die<br />

Kosten sollten bei einem hohen Niveau des Programms und diverser Rahmenveranstaltungen<br />

für die Teilnehmer dennoch vergleichsweise niedrig<br />

bleiben. Wir möchten unseren besonderen Dank aussprechen: dem Bayerischen<br />

Staatsministerium für Unterricht und Kultus, dem Bezirk Oberbayern,<br />

der Landeshauptstadt München, dem Heckscher-Klinikum, dem Schwabinger<br />

Krankhaus; sie haben neben der finanziellen Unterstützung auch die<br />

Räume für den Kongress zur Verfügung gestellt.<br />

Sehr dankbar sind wir auch den vielen Referenten, die mit ihren Vorträgen<br />

ein qualitativ hochwertiges Programm ermöglichten.<br />

Die Klinikschulen blicken auf viele Jahre der Erfahrung zurück. Die Schule<br />

für Kranke München, eine sehr junge Einrichtung, besteht seit 26 Jahren,<br />

die gute Zusammenarbeit mit der Medizin war anfangs nicht selbstverständlich,<br />

sie hat sich aber mit der Zeit sehr positiv entwickelt. Die Schule an der<br />

Heckscher-Klinik kann auf 80 Jahre medizinisch-pädagogische Zusammenarbeit<br />

zurückschauen.<br />

Unser Thema „Das kranke Kind - aufgehoben im Netzwerk von Pädagogik<br />

und Medizin“ bedeutet, das kranke Kind optimal zu fördern, so wie es seine<br />

Lebensumstände verlangen; so, dass es selbstverantwortlich sein Leben,<br />

seine Zukunft mitbestimmen kann. Dazu ist Fachkompetenz, Geduld und<br />

vor allem auch Zeit erforderlich. Eine große Herausforderung, der wir uns<br />

alle stellen müssen, denn die Kinder sind unsere Zukunft.<br />

Bei unserer Arbeit in diesen Tagen sollten wir immer bedenken: Das Wichtigste<br />

in unserer Zusammenarbeit ist immer die Beziehung von Mensch zu<br />

Mensch, von Lehrerin zu Schülerin, von Arzt zu Patient. Für Thomas Bernhard,<br />

war dies während seiner schweren, lange Zeit lebensbedrohlichen Erkrankung<br />

(1949 Salzburg) der Großvater. Er hat ihn täglich im Krankenhaus<br />

besucht, lange Gespräche geführt, ihn ermutigt und mit ihm die Welt betrachtet<br />

(Der Atem, 1981). Er hat mit ihm das Leben gelernt. „Die Großväter<br />

sind die eigentlichen Philosophen jedes Menschen, sie reißen immer den<br />

Vorhang auf, den andere fortwährend zuziehen“ schreibt Thomas Bernhard<br />

Jahre später. ( Aus Süddeutsche Zeitung, Willi Winkler, 2001)<br />

Vielen Dank!<br />

Zwei Mütter<br />

Anonym<br />

Begrüssung in der Residenz am 3. November <strong>2010</strong><br />

Mein Name ist (…): Meine 13-jährige Tochter ist an Magersucht erkrankt<br />

und besucht derzeit im Rahmen der Behandlung bei Frau Dr. Rohde in der<br />

Kinderklinik Schwabing die dortige Schule für Kranke. Ich sehe also die<br />

Schule für Kranke aus der Perspektive der Patientengruppe Magersüchtige<br />

oder psychosomatisch Erkrankte.<br />

Auch ich darf mich kurz vorstellen (…): Mein Sohn Elias erkrankte vor vier<br />

Jahren an Leukämie. Auch er wurde im Kinderkrankenhaus München-<br />

Schwabing behandelt. In einer so lebensbedrohlichen Situation war mir –<br />

ehrlich gesagt – die Schule erst einmal völlig unwichtig. So geht es vermutlich<br />

vielen Familien, deren Kinder unter einer sehr schweren körperlichen<br />

Krankheit leiden. Für diese stehe ich heute hier.<br />

Beide:<br />

Bis vor kurzem wussten wir noch gar nicht, dass es eine Schule für Kranke<br />

gibt. Heute sind wir leidenschaftliche Befürworterinnen dieser Einrichtung.<br />

Von ganzem Herzen danken wir denen, die diese Institution geschaffen<br />

haben, fördern und sich in ihr engagieren. Unsere Bitte an politische Entscheidungsträger<br />

lautet: Geben Sie der Schule für Kranke die notwendigen<br />

Mittel auch in Zeiten des Sparzwangs. Fördern Sie über den Unterricht in


I. Begrüssungen II. Vorträge<br />

12 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

13<br />

den Kinderkliniken hinaus auch Vorbeugungs-, Beratungs- und Nachsorgemöglichkeiten.<br />

Das wollen wir begründen, zunächst für den Kernbereich, den Unterricht an<br />

Kinderkliniken.<br />

Sicherlich: Da gibt es den grundgesetzlichen Auftrag, für alle Kinder, auch<br />

kranke, die Schulpflicht umzusetzen und ihr Recht auf Schulausbildung<br />

einzulösen – so stellt sich das für das Kultusministerium dar. Für mich als<br />

Mutter aber und für mein krankes Kind ist es viel viel mehr. Diese Schule<br />

gibt meinem Kind in der Krankheit ein Stück Normalität zurück. Sie lenkt<br />

von der Krankheit ab. Sie nimmt Ängste, z.B. die Angst, aus der geschätzten<br />

und stabilisierenden früheren Klassengemeinschaft herauszufallen. Es<br />

nimmt die Angst, nach Verlassen des geschützten Behandlungsraumes in<br />

ein tiefes schulisches Loch zu blicken, das unüberwindbar scheint, was natürlich<br />

neue Ängste und Versagensgefühle erzeugt.<br />

Erste Mutter: Damit Sie mich nicht missverstehen. Hier spricht keine ehrgeizige<br />

Mutter, die froh ist, dass ihrem Kind vielleicht das Wiederholen einer<br />

Klasse erspart bleibt. Ich bin – wie wohl alle Eltern in meiner Situation –<br />

ganz bescheiden geworden und betone deshalb: Ich sehe die Schule für<br />

Kranke nicht als Rettung vor dem Sitzenbleiben oder als Sicherung einer<br />

bestimmten Schullaufbahn, sondern als Baustein einer ganzheitlichen Behandlung<br />

und wichtige Hilfe bei der Überwindung der Krankheit.<br />

Zweite Mutter: Hier möchte ich gern einhaken. Selbst in der prekären Situation,<br />

in der sich lebensgefährlich erkrankte Kinder befinden, in einer Situation<br />

also, in der sich alles um die körperliche Stabilisierung und hoffentlich<br />

Genesung dreht, in der Chemotherapie und Bestrahlungstermine den Takt<br />

angeben – selbst und gerade in dieser Situation ist die Schule für Kranke<br />

wichtig. Da gibt es eine Lehrerin, die Tag für Tag wiederkommt – egal wie<br />

schlecht es einem grad geht, wie grantig man vielleicht grad ist. Warum<br />

macht die das? Doch nur, weil sie davon ausgeht, dass dieses schwerkranke<br />

Kind früher oder später wieder ein „normales“ Leben führen wird. Auch in<br />

Zeiten, wo wir – Kind und Eltern – nicht mehr sicher waren, ob es wieder<br />

gesund werden würde, gab diese Lehrerin uns ein Gefühl von Sicherheit und<br />

Normalität zurück. So wurde die Schule für Kranke tatsächlich eine „Schnur<br />

zum Leben“ für meinen Sohn.<br />

Erste Mutter: Nun die Vorsorge: Magersucht oder psychosomatische Erkrankungen<br />

und Verhaltensauffälligkeiten nehmen zu. Frühzeitiges Eingreifen<br />

ist wichtig und kann die späteren Behandlungen abkürzen. Ich habe die<br />

Ratlosigkeit und Hilflosigkeit, den schwierigen Weg der Erkenntnis, dass es<br />

keine Pubertätsspinnerei ist, und die Schuldgefühle selbst erlebt. Im Nachhinein<br />

habe ich erfahren, dass Lehrer entweder genauso ahnungslos waren<br />

wie ich oder dass sie nicht wagten, das Problem anzusprechen, weil die<br />

Reaktionen manchmal heftig sein können. Lehrer aufzuklären und ihnen<br />

ggf. den Rücken zu stärken bei frühzeitigen Interventionen – das wäre m.E.<br />

auch eine wichtige Rolle der Schule für Kranke im Rahmen einer Vorsorge.<br />

Zweite Mutter: Ungemein hilfreich war es, zu erleben, dass die Schule für<br />

Kranke ihre Aufgabe nicht mit dem Tag der Entlassung als beendet sieht.<br />

Die Wiedereingliederung in die Regelschule ist nach derart langen Fehlzeiten<br />

oft nicht einfach. Im Fall meines Sohnes erfuhr und erfahre ich sehr<br />

vielfältige Unterstützung: Heimatschulbesuche, Gespräche mit Schulrat<br />

und Schulpsychologin, Vermittlung von ärztlichen Gutachten und nicht zuletzt<br />

ausführliche Gespräche, in denen wir gemeinsam das Für und Wider<br />

weitreichender Entscheidungen abwogen... Was ich hier erlebt habe, ist viel<br />

mehr, als ich von Lehrern oder Schulleitern erwarten würde. Es ist menschliche<br />

Nähe und ehrliche Anteilnahme, die mir und meiner Familie ganz viel<br />

Kraft gab und gibt.<br />

Erste Mutter: Noch ein Punkt liegt mir am Herzen. Er hat nichts mit Schule<br />

oder mit dem Kultusministerium zu tun, sondern richtet sich an die, die<br />

im Gesundheitssystem Entscheidungen treffen. Es gibt zu wenige Behandlungsplätze<br />

für Magersüchtige, insbesondere wenn die Kinder noch sehr<br />

jung sind, also z.B. 11 oder 12 Jahre alt. In der Kinderklinik Schwabing liegt<br />

die Wartezeit auf einen Platz bei einem halben bis einem Jahr. Die Kinder<br />

werden zwischenzeitlich auf Akut- oder Intensivstationen gepäppelt, damit<br />

sie aus dem lebensbedrohlichen Bereich herauskommen. Oft mehrfach<br />

während der Wartezeit. Welche Dramatik das für die Patienten und deren<br />

Familien schafft, können Sie als Fachleute sich vorstellen. Dass die Krankheit<br />

sich dadurch weiter chronifiziert und die spätere Behandlung länger<br />

und schwieriger wird, haben mir alle Fachleute bestätigt.<br />

Ich bin Betriebswirtin. Nach vielen Berufsjahren hat jeder seine deformation<br />

professionelle. So auch ich. Deshalb will ich diesem Punkt auch aus<br />

betriebswirtschaftlicher Sicht Nachdruck verleihen. Eine Investition in mehr<br />

Behandlungsplätze zum Abbau der langen Wartezeiten kostet Geld – natürlich<br />

– aber es spart auch Geld. Was kostet es, eine junge Patientin während<br />

der Wartezeit mehrfach auf Akut- und Intensivstationen zu päppeln, wo ja<br />

nur Symptome kuriert werden können? Würde dies wegfallen oder verkürzt<br />

werden, hätten sich zusätzliche Investitionen schon zum Teil bezahlt gemacht.<br />

Zurück zur Schule für Kranke: Das Zusammenschließen von Medizin und<br />

Pädagogik hat uns Eltern und unseren Kindern sehr geholfen. Wir wünschen<br />

den Ärzten und den Lehrern viel Erfolg und hoffen, dass viele junge Patienten<br />

diese Unterstützung bekommen, die für uns so wertvoll war. Dem<br />

Kongress wünschen wir einen guten Verlauf.<br />

Pädagogik der Entschleunigung – eine besondere (sonder-) pädagogische<br />

Herausforderung im Normalfall des Lebens<br />

Hans-Jörg Polzer<br />

Leiter des Staatlichen Schulamts Göppingen<br />

Sehr geehrte, liebe und geschätzte Elisabeth Meixner-Mücke,<br />

Sehr geehrte Frau Kohtz-Heldrich,<br />

Sehr geehrte, liebe Frau Schmidt,<br />

Sehr geehrte Frau Waldschmidt,<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

Sie befassen sich 4 Tage lang mit den oft vernachlässigten, ja verdrängten<br />

Fragen, die sich in allen Schulen im Zusammenhang mit den besonderen<br />

Herausforderungen durch wirklich kranke Kinder und Jugendliche oder<br />

durch Kinder und Jugendliche, denen Krankheit zugeschrieben wird, weil<br />

sie unbequem sind oder nicht in die Alltagsklischees von schulischer Bildung<br />

passen, stellen.<br />

Mit Ihrem scheinbar nachrangigen pädagogischen Tagungsthema bewegen<br />

Sie sich im Zentrum sehr realer Herausforderungen, die das ganze<br />

Schulwesen betreffen. Sie bewegen sich in den bleibenden Grundfragen<br />

jeder Pädagogik.<br />

Sie stellen sich den oft verdrängten Fragen, die Kinder und Jugendliche in<br />

besonderen Lebenslagen tagtäglich an uns stellen. Diese Fragen wirken<br />

oft provozierend – und doch sind sie enorm wichtig, weil sie auf unsere<br />

Grundeinstellungen und Werthaltungen als Lehrerinnen und Lehrer und<br />

auch auf die Grundfragen des Systems Schule zielen. Diese Fragen betreffen<br />

unser berufliches Selbstverständnis als professionelle Pädagogen, sie<br />

betreffen aber auch unseren ganz persönlichen Kern.<br />

Aggressive, depressive, drogenabhängige, schulverweigernde oder sich<br />

selbst verletzende Kinder und Jugendliche fragen uns – oft wortlos - mit<br />

einer schonungslosen Radikalität und Direktheit. Sie wollen keine umschreibenden<br />

Antworten. Sie wollen vor allem Wahrhaftigkeit in der für sie alles<br />

bestimmenden und entscheidenden Frage: „Wie stehst Du zu mir?“<br />

Letztlich geht es um die Frage, wieviel personale Verantwortung der<br />

einzelne Lehrer oder die einzelne Lehrerin für eine Lerngruppe oder für<br />

diesen konkreten einzelnen Schüler oder für diese eine konkrete einzelne<br />

Schülerin überhaupt übernehmen kann und auch dazu bereit ist. Für<br />

den betroffenen Lehrer oder die betroffene Lehrerin geht es dabei um die<br />

zentrale Frage nach Distanz und Nähe, symbiotischer Verschmelzung und<br />

pädagogischer Handlungsfähigkeit. Es geht aber auch um die Fragen, die<br />

sich grundsätzlich für unser Verständnis von Lernen, kindlicher Entwicklung<br />

und Schulerfolg stellen.<br />

Letztlich geht es auch um die Fragen, die sich an unsere Einstellungen<br />

hängen, die wir bezüglich der Einlösung von sozialen Statuserwartungen<br />

gegenüber der Schule entwickeln. Der Journalist Jürgen Kaube hat am<br />

05.12.2007 in der FAZ unter der Überschrift, „-Pisa- lenkt ab: Die Schule<br />

ist überfordert“, einen Artikel veröffentlicht und kommt zum Ergebnis, dass<br />

„Pisa“ „auch der Name einer schleichenden Hysterisierung des Umgangs<br />

mit Schulfragen überhaupt“ ist. Kaube bemängelt vor allem, dass „nervöse<br />

Eltern noch bestärkt werden im Blick auf die Schule als sozialen Kampfplatz“.<br />

Er prangert vor allem an, dass sich das Karussell eines ziellosen<br />

bildungspolitischen Aktionismus immer schneller dreht, ohne wirkliche<br />

Antworten auf die zentralen Fragen der Schule oder auf die Lebensfragen<br />

ihrer Schüler zu geben. Die zunehmenden Fliehkräfte drohen, immer mehr<br />

Kinder und Jugendliche in die leeren Räume der Milieus von unver- und<br />

ungebundenen Subkulturen zu schleudern.<br />

Dabei geht es aber auch um Grundentscheidungen über die Freiheiten, mit<br />

denen man im pädagogisch verantworteten Einzelfall mit rechtlichen, curricularen<br />

und verinnerlichten tradierten Vorgaben umgehen kann. Auch für<br />

die in der Administration Verantwortlichen sind hier pädagogische Grundhaltungen<br />

und Wertvorstellungen berührt. Der Umgang mit rechtlichen<br />

Regelungen ist meist ganz wesentlich von den Einstellungen geprägt, mit<br />

denen die jeweils Verantwortlichen sie interpretieren und in Handlungsverständnisse<br />

übersetzen.<br />

Im pädagogischen Raum können das aus meiner Sicht nur die Tugenden<br />

sein, die Otto Friedrich Bollnow in seiner Schrift „Die Pädagogische Atmosphäre“<br />

in den Mittelpunkt stellt. Bollnow versteht unter der „Pädagogischen<br />

Atmosphäre“ das „Ganze der gefühlsmäßigen Bedingungen und<br />

menschlichen Haltungen“, die er als „unerlässliche Voraussetzungen“ bezeichnet,<br />

damit überhaupt so etwas wie Erziehung gelingen kann. Zentrale<br />

Begriffe sind unter anderen Vertrauen, Zutrauen, Geduld, Hoffnung, Fröhlichkeit,<br />

Heiterkeit und Güte.<br />

Entscheidend ist nicht die Quantität des Wissenserwerbs sondern die<br />

Qualität des „seelischen Wachstums“ der Menschen im Erziehungsprozess.<br />

Carl Gustav Jung drückt dies so aus: „Unsere Kultur hängt ab von der<br />

seelischen Entfaltung des Menschen und damit von Gewissensbildung,<br />

Emanzipation, eigenverantwortlicher Ethik, Einstellung zu Lebensmitte<br />

und Tod“.<br />

Lassen Sie mich konkret werden:<br />

Der Deutschlehrerin einer ganz normalen Realschule fallen immer wieder<br />

Äußerungen einer Schülerin auf wie:<br />

„das lerne ich nicht mehr, ich brauche es eh bald nicht mehr…“<br />

Die Schülerin verfasst auch Gedichte mit sehr deutlichen Anspielungen<br />

auf suizidale Handlungen. Sie verhält sich auch selbstverletzend und<br />

bekleidet sich tiefschwarz. Mehrere stationäre und ambulante psychiatrische<br />

Behandlungsphasen begleiten den Lebensweg der Jugendlichen.<br />

Andere Schülerinnen zieht sie mit ihren selbstzerstörerischen Tendenzen<br />

zunehmend in ihren Bann. Lehrerinnen und Lehrer der betroffenen Klasse<br />

zeigen erste Anzeichen von Überforderung. Sie sehen sich nicht mehr in<br />

der Lage, diese Klasse zu unterrichten und erste Reaktionen im Sinne von<br />

Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen gemäß § 90 des Schulgesetzes für<br />

Baden-Württemberg stehen im Raum. Dann tritt ein real vollzogener Suizid<br />

ein. Eine Schülerin, von deren Lebenskrise bisher nichts bekannt war, die<br />

auch nicht zum Umfeld der Gedichteschreiberin gehört, nimmt sich das<br />

Leben. An der Schule setzt jetzt ein umfassendes Krisenmanagement ein,<br />

das auch den massiven Einsatz schulpsychologischer Dienste erfordert.<br />

Meine Damen und Herren, ich spreche von einer gut begabten, klugen und<br />

sprachgewandten jungen Frau. Es besteht überhaupt kein Zweifel, dass sie<br />

in kognitiver Hinsicht den Anforderungen einer Realschule gewachsen ist.<br />

Diese junge Frau hat ihre zerstörerischen Worte und Handlungen in den<br />

Alltag einer ganz alltäglichen Schule hinein gesprochen. Ihre Gedichte lagen<br />

so aus, dass alle in der Klasse sie hätten finden können und waren<br />

doch so geschickt platziert, dass sie nur einer ganz bestimmten Lehrerin<br />

in die Hände gefallen sind. Der Schülerin kann eine gewisse Raffinesse<br />

beim Handhaben ihrer Inszenierung also nicht abgesprochen werden.<br />

Es versteht sich von selbst, dass sich für den Schulleiter dieser Schule<br />

rasch grundlegende administrative Fragen ergaben:<br />

• Wie sieht es mit den Fragen der Aufsichtspflicht aus, wenn eine Schülerin<br />

in so direkter Weise suizidale Gedanken äußert?<br />

• Kann man diese junge Frau uneingeschränkt am Bildungsangebot der<br />

Schule teilnehmen lassen, wenn dieses in der entsprechenden Klassenstufe<br />

im Rahmen der Berufsorientierung außerschulische Lernorte wie<br />

Betriebe zum Inhalt hat?<br />

• Wie verhält es sich im Umgang der Schule mit den getrennten Eltern,<br />

wenn die junge Frau von der Mutter aus dem Haus gewiesen wurde<br />

nachdem sie von einem mehrwöchigen Klinikaufenthalt zurückgekommen<br />

war und nun widerwillig beim Vater wohnen muss?<br />

• Wie stellen sich die Verantwortlichkeiten im Kreisjugendamt und in den<br />

Polizeibehörden dar?<br />

• Was ist im Krisenfall zu tun?


14 II. Vorträge 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

II. Vorträge<br />

15<br />

• Woher bekommt die ratlose Schule überhaupt Rat?<br />

• Bleibt nur der Weg in ausschließende Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen?<br />

Wenn ja, wie müssen die dann gestaltet sein?<br />

• Wie bekomme ich die Eltern in ihre Verantwortung, wenn der Vater viel<br />

von der Schule fordert und selbst nichts verbindlich einlösen will?<br />

• Und so weiter…<br />

Nach einer abermaligen direkten Ankündigung eines Suizidversuches hat<br />

die Schule auf Anraten der Jugendbehörde die Polizei informiert. Diese verbrachte<br />

die Jugendliche in die regional zuständige Klinik, in der sie zuvor<br />

schon stationär gewesen war. Am nächsten Tag erschien die Jugendliche<br />

wieder in der Schule. Nachdem die Deutschlehrerin versuchte, sie für die<br />

aktive Teilnahme am Unterricht zu motivieren und zu ermuntern, äußerte<br />

sie erneut, sie brauche das alles nicht mehr!<br />

Zum Schutz Dritter werden letztlich auch alle Fragen, die sich im Zusammenhang<br />

mit möglichen Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen der Schule<br />

(§ 90 SchG für BW) möglicherweise ergeben können, besprochen.<br />

Ich möchte an dieser Stelle nicht näher auf die schulrechtlichen Fragestellungen<br />

eingehen, auch wenn diese für die Verantwortlichen in der Schule<br />

sicher zunächst vorrangig bedeutend sind.<br />

Mir ist vielmehr wichtig, dass das Hauptaugenmerk der betroffenen Lehrerinnen<br />

und Lehrer neben dem verständlichen Bedürfnis nach Absicherung<br />

gegen rechtliche Risiken vor allem den Fragen galt, die sich aus der<br />

mittlerweile bedrohten Schullaufbahn der Schülerin ergaben. Niemand<br />

in der Schule zweifelte daran, dass die betroffene Schülerin hinsichtlich<br />

ihrer kognitiven Ressourcen den Anforderungen der Realschule mehr als<br />

gewachsen ist. Ich denke, dass ihre literarischen Werke daran auch keinen<br />

Zweifel lassen. Aber es bestand auch Einmütigkeit darüber, dass man die<br />

junge Frau aus Gründen der Gleichbehandlung – die man mit Gerechtigkeit<br />

gleichsetzt – unter dem Diktat der Verordnungen zur Notengebung<br />

und der Versetzungsordnung als versetzungsbedroht betrachten müsse.<br />

Das Schlimmste, was in den Köpfen von Schulpädagogen gedacht werden<br />

kann!. Man bediente sich dabei auch eines schlagenden Arguments, das<br />

„therapeutisch“ orientierte Rechtfertigungen liefern sollte: Die Schülerin<br />

muss schließlich zur Wahrhaftigkeit im Umgang mit ihrer konkreten schulischen<br />

Leistung erzogen werden!<br />

Die Grundfragen, die sich mir stellen, sind:<br />

• Wo bleiben in solchen Kontexten die eigentlichen Lebensfragen dieser<br />

jungen Frau?<br />

• Können Fragen wie der Satz des „Pythagoras“ für diese junge Frau zum<br />

jetzigen Zeitpunkt eine entwicklungsfördernde Relevanz erlangen?<br />

Im Kern stellt uns die Lebenswirklichkeit dieser jungen Frau vor die Frage,<br />

wie wir mit den „stetigen“ und den „unstetigen“ Formen der Erziehung<br />

umgehen. Wie gehen wir – um Eduard Spranger zu bemühen – mit den<br />

„ungewollten Nebenwirkungen der Erziehung“ um?<br />

Diese junge Frau braucht kein sich immer schneller drehendes Karussell<br />

von fächerübergreifenden Kompetenzprüfungen, sich immer dichter drängenden<br />

unterrichtsfachlichen Themen und Zusatzzertifikaten. Sie braucht<br />

die Erfahrung des „Getrost-Seins“, die Otto Friedrich Bollnow in seinem<br />

Buch „Neue Geborgenheit – das Problem der Überwindung des Existenzialismus“<br />

so beschreibt:<br />

„Getrost ist der Mensch, wenn er überzeugt ist, dass auch die innerweltliche<br />

Bedrohung nicht schlechthin vernichtend an ihn herantritt. Wer getrost<br />

ist, der vertraut darauf, dass auch innerhalb dieser Welt – weil sie eben im<br />

Grund eine ‚heile Welt‘ ist – Kräfte heranwachsen, die ihn auffangen, wenn<br />

er zu sinken droht, und die ihn tragen. Gelassen kann der Mensch eine<br />

Entwicklung abwarten, wenn er bereit ist, in jedem Augenblick der Beanspruchung,<br />

der an ihn herantritt, standzuhalten. Getrost kann er sie abwarten,<br />

oder besser sagt man in einer kleinen sprachlichen Abwandlung:<br />

Getrost kann er ihr entgegensehen, wenn er Vertrauen zu den Kräften hat,<br />

die darin wachsen, wenn er überzeugt ist, dass die Entwicklung des Geschehens<br />

außer ihm im Grunde doch immer zum Guten ausschlagen muss,<br />

und zwar gerade unabhängig von dem, was er selber aus seiner eigenen<br />

Anstrengung heraus dazu tun kann. Getrost ist der Mensch auf dem Boden<br />

einer umfassenden Seinsgläubigkeit, die davon überzeugt ist, dass hinter<br />

allen Bedrohungen doch ein rettendes, ein heiles und in seinem Heil-sein<br />

zugleich heilendes Sein steht. Getrost ist der Mensch dann aber insbesondere<br />

in seinem eigenen Tun. “<br />

Ähnlich verhält es sich für Bollnow mit der „Hoffnung“:<br />

„Echte Hoffnung bedeutet eine ‚offene Zeit‘. Das bedeutet : in<br />

der Art, wie ich mich hoffend zur Zukunft verhalte, bin ich geöffnet für das<br />

grundsätzlich nie Vorhersehbare ihres Geschenks. Die Hoffnung stellt<br />

also den Menschen hinein in einen Raum unabsehbarer Möglichkeiten. Die<br />

allein ist echte, d.h. unabsehbare und offene Zukunft. Sie erscheint<br />

als der tragende Grund, der dem Menschen hilfreich entgegenkommt und<br />

der ihn nicht ins Leere stürzt. Die Hoffnung ist so der Ausdruck eines Vertrauens<br />

zum Dasein und verbindet sich mit einem Gefühl der Dankbarkeit<br />

für dieses Getragen-sein. Hoffnung hört auf, irgendeine spezielle Angelegenheit<br />

der Psychologie oder der Ethik zu sein, sondern sie rückt in<br />

den Mittelpunkt des menschlichen Daseins selbst.“<br />

Verinnerlicht haben wir unter dem Diktat der Entwicklungspsychologie<br />

und der Fachdidaktiken, dass Bildungsprozesse im Wesentlichen stetig<br />

verlaufen:<br />

Darauf setzen wir im Vertrauen auf die statistisch erwartbaren Entwicklungsverläufe<br />

des Kindes, die uns durch die Entwicklungspsychogen als<br />

wissenschaftlich abgesichert vorgestellt werden. Wir vertrauen unter anderem<br />

auf das Konstrukt der Homogenität von Jahrgangsklassen.<br />

Darauf setzen wir – bei aller Offenheit – auch bei der Konstruktion unserer<br />

Curricula.<br />

Das Theorem, dem wir in den Schulen folgen, lautet: Die kognitive Entwicklung<br />

des Menschen folgt stringent fachwissenschaftlich definierten<br />

Arbeitsweisen und Strukturen. Das Gesetz der Fachdidaktiken folgt der<br />

scheinbaren Linearität des stringenten fachwissenschaftlich begründeten<br />

Aufbaus der Stoffe. So als habe der Fortschritt in den einzelnen wissenschaftlichen<br />

Disziplinen sich nicht immer wieder aus Aha-Effekten und<br />

Quantensprüngen gespeist.<br />

Wo es überwiegend darum geht, die Entwicklung der kognitiven Kompetenzen<br />

wegen ihrer hohen Bedeutung für den sozialen Status und ihrer<br />

Verwertbarkeit auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt unter dem Aspekt<br />

der Effizienz zu betrachten, gerät der Gleichlauf zwischen der psychischen<br />

und der kognitiven Entwicklung außer Blick. Aus intelligenten jungen Menschen<br />

können auf diese Weise soziale und emotionale Analphabeten werden.<br />

Das ist aus meiner Sicht manchmal der Fluch des Konstrukts der<br />

„Hochbegabung“.<br />

Sicher ist, dass unsere Dichterin in der zermürbenden Suche nach dem,<br />

was Bollnow den „tragenden Grund“ nennt, ihre Kräfte völlig aufreibt. Sie<br />

verfällt in eine innere Rastlosigkeit, weil sie verzweifelt nach etwas ganz<br />

Elementarem sucht, nach einem verlässlichen „Du“. Sie hat es nie erfahren<br />

– und sie macht aktuell wieder die schmerzliche Erfahrung, dass sie nur zu<br />

Hause bleiben kann, wenn sie dort „funktioniert“. Wir neigen rasch dazu,<br />

dieses existenzielle Suchen in die Zuschreibung eines Aufmerksamkeits-<br />

Defizit-Hyperaktivitäts-Syndroms zu schieben, damit es unserem „handwerklich<br />

funktionalen Zugriff“ zugänglicher wird. Unsere pädagogischen<br />

Maßnahmen zielen also vorrangig auf die Stärkung des „Funktionierens“<br />

anstatt in der Trauer dieser jungen Frau auch die Kräfte der Wut und der<br />

Auflehnung anzunehmen, ohne die das „Getrost-sein“ oder die „Hoffnung“<br />

nicht wachsen können.<br />

Störungen im Ablauf der scheinbar naturgesetzlich gegebenen kindlichen<br />

Entwicklungsverläufe identifizieren wir als Defizite, die wir am Individuum<br />

festmachen. Du bist selbst schuld, dass Du scheitern musst. Weil alle so<br />

oder so sind, ist es gerecht, dass auch Du so oder so bist.<br />

Wir erfinden vor diesem Hintergrund gut verkäufliche Programme zur<br />

Behebung der Störungen in den diagnostisch punktgenau identifizierten<br />

Funktionen , so als sei z.B. Sprache nicht ein sinn- und kulturstiftender<br />

Lebens- und Beziehungsraum, sondern ein abstrakt trainierbares Instrument.<br />

Mit einem solchen funktionenorientierten Vorgehen trainieren<br />

wir Kindern und Jugendlichen die Sensibilität für die Zwischentöne ab, die<br />

vor allem in der Vielfalt der außersprachlichen Ausdrucksmittel zum Ausdruck<br />

kommen. Die vielen gewerblichen außerschulischen Institute zur<br />

Nachhilfe bedienen einen gigantischen Markt. Sie unterliegen keiner wirklichen<br />

Evaluation und dennoch glaubt man ihnen mehr als den denen, die<br />

das Kerngeschäft verantworten. Mir scheint, als seien die Heilslehren, die<br />

den künftig zu erwartenden sozialen Status von Kindern und Jugendlichen<br />

am Schulsystem und an seinen messbaren Leistungen und Erfolgen festmachen,<br />

mehr der Ausfluss von Glaubenslehren und Heilserwartungen auf<br />

der Seite von Eltern als die erlebte Wahrheit der unmittelbar betroffenen<br />

Kinder und Jugendlichen.<br />

Meine Damen und Herren,<br />

die Lebens- und Bildungsbiographie der jungen Frau, die in ihrer Schule<br />

zuerst zu einem Problem der Absicherung des Handelns im rechtlichen<br />

Rahmen und dann zu einer Fragestellung im Sinne der schulbezogenen<br />

Leistungsbewertung und der schulartbezogenen Versetzungsordnung<br />

wurde, ist vor allem durch eine endlose Kette von Beziehungsabbrüchen<br />

gekennzeichnet. Ihr aktuelles Leben verläuft krisenhaft, ihr bisheriges<br />

Leben ist vor allem durch Unstetigkeit und mangelndes Vertrauen in das<br />

Wort der Erwachsenen geprägt.<br />

Diese junge Frau wurde durch einen Dschungel von Beziehungskrisen und<br />

widersprüchlichen Erwartungen von Erwachsenen gejagt. Sie hatte keine<br />

Muße um sich ihrer selbst sicher zu werden.<br />

Die wohlgemeinten Impulse ihrer Lehrerinnen und Lehrer, die auf eine Absicherung<br />

ihres schulartbezogenen Bildungsganges zielen, verhallen im<br />

luftleeren Raum. Das erfolgs-und effizienzorientierte Bildungsdenken der<br />

so genannten Fachleute stößt bei ihr ins Leere. Bedeutend ist für sie nur<br />

eine einzige Frage: Wie stehst Du zu mir?<br />

Das Immer-Mehr, immer Weiter, immer Höher der Nach-Pisa-Zeit<br />

ist nicht ihr Problem. Auch die verbittert geführten und meist abgehobentheoretischen<br />

Diskussionen über Schulsysteme, effiziente Lernmethoden<br />

und überprüfbare Steuerungsprozesse für das Schulwesen berühren sie<br />

nicht. Sie will und braucht zunächst nur eines: Verlässliche Beziehung!<br />

Sie will von einer einzigen Lehrerin, nämlich von dieser konkreten Deutschlehrerin,<br />

verlässlich wissen, wie sie zu ihr steht - ohne die Bedingung des<br />

Bestehen-Müssens im funktionalen Raum der Zensuren! Wenn die junge<br />

Frau, die uns wertvolle sprachliche Kunstwerke schenkt, Antworten auf<br />

ihre zentralen Lebensfragen findet – und seien sie auch noch so mehrdeutig<br />

– wird sie sich allmählich wieder auf das Lernen dessen einlassen können,<br />

was letztlich vorläufig, aber leider auch versetzungsrelevant bleibt.<br />

Vergessen wir nicht Goethes Wort: Bildung ist, was bleibt wenn man das<br />

Gelernte vergessen hat.<br />

Bildungsrelevant sind für Goethe ausschließlich die Fragen, die das Leben<br />

stellt. Seine Erfahrung lehrt: „Der Sinn des Lebens liegt im Leben selbst!“<br />

Gerald Hüther lehrt uns als Neurobiologe, dass die vorgeburtlichen und<br />

frühkindlichen Beziehungserfahrungen, das Bindungsgeschehen zwischen<br />

Mutter und Kind, Lehrer und Schüler und die darin erfahrene Gestimmtheit<br />

die entscheidende Basis für die Entwicklung differenzierter Hirnstrukturen<br />

und vernetzter Lernprozesse bilden. Misslungene Bindungserfahrungen<br />

sind in der Regel die Ursache von Lernstörungen, gelebtem Chaos und<br />

gestörter Aufmerksamkeit. Für die Ausbildung eines „tragenden Grundes“,<br />

der sich im eigenen Tun bewähren kann, sind sie unerlässlich.<br />

Will unsere junge Dichterin den Sinn des Lebens erfahren, muss sie zunächst<br />

einmal leben können. Wir müssen ihre literarische Botschaft zunächst<br />

einmal als existenziell und kulturell-künstlerisch wertvoll anerkennen.<br />

Erst dann kommt das schulische Lernen mit seinen vielen fremd- und<br />

zweckbestimmten Faktoren ins Spiel. Diese junge Frau gehört zunächst<br />

einmal sich selbst. Erst dann – viel, viel später – ist sie auch Objekt im<br />

Spiel des drohenden Fachkräftemangels und der statistisch abgesicherten<br />

ökonomischen Zukunftsszenarien.<br />

Ich bin im Fall dieser jungen Frau zutiefst überzeugt, dass Schule inhuman<br />

handelt, wenn sie die tiefer liegenden Möglichkeiten und Fragen dieses<br />

Menschen den curricular vorgegebenen Zielen opfert.<br />

Diesbezüglich halte ich es mit Albert Schweitzer, der in seiner Kulturphilosophie<br />

den Satz geprägt hat:<br />

„Humanität ereignet sich dort, wo niemals ein Mensch einem Zweck geopfert<br />

wird“.<br />

Es ist unsere erste und zuvorderst bestehende Aufgabe, diese junge Frau<br />

in ihrer Lebenswirklichkeit zu verstehen und sie unabhängig von festgelegten<br />

Zielbeschreibungen in ihren Möglichkeiten zu erkennen.<br />

Max Scheler hat unser pädagogisches Anliegen für die Soziologie so formuliert:<br />

„Keine Zeit hat so viel über den Menschen gewusst wie die heutige<br />

– keine Zeit hat weniger gewusst, was der Mensch eigentlich sei“.<br />

Wir müssen uns also dessen bewusst werden, dass keine auch noch so<br />

wissenschaftlich begründete Ansammlung von diagnostischem Datenmüll<br />

uns hilft, wo es auf das Verstehen der existenziellen Lebensvoraussetzungen<br />

der uns begegnenden Kinder und Jugendlichen ankommt. Das Verstehen<br />

kommt vor dem „Wissen über“.<br />

Wenn wir beispielsweise ein aggressiv agierendes Kind mit Zynismus oder<br />

feinen Nadelstichen bekämpfen, sehen wir im Schlagenden nicht mehr<br />

den Ge-Schlagenen. Wir „kreuzigen“ dieses Kind mit unseren für das Kind<br />

unverständlichen Sanktionen erneut, um es in den Worten der Theologin<br />

Dorothee Sölle zu sagen.<br />

Das Kind, das wir als „dumm“ erleben, ist vielleicht gar nicht dumm! Vielleicht<br />

kann es nicht liefern, was wir an intelligenter Antwort erwarten, weil<br />

es das Vertrauen in sein „eigenes Denken“ verloren hat.<br />

Unsere Schülerin bleibt hinter ihren schulischen Möglichkeiten zurück,<br />

weil sie in den permanenten Diskontinuitäten ihres jungen Lebens niemals<br />

erfahren hat, dass jemand bedingungslos „Ja“ zu ihr gesagt hat. Sie kann<br />

sich im rasch wechselnden Beziehungschaos ihres Lebens nicht auf ihre<br />

eigenen Kräfte verlassen, weil sie sich - stark außenorientiert - ständig<br />

darum bemühen muss, das fragile „Ja“ ihrer Bezugsbezugspersonen durch<br />

Selbstverleugnung zu erhalten. Für sie gilt, was Friedrich Nietzsche für die<br />

Bildung so ausdrückt:<br />

„Die Bildung wird täglich geringer, weil die Hast immer größer wird“.<br />

Der Parforceritt durch die curricular bestimmten Zeit- und Zielhorizonte<br />

der Schule wird für sie zur lebensfernen Fremdbestimmung. Er bestätigt<br />

ihre Lebenserfahrung, die von den Beziehungskrisen und den kurzatmig<br />

formulierten Beziehungsbedingungen ihrer stets im Konflikt liegenden Eltern<br />

geprägt ist.<br />

Diese junge Frau erlebt persönlich, was Albert Schweitzer schon 1923<br />

allgemein so formuliert hat:<br />

„Sein ganzes Leben hindurch ist der heutige Mensch der Einwirkung<br />

von Einflüssen ausgesetzt, die ihm das Vertrauen in das eigene Denken<br />

nehmen wollen. Der Geist der geistigen Unselbstständigkeit, dem er sich<br />

ergeben soll, ist in allem, was er hört und liest; er ist in den Menschen, mit<br />

denen er zusammenkommt; er ist in den Parteien und Vereinen, die ihn mit<br />

Beschlag belegt haben: er ist in den Verhältnissen, in denen er lebt. Von<br />

allen Seiten und auf die mannigfachste Weise wird auf ihn eingewirkt, dass<br />

er die Wahrheiten und Überzeugungen, deren er zum Leben bedarf, von<br />

den Genossenschaften, die Rechte auf ihn haben, entgegennehme. Der<br />

Geist der Zeit lässt ihn nicht zu sich selbst kommen. Durch den Geist<br />

der Zeit wird der heutige Mensch also zum Skeptizismus in Bezug auf das<br />

eigene Denken angehalten, damit er für autoritative Wahrheit empfänglich<br />

werde. Dieser stetigen Beeinflussung kann er nicht den erforderlichen Widerstand<br />

leisten, weil er ein überbeschäftigtes, ungesammeltes, zerstreutes<br />

Wesen ist. Herabgesetzt wird sein geistiges Selbstvertrauen auch<br />

durch den Druck, den das ungeheure, täglich sich mehrende Wissen auf


II. Vorträge II. Vorträge<br />

16 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

17<br />

ihn ausübt. Die Saat des Skeptizismus ist aufgegangen. Tatsächlich<br />

besitzt der moderne Mensch kein geistiges Selbstvertrauen mehr. Hinter<br />

seinem selbstsicheren Auftreten verbirgt er eine große geistige Unsicherheit.<br />

Trotz seiner großen materiellen Leistungsfähigkeit ist er ein in Verkümmerung<br />

begriffener Mensch, weil er von seiner Fähigkeit zu denken<br />

keinen Gebrauch macht.“<br />

Die Lehrerin unserer jungen Frau ist hin– und hergerissen zwischen den<br />

Standards, die im Bildungsplan für die Realschulen ausgewiesen sind und<br />

im Kontext der innerschulischen Diskussion wirksam werden. Sie steht<br />

ratlos vor dem Phänomen der konsequenten Einforderung des „Pädagogischen<br />

Verhältnisses“ (Wilhelm Flitner) oder des „Pädagogischen Bezuges“<br />

(Herman Nohl) durch eine in ihren existenziellen Wurzeln getroffene<br />

Schülerin. Gleichzeitig ist sie getrieben von den schulischen Zielen, die<br />

abstrakt gelten und momentan nichts mit den Lebensbedürfnissen dieser<br />

Schülerin zu tun haben.<br />

In dieser Situation kommt es ausschließlich auf Entschleunigung an. Der<br />

Fortschritt des schulischen Lernens muss für diese Schülerin von den<br />

Vorgaben eines linear gedachten Bildungsverlaufs entkoppelt und auf ein<br />

personal zugeschnittenes individuelles Curriculum bezogen werden. Dabei<br />

steht die Klärung von Beziehungen im Vordergrund. Die Orientierung an<br />

Möglichkeiten zur Eingliederung in berufl iche Kontexte ist demgegenüber<br />

zunächst ebenfalls nachrangig. Die Gewinnung von Lebenssinn geht der<br />

Verwendbarkeit in gesellschaftlichen Nützlichkeitskontexten vor!<br />

Das Vertrauen in das eigene Denken ist eine notwenige Voraussetzung für<br />

die dauerhafte Beteiligung einer mündigen Bürgerin am Wertschöpfungsprozess<br />

einer demokratischen Gesellschaft.<br />

Versetzungsordnungen und ihr formales Umfeld sind in dieser Situation<br />

irrelevant, denn alle wissen: Wenn sie (diese Schülerin) diese Krise durch<br />

eine verlässliche Beziehungserfahrung durchsteht, wird sie ihre persönlichen<br />

Ressourcen am Ende entfalten können.<br />

Anstatt diese junge Frau in einen zwar wohlgemeinten Kreislauf aber sich<br />

ständig beschleunigender, funktionenorientierter Förderaktivitäten zu jagen,<br />

braucht sie Entschleunigung. Sie braucht schlicht Zeit, in der sie uns,<br />

den Erwachsenen, begegnen kann, ohne dass Bedingungen formuliert<br />

werden. Diese junge Frau will uns schlicht beim Wort nehmen können!<br />

Bevor diese junge Frau ihre tief greifenden Lebensfragen nicht halbwegs<br />

klärend beantwortet fi nden kann, wird sie zum Scheitern in den vorgegebenen<br />

Bildungsstandards und Kompetenzniveaus verurteilt sein. Für diese<br />

junge Frau zählt aktuell nur, was in ihren konkreten Beziehungswünschen<br />

weiter hilft und ihnen Dauer verleiht. Ihr hilft kein Fachlehrersystem und<br />

kein noch so ausgefeiltes Förderprogramm, das sich vor allem an ihren<br />

Lernrückständen orientiert, die in erster Linie an den Vorgaben zu den<br />

angestrebten Kompetenzen ausgerichtet sind.<br />

Was wir für diese junge Frau brauchen ist zwar einerseits die Wahrheit der<br />

gesteckten curricularen Ziele, aber andererseits wird pädagogisch nichts<br />

gelingen, wenn sie keine Antworten auf ihre existenziellen Fragen fi ndet.<br />

Die Schule darf diese Fragen nicht mit psychoanalytischem Anspruch klären.<br />

Das darf gar nicht ihre Aufgabe sein und muss zwingend den diesbezüglichen<br />

Fachleuten vorbehalten bleiben. Die Schule muss existenziell<br />

betroffenen Schülerinnen und Schülern aber glaubwürdig begegnen. Das<br />

Credo muss lauten: Du bist mir wichtig –ich vertrauen Dir, ich habe Zutrauen<br />

in Dein Können – ich schaue nicht auf das, was Dich behindert,<br />

sondern auf das, was Dir Raum für neue positive Erfahrungen gibt.<br />

Wie kann man Lehrerinnen und Lehrer ermutigen, sich in der Konfrontation<br />

mit Kindern und Jugendlichen in krisenhaften Lebenslagen von der<br />

Vorstellung linear verlaufender Bildungsverläufe und von der scheinbaren<br />

Stringenz der Curricula zu lösen?<br />

Für Dorothee Sölle, die sich wie keine andere Theologin mit dem Phänomen<br />

des „Leidens“ auseinander gesetzt hat, geht es in der Pädagogik darum,<br />

das „Paradox zwischen Bedrohung und Heilung“ auszuhalten und es<br />

im pädagogischen Raum wirksam werden zu lassen. Sonderpädagogisch<br />

orientierte Förderung muss sich vor dem Hintergrund existenzieller Bedrohtheit<br />

auch die Freiheit zu zweckfreiem Handeln nehmen. Sie muss<br />

sozusagen auch im „nihilistischen Schock“ sinnstiftend wirksam bleiben,<br />

ohne die Faktizität der Bedrohung zu leugnen. Es gibt – unabhängig von<br />

Schularten und Bildungsstandards – pädagogische Situationen, in denen<br />

alleine zählt, ob ein beziehungstiftendes „DU“ entstehen kann. In<br />

bestimmten Situationen der totalen Zweckfreiheit kann Pädagogik unter<br />

Umständen höchsten Zwecken dienen – nämlich dem Leben!<br />

Die leider am 01.09.2009 verstorbene Erziehungswissenschaftlerin aus<br />

Hamburg, Renate Harter-Meyer, ist eine der wenigen aus ihrer Fachschaft,<br />

die sich neben anderen Fragen intensiv mit den Fragen der „Pädagogik bei<br />

Krankheit“ befasst hat. Eine ihrer gründlichen Untersuchungen trägt den<br />

Titel, „wer hier (in der Schule für Kranke an einer Klinik für Kinder- und<br />

Jugendpsychiatrie) nur Wissen vermitteln will, geht baden“…<br />

Renate Harter-Meyer orientiert sich in ihren Untersuchungen am klassischen<br />

Bildungsbegriff. Eine andere Stütze fi ndet sie im kritischen Bildungsbegriff<br />

Klaus Mollenhauers. Sie bemängelt unter anderem die mangelnde<br />

Wertschätzung der Schulen für Kranke durch die Schulverwaltung,<br />

kommt aber auch zum Ergebnis, dass sich die Pädagogen im klinischen<br />

Kontext selbst durch die Unterwerfung unter das Primat der Medizin entwerten.<br />

Ein weiteres Feld des mangelhaft ausgebildeten Selbstverständnisses<br />

der Krankenpädagogen ist die Unterordnung unter die Vorgaben<br />

der Versetzungs- und Prüfungsordnungen der Regelschulen. Sie folgen<br />

in ihrer pädagogischen Konzeptbildung weitgehend dem Diktat eines auf<br />

Kompensation angelegten Unterrichts.<br />

Renate Harter-Meyer führt weiter aus, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer<br />

im Kontext der klinischen Einrichtungen eher an therapeutisch orientierten<br />

Haltungen ausrichten, als an pädagogischen. Vor allem, so Renate<br />

Harter-Meyer, ist ein pädagogisch defi nierter Bildungsbegriff im Umfeld<br />

der Pädagogik bei Krankheit nur ansatzweise erkennbar. Schulkonzepte<br />

fehlen weitgehend.<br />

Das schwächt das Selbstvertrauen der Pädagogen. Sie orientieren ihre Arbeit<br />

vor allem an der Erhaltung der Anschlussfähigkeit ihrer Schülerinnen<br />

und Schüler zu den Herkunftsschulen und ihren Bildungsgängen. Dabei<br />

scheint ein Hang zur Überkompensation zu entstehen. Lehrerinnen und<br />

Lehrer an Schulen für Kranke stehen in der Gefahr, den allgemeinen Schulen<br />

rigidere Bildungskonzepte zu unterstellen, als diese sie in der Wirklichkeit<br />

und vor dem Hintergrund offen und kompetenzorientiert formulierter<br />

curricularer Bedingungen praktizieren.<br />

Renate Harter-Meyer bemängelt vor diesem Hintergrund einen verkürzten<br />

Bildungsbegriff, der in der Pädagogik bei Krankheit vorherrscht. Ihre<br />

Untersuchungen belegen nachdrücklich, dass in den Schulen für Kranke<br />

das hektische Nachhecheln hinter den stoffl ichen Fortschritten in den Herkunftsschulen<br />

ein deutlich bestimmender Faktor ist. Deshalb unterliegen<br />

die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen für Kranke manchmal deutlicher<br />

als ihre Kolleginnen und Kollegen in den Regelschulen auch dem Diktat<br />

fachdidaktisch ausgerichteter Annahmen, obwohl diese in den geltenden<br />

kompetenzorientierten Curricula keine Entsprechung mehr fi nden. Meist<br />

sind sie auch durch fächerübergreifende Zuordnungen abgelöst worden.<br />

Viele Schulen für Kranke defi nieren sich demnach fast ausschließlich über<br />

ihre „Überbrückungsfunktion“ zwischen Klinik und Herkunftsschule. Systematisch<br />

angelegte Konzepte zur Gestaltung von Übergängen sind laut<br />

Renate Harter-Meyer eher selten. Vor allem fehlt in der Pädagogik bei<br />

Krankheit ein eigenständiges Bildungsverständnis.<br />

Renate Harter-Meyer fordert für die Pädagogik bei Krankheit die Erarbeitung<br />

eines Bildungsbegriffs, der Bildung als einen Prozess versteht, „bei<br />

dem es um Aneignung von Welt und zugleich um kritische Distanz zu ihr<br />

geht. Persönlichkeitsbildung und Wissensvermittlung sind aufeinander zu<br />

beziehen“.<br />

Für Renate Harter-Meyer zielt Bildung auf „Selbstvergewisserung, Sinnkonstitution<br />

und zeitgeschichtliche Ortsbestimmung“.<br />

Die Lehrerinnen und Lehrer an Schulen für Kranke setzen neben der Wissensvermittlung<br />

im Sinne des Erhalts der Anschlussfähigkeit ihrer Schüler<br />

vor allem auf Beziehungspädagogik. Sie werden in dieser Erwartung aber<br />

oft enttäuscht, weil kurze stationäre Verweildauern zu einer starken Fluk-<br />

tuation der Schülerinnen und Schüler führen und häufi ge Beziehungsabbrüche<br />

mit sich bringen. Schulkonzepte, die die Koordinations- und Beratungsfunktion<br />

der Schule für Kranke in den Bereichen der Prävention und<br />

der nachgehenden Betreuung neben dem klassischen Krankenunterricht<br />

in den Mittelpunkt stellen, können stabilisierend wirken. Außerdem plädiere<br />

ich auch dafür, dass Schulen für Kranke Maßnahmen des Hausunterrichts<br />

nicht nur anregen und koordinieren, sondern sie auch eigenverantwortlich<br />

durchführen können sollten, wo dies im Sinne der Stabilisierung<br />

von fragilen Lehrer-Kind-.Beziehungen angezeigt ist.<br />

Meine Damen und Herren,<br />

aus meiner Sicht ist es entscheidend, dass die Pädagogen, die sich mit<br />

Menschen in besonderen Lebenslagen konfrontiert sehen, Sicherheit<br />

im Hinblick auf den Bildungsbegriff gewinnen, der ihrem Handeln zugrunde<br />

liegt.<br />

Sie müssen sich sicher sein, dass das Sich-Einlassen auf besondere Lebens-<br />

und Lernerfordernisse und auf existenziell geprägte Fragestellungen<br />

unter weitgehender Hintanstellung allgemein formulierter Bildungsstandards,<br />

den Grundanliegen des klassischen Bildungsbegriffs voll und<br />

ganz entspricht.<br />

Nach Hartmut von Hentig gilt:<br />

„Bildung soll junge Menschen in der Entfaltung und Stärkung der gesamten<br />

Person fördern – so, dass sie am Ende dieses Prozesses das Subjekt<br />

dieses Vorganges sind“ (Bildungspläne Baden-Württemberg, 2004)<br />

Für die Sonderpädagogik hat eine Gruppe um den Reutlinger Sonderpädagogen<br />

Hans-Jörg Kautter ein Förderkonzept für behinderte Kinder entwickelt,<br />

in dem diese sich als „Akteure ihrer eigenen Entwicklung“ entfalten<br />

können sollen.<br />

Von Hentig formuliert nichts anderes, als es auch Wilhelm von Humboldt<br />

getan hat:<br />

„Der wahre Zweck des Menschen ist die höchste und proportionierlichste<br />

Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen Bildung muss die natürliche<br />

Einseitigkeit einer jeden Kraft mit der anderer Kräfte vermitteln,<br />

ohne sie dadurch zu schwächen!“<br />

Was täte die Deutschlehrerin unserer Dichterin anderes, wenn sie unserer<br />

jungen Dichterin Raum und Zeit für Beziehungserfahrung und Selbstfi ndung<br />

geben könnte, anstatt sie in die Jagd nach fremdbestimmten Zielen<br />

zu hetzen?<br />

Meine Damen und Herren,<br />

ich bleibe dabei, dass Bildung am ehesten geschieht, wo sie den Lebensbedürfnissen<br />

des einzelnen Menschen folgt. Wo sie sich in die Hetzjagd<br />

eines vordergründigen Effi zienz-oder Erfolgsstrebens begibt, verkommt<br />

sie zu kurzatmigem Aktionismus. Schließlich gilt Goethes Wort gerade in<br />

grenzwertigen Situationen:<br />

„Der Sinn des Lebens liegt im Leben selbst!“<br />

Wo wir das Leben – auch in seinen schwierigsten Situationen – zulassen,<br />

öffnen wir der Menschenbildung den ihr zukommenden Raum!<br />

Mit Friedrich Fröbel gesprochen weist diese Botschaft über sich hinaus:<br />

„Die Bestimmung jedes Dings und die besondere Bestimmung und der Beruf<br />

des Menschen ist: Sein Wesen, das Göttliche in ihm, zu entwickeln und<br />

darzustellen; die Behandlung des Menschen zu diesem Ziel ist Erziehung<br />

Die Erziehung bewirkt die Darstellung des Göttlichen im Menschen<br />

und die Erkenntnis desselben in der Natur durch den Menschen. Sie führt<br />

den Menschen zum Frieden mit Gott, mit sich und den Menschen und mit<br />

der Natur…“<br />

Unsere junge Dichterin ist für ihre Bildung (also Gestaltwerdung) auf die<br />

Freiheit dieses Friedens wahrlich angewiesen.<br />

Unsere Dichterin wurde in eine Parallelklasse versetzt um die „Störungen<br />

und Ablenkungen“ abzubauen, die für ihren schulischen Lernfortschritt<br />

vom Zusammensein mit ihrer einzig verbliebenen Freundin in der bisher<br />

gemeinsamen Klasse ausgegangen waren.<br />

Krebs bei Kindern – Was kommt nach der Heilung?<br />

Therapiefortschritte und Partizipation der Schule<br />

Prof. Dr. med. Stefan Burdach<br />

Direktor der Klinik und Chefarzt, Kinderklinik München Schwabing<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

„Every society honors its living conformists<br />

and its dead troublemakers“<br />

Mignon McLaughlin (1913-1983)<br />

Apropos troublemaker:<br />

Die gute Nachricht lautet: wir können Kinder mit tödlichen Krankheiten heilen<br />

Die schlechte Nachricht lautet: weil sie gesund werden, müssen wir uns<br />

um sie kümmern.<br />

Das ist das Motto unserer Klinik.<br />

Ich möchte zur Verdeutlichung zunächst einen Kontrapunkt setzen: Eine<br />

Gesellschaft, die sich von ihren Kindern verabschiedet, verabschiedet sich<br />

von ihrer Zukunft.<br />

Heute geht es mir um drei Herausforderungen für die Schule für Kranke:<br />

1. Medizinische<br />

2. Psychologische<br />

3. Soziale<br />

Ich möchte beginnen mit zwei Thesen zum Unterschied zwischen Pädiatrie<br />

und Erwachsenenmedizin, um die medizinischen Rahmenbedingungen der<br />

Schule für Kranke abzustecken:<br />

1. Die Pädiatrie ist ein kuratives Fach und<br />

2. Im Unterschied zur Erwachsenenmedizin, die sich überwiegend mit der<br />

symptomatischen Behandlung von Alters- und Verschleißerkrankungen<br />

befassen muss -ein sehr wichtiges Thema in unserer Altersgesellschaftgeht<br />

es in der Kinder- und Jugendmedizin überwiegend um Heilung oder<br />

zumindest um langfristiges Überleben mit chronischer Erkrankung.<br />

Bei Krebs bei Kindern, geht es um Heilung. Es ist ja oft gefragt worden,<br />

was hat die Medizin eigentlich für Fortschritte gemacht? Sind es technische<br />

Fortschritte oder sind es Fortschritte, die wirklich zur Heilung von<br />

Krankheiten führen? Da lohnt sich ein Blick auf die Kinder- und Jugendmedizin.<br />

„Wird Krebs selten geheilt?“ Ein immer noch verbreitetes Vorurteil,<br />

eine verbreitete Auffassung: Es sei eine tödliche Diagnose. Hier<br />

die Ergebnisse der letzten 20 Jahre anhand von ca. 26.000 behandelten<br />

Kindern in Deutschland, die an Krebs erkrankt waren. Sie sehen, dass sie<br />

insgesamt vier von fünf Kindern mit Krebs heilen können. Am besten sind<br />

die Ergebnisse bei Leukämie und Lymphomen. Bei anderen Heilungsraten<br />

etwas niedriger. „Krebs bei Kindern wird meist geheilt!“ Die Antwort


II. Vorträge II. Vorträge<br />

18 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

19<br />

„selten geheilt“ wäre falsch. Für einzelne Erkrankungen sind die Behandlungserfolge<br />

besonders beeindruckend. Ich möchte hier eine Erkrankung<br />

herausgreifen, mit der wir uns besonders befassen, das Ewing Sarkom. Ein<br />

besonders bösartiger Knochentumor, 1940 die Heilungsrate noch unter 10<br />

%, ist sie heute deutlich über 60 %.<br />

Krebs bei Kindern: Zunahme der Behandlungserfolge<br />

Eine andere wichtige Erkrankung im Zusammenhang mit den Herausforderungen,<br />

die sich in der Schule stellen, sind die Hirntumore. Auch hier sind<br />

die Heilungsraten deutlich gestiegen. Krebs bei Kindern wird also meist<br />

geheilt. In diesem Jahr wird in Deutschland einer von 250 Erwachsenen<br />

zwischen 15 und 45 Jahren Überlebender einer Krebserkrankung im Kindesalter<br />

sein.<br />

Nun gibt es Politiker -natürlich außerhalb von Bayern-, die sagen: „Darin<br />

könnte doch ein Beitrag zur Lösung des demographischen Problems liegen.“<br />

Das ist keine neue Erfahrung, die wir als Kinderärzte machen, dass<br />

man sich besonders um unser Fach kümmert, wenn der Politik auffällt,<br />

dass uns zum Beispiel die Rentenzahler ausgehen oder andere Leistungsträger,<br />

die die Gesellschaft für unverzichtbar hält. Ich denke, diese Sicht<br />

der Zukunft löst nicht die Frage nach der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.<br />

Nur, wenn wir uns um die Kinder um der Kinder willen kümmern,<br />

dann stellen wir die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft unter Beweis.<br />

Ich möchte Ihnen kurz von Peter (Name geändert) erzählen. Peter war<br />

knapp 18 Jahre, als er im Februar 2009 zu uns kam. Er litt an einem Ewing<br />

Sarkom und hatte ca. 50 Knochenmetastasen. Vielleicht wissen Sie<br />

aus ihrer eigenen Erfahrung in Ihrer Familie von Brustkrebs oder von knochenmetastasierendem<br />

Prostatakrebs, dass Knochenmetastasen im Allgemeinen<br />

ein Todesurteil bedeuten. Metastasen (Streukrebs ) sind schon<br />

schlimm, wenn ein Krebs in den Knochen metastasiert, dann ist das allgemein<br />

das Todesurteil.<br />

Multifocal Ewing Tumors (ET): Leukemia and Solid Tumor at once<br />

Primary multifocal bone metastatic disease in ET has two features:<br />

(1) Local (multifocal) disease; (2) Systemic disease<br />

Die Ärzte in der Kinderklinik München Schwabing, die auf diese Krankheit<br />

spezialisiert sind, haben versucht das Todesurteil zu revidieren, indem sie<br />

mit Peter eine sehr eingreifende Therapie durchgeführt haben, die auch<br />

fünf Stammzelltransplantationen einschloss. Peter hatte im Jahr vor der<br />

Diagnose seine Mutter verloren.<br />

Bei der Geburt seiner kleinen Schwester starb seine Mutter. Einige Monate<br />

nach der Diagnose starb seine geliebte Oma, der wichtigste Bezugspunkt<br />

in der Familie. Peter ist danach bei seinen Tanten aufgewachsen,<br />

weil sowohl er als auch sein Vater, es für besser hielten, wenn Peter bei<br />

den Tanten aufwächst. Er hat in dieser Familie ein beeindruckendes und<br />

liebevolles Netzwerk gefunden. Davon konnten wir uns im Laufe der anstrengenden<br />

Behandlung sehr eindrücklich überzeugen. Er hat in diesem<br />

Jahr, in dem wir ihn behandelt haben, keinen einzigen Behandlungstermin<br />

versäumt, obwohl er aus Niederbayern kommt und jeden Tag über 100<br />

km zur Klinik fahren musste. Man könnte meinen, bei solchen Schicksalsschlägen,<br />

hat man nun etwas anderes im Kopf als die Schule. Doch es war<br />

so, dass schon unmittelbar nach der Diagnose seine Lehrerin, Beate Winkler,<br />

Kontakt aufnahm zur Heimatschule, sich nach seinen Berufswünschen<br />

erkundigte. Er wollte Heizungsbauer werden. Sie hat dann mit der Schule<br />

gemeinsam einen Lernplan aufgestellt und mit ihm gearbeitet. Heute hat<br />

Peter diese Erkrankung überlebt und er will Elektronikkaufmann werden.<br />

Er holt jetzt gerade seinen qualifi zierenden Hauptschulabschluss nach. Ich<br />

denke, das ist eine beeindruckende Geschichte, die viele Punkte illustriert,<br />

die ich nachfolgend mit Ihnen besprechen möchte.<br />

Ein kleinerer Patient von uns hat aber diesen Zusammenhang einmal anders<br />

dargestellt. Und da ein Bild mehr sagen kann als 1000 Worte, möchte<br />

ich Ihnen dieses Bild, das Lisa Meixner-Mücke überlassen hat, zeigen. Es<br />

zeigt eine Brücke zwischen dem Krankenhaus und der Schule und das ist<br />

die Brücke zum Leben. So empfi nden es die Kinder, ob sie klein oder groß<br />

sind, so wie dieser Künstler hier oder Peter.<br />

Warum also Schule für Kranke? Kranke Kinder haben einen intellektuellen<br />

Anspruch, sie wollen ernst genommen werden und dies gilt vielleicht für<br />

kranke Kinder noch in stärkerem Maße als für gesunde Kinder. Die Schule<br />

für Kranke gibt Perspektive und Selbstvertrauen. Denn, wenn die Kinder<br />

auch mit einer Krebserkrankung hier im Krankenhaus zur Schule gehen,<br />

wird der Anschluss an das Leben nicht verloren. Die Schüler, Kinder, Patienten<br />

spüren sehr genau, dass sie auch als Patienten und als Kinder aufgegeben<br />

werden, wenn sie als Schüler aufgegeben werden.<br />

Die Schule für Kranke hat aber eine besondere pädagogische Herausforderung.<br />

Auf diese pädagogische Herausforderung möchte ich eingehen.<br />

Es ist nicht einfach so, dass wir alle Kinder heilen und sie gehen dann<br />

wieder als gesunde Kinder bei Ihnen in die Schule. Es ist vielmehr so, dass<br />

die unerwünschten Langzeitfolgen der Krebstherapie ganz erheblich sind.<br />

Es gibt hier eine Arbeit von Oeffi nger und Kollegen, die 2006 erschienen<br />

ist, über mehr als 10.000 erwachsene Überlebende von Krebserkrankungen<br />

im Kindesalter. Diese Arbeit zeigt, dass sogenannte „chronic health<br />

conditions“ (das ist ein amerikanischer Euphemismus, wir sagen eher<br />

„Spätfolgen“) späte Toxizität des Überlebens von Krebserkrankung erheblich<br />

sind; bis zu 40 % der Patienten haben nach 30 Jahren schwerwiegende<br />

Nebenwirkungen. Für Leukämien, die rote Kurve hier, das sind<br />

die schwerwiegenderen, das sind die allgemeinen Beeinträchtigungen. Sie<br />

sehen, dass die Mehrheit der Patienten Beeinträchtigungen leichterer Art<br />

hat, aber ein erheblicher Prozentsatz schwere Beeinträchtigungen, die die<br />

Lebensqualität im Alltag beeinfl ussen. Das ist etwas niedriger bei den Leukämien<br />

und wie schon für die Heilungsraten zutreffend, etwas höher bei<br />

den soliden Tumoren, z. B. den Sarkomen und den Hirntumoren.<br />

Natürlich arbeiten wir als Ärzte und Wissenschaftler daran, diese Giftigkeit<br />

der Therapie zu reduzieren. Wir arbeiten zum Beispiel daran, dass Eltern<br />

spezielle Zellen spenden, die die Krebserkrankung bei Kindern heilen. Wir<br />

können tatsächlich eine Perspektive eröffnen, wie wir Tumorstammzellen<br />

dazu bringen können, dass sie sich gutartig verhalten, dass sie ihre Bösartigkeit<br />

verlieren.<br />

Das hat zwei interessante Implikationen, auch für Sie. Wir können es<br />

diesen Zellen beibringen, ohne dass wir ihre genetischen Eigenschaften<br />

verändern. Wir können die Tumorzellen, die Tumorstammzellen zu Gutartigkeit<br />

erziehen, indem wir ihre Umgebungsbedingungen entsprechend<br />

verändern.<br />

Eine zweite wichtige Implikation, die wir aus dieser Forschung gelernt haben,<br />

ist dass dieses Streben nach ewiger Jugend, dieses „forever young“<br />

seinen Preis hat, sein pay off und das kann die Bösartigkeit sein.<br />

Diese Erkenntnisse haben dazu geführt, dass wir heuer die ersten Patienten<br />

tatsächlich mit Zellen ihrer Eltern behandeln können. Dabei können<br />

väterliche Zellen mütterliche Eigenschaften auf den Tumorzellen der Kinder<br />

erkennen und wir hoffen dadurch, einige der Langzeittoxizitäten zu<br />

reduzieren, aber das ist Zukunft.<br />

In der Gegenwart allerdings müssen Sie sich noch immer in ihrer pädagogischen<br />

Arbeit auch mit Langzeitfolgen der Behandlung bei Heilung auseinandersetzen.<br />

Und das sind erhebliche, es können durch die Behandlung<br />

selbst Krebserkrankungen entstehen, es fi nden sich Spätfolgen am zentralen<br />

Nervensystem und es fi nden sich Hormonstörungen mit Beeinträch-<br />

Technische Universität München<br />

tigung der Pubertät. Dies alles wirkt sich auf die Lebensqualität der Schüler<br />

Schwere aus, aber, Spätfolgen stellt auch nach an Sie Leukämie- als Pädagogen und erhöhte Lymphomerkrankung<br />

Anforderungen.<br />

• Zweitmalignome<br />

• Kardiomyopathien -<br />

Herzinsuffizienz<br />

• Spätfolgen am<br />

Zentralnervensystem<br />

• Hormonstörung -<br />

Pubertät, Fertilität<br />

• Nierenschädigungen<br />

• Skelett- /<br />

Weichteilschäden<br />

Erhöhter<br />

Pädagogischer<br />

Aufwand<br />

Das waren die somatischen Probleme, mit denen Sie sich auseinandersetzen<br />

müssen. Hinzu kommen seelische Spätfolgen: Es gibt eine sehr<br />

gute Untersuchung von Lonnie Seltzer, letztes Jahr publiziert, über den<br />

psychologischen Zustand von Überlebenden einer Krebserkrankung im<br />

Kindesalter. In dieser Untersuchung wurde gefunden, dass –erwartungsgemäß-<br />

Überlebende von mehr Symptomen und Disstress und schlechterem<br />

somatischen Befi nden berichten, aber dass die emotionale Qualität<br />

des Lebens, also HRQUOL – steht für Health related quality of life, – ist<br />

die Lebensqualität. Emotional ist die Lebensqualität der Überlebenden von<br />

Krebserkrankten sehr gut. Sie haben sowohl eine hohe Zufriedenheit mit<br />

ihrem jetzigen Leben, als auch große Erwartungen an die Zukunft. Risikofaktoren<br />

für psychologischen Disstress und schlechtere Lebensqualität<br />

sind, und da möchte ich jetzt einige herausgreifen, schlechte Schulbildung,<br />

lower educational attainment, niedriges Einkommen, also schlechte<br />

Erfolge im Beruf. Natürlich stellen Kinder mit Hirntumoren eine besondere<br />

Herausforderung dar, und diese psychologischen Disstressfaktoren haben<br />

auch einen wichtigen Impact auf die weitere somatische Prognose. Sie<br />

führen dazu, dass es ungesunde Lebensweisen häufi ger gibt. Psychologischer<br />

Disstress führt auch dazu, dass die Compliance mit der Medizin<br />

geringer wird. Aber die bottom line ist, dass die meisten Überlebenden<br />

psychologisch gesund sind und über Zufriedenheit mit ihrem Leben be-<br />

richten und es deshalb auch für die Pädagogik eine Herausforderung ist,<br />

diese Risikofaktoren anzugehen für psychologischen Disstress und für<br />

diese Risikofaktoren Interventionen zu fi nden. Das bedeutet, vom ersten<br />

Tag an eine Schule und an den Abschluss zu denken. Die Konsequenzen<br />

sind, dass die Überlebenden einer Krebserkrankung im Kindesalter eine<br />

besondere pädagogische Förderung brauchen und diese pädagogische<br />

Förderung ist etwas ganz anderes als die psychosoziale Betreuung. Diese<br />

pädagogische Förderung kann präventiv wirken im Bezug auf die Risikofaktoren<br />

für psychischen Disstress und schlechte gesundheitsbezogene<br />

Lebensqualität. Und Kinder mit Hirntumoren stellen natürlich eine besondere<br />

Herausforderung an die Schule dar.<br />

Konsequenzen für die Schule für Kranke:<br />

• Die Überlebenden einer Krebserkrankung im Kindesalter brauchen besondere<br />

pädagogische Förderung<br />

• Pädagogische Förderung ist zu unterscheiden von psychosozialer Betreuung<br />

• Pädagogische Förderung kann präventiv in Bezug auf Risikofaktoren für<br />

psychischen Distress und schlechte gesundheitsbezogene Lebensqualität<br />

wirken<br />

• Kinder mit Hirntumoren brauchen besondere Zuwendung<br />

Ich möchte zum Schluss noch auf den sozialen Aspekt eingehen. Sie sehen<br />

hier vor unserer Klinik die Teilnehmer der „Tour der Hoffnung“. Die „Tour<br />

der Hoffnung“ ist eine Fahrradtour, die Überlebende einer Krebserkrankung<br />

im Kindesalter machen, bei der sie 600 km durch Deutschland fahren.<br />

Ich, der immer von mir gedacht habe, ich wäre sportlich interessiert,<br />

hatte sehr große Hochachtung vor diesen Kindern, als sie unsere Klinik<br />

besucht haben. Und sie besuchen die Kinderkrebsklinik, um den Patienten,<br />

die dort mit der Diagnose Krebs konfrontiert sind, Mut zu machen.<br />

Mut zu machen für das Leben, was nach der Diagnose kommt und Mut zu<br />

machen für die Schule, damit sie dieses Leben bestehen. Denn es ist umso<br />

wichtiger, dass vom ersten Tag an die Schule gedacht wird. Nur der Erfolg<br />

in der Schule ist eine geeignete Voraussetzung, um den Kampf gegen diese<br />

Vorurteile zu überwinden.<br />

Ich möchte zu den Schlussfolgerungen kommen:<br />

• Das Überleben von Kindern mit chronischen Krankheiten nimmt zu<br />

• Die Überlebenden benötigen längerfristig voll- und teilstationäre<br />

Behandlung<br />

• Damit steigt der Bedarf an Beschulung in der Klinik<br />

• Ohne Schulen für Kranke verlieren Kinder den Kampf um ihr Leben<br />

trotz Heilung<br />

Ich möchte Sie aus meinem Vortrag entlassen mit drei Thesen:<br />

• Die Identität einer Gesellschaft wird bestimmt vom Glauben an ihre<br />

Zukunft; diese Zukunft sind ihre Kinder.<br />

• Wenn wir heute Kinder von vielen Erkrankungen heilen können, die<br />

gestern noch tödlich waren, dann können wir nicht wollen, dass diese<br />

Kinder zwar gesund werden, aber nach der Heilung im Leben scheitern<br />

und als soziale Versager der Gesellschaft zur Last fallen müssen.<br />

• Wir müssen dafür sorgen, dass sie gesund werden und dabei den Anschluss<br />

in der Schule und an das Leben nicht verlieren.<br />

Kinder – Gesundheit – Zukunft.<br />

Unsere Zeit gehört den Kindern und Kinder, die dem Tod abgerungen wurden,<br />

können in der Schule nicht vernachlässigt werden, in einer Gesellschaft<br />

die an ihre Zukunft glaubt.<br />

Die Schule kommt nicht erst nach der Heilung. Es wäre dann zu spät.<br />

Ich möchte allen, meinen Kollegen unter den Pädagogen, unter dem psychosozialen<br />

Team und auch unter den Ärzten danken für die Hilfe bei der<br />

Vorbereitung dieses Vortrages. Ihnen möchte ich danken für Ihre Aufmerksamkeit!<br />

Dank an …<br />

Lisa Meixner-Mücke<br />

Beate Winkler<br />

Irmela Girster<br />

PD Dr. Dr. Irene Teichert - von Lüttichau<br />

Dr. Angela Wawer


II. Vorträge II. Vorträge<br />

20 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

21<br />

Psychisch kranke Schüler – Was ist zu tun?<br />

Prof. Dr. med. Franz Joseph Freisleder<br />

Ärztlicher Direktor des Heckscher-Klinikums für Kinder- und Jugendpsychiatrie,<br />

Psychotherapie und Psychosomatik<br />

Noch niemals in der deutschen Nachkriegsgeschichte stand die Institution<br />

Schule so häufig im grellen gesellschaftlichen Rampenlicht wie in diesen<br />

Tagen. Auffallend ist dabei, dass die kritischen Töne über die Schule offenbar<br />

deutlich überwiegen. Jedes Jahr beenden in Deutschland etwa 80.000<br />

Jugendliche ihre Schule, ohne ein Zeugnis in Händen zu haben. Das Institut<br />

der Deutschen Wirtschaft bezifferte vor einiger Zeit die Folgekosten einer<br />

mangelhaften Effizienz des Schulsystems, bedingt vor allem durch die<br />

hohen Zahlen von Sitzenbleibern und Abbrechern, auf jährlich 3,7 Mrd..<br />

„Hauptschule in der Sackgasse“, „Die Schule – Brutstätte der Gewalt“<br />

oder „Schüler <strong>2010</strong> – zwischen Leistungswillen und Zukunftsangst“ lauten<br />

etwa die Zeitungsschlagzeilen, die uns nahezu tagtäglich das Bild einer<br />

krisengeschüttelten deutschen Schullandschaft suggerieren. Der Auftakt<br />

zu unserer Fachtagung <strong>HOPE</strong> mit dem hoffnungsvollen Titel „Das kranke<br />

Kind – aufgehoben im Netzwerk von Pädagogik und Medizin“ ist ein guter<br />

Anlass dafür, einmal aus psychiatrischer Sicht die Rolle der Schule an sich<br />

einerseits bei der Entstehung, andererseits aber auch bei der Erkennung<br />

und günstigen Beeinflussung von seelischen Störungen im Kindes- und<br />

Jugendalter etwas genauer zu beleuchten.<br />

Ein Blick in die Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigt uns<br />

jedoch, dass Kritik an der Schule eigentlich nichts Neues ist und einzelne<br />

Kinder auch damals unter der Schule psychisch mindestens ebenso heftig<br />

litten wie in der Gegenwart: Ein Beispiel dafür sind etwa die deprimierenden<br />

Erlebnisse und Verwirrungen des Zöglings Törleß in einem Schulinternat,<br />

die Robert MUSIL 1906 in seinem Roman schildert. Im selben Jahr erscheint<br />

Hermann HESSEs Roman „Unterm Rad“, 25 Jahre später Friedrich<br />

TORBERGs „Schüler Gerber“. In beiden Werken wird die im Suizid endende<br />

Depression zweier Jugendlicher skizziert. HESSEs Protagonist, der junge<br />

Hans Giebenrath, ist den übertriebenen väterlichen Erwartungen auf Dauer<br />

nicht gewachsen, scheitert überfordert am Leistungsdruck in Schule<br />

und Ausbildung und zerbricht schließlich endgültig an einer unglücklich<br />

verlaufenden ersten Liebesbeziehung. Ganz ähnlich ist auch die Problematik<br />

von TORBERGS an sich intelligentem Schüler Kurt Gerber, der mit<br />

seiner Schwäche in Mathematik und einem einengend-sadistischen Klassenlehrer<br />

nicht zurecht kommt, deshalb immer depressiver wird und am<br />

Schluss verzweifelt aus dem Fenster springt.<br />

Überforderte, gefrustete Schüler und erschöpfte, ausgebrannte Lehrer<br />

– deutet dieses Phäno-men denn nicht eindeutig darauf hin, dass schulische<br />

Faktoren ganz wesentliche Verursacher für die Zunahme z. B. von<br />

affektiven Störungen im Kindes- und Jugendalter und für Depressionen<br />

speziell bei Lehrerinnen und Lehrern sind? Ist es also angesichts des zuerst<br />

beschriebenen Sze-narios wirklich in erster Linie das System Schule<br />

per se, das bei seinen zweierlei Akteuren am Pult und hinter den Bänken<br />

die Lebensqualität verschlechtert und sie schließlich immer häufiger krank<br />

macht? Oder kommen dafür auch andere Ursachen in Frage?<br />

Der Kinder- und Jugendpsychiater als einer der Spezialisten für psychisch<br />

auffällige oder kranke Heranwachsende kann, wenn er die letzten 25 Jahre<br />

Revue passieren lässt, vor allem eines feststellen: Gleichgültig, in welcher<br />

deutschen Region er arbeitet, ob in der Praxis oder in einer Kli-nik, er ist<br />

gefragter denn je. Zuwachsraten bei der Inanspruchnahme von jährlich<br />

10–20 % vor allem im ambulanten Bereich und oft überbelegte Stationen<br />

könnten als Beleg für eine drastische Zunahme psychischer Störungen im<br />

Entwicklungsalter interpretiert werden, vor allem wenn man gleichzeitig<br />

bedenkt, dass die geburtenstärkeren Jahrgänge bereits aus den Kinderschuhen<br />

sind. Analysieren wir die allgemeinen Krankheitsmuster der gegenwärtigen<br />

Kinder- und Jugendgeneration etwas genauer, so ist ein Trend<br />

weg von den überwiegend körperlichen hin zu den im weitesten Sinn psychosozialen<br />

Störungen unübersehbar. Während auf der einen Seite die<br />

kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken aus den Nähten platzen und in<br />

den Praxen und Ambulanzen unseres Faches für psychisch auffällige Kinder<br />

mehrmonatige Wartezeiten in Kauf genommen werden müssen, gibt<br />

es auf der anderen Seite in den klassischen somatischen Kinderkrankenhäusern<br />

oft freie Kapazitäten – gelegentlich mit der Folge, dass man dort<br />

mit manchmal unzureichenden Mitteln unter dem Etikett „Psychosomatik“<br />

auch mildere psychiatrische Störungsbilder versorgen will.<br />

Zunehmende Nachfrage und Inanspruchnahme eines fundierten kinder-<br />

und jugendpsychiatrischen Angebots hängen aber mit mehreren Faktoren<br />

zusammen. Ein wesentlicher Aspekt ist sicherlich, dass sich im Verlauf der<br />

zurückliegenden Jahre die Qualität der Versorgungsleistung in Erkennung,<br />

Diagnostik, Therapie und Rehabilitation durch die Einrichtungen der Kinder–<br />

und Jugendpsychiatrie und - psychotherapie ständig verbessert hat.<br />

Während z. B. in Bayern vor 20 Jahren nur einige wenige Kliniken und eine<br />

Handvoll niedergelassener Fachärzte existiert haben, gibt es inzwischen<br />

in jedem Regierungsbezirk wenigstens ein kinder- und jugendpsychiatrisches<br />

Krankenhaus, das wegen der hohen Nachfrage in seiner Peripherie<br />

ergänzende Abteilungen und Ambulanzen eröffnen muss. Eine wachsende<br />

Zahl von Facharztpraxen – leider bevorzugt in den städtischen Ballungsräumen<br />

– und moderne, ansprechende Kliniken verkürzen oft die gewohnten<br />

langen Wege für betroffene Familien.<br />

Zusätzlich führt die starke Medienpräsenz der Thematik der gefährdeten<br />

seelischen Gesundheit von Kindern zu einem steigenden Bekanntheitsgrad<br />

unseres Fachgebietes und damit auch zu Enttabuisierung und Abnahme<br />

der Schwellenangst vor einem Besuch beim Kinder- und Jugendpsychiater.<br />

Viele Eltern und professionell mit verhaltensauffälligen Kindern und<br />

Jugendlichen Befasste fragen heute häufiger und schneller um Rat und<br />

Unterstützung nach. Dies führt dazu, dass den Institutionen der Kinder-<br />

und Jugendpsychiatrie und – psychotherapie – auch nach dem Motto „Angebot<br />

schafft Nachfrage“ - immer zahlreicher Patienten mit psychischen<br />

Störungsbildern bzw. entsprechenden Verdachtsmomenten zugewiesen<br />

werden. Viele von ihnen wären in der Vergangenheit überhaupt nicht erkannt<br />

oder fachlich nur inadäquat versorgt worden.<br />

In diesem Kontext stellt sich natürlich auch die Frage, ob heute tatsächlich<br />

mehr Kinder und Ju-gendliche seelisch krank sind als früher. Während Epidemiologen<br />

zahlenmäßig insgesamt keinen dramatischen Anstieg des gesamten<br />

Störungsspektrums vermelden, registrieren sie folgenden Trend:<br />

Entsprechend der aktuellen BELLA-Studie zur seelischen Gesundheit von<br />

Kindern und Jugendlichen in Deutschland finden sich zwar, ähnlich wie<br />

in epidemiologischen Untersuchungen bereits vor 25/30 Jahren, bei 18-<br />

20 Prozent dieser Altersgruppe psychische und psychosomatische Auffälligkeiten<br />

mit Abklärungsbedarf. Die Notwendigkeit einer nachhaltigen<br />

therapeutischen Intervention wird heute allerdings nicht mehr wie früher<br />

nur bei einem Viertel, sondern bereits bei der Hälfte der als auffällig identifizierten<br />

Kinder gesehen.<br />

Im klinischen Alltag entsteht der Eindruck, dass man einigen Störungsmustern<br />

öfter als noch vor einiger Zeit begegnet. Dazu zählen Kinder mit<br />

umschriebenen, oft kombinierten Entwicklungsstörungen, z. B. im Bereich<br />

Lesen und Rechtschreiben bzw. Rechnen, die deshalb in schulische Nöte<br />

und eine soziale Außenseiterposition geraten; außerdem Kinder und Jugendliche<br />

mit immer häufiger schon in den ersten Grundschuljahren beginnenden<br />

Störungen des Sozialverhaltens vor allem aggressiv-expansiver<br />

Tönung; weiter Vorschul- und Schulkinder mit einem hyperkinetischen<br />

Syndrom bzw. einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung<br />

(ADHS), die eine erhebliche Gefährdung in ihrer familiären, schulischen<br />

und sozialen Integration in sich birgt; dann solche mit einer bereits länger<br />

andauernden Schulverweigerung; oder schließlich eine steigende Anzahl<br />

von Jugendlichen und sogar Kindern mit einem sehr früh einsetzenden<br />

Alkohol- und Drogenmissbrauch. Vom Pubertätsalter an werden darüber<br />

hinaus öfter als bisher in Praxis und Klinik vor allem Mädchen mit anorektisch-bulimischen<br />

Syndromen und Jugendliche nach auto- oder fremdaggressiven<br />

Erregungsdurchbrüchen bzw. depressiv-suizidalen Krisen vorgestellt.<br />

Signifikant mehr geworden sind überhaupt Angst- und depressive<br />

Erkrankungen des Entwicklungsalters. Und nicht zu vergessen ist die zahlenmäßig<br />

angestiegene Gruppe derjenigen jungen Patienten, die dank des<br />

Fortschritts in der Pädiatrie Komplikationen als Frühgeborene, ein Trauma,<br />

eine maligne oder eine Stoffwechsel-Erkrankung überlebt haben, aber vor<br />

diesem Hintergrund ein erhöhtes Risiko für spätere psychische Störungen<br />

in sich tragen. Alle hier aufgeführten, sehr unterschiedlichen und vielgestaltigen<br />

Störungsbilder, die wir im Lauf des Entwicklungsalter sehen, können<br />

eines gemeinsam haben: Sie fallen zum ersten Mal in der Schule auf.<br />

So ist der Eintritt ins Schulleben für einen 6-Jährigen oft das einschneiden-<br />

de Life-Event in seiner bisherigen Entwicklung. Schließlich verlässt er bei<br />

dieser Gelegenheit einen bis dato eng umschriebenen Lebensraum, der<br />

für ihn – natürlich abhängig vom individuellen familiären Kontext – relativ<br />

überschaubar, dabei mehr oder weniger strukturiert, aber in aller Regel<br />

ohne strenge, allgemeingültige Leistungsanforderungen im intellektuellkognitiven<br />

Bereich war. Aus kinderpsychiatrischer Perspektive bringt es<br />

die neue Lebenssituation eines entsprechend prädisponierten Kindes oft<br />

mit sich, dass unter den reglementierenden und leistungsorientierten Rahmenbedingungen<br />

der Schule sehr bald kognitive Defizite und Verhaltensauffälligkeiten<br />

evident werden, die im Schonraum Familie oder Kindergarten<br />

noch kaschiert waren oder bisher übersehen bzw. ignoriert wurden.<br />

Kasuistisch sei hier von zwei 7-jährigen Kindern berichtet: Bei dem einen<br />

entpuppte sich eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung erst<br />

eindeutig, als von ihm im Unterricht eine längere Zeitspanne von angemessener<br />

Konzentration und Impulskontrolle verlangt wurde. Im zweiten Fall<br />

präsentierte ein auch sprachlich sehr gut begabtes Mädchen, das im Vorschulalter<br />

dafür offenbar keinerlei Hinweise gegeben hatte, gegen Ende<br />

des ersten Schuljahres immer deutlicher eine Lese-/Rechtschreibstörung.<br />

In beiden Fällen kann hier die Schule geradezu zwangsläufig zum Schauplatz<br />

von kindlichen Verhaltensauffälligkeiten werden, für deren Verursachung<br />

sie unbegründet von irritierten und enttäuschten Eltern zunächst<br />

einmal verantwortlich gemacht wird – zumindest so lange, bis eine richtige<br />

Diagnosestellung und eine entsprechende Aufklärung über neurobiologische<br />

Grundlagen beider Störungen erfolgt sind.<br />

Apropos ADHS und ihre Entstehungsbedingungen. Lassen Sie mich kurz<br />

von einem Erlebnis aus der Sprechstunde berichten: Zwei Mütter von zwei<br />

Viertklässlern, die beide wegen ihrer hyperkinetischen Störung auf Ritalin<br />

eingestellt waren, baten mich unabhängig voneinander um Rat. Nur durch<br />

Zufall stellte sich heraus, dass beide Buben ein und dieselbe Klasse besuchten,<br />

in der – wie Recherchen ergaben – vier weitere Kinder wegen<br />

Hyperaktivität und Konzentrationsproblemen ein Medikament erhielten.<br />

In besagter Klasse irgendwo in Oberbayern saßen 34 Kinder, die im laufenden<br />

Schuljahr bereits den zweiten Lehrerwechsel tolerieren mussten;<br />

dazwischen gab es wiederholt Unterrichtsausfälle und häufig wechselnde<br />

Aushilfslehrer.<br />

Vielleicht war hier ja wirklich alles nur Zufall. Ohne jetzt weiter auf meine<br />

beiden Patienten einzugehen – einer von beiden hat das bei gegebener Indikation<br />

übrigens sehr wirksame und gut verträgliche Methylphenidat von<br />

mir persönlich verschrieben bekommen – und in Unkenntnis der vier weiteren<br />

pharmakologisch behandelten Kinder: Diese Geschichte ist bestimmt<br />

nicht repräsentativ, sollte uns Eltern, Lehrer und Ärzte aber etwas nachdenklich<br />

stimmen. Sicherlich, bei 3 bis 4 % aller Schulkinder kann ADHS<br />

diagnostiziert und mit einer individuell maßgeschnei-derten Therapie aus<br />

psychoedukativer Beratung, verhaltenstherapeutischen Maßnahmen und<br />

oft auch medikamentös erfolgreich behandelt werden. Aber greifen wir<br />

Ärzte hier vielleicht nicht manchmal doch zu rasch zum Rezeptblock, ohne<br />

uns vorher in jedem Einzelfall über alle pathogene Umweltfaktoren – sei es<br />

im Elternhaus oder in der Schule – ausreichend Gedanken zu machen? Gesagt<br />

werden soll damit übrigens nicht, dass z. B. überfüllte Schulklassen<br />

mit inkonsistenter pädagogischer Betreuung oder täglicher mehrstündiger<br />

Fernsehkonsum für sich allein genommen ADHS verursachen. Aber wenn<br />

sich diese Einflüsse bei einem Kind auf eine neurobiologische Vulnerabilität<br />

aufpfropfen, können wir fraglos von einem erhöhten Störungsrisiko<br />

ausgehen. Muss es deshalb hier nicht selbstverständlich zu einer sinnvollen<br />

Therapie gehören, diese Begleitumstände - wenn irgend möglich – im<br />

wahrsten Sinn des Wortes auszuschalten?<br />

Noch komplexer als bei ADHS kann das Zusammentreffen einer individuellen<br />

Krankheitsveranlagung mit symtomverstärkenden Umgebungsfaktoren<br />

gerade im Schulunterricht sein. Dies gilt für besonders ernste<br />

psychiatrische Erkrankungen wie z. B. Psychosen oder etwa eine schwere<br />

Tic-Störung wie das Gilles-de-la-Tourette-Syndrom, die sich beide oft nur<br />

schleichend manifestieren. So kann ein von einer kombinierten Tic-Störung<br />

betroffener Schüler über eine längere Vorlaufzeit zunächst durch unwillkürliche,<br />

ruckartige Bewegungen einzelner Muskelgruppen und später<br />

zusätzlich durch explosionsartig hervorgebrachte Laut- und Wortbildungen,<br />

oft mit obszönem Inhalt, auffallen. Bei fehlenden Kenntnissen nehmen<br />

Lehrer im Unterricht diese Symptomatik lange Zeit oft so wahr, als ob<br />

sie der Jugendliche eigentlich unterdrücken könnte, sie unterstellen ihm<br />

möglicherweise sogar Absicht und reagieren mit Sanktionen. Mitschüler<br />

machen sich darüber lustig, isolieren ihren Kameraden und verstärken damit<br />

seine Tics nur weiter.<br />

Es müssen aber keineswegs derart schwerwiegende, manchmal noch<br />

nicht richtig diagnostizierte neuropsychiatrische Erkrankungen im engeren<br />

Sinn sein, die Kinder speziell im Schulalltag in einen Teufelskreis<br />

manövrieren können, vor allem dann, wenn sie nicht erkannt werden.<br />

Denn von Mobbing scheint derzeit eine nicht unbeträchtliche Zahl von<br />

Kindern und Jugendlichen aller Altersstufen und Schultypen betroffen zu<br />

sein. Laut den Ergebnissen der Mobbingstudien der Münchner Entwicklungspsychologin<br />

Mechthild SCHÄFER hat heute angeblich bereits jedes<br />

dritte Grundschulkind derartige Erfahrungen gemacht und sich zumindest<br />

phasenweise als Opfer von psychischem Druck oder gar von körperlicher<br />

Gewalt aus seinem Mitschülerkreis erlebt. Mitverantwortlich für dieses<br />

Phänomen machen besagte Untersuchungen in den meisten Fällen auch<br />

die Lehrer, die angeblich auf solche gruppendynamischen Prozesse mit<br />

der Abwertung eines Einzelnen zu wenig sensibel und konsequent reagierten.<br />

Von den Lehrern sollte also erwartet werden, dass im Klassenzimmer<br />

eine rücksichtsvolle und tolerante Atmosphäre entsteht, in der Mobbing<br />

von vorneherein tabu ist und auf das sofort mit geeigneten pädagogischen<br />

Interventionen reagiert wird.<br />

Derartige Vorwürfe mögen in einer Reihe von Mobbingfällen durchaus ihre<br />

Berechtigung haben. Emotional auffällige Jugendliche, die dem Kinder-<br />

und Jugendpsychiater von ihren Eltern als Schulmobbing-Opfer vorgestellt<br />

werden, lassen bei genaueren Analyse ihrer Vorgeschichte manchmal aber<br />

durchaus auch individuelle außerschulische Wurzeln für ihre Problematik<br />

erkennen: Etwa eine überfürsorgliche Verwöhnung durch die Eltern, eine<br />

hohe Anspruchshaltung gegenüber anderen Jugendlichen bei gleichzeitig<br />

nur gering ausgeprägten, zwischenmenschlichen und sozialen Kompetenzen.<br />

Wir müssen uns meines Erachtens davor hüten, unsere Schulen und<br />

unsere Lehrer mit allzu großen Forderungen und Wünschen zu überfrachten.<br />

Zu Recht wird nicht nur von Vertretern der Schule darauf hingewiesen,<br />

dass die Konflikte im Klassenzim-mer und auf dem Pausenhof nur ein Abbild<br />

unserer Gesellschaft sind, die häufig durch instabile familiäre Beziehungen<br />

und Strukturen, einen egozentrischen Lebensstil und mangelnde<br />

Werte-orientierung geprägt ist.<br />

Ein weiteres interessantes jugendtypisches Störverhaltensmuster, das<br />

sich auf den ersten Blick kausal scheinbar leicht der Schule zuschreiben<br />

lässt, ist die am Anfang schon erwähnte Schulverweigerung. In Deutschland<br />

zeigen ca. 5–10 Prozent aller schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen<br />

schulvermeidendes Verhalten, manche für wenige Tage, andere<br />

monatelang und länger. In einigen Großstädten ist das Phänomen Schulabsentismus<br />

besonders ausgeprägt.<br />

Auch wenn es bei den Schulverweigerern natürlich fließende Übergänge<br />

gibt, unterscheidet die Kinder- und Jugendpsychiatrie hier drei Prägnanztypen:<br />

Nur am Rande erwähnt werden soll hier die Gruppe der Schulschwänzer,<br />

also die Jugendlichen, die im Rahmen einer dissozialen Entwicklung<br />

gerne um die Schule einen großen Bogen machen. Nur bei dem zweiten<br />

Subtyp ist tatsächlich Angst vor der Schule das treibende Motiv. Überforderung,<br />

Mobbing durch Mitschüler, Furcht von einem zynischen Lehrer<br />

oder übertriebene Leistungserwartungen von ehrgeizigen Eltern wirken<br />

hier als Auslöser für körperliche Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen<br />

und für ein Ausweichen vor dem Schulbesuch. Nicht selten<br />

stellen wir Kinder- und Jugendpsychiater in diesem Kontext bei chronischer<br />

Schulangst fest, dass Kinder in einer für sie ungeeigneten Schulform<br />

platziert sind. Das gilt z. B. für solche Grundschüler, die aufgrund ihrer<br />

intellektuellen Ausstattung eher in eine Schule zur Lernförderung gehören,<br />

oder für überforderte Gymnasiasten, für die eigentlich die Realschule<br />

angemessen wäre. Wir sehen das Phänomen Schulangst übrigens immer<br />

wieder auch bei der derzeit so großen Zahl der als „hochbegabt“ identifizierten<br />

Kinder, die, in ihrem Potential überschätzt, sich nach Überspringen<br />

einer Klasse in der neuen Gemeinschaft nicht integrieren können.<br />

Die dritte Unterform der Schulverweigerung, die ätiologisch sicherlich<br />

komplizierteste, ist die sog. Schulphobie. Der hartnäckigen Schulvermeidung<br />

eines Kindes liegt hier psychodynamisch eine selbst kaum realisierte<br />

Trennungsangst zugrunde, für die die Schule nur als Projektionsfläche


II. Vorträge II. Vorträge<br />

22 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

23<br />

dient. Zum einen kann es sich dabei um überbehütete, verwöhnte oder<br />

spät geborene Kinder handeln, die das Verlassen des sicheren häuslichen<br />

Milieus, in dem sie selbst stark den Ton angeben, quasi als Kontrollverlust<br />

erleben. Zum anderen sind von der Schulphobie speziell Jugendliche aus<br />

„Broken-Home“-Situationen betroffen, die, etwa mit einem allein erziehenden<br />

Elternteil, in enger, manchmal symbiotischer Verbindung stehen.<br />

In solchen parentifzierten Beziehungen nehmen sie gelegentlich die Rolle<br />

eines Ersatzpartners ein. Sie agieren „auf gleicher Augenhöhe“ etwa mit<br />

der Mutter und befürchten oft unbewusst, dass während ihrer Abwesenheit<br />

in der Schule zu Hause irgendetwas passiert oder sich verändert, das sie<br />

selbst nicht steuern können. Auf diese Weise bleiben Schulphobiker oft wochen-<br />

bis monatelang, in Einzelfällen auch jahrelang der Schule fern, wenn<br />

keine effektive Behandlung erfolgt.<br />

Psychisch kranke Schüler, was ist zu tun? - Anhand einiger prägnanter<br />

Beispiele von schulassoziierten Störungsbildern habe ich versucht, Ihnen<br />

zu demonstrieren, dass gerade in einer sozial prekären Epoche wie der<br />

jetzigen die Schule zur Bühne für diverse Verhaltensauffälligkeiten und<br />

psychiatrische Erkrankungen werden kann. Dafür jedoch immer a priori<br />

die Institution Schule verantwortlich zu machen, ist meiner Meinung nach<br />

aber völlig unangemessen. Denn meistens führt erst das Zusammenspiel<br />

von mehreren krankmachenden Faktoren zur Pathologie eines Kindes.<br />

Unsere Schulen dürfen nicht vorschnell zum Sündenbock abgestempelt<br />

werden, wenn bestimmte kindliche Störungen tatsächlich in erste Linie<br />

auf biologischen Ursachen, familiären Defiziten und gesellschaftlichen<br />

Fehlentwicklungen beruhen. Einseitige Vorwürfe würden nur viele engagierte<br />

Lehrer weiter entmutigen und einen qualifzierten Lehrernachwuchs<br />

einschränken.<br />

Wenn jedoch erkennbar wird, dass einzelne Kinder und Jugendliche oder<br />

bestimmte Gruppierungen im schulischen Kontext auffällig oder psychisch<br />

krank werden, müssen Schule und Lehrer gemeinsam mit den Eltern hellhörig<br />

und aufmerksam sein und auch schulbedingte Ursachen erkennen.<br />

Und natürlich muss dann, wenn nötig, rechtzeitig interveniert werden.<br />

Erforderlich sind dafür aufseiten der Schule eine entsprechende pädagogische<br />

Aus- und Fortbildung der Lehrer, eine ausreichende Zahl von sensiblen<br />

Beratungslehren und Schulpsychologen, funktionie-rende Leitungsstrukturen<br />

und gut organisierte Kommunikationsabläufe zwischen Schule<br />

und Elternhaus. Der Kinder- und Jugendpsychiater, der weiß, wie wichtig<br />

ein adäquates Schulangebot auch als ganz wesentliches Behandlungselement<br />

im Rahmen der stationären und auch am-bulanten Therapie in der<br />

Klinik ist, hat hier im Einzelfall eine wichtige diagnostische und therapeutische<br />

Aufgabe zu erfüllen.<br />

Die traditionsreiche Schule am Heckscher-Klinikum, das mit seinen 200<br />

stationären Behandlungsplätzen und seinen Institutsambulanzen an mittlerweile<br />

sieben Standorten zu den größten klinischen Einrichtungen für<br />

Kinder- und Jugendpsychiatrie in deutschsprachigen Raum zählt, ist ein<br />

Paradebeispiel für eine sehr gelungene Kooperation zwischen Pädagogik<br />

und Medizin. Gemeinsam mit 73 Ärzten, 42 Psychologen, weiteren 33<br />

diversen Therapeuten sowie Krankenpflegern und Stationserzieherinnen<br />

sind dort insgesamt auch 53 unterschiedliche spezialisierte Lehrkräfte<br />

aktiv. Sie unterrichten in 23 Klassen pro Jahr ca. 650 Patientenschüler.<br />

Neben einigen Ambulanzpatienten erhalten somit etwa zwei Drittel aller<br />

unserer stationär behandelten Patienten, bevorzugt die mit etwas längerer<br />

Verweildauer, in kleinen Gruppen einen für ihre erfolgrei-che Behandlung<br />

unabdingbaren individuell geplanten und hoch differenzierten Schulunterricht.<br />

Welchen zentralen Stellenwert eine personell und fachlich gut<br />

ausgestattete Klinikschule im Rahmen des Therapiekonzeptes einer kinder-<br />

und jugendpsychiatrischen Klinik besitzt, wird be-sonders im Fokus<br />

unserer mehrtägigen Veranstaltung stehen.<br />

Bei der Analyse der Ursachen von psychischen Störungen bei Schülern<br />

sollten wir schließlich auch systemimmanente Schwächen unseres Bildungswesens<br />

erkennen und möglichst beheben. Nur stichpunktartig seien<br />

hier die Notwendigkeit der Früherkennung von Risikofaktoren und Defiziten<br />

noch vor Schulbeginn im Kindergartenalter oder der konsequenten frühen<br />

Förderung der Sprachentwicklung, vor allem bei Kindern aus Migrantenfamilien<br />

erwähnt. Später sollte jedes Kind in der Schulform unterrichtet<br />

werden, die seinen entwicklungsmäßigen und intellektuellen Voraussetzungen<br />

entspricht. Und wenn z. B. signifikante Teilleistungsschwächen<br />

vorliegen, muss dies im Unterricht bei der speziellen Förderung und auch<br />

bei der Benotung berücksichtigt werden. Geringere Klassenstärken, eine<br />

noch flexiblere Durchlässigkeit zwischen unterschiedlichen Schularten<br />

und mehr Möglichkeiten einer Ganztagsbeschulung würden bestimmt<br />

auch zum Ausgleich mancher sozialer Schieflagen und Ungerechtigkeiten<br />

beitragen. Sie könnten somit auch als protektive Faktoren für die seelische<br />

Gesundheit von Kindern und Jugendlichen wirken.<br />

Schaden würden wir unseren Schulkindern und Schullehrern aber obendrein,<br />

wenn wir vor lauter Schultristesse und angesichts vieler unerfüllter<br />

Reformhoffnungen in eine pessimistische Grundhaltung verfielen und<br />

damit auch ein wichtiges Element für eine gute Unterrichtsatmo-sphäre<br />

vertrieben: den Humor! Vielleicht sollten wir uns da ein bisschen von Wilhelm<br />

BUSCH inspirieren lassen. Bekanntermaßen haben in seiner berühmten<br />

Bubengeschichte die berüchtigten Schüler Max und Moritz einmal mit<br />

Hilfe von Flintenpulver die Pfeife ihres Lehrers Lämpel in die Luft gehen<br />

lassen – heute würde man natürlich von einem Sprengstoffanschlag sprechen.<br />

Der pflichtbewusste, aber wohl verhasste Schulmeister ging daraufhin<br />

rußverschmiert samt zerbrochener Pfeife zu Boden, überlebte aber<br />

Gott sei Dank diese Attacke ansonsten unversehrt. Wilhelm Busch leitete<br />

diesen vierten Streich seiner Bösewichte damals, 1865, mit folgendem<br />

Vers ein:<br />

Nicht allein am Schreiben, Lesen,<br />

übt sich ein vernünftig Wesen;<br />

nicht allein in Rechnungssachen<br />

soll der Mensch sich Mühe machen;<br />

sondern auch der Weisheit Lehren<br />

muss man mit Vergnügen hören.<br />

Wie psychiatrisch ist die Kinder- und Jugendpsychosomatik?<br />

Aktuelle Entwicklungen und ihre Folgen für die Schule für Kranke<br />

Dr. med. Nikolaus von Hofacker<br />

Chefarzt Klinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik<br />

Klinikum Harlaching<br />

Abstract:<br />

Schulbezogene psychische Probleme, insbesondere Schulängste, Schulverweigerung<br />

und schulische soziale Probleme gehören zu den häufigsten<br />

Gründen einer stationären oder teilstationären Behandlung in der Kinder-<br />

und Jugendpsychosomatik. Die Hintergründe solcher Probleme sind<br />

vielfältig, häufig gehen sie aber mit weiteren kinder- und jugendpsychiatrischen<br />

komorbiden Störungen einher. Ihre Behandlung ist aufwändig und<br />

basiert auf einer engen Verzahnung der pädagogischen Arbeit in der klinikinternen<br />

Schule für Kranke mit der pädagogisch-therapeutischen Arbeit<br />

auf Station. In dem Vortrag wird auf die Hintergründe schulbezogener psychischer<br />

Probleme sowie die Schnittstellen zwischen Schule für Kranke<br />

und Station eingegangen und die Bedeutung einer adäquaten schulischen<br />

Versorgung für die Heilungs- und Reintegrationschancen der betroffenen<br />

Kinder und Jugendlichen aufgezeigt.<br />

Schulbezogene psychische Probleme – wie psychiatrisch ist die Kinder-<br />

und Jugendpsychosomatik?<br />

Schulrelevante psychische Probleme<br />

• Schulverweigerung (Schulabsentismus)<br />

• Chronische Kopf- und Bauchschmerzen<br />

• Depressionen<br />

• Essstörungen<br />

• Aufmerksameits- und Hyperaktivitätsstörungen<br />

• Störungen des Sozialverhaltens<br />

• Mobbing/Bullying/Cyberbullying<br />

Epidemiologie<br />

• Jeder 5.- 6. Schüler hat relevante psychische Probleme, mehr als jeder<br />

2. Jugendliche erlebt Schule als „häufigen Stressor“, die subjektive Belastung<br />

ist bei klinisch auffälligen Jugendlichen deutlich höher als bei<br />

unauffälligen Jugendlichen<br />

• 10% leiden unter einer Angststörung, 20% haben Angst vor Lehrern oder<br />

Mitschülern<br />

• Etwa 9% einer Alterskohorte verlassen die Hauptschule ohne Abschluss<br />

• Ca. 10-12% der Hauptschüler fehlen pro Jahr mehr als 20 Tage, 5-6%<br />

mehr als 40 Tage, 5% fehlen regelmäßig<br />

• Zahl der Schulverweigerer steigt parallel zur Einwohnerzahl<br />

• 2/3 aller Kinder und Jugendlichen mit einer psychiatrisch-psychosomatischen<br />

Diagnose haben schulrelevante psychische Probleme (eigene<br />

Daten 2009)<br />

Schulrelevante psychische Probleme: Entwicklungen & Trends<br />

• Druck in der Schule steigt<br />

• zunehmende Dominanz gesellschaftlich eingeforderter Leistungsorientierung<br />

• Hoher Stellenwert von Leistungsbewertung in Prüfungssituationen<br />

• Erfolg und Misserfolg haben hohen Einfluss auf späteres Berufsleben<br />

Zunahme von<br />

• familiär-psychosozialen Belastungen<br />

• Eltern mit psychischen Störungen<br />

• Medienkonsum<br />

• Schulstress mit psychosomatischen Belastungszeichen i. F. v. Kopf-/<br />

Bauchschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Schlafproblemen<br />

• Jeder 4. Grundschüler klagt in der 4. Klasse über häufige Kopfschmerzen<br />

vs. 8% der Erstklässler! (Resch 2002)<br />

• psychischen Belastungen auch bei Lehrern!<br />

Schulverweigerung<br />

• Schulangst (Angst vor der Schule)<br />

• Prüfungsangst, Leistungsangst, Versagensangst<br />

• soziale Angst in der Schule<br />

• Fernbleiben mit Wissen der Eltern<br />

• Schulphobie (Angst vor Trennung)<br />

• Trennungsangst, meist schon im KiGa<br />

• sozialer Rückzug auch zu Hause<br />

• Fernbleiben mit Wissen der Eltern<br />

• Schuleschwänzen (Schulunlust)<br />

• soziale Verwahrlosung<br />

• meist ohne Wissen der Eltern Fernbleiben vom Unterricht<br />

Starke Assoziation mit kinder- und jugendpsychiatrischen Störungen (Knollmann<br />

et al. 2009, <strong>2010</strong>, Petermann & Petermann <strong>2010</strong>, Lehmkuhl & Lehmkuhl 2004)<br />

• Schulverweigerung (54%)<br />

• Emotionale Störungen des Kindesalters<br />

• Trennungsängste, soziale Ängste, sonstige Angststörungen<br />

• Depressionen, affektive Störungen, Anpassungsstörungen<br />

• Vor allem internalisierende Störungen<br />

• Schuleschwänzen (29%)<br />

• Störungen des Sozialverhaltens<br />

• Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens<br />

• Vor allem externalisierende Störung<br />

• Gemischte Störungen mit Schulabsentismus (17%)<br />

• Gemischte Störungen des Sozialverhaltens und der Emotionen u. a.<br />

• Internalisierende und externalisierende Störungen<br />

Merkmale von Kindern und Jugendlichen, die nicht in die Schule gehen<br />

(Knollmann et al., <strong>2010</strong>)<br />

• Erhöhte elterliche Trennungsrate (60% vs. 19%)<br />

• Gehäuft schwere elterliche körperliche (29%) und seelische Erkrankungen<br />

(15%)<br />

• Gehäuft familiäre Risikofaktoren wie Arbeitslosigkeit, geringe elterliche<br />

Kontrolle, soziale Isolation der Familie, familiäre Konflikte u. a.<br />

• Unterdurchschnittlicher IQ in 39% vs. 14% in der Normalbevölkerung<br />

• 52% wiederholen mindestens 1 mal eine Klasse (vs. 31%)<br />

• Kinder mit schulvermeidendem Verhalten und ihre Familien haben häufig<br />

multiple psychosoziale Belastungen!<br />

Schulvermeidendes Verhalten gefährdet die langfristige Entwicklung von<br />

Kinder und Jugendlichen<br />

• Häufiger psychiatrische Behandlungen im weiteren Entwicklungsverlauf<br />

notwendig<br />

• Jugendliche leben länger in Herkunftsfamilie, lösen sich deutlich später ab<br />

• Erhöhte Selbstunsicherheit und mangelnde Autonomie<br />

• Deutlich erhöhte Somatisierungsneigung auch in der weiteren Entwicklung<br />

• Erhöhte Rate an Schulabbrüchen<br />

Schulrelevante psychische Probleme<br />

Die klinikinterne Beschulung und die Zusammenarbeit mit den Heimatschulen<br />

spielt eine zentrale Rolle, da<br />

• sich die psychischen Probleme vor allem im Schulalltag manifestieren<br />

• die Gestaltung des Schulalltags, der Umgang der Lehrer und Mitschüler<br />

mit den Problemen sowie die Zusammenarbeit zwischen Schule, Klinik,<br />

Jugendhilfe, Eltern und weiterbehandelnden Therapeuten einen entscheidenden<br />

Einfluss auf den Verlauf haben<br />

• PROJEKT 2. CHANCE!<br />

Umgang mit psychischen Problemen im Schulalltag<br />

Angstreduzierung und Angstbewältigung im Unterricht mit pädagogischen<br />

Mitteln<br />

• Erkennen und Berücksichtigung der Emotionen, emotionaler Gestimmtheit<br />

und der Anzeichen von Angst und Stress einzeln und in der Gruppe<br />

als Ganzes<br />

• Reform der Leistungsbewertung<br />

• Strukturierung der Unterrichtsorganisation<br />

• Individualisierung des Unterrichts mittels innerer Differenzierung in leistungsheterogene<br />

Lerngruppen<br />

• Kompetenzerweiterung als Mittel, Angst zu reduzieren<br />

• Prüfungsvorbereitung<br />

• effiziente Lern- und Arbeitsverhaltensstrategien<br />

• Förderung von Angst- und Stressbewältigungstechniken<br />

• U-förmige Beziehung zwischen physiologischem Erregungsniveau und<br />

erzielter Leistung<br />

• Selbstwirksamkeit und Selbstkontrolle bei den Schülern unterstützen<br />

und fördern<br />

• Vertrauen und Wertschätzung in der Lehrer-Schüler-Beziehung statt<br />

Angst als motivierendem und disziplinierendem Instrument<br />

Grundprinzipen der (schulpsychologischen) Beratungsarbeit<br />

• Elternberatung<br />

• Aufklärung über Hintergründe<br />

• Notwendigkeit raschen Handelns und Behandlungsbedarf klar formulieren<br />

• ambulante Psychotherapie nur sinnvoll, wenn diese innerhalb absehbarer<br />

Zeit zum regelmäßigen Schulbesuch führt<br />

• Null-Toleranz bei Fehlen des Schülers<br />

• Anruf zu Hause<br />

• Kein Fehlen ohne ärztliches Attest<br />

• Elterliche Modelle: unterstützen die Eltern Selbständigkeit, vermitteln<br />

sie Sicherheit, Kompetenzen im Umgang mit Angst und Stress?<br />

• Verantwortungsübernahme der Eltern für sich selbst motivieren<br />

• Minimierung des sekundären Gewinns<br />

• Keine Bühne für das Symptom, kein wiederholter Rettungswagen (z. B.<br />

bei Hyperventilation und Kollaps)!<br />

Schuleschwänzen<br />

• Umgehend und regelmäßig Eltern informieren<br />

• Aufklärung der Eltern, beide Eltern einbestellen!<br />

• Aufklärung über Notwendigkeit familiärer Strukturen, Grenzen, Aufsicht<br />

und Steuerung<br />

• Familiäre Beziehungsangebote statt Medien<br />

• frühzeitig Jugendhilfemaßnahmen einleiten<br />

Schulrelevante psychische Probleme<br />

Fazit<br />

• Immer mehr Schüler haben bedeutsame, schulrelevante psychisch-psychosomatische<br />

Probleme<br />

• Bei diesen handelt es sich häufig um kinder- und jugendpsychiatrische<br />

Störungsbilder


24 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

25<br />

• Diese gehen meist mit komplexen psychosozialen familiären Risikokonstellationen<br />

einher<br />

• Nur eine enge Vernetzung von Klinik, klinikinterner Schule, Heimatschule,<br />

Eltern/Familie, Jugendhilfe und weiterbehandelnden Therapeuten<br />

bietet die Chance für einen nachhaltigen Erfolg<br />

• Die Symptome sind psychosomatisch, der Hintergrund psychiatrisch!<br />

Kinderpsychosomatik ist keine „Kinderpsychiatrie light“!<br />

• Die langfristigen volkswirtschaftlichen Kosten zu spät behandelter psychosomatischer<br />

Probleme im Schulalltag betragen ein vielfaches der<br />

Kosten einer rechtzeitigen und effizienten Behandlung.<br />

• Eine effiziente Behandlung setzt eine ausreichende schulische Versorgung<br />

i. R. teil- oder vollstationärer Therapieprogramme voraus.<br />

„Ohne Worte“ – Diagnostik, Therapie und Behandlungsverlauf bei<br />

sexuellem Missbrauch<br />

Dr. med. Sabine Rohde<br />

Leiterin der psychosomatischen Abteilung Kinderklinik<br />

München Schwabing<br />

Definition<br />

• Willentliche sexuelle Handlungen mit, an oder vor Kindern Kinder < 14<br />

Jahre (deutsches Strafrecht) EU Gerichtsthof 2003, sex. Bestimmungsrecht<br />

ab 14 kulturabhängig<br />

• Disparität der Wünsche, auch „freiwillige“ (simple vs. informed consent)<br />

sex. Handlungen zwischen Kindern & Erwachsenen strafbar - “Ungleichzeitigkeit“<br />

• §176 StGB strafbar, Freiheitsstrafe: von 6 Monate - 10 Jahre (5 Jahre<br />

oder Geldstrafe)<br />

Zahlen<br />

• PKS des Bundes 2007: 12772 Fälle sex. Missbrauch von Kindern angezeigt,<br />

106 schwere Fälle<br />

• Schätzungen bis 18. LJ 1X oder über Jahre jedes 3. bis 4. Mädchen jeder<br />

7. bis 10. Junge, sex. missbraucht<br />

• „The Lancett“ in London veröffentlichte Studie: Industrieländer jedes 10.<br />

Kind Opfer von Misshandlungen<br />

• Tägl. 30 – 40 Suizidversuche bei Kindern.150 Suizide von Kindern/Jahr<br />

• www: weltweit > als 500 Milliarden Euro (D >1Mrd) durch kinderpornographische<br />

Videos und Drucke von Kindern/Jahr Kindesmissbrauch<br />

nach Anweisung vor laufender Kamera<br />

Arten<br />

• Ohne körperlichen Kontakt, z.B. Ansehen von Pornofilmen.<br />

• Mit körperlichem Kontakt, z.B. gegenseitiges Berühren.<br />

• Nicht penetrativ, z.B. gegenseitiges Berühren der Geschlechtsteile.<br />

• Mit penetrativem Kontakt.<br />

• Mit Paraphilen, z.B. Sadismus.<br />

• Ritualisierter Missbrauch<br />

Typische Orte<br />

• Schule<br />

• Kindergarten<br />

• Sportverein<br />

• Eigene Familie<br />

Tätertypologie<br />

• In den meisten Fällen ein Mann 85 – 90%<br />

• Große Dunkelziffer bei Täterinnen, zunehmend berichten Jungen davon<br />

• Alle sozialen Schichten, jedes Alter z.B. gegenseitiges Berühren der Geschlechtsteile<br />

• Täter meist aus dem sozialen Nahraum der Kinder (Stiefvater, Freund,<br />

Mutter, Onkel, Großvater, Vater, Nachbar, Lehrer oder Erzieher )<br />

• 90% Ersatzobjekttäter; 2 – 10% Pädophile, fixierter Typ; vereinzelt sadistischer<br />

Typ (Unterdrückung)<br />

• Täter-Opfer-Täter-Kreisläufe über mehrere Generationen<br />

Warnsignale<br />

II. Vorträge II. Vorträge<br />

• Plötzliche Verhaltensänderung<br />

• Plötzliche Angst vor Erwachsenen oder Badezimmern<br />

• Kontaktlosigkeit & keine Freundschaften mehr<br />

• Erkennbare Angstzustände<br />

• Plötzliche Schulschwierigkeiten/Konzentrationsschwierigkeiten<br />

• Schlafstörungen (Alpträume, Tagträume, Abgleiten in Fantasiewelt)<br />

• Bettnässen<br />

• Sprachlosigkeit<br />

• Bauchschmerzen, etc.<br />

• Weigerung, sich auszuziehen<br />

• Nicht altersgemäße sexuelle Spiele/sexualisiertes Verhalten<br />

• Typ. Zeichnungen bei Kleinkindern Käfig mit toten Vögeln, die in ihrem<br />

eigenen Blut liegen<br />

Hinweise ab Vorschulalter<br />

• Auswirkungen von den Begleitumständen und anderen Risikofaktoren<br />

der Entwicklung abhängig (Vernachlässigung, körperliche Misshandlung )<br />

• Enthemmtes, triebhaftes Verhalten bei Kleinkindern ungew. aktives Interesse<br />

an eigenen und anderen Genitalien<br />

• Soziale und intime Distanzlosigkeit bei Fremden<br />

• Nicht altersgemäße sexuelle Aktivität mit Gleichaltrigen<br />

• Exzessive Masturbation<br />

• Spielerische Imitation & Nachvollziehen der Tat<br />

• Exhibieren und sexuell provozierendes Auftreten Risiko > , erneut Opfer<br />

zu werden<br />

Zusätzliche Hinweise ab Schulalter<br />

• Blockierung & Angst in der Sexualentwicklung<br />

• Funktionelle Sexualstörungen<br />

• Promiskuität<br />

• Sexuell aggressives Verhalten gegenüber anderen Kindern<br />

• Vernachlässigung der Körperhygiene<br />

• Gestörte Geschlechtsrollenidentität<br />

• ausgeprägte Angst homosexuell zu sein<br />

Zusätzliche Hinweise Teenager<br />

• Sexualisiertes Verhalten bis hin zur Prostitution<br />

• Laute Musik<br />

• Fettleibigkeit<br />

• Selbstverstümmelungen<br />

• Perverse Ängste<br />

• OH & Drogenabhängigkeit<br />

• Dissoziative Phänomene<br />

Häufige Folgeerkrankungen<br />

• Posttraumatische Belastungsstörung<br />

• Dissoziative Identitätsstörungen<br />

• Essstörungen<br />

• Borderline Persönlichkeitsstörungen<br />

• Partielles Vergessen - Amnesien<br />

Therapie<br />

• Eine Behandlung kann erst erfolgen, wenn das Kind nicht mehr in Gefahr<br />

ist missbraucht zu werden.<br />

• Obligat: Täter und Opfer voneinander trennen.<br />

• Täter bekommt Zugriff auf das Kind verweigert.<br />

• Psychotherapie: Traumatherapie & intensive Psychotherapie unter Einbeziehung<br />

der Bezugspersonen<br />

• Dissoziative Identitätsstörungen<br />

• Essstörungen<br />

• Borderline Persönlichkeitsstörungen<br />

• Partielles Vergessen - Amnesien<br />

Vorgehen bei Verdacht<br />

• Lehrer entdeckt im Schwimmunterricht blaue Flecken.<br />

• Was tun? Schweigen aus Angst, zu Unrecht zu beschuldigen oder Verdacht<br />

aussprechen, auf die Gefahr, dass er falsch ist?<br />

• Umfrage unter 2000 Jungen: jeder 4. gab an, er sei schon einmal in sexueller<br />

Absicht angesprochen worden.<br />

• Auf keinen Fall Kind sofort mit Verdacht konfrontieren.<br />

• Beraten wird zuerst mit der Schulleitung und Fachleuten: Ärzte, Anwälte,<br />

Wildwasser, Weißer Ring, Mädchenberatung, Jugendamt, München: Haunersches<br />

Kinderspital.<br />

• Opfer sind in der Beweispflicht, Polizei wichtig für Beweisführung & qualitativ<br />

hochwertige Sicherung von Tat- und Situationsspuren.<br />

Verdachtsverhalten Lehrer & Eltern I<br />

• Nehmen Sie die Äußerungen des Kindes ernst (7 Anläufe).<br />

• Glauben Sie nie, sexueller Missbrauch macht einem Kind Spaß.<br />

• Versichern Sie dem Kind, dass es keine Schuld hat & niemand so etwas<br />

mit ihm tun darf. Keine Vorwürfe.<br />

• Vermitteln Sie dem Kind, es darf über das Erlebte sprechen, nicht drängen.<br />

(„gute & böse Berührungen“)<br />

• Erste Schutzschritte überlegen: Schulabholung, Sportverein wechseln.<br />

• Schutz = Aufklärung, offen mit Kindern sprechen.<br />

• Bestärken Sie die Kinder der eigenen Wahrnehmung zu trauen.<br />

Verdachtsverhalten Lehrer & Eltern II<br />

• „Nein“ sagen dürfen. Kind vor Grenzverletzungen schützen (Verwandtenkuss)<br />

• Bei Verdacht – Hilfe bei einer Beratungsstelle in der Nähe suchen.<br />

• Übereilen Sie nichts, z.B. mit einer Anzeige.<br />

• Antworten & Adressen von Beratungsstellen:<br />

„www.hinsehen-handeln-helfen.de“<br />

• Wird einem Kind geglaubt, wird es geschützt.<br />

• Erfährt es Hilfe bei der Verarbeitung, Chance, Erfahrungen zu verarbeiten.<br />

• Kind gegenüber eindeutige Aussagen machen: Es war mutig von Dir, der<br />

Täter hat einen großen Fehler gemacht.<br />

Prävention in der Schule<br />

• Anlaufstellen für Opfer einrichten.<br />

• Benennung konkreter Ansprechpartner für Betroffenen.<br />

• Jederzeit verfügbare Ansprechpartner für Betroffene, sowohl für schulischen,<br />

als auch für familiären Missbrauch.<br />

• Vertrauenspersonen – geschulte Lehrkräfte, Schulpsychologen, Therapeuten<br />

sollen präventiv, aufklärend und helfend wirken.<br />

www.lehrerakademie.de<br />

• Jedem einzelnen Verdacht (auch aus der Vergangenheit) durch ein unabhängiges<br />

Gremium nachgehen.<br />

Präventionsthemen in der Schule<br />

• Bescheid geben.<br />

• Die Kumpelregel anwenden.<br />

• Nein sagen, weglaufen und berichten.<br />

• Meinen Gefühlen vertrauen.<br />

• Mit Erwachsnen über meine Probleme und Ängste sprechen.<br />

• Notfallsituationen üben (lautes Schreien)<br />

• Spiele und Übungen („Rettungsinseln auf dem Schulweg“, „Erzählkugel“,<br />

„Dampf ablassen“, „Ich rufe laut NEIN“, „Das leise und das laute<br />

NEIN“,...) www.lehrerakademie.de<br />

Fallbeispiel 1: Missbrauch<br />

• Aufnahmesymptomatik: Weibliche Geschwister (7 & 10 Jahre), Mutismus<br />

(ICD-10 F94.0), Behandlungsmotivation Einschulung/Schulwechsel<br />

• Therapiesetting in der KJP, Jana (6J.) Tagesklinik, Tina (9 J.) Vollstationär<br />

Kinderstation Familientherapie, Hausbesuch der Therapeuten<br />

• Ergebnisse und Maßnahmen: Inobhutnahme, Einschaltung Jugendamt,<br />

Meldung an Polizei<br />

Fallbeispiel 2: Missbrauch/Misshandlung<br />

• Aufnahmesymptomatik: 5-jähriges Mädchen blau geschwollenes Auge<br />

streifenförmige Hämatome<br />

• Therapiesetting in der Kinderklinik: Stationäre Aufnahme, Teambildung<br />

und Aufgabenverteilung (Befunddokumentation)<br />

• Untersuchungsergebnisse und Maßnahmen: Inobhutnahme, Meldung an<br />

die Polizei, Helferkonferenz mit Jugendamt.<br />

• Weiterer Verlauf und angepasste Maßnahmen: Familienhelferin, Spieltherapie,<br />

neue Sorgerechtregelung<br />

Website: www.hinsehen-handeln-helfen.de<br />

Johann-Wolfgang von Goethe<br />

Zwei Dinge<br />

Sollen Kinder von ihren Eltern bekommen:<br />

Wurzeln und Flügel<br />

Kontakt<br />

Psychosomatischer Schwerpunkt<br />

Poliklinik und Kinderklinik Schwabing der Technischen Universität München,<br />

Kölner Platz 1, 80804 München<br />

Leitung: Dr. med. Sabine Rohde<br />

Telefon: 089/3068-3413 (Anrufbeantworter)<br />

E-Mail: sabine.rohde@lrz.tu-muenchen.de<br />

Kinderschutz<br />

• Deutscher Kinderschutzbund (DKSB) Landesverband Bayern e.V.: www.<br />

kinderschutzbund-bayern.de “Hilfe statt Strafe“, favorisiert familienorientierte<br />

Ansätze, alle Beteiligten in der Familie sollen ein therapeutisches<br />

Hilfsangebot bekommen. „Starke Eltern – starke Kinder“.<br />

• Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutzzentren (BAG):<br />

www.kinderschutz-zentren.org<br />

Ausschreitungen der Eltern gegen ihre Kinder als Zeichen der Überforderung,<br />

Kernangebote sind Familienberatung & -therapie, Einzel-, Paar-,<br />

und Gruppenberatung, Kindertherapie, Kinderwohngruppen in verbindlichem<br />

Einvernehmen mit den Eltern.<br />

• Bayerisches Landesjugendamt (BLJA): www.blja.bayern.de: Kindzentrierter<br />

Hilfeplanansatz, Grundlage KJHG & SGB VIII<br />

Kinderschutz<br />

• Arbeitsgemeinschaft Deutscher Frauen- und Kinderschutzhäuser: Notrufzentren,<br />

Frauenhäuser, Selbsthilfegruppe „Wildwasser“, keine Zusammenarbeit<br />

mit dem Täter<br />

• Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V.<br />

• Bundesverein zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Jungen &<br />

Mädchen e.V.<br />

• Bayerische Polizei: Beauftragte der Polizei für Frauen und Kinder<br />

Kliniklehrer und ihre Schüler – Verquickungen und Verstrickungen<br />

im Netz von Pädagogik und Medizin<br />

Dr. Martina Hoanzl<br />

Falkultät Sonderpädagogik, PH Ludwigsburg – Universität Tübingen<br />

0. Geleit<br />

Klinikaufenthalte können Leben retten – nicht immer medizinisch, aber<br />

schulisch! Klinikschulen sind jene Orte, an denen diese Entwicklungs- und<br />

Lernwunder geschehen können. Denn für viele Schüler beginnt mit dem<br />

Klinikaufenthalt - und der damit einhergehenden Beschulung in der Klinikschule<br />

- erstmals eine Aussöhnung mit der eigenen kränkenden, oftmals<br />

krankmachenden und zuweilen auch gescheiterten Schulbiographie. Für<br />

wieder andere Schüler ist die Klinikschule der Ort, an dem sie Gelingendes<br />

trotz unterschiedlichster Krankheiten fortführen können. In den allermeisten<br />

Fällen ist die Klinikschule aber ein Ort bedeutsamer schulischer<br />

Gegenerfahrungen (vgl. Hüther 2009), zum Unbehagen in einem hoch selektiven<br />

Schulsystem, unter der besonders der eigene Selbstwert leidet<br />

- bei Lehrern wie bei Schülern -, wenn Lernprozesse nicht hinreichend gut<br />

gelingen. Zwei Dimensionen scheinen auf dem Weg der Gesundung von<br />

zentraler Bedeutung zu sein: Veränderte Beziehungserfahrungen, die zu<br />

veränderten Lernerfahrungen führen, und Könnenserfahrungen, die das<br />

eigene Selbstwerterleben stärken. Beides erhält in den Klinikschulen eine<br />

gesteigerte Bedeutung, die im Nachfolgenden dargestellt werden soll.<br />

Klinikschulen sind zum Entwicklungsmotor in der deutschen Schullandschaft<br />

geworden. Sie zeigen uns in Zeiten, in denen intensiv über Inklusion<br />

diskutiert wird, wie Inklusion und individualisiertes Lernen längst gelingt<br />

und wie Netzwerke ausgebaut und im Zweifel auch umgebaut werden.<br />

Der Kongresstitel „Das kranke Kind – aufgehoben im Netzwerk von Pädagogik<br />

und Medizin“ hat meinen Blick zunächst auf die krankmachen-


II. Vorträge II. Vorträge<br />

26 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

27<br />

den Verstrickungen und erst in einem zweiten Schritt auf die gelingenden<br />

Verquickungen gelenkt. Vorweggenommen sei, dass im Focus der Betrachtungen<br />

das Zusammenspiel von Allgemeiner Schule und Klinikschule<br />

steht, und die Medizin – auch in Anbetracht der knappen Zeit – nicht den<br />

Platz finden kann, der ihr eigentlich zusteht.<br />

1. Kranke Schüler, kranke Lehrer, kranke Schule?<br />

Kritische Betrachtungen der Allgemeinen Schule<br />

Kinder sind in aller Regel, bevor sie als kranke Kinder an die Klinikschule<br />

kommen, zuerst einmal Schüler der Allgemeinen Schule. Erst durch die<br />

Erkrankung verändert sich ihr Schulweg und - besonders bei psychischen<br />

Erkrankungen - häufig auch ihre Schullaufbahn (Hoanzl, Baur, Bleher,<br />

Thümmler & Käppler. 2009). Doch bevor wir uns auf diese Veränderung<br />

einlassen, möchte ich erstens den Blick auf die allgemeine Schule und das<br />

schulische Wohlbefinden von Lehrern und Schülern richten, um in einem<br />

zweiten Schritt das Besondere der Kliniklehrer-Schüler-Beziehung besser<br />

verstehen zu können.<br />

Beginnen wir mit einem Blick auf die Lehrer der allgemeinen Schule. Joachim<br />

Bauer fand in seiner repräsentativen Studie zur Lehrergesundheit<br />

– die in Kooperation mit dem Freiburger Oberschulamt 2004 durchgeführt<br />

wurde - heraus, dass sich ein alarmierend großer Teil der Lehrer an Freiburger<br />

Gymnasien – konkret 35 % - in einer Burnout-Konstellation befinden.<br />

Als höchster Belastungsfaktor rangiert destruktives Schülerverhalten<br />

– neben zu großen Schulklassen – an erster Stelle (vgl. Bauer 2004,<br />

6). Bauer verdeutlicht jedoch, dass schwieriges Schülerverhalten kein<br />

moralisches Problem ist, „sondern Ausdruck einer besorgniserregenden<br />

Situation bei der Schülergesundheit. Nach Angaben der von Stuttgarter<br />

Kinderärzten – unter Koordination des Stuttgarter Gesundheitsamtes<br />

– durchgeführten „Jugendgesundheitsstudie Stuttgart“ leiden 51% der<br />

dort untersuchten 2000 Kinder unter anhaltenden psychosomatischen<br />

Gesundheitsbeschwerden (vgl. Schmidt-Lachenmann et al 2000, nach<br />

Bauer 2004, 7). Bauer endet jedoch nicht mit dieser Bestandsaufnahme,<br />

sondern kommt zu dem Schluss, dass nicht neue „Standards“ die Lage<br />

in den Schulen verbessern können, sondern „ein Wandel der Einstellungen“<br />

notwendig wird - hin zur professionellen Beziehungsgestaltung mit<br />

herausfordernden Kindern und innerhalb eines Kollegiums. Ganz im Sinne<br />

Albert Schweitzers, der einmal sagte: „Das Heil der Welt liegt nicht in neuen<br />

Maßnahmen, sondern in einer anderen Gesinnung (zitiert nach Hüther<br />

2006, 2).“<br />

Versucht man der Spur zu folgen und untersucht nicht direkt den Gesundheitsszustand<br />

von Schulkindern, sondern erfragt, wie viele Lehrer von der<br />

Erkrankung ihrer Schüler wissen, kommt man zu folgendem Ergebnis: In<br />

einer Lehrerbefragung an etwa 200 Schulen in Baden-Württemberg ermittelte<br />

Astrid Kimmig, zusammen mit der Gruppe „Pädagogik bei Krankheit“,<br />

dass 15 - 20 % aller Schüler – nach Angabe ihrer Lehrer - an einer chronischen<br />

Erkrankung leiden (vgl Kimmig o.a.J. ).<br />

Dieser bundeslandspezifische Befund wird durch eine großangelegte Studie<br />

im gesamten Bundesgebiet erweitert. Das Robert Koch Institut hat von<br />

Mai 2003 bis Mai 2006 – unterstützt vom Bundesministerium für Gesundheit<br />

und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung - im Rahmen<br />

der Studie „Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS)“ bundesweit<br />

knapp 18.000 Kinder und Jugendliche im Alter von 0 – 17 Jahren sowie<br />

deren Eltern untersucht. Auch hier lassen die Ergebnisse aufhorchen. Die<br />

KiGGs [Untersuchungsbereich: „Erkennen – Bewerten – Handeln: Zur Gesundheit<br />

von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“] belegt nämlich,<br />

dass „das körperliche und psychische Wohlbefinden sowie die generell<br />

wahrgenommene gesundheitsbezogene Lebensqualität im Jugendalter –<br />

insbesondere bei Mädchen – abnimmt. Ein niedriger sozialer Status, Migrationshintergrund<br />

sowie körperliche Krankheiten und psychische Belastungen<br />

gehen mit einer verschlechterten subjektiven Gesundheit einher“<br />

(Robert Koch Institut 2008, 11).<br />

Wenn wir an dieser Stelle eine erste Zwischenbilanz wagen, so zeigt sich,<br />

dass sowohl die Gesundheit von Lehrern wie auch die Gesundheit von<br />

Schülern in der allgemeinen Schule enormen Belastungen ausgesetzt ist.<br />

Mit zunehmendem Alter und geringem sozialen Status steigt die Zahl der<br />

Erkrankungen – besonders der psychischen Erkrankungen - weiter an.<br />

Dabei ist es wichtig, die Komplexität des Phänomens nicht außer Acht zu<br />

lassen. „Zahlreiche gesundheitliche Probleme lassen sich nicht auf einen<br />

Faktor oder eine Einflussgröße allein zurückführen, sondern entstehen in<br />

einem nicht unmittelbar durchschaubaren Netz von Kausalitäten“ (Robert<br />

Koch Institut 2008, 10). Deshalb differenziert das Untersuchungsinstrument<br />

der KiGGs sechs unterschiedliche Dimensionen: Das körperliche<br />

Wohlbefinden, das psychische Wohlbefinden, das Selbstwerterleben, das<br />

Wohlbefinden in der Familie, das Wohlbefinden in Bezug auf Freunde und<br />

Gleichaltrige sowie das schulische Wohlbefinden (vgl. Robert Koch Institut<br />

2008, 12). Im Rahmen meines Vortrages möchte ich nun das „schulische<br />

Wohlbefinden“ verstärkt in den Blick nehmen und gemeinsam mit dem<br />

„Selbstwerterleben“ verknüpfen, weil beide Dimensionen auf das Engste<br />

miteinander verbunden sind.<br />

Zum schulischen Wohlbefinden gibt es eine Reihe von Untersuchungen,<br />

die allesamt zu ähnlichen Ergebnissen kommen.<br />

„Es gibt einen spezifischen Effekt, der sich als weitgehend unabhängig<br />

von anderen Faktoren (z.B. Schultyp, kulturelle Zugehörigkeit, Geschlecht)<br />

erweist: Wiederholt berichten Studien von einer Abnahme des Wohlbefindens<br />

im Laufe der Schuljahre. Dies zeigte sich in der Abnahme der generellen<br />

Zufriedenheit in der Schule (Eder 1995c), in einer Reduktion des<br />

Wohlbefindens (Fend 1997) und der Lernfreude (Jerusalem & Mittag 1999),<br />

und war bereits im Verlauf der ersten Schuljahre zu verzeichnen (Helmke<br />

1993). Außerdem sagten Kinder mit zunehmender Schulerfahrung immer<br />

seltener, dass sie gerne zur Schule gingen (Werres 1996b). Ebenso war zu<br />

beobachten, dass nicht nur die positiven Gefühle, sondern auch die positiven<br />

Aussagen gegenüber der Schule im Laufe der Schuljahre abnahmen<br />

(Czerwenka, Nölle, Pause, Schlotthaus, Schmidt & Tessloff 1990). (...) Ungeklärt<br />

ist, was zu dieser Reduktion des Wohlbefindens führt (...)“ (Hascher<br />

2004, 155).<br />

Neben empirischen Untersuchungen zum schulischen Ursachengefüge<br />

(vgl. Walke 2007, vgl. Gerber 2007), lassen sich auch strukturelle Überlegungen<br />

anstellen, die diesen Effekt beleuchten helfen. Wenn sich Kinder<br />

gerade zu Beginn ihrer Schulzeit in der Schule wohl fühlen, treffen<br />

sie in der Grundschule auf einen Klassenlehrer – in aller Regel auf eine<br />

Klassenlehrerin –, besonders Glück haben jene Grundschüler, die auf<br />

ein Lehrerteam aus Grundschullehrerin und Grundschullehrer treffen. Es<br />

gibt also eine stabile (!), bedeutsame Bezugsgröße und nicht, wie in den<br />

weiterführenden Schulen, das Fachlehrerprinzip und damit einhergehend<br />

ständig wechselnde Bezugsgrößen. Die Chance, wie es Reinhard Kahl ausdrückt,<br />

dass zu Beginn der Schulzeit „Kinder und nicht Fächer unterrichtet<br />

werden“, wird durch das Klassenlehrerprinzip begünstigt, wenn auch nicht<br />

garantiert. Die stabile Beziehung zum Lehrer bzw. zur Lehrerin könnte demnach<br />

ein wesentlicher Wohlfühlfaktor in der Schule sein.<br />

Zudem kommt mit zunehmenden Schuljahren ein weiterer struktureller<br />

Faktor ins Spiel, der - im österreichischen und deutschen Schulsystem<br />

- bereits am Ende der 4. Klasse seine volle Wucht entfaltet – die Selektion.<br />

Wer ins Gymnasium darf, zählt – aus Sicht der Eltern und der Gesellschaft<br />

– zu den Gewinnern. Die unteren Bildungsgänge – ob diese<br />

nun Hauptschule, Realschule oder Werkrealschule heißen oder gar zu<br />

den Sonderschulen zählen – nehmen die Schüler auf, die es nicht auf das<br />

Gymnasium geschafft haben. Damit verbunden sind nicht nur gravierende<br />

Schullaufbahnentscheidungen, sondern auch persönliche Kränkungen<br />

und Beschämungen. Kurt Singer verdeutlich in seinem Buch „Kränkung<br />

und Kranksein“ anschaulich, dass ein verletzter Selbstwert zu vielfältigen<br />

Erkrankungen führen kann (vgl. Singer 1997).<br />

Ergänzt wird das Zusammenspiel von Kränkung und Kranksein durch Aussagen<br />

über die Qualität des Unterrichts. Also nicht nur die Weichenstellungen<br />

durch das System selbst, sondern auch die Art und Weise, wie im<br />

System gearbeitet wird, entscheidet über den Gesundheitszustand von<br />

Lehrern und Schülern gleichermaßen.<br />

„Zwar sind Beschämung und Selektion noch immer zentrale Probleme in<br />

der Schule – aber um das Problem der realen Langeweile ergänzt. (...) In<br />

den fünften, siebten und neunten Klassen finden sogar zwei Drittel der<br />

Kinder und Jugendlichen den Unterricht langweilig (Bilz/Hähne/Melzer<br />

2003 S. 252 zitiert nach Bosenius & Hellbrügge 2008, 61).“<br />

Bosenius und Hellbrügge problematisieren auf diesen Befunden aufbauend<br />

die Not jener Schulkinder, welche Handymitschnitte über langweiligen<br />

Unterricht vermehrt ins Internet einspeisen und damit Lehrer zugleich<br />

öffentlich anprangern. „Kinder und Jugendliche reagieren damit auf ihr<br />

Empfinden, dass ihnen Lebenszeit gestohlen wird (Bosenius & Hellbrügge<br />

2008, 61).“ Dieses Grunderleben drückt sich oft auch in einem Leistungs-<br />

abfall aus, der dazu führt, dass die Schüler im Schulsystem „nach unten“<br />

durchgereicht werden (vgl. Beekmann-Knörr). Aber auch die Zunahme von<br />

massiv gesteigerten Schulängsten ist belegt (vgl. Ölsner 2005, 1). Nicht<br />

zuletzt ist die Zahl der Kinder, die den Schulbesuch verweigern und ohne<br />

Schulabschluss die Schule verlassen, bedenklich gestiegen (vgl. Meschkuta<br />

et al 2002, vgl. Oehme 2007).<br />

Wichtig ist nun, dass der Verlust des schulischen Wohlbefindens nicht<br />

nur das persönliche Problem einzelner Schüler oder einzelner Lehrer ist,<br />

sondern schulinterne und schulstrukturelle Ursachen haben kann. Selbst<br />

wenn ein Gymnasiallehrer seine Beziehung zu den Schülern als bedeutsam<br />

erachtet und professionelle Beziehungsarbeit als Basis für gelingende<br />

Lernprozesse erkennt, hat er immer noch mit der strukturellen Tatsache<br />

zu kämpfen, dass er über viele Klassen und Unterrichtsstufen hinweg als<br />

„Vertreter eines Faches“ fungiert und im Wechsel mehrere hundert Schüler<br />

in einem Schuljahr unterrichtet. Selbst wenn Lehrer und Schüler nicht<br />

in kränkender und krankmachender Weise aufeinander reagieren wollen<br />

(vgl. Spirale von langweiligem Unterricht und potentiellem Cybermobbing),<br />

spricht die frühe Selektion der Schüler eine völlig andere Sprache.<br />

Wie kann der entscheidende Schutzfaktor für die Gesundheitsförderung<br />

– nämlich das „Selbstwerterleben“ - gestärkt werden, wenn das System<br />

Schule durch Selektion gerade diesen Selbstwert schädigt? Fürstenau beschreibt<br />

dieses Dilemma präzise in seinem Beitrag „Zur Psychoanalyse der<br />

Schule als Institution“ (1964): „Die Rolle des Lehrers hat ja nicht nur eine<br />

den Schülern zugekehrte Vorderseite, sondern auch eine dem Schulleiter,<br />

vor allem aber (...) der staatlichen Schulaufsicht zugekehrte Rückseite<br />

(a.a.O. 270).“<br />

Schulen, die dieses Problembewusstsein entwickelt haben und sich auf die<br />

Suche nach den stärkenden Seiten im Schulsystem machen, gibt es zum<br />

Glück auch. Der Deutsche Schulpreis (http://schulpreis.bosch-stiftung.<br />

de) nominiert und zeichnet immer wieder gelingende Schulen aus, die ihre<br />

Kinder – um es wieder mit Reinhard Kahl zu sagen – nicht nur unterrichten,<br />

sondern aufrichten. Auch das Archiv der Zukunft (www.archiv-der-zukunft.<br />

de) leistet an dieser Stelle Pionierarbeit und vernetzt gelingende Schulen<br />

miteinander. Eine umfassende Aufgabe aller Schulen, sich auf kranke<br />

Kinder und ihre Problemlagen zu sensibilisieren, bleibt als Auftrag jedoch<br />

weiter bestehen (vgl. Ertle 2008).<br />

Ein erster Blick auf das Netz von Pädagogik und Medizin schärft also den<br />

Blick auf die eigenen Verstrickungen im System. Es wird deutlich, dass<br />

Lehrer und Schüler häufig – auch institutionell und strukturell bedingt - in<br />

den allgemeinen Schulen in kränkender und krankmachender Weise aufeinander<br />

treffen.<br />

2. Kinder fallen durch schulische Netze: Schule und Selbstwert<br />

Während das Selbstkonzept auf der Wahrnehmung und dem Wissen um<br />

die eigene Person beruht, wird der Selbstwert durch eine sehr bedeutsame<br />

Dimension erweitert – nämlich die Beurteilung der eigenen Person.<br />

Selbstvertrauen und Selbstachtung werden oft synonym zum Selbstwertbegriff<br />

verwendet. Immer geht es jedoch darum, wie wertvoll sich ein<br />

Mensch selbst erleben kann. Könnenserfahrungen – also das Erleben „ich<br />

kann etwas schaffen!“ – sind auf das Engste mit dem Selbstwerterleben<br />

verknüpft und werden auch durch die Schule entscheidend beeinflusst<br />

Schule hat äußerst machtvolle Instrumente zur Hand, wenn es darum<br />

geht, Kinder zu beurteilen: Die Vergabe von Noten, die immer auch auf die<br />

zentrale Frage zusteuert – „bist Du ein passender Schüler für diese Schule?“<br />

–, stehen im Zentrum der alltäglichen Praxis. Hier kommt wieder die<br />

„Rückseite“ des Lehrers zum Tragen, wie Fürstenau das problematisiert.<br />

Ob der Lehrer es als sinnvoll erachtet oder die skizzierten Problemlagen<br />

erkennt, er wird zum Vollstrecker eines Systems, ungeachtet dessen, was<br />

der Schüler für seine Entwicklung gerade braucht. Die Fremdbewertung<br />

durch den Lehrer ist jedoch folgenschwer, weil sie oftmals fraglos als Basis<br />

für die eigene Selbstbewertung übernommen wird. Wenn Schule den<br />

Selbstwert junger Menschen – auch im Sinne einer Gesundheitsförderung<br />

– stärken will, wird sie ihre legitimierten Praktiken kritisch hinterfragen<br />

und prüfen müssen. In Skandinavien steht z.B. längst die Schulung der<br />

eigenen Selbstbewertung im Zentrum von Lern- und Entwicklungsprozessen,<br />

die bereits im Kindergartenalter beginnt. Die Fremdbeurteilung dient<br />

lediglich als Regulativ und wird immer im persönlichen Gespräch entwickelt<br />

und verglichen.<br />

Der Selbstwert erkrankter und verunfallter Kinder, ist nun in doppelter<br />

Weise gefährdet! Durch die schulische Praxis einerseits und durch die Einschränkungen,<br />

die durch psychische oder somatische Erkrankungen bzw.<br />

durch Unfälle andererseits entstehen. Jedes Erscheinungsbild hat seine<br />

eigene Problemlage. Ein Kind, das nach einem Unfall beide Beine verliert<br />

und nicht mehr gehen kann, hat nicht nur eine „Körperfunktion“ weniger,<br />

sondern ringt um seine Identität und um sein Selbstwerterleben. Ein<br />

anorektisches Mädchen, das gute Schulnoten hat und wieder ein Pfund<br />

„schlanker“ geworden ist, wird zunächst nicht einsehen können, warum<br />

es nun in psychiatrische Behandlung soll. Ein „Klapsenkind“ zu sein, passt<br />

nicht zum Ehrgeiz und stellt das Selbstwerterleben auf eine harte Probe.<br />

„Kinder, denen man die Einschränkung nicht ansieht, haben es am<br />

schwersten [betont Ertle – A. d. Verfasserin]. Wer nach einer Chemotherapie<br />

ohne Haare zur Schule kommt, findet schnell Verständnis. Schwerer<br />

hat es dagegen ein Junge, dessen Gelenke wegen einer rheumatologischen<br />

Erkrankung morgens steif sind. Er kommt oft zu spät zur Schule und wird<br />

beim Lehrer sein Image des faulen Morgenmuffels nicht los – trotz mehrfacher<br />

Erklärungen der Eltern (Wüsthof 2006, 4).“<br />

Auch wenn der gesetzlich geregelte Nachteilsausgleich die oftmals massiven<br />

Einschränkungen, denen erkrankte und verunfalle Kinder unterliegen,<br />

ausgleichen helfen soll, schneiden Schüler, die an einer Krankheit leiden,<br />

auch in der Schule schlechter ab (vgl. ebd). Viele Lehrer an den allgemeinen<br />

Schulen ignorieren immer noch die Krankheiten und die damit einhergehenden<br />

Problemlagen ihrer Schüler, aus Unwissenheit und Überforderung.<br />

Entscheidend ist: Erkrankte und verunfallte Kinder brauchen Lehrer, die<br />

aufrichtig an ihnen interessiert sind, und Lehrer brauchen professionelle<br />

Unterstützung, wenn sie die erschwerten Entwicklungs-bedingungen ihrer<br />

Schützlinge erkennen und ausgleichen wollen. Beides ist sprichwörtlich<br />

„Not-wendig“, wenn die Stärkung des Selbstwertgefühls als zentrale pädagogische<br />

Aufgabe erkannt werden soll.<br />

3. Netze können auch tragen: Schule und Leistungsglück<br />

Derart verstrickte, und manches Mal auch aus den Maschen des Schulsystems<br />

gefallene Kinder kommen nun zur Behandlung an somatische<br />

bzw. psychiatrische Kliniken, aber auch an Unfallkliniken und treffen dort<br />

wiederum auf Klinikschulen und ihre Kliniklehrer. Angesichts der zuvor beschriebenen<br />

belastenden Verstrickungen im Netz der allgemeinen Schulen<br />

drängt sich die Frage auf, ob kranken Kindern ein Schulbesuch überhaupt<br />

zumutbar ist.<br />

Es wird also Zeit, neben den schulischen Grenzen auch die schulischen<br />

Chancen zu beleuchten. „Schule kann aber auch gesund machen, wenn sie<br />

jene Merkmale stärkt, die gesund erhalten: eine haltgebende Lehrer-Schüler-Beziehung,<br />

Selbstvertrauen und Mut, wenn die Individualität der Kinder<br />

berücksichtigt wird, der Unterricht Eigenaktivität ermöglicht, wenn Schüler<br />

Freude an der Arbeit erleben, in einer heiteren Stimmung lernen dürfen,<br />

wenn ihr Selbstwert gestärkt wird. Der Unterricht fördert das Gesundsein,<br />

indem es Leistungsglück erfahren lässt (Singer 2000 b, 1).“<br />

Knüpfen wir an den Überlegungen von Albert Einstein an. Er sagt: „Lernen<br />

ist Erfahren, alles andere ist Information.“ Wenn wir mit kranken Kindern<br />

also die Erfahrung teilen wollen, dass ein Netz auch tragen kann, wie<br />

müsste dieses Netz geknüpft sein und immer weiter geknüpft werden?<br />

4. Ausgangspunkt: Die Lehrer-Schüler-Beziehung in der Klinikschule<br />

Lernprozesse sind Beziehungsprozesse. Diese Erkenntnis ist zwischenzeitlich<br />

sehr differenziert erforscht (vgl, Schäfer 2003, Greenspan & Benderly<br />

2001, Müller 2007) und gewinnt in der Arbeit mit Kindern zunehmend an<br />

Bedeutung. Im Zentrum von Lernprozessen stehen Emotionen. Sie sind die<br />

eigentlichen Architekten des Geistes (vgl. Greenspan & Benderly 2001).<br />

Emotionen lenken unsere Gedanken und unsere Entscheidungen. Gerhard<br />

Roth (<strong>2010</strong>, 8) sagt dies ganz pointiert: „Entscheidungen sind zwar ohne<br />

Vernunft möglich, aber nicht ohne Emotionen.“ Wenn Kinder also vor der<br />

Entscheidung stehen, ob sie sich in Anbetracht ihrer lebensgeschichtlichen<br />

und aktuell durch die Krankheit geprägten Lebenssituation (wieder)<br />

auf Lernprozesse einlassen, dann geht das nur, wenn der Lehrer ihnen<br />

als Mensch begegnet, der aufrichtiges Interesse am Kind mitbringt. Seine<br />

Grundhaltung ist entscheidend wichtig, ob sich der erkrankte bzw. verunfallte<br />

Schüler auf ihn - und damit auch auf Lernprozesse - einlassen kann<br />

oder nicht.<br />

Eleanor J. Gibson und Richard Walk haben 1960 in den USA eine Versuchsanordnung<br />

aufgebaut – „the visual cliff“ – mit der sie die Tiefenwahrnehmung<br />

bei Tieren und bei Kleinkindern erforscht haben (vgl. Gibson und<br />

Walk 1960). Dazu haben sie unter einem völlig entspiegelten Plexiglastisch<br />

einen tiefen (visuellen) Abgrund errichtet, der durch ein rot-weiß-karriertes<br />

Schachbrettmuster optisch noch verstärkt wurde. Gibson beobachte-


II. Vorträge II. Vorträge<br />

28 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

29<br />

te nun das Verhalten ihrer Probanden, wenn sich diese auf den Abgrund<br />

zubewegten. Ein „Stopp“ am visuellen Abgrund war der Beleg dafür, dass<br />

dieser wahrgenommen und erkannt wurde.<br />

Eine äußerst bedeutsame Entdeckung dabei war und ist, dass Menschen,<br />

die am anderen Ende der Plexiglasplatte standen, einen ungeahnten Einfluss<br />

auf das Geschehen bei kleinen Kindern (zwischen 9 und 12 Monaten)<br />

hatten. Wenn der Erwachsene ängstlich auf den Abgrund blickte, stoppte<br />

das Baby sofort seine Erkundungen. Wenn die Bezugsperson hingegen<br />

dem kleinen Kind zulächelte, es mimisch und gestisch ermutigte, trotz des<br />

wahrgenommenen Abgrundes weiter zu krabbeln, passierte das Unfassbare.<br />

Das kleine Kind vertraute der Reaktion seines Gegenübers mehr,<br />

als der eigenen Wahrnehmung. Dieses Phänomen wurde Mitte der Achziger<br />

Jahre als „Social Referencing“ bekannt gemacht (Klinnert, Campos,<br />

Sorce, Emde, & Svejda 1983) und wurde intensiv an der University of California,<br />

Berkeley, weiter erforscht. [Film]<br />

Die aktuellen Forschungen im Feld der Neurobiologie vertiefen diese Einsicht<br />

noch. Sie belegen, dass Einstellungen und Haltungen auch über sogenannte<br />

Spiegelneurone „lesbar“ werden. Joachim Bauer (2009) hat in<br />

seinem Buch „Warum ich fühle, was du fühlst“ die intuitive Kommunikation<br />

erforscht, die weit über die nonverbale Kommunikation hinausgeht. Dabei<br />

geht es um Resonanzphänomene. Lehrer werden zum Spiegel ihrer<br />

Schüler. So wie ich als Lehrer auf den Schüler blicke, so wird sich auch<br />

der Schüler selbst sehen lernen. Die Macht des Blickes, der gesagten und<br />

unausgesprochenen Worte bildet die Beziehungsbasis zwischen Lehrer<br />

und Schüler und bestimmt wesentlich, ob Lernen möglich wird, oder nicht.<br />

Gerald Hüther spricht in diesem Kontext auch von einem „Lernklima“ (vgl.<br />

2009). „Alles schulische Lehren und Lernen ist eingebettet in ein interaktives<br />

und dialogisches Beziehungsgeschehen (Bauer 2007, 14).“<br />

Dieses Beziehungsgeschehen entscheidet wesentlich darüber, ob ein<br />

Schüler seine Potentiale entfalten kann oder nicht. Das Klima, in dem sich<br />

Lehrer und Schüler begegnen, kann gedeihlich sein oder Entwicklungen<br />

hemmen. Royston Maldoom, der über ein großes Theaterprojekt an der<br />

Berliner Staatsoper mit benachteiligten und traumatisierten Kindern auch<br />

im deutschsprachigen Raum große Bekanntheit erlangt hat, betont diesen<br />

Effekt nachdrücklich:<br />

„Man muss einfach diesen unerschütterlichen Glauben an das große Potential<br />

jedes Menschen haben. Wenn man das Klassenzimmer betritt und<br />

diesen Glauben nicht hat, dann klappt es nicht, dann kommt man nicht<br />

durch. Zweifeln Sie an der Besonderheit eines Menschen, mit dem Sie<br />

arbeiten, dann spürt er das und Sie schränken ihn ein. Wenn ein Kind sein<br />

Potential nicht voll ausschöpfen kann, dann ist das mein Fehler, nicht der<br />

des Kindes (Maldoom 2006, 57).“ Dokumentiert wurde das Projekt in dem<br />

bekannten Kinofilm „Rhythm is it“.<br />

Kliniklehrer, die bewusst oder unbewußt ihren Schülern auf diese Weise<br />

begegnen, können oftmals trotz Erkrankung - und den damit einhergehenden<br />

Krisen - Lernprozesse anstoßen, die Kinder erleben lassen – „ich<br />

kann was!“<br />

5. Einzelne Fäden bilden am Ende ein starkes Seil:<br />

5a) Könnenserfahrungen - innere Themen und Sachthemen verknüpfen<br />

Kurt Singer spricht vom „Leistungsglück“, der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi<br />

hat den Begriff „Flow“ geprägt und versteht darunter das<br />

völlige Aufgehen in einer Tätigkeit. Die Psychoanalyse spricht von „Funktionslust“<br />

und die Pädagogik von „Könnenserfahrungen“. Das Phänomen<br />

hinter den unterschiedlichen Begriffen spricht eine gemeinsame Sprache<br />

– nämlich die Sprache der Erfahrung, die uns sagt: „Ich kann das!“ Zentral<br />

dabei ist das Erleben, sind die Emotionen. Damit Kinder Herausforderungen<br />

annehmen können, brauchen sie ein Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten.<br />

Das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten wächst in jedem Moment, in<br />

dem die Herausforderungen gelingen. So wird eine Erfahrungsspirale in<br />

Bewegung gesetzt, die Kinder stärkt. Entscheidend dabei ist, dass Kinder<br />

nicht überfordert und nicht unterfordert werden.<br />

Während die allgemeine Schule immer noch den „Weg des Gleichschritts“<br />

geht und jeden, der zu schnell oder zu langsam ist, aussortiert, geht die<br />

Klinikschule im Angesicht von Erkrankung und existentieller Bedrohung<br />

einen völlig anderen Weg. Krankenpädagogik geht nicht nur auf das Kind<br />

zu, sondern lässt sich vom Kind den Weg weisen (vgl. Pfeiffer <strong>2010</strong>, 162).<br />

Auf diese Weise wird der Lehrer zum Lernbegleiter. Doch was sollen kranke<br />

Kinder schon groß leisten können, wenn sie gerädert von der Chemotherapie<br />

im Bett liegen, oder ein anorektisches Mädchen nach der Zwangsernährung<br />

trotzig den Schulraum der Klinik betritt?<br />

Auffallend ist zunächst, dass kranke Kinder lernen wollen. Natürlich ist<br />

dies abhängig von ihrer Verfasstheit und ihrer je besonderen Situation.<br />

Aber ein sensibles Zugehen auf das Kind und seine Lernbedürfnisse bringt<br />

oftmals Erstaunliches zu Tage. Nur in ganz wenigen Ausnahmefällen<br />

scheint die Bedrohung des eigenen Lebens so groß zu sein, dass Kinder<br />

resignieren. Auch das verdient Respekt. Doch ist diese Lernresignation<br />

eher ein Seismograph für die übermächtigen Lebensprobleme und nicht<br />

für eine generelle Lernunlust bei kranken Kindern.<br />

Francois Dolto prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des „progressiven<br />

Entwicklungsdranges“. Jedes Kind hat einen Drang in sich, größer<br />

zu werden und zu wachsen. Entwicklung ist immer „vorwärts“ und damit<br />

auf die Zukunft gerichtet! Lernen bzw. Lernzuwachs ist die Grundlage aller<br />

Entwicklung und untrennbar mit Schule verbunden! Konkret „schwingt im<br />

Lernen immer der Gedanke an die Zukunft, die Zeit nach der Krankheit<br />

mit“ (Volk-Moser 1997, 75). Wenn Kliniklehrer und -schüler wieder Zugang<br />

zu diesem - oftmals verschütteten - Quell finden, gelingen Lernprozesse in<br />

eindrücklicher Weise. Dann werden an der Klinikschule aus massiven „Störern“<br />

und „Schulverweigerern“ plötzlich „fleißige Schüler“. Der Schlüssel<br />

dazu liegt mitunter in der eigenständigen Wahl der Aufgaben. Ein Beispiel<br />

soll dies verdeutlichen.<br />

Eine Studentin, Frau Loebell, die ein Praktikum als Lehrerin an einer<br />

Kinder- und Jugendpsychiatrie absolviert hat, berichtet in der Reflexion<br />

darüber von zwei Kindern – Elke und Simon. Das Mädchen und der Junge<br />

hatten ähnliche Schulerfahrungen. Beide 12 Jahre alt, beide ehemals<br />

Hauptschüler der 6. Klasse. Meist kam nach dem „Ausrasten“ die totale<br />

Verweigerung. Sowohl Elke als auch Simon kamen aufgrund der massiven<br />

Schulprobleme an die Klinik. Trotz dieser Parallelen in der schulischen<br />

Vorgeschichte waren die Schülerin und der Schüler völlig unterschiedlich.<br />

„Elke ist sehr groß. Sie überragt nicht nur mich, sondern auch ihre Mitpatientinnen<br />

um viele Zentimeter. Auch ihr Körpergewicht überschreitet das<br />

der anderen Kinder ihres Alters (Loebell <strong>2010</strong>, 9).“ Mächtig in ihrer körperlichen<br />

Erscheinung, und unbeholfen in ihren Sozialkontakten, so charakterisiert<br />

Frau Loebell ihren ersten Eindruck von Elke. Simon hingegen<br />

ist, rein äußerlich betrachtet, das totale Gegenteil. „Simons Füße stecken<br />

in schwarzen Skaterschuhen, die im Vergleich zu seinen Beinen, die unten<br />

aus seiner weißen Hose ragen, riesig wirken. Meistens trägt er eine<br />

rote Sweatshirtjacke mit einem Reißverschluss. Auch der Pullover wirkt<br />

in Anbetracht der schmalen Gestalt des Jungen übergroß. (...) Häufig bewegt<br />

er sich mit schlurfenden Schritten, die Hände in den Taschen seiner<br />

Sweaterjacke vergraben , die Schultern nach unten und etwas nach vorne<br />

hängend, vorwärts (Loebell <strong>2010</strong>,6).“ Wenn Simon seine Hände aus der<br />

Tasche nimmt, rutschen die Ärmel ewig weit über seine Fingerspitzen hinaus,<br />

berichtet die Studentin weiter. Wenn er so dasteht erinnert er an einen<br />

Clown. Frau Loebell entscheidet sich für ein gemeinsames Lernthema<br />

im Fach „Mensch, Natur Kultur“ (MNK): „Meeresbewohner“. Jeder Schüler,<br />

jede Schülerin darf sich eigenständig Meereslebewesen aussuchen und<br />

darüber arbeiten. Elke wählt den Giganten der Meere aus - konkret den<br />

Blauwal - und Simon entscheidet sich schließlich für den Clownfisch, der<br />

zur Gruppe der Anemonenfische gehört und eine Besonderheit aufweist.<br />

Alle Clownfische kommen als Männchen zur Welt. Nur die größten und<br />

stärksten Clownfische des Schwarms verwandeln sich dann zu Weibchen.<br />

Ist es ein Zufall, dass die in ihrer Erscheinung mächtige Elke sich für einen<br />

Meeressäuger - den Blauwal entscheidet und der schmächtige, dürre Junge<br />

Simon in seinen übergroßen Schuhen, für den Clownfisch? Was beide<br />

aber im Klinikunterricht verbindet ist, dass beide, je für sich unglaublich<br />

intensiv ihr Themenfeld der Meeresbiologie erforschen, Modelle basteln<br />

und konzentriert Präsentationen zum Thema vorbereiten. Werden auf<br />

schulischen Nebenwegen mögliche innere Themen bearbeitet, die in therapeutischen<br />

Settings ihre Vertiefung finden können (vgl. Hoanzl 2000,<br />

Hoanzl 2005)? Welchen Beitrag können Beobachtungen in der Schulsituation<br />

für eine differenzierte Diagnostik leisten?<br />

Festzuhalten bleibt: Schule kann Kinder mit Hilfe des Unterrichts aufrichten!<br />

Das gibt neuen Lebensmut und Entwicklungs- bzw. Gesundungspotentiale.<br />

5b) Spurensucher und Fährtenleser – individualisierte, gemeinsame Wege<br />

Klinikschulen scheinen dem Motto zu folgen: „Nicht das System weist uns<br />

den Weg, sondern der Schüler!“ Diese Idee ist nicht neu - sie wurzelt auch<br />

in der Reformpädagogik -, aber angesichts der existentiellen Bedrohungen<br />

von erkrankten und verunfallten Kindern duldet diese Idee keinen Aufschub<br />

mehr!<br />

Das vorangestellte Beispiel von Frau Loebell verdeutlicht eindrücklich,<br />

dass Lernblockaden sich lösen, wenn Kinder nicht nur zu Empfängern von<br />

Aufgaben werden, sondern aktiv und im Rahmen des Möglichen selbstbestimmt<br />

ihre Themen wählen und eigenständig bearbeiten können. Lehrer<br />

gehen mit ihren Schülern individualisierte Weg und begleiten sie dabei.<br />

Auf diesem Wegestellen sich Könnenserfahrungen oftmals wie von selbst<br />

ein. Die Kliniklehrer fordern ihre Kinder, sie machen Angebote und beobachten,<br />

wie diese darauf reagieren. Kliniklehrer wollen etwas von ihren<br />

Schülern, sie fordern sie heraus, aber überfordern oder unterfordern diese<br />

nach allen Regeln der Kunst möglichst nicht.<br />

Beispielsweise entscheiden onkologische Schüler immer eigenständig, ob<br />

und wann sie Klausuren schreiben möchten. Zur Leistung kann kein Kind<br />

gezwungen werden, aber Kinder können zum Leistungsglück verführt werden.<br />

Der Gewinner des Deutschen Schulpreises <strong>2010</strong> ist die Klinikschule<br />

in Oberjoch – Geschwister-Scholl-Schule. Begründet wurde die Preisverleihung<br />

damit, dass die Schule, die ihre Schützlinge in der Regel nur<br />

acht Wochen aufnehmen kann, zum „Gasthaus des Lernens“ wurde und<br />

„ihre Schüler zum Aufblühen bringt“. Mit aufrichtigem Interesse werden<br />

die Klinikschüler aufgenommen und begrüßt. Deshalb überrascht es die<br />

„Sophie-Scholl-Lehrer immer wieder, wie wenig die Kollegen der Heimatschulen<br />

ihre Schüler kennen, obwohl sie diese häufig seit Jahren unterrichteten.<br />

Manche Spalte auf dem von der Schule verschickten Fragebogen<br />

bleibt leer. So gibt es selten Auskunft über das Hörvermögen und dessen<br />

mögliche Beeinträchtigungen. Stattdessen steht da: »Bin ich vielleicht der<br />

Arzt?« Doch mit solchen Kleinigkeiten beginnt die viel beschworene »Individualisierung<br />

des Lernens«: Die Schüler wahrnehmen, sie kennenlernen,<br />

sich für sie interessieren (Kahl <strong>2010</strong>, 1).“<br />

5c) Flexibilität und Sinnhaftigkeit: Lernen im Kontext ungewisser Veränderungen<br />

In der Klinikschule kann es keine Lösungs- und Handlungsstrategien geben,<br />

die auf alle Kinder zutreffen. Die einzelnen Problemlagen sind immer<br />

abängig von der je eigenen Biographie, der kulturellen Zugehörigkeit, den<br />

vorangegangenen Lern- bzw. Schulerfahrungen und der aktuellen Krankheitsgeschichte<br />

der einzelnen Schüler.<br />

Ein kleiner Junge in der psychiatrischen Tagesklinik, der nicht einmal den<br />

Namen seines Vaters kennt, der drei Halbgeschwister von wieder anderen<br />

Vätern hat, und der von seiner Mutter an seine Tante weitergereicht wird,<br />

weil es der alleinerziehenden Frau einfach zu viel mit ihm wird, bringt andere<br />

Problemlagen mit, als das kleine Mädchen, das onkologisch erkrankt<br />

ist und zum zweiten Mal wegen eines Rezidives stationär aufgenommen<br />

wurde, versorgt und begleitet von beiden Elternteilen. Beide Kinder stehen<br />

vor einer völlig neuen Weichenstellung ihres jungen Lebens.<br />

Der kleine Junge, der mit 8 Jahren schon dreimal die Grundschule gewechselt<br />

hat, weil er immer wieder ausgerastet ist und nun endlich in der Klinikschule<br />

ein neues Zuhause findet, will bloß nicht mehr zurück an die alte<br />

Schule.<br />

Das kleine Mädchen, das nach der x-ten Chemotherapie völlig gerädert im<br />

Krankenbett liegt, hat nur einen Wunsch: Es will trotz des ewigen langen<br />

Klinikaufenthaltes die Freundinnen in der Stammschule nicht verlieren. Es<br />

will trotz ständiger Übelkeit lernen, um gemeinsam mit den Klassenkammeraden<br />

in die dritte Klasse kommen zu können.<br />

In beiden Fällen werden die Kliniklehrer gemeinsam mit den Kindern nach<br />

Wegen suchen, die auch für das Kind selbst Sinn machen und zugleich<br />

maßgeschneidert sind.<br />

Der Einzelunterricht am Krankenbett des kleinen Mädchens, der enge<br />

Kontakt zu ihrer Stammschule, der Brief an die Schulklasse und der nagende<br />

Druck, den Anschluss gegen Ende des Schuljahres nicht zu verlieren,<br />

stellt die Kliniklehrer vor große Herausforderungen. Was ist sinnvoller für<br />

das Kind, das Erkennen, dass es nicht mit den Freundinnen gemeinsam<br />

in die dritte Klasse weiterziehen kann oder das Festhalten am potentiell<br />

überfordernden Vorhaben, weil es eben der sehnlichste Wunsch ist?<br />

Der kleine Junge in der psychiatrischen Tagesklinik schafft es wohl immer<br />

besser, seine Ausbrüche vorherzusehen und mit Hilfe der Kliniklehrer zu<br />

stoppen, bevor diese beginnen. Und dennoch kann er nur in geringer Stundendosis<br />

die anderen Kinder der Lerngruppe ertragen, muss immer wieder<br />

aus dem Klassenraum. Wie kann es mit dem kleinen Mann weitergehen?<br />

Wie kann er seine Gruppenfähigkeit ausbauen und welche Schule käme für<br />

ihn in Frage, wenn sein Klinikaufenthalt zu Ende geht?<br />

So wie die Kinder ständigen Wandlungsprozessen unterliegen, so unterliegen<br />

auch die Aufgaben des Kliniklehrers ständigen Wandlungen. Die Beweglichkeit<br />

– d.h. die Flexibilität – des Kliniklehrers ist so wichtig wie seine<br />

Verlässlichkeit. Das Leben der Kinder muss neu ausgerichtet werden. Das<br />

erfordert kleine, aber zukunftsfähige, professionelle und zugleich gemeinsame<br />

Entwicklungsschritte. Gute Lehrer sind immer auch gute Lerner.<br />

Dennoch bleiben sie – um es mit Fürstenau zu sagen - auch Vertreter einer<br />

Institution. Gerade in derartigen Umbruchsituationen ist die Schule d i e<br />

Konstante, und – wie Ertle (vgl. 1997) es sagt - „die Brücke zur Normalität“<br />

und zu den Gesunden.<br />

Unterricht in der Klinikschule ist damit weit mehr als pure Stoffvermittlung<br />

und Nachhilfe. Der Klinikunterricht ist immer auch eine Spurensuche zu<br />

Themen und Inhalten, die für den kranken Schüler subjektiv bedeutsam<br />

sind - auf direkten Wegen, aber auch auf Nebenwegen.<br />

6. Kliniklehrer sind Vorbildnetzwerker<br />

Die „interdisziplinäre Verflechtung“ der Kliniklehrer ist gewiss wichtig,<br />

spiegelt sich doch in der Situation der Lehrer auch die Situation der Kinder,<br />

die ihnen anvertraut sind. Ein Leben im „Netz“, das einmal trägt und in<br />

dem man sich auch leicht verstricken kann.<br />

Betrachten wir kurz aus der Distanz, wer sich in diesem Netzwerk befindet.<br />

Da ist zunächst das kranke Kind und sein Kliniklehrer. Doch beide<br />

sind weiter eingebunden in ihre nahe Schulumgebung. Beim Kliniklehrer<br />

ist es das Kollegium und die Schulleitung, beim kranken Kind sind es die<br />

anderen Schüler der neuen Lernumgebung. Dazu kommt wichtiger Weise<br />

noch der familiäre Kreis des kranken Kindes: Die Eltern, Geschwister,<br />

Großeltern und wer sonst noch dazu gehört. Doch die Schule für Kranke<br />

genügt sich nicht selbst. Sie ist – wie es Volk-Moser (vgl. 1997) trefflich<br />

beschreibt – „der pädagogische Ort im Klinischen Feld“. Ärzte, Therapeuten,<br />

Erzieher und Pflegepersonal sind je nach Krankheitsphase des Schülers<br />

unterschiedlich präsent – manches Mal latent, dann wieder dominant!<br />

Dazu kommt der Kontakt zur Heimatschule. Zu nennen sind: Die bisherige<br />

Klassengemeinschaft des erkrankten Kindes, seine bisherigen Klassenlehrern<br />

und die Schulleitung der Heimatschule. Schulämter, Jugendhilfe, Jugendamt,<br />

Gerichte und Familienhilfe sind auch vielerorts vertreten. Hinzu<br />

kommt oft noch die Suche nach neuen Schulen und Netzwerkpartnern. Einige<br />

Klinikschulen haben darüber hinaus den Kontakt zu den Hochschulen<br />

und Universitäten gesucht, und wirken aktiv in der Lehrerausbildung mit.<br />

Auch das ist eine Besonderheit der Klinikschule. Kliniklehrer arbeiten<br />

nicht nur im bestehenden System, sondern am System! Sie schaffen im<br />

Bedarfsfall neue Netzwerke, wenn es das einzelne Kind oder die Situation<br />

erfordert. Das Projekt „Warteschleife“ – das in einem Workshop von Frau<br />

Ramminger - auch auf diesem Kongress vertreten ist, belegt das eindrücklich.<br />

Dabei werden in konstruktiver Weise „Systemlücken“ überbrückt.<br />

Zurzeit ist es oftmals so, dass ein psychisch krankes Kind mit festgestelltem<br />

psychiatrischem Behandlungsbedarf nicht sofort in der Klinik untergebracht<br />

werden kann. Wartezeiten bis zu einem halben Jahr sind nicht selten.<br />

Dabei tut sich oft ein besonderes Dilemma auf. Das psychisch kranke<br />

Kind kann in seiner alten Heimatschule ohne professionelle Begleitung<br />

nicht mehr gehalten werden und die Klinikschule kann das Kind noch nicht<br />

aufnehmen und auffangen. Das einzelne Kind in dieser Situation nicht allein<br />

zu lassen und es weiteren De-stabilisierungskrisen auszusetzen, ist<br />

das Ziel dieser neuen Netzwerkverbindung.<br />

Hier wird das Netz also enger geknüpft, bevor (!) das Kind hindurch fällt.<br />

Auch darin spiegelt sich der Vorbildcharakter der Kliniklehrer. Nicht das<br />

bestehende System diktiert die Gangart, sondern die Bedürfnisse der Kinder<br />

stehen immer noch im Mittelpunkt.<br />

7. Fazit<br />

Joachim Bauer hat in seiner eingangs vorgestellten Studie empirisch belegt,<br />

dass es einen Wandel der Einstellungen braucht, um die Gesundheit<br />

der Lehrer und Schüler zu verbessern Dieser Wandel hat sich an den Klinikschulen<br />

längst vollzogen. Wer in einem derart komplexen Netzwerk<br />

arbeitet und es zugleich ständig weiter verbessert, kann nicht darin bestehen,<br />

wenn er die interdisziplinären und vielfältigen Beziehungen nicht professionell<br />

reflektiert und pflegt. Dass es hoch engagierte Klinklehrerinnen<br />

und -lehrer gibt, die das bereits unablässig tun, kann nicht darüber hinwegtäuschen,<br />

dass derartige Leistungen nicht ohne weitere Ressourcen<br />

aufrecht erhalten werden können. Möge dieser Vortrag also nicht nur eine<br />

theoretisch fundierte Würdigung der Klinkschularbeit sein, sondern auch<br />

ein Appell an die bildungspolitisch Verantwortlichen, gelingende Systeme<br />

weiter zu stärken – auch finanziell!


30 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

31<br />

8. Dank<br />

An dieser Stelle möchte ich Herrn Ertle danken, der mit seinen zurückliegenden<br />

Forschungsprojekten das Thema „kranke Kinder“ überhaupt<br />

erst in unser Bewusstsein und an unsere Fakultät gebracht hat. Mein besonderer<br />

Dank gilt auch – stellvertretend für das gesamte Kollegium der<br />

Schule für Kranke in Tübingen – Herrn Leutner und Frau Dany. Die enge<br />

Verzahnung von Praxis, Theorie, Forschung und (Hoch)Schulentwicklung<br />

eröffnet neue Wege. Auch Frau Loebell danke ich sehr für ihren „feinen<br />

Blick“ und die vielen Anregungen.<br />

9. Quellenverzeichnis<br />

9.1. Literatur:<br />

II. Vorträge<br />

Jährlich sterben in Deutschland ca. 3000<br />

II. Vorträge<br />

Kinder an lebensverkürzenden Krankheiten<br />

Bauer Joachim (2007): Lob der Schule. Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern. Hamburg. Verlag<br />

Hoffmann und Campe<br />

Bauer Joachim (2009): Warum ich fühle was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone.<br />

München. Heyne Verlag. 14. Auflage<br />

Bosenius Jürgen & Hellbrügge Lukas (2008): „Du fehlst uns noch!“. Partizipation und Zeitsouveränität. Die<br />

Sicht der Schülerinnen und Schüler. Seite 60-67. In: Anja Durdel, Annemarie von der Groeben, Thomas<br />

Trautmann (2008) (Hrsg.) : Schule als Lebenszeit. Lern- und Lebensrhythmen von Kindern, Lehrkräften und<br />

Schulen. Beltz Verlag.<br />

Ertle Christoph (1997): Die Schule für Kranke – „eine Brücke zum ganz normalen Leben“. Seite 11-25 In: Ertle<br />

Christoph (1997) (Hrsg.): Schule bei kranken Kindern und Jugendlichen. Wege zu Unterricht und Schulorganisation<br />

in Kliniken und Spezialklassen. Bad Heilbrunn. Verlag Klinkhardt<br />

Fürstenau Peter (1964): Zur Psychoanalyse der Schule als Institution. Seite 264 – 283. In: Fürstenau Peter<br />

(1974) (Hrsg.): Der psychoanalytische Beitrag zur Erziehungswissenschaft. Darmstadt. Verlag: Wissenschaftliche<br />

Buchgesellschaft<br />

Gerber Eva (2007): Schulzufriedenheit und Schulleistungen : Motive als Moderatorvariablen der Wirkrichtung<br />

des Zusammenhangs. Universität Tübingen, Psychologisches Institut<br />

Gibson Eleanor J., Walk Richard (1960): The “visual cliff” Seite 64-71. In: Scientific American Band 202, 1960<br />

Greenspan Stanley I., Benderly Beryl L. (2001): Die bedrohte Intelligenz : die Bedeutung der Emotionen für<br />

unsere geistige Entwicklung. München. Verlag Goldmann<br />

Hascher Tina (2004): Wohlbefinden in der Schule. Münster. Waxmann Verlag<br />

Hoanzl Martina (2002): Ambivalenz als Herausforderung in der schulischen Arbeit mit schwierigen Kindern<br />

und Jugendlichen – Paradigmenwechsel im pädagogischen Denken: Vom “entweder-oder” zum „und“. Seite<br />

25-49. In: Ertle Christoph, Hoanzl Martina (Hrsg.): Entdeckende Schulpraxis mit Problemkindern. Die Außenwelt<br />

der Innenwelt in Unterricht und Berufsvorbereitung mit schwierigen Schülern und jungen Erwachsenen.<br />

Klinkhardt Verlag. Bad Heilbrunn<br />

Hoanzl Martina (2005): „Ich seh’, ich seh’, was Du nicht siehst ...“- Lernschwierigkeiten vor dem Hintergrund<br />

des subjektiven Erlebens und Verhaltens. S. 46-49 In: Praxis Schule 5-10. Themenheft 4/2005 „Lernschwierigkeiten<br />

begegnen“. Westermann-Verlag. Braunschweig<br />

Hoanzl Martina, Baur Werner, Bleher Werner, Thümmler Ramona & Käppler Christoph (2009): Unterricht in<br />

psychiatrischen Klinikschulen. Seite 404 – 411. In: Opp Günther, Theunissen Georg (Hrsg.) unter Mitarbeit<br />

von Jana Teichmann: Handbuch schulische Sonderpädagik, Bad Heilbrunn, Verlag Klinkhardt<br />

Hüther Gerald (2009): Entwicklungsneurobiologische Ansätze und Perspektiven. Seite 106 – 112. In: Ahrbeck<br />

Bernd, Willmann Marc (Hrsg.) (2009): Pädagogik bei Verhaltensstörungen. Ein Handbuch. Stuttgart. Verlag<br />

Kohlhammer<br />

Hüther Gerald & Michels Inge (2009): Gehirnforschung für Kinder – Felix und Feline entdecken das Gehirn.<br />

München. Verlag Kösel<br />

Klinnert Mary D.., Campos Joseph., Sorce James F.., Emde Robert N., & Svejda Marylin (1983): Emotions as<br />

behavior regulators in infancy: Social referencing in infancy. Seite 57 – 86. In Plutchik Robert & Kellerman<br />

Henry (Hrsg.): Emotion: Theory, research and experience. New York: Academic Press<br />

Müller Andreas (2007): Wenn nicht ich, ...? Und weitere unbequeme Fragen zum Lernen in Schule und Beruf.<br />

Bern. h.e.p. Verlag AG<br />

Oehme Anja (2007): Schulverweigerung : subjektive Theorien von Jugendlichen zu den Bedingungen ihres<br />

Schulabsentismus. Hamburg. Verlag Kovac<br />

Roth Gerhard (<strong>2010</strong>): Verstand oder Gefühl – wem sollen wir folgen. Seite 15-27 In: Roth Gerhard, Grün<br />

Klaus-Jürgen, Friedman Michel (<strong>2010</strong>) (Hrsg): Kopf oder Bauch? Zur Biologie der Entcheidung. Göttingen.<br />

Verlag Vandenhoeck & Ruprecht<br />

Schäfer E. Gerd (Hrsg.) (2003): Bildung beginnt mit der Geburt. Ein offener Bildungsplan für Kindertageseinrichtingen<br />

in Nordrhein-Westfalen. Weinheim, Basel, Berlin. Beltz Verlag<br />

Schiffer Eckhard & Schiffer Heidrun (2003): Lerngesundheit - Lebensfreude und Lernfreude in der Schule<br />

und anderswo. Weinheim und Basel. Beltz Verlag<br />

Singer Kurt (1997): Kränkung und Kranksein. Psychosomatik als Weg zur Selbstwahrnehmung. München.<br />

Verlag Piper. 5. Auflage<br />

Singer Kurt (2000 a): Wenn Schule krank macht. Weinheim. Beltz Verlag<br />

Volk-Moser Andrea (1997): Zwischen Zukunftshoffnung und Resignation –zur Brückenfunktion des Unterrichts<br />

am Krankenbett. Seite 57-76 In: Ertle Christoph (1997) (Hrsg.): Schule bei kranken Kindern und Jugendlichen.<br />

Wege zu Unterricht und Schulorganisation in Kliniken und Spezialklassen. Bad Heilbrunn. Verlag<br />

Klinkhardt<br />

Walke Sophie (2007): Ambivalenz und Schulzufriedenheit : Der Einfluss von schulbezogener Ambivalenz auf<br />

den Zusammenhang von Schulzufriedenheit und Schulleistungen. Universität Tübingen, Psychologisches<br />

Institut<br />

9.2. Internetrecherchen und andere Datenquellen:<br />

Bauer Joachim (2004): Die Freiburger Schulstudie. Pilotstudie. [verfügbar unter: http://www.psychotherapie-prof-bauer.de/schulstudiedeutsch.pdf<br />

Stand 02.11.<strong>2010</strong>]<br />

Beekmann-Knörr Brigitte.: Klinikschule – allgemeine Schule. Erfinderisches Miteinander in gemeinsamer<br />

Praxis für psychisch kranke Schüler. In: Ertle, C.: Abschlußbericht zum interdisziplinären Forschungsprojekt<br />

„Chronisch kranke Kinder und Jugendliche in den allgemeinen Schulen“ – gefördert aus den Mitteln der<br />

Robert-Bosch-Stiftung. [verfügbar unter: www.interklinikschule.de, 12.02.2008]<br />

Kahl Reinhard (<strong>2010</strong>): Ganz oben. In: DIE ZEIT 10.06.<strong>2010</strong>. Deutscher Schulpreis: Ganz oben. ZEIT ONLINE<br />

[verfügbar unter: http://www.zeit.de/<strong>2010</strong>/24/C-alternativ-Schulpreis?page=1 Stand 02.11.<strong>2010</strong>]<br />

Ertle Cristoph.: Abschlußbericht zum interdisziplinären Forschungsprojekt „Chronisch kranke Kinder und<br />

Jugendliche in den allgemeinen Schulen“ – gefördert aus den Mitteln der Robert-Bosch-Stiftung. [verfügbar<br />

unter: www.interklinikschule.de, Stand 12.02.2008]<br />

Hüther Gerald (2006): Eine neue Kulutur der Anerkennung – Plädoyer für einen Paradigmenwechsel in der<br />

Schule. Südwestrundfunk SWR2 Aula – Manuskriptdienst. Sendung vom 26. November 2006 [verfügbar<br />

unter: http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/-/id=1804984/property=download/<br />

nid=660374/1egdfh9/au20061124_3993.rtf Stand: 02.11.<strong>2010</strong>]<br />

Kimmig Astrid: Chronisch kranke Kinder und Jugendliche an den allgemein bildenden Schulen. Ein Forschungsprojekt<br />

an der PH Ludwigsburg, Fakultät für Sonderpädagogik Reutlingen Prof. Dr. Christoph Ertle<br />

in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Uniklinik Tübingen<br />

Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Dietrich Niethammner und Dr. Astrid Kimmig – gefördert von der Robert Bosch<br />

Stiftung [verfügbar unter: http://www.interklinikschule.de/de/docs/ab/vortrag1.pdf Stand 01.11.<strong>2010</strong>]<br />

Loebell Johanna (<strong>2010</strong>): Praktikumsbericht zu einem Blockpraktikum an der Schule für Kranke des Olgahospitals<br />

Stuttgart. Unveröffentlichte Arbeit an der Fakultät für Sonderpädagogik der Pädagogische Hochschule<br />

Ludwigsburg in Verbindung mit der Universität Tübingen mit Sitz in Reutlingen. Oktober <strong>2010</strong><br />

Lohrmann Katrin (2008): Langeweile im Unterricht. Ergänzende Darstellung des Forschungsstands: Zusammenfassung<br />

von Einzelstudien. [verfügbar unter: http://www.waxmann.com/fileadmin/media/<br />

zusatztexte/1896erg.pdf Stand 02.11.<strong>2010</strong>].<br />

Maldoom Royston (2006): Vortrag auf DVD In: Kahl Reihard (Hrsg.) (2006): Die Entdeckung der frühen Jahre.<br />

Booklet und DVD. Archiv der Zukunft<br />

Meschkuta Bärbel, Stackelbeck Martina & Langenhoff Georg (2002): Der Mobbing-Report. Eine Repräsentativstudie<br />

für die Bundesrepublik Deutschland. Dortmund, Berlin. [verfügbar unter: http://www.baua.de/de/<br />

Publikationen/Forschungsberichte/2002/Fb951.pdf?__blob=publicationFile Stand 02.11.<strong>2010</strong>]<br />

Pfeiffer Simone (<strong>2010</strong>): Annäherungen an die Bedeutsamkeit von Schule und Lernen für Kinder mit onkologischen<br />

Erkrankungen. Unveröffentlichte wissenschaftliche Hausarbeit an der Fakultät für Sonderpädagogik<br />

der Pädagogische Hochschule Ludwigsburg in Verbindung mit der Universität Tübingen mit Sitz in Reutlingen.<br />

August <strong>2010</strong><br />

Robert Koch Institut (2008): Erkennen – Bewerten – Handeln. Zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen<br />

in Deutschland. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Berlin und Köln. [ verfügbar unter: http://<br />

www.kiggs.de/experten/downloads/dokumente/KiGGS_GPA[1].pdf Stand 01.11.<strong>2010</strong>]<br />

Singer Kurt (2000 b): Wenn Schule krank macht. Wie macht sie gesund und lernbereit?. [ verfügbar unter:<br />

http://www.prof-kurt-singer.de/buecher4.htm Stand: 02.11.<strong>2010</strong>]<br />

Ölsner Wolfgang (2005): Wenn Schule krank macht. Artikel im Stern, Erscheinugsdatum: 26. April 2005,<br />

15:29; [ verfügbar unter http://www.stern.de/wissen/mensch/studie-wenn-schule-krank-macht-539622.<br />

html Stand: 01.11.<strong>2010</strong> ]<br />

Wüsthof Achim (2006): Krankheit macht Schule. Artikel aus ZEIT ONLINE, Erscheinungsdatum: 29.06.2006 –<br />

01:37 Uhr [verfügbar unter http://www.zeit.de/2006/26/M-Klinikschule Stand: 01.11.2011]<br />

„Die Zeit, die bleibt“ – Palliativ-Medizin und Schule<br />

Prof. Dr. med. Monika Führer<br />

Kinderpalliativmedizin Klinikum LMU München<br />

Definition der WHO: Palliativbetreuung bei Kindern (1)<br />

„Die Palliativversorgung von Kindern umfasst die aktive Betreuung der<br />

physischen, psychischen und spirituellen Bedürfnisse des Kindes und seiner<br />

Familie vom Zeitpunkt der Diagnosestellung an....<br />

Definition der WHO 1998<br />

Palliativbetreuung bei Kindern (2)<br />

…Eine effektive Palliativversorgung benötigt einen multidisziplinären Ansatz,<br />

der die Familie einbezieht und regionale Unterstützungsangebote<br />

nutzbar macht.“<br />

Jährlich sterben in Deutschland ca. 3000 Kinder an lebensverkürzenden<br />

Krankheiten<br />

27%<br />

9%<br />

3% 3%<br />

11%<br />

3%<br />

9%<br />

4%<br />

3%<br />

Infektionen<br />

Neubildungen<br />

Stoffwechsel<br />

Nervensystem<br />

Kreislaufsystem<br />

Atmungssystem<br />

Perinatalperiode<br />

angeb. Fehlbildungen<br />

Nicht klassifizierbar<br />

Sonstige<br />

Kausale Therapie Palliative Therapie<br />

„We need a system a system that integrates that integrates palliative g care palliative with curative care treatment“<br />

Dabbs D, Butterworth L; MCN 2007 with curative treatment“<br />

Dabbs D, Butterworth L; MCN 2007<br />

Preschool as Palliative Care<br />

M.E. Ross, J. Hicks, W.L. Furman J of Clinical Oncology 26(22), 2008<br />

One privilege of caring for children with cancer is witnessing the courage<br />

with which families face life despite the disease.<br />

Therapieziele<br />

• Heilung<br />

• Lebensverlängerung<br />

• Rehabilitation<br />

• Funktionsverbesserung<br />

• Linderung von Leiden<br />

• Verbesserung von Lebensqualität<br />

• Ermöglichung eines „guten Sterbens“<br />

Palliativmedizin an der LMU<br />

Palliativmedizin an der LMU<br />

Lehrstuhl für<br />

Palliativ-<br />

Medi Medizin in<br />

Professur für<br />

Kinderpalliativ-<br />

medizin di i<br />

physisches<br />

LEIDEN<br />

spirituelles<br />

Professur für<br />

Spiritual Care<br />

psychosoziales<br />

Professur für<br />

Soziale Arbeit<br />

in Palliative<br />

CCare<br />

Zitat<br />

„Wir möchten so gerne zu Hause mit unserem Kind und der ganzen<br />

Familie zusammen sein. Aber wir haben solche Angst, etwas falsch zu<br />

machen.“ Mutter eines 3-jährigen Sterbenden<br />

Was sind die größten Hürden für die Eltern?<br />

• Last der Verantwortung<br />

• Erschöpfung<br />

• Angst vor schweren Symptomen und Leiden<br />

• Angst davor, in einer Krise allein zu sein<br />

• Angst, ihrem Kind zu schaden und sein Leben zu verkürzen<br />

• Unsicherheit darüber, wann sie mit dem Tod ihres Kindes rechnen<br />

müssen<br />

• Beunruhigende Vorstellungen vom Sterben<br />

„Wie wird unser Kind sterben?“<br />

Bedürfnisse der Kinder und ihrer Familien<br />

28%<br />

• Sicherheit in der Symptomkontrolle<br />

• Rund-um-die Uhr Erreichbarkeit des Unterstützungsteams<br />

Todesursachen Wann beginnt Kinder Kinder unter 20 unter die Jahre (Bayern 20 Palliativphase?<br />

Jahre 2005, (Bayern n = 602) 2005, n = 602) • Linderung von Leiden bei Patient und Familie<br />

Quelle: Statistisches Landesamt<br />

• möglichst viel gemeinsame Zeit in der Familie<br />

Wann beginnt die Palliativphase?<br />

• Privatsphäre, wenn möglich durch Pflege zu Hause<br />

• tragfähiges Netz für häusliche Betreuung<br />

• Vermeidung sozialer Isolation, Teilhabe am Leben<br />

Spezielle Anforderungen bei Kindern Bei der Palliativbetreuung von<br />

Kindern:<br />

• bestimmen Alter und Entwicklungsstand die Kommunikation und<br />

Interaktion<br />

• sind Eltern, Geschwister und das gewohnte soziale Umfeld wichtig<br />

• ist die Vorstellung von Krankheit und Tod abhängig von Alter und<br />

Entwicklung<br />

• hat die Teilhabe an normalen kindlichen Aktivitäten (Kindergarten,<br />

Schule) therapeutische Bedeutung<br />

Was sind die größten Hürden für die Helfer?<br />

• Mangel an Zeit<br />

• Mangel an Wissen und Erfahrung<br />

• Fehlende Kooperation<br />

• Fehlen klarer Strukturen und Zuständigkeiten<br />

• insuffiziente Information and Kommunikation<br />

• Fehlende Unterstützung (Finanzierung, Beratung)<br />

• Unsicherheit über die gesetzlichen Grundlagen<br />

Bedürfnisse der Helfer<br />

• gesicherter Informationsfluss beim Übergang zwischen den Versorgungsstrukturen<br />

(stationär/ambulant)<br />

• Koordination der verordneten Leistungen und der verschiedenen Helfer<br />

• Beratung des Betreuungsteams in Fragen der Symptomkontrolle<br />

• Organisation von Debriefing-Konferenzen nach dem Tod des Kindes<br />

DDas Projekt P j kt HOM HOMe<br />

Das Projekt HOMe<br />

Zwischen März 04 und Oktober 09 wurden über 220 Kinder und Jugendliche<br />

mit ZZwischen ischen lebensbegrenzenden Mä März 04 und nd Oktobe Oktober Erkrankungen 09 wurden durch dendie über übeKoordinationsstelle 220 Kinder Kinde<br />

Kinderpalliativmedizin und Jugendliche am mit Klinikum lebensbegrenzenden der Universität München Erkrankungen betreut<br />

durch die Koordinationsstelle Kinderpalliativmedizin p<br />

am<br />

Klinikum der Universität München betreut<br />

28%<br />

Diagnosenspektrum Patientencharakteristika<br />

1%<br />

1%<br />

6%<br />

11%<br />

2%<br />

2%<br />

Infektionen<br />

21%<br />

Neubildungen<br />

Stoffwechsel<br />

Nervensystem<br />

Kreislaufsystem<br />

Atmungssystem<br />

12% Perinatalperiode<br />

angeb. Fehlbildungen<br />

Nicht klassifizierbar<br />

Sonstige<br />

15%<br />

Geschlecht 47% Knaben<br />

Migrationshinter-<br />

25%<br />

ggrund nd<br />

Alter (Median) 5 Jahre<br />

(7d – 43 J.)<br />

< 1J. 1J n=31<br />

> 18J. n=12<br />

Perinatale<br />

Betreuungen g 10<br />

verstorben 118


II. Vorträge II. Vorträge<br />

32 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

33<br />

HOMe - Hospiz ohne Mauern<br />

HOMe - Hospiz ohne Mauern<br />

Lebensqualität q<br />

Vernetzungg Fortbildungg<br />

Koordination<br />

und fachliche<br />

Beratung<br />

Multiprofessionelles Team der KKiP<br />

Kinderärzte, ä Sozialpädagoge, S ä Pflegende, f Seelsorger S<br />

Vernetzung in der Palliativversorgung von Kindern in Bayern<br />

AK Pädiatrische Palliativmedizin<br />

• erste Sitzung April 2003<br />

• interdisziplinär und multiprofessionell<br />

• bisher 40 Sitzungen in 2-monatigem Rhythmus<br />

AG Kinderpalliativmedizin in Bayern<br />

• gegründet 2006<br />

• alle Initiativen in der Palliativversorgung in Bayern<br />

• bisher 10 Sitzungen in halbjährlichem Rhythmus<br />

house-Schulung: Teilnehmer<br />

Inhouse-Schulung: Teilnehmer<br />

n<br />

Berufserfahrung in<br />

Jahren<br />

MW ( range) )<br />

Teilnehmende 134 10,6<br />

gesamt<br />

(0,5-37)<br />

Pflegende 95 10 (0,5-37)<br />

Ärzte 21 11 (1,5-30)<br />

Physiotherapeuten 8 11 (0,5-22)<br />

Sozialpädagogen 7 14 (1-30)<br />

Lehrer 2 9 (5 – 12)<br />

Seelsorger 1 9 (3-15)<br />

Aufgaben der Koordinationsstelle Kinderpalliativmedizin (KKiP)<br />

• Vorbereitung der Entlassung nach Hause<br />

• Koordination der häuslichen Palliativversorgung<br />

• Beratung der Eltern und der Helfer<br />

• Sicherung der Kommunikation zwischen den Helfern<br />

• 24/7 tel. Rufbereitschaft spezialisierter Kinderärzte<br />

• Begleitung nach dem Tod des Kindes<br />

• Debriefing-Konferenzen für die lokalen Betreuungsteams<br />

Zuhören, Zuhören, Zuhören, Zuhören<br />

Präventive Funktion<br />

Unterstützung der Familie in der Sterbe- und Trauerphase hilft:<br />

• den Familienverband zu erhalten<br />

• seelische Erkrankungen der Eltern zu vermeiden<br />

• Geschwistern in der Verarbeitung des Verlustes und ...<br />

• ... unterstützt ihre gesunde seelische und körperliche Entwicklung<br />

Evaluation: Geschwisterbetreuung<br />

Patienten mit Geschwistern 63%<br />

verstorbene Geschwister 16%<br />

erkrankte Geschwister 8%<br />

Beratung der Eltern 42%<br />

Therapeutische Intervention 18%<br />

> “Team ist mit den Bedürfnissen des kranken Kindes ausgelastet!”<br />

Multiprofessionelles Betreuungsnetz Betreuungsnetz<br />

Betroffenengruppen<br />

Therapeuten<br />

Sozial-<br />

pädagogen<br />

Spezialambulanz<br />

Familie<br />

Schule Seelsorge<br />

Pflege<br />

Klinikärzte<br />

ambulante<br />

Pflege<br />

Hausarzt<br />

Pilotstudie zur Versorgungsqualität in der pädiatrischen Palliativmedizin<br />

Rene Vollenbroich, Ayda Duroux, Monika Brandstätter, Gian Domenico<br />

Borasio, Monika Führer<br />

Belastung der Eltern<br />

durch die Symptome des Kindes<br />

Belastung der Eltern durch die Symptome des Kindes<br />

p


II. Vorträge II. Vorträge<br />

34 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

35<br />

Als Grundlage aktueller Forschungen dient das Transaktionale Modell der<br />

Entwicklung (Beelmann, 2000), das drei zentrale Dimensionen postuliert,<br />

nämlich<br />

• biologische Ausstattungsmerkmale,<br />

• Faktoren des sozialen Milieus und<br />

• psychische Faktoren.<br />

Diese Dimensionen stehen in Interaktion und beeinflussen sich gegenseitig.<br />

Die wirkenden Faktoren können positive Folgen für die Entwicklung<br />

haben, sie können aber auch das Risiko eines problematischen Entwicklungsverlaufs<br />

erhöhen (Risikofaktoren). Zwar postulieren die Forschungsergebnisse<br />

modellhafte Entwicklungsverläufe (Entwicklungspfade),<br />

zugleich aber wird die Individualität jeder Entwicklung anerkannt. Die Resilienzforschung<br />

(Werner, 1997; Opp & Fingerle, 2007) identifiziert zudem<br />

Schutzfaktoren, die die Wirkung eines Risikos mildern können (Laucht,<br />

Esser& Schmidt, 1999). Die Zusammenhänge lassen sich in der folgenden<br />

Grafik zusammenfassend darstellen (Scheithauer, Niebank & Petermann,<br />

2000, 67).<br />

Abb. 1<br />

Abb. 1: Entwicklungsverständnis<br />

Dieses Erklärungsmodell erweist sich insbesondere bei Entwicklungen<br />

unter Risiko als erklärungsmächtig, es ist zugleich hilfreich für die Begründung<br />

von Maßnahmen zur Prävention und Intervention (Beelmann<br />

& Rabe, 2007). Insbesondere die Forschungen zur Resilienz inspirieren<br />

die Forschung zu einer Neuorientierung in der Entwicklung anwendungsbezogener<br />

Hilfen, die inzwischen auch in der Praxis schulischer und<br />

außerschulischer Erziehungshilfe ankommen (Greenberg et al., 2003).<br />

Wissenschaftlich fundierte Präventionsprogramme nutzen daher die detaillierten<br />

Erkenntnisse neuerer Forschungsergebnisse auf der Basis des<br />

Risiko-Resilienz-Modells zur Konstruktion und Durchführung spezifischer<br />

Fördermaßnahmen. Aktuell fokussiert die Forschung insbesondere die<br />

Förderung der sozialkognitiven Informationsverarbeitung (Crick & Dodge,<br />

1994; Lemerise & Arsenio, 2000).<br />

Prävention – die Chance der Schule<br />

Welchen Bedeutung hat dabei die Schule? Die Schule stellt in den modernen<br />

Industriegesellschaften einen wichtigen sozialen Ort der Entwicklung<br />

dar. Biopsychosoziale Problemkonstellationen schlagen sich gerade in den<br />

stark normativen Kontexten der Schule nieder. Durch Risiken belastete<br />

Schüler treffen hier nicht selten auf eine gesellschaftliche Institution, die<br />

ihre Probleme ignoriert, z.T. zur Verschärfung der Probleme beiträgt (mangelndes<br />

Monitoring) und i.d.R. keine Ressourcen oder Kompetenzen zu deren<br />

Bewältigung (fehlende diagnostische Kompetenzen, keine wirksamen<br />

Präventionsmaßnahmen, Delegierung von Problemlagen) bereit stellt. Andererseits<br />

weist Emmy Werner (1997) in ihrer Liste der protektiven Faktoren<br />

auf der Basis jahrzehntelanger Resilienzforschung auf die Chancen der<br />

Schule und die Bedeutung der Lehrkräfte hin.<br />

Unter welchen Bedingungen arbeitet die Schule in Deutschland? Die Prävalenz<br />

auftretender psychischer Störungen, die nach neuesten Studien in<br />

Deutschland bei ca. 14,7 % liegt (Hölling et al., 2007), korreliert stark mit<br />

der Schulform. Die höchsten Belastungen finden sich nach Remschmidt<br />

und Walter (1990) in der Grundschule, in der Hauptschule und in der Förderschule.<br />

Eine eigene, aktuelle Untersuchung an 514 Fünftklässern in<br />

Kölner Hauptschulen kommt zum Ergebnis, dass 25 % der weiblichen und<br />

sogar 51 % der männlichen Hauptschüler, beurteilt durch die Lehrkräfte<br />

mittels des international standardisierten Messinstruments „Strengths<br />

and Difficulties Questionnaire“ (SDQ; Goodman, 1997), als psychisch auffällig<br />

zu beurteilen sind (Hennemann et al., <strong>2010</strong>). Die Prävalenz in den<br />

verschiedenen Formen der Förderschule liegt ebenfalls sehr hoch (Hillenbrand,<br />

2009a), ganz besonders in Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt<br />

Emotionale und Soziale Entwicklung (Schmid et al., 2007).<br />

Angesichts dieser Ausgangslage gilt für alle Schulformen der Auftrag,<br />

wirksame Handlungsmöglichkeiten möglichst intensiv zu nutzen. Denn<br />

eine zentrale Erkenntnis ergibt sich aus der Entwicklung der Kontrollgruppen<br />

der verschiedenen Studien: Ohne Maßnahmen der Prävention oder<br />

Intervention bleibt grundsätzlich das Ausmaß der Störungen stabil oder<br />

steigt sogar deutlich an (Wilson, Lipzey & Derzon, 2003). Nichts zu tun ist<br />

also ethisch nicht zu verantworten!<br />

Welche Maßnahmen sind dann aber wirksam? Während in Deutschland die<br />

Forschung zur Prävention in der Schule ein Schattendasein fristet, stellt<br />

die Untersuchung von „schoolbased prevention/ intervention“ ein breites<br />

Forschungsfeld im angelsächsischen Raum dar. Umfangreiche Meta-Analysen<br />

(DuPaul & Eckert, 1997, Wilson, Gottfredson & Najaka, 2001; Wilson,<br />

Lipsey & Derzon, 2003) stimmen in der Beschreibung erfolgversprechender<br />

schulbasierter Maßnahmen weitestgehend überein. Präventionsmaßnahmen<br />

in der Schule erreichen generell zwar nur moderate Effektstärken,<br />

aber können dennoch einen signifikanten Beitrag zur Entwicklungsförderung<br />

der Schüler und zur Verbesserung der Schulsituation leisten. Erfolgreiche<br />

schulische Interventionen - gerade bei externalisierenden Störungen<br />

- sind demnach:<br />

• Behaviorale und Classroom Management Programme<br />

• Counseling bzw. Case Management,<br />

• kognitiv-behaviorale Programme und<br />

• akademische Lernprogramme.<br />

Diese Befunde sprechen dafür, dass Kinder und Jugendlichen mit einem<br />

erhöhten Risiko von Gefühls- und Verhaltensstörungen am ehesten von<br />

einer guten Klassenführung (Helmke 2009, Hennemann & Hillenbrand,<br />

<strong>2010</strong>) mit individuell ausgerichteten therapeutischen Maßnahmen, kognitiv-behavioralen<br />

Förderprogrammen und akademischer Lernförderung<br />

profitieren.<br />

Zur Durchführung effektiver Präventionsmaßnahmen lassen sich auf der<br />

Basis verschiedener Metaanalysen Qualitätskriterien wirksamer Prävention<br />

identifizieren (Petermann 2003).<br />

• Früher Beginn der Förderung: Präventionsarbeit sollte möglichst schon<br />

im Kindergarten, Vorschulalter oder Grundschulalter beginnen.<br />

• Längere Dauer der Förderung: Erst ab 3 Monaten Dauer sind Präventionsmaßnahmen<br />

sinnvoll.<br />

• Direkte Förderung der Kinder: Nicht nur die Eltern oder Erzieher, sondern<br />

auch die Kinder selbst sind in die Maßnahme einzubinden.<br />

• Intensive Maßnahmen: Eine Erhöhung der Intensität (höhere Frequenz<br />

der Maßnahme, intensivere Übungen) führt zu besseren Erfolgen.<br />

• Aktive Eltern: Eine kontinuierliche und engagierte Mitarbeit der Eltern ist<br />

sehr hilfreich.<br />

• Multimodale Förderung: Die verschiedenen Ebenen der kindlichen Entwicklung<br />

zu berücksichtigen, also Verhalten, Emotionen und Sprache zu<br />

nutzen, führt zu besseren Erfolgen.<br />

• Nutzung sozialer Ressourcen: Die Unterstützungsmöglichkeiten durch<br />

das soziale Umfeld sollten ermittelt und genutzt werden.<br />

Inzwischen liegen einige deutschsprachige Präventionsprogramme vor,<br />

die gezielt zur Prävention von Gefühls- und Verhaltensstörungen entwickelt<br />

wurden. Sie sind bisher durchgängig als universellpräventive, multimodale<br />

Interventionen konzipiert. Die Tabelle (nächste Seite) gibt einen<br />

Überblick über die wissenschaftlich fundierten Präventionsprogramme<br />

und deren wichtige Strukturmerkmale (Hillenbrand 2009b, 144f).<br />

Einige Anmerkungen können der Orientierung dienen. Das Programm<br />

Faustlos ist weit verbreitet und liegt sowohl für den Kindergarten als auch<br />

für die Schuleingangsphase vor. Es ist relativ kostenintensiv und methodisch<br />

wenig variabel. Zudem konnte die Evaluation bisher nur Effekte bei<br />

ängstlichen Kindern belegen, keine Wirkung hingegen ist bei externalisierenden<br />

Problemen nachweisbar. Das Verhaltenstraining für Schulanfänger,<br />

Sozialtraining in der Schule und das Lebenskompetenztraining sind leicht<br />

zu erhalten und belegen in wenigen und schmalen Evaluationen durchaus<br />

ihre Wirksamkeit.<br />

Das Olweus-Programm und das Good Behavior Game/KlasseKinderSpiel<br />

unterscheiden sich von den zuvor genannten Programmen. Das KlasseKinderSpiel<br />

stellt ein einfaches Verfahren dar, das durch die gruppenweise<br />

Intervention Ebene & Zielgruppe Ziele & Inhalte<br />

Faustlos<br />

(Cierpka & Schick 2001)<br />

Verhaltenstraining für<br />

Schulanfänger (Gerken et al. 2002)<br />

Sozialtraining in der Schule<br />

(Petermann et al. 1999)<br />

Lebenskompetenz-training<br />

(Aßhauer & Hanewinkel 2000)<br />

„Lubo aus dem All!“ – Vorschule<br />

(Hillenbrand, Hennemann &<br />

Heckler-Schell 2009a)<br />

„Lubo aus dem All!“ –<br />

Schuleingangsphase (Hillenbrand,<br />

Hennemann & Hens 2009b)<br />

KlasseKinderSpiel/ Good Behavior<br />

Game (Barrish et al. 1969,<br />

Hillenbrand & Pütz 2008)<br />

Olweus- Schulprogramm (Olweus<br />

2002)<br />

Kindergarten/ Klassenebene<br />

1.-3. Klassen (51 Sitzungen)<br />

2-3 Sitzungen pro Woche (20-30min)<br />

Klassenebene<br />

1. oder 2. Klassen<br />

26 Sitzungen (à 45min)<br />

inzwischen auch erste Evaluationen in<br />

der induzierten Prävention<br />

Klassenebene<br />

3. – 6. Klassen<br />

9 Sitzungen (à 90 min)<br />

Klassenebene<br />

1. & 2. Klassen<br />

Weiterführungen für höhere Klassen<br />

vorhanden<br />

20 Sitzungen à 90 min<br />

Gruppenebene<br />

Kindergarten<br />

34 Sitzungen à 40 – 60 Minuten<br />

Klassenebene<br />

1. und 2. Jahrgang<br />

30 Sitzungen à 40 – 50 Minuten<br />

Klassenebene<br />

Kindergarten bis Sek. 1<br />

alle Schüler<br />

unterrichtsimmanentes Spiel mit<br />

Wettbewerbscharakter<br />

1 mal täglich (auch seltener oder häufiger<br />

möglich)<br />

Dauer der Intervention beliebig, ab 6<br />

Monaten sinnvoll<br />

Sehr gute Evaluationsergebnisse<br />

Schulebene: Fragebogenerhebung, päd.<br />

Tag, Schulkonferenz, Schulhofgestaltung<br />

etc.<br />

Klassenebene: Klassenregeln gegen<br />

Gewalt, Rollenspiele, kooperatives<br />

Lernen<br />

persönliche Ebene: Gespräche mit<br />

Tätern/Opfern, Hilfe von neutralen<br />

Schülern<br />

Dauer unterschiedlich<br />

Verstärkung von prosozialen Verhaltensweisen im Unterricht (Gruppenkontingenzverfahren)<br />

sehr effektiv eine Reduzierung von Störungen und<br />

den langfristigen Schutz vor Aggressivität bis hin zum Drogenkonsum leistet<br />

(Kellam et al., 1998; Hillenbrand & Pütz 2008). Diese Effekte konnten<br />

in internationalen Studien mehrfach repliziert werden (Tingstrom et al.,<br />

2006). Das Olweus-Schulprogramm, ebenfalls häufig und erfolgreich evaluiert,<br />

zielt auf die Veränderung der gesamten Schule und arbeitet dafür<br />

auf verschiedenen Ebenen, nämlich mit dem Kollegium, mit den Eltern,<br />

den Tätern und den Opfern (Olweus 2002). Diese beiden Maßnahmen sind<br />

mehrfach erfolgreich evaluiert worden und gelten als hoch wirksam, insbesondere<br />

bei externalisierenden Störungen.<br />

Und die Intervention?<br />

Im Vordergrund der öffentlichen Diskussion stehen oftmals die externalisierenden<br />

Störungen. Allerdings liegen nur sehr wenige erfolgreich<br />

evaluierte Ansätze vor. Die in der Öffentlichkeit diskutierten Ansätze wie<br />

Boot Camps, konfrontative Verfahren und der Jugendstrafvollzug zeigen in<br />

wissenschaftlichen Studien hoch problematische Wirkungen. Der Jugendstrafvollzug<br />

führt zu einer Rückfallquote von ca. 75 %. Boot Camps reduzieren<br />

dieses Rückfallrisiko langfristig nicht und erfordern zugleich einen<br />

enormen finanziellen Aufwand. Zudem sind in verschiedenen Boot Camps<br />

der USA bereits mehrere Jugendliche zu Tode gekommen. Auch konfrontative<br />

Verfahren, sofern sie evaluiert wurden, führen im Vergleich zu einer<br />

beliebigen Intervention nicht zu einer besseren Bilanz (Hillenbrand 2009a).<br />

Angesichts der Risiko-Belastung und des dargestellten Theorie-Modells<br />

Empathie<br />

Impulskontrolle<br />

Umgang mit Emotionen wie Ärger und Wut<br />

Problemlösefertigkeiten<br />

Motorische Ruhe/ Entspannung<br />

Steigerung der auditiven & visuellen Aufmerksamkeit<br />

Selbst-/ Fremdwahrnehmung<br />

Aufbau von social skills<br />

Angemessenes Problemlöseverhalten<br />

Differenzierte soziale Wahrnehmung<br />

Angemessene Selbstbehauptung<br />

Kooperatives Verhalten<br />

Empathie<br />

Förderung des Selbstwertgefühls, des Körperbewusstseins<br />

Förderung sozialer Fertigkeiten (Kommunikation, Stress-/<br />

Angstbewältigung,<br />

Problemlösen)<br />

Umgang mit negativen Emotionen<br />

Förderung des Emotionswissens, der Emotionsregulation, der<br />

sozialkognitiven Informationsverarbeitung. Betonung liegt auf<br />

pädagogischer Gestaltung<br />

Förderung des Emotionswissens, der Emotionsregulation, der<br />

sozialkognitiven Informationsverarbeitung. Betonung liegt auf<br />

pädagogischer Gestaltung<br />

Abbau von Unterrichtsstörungen („Fouls“)<br />

Gestaltung einer friedlichen Klassenatmosphäre<br />

mehr Lernzeit<br />

wirkt sehr gut, auch zur Prävention von Aggression,<br />

Drogenmissbrauch, Kriminalität<br />

ebenso als Intervention bewährt<br />

unmittelbare Gewalt (d.h. körperliche und verbale Gewalt)<br />

vermindern<br />

Beziehungen unter Gleichaltrigen verbessern<br />

Bedingungen schaffen, die Opfer und Täter den Umgang<br />

miteinander innerhalb und außerhalb der Schule erleichtern<br />

(Transaktionales Entwicklungsmodell) ist leicht nachvollziehbar, dass erfolgversprechende<br />

Interventionen die Mehrdimensionalität der Belastungen<br />

aus verschiedenen Feldern berücksichtigen müssen. Ein international<br />

gut etabliertes und bestens evaluiertes Verfahren stellt die Multisystemic<br />

Therapy dar, die in den verschiedenen Systemen der Lebensrealität des<br />

Jugendlichen, also auch in der Schule, arbeitet. Die Multisystemic Therapy<br />

ist ein zwar aufwändiges, aber langfristig effektives und soziale Kosten<br />

reduzierendes Verfahren, das nach wissenschaftlichen Anforderungen<br />

mehrfach erfolgreich überprüft wurde (Heekerens, 2006). Allerdings wird<br />

es im deutschsprachigen Raum bisher nur im Kinder- und Jugendpsychiatrischen<br />

Dienst im schweizerischen Thurgau eingesetzt.<br />

Die Multisystemische Therapie wurde insbesondere für straffällige Jugendliche<br />

entwickelt (Vierbuchen, Albers & Hillenbrand, <strong>2010</strong>). Sie geht<br />

nach einer sehr klaren Strategie vor, die zu einer hohen Intensität der<br />

Förderung führt. Sie arbeitet in den verschiedenen Lebenssystemen des<br />

Jugendlichen, also neben der Familie beispielsweise mit den Freunden<br />

(Peers), mit der Schule und der Gemeinde.<br />

Die konkrete Arbeit der Multisystemic Therapy besteht vorrangig in einer<br />

intensiven Betreuung des Jugendlichen und seiner Familie. Ein Therapeut,<br />

der sehr unterschiedliche Qualifikationen haben kann, ist für ein<br />

bis höchstens fünf Jugendliche und ihre Familien zuständig. Die Therapie<br />

verknüpft die Lebenssysteme, indem neben der primären Arbeit mit der<br />

Familie auch die Schule und die Peers sowie weitere Bezugspersonen eingebunden<br />

werden. Der Therapeut ist zugleich fest in einer kleinen Arbeits-


II. Vorträge II. Vorträge<br />

36 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

37<br />

gruppe von Therapeuten der Multisystemic Therapy verankert, die sich zu<br />

wöchentlichen Supervisionssitzungen trifft.<br />

Täglich findet eine therapeutische Sitzung mit dem Jugendlichen und der<br />

Familie statt. Hier arbeitet die Familie unter Anleitung des Therapeuten<br />

jeden Tag an konkreten Zielen. Der Therapeut führt Interviews mit den Beteiligten<br />

zur Identifikation der Probleme durch, sucht jedoch mit Hilfe der<br />

diagnostischen Verfahren gleichermaßen nach Stärken und Ressourcen<br />

in der Familie. Die Arbeit mit den Eltern verfolgt auf dieser Basis das Ziel<br />

der Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenz. Zum Einsatz kommen<br />

ebenfalls wirksame Sozialtrainings, die mit dem Jugendlichen selbst und<br />

seiner Familie durchgeführt werden. Dabei spielt die Dimension des elterlichen<br />

Monitoring eine zentrale Rolle: Die Therapeuten stärken und unterstützen<br />

die Eltern darin, bessere und vermehrte Kontrolle auszuüben.<br />

Ein zentrales Merkmal der Multisystemic Therapy ist die ständige Erreichbarkeit<br />

von Hilfe: Der zuständige Therapeut oder einer seiner Kollegen, die<br />

über den Prozess gut informiert sind, ist 24 Stunden am Tage und sieben<br />

Tage in der Woche erreichbar. Die therapeutische Einrichtung sitzt zudem<br />

in räumlicher Nähe, so dass eine schnelle Hilfe und ein kurzfristiger Kontakt<br />

gewährleistet ist.<br />

Die Therapie dauert vier bis fünf Monate, was einen erstaunlich kurzen<br />

Interventionszeitraum darstellt. Die hohe Intensität der Maßnahme führt<br />

jedoch in den fundierten wissenschaftlichen Untersuchungen zu einer<br />

sehr hohen Effektstärke (d = 3.88), die die beste Wirksamkeit für diese<br />

Zielgruppe überhaupt darstellt. Es entstehen dabei durchschnittliche Kosten<br />

von ca. 5.700 US-$ pro Klient (Stand 1999). Aufgrund der Wirksamkeit<br />

der Maßnahme, die zu einer Halbierung der Rückfallquote auf 38 % führt<br />

(!), amortisiert sich der finanzielle Aufwand jedoch bereits nach zwei Jahren<br />

(Vierbuchen et al., <strong>2010</strong>).<br />

Die Multisystemic Therapy wird inzwischen als Dienstleistung angeboten<br />

und gilt als eine der wenigen wirksamen Verfahren für die Zielgruppe hoch<br />

belasteter, delinquenter Jugendlicher. Sie ist jedoch im deutschsprachigen<br />

Raum (noch) weitgehend unbekannt.<br />

Fazit<br />

Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen erfordern effektive<br />

Maßnahmen der Prävention und Intervention im Netz der Kooperation von<br />

Medizin und Pädagogik. Die Schule besitzt dabei Chancen, die sie häufig<br />

nicht kennt und daher auch nicht nutzt. Qualifizierte Fortbildungen für<br />

die Fachkräfte sind gerade angesichts der Forderung nach Inklusion und<br />

mehr Gemeinsamkeit im Bildungssystem ein notwendiger Schritt, um für<br />

alle Beteiligten bessere Entwicklungs- und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.<br />

Die Schule kann dann für Kinder und Jugendliche unter riskanten<br />

Entwicklungsbedingungen zu einem chancenreichen Lebensraum werden.<br />

Aßhauer, M. & Hanewinkel, R. (2000). Lebenskompetenztraining für Erst- und Zweitklässler: Ergebnisse einer<br />

Interventionsstudie. Kindheit und Entwicklung, 9, S.251-263.<br />

Barrish, H.; Saunders, M. & Wolfe, M. (1969). Good behavior game: effects of individual contingencies for<br />

group consequences on disruptive behavior in a classroom. Journal of Applied Behavior Analysis, 2, S.119-124<br />

Beelmann, A. (2000). Prävention dissozialer Entwicklungen: Psychologische Grundlagen und Evaluation früher<br />

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Erlangen-Nürnberg<br />

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Krankenpädagogik als Pädagogik in Extremlagen<br />

Wolfgang Oelsner<br />

Sonderschulrektor Johann-Christoph-Winters-Schule<br />

Schule für Kranke der Stadt Köln<br />

Wer krank ist, hofft gesund zu werden. Krankheit ist etwas Vorübergehendes.<br />

Sie ist keine Behinderung. Sie mag heftig und schmerzhaft sein,<br />

letztlich bleibt sie aber episodenhaft. Ihre Beeinträchtigungen sind nur<br />

Ausnahmen von der Regel „Gesundheit“.<br />

Begriffe und Erlasse<br />

Diese Bemerkung zum umgangssprachlichen Verständnis sei meinen Ausführungen<br />

vorangestellt, weil sie die Dynamik der Arbeit in einer „Schule<br />

für Kranke“ betrifft. Der Begriff Krankheit präjudiziert eine kurzzeitige<br />

Verlaufserwartung. Die ist in einer Schule für Kranke aber nicht Realität.<br />

Unser Berufsstand hat mit Schülern, die im Rahmen der durchschnittlichen<br />

stationären Verweildauern von weit unter einer Woche bleiben,<br />

beispielsweise nach einem chirurgischen Eingriff, i. d. R. nichts zu tun.<br />

Denn trotz unterschiedlicher Vorgaben in unserem Bildungsföderalismus<br />

quantifizieren alle Bundesländer die staatlich vorgeschriebene Zugangsberechtigung<br />

mit einer „voraussichtlich mindestens vierwöchigen Liegezeit“.<br />

Selbst in der einstigen Keimzelle der Krankenpädagogik, der Orthopädie,<br />

erfüllt diese Bedingung kaum noch jemand.<br />

Heute konzentriert sich unser Einsatz auf wenige somatische Spezialstationen<br />

wie Onkologie, Hämatologie, Nephrologie (Dialyse) oder auch Reha-<br />

Abteilungen. Auf den neuen Schwerpunkt Jugendpsychiatrie komme ich<br />

gleich gesondert zu sprechen.<br />

Unterrichtet werden dürfen allerdings Kinder und Jugendliche, die „in regelmäßigen<br />

Abständen stationär behandelt werden“ (KMK, 1998). Deren<br />

stationäre Behandlungstage können zu Jahressummen addiert werden.<br />

Betroffen sind davon vor allem Kinder mit Diabetes, Rheuma, Allergien,<br />

Mukoviszidose (CF = cystische Fibrose), Niereninsuffizienzen. In letzter<br />

Zeit fokussieren sich vermehrt einzelne Stationen der Kinderkrankenhäuser<br />

–auch in tagesklinischen Settings- auf solche immer wiederkehrenden<br />

Patienten mit chronischen Krankheitsverläufen. (Über die statistische Zunahme<br />

dieser Patientengruppe vgl. Michels, 1996)<br />

Damit sei ein zweiter Begriff vorangestellt: chronisch krank. Ihm fehlt das<br />

Vorübergehende und Episodenhafte des Krankheitsbegriffs. Das Gegenteil<br />

ist der Fall. Dauerhaft erkrankte Patienten werden sich auf einen langfristig<br />

irreversiblen Status ihres Leidens einstellen müssen. Droht dadurch eine<br />

Lebensverkürzung, ist umgangssprachlich auch von „unheilbar krank“ die<br />

Rede. Chronisch krank zu sein, jedoch nicht akut lebensbedroht, ist eine<br />

Diktion in der Schnittmenge von krank und behindert.<br />

Chronische Krankheiten sind Einschnitte ins Lebenskonzept<br />

Mit einer Behinderung zu leben, ist ein hoch belastendes Schicksal für<br />

Betroffene wie Angehörige. Deren Lebensumstände sind erschwert. Allerdings<br />

sind sie auch geklärt. Nach anfänglichem Aufbegehren, Leugnen<br />

oder auch eurphorischem Aktionismus lässt die Gegenwehr allmählich<br />

nach. Die Beeinträchtigung wird dann nicht geringer, doch die Betroffenen<br />

und ihr Umfeld beginnen sie zu akzeptieren, mit ihr zu leben, sich zu arrangieren.<br />

Im Idealfalle söhnen sie sich mit ihr aus.<br />

Anders ist die Situation bei Krankheit. Da will nichts zur Ruhe kommen, da<br />

will sich keiner arrangieren, aussöhnen oder hingegeben. Da wird gehofft<br />

und aufbegehrt. Die Krankheit soll schnell verschwinden. Sie soll nichts<br />

weiter sein als eine unliebsame Episode, die möglichst bald zu vergessen<br />

ist. Am besten durch Demonstration der alten Leistungsfähigkeit.<br />

Doch die jungen Patienten leiden an schweren, oft sehr schmerzhaften,<br />

länger anhaltenden Krankheiten. Chronische Krankheiten schneiden tiefer<br />

ins Lebenskonzept ein als Skalpelle bei Bl<strong>indd</strong>armentzündungen, tiefer als<br />

in der Orthopädie behandelte Brüche, nach denen man absehbar wieder<br />

laufen kann.<br />

Patienten, die für eine SfK noch zugangsberechtigt bleiben, sind überwiegend<br />

sehr lang anhaltend oder chronisch krank. „Chronische und<br />

psychosomatische Erkrankungen dominieren heute im Wesentlichen das<br />

Krankheitsgeschehen von Kindern und Jugendlichen in industrialisierten<br />

Ländern“ (Schindler-Marlow im Rheinischen Ärzteblatt, 2007, Heft 4, S.11).<br />

Wir Klinikpädagogen sehen deshalb auf den Stationen hohe Belastungen<br />

und Schlappheit der Patienten. Doch wir sollten nicht übersehen, dass<br />

dahinter Kämpfe toben können. Kämpfe des Aufbegehrens.<br />

Gesellschaftliches Klima<br />

Chronisch kranke Kinder und ihre Eltern begehren nicht nur gegen lebensverkürzende<br />

Prognosen auf. Sie kämpfen auch gegen drohenden Verlust<br />

von gesellschaftlicher Inklusion und Partizipation. Obwohl die Tücke in der<br />

Krankheit liegt, macht sie sich bei den Betroffenen oft personalisierend<br />

fest. Nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Ohnmacht. Vor der Folie solcher<br />

intra- und interpsychischen Prozesse geschieht Unterricht im Krankenhaus.<br />

Ich will die noch um einen Blick auf den gesellschaftspsychologischen<br />

Kontext erweitern.<br />

Das gesellschaftliche Klima zu Beginn des neuen Jahrtausends erwartet<br />

in den Industriestaaten den erfolgreichen Menschen. Es fordert den<br />

geförderten Schüler (vgl. „Generationenbarometer“ 2009, Institut für<br />

Demoskopie Allensbach). Scheitern und Krankheit sind nicht vorgesehen.<br />

In der Arbeitswelt drückt sich das beispielsweise in statistischen<br />

Feststellungen eines niedrigen Krankheitsstands aus. Krankheit gefährdet<br />

die gesellschaftliche Teilhabe. In der Bildungswelt dokumentiert ein<br />

Gründungsboom an Privatschulen und Nachhilfezentren das Streben um<br />

bestmögliche Abschlüsse. Sie zu verfehlen, kommt einem gesellschaftlichen<br />

Todesurteil gleich. Leistungsmindernde Krankheitseinbrüche werden<br />

dann dramatisierend wahrgenommen - oder bagatellisierend abgewehrt.<br />

Die Zeitschrift „Eltern“ machte zum Schulanfang 2005, als in vielen Bundesländern<br />

auf die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf insgesamt<br />

12 Jahre umgestellt wurde, mit einem Titelbild auf, bei dem aus dem<br />

Ranzen des Erstklässlers ein Wimpel mit der Kennung herausragte „Abi<br />

017“. Auszeiten oder Wiederholungsschleifen durch Krankheiten sind bei<br />

solchen Rechnungen nicht einkalkuliert. Die werden ignoriert oder sollen<br />

mittels Spezialisten und Medikamenten ungeschehen gemacht werden.<br />

In diesem Erwartungsklima müssen Krankenpädagogen damit rechnen, als<br />

Zulieferer eines perfekten Reparatursystems gesehen zu werden. Nach einer<br />

Klinikentlassung soll alles möglichst ungebrochen weiter gehen. Dafür<br />

gibt es „Nachhilfe auf Krankenschein“, wie die Arbeit von Kliniklehrern<br />

zuweilen missverstanden wird. Solche Wünsche sind legitim. Das Bereitstellen<br />

von Lehrkräften durch den Staat geschieht zum großen Teil auch<br />

aus diesem Denken heraus. Ich zitiere aus den KMK-Empfehlungen, 1998:<br />

„Der Unterricht (gemeint ist der im Krankenhaus) bietet den Schülerinnen<br />

und Schülern die Möglichkeit, trotz ihrer Krankheit mit Erfolg zu lernen;<br />

Befürchtungen, in den schulischen Leistungen in Rückstand zu geraten,<br />

werden vermindert.“ Probleme gibt es jedoch, wenn die Wirklichkeit vielschichtiger<br />

ist, als Konzepte es sein können.<br />

Unterrichten unter Berücksichtigung der Beziehungsebene<br />

Wer unterrichtet wird, dem traut man eine Zukunft zu. Diese banale Aussage<br />

hat für lebensbedrohlich erkrankte Kinder und deren Eltern eine Bedeutung.<br />

Halb scherzhaft und zugleich voll von ernster Lebenshoffnung fallen<br />

auf der Kinderkrebsstation Sätze wie dieser: „Die Lehrerin nervt dich auch<br />

am Krankenbett noch mit dem Einmaleins. Doch wer das tut, glaubt, dass<br />

du bald in deine alte Klasse zurück kommst.“ Auch wenn die Berufserfahrung<br />

uns einen sehr kritischen Krankheitsverlauf erwarten lässt, werden<br />

wir Krankenpädagogen solche Prognoseinterpretationen unkommentiert<br />

lassen. Wir werden aushalten müssen, dass die Akzeptanz eines schmerzhaft<br />

erlebten Leistungsverlust bei Kind und Eltern Zeit braucht und Phasen<br />

des Widerstands vorausgehen können.<br />

So werden wir auch das umfangreiche Unterrichtsmaterial, das Heimatschulen<br />

als Zeichen der Verbundenheit und Hoffnung auf Wiederkehr besonders<br />

in der ersten Phase eines längeren Klinikaufenthalts in die Klinik<br />

schicken, zunächst einmal annehmen. Hilfreicher als es sofort als Überforderung<br />

zurückzuweisen, ist eine Annahme etwa mit den Worten: „Schön,<br />

dass deine Klasse an dich denkt und dein Klassenlehrer sich so viel Mühe<br />

macht. Wenn du nicht alles schaffst, wird er bestimmt Verständnis dafür<br />

haben. Ich werde ihm sagen, wie eifrig du hier lernst. Ich mache ihm aber<br />

auch klar, dass du hier auf Station unter so ganz anderen Bedingungen<br />

arbeitest und dass es Tage geben kann, an denen einem nicht so viel Kraft<br />

fürs Arbeiten zur Verfügung steht. Von früheren Schülern weiß ich, dass<br />

die Heimatschulen es akzeptieren, wenn wegen der Krankheit phasenweise<br />

auch mal gar nichts geht.“<br />

Erfolgreich können wir nur unterrichten, wenn wir den psychosozialen Lebenskontext<br />

unserer Schüler im Blick haben. Das bedeutet, dass gleichbedeutend<br />

zur curricularen Professionalität unsere Präsenz auf der Beziehungsebene<br />

gefordert ist. Ich formuliere mein erstes Statement deshalb so:<br />

Statement I<br />

Die Berücksichtigung der Beziehungsebene ist originärer Bestandteil des<br />

Unterrichtens in der Klinik. Sie ist kein Monopol der psychologischen Professionen.<br />

Sie sollte allerdings auch kein Monopol der Krankenpädagogik sein.<br />

Lehrkräfte als Projektionsflächen des Widerstands


38 II. Vorträge 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

II. Vorträge<br />

39<br />

Die meisten Kinder und Eltern sind froh über eine schulische Entlastung.<br />

Der Beginn einer Krankheit lässt ohnehin alle anderen Lebensbereiche in<br />

den Hintergrund treten. Es ist aber auch mit kurzen, verschärften Phasen<br />

des Widerstands zu rechnen, in denen die nicht mehr zu leugnenden körperlichen<br />

Funktionsverluste mit intellektuellen Ansprüchen kompensiert<br />

werden wollen. Der behutsame Lehrer wird das nicht mit Sonderlob noch<br />

verstärken. Er nimmt es zunächst einfach an, um es bei fortschreitendem<br />

intellektuellen Kompetenzverlust zu betrauern. Dann gilt es, der drohenden<br />

Resignation entgegen zu arbeiten.<br />

Bei Kindern, die eine Krankheit überleben, fortan aber nur eingeschränkt<br />

leistungsfähig sein werden, sehen Kliniklehrer sich manchmal phasenweise<br />

einer negativen Projektion seitens Eltern und Patient gegenüber.<br />

Während dem medizinischen System Dankbarkeit für den Lebenserhalt<br />

entgegengebracht wird, kann sich an der Lehrperson die Enttäuschung<br />

über die Kompetenzeinbuße fest machen, etwa wenn sich die Notwendigkeit<br />

zum Wechsel der Schullaufbahn in ein „niedrigeres System“ herausstellt.<br />

Kinder, und mehr noch ihre Eltern, benötigen Zeit, bis sie Ziele neu,<br />

bescheidener formulieren können. Denn Funktionsverluste beim eigenen<br />

Kind sehen zu müssen, stimmt Eltern nicht nur traurig. Sie können von<br />

ihnen auch als eigene narzisstische Kränkung erlebt werden.<br />

Degenerative Prozesse des Kindes bedeuten eine unermessliche Enttäuschung.<br />

Die kann abgewehrt werden, indem man die Gründe im unqualifizierten<br />

oder zu geringen Fördereinsatz der Helfer ausmacht. Bei intellektuellem<br />

Funktionsverlust bei den Lehrkräften. Das entlastet Eltern und<br />

schützt sie vor möglichen negativen Affektentladungen beim Kind.<br />

Klinikpädagogen sollten ein Mindestmaß an psychologischen Kenntnissen<br />

über unbewusste Wirkmechanismen haben, etwa den Phänomenen Identifikation,<br />

Projektion, Übertragung und Gegenübertragung.<br />

Mein zweites Statement lautet deshalb:<br />

Statement II<br />

Klinikpädagogen kalkulieren das Phänomen der Übertragung im Unterricht<br />

ein und wissen, dass Schüler die Defizite und Ängste ihrer Lebenswirklichkeit<br />

auch an unterrichtenden Bezugspersonen stellvertretend abarbeiten.<br />

Eine kontrollierte Gegenübertragung schützt vor Beziehungsirritationen<br />

und hilft Schülern, nachreifende Schritte zu gehen.<br />

Wenn wir Lehrkräfte zur Projektionsfläche des Widerstand werden, müssen<br />

wir uns sehr disziplinieren und sollten auf keinen Fall affektiv reagieren.<br />

Wenn wir den drohenden Verlust empathisch mitbetrauern und gleichzeitig<br />

eine professionelle Zentrierung auf schulische Themen beibehalten,<br />

können wir den Eltern Impulse für alternative Beschulungsmöglichkeiten,<br />

unorthodoxe Bildungswege, auch „Nischen“ und „Tricks“, geben. Langfristig<br />

öffnen sich dadurch neue Sichtweisen für neue Lebenskonzepte.<br />

Wirksam können wir den psychischen Irritationen vor allem dann begegnen,<br />

das mag paradox klingen, wenn wir den Kindern ganz Lehrer, ganz Didaktiker<br />

bleiben. Ich will das in einem dritten Statement so formulieren:<br />

Statement III<br />

Es ist hilfreich, wenn Kliniklehrkräfte therapeutisch sehen und verstehen<br />

können. Handeln werden sie jedoch stets als Schulpädagogen. Ihr Instrument<br />

bleibt die Didaktik auf der Basis von Empathie.<br />

Die Auswahl bestimmter Unterrichtsinhalte kann Impulse setzen, wie sie<br />

in Therapien auch angestrebt werden. Unterrichtsstoffe können einen<br />

Transfer auf andere Lebensbereiche zulassen. Fächer wie Deutsch, Religion,<br />

Gesellschaftswissenschaften bieten unter dem Schutz eines anerkannten<br />

Kulturguts prinzipiell die Möglichkeit, auch extreme Lebenslagen<br />

und ihre Bewältigungsmöglichkeiten als allgemeine Menschheitserfahrung<br />

darzustellen.<br />

Unterricht als Chance zur Mentalisierung der Affekte<br />

Unterricht, der die Lebenswirklichkeit von Schülern einbezieht und sie mit Kulturgut<br />

beantwortet, kann zur „Mentalisierung der Affekte“ (Fonagy u.a., 2004)<br />

beitragen. Jugendliche können einen Affektzustand in einem Werk der Literatur<br />

oder Musik gespiegelt sieht. Das muss nicht immer unseren Geschmack<br />

finden. Aber ein seelisches Aufbegehren, das sich beispielsweise in aggressi-<br />

ver Rockmusik entäußert, kanalisiert sich mit Stilmitteln der Kultur.<br />

Auf diesem, auch in späteren Entwicklungsjahren noch möglichen Phänomen<br />

einer Affektspiegelung durch Kultur beruhen womöglich die oft<br />

verblüffenden (selbst-)erzieherischen Effekte von schulischen Kulturprojekten<br />

mit hoch belasteten, schwierigen Jugendlichen, beispielsweise im<br />

Tanzprojekt „Rhythm is it“ von Roger Maldoom, Sir Simon Rattle, den Berliner<br />

Philharmonikern u. a. (2004).<br />

Jugendliche suchen Affektspiegelungen auch in eigenen Gestaltungsübungen<br />

mit Sprache, Musik, Malerei oder Musik und kommen damit oft nahe<br />

an Aussagen der Hochkultur heran. Dazu ein Beispiel aus meiner Schulpraxis:<br />

Herrmann Hesse verdichtete Gefühle zum Thema „Abschied“ in seinem<br />

Gedicht „Stufen“. Auf vielen Abschiedsfeiern wird es vorgetragen, mit<br />

dem bekannten Schlussappell: „Wohlan denn Herz, nimm Abschied und<br />

gesunde!“ Der siebzehnjährige Nils, der nach vielen Beziehungsabbrüchen<br />

und Schulverweisen in unserer Klinikschule der Jugendpsychiatrie seinen<br />

Hauptschulabschluss nachholte, kommt zu folgender Aussage, als er auf<br />

das Erinnerungsbild seiner Schule schrieb: „Abschied ist ein Thema, über<br />

das keiner gerne spricht. Es ist ein Gefühl von Trauer und Einsamkeit. Es<br />

vermittelt aber auch ein Gefühl von Aufbruch und Neuem.“ Für Nils war es<br />

der erste reguläre Schulabgang seines Jugendalters. Alle früheren Schulen<br />

musste er nach Übergriffen und Impulsdurchbrüchen zwangsweise verlassen.<br />

Der Abschied aus der Klinikschule fiel ihm schwer, und in früheren Jahren<br />

hätte er die negative Spannung mit Handgreiflichkeiten oder anderen<br />

destruktiven Aktionen begleitet. Doch er hatte -wenn auch spät- gelernt,<br />

Sprache zu nutzen, wo einst nur Affekt war.<br />

Statement IV<br />

Die curriculare Auswahl unterstützt Affektsteuerung und Mentalisierungsprozesse.<br />

Unterrichtsinhalte beinhalten auch in extremen Lebensphasen<br />

Chancen der Identifizierung und projektiven Entlastung. Sie fördern die<br />

Sprachnutzung, wo einst nur Affekt war.<br />

Unterrichtsinhalte vermögen auch Verlust- und Abschiedserlebnisse in<br />

einen tröstlichen kulturellen Kontext zu stellen. An den Erfahrungen anderer<br />

teilzuhaben und sich diese mittels der eigenen Fähigkeiten zu erschließen,<br />

bewahrt Schüler vor einer Fixierung in der eigenen Ohnmacht. Über<br />

den Satz von Ernst Bloch „Ich bin – aber ich habe mich noch nicht“ konnte<br />

in einer oberen Klasse der Jugendpsychiatrie ein Wochenprojekt in den<br />

Fächern Deutsch, Religion, Kunst und Gesellschaftslehre gestaltet werden.<br />

Das Entzünden eines identifikatorischen Funkens kann nicht erzwungen<br />

werden. Aber er kann durch die Bereitstellung des Materials in einer<br />

warmherzigen Atmosphäre als Möglichkeit erhofft werden. Stets vermag<br />

die Arbeit am Kulturmaterial die Aktivierung und Ausdifferenzierung noch<br />

erhaltener Ich-Funktionen zu fördern.<br />

Begleiteter Abschied von Lebenskonzepten auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />

Die letzten Beispiele führten uns zu einem Arbeitsfeld der Krankenpädagogik,<br />

das der SfK während der letzten 20 Jahre ihre Existenz sicherte:<br />

die Etablierung von Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes-<br />

und Jugendalters. Schulen für Kranke sind heute zu größten Anteilen<br />

Schulen in den KJPs. Zunehmend erhalten sie eine Infrastruktur wie Förderschulen,<br />

mit Gruppenräumen für Kleinklassen, Fachräumen und eigenem<br />

Schulgebäude.<br />

Der Wechsel von den primär somatisch kranken zu psychisch kranken<br />

Schülern erschien zunächst als völliger Bruch im Berufsbild der Krankenpädagogik.<br />

Zwar waren in beiden Klinikfeldern extreme Lebenssituationen,<br />

auch der Tod, anzutreffen, doch entsprangen sie völlig verschiedenen<br />

Lebenskontexten: hier die schicksalhaft herein brechende lebensverkürzende<br />

Krankheit, dort die selbst zugefügten Verletzungen bis hin zum versuchten<br />

Suizid.<br />

An drei Beispielen aus der KJP will ich deutlich machen, dass in den so<br />

unterschiedlich erscheinenden Bereichen die Anforderungen an unsere<br />

Lehrerhaltung und didaktische Reflexion so abweichend nicht sein müssen.<br />

Wechslerstudie<br />

Auch in der KJP werden Lebenskonzepte enttäuscht und müssen krank-<br />

heitsbedingt umgeschrieben werden. Auch psychische Erkrankungen<br />

erzwingen Abschied von Hoffnungen, Illusionen, Wünschen. Auch hier<br />

werden wir Lehrkräfte die Erwartung mancher Eltern von einer kompensierenden<br />

„Nachhilfe auf Krankenschein“ enttäuschen. Und weil Lebensziele<br />

bei jungen Menschen vornehmlich Bildungsziele sind, werden wir Lehrkräfte<br />

gebraucht, wenn sie behutsam zu neuen Ziele gelenkt werden müssen.<br />

Beispielsweise wird für viele KJP-Patienten mit der Klinikentlassung<br />

ein Schulwechsel nötig.<br />

Ein Drittel aller unterrichteten Schüler in NRW wechselt nach der KJP-Entlassung<br />

die Schule, die meisten auch die Schulform. (vgl. Oelsner/ Reichle<br />

2008) Die hohe Schulwechslerquote lässt vermuten, dass psychische Erkrankungen<br />

im Jugendalter vielfach durch „falsche Beschulung“ verschärft,<br />

mitunter verursacht werden. Die Krankenpädagogik wird dann im Verbund<br />

mit dem System Medizin zum „korrigierenden Weichensteller der Schullaufbahn“<br />

(dies. 2009). Wir Kliniklehrkräfte wirken dann auf den Stationen bei<br />

diagnostischen Aufgaben mit, die sonst bei schulpsychologischen Diensten<br />

angesiedelt sind. Die Schulwechsler erfordern nicht nur unsere Empathie<br />

sondern auch technisches und schulorganisatorisches Wissen, etwa über<br />

die schulrechtliche Erlasslage, über probatorische Optionen, Nachversetzungen<br />

und Schulbegleitungen. (Vgl. Harter-Meyer 2000).<br />

Statement V lautet daher:<br />

Statement V<br />

Realitätsprüfung, Krankheitseinsicht und –bewältigung ist immanentes Förderziel<br />

von Unterricht, Beratung und Diagnostik in einer Klinikschule. Zur Realitätsakzeptanz<br />

gehört auch eine Krankheits- und Verlustakzeptanz.<br />

Trauerarbeit als integriertes didaktisches Ziel<br />

Der gemeinsame Nenner, auf dem wir uns in der Tradition unseres Berufsbilds<br />

wiederfinden, sind die extremen Lebenslagen. Es sind die auf<br />

Bettenstationen wie in KJPs gleichermaßen enttäuschten, verletzten oder<br />

zerstörten Lebenskonzepte junger Menschen und ihrer Angehörigen. Denn<br />

die Schulwechsel bei psychischen Erkrankungen erfolgen fast ausschließlich<br />

in „rangniedrigere“ Systeme.<br />

Schüler wie auch ihre Angehörigen müssen in einem langwierigen, meist<br />

sehr schmerzhaften Prozess erkennen, dass sie die gesteckten Ziele nicht<br />

erreichen können. Ihre Lebensperspektiven müssen vorerst, manchmal<br />

auch für immer korrigiert werden. Auch auf psychiatrischen Stationen ist<br />

vom Klinikpädagogen eine Trauerarbeit als integriertes didaktisches Ziel<br />

gefragt. Es geht um die Akzeptanz, dass nach Feststehen der Diagnose,<br />

bzw. nach dem traumatischen Ereignis, die Welt anders angegangen werden<br />

muss als zuvor. Ohne Akzeptanz der Begrenzung und des Abschieds<br />

haben Ermutigung und Neuformulierung von Zukunft keine Basis.<br />

Daher in Erweiterung des letzten Aspekts nun Statement VI<br />

Statement VI<br />

Auch die Befähigung zur Trauerarbeit ist immanentes Ziel im Unterricht<br />

und bei Schullaufbahnberatungen vor allem chronisch kranker Schüler.<br />

Die SfK pflegt eine Kultur sowohl des Abschiednehmens als auch der Ermutigung<br />

und Zukunftsfindung.<br />

Gespräche mit Eltern, deren Kind durch Unfall oder Tumor Körperfunktionen<br />

irreparabel verlor, sind wechselnd von Wut und Trauer, Aufbäumen<br />

und Resignieren begleitet. Auch in der Jugendpsychiatrie, dies mein zweiter<br />

Aspekt, finden sich diese Reaktionen wieder. Hier erfolgt die Lebensbegrenzung<br />

nicht durch eine Körperschädigung. Es ist eine jugendpsychiatrische<br />

Diagnose, die jäh die Sicht von der Lebensperspektive eines<br />

Kindes ändert. Das betrifft natürlich nicht die zahlreichen ADS-Diagnosen,<br />

die im Primarstufenalter durch eine KJP-Intervention gut korrigiert werden<br />

können. Doch eine Psychose oder Borderlinestörung im Jugendalter wird<br />

sich nicht als kurzzeitige oder mittelfristige Episode abhandeln lassen.<br />

Beispiel Asperger Autismus<br />

Es gibt Kinder, die kommen mit dem Verdacht auf ADS, Zwänge, Hochbegabung<br />

oder Essstörung zu einem klärenden Klinikaufenthalt. Bei manchen<br />

werden die Störungen als Komorbidität eines Asperger Autismus diagnostiziert.<br />

Bei den Betroffenen kann das Reaktionen wie bei der Feststellung<br />

einer irreparablen Stoffwechselerkrankung auslösen. Eltern wie Schülern<br />

wird behutsam erklärt werden müssen, dass Autismus nicht „wegthera-<br />

piert“ werden kann, dass man die Empathiestörung behalten wird, mit ihr<br />

aber leben lernen kann.<br />

Schulisch gilt es in solchen Fällen, Nischen abseits des ursprünglich geplanten<br />

Bildungsweges zu finden. Diese Aufklärung wird im Verbund mit<br />

Medizinern oder Psychologen geleistet. Die Einbeziehung der Lehrkraft ist<br />

immer unerlässlich, da die Konsequenzen einen individuellen Paradigmenwechsel<br />

in Unterricht und Schulleben bedeuten. Das System Schule wird<br />

schließlich die didaktische und soziale Neuausrichtung vorbereiten und<br />

ermutigend erfahrbar machen.<br />

Sollten – was gelegentlich vorkommt – andere Berufsgruppen die Einbeziehung<br />

der Eltern durch Klinkpädagogen als ihr Monopol beanspruchen,<br />

können wir Lehrkräfte auf unseren staatlichen Auftrag verweisen. Die<br />

Rahmenempfehlungen der KMK (1998) legitimieren die über Wissensvermittlung<br />

hinaus gehenden Interventionen nicht nur, sie formulieren den<br />

Kontakt zu den Eltern gar als ein pädagogisches Obligo: „Erziehungsberechtigte<br />

sowie Schülerinnen und Schüler müssen beraten und meist über<br />

längere Zeit begleitet werden.“ (§1.2) . Im Anforderungsprofil an Lehrkräfte<br />

werden somit konsequenterweise eingefordert Fortbildungen in „Gesprächsführung“,<br />

„Befähigung zur Beratung und Zusammenarbeit“ sowie<br />

„Informationen über Krankheitsbilder und deren mögliche Auswirkungen<br />

auf physisch-psychische Entwicklung“ (§ 8.4). Ich fasse somit in Statement<br />

VII zusammen:<br />

Statement VII<br />

Elternarbeit ist obligatorischer Bestandteil des Unterrichts mit kranken<br />

Schülern. Sie gehört mit zum staatlich erwarteten Erziehungs- und Beratungsauftrag<br />

von Kliniklehrkräften.<br />

Aushalten von Amokproblematik<br />

Mein drittes Beispiel extremer Lebenssituationen im Unterricht einer<br />

KJP-Schule drängt sich nur phasenweise brisant ins Bewusstsein unserer<br />

Kollegien. Als Phänomen ist es in einer KJP-Schule aber permanent<br />

zu berücksichtigen. Es geht um Jugendliche, von denen eine potenzielle<br />

Amokläufergefahr ausgeht. Nach Schockmeldungen wie aus Erfurt 2002,<br />

Emsdetten 2006, Winnenden 2009 werden wir Schulkollegien in den KJPs<br />

uns unseres besonderen Spannungsfelds stets neu bewusst.<br />

Die SfK in der KJP unterrichtet genau an jenem Ort, an dem man jugendliche<br />

Amokläufer präventiv untergebracht und behandelt sehen möchte.<br />

Von ihnen werden Profile einer fehl entwickelter Persönlichkeit gezeichnet,<br />

wie sie uns KJP-Lehrkräften vertraut sind: mangelndes Selbstwertgefühl,<br />

soziale Isolation, Einnisten in Scheinwelten, Erfolglosigkeit, Gewaltphantasien,<br />

hoher Konsum aggressiver Medienspiele gehören dazu. Deshalb<br />

unterstützt eine Klinikschule mit ihren Angeboten das, was hinsichtlich<br />

Prävention und Therapie für solche Jugendlichen propagiert wird: Aufbau<br />

und Intensivierung von Beziehungen, soziale Integration, Vermittlung von<br />

Erfolgserlebnissen, Vermeidung und Aufarbeiten von Kränkungen, Vermittlung<br />

von Ausbildungs- und Lebensperspektiven, Austausch destruktiver<br />

Lösungsstrategien gegen konstruktive, Auflösung wahnhafter Verarbeitungsformen<br />

durch soziokulturell anerkannte Realitätsfelder.<br />

So zutreffend Täterprofile inzwischen gezeichnet werden können, so diffus<br />

sind sie, um daraus im Vorfeld klare Prognosen zu treffen. Schon in<br />

Grundschulen wird täglich geballert, wird anderen der Hals umgedreht, die<br />

Welt in Flammen gelegt, sich zum Herrscher aufgeschwungen – im Spiel.<br />

Kinder, die so spielen, können doch nicht vom Unterricht ausgeschlossen<br />

werden. Es gehört ja gerade zum Erziehungsauftrag, Kinder zu befähigen,<br />

Affekte nicht auszuagieren, sondern zu lernen, sie mittels Wort und Kultur<br />

zu symbolisieren.<br />

Es gibt kein objektivierendes Skalenwerk, das uns Pädagogen immer und<br />

eindeutig sagt, bei welchem Grad von Unentwickeltheit in der Symbolisierungsfähigkeit<br />

jemand aus dem Verkehr gezogen gehört. Hier Entwicklungsprozesse<br />

nachholen zu lassen, ist ja auch ein Auftrag unserer Spezialschulen.<br />

Und je fortschrittlicher eine SfK ausgebaut ist, desto tückischer<br />

holen wir uns das Spannungsfeld ins eigene Haus hinein. Etwa, wenn es<br />

ein separates Gebäude mit eigenen Zugangswegen gibt, und wenn sich<br />

diese aus Gründen der Enthospitalisierung und Realitätserprobung zur<br />

Nachbarschaft hin öffnen.


II. Vorträge II. Vorträge<br />

40 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

41<br />

Will eine SfK Jugendlichen zur Neupositionierung Raum und Gelegenheit<br />

geben, wird sie auch ein Schulleben pflegen und Aktionen machen. Dies<br />

bedingt auch Freizügigkeit. Freizügigkeit beinhaltet jedoch Risiken, erst<br />

recht, wenn eine SfK im Anschluss an die stationäre Behandlung noch<br />

Lernort für die ambulante Übergangszeit bleibt, die Jugendlichen also<br />

als „externe Schüler“ kommen. Es ist ja keineswegs so, dass alle „weggesperrt“<br />

müssen, die nach der stationären Behandlung noch zu labil für<br />

eine Regelschul-Belastung sind.<br />

Natürlich zeigen Jugendliche in den Phasen großer Belastungen und Irritiertheit<br />

Verhaltensweisen, aus denen sich im Nachhinein, nach einer<br />

Katastrophe, potentielle Tätermerkmale ablesen lassen. Daraus aber von<br />

vorn herein Ausschlusskriterium des SfK-Schullebens zu machen, hieße,<br />

sich einem breiten Indikationsfeld der Jugendpsychiatrie zu verweigern.<br />

Denn als komorbide Auffälligkeiten gehören manche Persönlichkeitsdefizite<br />

von Amokläufern auch zu anderen, ungefährlicheren Symptomkomplexen.<br />

Mehr noch: sie sind geradezu Charakteristika für Durchgangsphasen<br />

jugendlicher Entwicklungen. Deshalb finden wir sie auch in allen Lehranstalten<br />

vor. Doch in den Störungsbildern an unserer Schulform spitzt sich<br />

das Spannungsfeld zu.<br />

In unserer Kölner Schule haben wir immer wieder Schüler, die zu heftigen<br />

Diskussionen im Lehrerzimmer führen, ob wir sie ambulant noch halten<br />

sollen. Solche Fälle polarisieren und können spalten. Denn Hilfe für Gefährdete<br />

und Gefährdung der Helfer liegen mitunter nahe beieinander.<br />

Jugendliche pauschal der Einrichtung zu verweisen, löst nichts. Damit<br />

entfiele nicht nur die Hilfe. Die Kränkung durch den Verweis erhöhte zugleich<br />

ihre Gefährlichkeit. Denn zur Schule haben sie selten nur eindeutig<br />

ablehnende Gefühle, eher empfinden sie eine Hass-Liebe. Enttäuschte<br />

Liebe ruft nach Rache und narzisstischer Rehabilitierung. Auch das sind<br />

Tatmotive eines Amoklaufs. Käme es tatsächlich zu einer Gewalttat lauteten<br />

mögliche Vorwürfe: „Wie konnte die Schule gerade diesen Schüler<br />

ausschließen?“ Und die Medien fänden Schlagzeilen wie: „Perspektivlosigkeit<br />

trieb zur Verzweiflungstat!“ Hätte man ihn in der Schule gehalten,<br />

formulierten sie genau anders: „Warum hat man diese tickende Zeitbombe<br />

nicht vorher aussortiert?“<br />

Wenn eine Entscheidung nach einer Seite hin immer ein Risiko bedeutet,<br />

steckt man in einem Dilemma. Ein solches kann durch fachprofessionelle<br />

Vernetzung abgefedert werden. Auflösen lässt es sich nicht. Nur aushalten.<br />

Mit hoher Sensibilität, Umsicht und Verantwortung. Das Dilemma will<br />

erkannt und formuliert sein, um nach einer Güterabwägung eine Teamentscheidung<br />

herbeizuführen.<br />

Dass Amokläufe bislang an Regelschulen stattfanden, ist keine Garantie,<br />

dass Klinikschulen davon ausgenommen bleiben. Diese gute Erfahrung<br />

kann uns aber ermutigen, den täglichen Entscheidungsdruck zuversichtlich<br />

auszuhalten. Solche Täterprofile gibt es in allen Schulen. Doch in unseren<br />

Einrichtungen ist die Wahrscheinlichkeitsdichte höher. Allerdings<br />

sind die Jugendlichen eingebunden in ein Behandlungssystem. Und während<br />

ich hier in München gelassen darüber referiere, kann mir keiner garantieren,<br />

dass es im heimischen Köln nicht brenzlig wird. Noch lässt mich<br />

die über zwanzigjährige Berufserfahrung mit dieser Klientel vertrauen,<br />

dass Orte der Beziehungsarbeit und Vertrauensbildung – und das sind wir<br />

SfKs - nicht das vorrangige Ziel von Zerstörung sein werden. Schule wird<br />

gerade von diesen Schülern als „haltender Rahmen“ erlebt.<br />

Statement VIII<br />

Schülern mit instabiler Persönlichkeit bietet der Besuch der Klinikschule<br />

einen „haltenden Rahmen“, eine Chance zum “Strukturaufbau“. Aspekte<br />

des „Containment“ beeinflussen Stundenplangestaltung und Lerngruppenzuweisung.<br />

Die Schule für Kranke als „Schule eigener Art“<br />

Die schulpolitischen Folgerungen aus dem Gesagten will ich in zwei<br />

SchlussStatements zusammenfassen.<br />

In NRW haben wir vor sechs Jahren heftig protestiert, als wir im neuen<br />

Schulgesetz nicht den Status einer „Förderschule“ bekommen sollten,<br />

nachdem wir über Jahrzehnte zum Kranz der zehn Sonderschultypen im<br />

Land gehört hatten. Es half nichts. Wir erhielten den seltsamen Sonderstatus<br />

„Schule eigener Art“. Mehr als diesen Begriff schätzen wir heute die<br />

Möglichkeiten, die damit verbunden sind. Was und wer sind wir eigentlich?<br />

Statement IX<br />

„Die Schule in der Psychiatrie ist das, was es ohne sie nicht gäbe“.<br />

Sie ist nicht nur eine Schule eigener, sondern auch einzigartiger, notwendiger<br />

Art!<br />

Diese Antwort bleibt unkonkret, doch ich finde sie so treffend, dass ich<br />

bedaure, dass sie nicht von mir stammt. Der erste Teil ist meine Abwandlung<br />

einer Formulierung von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung<br />

im Mai diesen Jahres, der auf die Frage „Was ist Kirche?“ schrieb: „Kirche<br />

ist das, was es ohne sie nicht gäbe.“<br />

Kultur der Offenheit<br />

Erfolg oder Misserfolg unserer Arbeit in der SfK hängt zu einem großen<br />

Teil davon ab, wieweit die in den Statements genannten Aspekte berücksichtigt<br />

werden können. Zwei Voraussetzungen lassen sich jedoch kaum<br />

operationalisieren und als Verpflichtung einfordern. Sie setzten eine bestimmte<br />

Haltung aller Beteiligten voraus. Die lässt sich nur sehr unspezifisch<br />

benennen, sie ist jedoch definitiv gemeint:<br />

Statement X<br />

Konstruktive Kooperation mit allen am kranken Schüler beteiligten Berufsgruppen<br />

sowie dessen Eltern gelingt nur, wenn eine Kultur der Offenheit<br />

gepflegt wird. Dazu gehört die Akzeptanz der Fachautoritäten durch Eltern<br />

und Schüler sowie umgekehrt deren Bereitschaft, dem kranken Schüler<br />

und seinen Eltern als „Experten in eigener Sache“ zu vertrauen.<br />

Von einem Effekt bin ich nach 40 Jahren Berufserfahrung mit Lerngruppen<br />

von Behinderten und chronisch Kranken ganz fest überzeugt: Gewinner eines<br />

offenen Umgangs mit Krankheit werden alle Mitglieder einer Lern- und<br />

Sozialgemeinschaft sein. Dieser Effekt strahlt bis in die zukünftige Klasse<br />

hinein, die unsere Schüler nach der SfK besuchen werden. Ein chronisch<br />

krankes Kind in der Klasse ist nicht nur Belastung, es ist stets auch Chance<br />

für das Klassenklima. Sie können im Umgang mit Abweichungen von<br />

unseren Medien-, Model- und Werbehochglanzbotschaften und dem von<br />

Models vorgegebenem Menschenbild andere Lebenspositionen kennen<br />

lernen. Verändertes Aussehen oder abweichende Lebensgewohnheiten,<br />

beispielsweise durch Injektionen, frühes Ermüden, Sportliche Schlappheit,<br />

Überempfindlichkeit im Koch- oder Chemieunterricht, verlieren den<br />

Anruch des Peinlichen, Abnormen, Unheimlichem, wenn Schüler ihren<br />

Klassenkameraden damit umgehen sehen. Krankheit als Zustand muss<br />

dann nicht aus dem Leben junger Menschen weggelogen werden, sondern<br />

darf als Lebenskrise, unter Umständen lebenslange Beeinträchtigung akzeptiert<br />

werden, die jeden treffen kann. (Christoph Ertle, 2002)<br />

Pädagogik und Humor<br />

Ein Allerletztes: Natürlich brauchen wir Krankenpädagogen eine wissenschaftliche<br />

Ausbildung. Wir benötigen medizinisch-psychologische Basiskenntnisse<br />

über Diagnosen, Symptome und Prognosen. Nützen wird der<br />

anspruchsvolle Überbau unserer Arbeit jedoch nur, wenn aus einer ganz<br />

anderen Dimension etwas Elementares hinzukommt: Humor. Der ist das<br />

zweite Merkmal, das nicht eingefordert, aber erhofft werden kann.<br />

Statement XI<br />

Wissenschaft hilft uns, kranke Kinder und Jugendlichen zu zu unterrichten.<br />

Humor hilft uns, ihre und unsere Situation anzunehmen und auszuhalten.<br />

Als wir vor Jahren einen Namenspatron für unsere Schule suchten, waren<br />

zunächst verschiedene Wissenschaftler im Gespräch. Durchsetzen konnten<br />

wir beim Stadtrat einen Namen, der im Rheinland für eine ganz andere<br />

Sparte als für Wissenschaft steht: Johann-Christoph-Winters.<br />

Dieser Johann-Christoph-Winters begründete das hierzulande überaus beliebte<br />

Kölsche Hänneschen Theater, inzwischen fast 200 Jahre alt. Winters<br />

ist der geistige Vater jener Gestalten, von denen man zwei sicherlich auch<br />

in München kennen wird. Tünnes und Schäl, Hänneschen und Bärbelchen.<br />

Aus dem Bauch heraus, man möchte sagen „aus Volkes Bauch heraus“, traf<br />

er menschliche Typisierungen, mit denen wir überall als Rheinländer identifiziert<br />

werden. Die Psychologie sollte erst später Begriffe dafür finden. In<br />

der Tat könnte man die Figuren des Stockpuppentheaters heute mit psychiatrischen<br />

Diagnosen nach der ICD 10 belegen.<br />

Die Figuren des Puppentheaters, die eine ganze Region typisieren, zeigen,<br />

dass es zwei Möglichkeiten gibt, menschliches Verhalten begrifflich zu fassen:<br />

die akademische und die volkstümliche. Letztgenannte kommt mit<br />

Humor rüber.<br />

Humor nimmt nicht nur „auf den Arm“ sondern auch „in den Arm“. Ich<br />

werde Sie nun weder auf noch in den Arm nehmen. Ich danke schlichtweg<br />

für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

I<br />

Die Berücksichtigung der Beziehungsebene ist originärer Bestandteil des<br />

Unterrichtens in der Klinik. Sie ist kein Monopol der psychologischen Professionen.<br />

Sie sollte allerdings auch kein Monopol der Krankenpädagogik sein.<br />

II<br />

Klinikpädagogen kalkulieren das Phänomen der Übertragung im Unterricht<br />

ein und wissen, dass Schüler die Defizite und Ängste ihrer Lebenswirklichkeit<br />

auch an unterrichtenden Bezugspersonen stellvertretend abarbeiten.<br />

Eine kontrollierte Gegenübertragung schützt vor Bezieh ungsirritationen<br />

und hilft Schülern, nachreifende Schritte zu gehen.<br />

III<br />

Es ist hilfreich, wenn Kliniklehrkräfte therapeutisch sehen und verstehen<br />

können. Handeln werden sie jedoch stets als Schulpädagogen. Ihr Instrument<br />

bleibt die Didaktik auf der Basis von Empathie.<br />

IV<br />

Die curriculare Auswahl unterstützt Affektsteuerung und Mentalisierungsprozesse.<br />

Unterrichtsinhalte beinhalten auch in extremen Lebensphasen<br />

Chancen der Identifizierung und projektiven Entlastung. Sie fördern die<br />

Sprachnutzung, wo einst nur Affekt war.<br />

V<br />

Realitätsprüfung, Krankheitseinsicht und -bewältigung ist immanentes Förderziel<br />

von Unterricht, Beratung und Diagnostik in einer Klinikschule. Zur<br />

Realitätsakzeptanz gehört auch eine Krankheits- und Verlustakzeptanz.<br />

VI<br />

Auch die Befähigung zur Trauerarbeit ist immanentes Ziel im Unterricht<br />

und bei Schullaufbahnberatungen vor allem chronisch kranker Schüler.<br />

Die SfK pflegt eine Kultur sowohl des Abschiednehmens als auch der Ermutigung<br />

und Zukunftsfindung.<br />

VII<br />

Elternarbeit ist obligatorischer Bestandteil des Unterrichts mit kranken<br />

Schülern. Sie gehört mit zum staatlich erwarteten Erziehungs- und Beratungsauftrag<br />

von Kliniklehrkräften.<br />

VIII<br />

Schülern mit instabiler Persönlichkeit bietet der Besuch der Klinikschule<br />

einen „haltenden Rahmen“, eine Chance zum “Strukturaufbau“. Aspekte<br />

des „Containment“ beeinflussen Stundenplangestaltung und Lerngruppenzuweisung.<br />

IX<br />

„Die Schule für Kranke ist das, was es ohne sie nicht gäbe“.<br />

Sie ist nicht nur eine Schule eigener, sondern auch einzigartiger, notwendiger<br />

Art!<br />

X<br />

Konstruktive Kooperation mit allen am kranken Schüler beteiligten Berufsgruppen<br />

sowie dessen Eltern gelingt nur, wenn eine Kultur der Offenheit<br />

gepflegt wird. Dazu gehört die Akzeptanz der Fachautoritäten durch Eltern<br />

und Schüler sowie umgekehrt deren Bereitschaft, dem kranken Schüler<br />

und seinen Eltern als „Experten in eigener Sache“ zu vertrauen.<br />

XI<br />

Wissenschaft hilft uns, kranke Kinder und Jugendlichen zu unterrichten.<br />

Humor hilft uns, ihre und unsere Situation anzunehmen und auszuhalten.<br />

1„Schule für Kranke“ ist die von der KMK-Konferenz 1998 verwendete Bezeichnung einer eigenständigen<br />

Schulform im „Förderschwerpunkt Unterricht kranker Schülerinnen und Schüler“. Sie löst frühere und umgangssprachlich<br />

immer noch gebräuchliche Bezeichnungen wie „Krankenhausschule“ ab. In diesem Beitrag<br />

umfasst sie auch alternative Organisationsformen wie „Krankenhausunterricht“, teilweise auch „Hausunterricht“.<br />

2 Lt. einer am 13.7.2009 veröffentlichten Meldung des Bundesgesundheitsministeriums erreichte der Krankenstand<br />

in den Betrieben mit statistischen 3,5 Ausfalltagen im ersten Halbjahr 2009 den niedrigsten Wert<br />

der Nachkriegszeit. Als Begründung wird eine hohe Hemmschwelle aus Sorge um den Erhalt des Arbeitsplatzes<br />

angegeben.<br />

3 Lt. einer dpa-Meldung vom 15.9.2009 verdoppelte sich die Zahl der Privatschüler in Deutschland zwischen<br />

1987 und 2007.<br />

4 Abschlussfeier der Städt. Schule für Kranke in den Universitätskliniken Köln, Sommer 2009<br />

5 Später bereiten die jugendlichen Patientenschüler eine Ausstellung in einem Kölner Museum zum Thema<br />

„Hiob – warum gerade ich?“ vor. In einem fächerübergreifenden Schulprojekt arbeiteten sie hier mit Lehrkräften<br />

für Deutsch, Geschichte, Kunst sowie mit Klinikseelsorge und Klinikleitung zusammen.<br />

6 In Großstädten mit Universitätskliniken wie Köln, Essen, Aachen, Bonn, Münster lagen die Schulwechsler-<br />

Anteile noch höher, bei rd. 40%. Das heißt, dort, wo eine dichtere und differenzierte schulische Infrastruktur<br />

die Angebote für Wechsel erhöhen, da werden sie auch genutzt.<br />

7 Hänneschen als „Hansdampf in allen Gassen“ ist ein Hyperkinetiker (ICD 10 F 90.1); seine herumstreunende<br />

Dauerfreundin Bärbelchen zeigt ausgeprägten Schulabsentismus (F 91.2);Tünnes sieht man schon an der<br />

roten Knollnase die latente Suchtstruktur (F 10.7) an; und sein Kompagnon Schäl ist der Mann, der mehr zu<br />

sein vorgibt, als er ist, dabei keine Intrige scheut, also Symptome einer paranoiden Persönlichkeitsstruktur<br />

zeigt (F 60.0).<br />

The Child-Friendly Paediatric Health Care Model<br />

Prof. Dr. med. Jochen H. H. Ehrich, D.C.M.T. (London)<br />

Department of Paediatric Kidney, Liver and Metabolic Diseases<br />

of Hannover Medical School, Germany.<br />

This article focuses on vulnerable children with chronic diseases and on<br />

the role of paediatricians, teachers and other stakeholders in todays complex<br />

health systems.<br />

Paediatricians are not aiming at creating a monopoly; instead they favour<br />

the team approach of all caregivers.<br />

Paediatrics is characterised by the diversity, variety and heterogeneity<br />

of health care offered in the 51 European countries with more than 200<br />

million children aged less than 18years and with more than 200.000 paediatricians.<br />

Paediatrics respects the rules on child development which<br />

state that an adolescent is not a young adult, a school child is not a small<br />

adolescent, an infant is not a small child, an neonate is not a small infant<br />

and a premature newborn is not a small neonate. Paediatricians care for<br />

both healthy and sick children. Health care management differs according<br />

to where: inpatient care in hospitals, outpatient care in hospitals or in private<br />

practices, homecare and rehabilitative care in special rehabilitation<br />

units. Paediatric health care focuses on the patient and not on diseases;<br />

however children with acute diseases need a completely different case<br />

management than children with chronic diseases. Special care is given<br />

to underprivileged and marginalised children such as children with chronic<br />

diseases and disabilities, children with a migrant background and poor<br />

children. Approximately 20% of the child population suffers from a chronic<br />

disease and with a few exceptions, almost all these chronic diseases are<br />

rare diseases with more than 1.000 different disease entities. Rare diseases<br />

mean affecting less than 1 patient per 5.000 people. Children have<br />

by far a longer period to cope with their chronic disease or disability than<br />

adults. The transition from paediatric to adult medical care is a multi-factorial<br />

challenge. Children have no voice in society and their caregivers do not<br />

speak with one voice, which has led to considerable inequity of health care<br />

in many European countries.<br />

The Council of Europe has recently developed “the Child-Friendly Health<br />

Care Model” which will be presented to 47 Ministers of Health on the occasion<br />

of the Ministerial Conference to be held in September 2011 in Lisbon.<br />

The preamble of this health-care model reads: Sustainable development<br />

fulfils the needs of the present generation without endangering the needs<br />

of future generations. The aim is to create a virtuous cycle to improve


II. Vorträge III. Workshops und Foren<br />

42 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

43<br />

children’s health in Europe with the dictate of the “4 Musts”: Protection,<br />

Prevention, Provision and Participation.<br />

As the child-friendly health care model should be applicable to all age<br />

groups of children and to all disease groups affecting children, this manuscript<br />

selected children with chronic kidney diseases and transplantation<br />

to show how this design in terms of references may be applied to<br />

help stakeholders in improving paediatric health in different European<br />

countries.<br />

Protecting children with kidney diseases means eliminating nephrotoxic<br />

substances from the environment of children, for instance, heavy metals<br />

and nephrotoxic drugs thus fulfilling the criteria of primary prevention.<br />

There is also a need for the avoidance of over and under diagnosis of urinary<br />

tract diseases which may harm children, and the same holds true for<br />

over and under treatment of urinary tract diseases. Last but not least, a<br />

lack of education must be avoided.<br />

Prevention of kidney diseases includes genetic counselling of at risk families.<br />

Secondary prevention will include cost-free mass screening of all<br />

children to identify urinary tract diseases using urinary dip sticks and ultrasonography<br />

or, if the cost-benefit ratio is negative then secondary prevention<br />

should be offered to risk groups only, i.e., prematures and small<br />

for gestational age newborns. Most chronic kidney diseases start early<br />

in life and many of them remain undetected because of a lack of clinical<br />

symptoms and signs. Early diagnosis of kidney diseases is required and,<br />

once diagnosed, treatment should aim at halting the progression of chronic<br />

kidney disease and reducing extra-renal comorbidity by adequate therapy<br />

thus fulfilling the criteria of tertiary prevention. Pedagogic counselling<br />

must be offered to risk families and to teachers as well as all persons<br />

involved in vocational training of transplanted patients.<br />

Adequate nephrological care includes the provision of adequate, affordable,<br />

accessible, available diagnostic and therapeutic renal care as well as<br />

equity, efficacy and efficiency of renal care including modern supportive<br />

technology. National health care systems must provide adequately trained<br />

teams of caregivers including specialised paediatric nephrologists, nurses,<br />

dialysis teams, pharmacists, psychologists, teachers, dieticians, career<br />

advisors, physiotherapists and others. These human resources need<br />

training, accreditation, continuous medical education and supervision to<br />

guarantee high standards of medical care. Health ministries must provide<br />

a sufficient number of child-adequate children’s hospitals with a renal<br />

unit, dialysis unit and kidney transplant unit which fullfils the criteria of<br />

paediatric centres of excellence. Child-friendly renal replacement therapy<br />

means that transplantation is more adequate than peritoneal dialysis and<br />

peritoneal dialysis is more child-friendly than haemodialysis. One of the<br />

most recent challenges has turned out to be the provision of a basis for<br />

rational use of essential drugs, their safety and distribution. The off-label<br />

use of drugs which are not tested in a paediatric population exposes children<br />

to additional risks. Paediatric nephrologists must provide evidencebased<br />

practice guidelines which are based on pure scientific findings,<br />

however their national application may depend on country-specific priorities<br />

influencing appropriate use and updating. Paediatric nephrologists<br />

represent around 1% of all paediatricians and they should provide interaction,<br />

communication and referral with primary paediatric health caregivers.<br />

This could be a paediatrician or a general practitioner depending on<br />

the different primary paediatric health care systems in Europe. Paediatric<br />

nephrologists must provide a guided transfer of adolescents into adult<br />

renal care. All caregivers must respect the children’s rights and children<br />

must be asked, children must be heard, children must have a voice before<br />

taking a final decision on further diagnostics or therapeutic intervention.<br />

All stakeholders should aim at increasing children’s families’ trust in caregivers<br />

and institutions. Improvement of the health education of patients<br />

and their families and offering culturally appropriate counselling will lead<br />

to an improved participation of patients. Accept non-adherence as a fact<br />

which cannot be attributed solely to patients and their families but also to<br />

all caregivers. Therefore unavoidable non-adherence has to be taken as an<br />

imminent behavioural challenge requiring special attention, prophylaxis<br />

and treatment. Provision of adequate, affordable, accessible, available<br />

educational care as well as equity, efficacy and efficiency of educational<br />

care has to be guaranteed. Adequately trained teams of teachers must<br />

cooperate with all other care givers. Teachers need training, accreditation,<br />

continuous medical education and supervision.<br />

The right to health does not mean the right to be healthy, nor does it mean<br />

that poor governments must put in expensive treatment, but it does require<br />

fair-play in offering care when concerning age, gender, ethnicity,<br />

culture, socioeconomic status, religious beliefs, political beliefs, or other<br />

ideologies of patients. The priorities of medical care given to children may<br />

differ from country to country, however, equal health opportunities should<br />

be given to all age groups in a given country. Cross border care should be<br />

improved and organisational pathways must be developed if there is no<br />

adequate treatment available in a given country.<br />

The following federal and regional policy makers should be represented in<br />

national health care programmes:<br />

I. Ministries of 1. Health, of 2. Labour and Social Affairs, 3. for Family<br />

Affairs, 4. of Transportation, Building and Urban Affairs, 5. of Education<br />

and Science, 6. of Food, Agriculture and Consumer Protection, 7. for the<br />

Environment;<br />

II. Health insurance companies;<br />

III. Non-governmental (NGO) health care providers such as <strong>HOPE</strong>;<br />

IV. Parents’ organisations;<br />

V. other.<br />

The CFHC model is universally applicable, however, the emphasis is different<br />

and its application differs according to age groups (fetus, newborns,<br />

infants, preschool children, schoolchildren, adolescents, young adults) as<br />

well as to healthy children and to children with different disease groups.<br />

The challenge in international social responsibility with respect to children<br />

with chronic diseases includes the following:<br />

1. The child-friendly health care model should be applicable to all paediatric<br />

subspecialties in all European countries.<br />

2. The lack of demographic data on the diversity of paediatric health care<br />

in Europe including the differences in health education needs to be<br />

compensated by following the path: 1. Research, 2. Evaluation of quality<br />

and of priorities, 3. Recommendations.<br />

3. Initiate a strategy for further communication in the “triangle” of patients<br />

and patients’ organisations, medical care givers and teachers to stimulate<br />

cooperation and consensus of all opinion-makers when improving<br />

well child care.<br />

4. There may be a need for a specialised European agency for chronically<br />

sick children offering both a scientific and social network for all stakeholders.<br />

Zur Beratung und Begleitung von suizidalen Kindern, Jugendlichen<br />

und ihren Eltern<br />

Dr. med. Sebastian Wolf<br />

Die Arche Suizidpräventation und Hilfe in Lebenskrisen. V., München<br />

32.3 Suizidalität<br />

32.3.1 Häufigkeit von Suizidversuchen<br />

32.3.2 Häufigkeit von vollzogenen Suiziden<br />

32.3.3 Hinterbliebene nach Suiziden im Umfeld<br />

32.3.4 Vorgehen bei Suizidalität<br />

32.3.5 Die 5 wesentlichen Lebensbereiche<br />

32.3.6 Risikoeinschätzung<br />

1. Beziehung aufbauen, Akzeptanz erreichen<br />

2. Anlässe für Suizidalität erfahren<br />

3. Berücksichtigen belastender Familiendynamiken<br />

4. Die Motive für den Suizidversuch verstehen<br />

5. Signale für schwere Krisen und Suizidgefahr erkennen<br />

6. Gefühle beim Jugendlichen erfassen<br />

7. Gefühle bei sich als Helfer bemerken und nutzen<br />

8. Diagnosen stellen, Differentialdiagnosen ausschließen<br />

32.3.7 Vorgehen in der Praxis – Intervention<br />

32.3.8 Fragen zum besseren Verständnis<br />

32.3.9 Umgang mit dem Tabu-Thema “Selbstmord“<br />

32.3.10 Umgang mit häufigen Suiziddrohungen<br />

32.3.11 Grenzen der ambulanten Suizidprävention<br />

32.3.12 Krisenintervention – Zusammenfassung<br />

Zur Beratung und Begleitung von suizidalen<br />

Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern<br />

DR. MED. SEBASTIAN WOLF<br />

Die Arche Suizidprävention und Hilfe in Lebenskrisen e.V., München<br />

Im Kindesalter sind vollzogene Suizide extrem seltene Ereignisse, wenngleich<br />

Äußerungen wie „ich möchte tot sein“, „ich werde tot sein“, “ich<br />

möchte nicht mehr leben“ bei Kindern bis 10 Jahre häufig vorkommen und<br />

entsprechend oft Anlass für eine Anfrage beim Kinderarzt geben. Offenbar<br />

haben die meisten Kinder in ihren Familien jedoch eine noch ausreichend<br />

antisuizidal wirkende Beziehung zu Eltern, Geschwistern oder anderen<br />

Verwandten, die sie vor einem Suizidversuch bewahren. Trotzdem<br />

gilt auch hier, die innere Not der Kinder zu verstehen, die hinter solchen<br />

Äußerungen liegt.<br />

In der Jugendzeit werden Suizidäußerungen, Suizidversuche und Suizide<br />

mit zunehmendem Alter deutlich häufiger.<br />

Unterschieden wird zwischen vollzogenen Suiziden, die zum Tode führen<br />

und Suizidgedanken, Suizidäußerungen, Suiziddrohungen und Suizidversuchen.<br />

Die Suizidversuche werden zum einen bezüglich der Lebensgefahr<br />

unterteilt in leicht bis schwerwiegend zum anderen bezüglich der Absicht,<br />

sterben zu wollen, in appellativ bis ernsthaft.<br />

Im Sinne der Sekundärprävention sind die guten Behandlungserfahrungen<br />

in der Adoleszenz mitentscheidend für die Verhinderung später letal endender<br />

Suizidversuche. Viele Erwachsene kommen häufig Jahre später wieder<br />

in eine Beratung oder beginnen eine Therapie, wenn sie als Kinder und Jugendliche<br />

gute Erfahrungen mit professioneller Hilfe gemacht haben.<br />

In der kinder- und jugendmedizinischen Praxis hat die Abwendung einer<br />

suizidalen Handlung oberste Priorität. Entscheidend dabei ist die tragfähige<br />

Beziehung des Kindes zum Praxispersonal und dem Arzt/der Ärztin ab<br />

dem ersten Kontakt.<br />

32.3.1 Häufigkeit von Suizidversuchen<br />

Über Suizidversuche werden keine amtlichen Statistiken geführt. Eine Erfassung<br />

aller Suizidversuchshandlungen ist zudem sehr schwierig, weil nur<br />

ein Teil der suizidalen Handlungen, z.B. diejenigen, die in Krankenhäusern<br />

behandelt werden müssen, bekannt wird. Viele Suizidversuche werden nur<br />

Beratungsstellen oder Hausärzten mitgeteilt oder bleiben völlig unbehandelt<br />

und damit ungezählt.<br />

Man kann davon ausgehen, dass in der Altersgruppe bis 25 Jahre ca. 20<br />

– 30 mal mehr Suizidversuche begangen werden als vollzogene Suizide.<br />

Das wären in Deutschland ca. 25.000 Suizidversuche bei den unter 25<br />

Jährigen pro Jahr.<br />

Suizidversuche sind immer Hinweise für Belastungen und müssen deshalb<br />

unabhängig von der Schwere des Versuches ernstgenommen werden.<br />

Maßnahmen zur Veränderung der Belastung sollen folgen. Generell wird<br />

angenommen, dass die Zahl der Versuche in der Gruppe junger Menschen<br />

am höchsten ist, Frauen dabei dreimal häufiger als Männer was die Versuche<br />

betrifft.<br />

32.3.2 Häufigkeit von vollzogenen Suiziden<br />

Jede Statistik über Suizide ist mit Vorsicht zu betrachten. Es ist davon<br />

auszugehen, dass eine große Zahl von Suiziden nicht als solche erkannt<br />

und erfasst werden. So ist anzunehmen, dass sich unter der Rubrik KFZ-<br />

Unfälle und Drogentote ebenso wie bei den “ungeklärten Todesfällen“ viele<br />

Suizide verbergen. Generell sterben Männer durch Suizid doppelt so<br />

häufig wie Frauen.<br />

In der Bundesrepublik Deutschland (alte und neue Bundesländer) haben<br />

sich im Jahr 2002 insgesamt 11.163 Menschen (14,5 /100.000Einwohner)<br />

das Leben genommen ( Quelle: Statistisches Bundesamt). Davon waren<br />

unter 10 Jahren: 0 Personen<br />

zwischen 10-15 Jahren: 25 Personen<br />

zwischen 15-20 Jahren: 314 Personen<br />

zwischen 20-25 Jahren: 436 Personen<br />

Bei jährlich 11.163 Suiziden in Deutschland wird deutlich, dass im Gegensatz<br />

zu den Versuchen (32.3.1) der Großteil der tatsächlich vollendeten<br />

Suizide im Erwachsenenalter stattfindet. Die Auseinandersetzung mit Suizidgedanken<br />

beginnt jedoch häufig bereits in der Kindheit und Adoleszenz.<br />

Suizidprävention heißt, gute Erfahrungen bei früheren Krisen gemacht zu<br />

haben.<br />

32.3.3 Hinterbliebene nach Suiziden im Umfeld<br />

Bei niedrig geschätzten 10 betroffenen Personen im direkten Umfeld eines<br />

Suizids rechnen wir mit jährlich über 100.000 Hinterbliebenen von<br />

Suiziden. Bei einer Erfassungsspanne von 50 Jahren sind dies zur Zeit mindestens<br />

5 Millionen Menschen in Deutschland, die in vielfältiger Weise an<br />

den Folgen von Suiziden in ihrem Umfeld leiden können.<br />

Hinterbliebenen suchen Ärzte häufig wegen körperlicher Beschwerden<br />

auf. Ein Besprechen der Belastungen nach einem Suizid in der Familie<br />

bringt Entlastung und trägt zur Prävention weiterer Suizide bei. Hinterbliebene<br />

Geschwister sollten unbedingt begleitet werden. Häufig leiden Geschwister<br />

besonders lange unter eigenen Schuldvorwürfen oder erleben<br />

den Suizid als nachvollziehbare und auch für sie in Frage kommende Konfliktlösung.<br />

Durch die Trauerreaktion der Eltern können sich die lebenden<br />

Geschwister als weniger geliebt bis ausgestoßen erleben.<br />

32.3.4 Vorgehen bei Suizidalität<br />

„Die Situation eines erst mal fremden Menschen zu erfassen ist meistens<br />

schwierig. Es hat sich dabei bewährt etwas mehr über 5 wesentliche Lebensbereiche<br />

zu erfahren, um Dich und Deine Situation besser verstehen zu können.<br />

Diese Lebensbereiche sind für die Zufriedenheit von Menschen wichtig<br />

beziehungsweise tragen zur Stimmung bei. Ist es in Ordnung für Dich, wenn<br />

ich Dir kurz die 5 Bereiche aufzähle und wir dann schauen, wie Du Deine<br />

Situation in den einzelnen Bereichen siehst? Letztlich geht es um...“<br />

Krisenberatungen kommen mitunter sehr chaotisch zustande und die Beteiligten<br />

sind selten ruhig und strukturiert. Es kommt auch vor, dass die<br />

Jugendlichen unverständlich ruhig erscheinen und stumm sind. Ziel ist es,<br />

dem Jugendlichen Ruhe und Zuversicht zu vermitteln. Dabei empfiehlt sich<br />

ein geordnetes, schematisches Vorgehen. Oberstes Ziel sollte sein, dass<br />

der Jugendliche ein zweites Mal in die Praxis kommt und sich in der Zwischenzeit<br />

eine gewisse innere Distanz zum Sterbenwollen einstellen kann.<br />

Alternativen zum Suizid können mit der Zeit zugelassen werden.<br />

Im Wesentlichen interessiert sich der Untersucher wie bei der körperlichen<br />

Untersuchung für definierbare Teilbereiche, die er nebeneinander<br />

oder nacheinander abfragt. So kann man sich in ca. 15-30 Minuten ein<br />

erstes Bild machen und dem Jugendlichen dabei Kompetenz und Interesse<br />

an seiner Situation vermitteln. Wichtig ist, dass der Jugendliche das Motiv<br />

hinter den Fragen versteht.<br />

32.3.5 Die 5 wesentlichen Lebensbereiche<br />

1. Beziehungen: Partnerschaft, Vater, Mutter, Geschwister, andere Verwandte,<br />

Freunde<br />

2. Schule/Ausbildung/Beruf/Karriere<br />

3. Wohnverhältnisse: Schlaf- und Wohnräume, Störungen, Fahrwege<br />

4. Finanzen: Taschengeld, Einkünfte, Schulden<br />

5. Gesundheit, Schmerzen, körperliches Erleben, Wohlbefinden „ Ziel<br />

dabei ist, besondere Ereignisse und mögliche Belastungen, aber auch


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

44 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

45<br />

Bereiche, die o.k. oder gut laufen, zu erfahren. Möglichkeiten, die einem<br />

oft selber nicht mehr bewusst sind, können so vielleicht gefunden<br />

werden“.<br />

Bei Fragen nach Straftaten, Schulden, Drogenkonsum oder sexuellen Neigungen<br />

(homosexuelle Jugendliche haben ein erhöhtes Suizidrisiko) wie<br />

auch bei Gewalterfahrung und Missbrauch hilft es, wenn man vorausschickt,<br />

dass man diese Fragen allen Jugendlichen in diesem Alter stellt<br />

und auch darüber die Schweigepflicht gilt.<br />

32.3.6 Risikoeinschätzung<br />

Im Zusammenhang mit Suizidalität hat die Diagnostik immer auch therapeutische<br />

Auswirkungen. Vergleichbar mit einer multimodalen, mehrgleisigen<br />

Diagnostik und Therapie kann man bei der Risikoeinschätzung und<br />

Maßnahmenplanung einen Befund erheben, indem man gleichzeitig auf 8<br />

Aspekte achtet.<br />

1. Beziehung aufbauen, Akzeptanz erreichen Bereits bei der Anmeldung<br />

sollte versucht werden, Hemmschwellen zu senken, um möglichst viele<br />

Jugendliche in einer Lebenskrise zu erreichen. Ein erstes Gespräch ohne<br />

aufwendige Anmeldeformulare, Einverständniserklärungen der Eltern,<br />

Meldung an die Krankenkasse oder Angaben von persönlichen Daten wie<br />

Name, Adresse und Telefonnummer der Eltern wäre ideal. Der Jugendliche<br />

sollte am Telefon oder an der Rezeption auch nur sagen dürfen, er wolle<br />

den Arzt sprechen. Daten lassen sich meist noch im Laufe der Gespräche<br />

erheben. Viele Jugendliche befürchten zu Recht, dass über die Inhalte mit<br />

den Eltern oder anderen ( z.B. Lehrern, Polizisten, Jugendämtern) gesprochen<br />

wird. Jugendliche geben lieber ihre eigene Mobiltelefonnummer an<br />

als die Haustelefonnummer der Eltern.<br />

Längeres Warten im Wartezimmer sollte vermieden werden, da Geduld<br />

und Gelassenheit beim suizidalen Jugendlichen meist sehr reduziert oder<br />

nicht existent sind. Längeres Wartenlassen wird möglicherweise als mangelndes<br />

Interesse oder fehlende Zeit des Arztes interpretiert. Zudem schämen<br />

sich viele Jugendliche in Wartezimmern und gehen vielleicht wieder.<br />

Wichtig ist es, dem Jugendlichen den Sinn und Zweck von Beratung in einer<br />

Krise zu erklären. Das ärztliche Angebot (Dauer, Häufigkeit, Hilfsmöglichkeiten)<br />

muss dargestellt werden.<br />

Die Schweigeverpflichtung sollte umfassend erläutert werden:<br />

„Wenn man hier über problematische oder schwierige Situationen redet,<br />

gibt es eine Schweigeverpflichtung. Menschen (z. B. Eltern, Lehrer), die<br />

sich informieren möchten, müssen verstehen, dass man hier nicht mehr<br />

offen sprechen kann, wenn die ärztliche Schweigepflicht gebrochen wird.<br />

Wir versuchen, dass Jugendliche wie Du ihre Belange selber in die Hand<br />

nehmen können und nicht der Arzt versucht zu helfen, indem er Informationen<br />

an Dritte weitergibt. Etwas anderes ist es, wenn Du selbst uns bittest,<br />

mit jemand zu sprechen.“<br />

Während der Gespräche sollten Unterbrechungen wie Rezepte unterschreiben,<br />

Zwischenfragen des Personals, telefonieren, “kurz mal rausgehen“<br />

etc. unterbleiben. Jugendliche in suizidalen Krisen sind häufig extrem<br />

leicht zu kränken und fühlen sich schnell abgewertet Die ärztliche Grundhaltung<br />

sollte anteilnehmend neugierig sein. Nach der Frage,<br />

weshalb er/sie kommt, sollte dem/der Jugendlichen erklärt werden, auf<br />

welche Weise (s.o. Vorgehen bei Suizidalität, 5 Lebensbereiche) man versuchen<br />

wird, ihm/ihr zu helfen und ob das für ihn/sie so o.k. ist.<br />

Man sollte nicht zuerst schnell konfrontieren und auf Fehlverhalten des<br />

Jugendlichen oder anderer hinweisen. Moralisieren und Bloßstellen sind<br />

ebenso wenig hilfreich wie schnelles Hinwegtrösten, schnelle Suggestionen<br />

oder Ratschläge. Der Jugendliche könnte dies als Besserwisserei und<br />

“rasch weiterkommen wollen“ interpretieren oder sich selber als minderwertig<br />

empfinden, was bei Suizidgefahr unbedingt zu vermeiden ist. Verstehen<br />

bedeutet Verständnis zeigen können. Der Jugendliche sollte selber<br />

zur Einsicht kommen und nicht durch den Helfer darauf gestoßen werden.<br />

„Ich würde gerne nachvollziehen und verstehen in welcher Situation sich<br />

wer wie verhalten hat und was dann passierte oder geschah.“<br />

2. Anlässe für Suizidalität erfahren „Du hast gesagt, dass Du keine Ahnung<br />

hast, weshalb du den Suizidversuch gemacht hast. Könnte denn eines oder<br />

mehrere der (u.g.) Gründe dafür in Frage kommen? Ich würde gerne verstehen,<br />

wie es Dir in der Situation gegangen ist, was Du dabei erlebt oder<br />

gedacht hast.“ Für die Umwelt werden Suizidhandlungen oft “ohne wirklichen<br />

Grund“ begangen. Die Auslöser erscheinen insbesondere Erwachsenen<br />

häufig banal. Für das Verständnis der Suizidalität eines Jugendlichen<br />

hilft es zwischen Auslösern und dahinterliegenden oder tiefergehenden<br />

Ursachen zu unterscheiden. Auslöser sind die Ereignisse, die kurz vor<br />

einer Suizidhandlung stehen, die “das Fass zum Überlaufen bringen“. Im<br />

Volksmund gibt es viele Metaphern für solche Situationen.<br />

„Viele Menschen erleben eine Krise so, als würde ein Fass überlaufen,<br />

ein Vulkan ausbrechen, es einen Knall geben oder ein schwer bepackter<br />

Rucksack nicht mehr alleine zu tragen oder zu ertragen sein. Könnte eines<br />

der Beispiele für dich zutreffen?“ Warum ein Ereignis, wie z.B. ein Verbot,<br />

das die einen verkraften, für einen anderen nicht aushaltbar ist, bleibt oft<br />

zunächst unklar bis man die tiefergehenden Ursachen bzw. zusätzlich belastenden<br />

Faktoren ergründen kann. Es gilt die subjektive Betroffenheit<br />

des Jugendlichen zu erfassen auch oder gerade wenn sie<br />

diskrepant zu einem “objektiven, vernünftigen“ Erleben steht.<br />

Mögliche Anlässe im Sinne von Risikofaktoren für Suizidalität sind:<br />

1. Trennungen<br />

2. Kränkungen<br />

3. schulisches/berufliches Versagen<br />

4. Zugehörigkeit zu einer Randgruppe (Homosexuelle, Ausländer etc.)<br />

5. Umzüge, Schulwechsel, Verlust von Gewohntem<br />

6. Mobbing<br />

7. Straffälligkeit<br />

8. Traumatische Erlebnisse: Todesfälle, Unfälle, Gewalterfahrungen wie<br />

Misshandlung, Missbrauch, schwerste Vernachlässigung<br />

9. Psychiatrische Erkrankungen (Schizophrenie, Essstörung, Persönlichkeitsstörung,<br />

Depression siehe Kapitel 32.2 )<br />

10. Suizidversuche und vollzogene Suizide im Umfeld der Jugendlichen und<br />

11. Mediendarstellungen von Suiziden, die immer ein großes Risiko zur<br />

Nachahmung beinhalten (Werther-Effekt).<br />

3. Berücksichtigen belastender Familiendynamiken<br />

Folgende Familienthemen können die Suizidgefahr deutlich erhöhen und<br />

sollten bei der Beurteilung der Gesamtsituation berücksichtigt werden.<br />

Das entbehrliche Kind/der entbehrliche Jugendliche Viele, kurz aufeinanderfolgende<br />

Kinder begünstigen suizidale Gedanken, da beim einzelnen<br />

Jugendlichen der (falsche) Eindruck entstehen kann, dass es selber nicht<br />

wirklich benötigt und erwünscht sein könnte. Bei Eltern, die in Sorge um<br />

ein krankes oder behindertes Kind so absorbiert sind oder die Enttäuschung<br />

über den Verlust eines Kindes nicht verkraften, begünstigen beim<br />

gesunden Geschwister Phantasien, dass es den Eltern lieber gewesen<br />

wäre, es selbst wäre gestorben.<br />

Starke Schuldzuweisungen an das Kind<br />

Häufig fühlen sich auch Jugendliche mitschuldig an der Erkrankung eines<br />

Geschwisters, am Tod von Familienangehörigen oder an der Krankheit eines<br />

Elternteils. Auch die unglücklich verlaufende Ehe der Eltern wird oft<br />

den Kindern/Jugendlichen angelastet bzw. Sie fühlen sich mitschuldig.<br />

Abgebrochene Karrieren eines Elternteils aufgrund des Kindes, unerfüllte<br />

Hoffnungen in das eigene Leben oder das der Kinder können zu großer<br />

Vorwurfshaltung gegenüber den Kindern führen.<br />

Vorbild, Familientradition einer pessimistischen Lebenshaltung<br />

Ein Familienmitglied ist depressiv und/oder suizidal, droht immer wieder,<br />

oft über Jahre, mit Suizid oder erweitertem Suizid (d.h. Mitnahme von anderen<br />

in den Tod). Suizidalität ist ständig Thema in der Familie und wird<br />

als Konfliktlösungsmuster erlebt. Nicht selten gibt es in Familien Mythenbildungen<br />

um tragisch gescheiterte Vorfahren (“er ist wie der Onkel X,<br />

der auch nie glücklich wurde und sich umbrachte“) Loyalitätskonflikte bei<br />

Streit der Eltern, bei Trennungen und Scheidungen denken Kinder und Jugendliche<br />

an den eigenen Suizid, um den Streitigkeiten zu entfliehen oder<br />

um sich nicht für einen und damit gegen den anderen Elternteil entscheiden<br />

zu müssen.<br />

Symbiotische Bindung Adoleszenz bedeutet immer, dass eine Ablösung<br />

von den Eltern ansteht.<br />

Vorherrschend ist eine ambivalente Haltung aller Beteiligten. Der Jugendliche<br />

hat entweder Angst, die Eltern oder einen Elternteil alleine zu lassen<br />

oder fühlt sich von einem vorher sehr eng verbundenen Elternteil plötzlich<br />

verlassen. Zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter, die nach langer<br />

Zeit des Alleinlebens mit dem Sohn einen neue Partnerschaft eingeht<br />

oder beschließt, dass der Sohn jetzt selbstständiger werden müsse. Der<br />

jugendliche Sohn fühlt sich verraten oder verlassen und wird suizidal. Der<br />

Konflikt könnte durch einseitige radikale Beziehungstrennung durch Suizid<br />

entschieden werden.<br />

„Jugendlich sein heißt immer auch, dass ein “alter Schuh“ zu klein wird, er an<br />

allen Ecken drückt, ein neuer Schuh jedoch noch nicht gefunden ist. Eltern<br />

wie Kinder pendeln dann zwischen einem zunehmend unbefriedigendem<br />

alten Verhalten und einem neuen noch unbekanntem, ungeübten und oft<br />

unzufriedenstellendem Neuem hin und her. Beide Seiten werfen sich dabei<br />

oft Undankbarkeit, Respektlosigkeit und Inkonsequenz im Verhalten vor.“<br />

Gewaltatmosphäre, Misshandlungen, Missbrauch, Vernachlässigung In<br />

Familien mit Misshandlungen, Missbrauch und Vernachlässigung gibt es<br />

multiple Belastungen, die suizidale Entwicklungen bei den Betroffenen in<br />

jedem Lebensalter erklären. Die Opfer fühlen sich z.B. oft selber schuldig<br />

an den ihnen widerfahrenen Dingen, schämen sich dafür, sind traurig über<br />

die negativen Umstände, empfinden Neid darüber, dass es die anderen<br />

besser haben, sind wütend auf die Täter oder erleben Ohnmachtgefühle<br />

über die scheinbare Ausweglosigkeit. Nicht selten erleben Jugendliche, die<br />

in der kinder- und jugendmedizinischen Praxis auftauchen können, noch<br />

aktuell Misshandlung oder Missbrauch, was ein offenes Reden darüber<br />

fast unmöglich macht. Hierbei ist es besonders wichtig, behutsam und<br />

sensibel vorzugehen, aber auch nicht den Eindruck zu erwecken, dass<br />

über diese Themen nicht gesprochen werden dürfte.<br />

„Jetzt würde ich noch ein paar Fragen stellen zu Themen, die für Menschen<br />

in Deinem Alter eine Bedeutung haben können und die ich deshalb<br />

immer erfrage. Es sind Dinge, über die es besonders schwer fallen kann zu<br />

sprechen, die aber wenn sie bestehen würden, eine Veränderung notwendig<br />

machen könnten. Besonders auch über diese Dinge gilt die Schweigepflicht.<br />

Ist das o.k.?“<br />

Wenn vom Jugendlichen Zustimmung kommt, kann man z. B. nach Drogenerfahrungen<br />

und aktuellem Drogen- und Alkoholkonsum fragen. Danach<br />

nach Straftaten wie zum Beispiel ein Ladendiebstahl oder Schulden, die<br />

durch Handyrechnungen, Internetgebühren und Rateneinkäufe entstanden<br />

sind. Gelingt dies in einem offenen Verhältnis, können sexuelle Erfahrungen<br />

und Kontakte, freiwillige und auch unfreiwillige erfragt werden.<br />

4. Die Motive für den Suizidversuch verstehen<br />

Häufig werden Suizidhandlungen von einer Mischung aus verschiedenen<br />

Motiven begleitet. Diese können entweder aus den Lebensumständen<br />

und aktuellen Belastungen heraus vermutet oder von den Jugendlichen<br />

angegeben werden. Oft werden akute Anlässe schneller benannt als dahinterliegende<br />

Motive, die man auch nicht immer als erstes direkt erfragen<br />

sollte. Häufige Motive, die das Risiko für Suizidalität erhöhen sind:<br />

1. andere ins Unrecht setzen, sie traurig stimmen, ihnen Schuld zuweisen<br />

2. die eigene Ratlosigkeit und Verzweiflung darstellen. Dies kann auch als<br />

Appell gerichtet sein, um Hilfe oder irgendeine Art von Veränderung zu<br />

bekommen<br />

3. Aufmerksamkeit und Zuwendung auf sich lenken<br />

4. Hilfe und Unterstützung abrufen<br />

5. Loyalität überprüfen („halten sie noch zu mir?“)<br />

6. die Bedeutung des anderen darstellen („ohne dich kann ich nicht leben!“)<br />

7. aus einem Konflikt gehen, Ruhe haben, befreit sein von allen Belastungen<br />

8. sich drohendem Unheil oder Zurückweisung erst gar nicht stellen müssen<br />

9. quälenden Gedanken wie z.B. eigenen Schuldvorwürfen entgehen<br />

10. Tot zu sein und auf ein „besseres Jenseits“ zu hoffen oder mit anderen<br />

Verstorbenen verbunden zu sein. Suizidversuche und vollzogne Suizide<br />

im Umfeld stellen immer ein hohes Risiko für Nachahmer dar.<br />

5. Signale für schwere Krisen und Suizidgefahr erkennen<br />

Für die Umwelt kommen Suizidhandlungen oft “aus heiterem Himmel“. Bei<br />

genauerer Betrachtung werden aber fast immer Signale ausgesandt, die als<br />

Symptome verstanden werden können und diagnostisch wegweisend sind.<br />

auffälliges Verhalten<br />

- weglaufen, Schule/Ausbildung schwänzen, Leistungsabfall<br />

- sozialer Rückzug mit Vereinsamung, Lust- und Interesselosigkeit<br />

- auffällige Verhaltensänderung (auch unerklärliche Gelassenheit)<br />

- körperliche Verwahrlosung oder das Gegenteil<br />

- Veränderung der Essgewohnheiten, psychosomatische Beschwerden Äußerungen<br />

- vage oder konkrete Suizidäußerungen<br />

- versteckte, indirekte, verschlüsselte Hinweise auf ein Lebensende z.B.<br />

dass man an Ostern/Weihnachten nicht mehr da sein wird, oder dass<br />

man eine Klassenfahrt eh nicht mitmachen wird.<br />

- Fragen, bzw. „neutrale“ Diskussion über tödliche Mittel<br />

- verwenden von Zeichen, Symbolen, Farben, die auf Suizid hinweisen,<br />

z B. schwarze Kreuze, Gräber, Galgen, illustrierte Tötungsszenen<br />

- Worte, Sätze, Gedichte, die auf Suizidalität hinweisen<br />

- Abschiedsbriefe<br />

- Äußerungen wie „Recht auf Freitod“, „jeder sollte sterben wann er will“<br />

praktische Vorbereitungen zum Suizid<br />

- z.B. Tabletten sammeln, Testbesuch einer Brücke, besorgen eines Staubsaugerschlauchs<br />

zum Einleiten von Autoabgasen in das Wageninnere<br />

- persönliche Dinge verschenken im Sinne einer Testamentsvollstreckung<br />

6. Gefühle beim Jugendlichen erfassen<br />

Folgende Gefühle und Reaktionen sind bei Suizidgefährdeten typisch und können<br />

im Gespräch erfasst werden. Falls der Jugendliche Gefühle nicht oder nur<br />

sehr ungenau benennt, kann man ihm auch typische Gefühle anderer anbieten.<br />

Der Jugendliche soll entlastet werden und sich verstanden fühlen.<br />

„Wenn du Dich an diese Situation erinnerst, was ging oder geht Dir da<br />

durch den Kopf, was hast du da erlebt oder empfunden?“...“ Könnte so<br />

etwas wie...dabei gewesen sein?“.<br />

- Ohnmacht, Ausweglosigkeit,<br />

- Scham, Schuld<br />

- Kränkung, Zurücksetzung<br />

- Enttäuschung, Ärger, Wut<br />

- Argwohn, Neid<br />

- Angst, Zweifel, Misstrauen<br />

- Trauer, Resignation<br />

- Leere<br />

- Fatalismus<br />

- unbegründete Hoffnung<br />

- Demütigung, Bloßstellung<br />

- Idealisierung, Abwertung<br />

7. Gefühle bei sich als Helfer bemerken und nutzen<br />

Oft entsprechen die aufkommenden Gefühle beim Untersucher denen des<br />

Jugendlichen oder den Gefühlen von anderen Beteiligten eines Konflikt,<br />

zum Beispiel Wut oder Ohnmacht. Die Liste der möglichen Gefühle entspricht<br />

obiger Liste für die Jugendlichen. Besonders gefährlich sind Ungeduld,<br />

Verärgerung und Tendenzen zum Bagatellisieren beim Behandler.<br />

Leicht kränkbare Jugendliche können sich abgelehnt oder nicht ernstgenommen<br />

fühlen. Viele Jugendliche neigen selber zum Bagatellisieren, um<br />

keine Umstände zu machen oder weil sie dadurch hoffen, schneller aus<br />

der Beratungssituation zu kommen, da sie sich auch vom Arzt unverstanden<br />

fühlen. Auch wenn man sich sehr gut mit dem Jugendlichen versteht<br />

besteht die Gefahr, dass man die Not des Jugendlichen bagatellisiert.<br />

8. Diagnosen stellen, Differentialdiagnosen ausschließen<br />

Auch wenn eine genaue Diagnose oft schwierig zu stellen ist, sollte eine<br />

diagnostische Eingrenzung nicht fehlen. Oft ergibt sich aus den differentialdiagnostischen<br />

Überlegungen ein Verständnis für die Situation und<br />

Suizidalität. Therapeutische Maßnahmen lassen sich daraus oft besser<br />

ableiten. Mögliche Diagnosen neben einer oft attestierten Adoleszentenkrise<br />

sind:<br />

Akute Belastungsreaktion (ICD 10: F43.0), Posttraumatische<br />

Belastungsstörung(ICD 10: F43.1), schulische Überforderung,<br />

Teilleistungsstörung (z.B. Legasthenie(ICD 10: F81.0), Essstörungen(ICD<br />

10:F50), Persönlichkeitsstörungen(ICD 10: F60), Depression(ICD 10: F32)<br />

(siehe auch Kapitel 32.2), Schizophrenie(ICD 10: F20).<br />

32.3.7 Vorgehen in der Praxis – Intervention<br />

Ein Kernproblem im Umgang mit suizidalen Jugendlichen besteht darin,<br />

mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Wenn ein Jugendlicher von sich aus<br />

Eltern oder andere Erwachsene wie Verwandte, Lehrer, Ärzte, Trainer, etc.<br />

anspricht ist es deutlich einfacher. Der Jugendliche sucht Hilfe und Rat.<br />

Weitaus häufiger allerdings signalisieren Jugendliche eher durch ihr Verhalten<br />

oder psychosomatische Erkrankungen, dass sie Hilfe brauchen. Sie<br />

lassen vielmehr “die Puppen tanzen“. In der Pubertät, einer Zeit geprägt<br />

vom Ringen um die eigene Identität, Ablösung und Unabhängigkeit gelten<br />

Erwachsene oft als ewig besser wissende und Vorschriften machende Instanzen,<br />

die einen nicht verstehen.<br />

Auch deswegen werden Eltern oft am wenigsten ins Vertrauen gezogen.<br />

Auch alle anderen von den Eltern eingesetzte Erwachsenen werden<br />

schnell abgelehnt, wenn Jugendliche nicht den Eindruck haben, dass man<br />

es gut mit ihnen meint.


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

46 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

47<br />

Wenn Jugendliche durch negatives Verhalten auf sich aufmerksam machen,<br />

ist es wichtig, dies ohne Vorwurf anzusprechen.<br />

Zum Beispiel: „Ich habe gehört, dass sich Deine Schulnoten in den letzten<br />

Wochen verschlechtert haben, stimmt das denn, siehst du das auch so?“<br />

“Ich wundere mich darüber und mache mir Sorgen und frage mich, woran<br />

das liegen könnte. Hast Du eine Idee?“<br />

Wichtig ist, dass man sich durch eine bagatellisierende Antwort oder eine<br />

coole Fassade nicht entmutigen oder verärgern lässt.<br />

Viele Menschen in akuten Krisen verstecken Verzweiflung, Wut und Trauer<br />

hinter einer arrogant anmutenden, aggressiven oder coolen Fassade. Auch<br />

betont selbstsicheres oder fröhliches Verhalten kann irritieren. Auch hier<br />

kann es sinnvoll sein, einen erkennbaren Widerspruch zum Verhalten oder<br />

der Sorge anderer deutlich zu machen.<br />

„wie würde es denn auf dich wirken, was würdest du denn denken und tun,<br />

wenn Du an meiner Stelle wärst?“<br />

32.3.8 Fragen zum besseren Verständnis<br />

- Wo sind Belastungen, in welchen Lebensbereichen: Beziehungen, Schule,<br />

Wohnen, Finanzen, Körperlichem/Gesundheit? (s. Kapitel 32.3.5.)<br />

- Wer leidet: Nur der Jugendliche oder auch die Geschwister, die Freundin,<br />

die halbe Klasse?<br />

- Unter was oder wem leidet man?<br />

- Wie lange schon: Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre und<br />

- Wie oft pro Tag, Woche, Monat, Jahr?<br />

- Wie stark:„bisschen, erträglich, abnehmend, zunehmend, sehr, unerträglich,<br />

so nicht mehr auszuhalten“<br />

Häufig sagen Jugendliche eher zu wenig als zuviel. Sinnvoll sind Fragen zur<br />

Situation, dem Verhalten und den Folgen/Ergebnissen.<br />

Jugendlicher: „Mir geht es schlecht!“ (Ergebnis)<br />

Arzt: „In welcher Situation“ (Situation).Was tust Du dann? Was machen<br />

die anderen? Was hast du früher getan?“(Verhalten) „Was ist dann<br />

passiert?“(neues Ergebnis) „Wie hat sich die Situation verändert?“ (neue<br />

Situation) „Was könntest Du anderes tun?<br />

(neues Verhalten) „Was könnte sich dadurch ergeben?“ (neues Ergebnis)<br />

32.3.9 Umgang mit dem Tabu-Thema “Selbstmord“<br />

Wichtig ist es, die Probleme des Jugendlichen ernst zu nehmen auch wenn<br />

man selber mit deutlich besserer Frustrationstoleranz ausgestattet ist.<br />

Schlechte Noten erscheinen nicht so tragisch oder eben selbst verschuldet,<br />

eine unglückliche Liebe wird leicht mal belächelt, wohingegen sie<br />

für den Jugendlichen eine existentielle Angelegenheit sein kann. Wichtig<br />

ist es, Mitgefühl auszudrücken ohne zu sehr zu bemitleiden, Zuversicht<br />

auszustrahlen ohne zu schnell über etwas hinwegtrösten zu wollen. Auch<br />

kann man nie wissen, ob hinter den zunächst angegeben Gründen nicht<br />

auch schwerwiegende Belastungen und Traumata wie häusliche Gewalt,<br />

Vernachlässigung und Missbrauch liegen können. Wenn Sorgen, Ängste<br />

oder Belastungen einmal thematisiert sind, sollte man mögliche Suizidgedanken<br />

ansprechen:<br />

z. B. „...bei all dem was Du jetzt geschildert hast, hast Du da schon mal<br />

daran gedacht, so wie bisher nicht mehr weiter leben zu wollen oder zu<br />

können?“ Falls die Antwort „ja“ ist sollte man nicht erschrecken sondern<br />

ruhig weiterfragen, wie konkret etwaige Suizidpläne bereits verfolgt wurden.<br />

Es besteht eine deutlich größere Suizidgefahr, wenn der Jugendliche<br />

sich schon einen bestimmten Platz zum Sterben ausgesucht hat oder Suizidmittel<br />

wie Tabletten oder einen Staubsaugerschlauch zum Autoabgase<br />

einleiten besorgt hat. Es ist falsch, dass durch das Ansprechen möglicher<br />

Suizidgedanken der Jugendliche erst auf die Idee gebracht wird. Suizidgedanken<br />

bestehen bei sehr vielen Jugendlichen, sie<br />

anzusprechen ermöglicht oft erst, darüber zu reden und Alternativen zum<br />

Suizid zu finden. Im offenen Gespräch wird der Jugendliche bereits aus seiner<br />

Isolation herausgeführt. Wichtig dabei ist, dass Suizidalität als etwas<br />

allgemein Bekanntes, Häufiges und Veränderbares erkannt werden kann.<br />

Es gibt immer einen Teil in jedem Menschen, der Leben möchte und einen<br />

Teil, der so nicht mehr leben will oder kann. Suizidale Jugendlich wollen<br />

selten tot sein sondern vielmehr nicht mehr so weiterleben wie bisher (s.<br />

Motive).<br />

Negativen Pausenwünschen im Sinne von Sterben wollen, um endlich<br />

Ruhe zu haben sollten lebensbejahende Argumente gegenüber gestellt<br />

werden. Positive Veränderungswünsche sollten bestärkt werden., zum<br />

Beispiel, dass man in der Zukunft auch anders leben könnte. Wie könnte<br />

ein Leben in 6 Monaten, einem Jahr, 5 Jahren, 10 Jahren aussehen. Gibt es<br />

positive Momente im Leben.<br />

32.3.10 Umgang mit häufigen Suiziddrohungen Häufig wiederkehrende Suizidäußerungen<br />

werden nicht selten auch zur Durchsetzung von Wünschen<br />

und/oder zur Vermeidung von negativen Konsequenzen eingesetzt. Dies<br />

setzt die Umgebung unter großen Druck und löst Sorge wie Ärger gleichermaßen<br />

aus. Leider kann man nicht annehmen, dass wer oft Suizidankündigungen<br />

macht, sich nicht das Leben nehmen wird. Dies wird immer<br />

wieder fälschlicherweise behauptet und leider oft durch spätere Suizide<br />

widerlegt. Wenn Suizidäußerungen oder -drohungen ignoriert werden löst<br />

dies mitunter einen Teufelskreis aus, der im Suizid enden kann. Meint man<br />

hingegen alle Wünsche des Jugendlichen erfüllen zu müssen, kann dies<br />

ebenfalls zum Suizidversuch führen.<br />

Am Besten benennt man auch gegenüber dem Jugendlichen dieses Dilemma.<br />

Dabei ist es wichtig, nicht verärgert und aggressiv zu sein. Das Wissen,<br />

dass auch oder gerade hinter dem jugendlichen Agieren eine tiefe innere<br />

Not, zum Beispiel ein Selbstwertproblem oder Ängste liegen können, ermöglicht<br />

es besser, seinen Ärger in Grenzen zu halten.<br />

32.3.11 Grenzen der ambulanten Suizidprävention<br />

Ein Krisengespräch über Suizidalität kann den Arzt in einige Schwierigkeiten<br />

bringen, weshalb viele Hausärzte bei Jugendlichen wie bei Erwachsenen<br />

die entscheidende Frage nach Suizidgedanken nicht stellen, obwohl<br />

ein dramatisch hoher Anteil von Suizidenten kurz vor dem tödlichen Suizid<br />

noch einen Arzt aufsucht.<br />

Bei folgenden Umständen sollte an eine Klinikeinweisung gedacht werden:<br />

1. erhebliche Selbstgefährdung (durch ambulante Krisenintervention nicht<br />

verändert)<br />

2. erhebliche Fremdgefährdung (z.B. Aggression, gefährdendes Verhalten)<br />

3. nach Suizidversuch (medizinische Abklärung, weiterbestehende Suizidalität)<br />

4. psychopathologischer Befund mit schwerer Depressivität, wahnhaft,<br />

agitiert, desorientiert und unzureichendem Gesprächskontakt<br />

5. schwierige soziale Situation mit ungenügenden Hilfsressourcen und<br />

überfordertem und erschöpftem sozialen Umfeld. Herausnahme aus<br />

dem sozialen Krisenfeld scheint als Zäsur notwendig.<br />

Vorgehen:<br />

1. sich nicht provozieren oder hilflos machen lassen<br />

2. Rücksprache und Beratung z.B. mit Erziehungs-/Familienberatungsstellen,<br />

Drogen- oder Schulberatung, Kinder- und Jugendpsychiatern,<br />

Kliniken<br />

3. versuchen, den Patienten zu motivieren, freiwillig in die Klinik zu gehen<br />

4. wenn keine sinnvolle Verständigung möglich ist, Einweisung ohne Hast<br />

5. zum Schutze des Lebens nicht vor Notarzt oder Polizei zurückschrecken.<br />

6. Sorgeberechtigte informieren. Klarheit über die Priorität: Leben sichern<br />

32.3.12 Krisenintervention – Zusammenfassung:<br />

1. Aufbau einer Beziehung: Gesprächsfokus auf die aktuelle Lebenssituation<br />

2. Situation abklären: Themen offen ansprechen, Verzweiflung als eine<br />

denkbare Möglichkeit akzeptieren und nicht dagegen anreden wollen<br />

3. Aushalten der eigenen Ratlosigkeit oder Hilflosigkeit<br />

4. schwierige Situation zum Thema machen: Zusammenfassen der Belastung<br />

5. mögliche Suizidgedanken ansprechen: z. B. „...bei all dem was Du jetzt<br />

geschildert hast, hast Du da schon mal daran gedacht, so wie bisher<br />

nicht mehr weiter leben zu wollen oder zu können?“<br />

6. wenn Suizidgedanken bestätigt werden, nachfragen nach konkreten Plänen<br />

7. stellvertretend eigene Hoffnung ausdrücken, dabei nicht bagatellisieren<br />

8. Konfrontation mit der eigenen Sicht der Dinge, Diskrepanzen benennen<br />

9. motivieren zum Einbeziehen von weiteren Vertrauenspersonen<br />

10. weitere Gespräche vereinbaren und/oder Weitervermittlung klären<br />

Literatur:<br />

Crepet P (1996) Das tödliche Gefühle der Leere. Suizid bei Jugendlichen.<br />

Reinbeck Verlag<br />

Dickhaut HH (1995) Selbstmord bei Kindern und Jugendlichen. Ein Handbuch für<br />

helfende Berufe und Eltern. Beltz Verlag<br />

Giernalczyk T (2003) Lebensmüde. Hilfe bei Selbstmordgefährdung. dgvt Verlag,<br />

Serviceteil: Homepage der<br />

Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: www.suizidprophylaxe.de<br />

Beratungsstelle NEUhland in Berlin: www.neuhland.de<br />

Beratungsstelle Die Arche in München: www.die-arche.de<br />

Cooperation between Hospital/Special<br />

Educators and Home School Teachers<br />

Liana Sanamyan<br />

Direct Aid Association (DAA) executive director<br />

Head of hospital educational services Yerevan, ARMENIA<br />

Introduction<br />

Direct Aid Association (DAA) is a public organization, registered in Armenia<br />

in 1997. DAA provides educational services for sick children through<br />

supporting the functioning of Hospital School in Arabkir Joint Medical Center<br />

& Institute of Child and Adolescent Health (JMC&ICAH) and pediatric<br />

department of Hematology Hospital. DAA supports the psycho-social services<br />

in Arabkir working in the frame of the holistic approach of pediatric<br />

care and runs the Patient Family House (PFH) providing accommodation<br />

and care for sick children and their families from far regions of Armenia.<br />

It’s worth mentioning that DAA is the only organization that runs hospital<br />

school in Armenia, so this hospital school is unique for the country.<br />

Arabkir JMC&ICAH is the Republican reference centre for children and<br />

adolescents with various diseases. Through numerous projects run by<br />

DAA and Arabkir in cooperation, today, a child admitted to the hospital<br />

finds himself in the hands of the medical staff, psychosocial team and<br />

hospital school teachers the cooperative work of which provides positive<br />

results both in medical care and general development of the child.<br />

Lack of National Association<br />

When we speak about hospital education in Armenia we always have to<br />

look back into the educational heritage of the previous regime. Armenia<br />

was a part of the USSR for a long period and during that time the paediatric<br />

hospitals or pediatric departments lacked schooling services. Some hospitals<br />

offered play rooms. With the reference to short history of 20 years<br />

of hospital education we also have to mention that special education is as<br />

well recent in Armenia. In the past we had boarding school for children<br />

with “problems”, which was not exactly what special education services<br />

should provide to the children with disabilities. With all this in mind we<br />

have to add the lack of any association, national or local for the teachers<br />

working is special education, hospital education being part of it as well.<br />

“Special Educator’s Club”<br />

I think it is needless to mention that it is difficult to try to develop an area<br />

of education where there is no cooperation, information flow and experience<br />

exchange. After the organization of several training courses and<br />

workshops for the teachers and other staff working with children with special<br />

educational needs and seeing a need for experience exchange, a place<br />

where people could talk over and discuss professional issues, DAA initiated<br />

the Club. Since 2006 DAA has been running a Special Educator’s Club,<br />

a project that strengthens the hospital and special education in Armenia<br />

and helps professionals to network for the benefit of the child with special<br />

needs. As there is no special education/hospital teachers’ association in<br />

Armenia, this is a professional space for networking of the professionals<br />

working both in state schools and local NGO centers providing services to<br />

the children with needs. It’s a professional.<br />

The Club is run by DAA staff in cooperation with other needed professionals.<br />

We invite pediatricians, neurologists, psychologists, etc. for discussing<br />

different issues, clearing out difficult cases we come across during<br />

our work.<br />

The regular meetings are scheduled once a month and additional meetings<br />

take place when there is a need: for preparing extra activities, creating<br />

material, discussing and planning work.<br />

The purpose of the project is:<br />

• to create a network where the child benefits both medically and educationally<br />

• to strengthen and expand the network involving teachers from other<br />

schools and centers<br />

• to further train and exchange experience with both international experts<br />

and local professionals<br />

The club serves for:<br />

• further in-service training, including visits to the working sites, observations,<br />

practical work, discussions with other professionals working with<br />

children with disabilities, e.g. psychologists, social workers, therapists,<br />

medical personal etc.<br />

• special educators’ further training in coaching and cooperating with general<br />

education teachers within integration program<br />

• preparation and adaptation of teaching material and alternative means<br />

• hospital teachers training in coaching<br />

• as a link for cooperation between professionals working in state schools<br />

(special and integration) and local NGOs<br />

• for the organization and implementation of professional conferences,<br />

e.g. cooperation with Kinderspital Zurich Hospital School<br />

When a child from the hospital school in Yerevan returns to his home<br />

school (in the capital or some regions) he is met by a teacher who is aware<br />

of his condition, needs and educational progress while on treatment, since<br />

there is a constant contact among the teachers by the means of regular<br />

monthly meetings and connections through regional branches of the medical<br />

center. Being able to serve the child in his region, close to his home<br />

and family is much better psychologically and what is not less important<br />

financially.<br />

During the existence of Club we had organized several common projects<br />

for the children with disabilities in special and integration and hospital<br />

schools. In 2007 we had a spring project with children from different<br />

schools and NGOs. During the festival the children performed, recited and<br />

finally planted flowers.<br />

For the past two summers the some children with disabilities form schools<br />

in Yerevan and regions had opportunity to join the hospital summer camp.<br />

For many of the children such activities are unique: an opportunity to be<br />

with peers, to have a rest during the summer. And for teachers it is a great<br />

opportunity to participate and learn how to organize leisure activities for<br />

their students.<br />

As part of cooperative activity we can mention preparation and adaptation<br />

of teaching material and alternative means.<br />

Result<br />

As a result of this four-year project we have established a growing network<br />

not only among the professionals working in the capital but also with those<br />

working in some regions of Armenia. The activities of the club have also<br />

been very important and fruitful in creating educational material, discussing<br />

difficult cases, organizing recreational activities for the children in need.<br />

Conclusion<br />

As the experience shows the Club has an essential role for the professionals<br />

in the field of hospital/special education. It is the utmost possibility<br />

for the teachers to exchange ideas, create and compile useful didactical<br />

material, discuss cases and issues and in cooperation try to better serve<br />

the needs of the children.<br />

Mobiler sonderpädagogischer Dienst und die Ambulanzklasse<br />

Ein Modell mit Zukunft für die Kinder- und Jugendpsychiatrie und<br />

Sonderpädagogik<br />

Annette Werner-Frommelt<br />

Studienrätin im Förderschuldienst, Schule an der<br />

Heckscher-Klinik, München<br />

Rita Wagner<br />

Studienrätin im Förderschuldienst, Schule an der<br />

Heckscher-Klinik, München<br />

Dr. med. Sibylle Lehnerer<br />

Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie,<br />

Heckscher Klinikum GmbH, München<br />

Einführung<br />

In unserem Workshop berichten wir über Modelle der Zusammenarbeit einer<br />

großen kinder- und jugendpsychiatrischen Institutsambulanz mit der<br />

angegliederten Klinikschule, welche wir in den letzten fünf Jahren entwickelt<br />

und ausgebaut haben.


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

48 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

49<br />

Diese Vernetzung Ambulanz - Schule ist gewachsen auf dem Hintergrund<br />

der zunehmenden Inanspruchnahme von Patienten mit assoziierten Schulproblemen.<br />

Bei vielen unserer Patienten ist die Schule mittelbar oder unmittelbar<br />

mit betroffen.<br />

Man geht davon aus, dass bei ca. 60% der Patienten einer kinder- und<br />

jugendpsychiatrischen Ambulanz auch gravierende schulische Probleme<br />

vorliegen. Nicht selten stellen Schulprobleme den eigentlichen Vorstellungsanlass<br />

dar.<br />

Im ersten Abschnitt werden aus ärztlicher Sicht die Aufgabenbereiche der<br />

Institutsambulanz der Heckscher-Klinik vorgestellt, im Anschluss daran wird<br />

die Tätigkeit des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes beschrieben und<br />

schließlich das Projekt der „Ambulanzklasse“ in der Heckscher-Klinik, welches<br />

nun im 4. Jahr erfolgreich durchgeführt wird.<br />

Beide Kolleginnen sind erfahrene Lehrkräfte aus unserer Klinikschule, d.h.<br />

sie haben lange Jahre unsere teil- oder vollstationären Patienten unterrichtet.<br />

Dieser Erfahrungsschatz ist für die ambulante Beratung sehr wertvoll.<br />

Das Heckscher-Klinikum konnte im letzten Jahr sein 80-jähriges Bestehen<br />

feiern, hier in diesen lichten und modernen Neubau ist unser Stammhaus<br />

2003 eingezogen. (Wir hatten uns mit dem Neubau räumlich und personell<br />

deutlich vergrößert, waren aber bald nach dem Umzug bereits wieder<br />

an unsere räumlichen Grenzen gestoßen.)<br />

Die Inanspruchnahme des Heckscher-Klinikums im ambulanten Bereich<br />

stieg im Zeitraum von 1997 bis 2008 von ca. 1500 auf 8000 jährlich betreute<br />

Patienten, die Zahl der stationär versorgten Patienten im gleichen<br />

Zeitraum von ca. 300 auf 1000 pro Jahr.<br />

Die Kinder- und Jugendpsychiatrie erlebt in den letzten Jahren einen bemerkenswerten<br />

Aufschwung.<br />

Als Gründe vermutet man:<br />

• Vermehrte Erkennung und Beachtung psychischer Störungen z.T. Zunahme<br />

der Häufi gkeit von Störungen (z.B. Depressionen, Essstörungen)<br />

• Zunahme psychosozialer Belastungsfaktoren<br />

• Geringere Tragfähigkeit familiärer oder anderer sozialer Bezugssysteme<br />

• Trend zur Früherkennung kinder- und jugendpsychiatrischer Krankheitsbilder,<br />

möglicherweise sind auch die Schwellenängste vor der Psychiatrie<br />

gesunken.<br />

Das Heckscher-Klinikum mit seinen Außenabteilungen Rottmannshöhe<br />

und Rosenheim bietet ca. 140 stationäre und 60 teilstationäre Behandlungsplätze<br />

für Kinder und Jugendliche sowie eine große Institutsambulanz<br />

und Außenambulanzen in Rosenheim, Wolfratshausen, Waldkraiburg und<br />

Ingolstadt.<br />

Stationäre und teilstationäre Behandlungen stellen die „Spitze des Eisberges“<br />

der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung dar. Die meisten<br />

Störungsbilder können mittlerweile im ambulanten Setting diagnostiziert<br />

und auch behandelt werden.<br />

Dies ist sicherlich ein Grund dafür, dass die Ambulanzen in den letzten<br />

Jahren überproportional gewachsen sind.<br />

Unsere hiesige (Münchner) Institutsambulanz ist funktionell in mehrere<br />

Bereiche unterteilt:<br />

Notfallambulanz (tags und nachts),<br />

Spezialambulanz für Entwicklungsstörungen (Autismus und Sprache),<br />

Mobiler Dienst für Heimeinrichtungen (aufsuchender Dienst für GB-Heime<br />

u.a. Einrichtungen der Jugendhilfe),<br />

Suchtambulanz,<br />

Familienambulanz für Kinder psychisch Kranker<br />

und eine große Allgemeinambulanz.<br />

Welche Kinder werden in der Allgemeinambulanz vorgestellt?<br />

Das Altersspektrum beläuft sich auf 4 bis 18 Jahren, d.h. ca. 80 bis 90% der<br />

vorgestellten Kinder sind schulpfl ichtig. Es ist daher nahe liegend, dass viele<br />

Verhaltensstörungen auch zu Auffälligkeiten in der Schule führen.<br />

Welche Probleme führen zur Vorstellung in der Ambulanz?<br />

(Zitate aus den Anmeldebögen:)<br />

Die Eltern berichten, mein Kind...<br />

„kann sich nicht konzentrieren“,<br />

„wird schnell aggressiv“,<br />

„ist lustlos, unmotiviert“,<br />

„spielt den ganzen Tag PC, macht keine Hausaufgaben“,<br />

„schreibt in der Schule schlechte Noten, obwohl es zu Hause die Sachen kann“,<br />

„zeigt Auffälligkeiten im Kindergarten, ist es schulreif?“,<br />

„will oder kann sich nicht einordnen“,<br />

„spricht vor Fremden nicht“,<br />

„hat Trennungsangst“,<br />

„hat Ängste, Bauchweh, möchte nicht zur Schule“,<br />

„wird gemobbt“,<br />

„zieht sich zurück“,<br />

„wirkt traurig“,<br />

„verletzt sich selbst, äußert Suizidgedanken“,<br />

„nimmt vielleicht Drogen“...<br />

Wie sieht nun unsere Arbeit aus?<br />

Wir versuchen uns ein Bild von dem Kind/Jugendlichen zu machen, die<br />

verschiedenen Bedingungsfaktoren der psychischen Auffälligkeiten zu beleuchten<br />

und durch eingehende Untersuchungen im multiprofessionellen<br />

Team eine Diagnose zu erstellen.<br />

Die diagnostische Phase umfasst psychiatrische, pädiatrisch-neurologische<br />

Aspekte, psychologische Diagnostik, sowie psychosoziale Diagnostik,<br />

Umfeldanalyse, d. h. Einholen von fremdanamnestischen Angaben aus<br />

Schule, von Erziehern, von Betreuern oder dem Jugendamt.<br />

Sie richtet sich im Umfang nach den Erfordernissen des individuellen Falles.<br />

Die multiprofessionelle Tätigkeit erfordert einen hohen Zeit- und Koordinationsaufwand.<br />

In der Allgemeinambulanz des Heckscher-Klinikums arbeiten derzeit 7<br />

Ärzte, 7 Psychologen, 3 Sozialpädagogen, 2 Sprachtherapeuten. Zugeordnet<br />

sind der Ambulanz eine Beratungslehrerin sowie therapeutische Mitarbeiter<br />

aus dem klinischen Bereich (Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten<br />

– tiefenpsychologisch orientiert, Verhaltenstherapeuten, Spiel-,<br />

Gesprächstherapeuten, systemische bzw. Familientherapie, Traumatherapeuten,<br />

auch nonverbale Therapiemethoden wie Musik-, Tanz-, Kunst-,<br />

Ergotherapie etc.)<br />

Ohne auf die verschiedenen Störungsbilder im Einzelnen eingehen zu können,<br />

möchte ich einige häufi ge bei uns in der Ambulanz gestellten Diagnosen<br />

aufl isten.<br />

ADHS,<br />

Essstörungen (Bulimie, Anorexie),<br />

Psychosen,<br />

Angststörungen,<br />

Depressionen,<br />

Suchterkrankungen (stoffl ich gebunden und Mediensucht),<br />

Teilleistungsstörungen (LRS, Dyskalkulie),<br />

Sprachentwicklungsstörungen,<br />

Störungen des Sozialverhaltens,<br />

Posttraumatische Belastungsreaktionen,<br />

Anpassungsstörungen,<br />

Bindungsstörungen,<br />

Kinder nach Vernachlässigung, Misshandlung, sex. Missbrauch,<br />

Autismus,<br />

Intelligenzminderung und Verhaltensstörungen,<br />

Ticstörungen, Zwänge,<br />

Somatoforme Störungen,<br />

Einnässen, Einkoten,<br />

Schlafstörungen,<br />

Persönlichkeitsstörungen,<br />

Selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität.<br />

Nach der multiprofessionellen Diagnostik werden mit den Sorgeberechtigten<br />

und dem Kind unsere Untersuchungsergebnisse besprochen, eingehend<br />

über Wesen, Verlauf und Prognose der jeweiligen Störungsbilder<br />

informiert und über therapeutische Möglichkeiten beraten sowie konkrete<br />

Maßnahmen gemeinsam geplant.<br />

Diese können im Sinne eines multimodalen Vorgehens (grob gegliedert)<br />

beinhalten:<br />

kindbezogene psychotherapeutische Maßnahmen, Pharmakotherapie<br />

oder andere Therapien, familienorientierte Maßnahmen wie Elterntraining<br />

oder auch psychotherapeutische Behandlungen mit den Eltern, Familientherapie,<br />

aber auch umfeldbezogene sozialpädagogische oder sozialpsychiatrische<br />

Maßnahmen, meist unter Einschaltung der ASD oder Jugendamtes,<br />

Einleitung von Jugendhilfemaßnahmen.<br />

Durch Hinzuziehung unseres Sonderpädagogischen Beratungslehrers kann<br />

die schulische Perspektive intensiv in diese Beratung und Weichenstellung mit<br />

einbezogen werden bzw. über den Kontakt zur Heimatschule konkrete Informationen<br />

weitergegeben und Veränderungen eingeleitet werden.<br />

Zusammenarbeit mit der Schule<br />

Wie sieht die Vernetzung konkret aus?<br />

Seit 2006 nimmt die Beratungslehrkraft an der wöchentlichen Ambulanzbesprechung<br />

teil, in welcher diejenigen Kinder besprochen werden, bei<br />

welchen eine schulische „Beratung“ indiziert ist und von der Familie gewünscht<br />

wird.<br />

Bereits in der Diagnosephase kann eine Kontaktaufnahme unseres Beratungslehrers<br />

mit den aktuellen Lehrern der Heimatschule des Kindes wichtig<br />

sein, um das klinische Bild zu vervollständigen und die Gesamtsituation<br />

des Kindes besser einschätzen zu können.<br />

Zur Abklärung der weiteren schulischen Perspektive ist die Zusammenarbeit<br />

mit unserem Beratungslehrer wichtig. Folgende Fragestellungen können<br />

bedeutsam sein:<br />

Wo ist der geeignete Förderort? Welche besonderen Bedürfnisse hat der<br />

Schüler im Hinblick auf Klassenstärke und Arbeitsformen? Ist eine Umschulung<br />

sinnvoll? Wird ein Integrationshelfer benötigt? Was gibt es für<br />

lokale Ressourcen im schulischen Bereich?<br />

In Hinblick auf die Koordination kurz- und längerfristiger Interventionen,<br />

sowie zur Aufklärung des Klassenlehrers über das jeweilige Störungsbild<br />

und die Auswirkung auf die Unterrichtssituation ist die Tätigkeit unseres<br />

Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes sehr hilfreich. Durch die Vermittlung<br />

des Beratungslehrers können diagnostische Ergebnisse und sich<br />

daraus ergebende Fördermöglichkeiten effektiver in die schulische Arbeit<br />

einfl ießen.<br />

Der MSD wird somit zu einer Schnittstelle zur Heimatschule und der Kinder-<br />

und Jugendpsychiatrie und erfüllt eine „Scharnierfunktion“. Diese Vernetzung<br />

zwischen Klinik und Schule ist gerade auch in Krisensituationen<br />

notwendig, da wir immer häufi ger auf Schüler treffen, die schulisch über<br />

Wochen nicht versorgt sind, und für die ihre Lehrer und Eltern allein keinen<br />

Weg fi nden, um die Probleme zu bewältigen.<br />

Es gibt auch defi nitiv zahlreiche Krisenvorstellungen in unserer Ambulanz,<br />

die unmittelbar in der Schule ihren Ausgang nehmen (Schulverweigerung,<br />

Selbst- oder Fremdgefährdung, Amokdrohung).<br />

Viele Patienten benötigen neben medizinisch-therapeutischen natürlich<br />

auch pädagogische Hilfen.<br />

Nach unserer bisherigen Erfahrung nehmen die Sorgeberechtigten in der<br />

Regel diese Vermittlungstätigkeit sehr dankbar entgegen.<br />

Natürlich gibt es auch Probleme und Grenzen in dieser „Schnittstellenarbeit“:<br />

So sind wir von ärztlicher Seite streng an die Vorgaben der ärztlichen Schweigepfl<br />

icht gebunden und setzen uns über diese nur hinweg, wenn die Sorgeberechtigten<br />

dies wünschen und uns ausdrücklich davon entbinden.<br />

Auch wenn wir von der Schweigepfl icht entbunden sind, gehen wir grundsätzlich<br />

mit der Informationsweitergabe behutsam um:<br />

Nach dem Motto „So wenig, wie möglich, so viel, wie nötig“ werden an die<br />

Heimatschule nur die Informationen weitergegeben, welche im Interesse<br />

des Kindes bzw. seiner schulischen Förderung stehen.<br />

Die bisherige, von Jahr zu Jahr intensivierte Zusammenarbeit der Ambulanz<br />

des Heckscher-Klinikums mit dem Mobilen Sonderpädagogischen<br />

Dienst zeigt bereits deutlich, dass hier sehr erfolgreich auch präventiv gearbeitet<br />

werden kann. Die positiven Rückmeldungen von Eltern und Lehrern<br />

unterstreichen den Bedarf.<br />

Zweifelsohne trägt der intensive fachliche Austausch zwischen Klinik und<br />

Schule auch für uns zur kontinuierlichen Fortbildung bei: Aus erster Hand<br />

erfahren wir „Kliniker“ über Veränderungen der Schullandschaft, neue kultusministerielle<br />

Beschlüsse etc. und umgekehrt werden die Lehrer über<br />

neue klinische Erkenntnisse oder Behandlungsmethoden auf dem Laufenden<br />

gehalten und tragen dieses Wissen in die „Heimatschulen“ unserer<br />

Patienten weiter.<br />

Die Entwicklung eines medizinisch-therapeutischen und sonderpädagogischen<br />

Gesamtkonzepts für die gemeinsame ambulante Tätigkeit erscheint<br />

auf der Basis der bisherigen Erfahrungen nicht nur lohnend, sondern auch<br />

notwendig.<br />

Das Modell der Ambulanzklasse an der Schule an der Heckscher-<br />

Klinik in München<br />

Ein Kooperationsmodell zwischen Klinik und Schule<br />

Aktuelle Entwicklung<br />

• Steigende Zahlen im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />

• 60 % der vorgestellten Fälle in der Ambulanz haben große Probleme in<br />

der Schule<br />

• Ambulante Versorgung vor stationärer Versorgung als Ziel<br />

Warum eine Ambulanzklasse ?<br />

• Reaktion auf Bedarf der Ambulanzen<br />

• Niederschwelliges Angebot mit zeitnaher Versorgung mit Blick auf Lebensrealität<br />

Schule<br />

• Bessere Vernetzung von Schule und Psychiatrie<br />

Was ist neu?<br />

Station<br />

Tagesklinik<br />

Ambulanzklasse<br />

Ambulanzen<br />

Konzept der Ambulanzklasse an der Heckscher-Klinik<br />

Ambulanz<br />

E<br />

Fragestellung/Auftrag ?<br />

Arzt und / oder Schule meldet<br />

Bedarf an<br />

MSD Arbeit<br />

Ambulanzklasse<br />

Ambulanz<br />

A


50 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

51<br />

Das multiprofessionelle Team der Ambulanzklasse<br />

Sprachtherapeutin<br />

8 Stunden<br />

III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

Kinder- und Jugendpsychiater<br />

der<br />

Ambulanzen<br />

Ambulanzklasse mit ca. 6 Kinder<br />

mit<br />

Sonderpädagogin und Heilpädagogin<br />

Psychologin<br />

8 Stunden<br />

Sozialdienst<br />

2 Stunden<br />

Erzieherin<br />

10 Stunden<br />

Was kann die Ambulanzklasse leisten?<br />

• Umfassende diagnostische Abklärung (im Team)<br />

• Lern- und Verhaltensbeobachtung im Gruppenkontext<br />

• Feststellung des Förderbedarfs und der therapeutischen Hilfen<br />

• Elternarbeit<br />

• Medikationseinstellung<br />

• Einleitung/Durchführung von Fördermaßnahmen und Therapieanbahnung<br />

(Sprachtherapie, Psychotherapie, Legasthenie- und Dyskalkulietherapie)<br />

• Verhaltenstraining (z.B. Aufbau schuladäquaten Verhaltens, Verhaltenssteuerung)<br />

• Korrektur der Schullaufbahn, Schulwechsel<br />

• Koordination der Maßnahmen<br />

• Nachsorge im pädagogischen Rahmen<br />

Organisation der Ambulanzklasse<br />

• Alterspektrum der Kinder zwischen 5,5 und 9,9 Jahre ( Vorschulalter bis<br />

3./4.Klasse)<br />

• Schüler bleiben an den Herkunftsschulen angemeldet<br />

• Unterricht/Therapie/Diagnostik in der Zeit von 8.00 bis 12.00<br />

• Nachmittagsbetreuungen bleiben erhalten<br />

• Die Kinder werden mit dem Taxi oder von den Eltern gebracht<br />

• Verweildauer 2 bis 10 Wochen<br />

• Wartezeit ca. 3 Wochen<br />

Diagnosespektrum<br />

• Störungen des Sozialverhaltens: 31%<br />

• Emotionale Störung: 35%<br />

• ADHS: 35%<br />

• Ausgeprägte Teilleistungsstörungen: 26%<br />

• Sprachstörungen : 31%<br />

• Autismus: 26%<br />

• Sonstiges (Mot.Stö./Tourette/Ticstö.): 5%<br />

Zahlen<br />

• 30 bis 35 Kinder pro Schuljahr in der Ambulanzklasse aufgenommen<br />

(2007–2011)<br />

• Durchschnittlich 3,5 Wochen Wartezeit<br />

• Verweildauer durchschnittlich 6 Wochen<br />

• Bei 45 % der Schüler/Patienten wird ein Schulwechsel notwendig<br />

Folgemaßnahmen<br />

• Fortführung und Vermittlung therapeutischer Hilfen<br />

• Weiterführung von Medikation<br />

• Beratung der Schulen/Päd.Nachsorge<br />

• Anbindung an spezifi sche Elterngruppen<br />

• Installation eines Integrationshelfers<br />

• Anbindung an Ambulanz (regelmäßige WV Angebot/kurzfristige Terminfenster)<br />

Erfahrungen<br />

• Ausgewogene Mischung der Diagnosen für Gruppenbildung am sinnvollsten<br />

• Schulrelevanz des beschriebenen Diagnosespektrums am höchsten<br />

• Nachsorgemaßnahmen im Verlauf sehr sinnvoll und nachhaltig<br />

Ausblick<br />

• Sehr gute Akzeptanz durch Klinik, Eltern und Schulen<br />

• Qualitative Verbesserung der ambulanten Versorgung<br />

• Vernetzung/Nachsorge Psychiatrie und Schule deutlich verdichtet<br />

• Steigende Nachfrage<br />

Grenzen und Gefahren<br />

• Klares Profi l schaffen und erhalten<br />

• Keine „offene Nebentür“ für alle problematischen Schüler schaffen<br />

• Keine „Warteschleife“ bei bereits bekanntem höherem Behandlungsbedarf<br />

Wie reagieren die Kinder?<br />

• Können sich gut auf neue Situation einlassen<br />

• Oft aus Krisensituation „erlöst“<br />

• Integration für Kinder mit Schulausschluss/„krank“ geschriebene Kinder<br />

• Schnelle Hilfe entlastet das gesamte System<br />

Grenzen kranker Kinder – Starke Eltern – Starke Kinder<br />

Andrea Huber<br />

Trainerin für Starke Eltern-Starke Kinder®, Moosburg<br />

Einleitung:<br />

Die positive Bedeutung von Grenzen für das menschliche Leben, insbesondere<br />

für die Entwicklung von Kindern, ist unbestritten. Grenzen geben<br />

Sicherheit und Orientierung, sie vermitteln das Gefühl von Zugehörigkeit<br />

und Verlässlichkeit, lassen die eigene Stärke spüren und die eigene Einzigartigkeit.<br />

Aus diesen Gefühlen heraus fühlen sich Menschen ermutigt,<br />

neue Ziele anzugehen und in die Zukunft zu planen. Hingegen sind ohne<br />

Grenzen weder Individualität noch Identität möglich, die Ausbildung von<br />

Autonomie und Eigenständigkeit wird behindert.<br />

Im Krankenhaus werden die Grenzen der Patienten (gleich ob klein oder<br />

groß) immer wieder überschritten. Ich nehme sogar an, dass dies vielen<br />

Ärzten und Pfl egekräften gar nicht bewusst ist: jede erzwungene Tabletteneinnahme,<br />

jedes Blutabnehmen, jede Spritze ist ein Eingriff in die<br />

Selbstbestimmung und ein Überschreiten der körperlichen Grenzen des<br />

Patienten. Ganz klar: all diese Dinge müssen sein – dennoch plädiere ich<br />

dafür, sich die Grenzen kranker Kinder bewusst zu machen und, wo möglich,<br />

noch stärker darauf Rücksicht zu nehmen.<br />

Gleichzeitig tun sich fast alle Eltern von (lebensbedrohlich) erkrankten Kindern<br />

schwer damit, klare Grenzen zu setzen. Sowohl die eigenen Grenzen<br />

verschwimmen als auch die der Kinder – sie werden in Themenkomplexe<br />

involviert, die sie eigentlich nichts angehen; sie werden mit Entscheidungen<br />

konfrontiert, die sie überfordern. Immer wieder lässt sich beobachten,<br />

dass die Grenzen, die bislang ganz selbstverständlich in der Erziehung<br />

des Kindes galten, ihre Bedeutung verlieren: plötzlich ist alles erlaubt, jeder<br />

Wunsch des Kinder soll erfüllt werden – als Kompensation für all das<br />

Schlimme, das es erleiden muss und wohl auch aus der Angst heraus, das<br />

Kind könne sterben.<br />

Die Folgen sind oft erst viel später ersichtlich, weit nach der Gesundung<br />

des Kindes: Anpassungsschwierigkeiten in Schule und Familie, der Verlust<br />

des Gefühls für angemessene eigene Grenzen, extreme Grenzsetzungen,<br />

extrem grenzüberschreitendes Verhalten aber auch Ängste und Depressionen<br />

zeigen sich bei vielen Kindern, die eine schwere, lebensbedrohliche<br />

Krankheit überstanden haben.<br />

Einzel-, nachfolgend Gruppenarbeit zu folgenden Fragen:<br />

1. Wie markieren kranke Kinder ihre Grenzen?<br />

2. Kenne ich Kinder, die dies nicht tun? Wie verhalten sie sich?<br />

3. Was sind meine eigenen Grenzen im Umgang mit dem kranken Kind?<br />

4. Wie vertrete ich diese Grenzen? Wie mache ich sie deutlich?<br />

5. Wo fällt es (mir) schwer, Grenzen zu setzen?<br />

Zu 1. Kranke Kinder zeigen ihre Grenzen nonverbal, indem sie Blickkontakt<br />

vermeiden, sich abwenden, sich „verstecken“ (hinter Haaren, verschränkten<br />

Armen, unter der Bettdecke), in Schweigen versinken und keine Reaktion<br />

zeigen, sich schlafend stellen, aus der Situation gehen, wegrennen<br />

oder ablenken. Manche Kinder zeigen sie auch verbal, indem sie sich deutlich<br />

äußern („Lassen Sie mich in Ruhe!“ - „Kann nicht Mathe denken!“)<br />

oder indem sie Beschwerden benennen und damit ihren Rückzug erklären.<br />

Manche fi xieren sich total auf ihre Bezugsperson und lehnen den Kontakt<br />

zu anderen Personen ab.<br />

Zu 2. Kranke Kinder „ohne Grenzen“ wirken oft gleichgültig oder angepasst.<br />

Sie verstecken ihre Gefühle. Manche überschreiten selbst Grenzen<br />

(köperlich oder verbal) indem sie den Körperkontakt zur Lehrerin suchen<br />

oder kumpelhaftes Verhalten an den Tag legen. Ihnen fehlt die gesunde<br />

Distanz. Sie manipulieren, verhalten sich albern oder überdreht, akzeptieren<br />

keine Grenzen, verletzen sich selbst, um überhaupt Grenzen zu spüren<br />

oder verhalten sich passiv und lethargisch. Letztlich suchen auch diese<br />

Kinder Grenzen, provozieren sie sogar.<br />

Zu 3. Die persönlichen Grenzen von Lehrkräften sind sehr unterschiedlich,<br />

zumeist gibt es keinen Unterschied, ob sie mit kranken oder gesunden<br />

Kindern zu tun haben. Eine Besonderheit im Krankenhaus gibt es allerdings:<br />

Immer wieder werden die LehrerInnen der Schulen für Kranke<br />

instrumentalisiert, müssen sie Aufgaben übernehmen, die nicht in ihren<br />

Bereich gehören. Wenn sie etwa gebeten werden, die Tabletteneinnahme<br />

zu überwachen, kann dies das Vertrauensverhältnis zw. LehrerIn und Kind<br />

beschädigen.<br />

I.d.Regel vermeiden Lehrkräfte es, bei med. Untersuchungen anwesend zu<br />

sein aus Respekt vor der Würde des Kindes.<br />

Zu 4. und 5. Meist ist es den Lehrkräften möglich, diese Grenzüberschreitungen<br />

anzusprechen bzw. sich zu wehren. Es gibt auch Situation, in denen<br />

dies schwierig ist (etwa bei einem unangenehm riechenden Kind.) Wenn<br />

es dem Kind sehr schlecht geht, ist es besonders schwierig, Distanz und<br />

eigene Grenzen zu wahren.<br />

Gespräche mit Eltern sind ebenfalls potentiell schwierig: als Vertrauensperson<br />

und „Nicht-Kittel-Träger“ werden Lehrkräfte gern zu Gesprächspartnern,<br />

bei denen Eltern verschiedenste Probleme „abladen“. Der<br />

Verweis auf Sozialpädagogen oder Psychologen im Krankenhaus ist nur<br />

bedingt möglich: noch immer gibt es diese Dienste nicht in allen Kliniken.<br />

Leitlinien zur Interpretation der Kinderzeichnung<br />

Die Anwendung von Kinderzeichnungen in Diagnostik, Beratung,<br />

Förderung unt Therapie<br />

Dr. Christa Seidel<br />

Diplom-Psychologin, Klinische Psychologin BDP<br />

Ein hervorragendes Medium für Diagnostik, Beratung, Förderung und Therapie<br />

sind Zeichnungen. Bildgestützte Kommunikation bietet Lehrkräften<br />

im Krankenhaus die Möglichkeit, insbesondere chronisch oder lebensbedrohlich<br />

erkrankte Schüler besser verstehen zu lernen und einen Zugang<br />

zu ihrem persönlichen Umfeld, zu ihren individuellen Fähigkeiten und Potenzialen<br />

(Ressourcen) aber auch ihren Defi ziten, Bedürfnissen, Wünschen<br />

und Ängsten zu gewinnen. Über die fachkompetent durchgeführte strukturierte<br />

Beobachtung und Interpretation von Zeichnungen lassen sich Entwicklungs-<br />

und Verhaltensprobleme im Ansatz erkennen. Weiterbildung<br />

auf diesem wichtigen Gebiet der qualitativen Entwicklungspsychologie ist<br />

allerdings erforderlich. Projektive Deutungen dürfen nur auf der Grundlage<br />

biographischer und autobiographischer Daten und mit psychotherapeutischer<br />

Fachkompetenz erfolgen! Anhand digitaler Bildreproduktionen und<br />

Poster werden Fallbeispiele erläutert und Schülerzeichnungen der Teilnehmer<br />

des Forums im Hinblick auf erkennbare Entwicklungsmerkmale, Probleme<br />

im Umgang mit der Krankheit (emotionale Traumatisierungen) und<br />

auf Möglichkeiten der pädagogischen Hilfestellung besprochen.<br />

(siehe Website: www.hope<strong>2010</strong>munich.eu)<br />

Saving Minds and Bodies. Health and Education Working Together<br />

Tracy Webster<br />

National Learning Program Manager<br />

Ronald McDonald House Charities - Thornleigh, NSW, AUSTRALIA<br />

Introduction<br />

Improvements in medical science mean more and more children are now<br />

long term survivors of serious illnesses such as cancer, cystic fi brosis and<br />

heart disease. Treatments however, often come at the expense of lengthy<br />

convalescence and missed schooling. Additionally, treatments such as chemotherapy<br />

and cranial radiation can have damaging effects on the brain.<br />

Research indicates approximately 43.8 % of children who have survived a<br />

serious illness and return to school will not cope with the workload.<br />

Methodology<br />

The Ronald McDonald Learning Program (RMLP) minimises the negative<br />

effects of illness and treatment by providing a multidisciplinary approach.<br />

Comprehensive psychometric, academic, speech pathology and occupational<br />

therapy assessment is offered to determine the learning strengths<br />

and needs of each child. From the results of assessment an individual education<br />

plan is developed and implemented by a highly qualifi ed teacher.<br />

Each student is provided with weekly one-on-one sessions. In addition,<br />

speech pathology and occupational therapy sessions are also provided<br />

if required. The RMLP team liaise with the student, their family, the home<br />

school and medical team to ensure the best possible outcomes for each<br />

individual.<br />

The RMLP is provided free to families and funded by Ronald McDonald<br />

House Charities. The RMLP was created in 1998 to address the needs<br />

of many families who were reporting their child’s missed schooling was<br />

having a far greater long term impact than their illness.<br />

The RMLP is available to any student who has had lengthy school absences<br />

due to serious illness.<br />

In order to support home school teachers in meeting the needs of children<br />

with illness in their classroom or returning to their class the RMLP also<br />

provides accredited professional development to schools. The professional<br />

development module named EDMed® provides information about a<br />

range of illnesses such as Cancer, Cystic Fibrosis, Asthma, Burns etc and<br />

includes strategies for parents, teachers and the school community to<br />

better support the student. An EDMed book is available for parents and<br />

teachers. Both the EDMed professional development and EDMed book are<br />

provided free to schools and families.<br />

Results<br />

Research reveals academic gains are not the only benefi t of the Ronald<br />

McDonald Learning Program. Children feel more confi dent and have an<br />

improved self concept. This greater confi dence improves his/her overall<br />

capacity for learning.<br />

Our fi ndings reveal the long term impact of missed schooling and some<br />

treatments manifests learning diffi culties in the area of memory, attention<br />

span, problem solving ability and information processing for these children.<br />

More than 3000 children have been supported by the program since<br />

its inception. Referrals from medical and education professionals mean<br />

the RMLP often has diffi culty keeping up with demand.<br />

Conclusion<br />

The Ronald McDonald Learning Program is providing vital educational support<br />

to children recovering from acute and chronic illness. Without this support<br />

many of these children would fail at school and never reach their full<br />

potential. Providing targeted educational support for a child with serious<br />

illness is vital for improving his/her long term outcomes. Above all it demonstrates<br />

the belief that we are confi dent of his/her future.<br />

1Shui, S. Dr (2005). Healthy Solutions For Children – Making the right choice. Paper presented at the 10th<br />

National Conference Association for the Welfare of Child Health. Sydney Australia.


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

52 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

53<br />

2Jenkins. H. Assoc Prof. (2009). An evaluation of the Ronald McDonald Learning Program (RMLP) to determi-<br />

ne its impact on improving the achievement and self-concept of West Australian children who have missed<br />

significant amounts of schooling due to prolonged hospitalisation. School of Education Curtin University of<br />

Technology Perth, Western Australia.<br />

Begleitung von trauernden Klassen<br />

Werner Häcker<br />

Sonderschulkonrektor, a.D., Tübingen<br />

Meine wohl schwierigste Aufgabe als Lehrer in einer Klinikschule war die<br />

Begleitung eines Schülers, für dessen Krankheit es keine Erfolg versprechende<br />

Therapie mehr gibt und der nach menschlichem Ermessen in absehbarer<br />

Zeit sterben wird.<br />

Wenn ich am Anfang einer Erkrankung zu einem Schüler komme, bin ich<br />

Lehrer und damit auch gleichzeitig Hoffnungsträger für die Genesung. Es<br />

entwickelt sich eine Beziehung zu dem Patienten, die durch meine Begleitangebote<br />

verstärkt wird. Und wenn ich dann noch besonderen Wert<br />

auf die Kontakte zur Schulklasse lege, beinhaltet dies für den Patienten:<br />

Der Kliniklehrer will, dass der Kontakt erhalten bleibt und glaubt daran,<br />

dass ich wieder in diese Klasse zurückkehren werde.<br />

In diesem Prozess der Begleitung gibt es Phasen, in denen ich die Hoffnung<br />

auf Heilung mit dem Patienten und der Klasse vorbehaltlos teilen<br />

kann. Der offene und ehrliche Umgang mit der Erkrankung in der Klinik<br />

bewirkt bei vielen Patienten, dass sie diese Offenheit und Ehrlichkeit in<br />

die Klasse hineintragen; so kann auch bei den Heimatschulbesuchen die<br />

Klasse damit konfrontiert werden, dass die Chance für den erkrankten<br />

Mitschüler, wieder gesund zu werden, eher gering ist.<br />

Wenn die Ärzte zu der Überzeugung gelangen, dass alle Behand lungsmöglichkeiten<br />

ausgeschöpft sind, wird dem Patienten und seinen Eltern<br />

dies in einem ausführlichen Gespräch von dem Arzt, der das Vertrauen des<br />

Patienten genießt, mitgeteilt. Dem Patienten wird zugesichert, dass er für<br />

die folgende Zeit sowohl psychosoziale als auch medizinische Unterstützung<br />

erhält. Es wird dafür gesorgt, dass er in der letzten Zeit seines Lebens<br />

wenig Schmerzen hat und auch die Eltern bei den nun anstehenden Fragen<br />

vertraute Gesprächspartner haben.<br />

Es kann auch der Zeitpunkt kommen, an dem ich die Wahrheit über die<br />

geschwundenen Heilungschancen akzeptieren muss. Ich achte dann darauf,<br />

dass ich mein Wissen um das bevorstehende Sterben dem erkrankten<br />

Schüler und der Klasse nicht überstülpe, sondern ich beobachte und tausche<br />

mit den anderen Klinikmitarbeitern aus, wo der Patient gerade steht,<br />

ob er Ängste zulässt oder überspielt, ob er darüber reden will oder nicht,<br />

was er seiner Klasse mitteilen will oder nicht.<br />

Was geschieht nun mit der Klasse und den Lehrern? Immer wieder kommt<br />

der erkrankte Schüler in Nöte, wie er sich seiner Klasse gegenüber verhalten<br />

soll. Bei ambulanten Besuchen in der Klinik bespreche ich mit dem<br />

Patienten, wie der Kontakt zu der Klasse weitergehen kann. Einerseits will<br />

er nicht bemitleidet werden, andererseits spürt er meistens, dass er gerade<br />

jetzt einen guten Kontakt zu seinen besten Freunden braucht. Ich<br />

ermutige die Klassenlehrerin, mit der Klasse ein Gespräch zu führen, damit<br />

die Mitschüler eigene Handlungsmöglichkeiten entwickeln können, um<br />

sich zu verabschieden. Wenn wir uns von den Wünschen und Bedürfnissen<br />

unserer Schüler leiten lassen, dann kann das auch heißen, dass einige<br />

auch keinen Kontakt mehr zur Klasse haben möchten. Viele ziehen sich<br />

zurück, wollen nur noch ihre Familie und die engsten Freunde um sich<br />

haben. Dann ist es wichtig, dies den Mitschülern verständlich zu machen<br />

und mit ihnen dennoch eine Form zu finden, wie sie ausdrücken können,<br />

dass sie in Gedanken bei ihrem Mitschüler sind - und einen Raum für ihre<br />

Trauer zu schaffen.<br />

Das Wesentliche ist dabei, dass wir den Weg des Kindes, des Jugendlichen<br />

mitgehen, herausfinden, was es selbst möchte und es dabei unterstützen,<br />

das zu realisieren. Ebenso wichtig ist es, zu verstehen, dass das Wissen<br />

um das baldige Sterben nicht notwendiger Weise zu Verzweiflung führen<br />

muss. Dass vielmehr andere Hoffnungen die Hoffnung auf Heilung ersetzen<br />

oder zu dieser hinzukommen können: die Hoffnung auf einen schönen<br />

heutigen Tag, auf gute Gespräche, Erlebnisse und Begegnungen, auf eine<br />

Zeit mit möglichst wenig Schmerzen, darauf, nicht vergessen zu sein, sondern<br />

im Herzen der Menschen weiter zu leben - und auf ein besseres,<br />

leidfreies Dasein nach dem Tod. Eine solche Anerkennung der „neuen Realität“<br />

schließt nicht aus, dass die Kinder und Jugendlichen dennoch in<br />

einem Teil ihres Wesens irreale Hoffnungen auf ein Weiterleben in sich<br />

tragen und äußern können, und manchmal können wir den Symbolgehalt<br />

solcher Äußerungen erkennen ...<br />

Auch die Frage, was man einem Mitschüler schenken kann, der voraussichtlich<br />

nicht sehr lange leben wird, bewegt die Klasse oder manchmal<br />

auch nur die engsten Freunde:<br />

Fünf Mädchen schenkten einem erkrankten Mitschüler ein gelbes Kopfkissen,<br />

auf das sie ihre Namen schrieben.<br />

Zwei Tage nach dem Tod ihres Freundes setzten sich die gleichen Mädchen<br />

mit ihrer ehemaligen Klassenlehrerin zusammen und redeten über<br />

die lange Zeit der Erkrankung und was sie dabei Schönes gemeinsam gemacht<br />

und erlebt hatten. Dabei entstand die Idee, diese gemeinsamen<br />

Erlebnisse stichwortartig aufzuschreiben. Es wurde eine große Sonne aus<br />

gelbem Karton mit dem Namen darauf hergestellt und auf die Strahlen die<br />

Erlebnisse geschrieben. Mit den Eltern des Verstorbenen wurde dann abgesprochen,<br />

dass diese Erlebnisse bei der Beerdigungsfeier in der Kirche<br />

vorgelesen und auf die Sonne geklebt werden sollten.<br />

Bei der Begleitung eines Schülers, bei dem ein Heilungserfolg immer<br />

unwahrscheinlicher wird, durchlaufe ich selbst eine innere Entwicklung:<br />

Phasen des Nichtwahrhabenwollens, des Hoffens auf ein Wunder, aber<br />

schließlich auch eine Akzeptanz des Unvermeidlichen und damit ein Besinnen<br />

darauf, was in der letzten Phase dem Patienten und auch seiner<br />

Klasse angemessen ist.<br />

Eine lange Zeit der Erfahrung als Kliniklehrer war für mich notwendig, bis<br />

ich mir zutraute, mich auf das Sterben eines Kindes oder Jugendlichen einzulassen.<br />

Ich lasse mich von den Bedürfnissen des Schülers leiten, ohne<br />

dabei meine eigene Befindlichkeit außer acht zu lassen. Dabei kommt immer<br />

wieder die eigene Angst vor dem Tod und dem Sterben, und es half<br />

mir, mit meinen Kollegen und Freunden darüber zu reden oder diese Angst<br />

in der Supervision zum Thema zu machen.<br />

Es ist ja eigentlich genug, wenn man eine emotionale Beziehung zu einem<br />

Schüler aufgebaut hat, ihn in seiner letzten Phase seines Lebens zu begleiten<br />

und dann soll ich auch noch für die trauernde Klasse und die Lehrer<br />

sorgen, damit diese sich auch von ihrem Mitschüler gut verabschieden<br />

können. Ich will ehrlich sein, diese Aufgabe war mir manchmal zu viel und<br />

ich hatte gehofft, dass die Lehrer in den Heimatschulen diese Aufgabe<br />

dann übernehmen. Aber leider sind die Lehrer mit einer solchen Begleitung<br />

noch mehr überfordert als ich und häufig passiert kein gelungener<br />

Abschied. Es werden Blumen am Grab abgelegt, es wird geweint, aber es<br />

findet selten ein hilfreiches Gespräch mit den Mitschülern statt.<br />

Im Laufe meiner Arbeit als Kliniklehrer konnte ich aber doch einige Male<br />

die verwaisten Klassen und Lehrer so begleiten, dass ich anschließend<br />

das Gefühl hatte: Das war Hilfe für die Mitschüler und Lehrer, ich konnte<br />

ihnen helfen, ihre Trauer zu zeigen und konnte sie dabei unterstützen, den<br />

Verlust ihres Mitschülers anzunehmen.<br />

Wie kann eine solche Begleitung nun gestaltet werden:<br />

Ein Beispiel:<br />

Emin, ein 10jähriger, an Neuroblastom erkrankter Junge, wusste seit kurzem,<br />

dass er nicht mehr geheilt werden konnte. Er rief mich von zu Hause<br />

an und sagte, dass er unbedingt noch mit seiner Klasse einen Besuch in<br />

der Klinik machen wolle. »Ich möchte ihnen die Station H zeigen, das Häma-Labor,<br />

die Werkstatt, das Nähzimmer, das Schulzimmer, halt alles!« Es<br />

war Mittwoch, und am Freitag, dem letzten Schultag vor den Herbstferien,<br />

wollte er den Besuch machen. Ob es nicht auch nach den Herbstferien<br />

möglich sei. »Nein, das geht nicht!« war seine lapidare Antwort. Mit Telefonaten,<br />

Fax und außerordentlich engagierten Kollegen der Heimatschule<br />

wurde der Besuch dann doch am letzten Schultag ermöglicht. Die Ärzte<br />

in der Klinik untersuchten die 24 Zehnjährigen auf mögliche Infekte im<br />

Klinikgarten.<br />

Klinikmitarbeiterinnen begleiteten die Schüler in drei Gruppen durch die<br />

Klinik. Im Untersuchungszimmer machte Emin vor, wie sterile Handschuhe<br />

angelegt werden und wie die Katheterpflege durchgeführt wird. Den Abschluss<br />

des Besuchs bildete ein Sitzkreis im Schulzimmer, wir sprachen<br />

miteinander und ich las die Geschichte eines 10-jährigen Mädchens vor,<br />

das einige Jahre vor Emin gestorben war: Es ist die Fantasiegeschichte<br />

eines Engels, den sie von einer Freundin geschenkt bekommen und an die<br />

Wand ihrer „Life Island“ gehängt hatte. Mit ihm fliegt sie in den Himmel hinauf,<br />

badet dort, befreit von Katheter und Magensonde, in einem „himmlischen“<br />

Schwimmbad, spielt mit den Engeln im Wasser und rutscht schließlich<br />

direkt zurück in ihr Bett auf der Knochenmarktransplantationsstation.<br />

Ich sicherte der Klasse zu, dass wir uns wieder sehen würden und wir<br />

dann auch miteinander reden würden. Von zwei vorausgehenden Heimatschulbesuchen<br />

wussten die Schüler von der Schwere der Erkrankung und<br />

ahnten, dass Emin bald sterben würde. Alle spürten, dass jetzt das Erlebnis<br />

mit Emin in der Klinik und nicht ihre Fragen nach Sterben und Tod im<br />

Vordergrund standen.<br />

Als ich abends bei Emin zu Hause anrief und fragte, wie ihm denn der Vormittag<br />

mit der Klasse in der Klinik gefallen hatte, antwortete er: »Super!«<br />

Ich lobte ihn, dass er die sterilen Handschuhe so perfekt angezogen hätte.<br />

»Ja«, meinte er, »vielleicht werde ich später Arzt!« Ich spürte bei Emin eine<br />

unerklärbare Hoffnung, ein Traumbild mit sehr realen Zügen, so dass ich<br />

ihm seine Hoffnung lassen konnte. Seine Klasse hat später von ähnlichen<br />

Träumen Emins erzählt.<br />

Eine Woche später starb Emin in Kroatien, wohin er noch unbedingt fahren<br />

wollte. Mit der Klasse gestaltete ich nach den Ferien einen Vormittag in der<br />

Schule. Ich zeigte Dias vom Klinikbesuch, wir erzählten von unseren gemeinsamen<br />

Erlebnissen und jedes Kind schrieb einen Brief an Emin.<br />

Zwei Ausschnitte aus diesen Briefen:<br />

Lieber Emin!<br />

Ich vermisse Dich sehr. Ich habe Dir gesagt, dass ich und Timo mit Dir ein<br />

Picknick machen. Aber es geht ja nicht. Du warst mein bester Freund und<br />

das bleibst Du auch in meinem Herzen, obwohl ich Dich nicht sehen kann.<br />

Ich hoffe, es geht Dir gut. Ich hoffe, Du liest den Brief. So, jetzt male ich<br />

Dir ein Bild, ich hoffe, es gefällt Dir:<br />

Emin als Torwart<br />

Georg<br />

Lieber Emin!<br />

War das schlimm, als Du sterben musstest? Wie war das, als Du Deinem<br />

Papa angerufen hast? Hast Du da gewußt, dass Du sterben musst. Wie ist<br />

das gewesen, als Du in Jugoslawien warst? Wie ist das im Himmel bei Gott<br />

(Allah)? Wie war das für Dich, als die Klasse zu Dir nach Tübingen kam? …<br />

Herr Häcker war so lieb und hat jedem ein Foto von Dir geschenkt. Das<br />

bewahre ich jetzt für immer und ewig auf. Ich hoffe, wenn ich einmal auch<br />

sterben muss, begegnen wir uns im Himmel.<br />

Viele Grüße von Maria<br />

Ich spürte bei mir deutlich Erleichterung, und ich war froh, dass diese Begleitung<br />

so gut gegangen war, dass ich sowohl Emin in der letzten Zeit<br />

seines Lebens als auch seinen Mitschülern in ihrem Abschied von ihm<br />

hilfreich zur Seite stehen konnte. Dies ermutigt mich auch, mich wieder<br />

auf eine solch intensive Begleitung einzulassen. Nach der Trauer und dem<br />

Schmerz um Emin gelang es mir, mir wieder bewusst zu machen: Es ist<br />

nicht mein Tod und es ist auch nicht mein Kind. ja, ich bin dankbar, dass<br />

durch die Nähe ein großes gegenseitiges Vertrauen entstanden ist. Eine<br />

solche Begleitung ist auch ein Geschenk, weil ich lernen kann, mit meinem<br />

eigenen Leben und Sterben und mit dem meiner Freunde bewusster<br />

umzugehen.<br />

Was bei einer Begleitung einer trauernden Klasse wichtig ist:<br />

Die trauernde Klasse und ihre Lehrer sollten entweder alleine oder mit Unterstützung<br />

einer erfahrenen Person miteinander ins Gespräch über den<br />

verstorbenen Mitschüler kommen.<br />

Weil aber Sterben und Tod nicht zum „Normalen“ im Leben gehören, sind<br />

einige Dinge zu beachten:<br />

Es gibt im alltäglichen Leben Anknüpfungspunkte, wie mit „Verlust“ umgegangen<br />

wird:<br />

Man erfährt, dass man eine schlechte Klassenarbeit geschrieben hat oder<br />

gar, dass man nicht versetzt wird.<br />

Dass man den Geldbeutel verloren hat.<br />

Dass man aus einem Freundeskreis ausgeschlossen wird.<br />

Dass man eine Absage erhält<br />

Dass der beste Freund in eine andere Schule geht oder gar in eine andere<br />

Stadt zieht.<br />

Dass man krank wird.<br />

Die erfolgreiche Bewältigung solcher „Verluste“ entweder alleine oder mit<br />

Hilfe von Eltern und Freunden macht Mut und steigert die Widerstandsfähigkeit.<br />

Der Tod eines nahen Angehörigen oder eines Freundes gehört nicht zum<br />

„Normalen“.<br />

Alleine kommen Sie damit nicht zurecht. Sie brauchen Signale, dass ihre<br />

Trauer gesehen wird. Sie brauchen Unterstützung und Anteilnahme.<br />

In der Schule besteht die Gefahr, dass man „drüber geht“, dass man etwas<br />

„vorspielt“, dass nicht darüber geredet wird, dass man zum „Normalen“<br />

übergeht.<br />

Die Schüler und Lehrer brauchen die Chance, dass sie drüber reden können.<br />

Schon allein, wenn man sagt, dass einem die Worte fehlen, dass man<br />

nicht weiß, wie man z.B. den Angehörigen begegnen soll, dass man Angst<br />

hat, etwas Falsches zu sagen.<br />

Der Tod eines Familienangehörigen oder eines guten Freundes ist ein<br />

schweres Trauma. Ein Trauma kann den Menschen in eine tiefe Krise stürzen<br />

und geht einher mit einem Verlust an Urvertrauen. Eigene Ängste kommen<br />

hoch: Würden meine Eltern bei meinem Tod um mich trauern?<br />

Also geht es darum, die Sorgen ernst zu nehmen, der Trauer aktiv zu begegnen.<br />

Gemeinsames Trauern und das gemeinsame Initiieren von Trauerritualen<br />

in der Schule unterstützt die Mitschüler und Lehrer positiv bei ihrer zu<br />

leistenden Trauerarbeit.<br />

Man darf auch nicht vergessen, dass z.B. das „Ärztebild“ ins Wanken gerät:<br />

Man geht bei Krankheit zum Arzt und der macht einen gesund, stimmt<br />

offensichtlich nicht mehr.<br />

Kinder trauern auf jeden Fall, egal ob wir es ihnen anmerken oder nicht.<br />

Sie können heftig reagieren oder so tun, als ob nichts gewesen wäre.<br />

Als Klassenlehrer verliert man einen Teil der professionellen Rolle: wirft<br />

Fragen auf und schürt eigene Ängste. Ich bin verunsichert und hilflos wie<br />

die Schüler.<br />

Es gibt zwei gängige Möglichkeiten mit Trauer umzugehen:<br />

1. Trauernde besser nicht ansprechen, weil dadurch alles noch schlimmer<br />

wird.<br />

2. durch meine Impulse kann ich die Betroffenen positiv beeinflussen.<br />

Zusammenfassung<br />

1. Verlässliche Beziehungen:<br />

Trauernde Schüler brauchen verlässliche und tragfähige Beziehungen zu<br />

Erwachsenen. Ein Lehrer der Schule muss bereit und fähig sein in Kontakt<br />

zu bleiben.<br />

2. Informationen sind wichtig.<br />

Sonst entstehen Gerüchte und allzu phantastische Geschichten.<br />

3. Gemeinsame Rituale entwickeln, evtl. mit Medien


54 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

55<br />

Ideen der Schüler im Umgang mit der Trauer aufgreifen, nichts überstülpen.<br />

Fotos mitbringen, Plakat gestalten und aufhängen, Lieblingsgegenstände<br />

oder Lieblingsmusik des Verstorbenen besorgen, Lied von Eric<br />

Clapton: „Tears in heaven“, Kerze und Blumen, gemeinsame Erlebnisse<br />

erzählen oder aufschreiben, Brief schreiben oder Bild malen (entweder ins<br />

Grab geben oder den Eltern als kleines Buch geben). Der Verstorbene kann<br />

auf diese Art „lebendig“ bleiben.<br />

4. Nicht zurückschrecken<br />

Belastendes zulassen, evtl. eigene Schuldgefühle oder andere Meinungen<br />

und Ergebnisse mitteilen. Eigene Gefühle zeigen.<br />

5. Den Schülern etwas zumuten heißt, ihnen etwas zutrauen<br />

das Vertrauen der Erwachsenen stärkt die Schüler. Der belastenden Situation<br />

aus dem Weg gehen, würde heißen, nur Erwachsene wissen, wie man<br />

mit so etwas umgeht.<br />

6. Den verstorbenen Schüler „in der Klasse lassen“<br />

der Stuhl muss noch leer am Platz bleiben, ein Bild von ihm aufhängen,<br />

evtl. ein Kondolenzbuch im Schulhaus an einer zentralen Stelle auflegen,<br />

wo sich auch Mitschüler aus anderen Klassen und Lehrer eintragen können<br />

und dieses dann später den Eltern geben.<br />

7. Eine Sache von Monaten oder Jahren<br />

die Schüler in periodischen Abständen auf das Geschehen ansprechen.<br />

Gelegenheiten sehen und aufgreifen und zum Klassenthema machen. So<br />

ist es leichter als in einer vorher festgelegten Stunde darauf zu sprechen<br />

zu kommen.<br />

8. Die Familie in die Vorgehensweise innerhalb der Schule mit einbeziehen<br />

9. Die ganze Schule ist betroffen<br />

10. Von außen den Lehrern Unterstützung geben<br />

Fazit:<br />

Trauernde Schüler brauchen die Erwachsenen aus ihrer Umgebung.<br />

Unsere eigene Angst vor der Auseinandersetzung mit dem Tod verleitet<br />

uns, gegenüber den betroffenen Schülern zu schweigen und ihre Situation<br />

nicht anzusprechen.<br />

Der Mut zur Auseinandersetzung mit dem Thema wird belohnt:<br />

Die gemeinschaftlich erlebte Trauer fördert die Auseinandersetzung und<br />

das Entwickeln von neuen Perspektiven, sowohl bei den betroffenen Schülern<br />

als auch bei den Lehrern.<br />

„Der erste Trost, den wir Erwachsenen einem Kind geben können ist: traurig<br />

sein zu dürfen.“<br />

Dieser Workshop basiert auf meiner 25-jährigen Tätigkeit als Kliniklehrer<br />

an der Klinikschule Tübingen, meinen eigenen Erfahrungen im Umgang mit<br />

Verlust und Tod, den Erfahrungen und Manuskripten von Thomas Bäumer<br />

(Förderverein für krebs-kranke Kinder, Tübingen und einer Handreichung<br />

des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport in Baden Württemberg:<br />

Vom Umgang mit Trauer in der Schule. www.ateg-bw.de<br />

Literatur:<br />

III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

Pfeiffer, Knab, Häcker, Klemm, Böpple:<br />

„Klinik macht Schule“ Attempto -Verlag,<br />

Schroeder, Hiller-Ketterer, Häcker, Klemm, Böpple:<br />

„Liebe Klasse, ich habe Krebs“, Attempto-Verlag<br />

Ralf Schnabel: DVD: „Schulbesuche - Brücken ins Leben“<br />

Klemm, Hebeler, Häcker:<br />

„Tränen im Regenbogen“, Attempto-Verlag<br />

Heidi Häußer-Kost:<br />

Eines Tages… Gedichte und Texte von Simone Häußer<br />

Werner Häcker, Tübingen und München, 04. November <strong>2010</strong><br />

werner.haecker@gmx.de<br />

„Faires Raufen“ – Möglichkeiten der Aggressionsbewältigung<br />

Dörthe Gerber<br />

Studienrätin im Förderschuldienst, Schule an der<br />

Heckscher-Klinik, München<br />

Konflikte und aggressives Verhalten wird es besonders im (Sport-)unterricht<br />

immer wieder geben. Kinder und Jugendliche haben häufig mit ihren<br />

Emotionen und ihrem Krankheitsbild während ihres Klinikaufenthaltes, besonders<br />

im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, innerlich zu kämpfen,<br />

so dass sie durch „Faires Raufen“ Entlastung erfahren können.<br />

So wurde ein Programm entwickelt, das sowohl zur Aggressionsbewältigung<br />

als auch zur Prävention von Aggressionen genutzt werden kann: „In<br />

sechs Schritten zum Fairen Raufen“.<br />

1. Theoretische Grundlagen zur Aggressionsbewältigung<br />

Ursachen für Konflikte können u. a. Langeweile, unkontrollierter Medieneinfluss,<br />

aber auch sozialkulturell bedingte Konflikte sein. Es treten an<br />

allen Schulformen vermehrt Aggressionen, Konflikte und Gewalt auf. Erzieherische<br />

Aufgaben kommen in diesem Zusammenhang auf Schule und<br />

Schulsport zu, zumal hier Aggressionen noch verstärkt werden können.<br />

Diese können aber auch gezielt abgebaut und bereits in der Entstehung<br />

verhindert werden. Der Bereich der Kooperationsspiele, Bewegungsaufgaben<br />

mit Zweikampfcharakter oder sinnvoll inszenierte Ballspiele im Team<br />

zählen zu diesen präventiven Maßnahmen.<br />

Spielerisches Kämpfen, das „Faire Raufen“, unterscheidet sich maßgeblich<br />

von dem, was Kinder und Jugendliche außerhalb des Unterrichts an gewalttätigen,<br />

aggressiven Auseinandersetzungen zeigen oder erleben. Kinder<br />

und Jugendliche zu einem friedvollen und verantwortungsbewussten Miteinander<br />

zu erziehen, stellt uns häufig vor eine schwierige Aufgabe.<br />

Das regelgeleitete Anbahnen und Ausführen des „Fairen Raufens“ soll Kinder<br />

zu einem lustvollen Bewegen animieren, ihre sozialen Kompetenzen<br />

fördern und gesteuert Aggressionen abbauen. Die unterschiedlichen Erfahrungen<br />

in der körperlichen Begegnung und Auseinandersetzung werden<br />

in spielerischer Form durch Körperkontaktspiele und Kampfformen<br />

erlebt. Faires Raufen kann Aggressionen kompensieren und kanalisieren.<br />

Im Folgenden wird auf drei wichtige Elemente der Aggressionsbewältigung<br />

eingegangen:<br />

Aggressionen abbauen<br />

Angestaute Energie kann gezielt in Bewegung umgeleitet und Wut somit<br />

abgebaut werden. Besonders Spiele auf der Weichbodenmatte dienen zum<br />

gesteuerten Abbau negativer Gefühle. Sicherheitsvorkehrungen sowie<br />

entsprechende pädagogische Vor- und Nachbereitung gehören unabdingbar<br />

zum Aufbau und Ablauf des Trainings dazu.<br />

In sechs Schritten zum Fairen Raufen – <strong>HOPE</strong>-Kongress <strong>Munich</strong> <strong>2010</strong> - doerthe.gerber@schule.heckscher-klinik.de<br />

Aggressionen kanalisieren<br />

Kinder und Jugendliche aller Altersstufen wollen ihre Kräfte messen, dies<br />

gehört zu ihren Grundbedürfnissen und ist auch entwicklungspsychologisch<br />

wichtig. Diesem Bedürfnis kontrolliert Raum zu geben, hat sich durch Spiele<br />

mit Zweikampfcharakter bewährt. „Faires Raufen“ muss jedoch immer unter<br />

strengen Regeln und kleinschrittig angebahnt und ausgeführt werden.<br />

Werte wie Fairness im Zweikampf sowie Respekt und Verantwortung dem<br />

Anderen gegenüber können so vermittelt werden.<br />

Kooperation fördern<br />

Hier finden Spiele Platz, die zur Lösung einer Zielaufgabe das Kooperieren<br />

der beteiligten Schüler nötig macht. Ziel ist hier kooperatives Handeln durch<br />

die Aufgabenstellung zu „provozieren“. Durch die dringend notwendige Kommunikation<br />

zur erfolgreichen Lösung einer Gemeinschaftsaufgabe lernen<br />

die Kinder und Jugendlichen das „Miteinander“ besser zu verstehen.<br />

2. Wichtige Vorüberlegungen<br />

Prinzipiell gilt, dass „Spiele gegeneinander“ und auch Kämpfe eher Kon-<br />

flikte fördern können. Klassen und Lerngruppen weisen auch unterschiedliche<br />

soziale Strukturen auf. Schon in der Vorbereitung muss die Lehrkraft<br />

das soziale Gefüge der Klasse/Lerngruppe im Auge behalten und die Inhalte<br />

und Organisationsformen darauf abstimmen.<br />

Regeln sollten mit den Kindern und Jugendlichen zusammen erarbeitet<br />

werden, damit sie diese als die ihrigen ansehen. Genauso klar muss das<br />

Procedere bei Regelverstößen festgelegt werden.<br />

3. Das Programm: „In sechs Schritten zum Fairen Raufen“<br />

Das Programm wurde kleinschrittig aufgebaut, so dass Kinder und Jugendliche<br />

langsam an die Thematik herangeführt werden und sie so soziale<br />

Kompetenzen aufbauen können.<br />

Folgende sechs Schritte finden Anwendung:<br />

1. Bewegungsfreude entwickeln<br />

Eine lustvolle Animation zur Bewegung ist Ziel dieses ersten Schrittes.<br />

2. Körperkontakt aufnehmen und akzeptieren<br />

Körperkontaktspiele sind Fang- und Geschicklichkeitsspiele, bei denen die<br />

Kinder und Jugendlichen einen ersten Kontakt zum Körper des anderen<br />

aufnehmen. Hier ist Kooperation gefragt, es besteht noch kein Wettkampfcharakter.<br />

3. Faires Raufen anbahnen<br />

Einfache Zieh- und Schiebekämpfe, bei denen die Kinder und Jugendlichen<br />

ihre Kräfte erstmals spüren, diese lernen zu „dosieren“ und geschickt einzusetzen.<br />

4. Faires Raufen erproben<br />

Ein erstes Erproben der Kraftdosierung erfolgt. Hiermit verbunden sind<br />

erste Erfahrungen von Sieg und Niederlage durch Krafteinsatz in einem<br />

„Schonraum“.<br />

4.1 Faires Raufen im Stand<br />

Als Vorstufe wird das Faire Raufen im Stand erprobt. Der Wettkampfcharakter<br />

ist hierbei noch nicht gegeben, da das Ziel des Kampfes ist, den<br />

Gegner zu Boden zu bringen.<br />

4.2 Faires Raufen um Gegenstände<br />

Als Übergang zur direkten Auseinandersetzung mit einem Partner sind<br />

Kämpfe mit Gegenständen anzusehen.<br />

5. Faires Raufen<br />

Der zentrale Inhalt der Unterrichtsreihe ist der eigentliche Kampf.<br />

5.1 Grußformel<br />

Respekt und Wertschätzung sind von zentraler Bedeutung, die durch gemeinsam<br />

erlerntes Begrüßen und Verabschieden erfahren werden.<br />

5.2 Fallschule<br />

Gelerntes Fallen beugt Verletzungen vor.<br />

5.3 Der Kampf<br />

Hier steht die körperliche Auseinandersetzung nach Regeln mit einem<br />

Partner im Mittelpunkt.<br />

6. Ausklang und Entspannung<br />

Spiele zum Ausklang dienen dem Spannungsabbau. Eine abschließende<br />

Entspannungsphase lässt die Kinder und Jugendlichen zur Ruhe kommen.<br />

Im Rahmen des Projektes „Faires Raufen“ wurde ein dokumentarischer<br />

Film erstellt. Kinder der Jahrgangsstufen 1-4, die während ihres Klinikaufenthaltes<br />

im Heckscher-Klinikum München, Kinder- und Jugendpsychiatrie,<br />

beschult wurden, nahmen hieran von Mai bis Juli <strong>2010</strong> teil. Ziel es Projektes<br />

war es, Grundlagen für die Entwicklung sozialer Kompetenz im (Sport-)<br />

unterricht zu schaffen. Der hier entstandene Film in Zusammenarbeit mit<br />

meiner Kollegin Annette Göbel und dem Medienberater Klaus Hagenberger<br />

diente der Einführung in das Thema unseres Workshops.<br />

Um dem internationalen Teilnehmerkreis das sechs-schrittige Programme<br />

näher zu bringen, wurden vereinzelt Übungen aus den oben genannten<br />

Bereichen durchgeführt. Sehr erfreulich war die aktive Teilnahme und das<br />

sofortige Sich auf das Thema einlassen der Workshopbesucher. Der tatsächliche<br />

„Kampf“ wurde nicht durchgeführt. Zur Demonstration wurde<br />

dieser jedoch ausführlich im oben beschriebenen Film gezeigt.<br />

Das erhaltene Feedback war sehr erfreulich. Der kleinschrittige und praxisnahe<br />

Aufbau wurde interessiert und begeistert aufgenommen. Resonanz<br />

der Workshopteilnehmer zum Workshop „Faires Raufen – Möglichkeiten<br />

des Aggressionsabbaus“ war, dass sie dieses in ihrem Schulalltag<br />

ausprobieren und etablieren möchten.<br />

Musikalische Interaktionsspiele im Gruppenunterricht<br />

Gudrun Diallo<br />

Gymnasiallehrerin Schule für Kranke, München<br />

Als Lehrerin der Schule für Kranke bin ich auch als Stationslehrerin im<br />

Krankenhaus Rechts der Isar, München, tätig und an dem Projekt ‚Schulverweigerung<br />

–Schulabsentismus‘ der Abteilung Kinder- und Jugendpsychotherapie<br />

beteiligt. In der dazugehörigen Tagesklinik, d.h. die Jugendlichen<br />

leben zuhause, kommen morgens und gehen um 16. 30 Uhr, werden<br />

Jugendliche aufgenommen, die nicht mehr zur Schule gehen. Sie sind psychisch<br />

belastet, aber nicht so stark, dass sie einen stationären Aufenthalt<br />

benötigen, wobei da die Grenzen auch manchmal fließend sind. Wir haben<br />

zum einen Jugendliche mit somatoformen Störungen, d.h. z.B. Kopfweh,<br />

Bauchweh, Schwindel, etc. , Symptome, die nicht organisch begründet<br />

sind. Manche sind durch Erlebnisse traumatisiert, bei anderen zeigt sich<br />

eine neurotische Entwicklung, z.B. weil sie überbehütet sind oder zu wenig<br />

Aufmerksamkeit bekommen.<br />

Unser Rhythmusspiel zu Beginn des Workshops ist ein Negativbeispiel<br />

für meine Arbeit mit diesen Jugendlichen, die aus den unterschiedlichsten<br />

Gründen nicht mehr in die Schule gehen. Allen gemeinsam ist, dass<br />

sie in der Regel nicht die Motivation und die notwendigen Kompetenzen<br />

(Konzentration, Geduld, Frustrationstoleranz, etc.) besitzen, um Freude an<br />

etwas komplexeren Rhythmusspielen zu entwickeln, wie das, was wir hier<br />

gemeinsam durchgeführt haben.<br />

Ein Konzept für eine musikalische Förderung muss daher den Prinzipien<br />

der Krankhauspädagogik (Störungen haben Vorrang, Cohn 1989) und einer<br />

Beziehungsaufnahme getragen von Empathie und Akzeptanz entsprechen<br />

und evtl. Beeinträchtigungen im motorischen, sensorischen, emotionalen<br />

und sozialen Bereich berücksichtigen.<br />

Die Zielsetzung der musikalischen Interaktionsspiele umfasst die Förderung<br />

von<br />

• Wahrnehmungs- und Hörfähigkeit<br />

• Empfindungs- und Erlebnisfähigkeit (emotionale Entwicklung)<br />

• Fähigkeit zum gemeinsamen Musizieren (soziale Entwicklung)<br />

• Fantasie und Ausdrucksfähigkeit (Entwicklung der Kommunikationsfähigkeit)<br />

• Konzentration, Geduld, Ausdauer<br />

• des Erlebens von Anspannung und Entspannung<br />

• Selbstwertgefühl und Ich-Stärke<br />

• lustvollem Spiel<br />

Das gemeinsame Musizieren ist erlebnisorientiert und kein Musikunterricht!<br />

Organisatorische Rahmen:<br />

Stühle ohne Armlehnen (am besten Hocker), Stuhlkreis, Instrumente, die<br />

keine Vorkenntnisse erfordern, u.U. Haushaltsgegenstände als Instrumente<br />

verwenden<br />

Chaos Struktur<br />

• möglichst viel Freiheit lassen, mit den Instrumenten kreativ umzugehen<br />

-> Spielideen spontan aufgreifen und strukturieren<br />

• mit dem Angebot einer Struktur Schutz vor dem Chaos geben<br />

-> direktiver Eingriff, wenn Schüler nicht selbst strukturieren können<br />

• Freiheit lassen, Spielregeln immer wieder neu zu erfinden und zu verändern,<br />

auszuprobieren<br />

Kreativität entsteht nur im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Begrenzung<br />

(Friedmann)


56 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

57<br />

3 Phasen des gemeinsamen musikalischen Spiels:<br />

1. Kontaktaufnahme zu seinem Instrument<br />

2. Kontaktaufnahme über das Instrument zu den anderen Spielern<br />

3. Gemeinsames Spiel<br />

Regeln:<br />

• Solange gesprochen wird, darf nicht musiziert werden.<br />

• Es wird erst wieder gesprochen, wenn die Musik verklungen ist.<br />

• Jeder bestimmt Spielbeginn und Spielende selbst.<br />

• Es gibt keine Musik ohne Pausen!<br />

• Jeder spielt nur so laut, dass er das leiseste Instrument noch hören kann.<br />

Musikalische Rituale:<br />

Beginn, Einstieg in die Arbeit, Abschluss des Vormittags, Begrüßung von<br />

neuen Jugendlichen, Abschied<br />

Musikalische Auszeit:<br />

wenn der Kopf raucht, nach frustrierenden Erlebnissen, zur Belohnung<br />

Literatur:<br />

Musik und Pädagogik:<br />

• Amrhein, Franz (Hg.): Handreichungen Sonderschule. Musik: Lernfeld Singen, Fuldatal/Kassel 1980.<br />

• Amrhein, Franz: Die musikalische Realität des Sonderschülers. Situation und Perspektiven des Musikunterrichts<br />

an der Schule für Lernbehinderte. Regensburg (1983).<br />

• Amrhein, Franz: Bewegungs-, Ausdrucks-, Wahrnehmungs- und Kommunikationsförderung mit Musik. In:<br />

Zeitschrift für Heilpädagogik (9) 1993, S. 571–589.<br />

• Amrhein, Franz/Bieker, Margret: Lernen mit den Sinnen. Aspekte von Theorie und Praxis ästhetischer<br />

Erziehung im Sonderpädagogikstudium am Beispiel Musik. In: Probst, Holger (Hg.): Mit Behinderungen<br />

muss gerechnet werden – Der Marburger Beitrag zur lernprozessorientierten Diagnostik, Beratung und<br />

Förderung, Oberbiel (1999).<br />

• Amrhein, Franz: Musik und Bewegung. In: Hartogh, Theo/Wickel, Hans Hermann (Hg.): Handbuch Musik in<br />

der Sozialen Arbeit, Weinheim (2004).<br />

• Friedemann, L.: Kreativität zwischen Freiheit und Begrenzung. In: Musik und Medizin (1980), Heft 7 (31-32).<br />

• Krebber-Steinberger, Eva: „Mit meinen Ohren“. Musikhören im Gemeinsamen Unterricht unter dem Aspekt<br />

heterogener Zugangsweisen zu Musik. In: Zeitschrift für Heilpädagogik (2) (2003), S. 76-83.<br />

• Tischler, Björn: Musik aktiv gestalten. Ideen für die pädagogische, sonderpädagogische und therapeutisch<br />

orientierte Praxis. Frankfurt (1994).<br />

Krankenpädagogik und Interaktion:<br />

• Cohn, R.C.: Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion. Klett-Cotta, Stuttgart (19804).<br />

• Leber, A.: Heilpädagogik. In: Eyfarth, H., Otto, H.-U., Thiersch, H. (Hrsg.), Handbuch zur Sozialarbeit, Sozialpädgogik<br />

(475—486). Luchterhand, Neuwied, Darmstadt (1984).<br />

Musikalische Interaktionsspiele:<br />

• Friedemann, L.: Trommeln –Tanzen – Tönen, Wien (1983).<br />

Für Nicht-Kranke Kinder und Jugendliche:<br />

• T. Klee: Rhythmus kreativ, Mühlheim an der Ruhr (2008).<br />

• J. Terhag: Warmups, Berlin (2009)<br />

Schulische Reintegration onkologisch erkrankter Kinder<br />

Heimatschulbesuche mit Ärztin<br />

PD Dr. Dr. Irene Teichert von Lüttichau<br />

Oberärztin der Kinderonkologie, Klinikum Schwabing, München<br />

Dr. Barbara Kreutzer<br />

Kinderärztin<br />

III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

Beate Winkler<br />

Lehrerin Schule für Kranke, München<br />

Seit Oktober 2007 besteht das Projekt „Schulische Reintegration von<br />

krebskranken Kindern“ in der Kinderonkologie des Klinikums München<br />

Schwabing mit dem Ziel die Eingliederung der betroffenen kindlichen und<br />

jugendlichen Patienten in ihrem schulischen Umfeld zu erleichtern. Eine<br />

Lehrerin der Staatlichen Schule für Kranke und eine Kinderärztin besuchen<br />

die Heimatklassen der Patienten, um die Mitschüler und Lehrer über<br />

die Erkrankung aufzuklären, Vorurteile auszuräumen, Ängste aufzugreifen<br />

und zu helfen, den Kontakt zum erkrankten Mitschüler zu halten. Die ge-<br />

lungene Integration in das schulische und soziale Umfeld ist entscheidend<br />

für die weitere berufl iche und psychosoziale Entwicklung der Patienten.<br />

Die Besonderheit dieses Projekts liegt in der Begleitung durch eine Ärztin,<br />

die das medizinische Umfeld aus eigener Tätigkeit in der Kinderonkologie<br />

gut kennt, dadurch Authentizität, fachliche Kompetenz und auch die<br />

Autorität des weißen Kittels mitbringt. Gerade im Zeitalter der modernen<br />

Medien werden wir häufi g mit sehr detaillierten medizinischen Fragen,<br />

Zahlen und Fakten<br />

aber auch gravierenden Fehleinschätzungen und Irrtümern konfrontiert.<br />

Erst die Kombination aus Pädagogik und Medizin ermöglicht eine fundierte<br />

altersgemäße Aufklärung und kompetente Information über die jeweilige<br />

Erkrankung.<br />

5 Jahres Überlebensraten von ca. 30%<br />

Anfang der 60er Jahre auf >81% in 2004<br />

gestiegen<br />

Zahlen und Fakten<br />

5 Jahres Überlebensraten von ca. 30%<br />

Anfang der 60er Jahre auf >81% in 2004<br />

gestiegen<br />

Sterben<br />

Überleben<br />

2009<br />

Bis 60er Jahre<br />

Wir müssen erreichen,<br />

dass die Lebensqualität<br />

der Überlebenden<br />

optimiert wird<br />

• 1.800 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland<br />

• Bei Jedem 500. Kind wird bis zum 15. Geburtstag eine Krebserkrank ung<br />

diagnostiziert<br />

• In Schwabing ca. 60-80 Neuerkrankungen aller Alterstufen<br />

• In den USA ca. 250.000 Überlebende einer onkologischen Erkrankung<br />

im Kindesalter in Deutschland 30.000<br />

• Nach Projektionsrechnungen wird in <strong>2010</strong> jeder 250. junge Erwachsene<br />

zw. 15 und 45 J ein Überlebender einer onkologischen Erkrankung im<br />

Kindesalter sein<br />

Psychosoziale Situation des Kindes<br />

• Kind oder Jugendlicher wird abrupt herausgerissen aus seinem sozialen<br />

Umfeld—Familie--Schule<br />

• Sensibelste Lebensphase-Ablösung vom Elternhaus-Pubertät-peer<br />

pressure-Defi nition der eigenen Persöhnlichkeit durch Abgrenzung<br />

• Plötzliche Konfrontation mit:<br />

• Krankheit, Schmerzen, Angst<br />

• Tod<br />

• Entstellung und Verstümmelung<br />

• sozialer Isolation<br />

• Angst vor schulischem und berufl ichen Versagen<br />

• ANGST WUT HASS VE<strong>RZ</strong>WEIFLUNG OHNMACHT RESIGNATION<br />

• Verlust der Zukunftsperspektive<br />

Patient und Umfeld<br />

Patient und Umfeld<br />

Freunde<br />

Heimat-<br />

schule<br />

Schule für Kranke<br />

Heimatschulbesuche<br />

Arzt<br />

Familie<br />

Patient<br />

Pflege<br />

Ärzte<br />

Psych-<br />

sozteam<br />

• Schule als Bindeglied zwischen<br />

Krankenhaus und normalem Leben<br />

Diagnose Krebs<br />

Schnur zum normalen Leben<br />

• Schule als Bindeglied zwischen Krankenhaus und normalem Leben<br />

Projekt Heimatschulbesuche<br />

• 1 Lehrerin und 1 Ärztin, damit sowohl der medizinische Teil als auch der<br />

4<br />

pädagogische Teil abgedeckt sind<br />

• Unser Behandlungsauftrag endet nicht mit der Applikation der letzten<br />

Chemotherapie<br />

• Außer Tübingen einziges Konzept dieser Art mit Kombination Arzt/Lehrkraft<br />

in Deutschland<br />

1<br />

• Besuche zu Beginn der Erkrankung und am Ende der Therapie (Ziel, aber<br />

noch nicht genügend Ressourcen)<br />

• Finanzierung der Ärztin nur durch Spendengelder<br />

Ziel<br />

• Kontakt zwischen Patient Krankenhaus und Heimatschule<br />

• Information über Krebserkrankungen durch altersentsprechende Aufklärung<br />

• Abbau von Ängsten und Vorurteilen bei Schülern, Eltern und Lehrern<br />

• Abbau von Berührungsängsten im Umgang mit Krankheit und Patient<br />

• Vermeidung von Isolation des Patienten durch Unsicherheit, Ignoranz<br />

und Entfremdung „Öffnung des Krankenhauses“<br />

• Reibungslose Rückkehr in die alte Klassengemeinschaft<br />

• Erziehungsauftrag zur Integration von Krankheit und Sterben in den Alltag<br />

der Gesellschaft<br />

Non scholae sed vitae discimus.<br />

Wir glauben an das Leben der Kinder!<br />

Patient<br />

Heimatschulbesuch<br />

Mitschüler<br />

Lehrer<br />

Warum HSB mit Arzt?<br />

• Authentizität<br />

• Praktische Erfahrung durch klinische Tätigkeit in der Kinderonkologie<br />

• Fachliche Kompetenz<br />

• Autorität des weißen Kittels<br />

Zentrale Fragen der Mitschüler<br />

• Was ist das für eine Krankheit? Welche Art von Krebs?<br />

• Woher kommt die Krankheit?<br />

• Ist die Krankheit ansteckend?<br />

• Wird xxx wieder gesund? Muß xxx sterben?<br />

• Kann ich selber krank werden?<br />

Zentrale Aussagen<br />

• Krebs bei Kindern ist sehr selten.<br />

• Krebs bei Kinder ist besser zu behandeln als bei Erwachsenen. Die Überlebenschancen<br />

sind viel besser als bei Erwachsenen.<br />

• Krebs ist nicht ansteckend<br />

• Keiner hat Schuld an der Erkrankung, niemand hat etwas falsch gemacht.<br />

Wann ist ein Heimatschulbesuch notwendig?<br />

1. Heimatschulbesuch am Anfang in der akuten Phase<br />

2. Heimatschulbesuch am ersten Schultag des Patienten nach Ende der<br />

Therapie<br />

3. Heimatschulbesuch Evtl. bei Palliativbehandlung oder nach dem Tod<br />

Praktische Ausführung<br />

• Aufbau einer Struktur, die die Reintegration Patienten in ihrem schulischen<br />

Umfeld erleichtert.<br />

• Aufklärung und Information von Mitschülern und Lehrern, Abbau von<br />

7<br />

Ängsten, Kontakt zum Patienten halten<br />

• Begleitung der Kinder in die Schule<br />

Heimatschulbesuche - Mitschüler<br />

• Erziehung zu sozialer Kompetenz<br />

• Abbau von Ängsten und Vorurteilen<br />

- Reduktion von Stigma und Ausgrenzung<br />

• Offenheit und Verständnis im zwischenmenschlichen Umgang erwerben<br />

durch<br />

• sachliche Information über Körperfunktionen und Krankheit<br />

• Sensibilisierung für somatische und psychische Auswirkungen von<br />

Krankheit<br />

Durchführung – die Krankheit des Mitschülers<br />

• Anamnese<br />

• Diagnostik<br />

• Diagnose<br />

• Therapie<br />

• Nebenwirkungen<br />

• Nachuntersuchungen<br />

• ???Prognose<br />

Durchführung – die Fragen der Klasse<br />

• zur Krankheit<br />

• zur Ursache<br />

• zu Therapie/Krankenhaus<br />

• zur Prognose<br />

• zur MitschülerIn<br />

• zur eigenen Gesundheit<br />

• zur Schule im Krankenhaus<br />

Altersspezifi sche Module 1<br />

Grundschule:<br />

• Alltag im Krankenhaus<br />

• krank sein/handicap verstehen<br />

• Körperwahrnehmung, -verständnis<br />

• Kontakt halten<br />

Altersspezifi sche Module 2<br />

Mittelstufe: mind maps


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

58 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

59<br />

• Freundschaft, peer group<br />

• was macht die Person/den Menschen aus<br />

• Selbstbestimmung/auf Hilfe angeweisen sein<br />

• neue Medien: öffentlich machen vs. Intimsphäre<br />

Altersspezifi sche Module 3<br />

Oberstufe: abstrakte Themen<br />

• medizinisch wissenschaftlich: neue Therapien<br />

• Prävention und Vorsorge<br />

• Schulabschluss - Wert in der Gesellschaft, Zukunftsperspektiven<br />

Elektronenmikroskopie von Immunzellen<br />

Beratung der Lehrer<br />

• Erstellen eines individuellen Hilfeplans über situationsspezifi sche Anpassung<br />

der schulischen Anforderungen<br />

• Nachteilsausgleich, Benotung, Zeugniserstellung, Schullaufbahnwechsel<br />

Ermittlung der Auswirkungen des HSB<br />

Rückmeldung der Mitschüler, der Lehrer, der Patienten und der Eltern<br />

„Umgang mit Kindern psychisch kranker Eltern“<br />

Birgit Laurinck<br />

Studienrätin im Förderschuldienst, Schule an der Heckscher-Klinik<br />

Angela Ettenreich-Koschinsky<br />

2. Sonderschulkonrektorin, Bayerische Landesschule für<br />

Körperbehinderte, München<br />

Dr. Ulrich Rüth<br />

Oberarzt, Kinder- und Jugendpsychatrie Heckscher-Klinikum München<br />

Anhand praktischer Fallbeispiele aus dem schulischen Alltag wurde die<br />

Notwendigkeit der Vernetzung zwischen Schule, Psychiatrie/Kinder-<br />

Jugend-Psychiatrie und Fachdiensten aufgezeigt, um Kindern psychisch<br />

kranker Eltern maßgebliche Hilfestellung leisten zu können.<br />

Bereits in der Vorbereitungsphase des <strong>HOPE</strong>-Kongresses zeigte sich anhand<br />

der Anzahl der Anmeldungen ein großes Interesse an der Thematik<br />

„Umgang mit Kindern psychisch kranker Eltern“. Die Teilnehmerzahl wur-<br />

de jedoch auf maximal 40 Personen begrenzt, damit der Charakter eines<br />

Workshops gewahrt werden konnte.<br />

Nach den Begrüßungsworten von Herrn Dr. Ulrich Rüth, Oberarzt in der<br />

Kinder- und Jugendpsychiatrie Heckscher-Klinik München, folgte eine kurze<br />

Vorstellung der Referenten und ihrer Tätigkeits- und Einsatzbereiche.<br />

Um eine optimale Passung der Workshopinhalte an die Erwartungen der<br />

Teilnehmer zu ermöglichen, erfolgte eine Kurzabfrage der Vorkenntnisse<br />

sowie persönlicher Erfahrungen zum angebotenen Thema.<br />

Der Workshop gliederte sich in drei Hauptteile:<br />

Überblick über aktuelle Forschungsergebnisse (ca.15 Minuten)<br />

Arbeitsteilige Gruppenaktivität zu den Kerninhalten (ca. 60 Minuten)<br />

Diskussion, Ergebnisse, Ausblick (ca. 15 Minuten)<br />

Zu 1) Zu Beginn des Workshops lag der Fokus auf der Darstellung wichtiger<br />

Forschungsergebnisse. Im Rahmen einer Power Point Präsentation<br />

wurden die häufi gsten psychischen Erkrankungen der Eltern, die Epidemiologie<br />

sowie bedeutende Risiko- bzw. protektive Faktoren beim Kind<br />

präsentiert. Die Lebenswirklichkeit von Kindern psychisch kranker Eltern<br />

wurde in ihrer Vielfältigkeit skizziert: Anhand eines Videos, in dem eine<br />

depressive Mutter über die Realität ihrer minderjährigen Tochter refl ektiert,<br />

sowie anhand eines Rundfunkbeitrags, in dem eine Mutter mit einer<br />

Borderline-Störung sowie eine Tochter mit depressiver Mutter und Alkoholabhängigem<br />

Vater ihre Familienrealität sachlich beschreiben, wurden die<br />

Lebensumstände der betroffenen Kinder und Jugendlichen eindrücklich<br />

dargestellt:<br />

Kinder und Jugendliche, deren Eltern psychische Erkrankungen aufweisen,<br />

sind einer übermäßigen Belastung ausgesetzt. Bis in die 90er-Jahre beschäftigte<br />

sich die Psychiatrie ausschließlich mit den betroffenen Erwachsenen,<br />

deren Kinder blieben weitgehend unbeachtet. Mittlerweile ist sich<br />

die Fachwelt der Notwendigkeit bewusst, dass die betroffenen Kinder und<br />

Jugendlichen ebenso im Fokus der Aufmerksamkeit stehen müssen. Die<br />

elterliche Erkrankung stört das gesamte System Familie und die daraus<br />

resultierenden Belastungs- und Stressfaktoren können die kindliche Entwicklung<br />

erheblich erschweren. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen,<br />

dass allein in Deutschland ca. eine halbe Million Kinder einen oder<br />

zwei psychisch erkrankte Elternteile haben (Beeck, Katja, Netz und Boden<br />

- Unterstützung für Kinder psychisch kranker Eltern, 2004, zit. nach:<br />

v. Holst/Kaulke-Niermann, S.3). Auf die Schule übertragen bedeutet das:<br />

Jedes dreißigste Kind hat einen psychisch kranken Elternteil, dementsprechend<br />

sitzt beinahe in jeder Schulklasse ein betroffenes Kind - Tendenz<br />

steigend. Die Relevanz des Themas ist demnach enorm.<br />

Aufgrund der herausgearbeiteten Bedeutsamkeit des Themas für die Schule<br />

und des pädagogischen Anspruchs, den Kindern und Jugendlichen in ihrer<br />

besonderen Lebenswirklichkeit gerecht zu werden, wurden wesentliche Aspekte<br />

der kindlichen Realität erörtert. Diese ist geprägt durch:<br />

• Desorientierung, Unverständnis, Angst<br />

• Schuldgefühle<br />

• Schamgefühle gegenüber der Peer Group Kommunikationsverbot durch<br />

Tabuisierung<br />

• Soziale Isolation<br />

• Parentifi zierung<br />

• Ablöseproblematik in der Adoleszenz<br />

• Störung des Aufbaus eines verbindlichen Wirklichkeitsbildes<br />

• Verlust der Beziehungssicherheit<br />

• Aufbau eines negativen oder instabilen Selbstkonzeptes Verlust des<br />

Selbstwirksamkeitsvertrauens<br />

• Verlust der Fähigkeit zur Unbeschwertheit und Entspannung<br />

• Störung der Selbstwahrnehmung<br />

Betroffene Kinder und Jugendliche weisen v.a. Schwierigkeiten im emotionalen,<br />

sozialen und kognitiven Bereich auf:<br />

emotionale Schwierigkeiten: z.B. Angst, Schuldgefühle, Depression, Loyalitätskonfl<br />

ikte, Wut, Ärger, Enttäuschung<br />

soziale Schwierigkeiten: z.B. Verhaltensauffälligkeiten, Isolation, geminderte<br />

soziale Kompetenz …<br />

kognitive Schwierigkeiten: Schulschwierigkeiten, Lernprobleme, Konzentrationsprobleme.<br />

Daneben sind protektive Faktoren, welche ein Kind vor negativen Folgewirkungen<br />

einer psychiatrischen Erkrankung der Eltern schützen können,<br />

zu beachten. Wesentliche Schutzfaktoren für das Kind sind:<br />

• Überdurchschnittliche Fähigkeiten zum Krisenmanagement<br />

• Hohes Maß an Selbstständigkeit<br />

• Großes Verantwortungsbewusstsein<br />

• Ausgeprägtes Einfühlungsvermögen in andere Menschen<br />

• Widerstandsfähiges Temperament<br />

• positives Selbstkonzept<br />

• Intelligenz<br />

• Finanzielle Ressourcen<br />

• Psychoedukation<br />

• Mädchen<br />

Das Risiko von Kindern oder Jugendlichen, die ein oder zwei psychisch<br />

kranke Elternteile haben, selbst psychisch zu erkranken (z.B. Schizophrenie,<br />

Neurose, Depression, Persönlichkeitsstörung), ist signifi kant erhöht:<br />

Dieses Risiko des Kindes oder Jugendlichen liegt bei einem erkrankten<br />

Elternteil bei 10-15 %, sind beide Elternteile psychisch krank, so steigt<br />

das Risiko auf 35-50 % (v. Holst/Kaulke-Niermann, S.3). Abgesehen von<br />

genetischen Bedingungsfaktoren spielen jedoch psycho-soziale Belastungen,<br />

z.B. Arbeitslosigkeit, Isolation, Armut, Ehe-/Partnerschaftskonfl ikte,<br />

gestörte Eltern-Kind-Interaktion, fehlende soziale Unterstützung usw. eine<br />

essentielle Rolle dabei, ob ein Kind eine psychische Erkrankung entwickelt<br />

oder nicht. Der Zusammenhang zwischen „nature“ und „nurture“ wurde im<br />

Rahmen der „Vulnerabilitäts-Stress-Hypothese“ erörtert, um der Ätiologie<br />

von psychischen Erkrankungen auf den Grund zu gehen.<br />

Zu 2) In acht arbeitsteiligen Gruppen erarbeiteten die Teilnehmer im zweiten<br />

Teil des Workshops anhand von konkreten Fallbeispielen aktiv spezifi<br />

sche psychiatrische Krankheitsbilder, ihre Symptome und mögliche<br />

Auswirkungen auf das Kind hinsichtlich der Entwicklung und Erziehung.<br />

Ein Arbeitsblatt, auf dem die Kernsymptome eines der unten genannten<br />

Krankheitsbilder (vgl. Anhang) aufgelistet waren, diente hierbei als Struktur<br />

des Arbeitsauftrages.<br />

Exemplarisch wurden folgende psychiatrische Erkrankungen der Eltern<br />

ausgewählt:<br />

a) Depression<br />

b) schizophrene Psychose<br />

c) bipolare Störung<br />

d) Persönlichkeitsstörung (Borderline-Typ)<br />

Im Laufe dieser Gruppenarbeit kristallisierte sich ein intensives Verständnis<br />

für die jeweilige Lebenssituation der betroffenen Kinder, ihrer<br />

Schwierigkeiten und möglichen Verhaltensauffälligkeiten in der Schule<br />

heraus sowie die Erkenntnis der notwendigen Unterstützungsmaßnahmen<br />

von Seiten der pädagogischen Fachkräfte für das Kind. Durch die<br />

konkrete Auseinandersetzung mit den Symptomen der Krankheitsbilder<br />

konnten gewünschte/wichtige Hilfestellungen für Kinder und Jugendliche<br />

psychisch kranker Eltern fokussiert werden.<br />

Grundsätzlich gilt: Sowohl Eltern- als auch Kind-zentrierte Maßnahmen<br />

stellen einen wichtigen Baustein im Umgang mit Kindern psychisch kranker<br />

Eltern dar.<br />

Wesentliche Aspekte der kindzentrierten Unterstützungsmaßnahmen<br />

sind: die altersadäquaten Informationen der Kinder über die jeweiligen<br />

Krankheitsbilder der Eltern, spezielle Angebote für die betroffenen Familien<br />

in Form von Eltern-/Familientraining und –beratung, die Einbeziehung<br />

der Kinder in die elterliche Behandlung sowie die Aufklärung der Öffentlichkeit<br />

über psychische Erkrankungen.<br />

Daneben sind Eltern-zentrierte Unterstützungsmaßnahmen zu berücksichtigen:<br />

Es gilt, die stabilen, gesunden, guten Phasen während der Erkrankung<br />

der Elternteile zu Gunsten der Kinder konstruktiv zu nutzen,<br />

denn grundsätzlich ist von der Prämisse auszugehen, dass auch kranke<br />

Eltern „gute“ Eltern sein wollen und ein großes Verantwortungsbewusstsein<br />

für ihre Kinder besitzen. In einer Studie wurde festgestellt, dass 55%<br />

der befragten Eltern bereits notwendige stationäre Behandlungen in der<br />

Erwachsenenpsychiatrie aus Sorge um die (unversorgten) minderjährigen<br />

Kinder nicht begonnen oder abgebrochen hatten (vgl. Studie von Kölch<br />

et al. (2008)). Die Erarbeitung eines so genannten Notfallplans, in dem<br />

psychisch kranke Eltern in gesunden Phasen exakt festhalten, was im Falle<br />

einer akuten Krankheitsphase für ihre minderjährigen Kinder zu organisieren<br />

ist, erweist sich als unabdingbare Unterstützungsmaßnahme. Optimal<br />

ist es, ein Netzwerk zu installieren, z.B. in Form von Patenschaften, um die<br />

Kinder und Jugendlichen im Ernstfall bestmöglich zu entlasten und ihnen<br />

ein Höchstmaß an Normalität zukommen zu lassen.<br />

Zu 3) Im Plenum erfolgte das Zusammentragen der referierten und erarbeiteten<br />

Ergebnisse. Wesentliche Aspekte des Themas wurden diskutiert,<br />

offene Fragen erörtert. Jeder Teilnehmer erhielt am Ende des Workshops<br />

eine Zusammenfassung des Vortrags, die verwendeten Arbeitsmaterialien<br />

der Gruppenarbeit sowie eine Liste mit hilfreicher Fachliteratur sowie Kinder-<br />

und Jugendbüchern, die für die pädagogische Arbeit mit betroffenen<br />

Kindern geeignet sind.<br />

Fazit und Ausblick<br />

Abschließend wurde die unabdingbare Notwendigkeit der Zusammenarbeit<br />

und Vernetzung zwischen Elternhaus, Schule, Jugendhilfe und Klinik<br />

sowie anderen am System beteiligten Institutionen als Richtschnur aller<br />

mit dem psychisch erkrankten Elternteil sowie den Kindern und Jugendlichen<br />

arbeitenden Personen herausgearbeitet.<br />

Anhang : Arbeitsblatt „Schizophrene Psychose“<br />

SCHIZOPHRENE PSYCHOSEN – Erkrankung des Elternteils<br />

Symptomatik<br />

Anspannung und Erregung<br />

Denkstörungen<br />

Wahnvorstellungen, Halluzinationen<br />

Ich-Störungen, Fremdbeeinfl ussungserlebnisse<br />

Emotionale Verarmung<br />

Hoffnungs-, Mutlosigkeit<br />

Innere Leere<br />

Depression, Niedergeschlagenheit<br />

Antriebslosigkeit<br />

Sozialer Rückzug<br />

Literatur:<br />

Mattejat, F.; Lisofsky, B. (Hrsg.) (2000): Nicht von schlechten Eltern. Kinder psychisch Kranker. Bonn: Psychiatrie-Verlag<br />

Kinder- und Jugendbücher:<br />

Bock, Thomas (2003): Pias lebt gefährlich, für Jugendliche, Psychatrie-Verlag, Bonn<br />

Boie, Kirsten (2005): Mit Kindern redet ja keiner, Fischer Taschenbuch, Frankfurt a.M., ab 11 J.<br />

Cave, Kathryn; Riddell, Chris (1994): Irgendwie anders, Oettinger, Hamburg, Kindergartenalter<br />

Haugen, Tormod (2003): Die Nachtvögel, dtv Junior, München, ab 10 J.<br />

Homeier, Schirin (2006): Sonnige Traurigtage, incl. Info-Materialien, Mabuse-Verlag, für Grundschulkinder<br />

Homeier, Schirin; Schrappe, Andreas (2009): Flaschenpost nach irgendwo, Mabuse-Verlag, für Grundschulkinder<br />

Mannsdorf, Peter (2005): Fliegen ohne Flügel + (Forts.) Robbi und sein ungezähmter Vater, Shift (Selbst-)<br />

Verlag, Berlin, ab 10 J.<br />

Minne, Brigitte (2004): Eichhörnchenzeit oder der Zoo in Mamas Kopf, Sauerländer, Düsseldorf, ab 8 J.<br />

Mosch, Erdmute von (2008): Mamas Monster, Balance, buch + medien verlag, Bonn<br />

Lund Eriksen, Endre (2007): Beste Freunde oder der ganz normale Wahnsinn. Dressler, Hamburg, ab 10 J.<br />

Rees, Gwyneth (2005): Erde an Pluto oder als Mum abhob, Ravensburger Buchverlag, Ravensburg<br />

Stratenwerth, Irene; Bock, Thomas (2003) Die Bettelkönigin, Balance buch + medien verlag, Bonn, ab 9 J.<br />

Wilson, Jacqueline (2005): Ausgefl ippt hoch drei, Ravensburger Buchverlag, Ravensburg, ab 10 J.<br />

Wunderer, Susanne (<strong>2010</strong>): Warum ist Mama traurig? Ein Vorlesebuch für Kinder. Mit einem Ratgeberteil,<br />

Mabuse-Verlag.<br />

außerdem empfehlenswert:<br />

www.lzg-rlp.de/lzg-shop/Teske, C; Knichel K. (2007): Leon fi ndet seinen Weg, Bilderbuch<br />

www.psychosis.ch: FuFu und der grüne Mantel, Bilderbuch<br />

Material für Unterricht, Kinderbücher, Erwachsene:<br />

www.irremenschlich.de: Unterrichtsmaterial<br />

www.openthedoors.de: zusammengestelltes Lernpaket zum Thema „ Psychische Kranke“ für Schulen<br />

www.psychatrie.de/familienselbsthilfe: Informationen und Kontaktadressen des Bundesverbands der Angehörigen<br />

psychisch Kranker; Materialien für Kinder und Jugendliche psychisch kranker Eltern<br />

www.kinderschutzbund-bayern.de/Veröffentlichungen<br />

www.lzg-rlp.de/lzg-shop: u. a. Bilderbuch zur Suchtprävention<br />

www.bzga.de: Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit oft kostenlos erhältlichem Info-<br />

Material<br />

www.bag.kipe.de: Homepage der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder psychisch kranker Eltern, Zusammenschluss<br />

von Fachleuten verschiedener Projekte<br />

www.netz-und-boden.de: Initiative für Kinder psychisch kranker Eltern; c/o Katja Beeck<br />

Kontakt:<br />

Birgit Laurinck, Studienrätin im Förderschuldienst, Schule an der Heckscher-Klinik: Birgit.Laurinck@Schule.<br />

Heckscher-Klinik.de<br />

Angela Ettenreich-Koschinsky, Sonderschulkonrektorin, Bayerische Landesschule für Körperbehinderte:<br />

A.Ettenreich@BayLfK.de


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

60 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

61<br />

Kriminalität und Gewaltdelinquenz im Jugendalter<br />

Dr. Martin Rieger<br />

Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />

Oberarzt Heckscher-Klinikum, München<br />

Die Einschätzung des Gewaltrisikos ist ein kritischer und notwendiger Teil<br />

der Praxis sowohl in der forensischen Begutachtung als auch in kinder-<br />

und jugendpsychiatrischen Kliniken und Ambulanzen [15]. Auch bei Jugendlichen<br />

nehmen Fragestellungen nach der Gewaltprognose und deren<br />

Beeinflussbarkeit zu.<br />

Die von Jugendlichen ausgehende Gewalt trifft in der öffentlichen Wahrnehmung<br />

und Reaktion auf verstärkte Beachtung. Seitens der kriminologischen<br />

Forschung wird angenommen, dass nicht nur generell die Prävalenz<br />

von Jugendgewalt in den letzten Jahrzehnten anstieg, sondern auch das<br />

Anzeigeverhalten sich dahingehend änderte, dass Gewalttaten niederschwelliger<br />

öffentlich gemacht wurden [2], auch durch schulische Institutionen.<br />

In Begutachtungen jugendlicher Straftäter ist häufig eine früh auffällige<br />

Schullaufbahn zu sehen. Zum Zeitpunkt der Intensivierung der antisozialen<br />

Entwicklung sind, wie die beiden typischen Kasuistiken zeigen, die Bindungen<br />

an die schulische Institution in vielen Fällen bereits instabil oder<br />

aufgelöst.<br />

Risikofaktoren, die eine antisoziale und gewalttätige Entwicklung von Jugendlichen<br />

befördern und wahrscheinlicher machen, sind in zahlreichen<br />

empirischen Studien erhoben worden [Übersicht: 3; 10; 18]. Prägnante<br />

Risikofaktoren wurden im familiären und sozialen Umfeld [6], aber auch im<br />

Bereich der Temperaments- und Persönlichkeitsentwicklung [13] und der<br />

neurobiologischen Merkmale [4; 18] gefunden. Nach Stouthamer-Loeber<br />

et al. [16] kumuliert die Zahl maßgeblicher Risikofaktoren von der Kindheit<br />

bis in die Adoleszenz. Ihre Auswertungen deuten auf ein multifaktorielles<br />

Gefüge hin, das eine wachsende Konsistenz mit dem Alter aufweist. Zudem<br />

war nachweisbar, dass risikofördernde und protektive Faktoren sich<br />

kompensieren können.<br />

Das Jugend- und Heranwachsendenalter ist der Altersabschnitt mit der<br />

höchsten Belastung an registrierter Kriminalität. Diese Feststellung gilt im<br />

Längsschnitt, seit statistisch dokumentiert wird, auch im internationalen<br />

Vergleich. Ein weiteres konstantes Ergebnis der kriminologischen Forschung<br />

ist, dass kriminelle Handlungen bei jungen Männern ubiquitär vorkommen<br />

[11]. Im Vergleich zum Erwachsenenalter überproportional hoch<br />

ist der Anteil an leichten und minderschweren Straftaten, insbesondere<br />

Diebstahlsdelikten. Allerdings gibt die Statistik registrierter Kriminalität<br />

auch wieder, dass Jugendliche und junge Männer gleichfalls überproportional<br />

beteiligt sind an Gewaltkriminalität, vor allem Raub- und Körperverletzungsdelikten.<br />

Während Diebstahlsdelikte an Häufigkeit im Jugendalter<br />

dominieren und im Übergang zum Heranwachsendenalter abnehmen, tritt<br />

Gewaltkriminalität im Heranwachsendenalter noch ähnlich häufig auf wie<br />

im Jugendlichenalter. Die Prävalenz für Gewaltkriminalität klingt erst ab<br />

dem 21. Lebensjahr sukzessive ab [9]. Die Kriminalitätsbelastung der Jugendlichen,<br />

die in der polizeilichen Statistik als TVBZ (Tatverdächtigenbelastungsziffer:<br />

Registrierte pro 100 000 Einwohner) erfasst wird, nahm in<br />

den letzten 20 Jahren deutlich zu, zumindest bis Ende der Neunzigerjahre.<br />

Seitdem hält sie sich auf hohem Niveau. Neben einer realen Zunahme der<br />

Kriminalitätsbelastung werden als Erklärung Verschiebungen der Grenze<br />

zwischen Hell- und Dunkelfeld und ein geändertes Anzeigeverhalten angeführt.<br />

Indiz dafür ist, dass die Verurteiltenziffern nachgewiesenermaßen<br />

bei weitem nicht in gleicher Weise anstiegen [2; 9].<br />

Für den überwiegenden Teil der Jugendlichen ist sowohl nach Hellfeld-<br />

wie Dunkelfelddaten delinquentes Verhalten ein episodisches Ereignis.<br />

In Abgrenzung zu diesem jugendtypischen Verlauf fällt eine Gruppe von<br />

Mehrfach- oder Intensivtätern auf, die wesentlich häufiger und andauernder<br />

Straftaten begehen. Je nach Studienansatz macht diese Gruppe 3-10%<br />

der registrierten Straftäter aus [5; 9; 12]. Die Beschreibung der Subgruppe<br />

der chronic offenders geht auf die Studie von Wolfgang, Figlio & Sellin<br />

[19] zurück, die anhand der Philadelphia Kohortenstudie (N=9945) das<br />

registrierte Legalverhalten im Verlauf vom 8. bis zum 18. Lebensjahr aus-<br />

werteten. Chronische Täter, die mindestens fünfmal registriert wurden,<br />

repräsentierten 6% der Geburtskohorte, waren aber für ca. die Hälfte der<br />

Delikte verantwortlich.<br />

In eine differenzierte Betrachtung der Entwicklungen im Bereich der Kriminalitätsbelastung<br />

von Jugendlichen in Deutschland sind sowohl Hell- als<br />

auch Dunkelfeldstudien einzubeziehen. Sie weisen auch darauf hin, dass<br />

Häufigkeit delinquenten Handelns auch bei weiblichen Jugendlichen nicht<br />

zu unterschätzen ist.<br />

Hellfeldstudien<br />

Grundies et al. [7; 8] untersuchten im Rahmen der longitudinal angelegten<br />

Freiburger Kohortenstudie, wie häufig 7- bis 23-Jährige aus vier Geburtsjahrgängen<br />

(1970, 1973, 1975, 1978) in Baden-Württemberg polizeilich<br />

registriert wurden:<br />

• Kumulative Prävalenz: In der Gruppe der 14 – 17-Jährigen wurden im<br />

Schnitt 13,1% der männlichen deutschen Jugendlichen wegen Straftaten<br />

registriert. Bei den weiblichen deutschen Jugendlichen waren es 4,8%.<br />

• Intensivtäter: 1,1% (bzw. 8,4% bezogen auf die Registrierten) der männlichen<br />

deutschen Jugendlichen fielen als Intensivtäter mit fünf und mehr<br />

Delikten auf. Bei den weiblichen deutschen Jugendlichen betrug die<br />

Rate 0,1% (bzw. 2% bezogen auf die Registrierten).<br />

• Altersverlauf: Die Registrierungen stiegen bei den männlichen Jugendlichen<br />

ab dem 13. Lebensjahr deutlich an und erreichten den Gipfel mit<br />

dem 19. Lebensjahr, um anschließend stetig abzufallen. Ebenso stieg<br />

der Anteil an registrierten Straftaten, für den die Intensivtäter verantwortlich<br />

sind, bis zum 19. Lebensjahr deutlich an, um sodann nur noch<br />

geringfügig zuzunehmen. Bei den 19-Jährigen waren die Intensivtäter für<br />

ca. 52% der registrierten Taten verantwortlich, bei den 23-Jährigen für<br />

ca. 58%. Deutlich zeigte sich, dass das einmalig abweichende Verhalten<br />

überwiegend ein Phänomen von der Pubertät bis zum 16. Lebensjahr<br />

darstellte. Eine relativ konstante Gruppe häufig rückfälliger Intensivtäter<br />

hatte sich ab dem 19. Lebensjahr etabliert.<br />

• Gewaltdelikte: Die diesbezügliche kumulative Prävalenz (14.-17. Lj.) betrug<br />

für männliche deutsche Jugendliche 1,1%. Über 82% der Jugendlichen,<br />

die ein Gewaltdelikt begingen, waren nur einmal strafrechtlich<br />

auffällig. Die höchsten Inzidenzraten für Gewaltdelikte zeigten sich im<br />

Altersbereich der 17 bis 19-Jährigen. Die durchschnittliche Zahl an Tätern<br />

pro Delikt lag für Gewaltdelikte bei 2,5 und damit höher als bei<br />

anderen Delikten.<br />

• Ausländische Straftäter: Für ausländische männliche Jugendliche lag die<br />

kumulative Prävalenz (14.-17. Lj.) bei 27% für alle Delikte und bei 5% für<br />

Gewaltdelikte und damit deutlich höher als für deutsche Jugendliche.<br />

Als Intensivtäter traten 3,4% (bzw. 12,6% bezogen auf die Registrierten)<br />

der Jugendlichen auf.<br />

• Delinquenzmuster: Tetal [17] führte mit den Daten der Freiburger Kohorte<br />

Clusteranalysen durch, um die Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte<br />

Delikte bei den Tätern in einem Altersabschnitt gemeinsam auftreten,<br />

einzuschätzen. Es konnte ein Cluster von Tätern gefunden werden, die<br />

überwiegend mit Gewaltdelikten inclusive sexueller Gewalttaten registriert<br />

waren. Andererseits ergab sich auch ein versatiles Cluster, in dem<br />

alle Delikte hochfrequent vertreten waren. In diesem Cluster waren<br />

hauptsächlich chronische Täter erfasst. Eine Spezialisierung der Delinquenzverläufe<br />

mit zunehmendem Alter konnte nachgewiesen werden.<br />

Dunkelfeldstudien<br />

Oberwittler et al. [14] führten 1999 eine Dunkelfeldbefragung zur Delinquenzbelastung<br />

an Schülern der 8.-10. Klasse (N = 5300) in Köln und Freiburg<br />

durch. An Querschnittsbefunden ergab sich im Einzelnen:<br />

• Kumulative Prävalenz: 70% der Jungen und 50% der Mädchen gaben an,<br />

mindestens einmal ein strafbares Delikt begangen zu haben.<br />

• Jahresprävalenz: 60% der Jungen und 40% der Mädchen berichteten<br />

über ein Delikt in den letzten zwölf Monaten.<br />

• Intensivtäter: Ca. 9% der Jungen und 5% der Mädchen waren für die Hälfte<br />

aller von ihren jeweiligen Geschlechtsgenossen begangenen Delikten<br />

verantwortlich. Ungefähr 5% der befragten Jugendlichen erfüllten die<br />

Kriterien als Intensivtäter (mindestens sieben schwerwiegende Delikte<br />

in den letzten zwölf Monaten: Einbruch, KFZ-Diebstahl, Drogenhandel,<br />

Gewaltkriminalität).<br />

• Überdurchschnittlich häufig waren Intensivtäter Schüler der Haupt-<br />

bzw. Förderschule.<br />

• Versatilität: Es bestand ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der<br />

Delikte eines Jugendlichen und der Anzahl unterschiedlicher Delikte,<br />

Inzidenz und Versatilität korrelierten 0.69 (p < .001). Die Versatilität erfasst,<br />

wie viele unterschiedliche Arten von Delikten ein einzelner Täter<br />

begangen hat. Polytrop kriminelle Täter weisen zahlreiche unterschiedliche<br />

Delikte bzw. ein hohes Maß an Versatilität auf.<br />

• Gewaltdelikte: Knapp 30% der Jungen berichteten über mindestens ein<br />

Gewaltdelikt im letzten Jahr, bei den Mädchen betrug die Jahresprävalenz<br />

knapp 12%. Wenn nach Häufigkeit der Gewaltdelikte differenziert<br />

wurde, so gaben von den gewalttätigen Jugendlichen 77% ein bis fünf<br />

Delikte an, knapp ein Viertel berichtete von sechs und mehr Delikten.<br />

Baier [1] wertete anhand zweier Dunkelfeldbefragungen des KFN (Kriminologisches<br />

Forschungsinstitut Niedersachsen), die in vier westdeutschen<br />

Städten 1998 (N=7205) und 2005 (N=8490) mit Schülern der 9. Klassenstufe<br />

durchgeführt wurden, das Gewaltverhalten Jugendlicher aus und untersuchte<br />

den Einfluss von Bedingungsfaktoren im Zeitverlauf:<br />

• Jahresprävalenz: Männliche Jugendliche der Stichprobe von 2005 begingen<br />

im letzten Jahr zu 25% eine oder mehrere Gewalttaten. 7,2% waren<br />

Mehrfachtäter, die in diesem Zeitraum fünf und mehr Gewaltdelikte<br />

begingen. Bei den weiblichen Jugendlichen betrugen die Raten 9% bzw.<br />

1,8%.<br />

• Inzidenz nach Deliktart: Unter den Gewaltdelikten waren Körperverletzungsdelikte<br />

(53,7% ohne Waffe; 15,2% mit Waffe) am häufigsten, gefolgt<br />

von sexueller Gewalt (15,6%) und Raub (10,6%).<br />

• Jahresprävalenz 1998 vs. 2005: Die Gewalttäterraten nahmen leichtgradig<br />

ab (männlich: 29,1% vs. 25,0%; weiblich: 10,9% vs. 9,0%). Der Anteil<br />

an Körperverletzungsdelikten nahm relativ zu, Raub und Erpressungsdelikte<br />

verringerten sich.<br />

• Bedingungsfaktoren: Nach Regressionsmodellen korrelierte der Rückgang<br />

der Gewaltprävalenz (1998 vs. 2005) mit der Abnahme der Gewaltakzeptanz<br />

seitens der Jugendlichen sowie der Stärke der sozialen<br />

Kontrolle durch gewaltmissbilligende Peers und durch die Interventionsbereitschaft<br />

der Umgebung, v.a. der Lehrkräfte. Inkomplette Familienzusammensetzung,<br />

inkonsistente Erziehung und innerfamiliäre<br />

Gewalterfahrung begünstigten das Gewaltverhalten der Jugendlichen,<br />

hingegen war der Grad an emotionaler Zuwendung durch die Eltern nicht<br />

von Einfluss.<br />

Zusammengefasst bestätigte sich in kriminologischen Untersuchungen<br />

eine hohe allgemein- und gewaltdeliktische Belastung des Jugendalters.<br />

Überwiegend handelt es sich um episodisches, sich selbst limitierendes<br />

antisoziales Verhalten. In den letzten Jahrzehnten stieg die registrierte<br />

Kriminalitätsbelastung Jugendlicher deutlich an. Neben einer realen Zunahme<br />

der Delinquenz hat mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Anzeigebereitschaft<br />

und somit die formale soziale Kontrolle zugenommen. Ein<br />

sich fortsetzender Anstieg der Gewaltkriminalität ließ sich im Dunkelfeld<br />

für rezente Zeiträume nicht mehr belegen. Allerdings ergaben sich Hinweise<br />

für einen höheren relativen Anteil von Körperverletzungsdelikten.<br />

Die Existenz einer Subgruppe intensiv delinquenter Jugendlicher konnte in<br />

Hell- und Dunkelfeldstudien nachgewiesen werden. Diese Subgruppe ist<br />

durch eine höhere Deliktfrequenz, einen höheren Anteil an Gewalttaten<br />

und eine längeranhaltende delinquente Aktivität gekennzeichnet. Für das<br />

Jugendalter typisch ist ein hohes Maß an Versatilität, mit einschliessend<br />

ein häufig gemeinsames Auftreten von Gewalt- und Nichtgewaltdelikten.<br />

Spezifische Delinquenzmuster - auch für Gewalttaten - bilden sich jedoch<br />

verstärkt mit Übergang ins Erwachsenenalter aus. Einflussfaktoren auf<br />

die Prävalenzentwicklung des Gewaltverhaltens im Dunkelfeld liegen vor<br />

allem in den Stärken bzw. Defiziten der familiären Strukturen und der Ausprägung<br />

der informellen sozialen Kontrolle. An letzterem Punkt können<br />

präventive Maßnahmen einsetzen, indem im schulischen Umfeld und in<br />

den Beziehungen der jugendlichen Peers untereinander die Wertigkeit gewaltfreier<br />

Kommunikation und die Missbilligung gewaltsamen Vorgehens<br />

möglichst frühzeitig verstärkt werden.<br />

Literatur<br />

1. Baier D (2008) Entwicklung der Jugenddelinquenz und ausgewählter Bedingungsfaktoren seit 1998 in den<br />

Städten Hannover, München, Stuttgart und Schwäbisch Gmünd. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen,<br />

Forschungsbericht Nr. 104, Hannover<br />

2. Bundesministerien des Innern und der Justiz (2006) Zweiter periodischer Sicherheitsbericht. www.bmi.<br />

bund.de<br />

3. Cottle CC, Lee RJ, Heilbrun K (2001) The prediction of criminal recidivism in juveniles: a meta-analysis.<br />

Crim Justice Behav 28:367-394<br />

4. Dolan M (2004) Neurobiological factors in aggressive children and adults. In: Bailey S, Dolan M (Hrsg)<br />

Adolescent forensic psychiatry. Arnold, London, S 61-86<br />

5. Elsner E, Steffen W, Stern G (1998) Kinder- und Jugendkriminalität in München. Bayerisches Landeskriminalamt,<br />

München<br />

6. Farrington DP (1998) Predictors, causes and correlates of male youth violence. Crime Justice 24:421-475<br />

7. Grundies V (1999) Polizeiliche Registrierungen von 7- bis 23-Jährigen: Befunde der Freiburger Kohortenstudie.<br />

In: Albrecht HJ (Hrsg) Forschungen zu Kriminalität und Kriminalitätskontrolle. Edition iuscrim, Freiburg,<br />

S 371-401<br />

8. Grundies V, Höfer S, Tetal C (2002) Basisdaten der Freiburger Kohortenstudie: Prävalenz und Inzidenz<br />

polizeilicher Registrierung. Edition iuscrim, Freiburg<br />

9. Heinz W (2003) Jugendkriminalität in Deutschland: Kriminalstatistische und kriminologische Befunde. Kon-<br />

stanzer Inventar Kriminalitätsentwicklung, Konstanz. www.uni-konstanz.de/rtf/kik<br />

10. Herrenkohl TI, Maguin E, Hill KG, Hawkins JD, Abbot RD, Catalano RF (2000) Developmental risk factors<br />

for youth violence. J Adolesc Health 26:176-186<br />

11. Kerner HJ (1993) Jugendkriminlität zwischen Massenerscheinung und krimineller Karriere. In: Nickolai W,<br />

Reindl R (Hrsg) Sozialarbeit und Kriminalpolitik. Lambertus, Freiburg, S 28-62<br />

12. Loeber R, Farrington DP, Waschbusch DA (1998) Serious and violent offenders. In: Loeber R, Farrington<br />

DP (Hrsg) Serious and violent offenders: risk factors and successful interventions. Sage, Thousand Oaks<br />

London New Delhi, S 13-29<br />

13. Nigg JT (2006) Temperament and developmental psychopathology. J Child Psychol Psychiatry 47:395-422<br />

14. Oberwittler D, Blank T, Köllisch T, Naplava T (2001) Soziale Lebenslagen und Delinquenz von Jugendlichen.<br />

Edition Iuscrim, Freiburg<br />

15. Rieger M, Stadtland C, Freisleder FJ, Nedopil N (2009) Psychiatrische Beurteilung des Gewaltrisikos im<br />

Jugendalter. Nervenarzt 80:295-304<br />

16. Stouthamer-Loeber M, Loeber R, Wei E, Farrington DP, Wikström POH (2002) Risk and promotive effects<br />

in the explanation of serious delinquency in boys. J Consult Clin Psychol 70:111-123<br />

17. Tetal C (2008) Analyse von Deliktähnlichkeiten auf der Basis von Inividualdaten der Freiburger Kohortenstudie.<br />

Dunker& Humblot, Berlin<br />

18. Vloet TD, Herpertz S, Herpertz-Dahlmann B (2006) Ätiologie und Verlauf kindlichen dissozialen Verhaltens<br />

- Risikofaktoren für die Entwicklung einer antisozialen Persönlichkeitsstörung. Z Kinder-Jugendpsychiatr<br />

34:101-115<br />

19. Wolfgang ME, Figlio RM, Sellin T (1972) Delinquency in a birth cohort. Univ Chicago Pr, Chicago London<br />

Psychisch kranke Straftäter im Jugendalter<br />

Dr. med. Rainer Huppert<br />

Facharzt für Nervenheilkunde und Psychiatrie, Psychotherapie<br />

Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –Psychotherapie<br />

Oberarzt Heckscher-Klinikum, München Abt. Rottmannshöhe<br />

Zusammenfassung<br />

Jugendliche, die manifest psychisch erkrankt sind oder Verhaltensauffälligkeiten<br />

zeigen, die den Verdacht auf eine psychische Erkrankung aufwerfen,<br />

oder als Vorläufer einer manifesten psychischen Erkrankung zu<br />

werten sind, Jugendliche, die prädelinquente Auffälligkeiten des Sozialverhaltens<br />

zeigen oder bereits eine Straftat begangen haben, stellen aus<br />

verschiedenen Blickwinkeln und Aufgabenbereichen eine interdisziplinäre<br />

Herausforderung für Medizin, vorrangig Kinder- und Jugendpsychiatrie,<br />

Pädagogik, Jugendhilfe und Justiz dar. Außerhalb der meist zerrütteten Familie<br />

begegnen wir diesen Jugendlichen institutionell in der Schule sowie<br />

Einrichtungen bzw. Betreuungsumgebungen der Jugendhilfe, in der Kinder-<br />

und Jugendpsychiatrie – unter Umständen mit dem Auftrag einer differentialdiagnostischen<br />

Abklärung bei dem Verdacht auf eine psychische<br />

Erkrankung, im Rahmen einer forensischen Begutachtung – sowie bei<br />

Strafmündigkeit unter Umständen im Strafvollzug. Der Beitrag gibt einen<br />

gerafften Überblick über die Problematik dieser interdisziplinären Herausforderung<br />

aus klinischer Perspektive und fokussiert auf die Schnittstellen<br />

der genannten Disziplinen.<br />

Einleitung<br />

Große epidemiologische Untersuchungen zur psychischen Gesundheit<br />

von Kinder und Jugendlichen in Deutschland wie die BELLA-Studie in<br />

Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KIGGS) (Ravens-Sieberer et al.,<br />

2007) erbrachten Hinweise für psychische Auffälligkeiten bei über 20


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

62 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

63<br />

Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von 7 bis 17 Jahren. Unter<br />

den Auffälligkeiten dominierten Störungen wie Ängste (10 Prozent),<br />

Störungen des Sozialverhaltens (7,6 Prozent) sowie Depressionen. Der<br />

hohe Anteil an Sozialverhaltensstörungen als signifikante Vorläufersymptomatik<br />

oder Hintergrund manifester Delinquenz weist auf die zentralen<br />

Fragestellungen des Themas hin. Wie sind schwere Störungen des Sozialverhaltens<br />

und Dissozialität im Hinblick auf den Störungscharakter und<br />

Krankheitswertigkeit zuzuordnen? Welche Vorläufer im Entwicklungs- und<br />

Verhaltensbereich sind identifizierbar? Welche Behandlungs- und Interventionsmöglichkeiten<br />

gibt es, ebenso welche Wege der Prävention? Eine<br />

weitere Fragestellung ergibt sich daraus, dass umschriebene psychiatrische<br />

Erkrankungen, z.B. Angststörungen, Depressionen, schizophrene<br />

Psychosen oder Zwangserkrankungen unmittelbarer Hintergrund einer<br />

rechtlich sanktionierten oder das soziale Gefüge in erheblicher Weise<br />

tangierenden Handlung sein können. Beide Blickwinkel machen deutlich,<br />

dass dem in diesem Sinne auffälligen Jugendlichen nur eine enge interdisziplinäre<br />

Verzahnung, die gegenseitige Abgleichung und Überprüfung von<br />

Medizin (Kinder- und Jugendpsychiatrie), Pädagogik und Jugendhilfe sowie<br />

im deliktisch relevanten Bereich des strafmündigen Jugendlichen auch<br />

die Justiz adäquat begegnen können. Die institutionellen Orte, an denen<br />

diese Verzahnung stattfindet, sind bei einem meist fehlenden familiären<br />

adäquaten Erziehungsrahmen dieser Jugendlichen die Schule, Jugendhilfe<br />

in Form ambulanter Maßnahmen (z. B. Familienhilfe) und stationäre Einrichtungen<br />

(Heim- und Wohngruppenunterbringung), kinder- und jugendpsychiatrische<br />

Kliniken und Ambulanzen zur Diagnostik bzw. forensischen<br />

Begutachtung und die Einrichtungen des Jugendstrafvollzug bis hin zum<br />

Maßregelvollzug. Beispielhaft zeigen Untersuchungen signifikant häufiger<br />

psychische Störungen unter jugendlichen Gefängnisinsassen, namentlich<br />

Substanzmissbrauch, Impulskontrollstörungen, affektive Störungen und<br />

Entwicklungsverzögerungen (Laucht, 2001)<br />

Adoleszenz- Dissozialität- Psychische Erkrankung<br />

Die Rechtsstellung des Kindes, Jugendlichen und Heranwachsenden in Abhängigkeit<br />

vom Lebensalter zeigt folgende Abschnitte und Stufen:<br />

6 Jahre Schulpflicht<br />

7 Jahre Beschränkte Geschäftsfähigkeit und zivilrechtliche Deliktfähigkeit<br />

14 Jahre Bedingte Strafmündigkeit, Ende des strafrechtlichen Kinderschutzes<br />

15 Jahre Ende der Schulpflicht/Berufsschulpflicht<br />

18 Jahre Volljährigkeit<br />

21 Jahre Ende der Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts, Ende der Jugendamtshilfe<br />

für junge Volljährige<br />

Fallvignette 1<br />

Hans wurde erstmals mit 12 Jahren von seinen Eltern bei einer Erziehungsberatung<br />

vorgestellt, nachdem er sich im schulischen Umfeld einer Hauptschule<br />

als pädagogisch kaum noch führbar erwiesen hatte. Die Integration unter<br />

Gleichaltrigen gelang nicht, es kam permanent zu Impulsdurchbrüchen, zu<br />

aggressiven Auseinandersetzungen mit Gleichaltrigen, Isolation, Stören des<br />

Unterrichts. Eine auf den Erstkontakt hin installierte ambulante Jugendhilfemaßnahme<br />

konnte die weitere Eskalation im Alter von etwa 15 Jahren mit<br />

nun deliktisch relevan-ten Diebstählen, kleineren Einbrüchen ebenso wenig<br />

verhindern wie Alkoholmissbrauch, Schuleschwänzen, Herumstreunen. Im<br />

Weiteren zeigte Hans eine ausgeprägte Stimmungslabilität, er erschien einerseits<br />

ängstlich-anhänglich, dann hochfahrend- abweisend und aggressiv<br />

gegenüber Erziehungspersonen und Altersgleichen. Diese Phasen wechselten<br />

mit Zeiten völliger Indifferenz, ebenso refraktär gegen jegliche pädagogische<br />

Reglementierung wie die expansiven Verhaltensweisen. Subakut<br />

entwickelten sich Unruhezustände und Größenideen, Hans äußerte, mit Politikern<br />

sprechen zu müssen, neues Geld einführen zu wollen und Ähnliches.<br />

Am sporadisch besuchten Unterricht beteiligte er sich nicht mehr, saß rückwärts<br />

in der Klasse, war aber auch nicht mehr aggressiv, wirkte gleichgültig,<br />

bis sich ein zunehmend verwirrt- desorganisiertes Verhalten einstellte, die<br />

als akute psychotische (schizophrene) Dekompensation zu werten war und<br />

zu einer klinisch- stationären Aufnahme führte.<br />

Fallvignette 2<br />

Matthias zeigte von klein auf viele Entwicklungsauffälligkeiten in sprachlicher,<br />

motorischer und psychosozialer Hinsicht. Früh wurde eine hyperkinetische<br />

Störung des Sozialverhaltens diagnostiziert, Interventionen von<br />

Seiten pädagogischer Einrichtungen, des Jugendamts sowie der Kinder-<br />

und Jugendpsychiatrie einschließlich eines längeren tagesklinischen Aufenthaltes<br />

sowie eine langstreckige pharmakotherapeutische Behandlung<br />

mit Stimulanzien reihten sich aneinander. Der familiäre Hintergrund war<br />

betrüblich, Mutter mit wechselnden Lebensabschnittspartnern, viel Alkohol<br />

und Gewalt in der primären Umgebung. Matthias beendete die Schule<br />

nach acht Schulbesuchsjahren in der 6. Klasse Hauptschule, langstreckige<br />

heilpädagogische Betreuungen einschließlich der Betreuung in einer Schule<br />

zur Erziehungshilfe und einer Platzierung in einer heilpädagogischen Einrichtung<br />

konnten die lange Deliktanamnese seit dem Kindesalter mit Diebstählen,<br />

Sachbeschädigung, Zündeln und deren Eskalation im Alter von 16<br />

Jahren mit Körperverletzung, schwerem Raub und sexueller Nötigung, die<br />

zur Inhaftierung führte, nicht modifizieren.<br />

Fallvignette 3<br />

Der 17-jährige Patrick absolvierte die Hauptschule ohne Qualifizierung sowie<br />

das Berufsvorbereitungsjahr, ohne dass ihm der Einstieg in Lehre und<br />

Beruf gelang. Der familiäre Hintergrund zeigte viele Beziehungswechsel<br />

mit getrennten Eltern und häufig wechselnden Bezugspersonen. Patrick<br />

wuchs bei Großeltern auf, fühlte sich durch die Eltern abgelehnt. Aus der<br />

eigenen Entwicklung ergaben sich keine gravierenden Auffälligkeiten des<br />

stillen und angepassten Kindes, der mit Eintritt in die Pubertät im Gleichaltrigenkreis<br />

einige Kontakte zu delinquenter Umgebung (vor allem Drogen)<br />

hatte und selbst psychotrope Substanzen zur Stimmungsverbesserung<br />

einsetzte. Deliktisch bzw. im Sozialverhalten wurde er nie auffällig bis<br />

zum Vorwurf des versuchten Totschlags im Rahmen einer Auseinandersetzung<br />

um eine junge Frau. Bei der gutachterlichen jugendpsychiatrischen<br />

Untersuchung ergaben sich keine Hinweise für eine forensisch relevante<br />

Beeinflussung der Steuerungsfähigkeit durch eine psychiatrische Erkrankung.<br />

Der gut begabte Jugendliche nutzte die Haftzeit zur schulischen<br />

Qualifizierung und zur Berufsausbildung.<br />

Die skizzierten Verläufe zeigen bereits einige Facetten des Komplexes<br />

Jugend – psychische Erkrankung und Straffälligkeit. Muss bei dem ersten<br />

Jugendlichen letztlich davon ausgegangen werden, dass die schweren<br />

Auffälligkeiten des Sozialverhaltens zumindest in ihrem letzten Abschnitt<br />

die lange Vorfeldsymptomatik der psychotischen Erkrankung abgaben,<br />

zeigen sich bei dem zweiten Jugendlichen Delinquenz und dauerhafte<br />

Abweichungen des Sozialverhaltens vor einem äußerst problematischen<br />

Entwicklungshintergrund von Kindesbeinen an und durch verschiedene<br />

interdisziplinäre Interventionen als nicht beeinflussbar. Der dritte Jugendliche<br />

wurde erst in einer Krisensituation der Adoleszenz straffällig, in der<br />

Entwicklungsbelastungen, Reifungsdefizite in der Straftat psychodynamisch<br />

entgleisen.<br />

Das Spektrum der skizzierten Verläufe machen Kriminalstatistiken nachvollziehbar,<br />

nachdem mehr als ein Drittel der Tatverdächtigen in Deutschland<br />

jünger als 25 Jahre sind und bei der Delinquenzverteilung ein steiler<br />

Anstieg in der Pubertät und ein steiler Abfall im jungen Er-wachsenenalter<br />

zu beobachten ist (Statistische Erhebung des BKA bei Kölch, 2009). Trotz<br />

der verstärkten medialen Wahrnehmung dieser Problematik ist sie in allen<br />

Ländern und Kulturen keineswegs neu (Kölch, 2009).<br />

Psychische Störung und Delinquenz<br />

Noch vor jeder Konkretisierung sind folgende Beziehungen möglich:<br />

- Die psychische Störung verursacht bzw. verstärkt eine delinquente Neigung.<br />

- Die psychische Störung vermindert bzw. beseitigt eine delinquente Neigung.<br />

- Es besteht kein Zusammenhang zwischen Delinquenz und psychischer<br />

Störung.<br />

- Die psychische Störung vermindert bei einigen Jugendlichen, verstärkt<br />

bei anderen – je nach situativer Verfassung – die Neigung zu rechtswidrigen<br />

Taten.<br />

Zwischen den Polen manifeste psychiatrische Erkrankung und Straffälligkeit<br />

sind Verhaltensauffälligkeiten aus dem dissozialen bzw. delinquenten<br />

Spektrum denkbar, die den Verdacht auf eine psychiatrische Erkrankung<br />

aufkommen lassen bzw. unterstützen, z. B., wenn die Straftat aus einer<br />

erkennbaren biographischen bzw. Entwicklungskontinuität völlig heraus<br />

fällt, andererseits kann eine Straftat Handlungskompetenz und situative<br />

Orientierung zeigen, die anderweitig aufgetretene bzw. vermutete Beein-<br />

trächtigungen von Ich-Funktionen durch eine mögliche psychische Störung<br />

relativieren. Daneben können Verhaltensauffälligkeiten aus dem<br />

dissozialen Spektrum auch Vorläufer einer psychiatrischen Erkrankung<br />

sein, wie dies nicht selten gerade bei Jugendlichen im Vorfeld psychotischer,<br />

namentlich schizophrener Erkrankungen gesehen wird (Fallvignette<br />

1). Weiterhin sind entwicklungs- und altersabhängige Auffälligkeiten des<br />

Sozialverhaltens zu erwähnen, die, sei es mangels Strafmündigkeit, sei es<br />

durch Art und Gestaltung der Abweichung von sozialen Erwartungen nicht<br />

justiziabel sind.<br />

Wenn auch im Gesamt der straffälligen Jugendlichen eine eher kleine Gruppe<br />

ist die, bei der eine manifeste psychiatrische Erkrankung Hintergrund<br />

einer Straftat ist. Hier reicht die Spannbreite von klaren, aber auch gutachterlich<br />

zu bewertenden Motivationszusammenhängen (z. B. ein an einer<br />

Zwangserkrankung leidender Jugendlicher bricht störungsmotiviert eine<br />

Unzahl von Mercedes-Sternen ab und sammelt diese, ein psychotischer<br />

Jugendlicher verübt unter dem Mandat imperativer Stimmen und/ oder<br />

wahnhaften Erlebens ein Körperverletzungsdelikt) zu mitunter schwierig<br />

und nur im Kontext gründlicher forensisch- psychia-trischer Untersuchungen<br />

zu klärende Bedingungskonstellationen, motivationalen Ableitungen<br />

und deren etwaige Beeinflussung der situativen Verfügbarkeit individueller<br />

Handlungskompetenzen und intrinsischen Steuerungsmechanismen.<br />

Neben der Feststellung des Vorliegens oder Fehlens der medizinischen<br />

Voraussetzungen eingeschränkter oder gar aufgehobener Schuldfähigkeit<br />

kommt auch der Reifebeurteilung des Jugendlichen bzw. jungen Heranwachsenden<br />

mitunter weitreichende Bedeutung in einem juristischen Verfahren<br />

zu.<br />

Weitaus vager und auch strittiger nicht nur in der kinder- und jugendpsychiatrischen<br />

Diskus-sion ist die Bewertung der vorwiegend oder ausschließlich<br />

durch Verstöße gegen soziale und juristische Normen auffälligen Kinder<br />

und Jugendlichen. Per se sind derartige Auffälligkeiten zunächst nicht<br />

eine psychische Störung. In den Klassifikationssystemen für psychische<br />

Störungen des Kindes- und Jugendalters (ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation,<br />

DSM-IV-R der American Psychiatric Association) gibt es keine<br />

speziellen Kategorien für Straffälligkeit (Remschmidt & Walter, <strong>2010</strong>). Diese<br />

Auffälligkeiten werden im Kindes- und Jugendalter den Störungen des<br />

Sozialverhaltens zugeordnet. Ist bei diesen Störungen das Überschneidungsfeld<br />

zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie, Jugendhilfe, Schule<br />

und Pädagogik besonders groß, reklamiert die Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />

nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass diese Störungen Merkmale<br />

selbstständiger Krankheitsklassen und kategorien erfüllen (Schmidt,<br />

2008) bezüglich der Diagnostik, der Feststellung von Begleiterkrankungen<br />

und der Verlaufsmerkmale Priorität ihrer Disziplin. Nach diesem Verständnis<br />

weisen Sozialverhaltensstörungen eine einheitliche Symptomatik auf,<br />

zeigen eine einheitliche Ätiologie oder zumindest Pathogenese, nehmen<br />

einen einheitlichen Verlauf und reagieren auf einheitliche Interventionen.<br />

Unter Störungen des Sozialverhaltens werden andauernde Muster dissozialen,<br />

aggressiven und aufsässigen Verhaltens verstanden, die aufs Gröbste<br />

altersentsprechende soziale Erwartungen verletzen. Sie übersteigen deutlich<br />

das Maß gewöhnlichen kindlichen Unfugs und jugendlicher Aufmüpfigkeit<br />

und bestehen nicht nur in einzelnen dissozialen oder kriminellen<br />

Handlungen. Andere psychische Störungen sollen nicht Hintergrund für<br />

diese Auffälligkeiten sein, die mindestens über ein halbes Jahr beobachtet<br />

werden sollen. Die Merkmalsliste der Internationalen Klassifikation psychischer<br />

Störungen (ICD-10) umfasst ungewöhnlich häufige und heftige<br />

Wutausbrüche, oppositionelle Verhaltensweisen, Streiten, Ärgern, Schuldabwälzung,<br />

Empfindlichkeit, Groll, Gehässigkeit, Lügen und Unzuverlässigkeit.<br />

Missachtung der körperlichen Integrität anderer, den Gebrauch<br />

gefährlicher Waffen, abendliches Wegbleiben, körperliche Grausamkeit,<br />

Tierquälerei, Sachbeschädigung, Feuerlegen, Stehlen, Schuleschwänzen,<br />

Weglaufen, häufiges Tyrannisieren anderer sowie Erpressung, Raub, sexuelle<br />

Nötigung, Einbrüche. Eckpunkte über das geforderte Ausmaß und<br />

die Dauer einzelner Symptome werden vorgegeben. Nach Kölch (2009) leiden<br />

sieben Prozent aller männlichen Kinder und Jugendlichen sowie drei<br />

Prozent der Mädchen unter Störungen des Sozialverhaltens. In speziellen<br />

Jugendhilfeeinrichtungen und Schulen zur Erziehungshilfe sind dieses bis<br />

zu 48 Prozent, wobei hier als Komorbidität bei 22 Prozent zusätzlich eine<br />

hyperkinetische Störung vorliegt.<br />

Im Rahmen der Dominanz des biologischen Ätiologieparadigmas in der<br />

Kinder- und Jugendpsychiatrie wurden als Risikofaktoren dissozialer Entwicklungen<br />

(Vloet 2006), morphologische Auffälligkeiten (Läsionen im<br />

Zentralnervensystem, vorwiegend Hypothalamus, Amygdala und präfron-<br />

taler Kortex), eine Reihe weiterer somatischer Auffälligkeiten (verminderte<br />

vegetative Reagibilität, Auffälligkeiten endokriner Regulationsmechanismen<br />

zwischen Hypophyse und Nebennierenrinde) sowie aus neurochemischer<br />

Perspektive eine serotonerge Dysfunktion postuliert, sämtlich<br />

Befunde, die diskutiert werden und deren spezifisch ätiologische Dignität<br />

für das primär deskriptive Störungsbild Störung des Sozialverhaltens resp.<br />

dissoziale Entwicklung aussteht. Weniger spekulativ und den in institutioneller<br />

Umgebung beobachtbaren Verhaltensformen näher sind Temperaments-<br />

und Persönlichkeitsfaktoren dieser Kinder und Jugendlichen:<br />

Abundant exploratives und impulsives Verhalten, ein durch wenige interne<br />

oder soziale Hemmungen gekennzeichneter Interaktionsstil, auffällige affektive<br />

Indifferenz, Empathiemangel sowie eine alterskorreliert defizitäre<br />

emotionale Regulation. Die Schwelle, die die Auffälligkeiten insbesondere<br />

die in jeglicher sozialen Umgebung schnell äußerst problematisch werdende<br />

Impulsivität situativ induziert, ist bei diesen Kindern und Jugendlichen<br />

meist erniedrigt. Mit einem solchen Persönlichkeits- bzw. Verhaltens-stil<br />

wurden insbesondere posttraumatische Entwicklungen in Zusammenhang<br />

gebracht, die aus den gleichfalls gefundenen psychosozialen Risikofaktoren<br />

(Vloet 2006) gut nachvollziehbar sind. Risiken von Herkunftsfamilie<br />

bzw. -umgebung wie niedriger sozioökonomischer Status, Zugehörigkeit<br />

zu einer ethnischen Minderheit, häufiger Wechsel von Bezugspersonen<br />

mit konsekutiven Bindungsstörungen, delinquente und/oder psychisch<br />

kranke Eltern, physi-sche und psychische Misshandlungen, ein inkonsequenter<br />

Erziehungsstil mit zu vielen oder zu wenigen Regeln führen zur<br />

Entwicklung defizienter Strategien sozialer Informationsverarbeitung, der<br />

eine wesentliche pathogenetische Funktion im skizzierten Verhaltensgefüge<br />

beigemessen wird. Insbesondere bei männlichen Jugendlichen sind<br />

überdies aggressive Rollenmodelle ein wesentlicher Faktor.<br />

Für diese Sozialverhaltensstörungen bzw. dissozialen Entwicklungen hat<br />

Moffit (1993) zwei Verlaufstypen beschrieben: Einen episodischen (auf das<br />

Jugendalter begrenzten) Verlaufstyp sowie eine persistierende (über den<br />

Lebenslauf hin stabile) Verlaufsform.<br />

Merkmale der episodischen Verlaufsform sind: Erstmals in der Pubertät<br />

treten oppositionelle und delinquente Verhaltensweisen auf, die sich insgesamt<br />

als nicht verhaltensstabil zeigen und bei Erreichen des Erwachsenenalters<br />

zurückbilden. Jugendliche mit diesem Verlaufstyp zeigen eine<br />

weitgehend unauffällige Persönlichkeitsstruktur, sind sozial meist gut integriert,<br />

weisen wenig weitere psychiatrische Auffälligkeiten auf, die Sozialverhaltensstörung<br />

zeigt wenig aggressive Delinquenzformen. Werden<br />

psychiatrische Symptome (z. B. Depressivität) beobachtet, sind diese eher<br />

als Folge dissozialen Verhaltens und der gesellschaftlichen Reaktionen zu<br />

werten. Substanzmissbrauch, also Alkohol und Drogen, erhöhen das Risiko<br />

für den Übergang in den persistierenden Verlaufstyp. Die dissozialen<br />

Auffälligkeiten haben in aller Regel zumindest vorübergehend Konsequenzen<br />

für die schulische, berufliche, soziale und familiäre Integration. Dieser<br />

Verlaufstyp wurde hauptsächlich als übersteigerte Bewältigungsform<br />

phasenspezifischer Entwicklungsaufgaben gesehen und als Auflehnung<br />

gegen die Reifungslücke vor allem in westlichen Kulturen (Kluft zwischen<br />

psychischer Reifung und sozioökonomischer Selbstständigkeit) interpretiert.<br />

Epidemiologische Zahlen beschreiben diesen Verlaufstyp bei bis zu<br />

25 Prozent der Jugendlichen (Vloet, 2006).<br />

Als erheblich gravierender ist die persistierende Verlaufsform zu werten.<br />

Dieses sind Jugendliche, die schon ab dem Kindesalter durch aggressive,<br />

oppositionelle und delinquente Verhaltensweisen auffallen, die meist über<br />

das Jugendalter hinweg bis in das Erwachsenenalter weiter eskalieren.<br />

Neuropsychologische Defizite, namentlich Aufmerksamkeitsstörung, psychopathische<br />

Persönlichkeitszüge kennzeichnen diese Jugendlichen, die<br />

körperlich häufig aggressiv auftreten, sozial wenig bis gar nicht integriert<br />

sind (allenfalls in dissozialen Peergroups) und häufig körperlich aggressiv<br />

auftreten. In signifikant höherem Maße werden hier psychiatrisch relevante<br />

Auffälligkeiten wie ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, Elemente einer<br />

posttraumatischen Belastungsstörung, frühen Sozialverhaltensstörungen,<br />

Depressivität bis hin zu suizidalen Syndromen, aber auch Substanzmissbrauch,<br />

Angststörungen sowie psychotische Syndrome gesehen. Neben<br />

den mitgebrachten auffälligen Temperamentsmerkmalen des Kindes, die<br />

die frühe Interaktion mitprägen, spielen häufig ein sehr ungünstiges familiäres<br />

Umfeld, kognitive Defizite des Kindes und Jugendlichen, frühe Traumatisierung<br />

und Misshandlung mit einer veränderten Angstschwelle sowie<br />

die Ausbildung einer Persönlichkeitsstörung eine Rolle. Dieser ungünstige<br />

Verlaufstyp wird in bei fünf bis zehn Prozent vor allem unter männlichen<br />

Jugendlichen gesehen.


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

64 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

65<br />

Geht aus dem Gesagten über die persistierende Verlaufsform bereits<br />

früh die Orientierung an einer Persönlichkeitsentwicklungsstörung hervor,<br />

stützt der episodische Verlaufstyp eine Entwicklungstheorie juveniler<br />

Delinquenz. Aufgrund der neurobiologisch im Zeitfenster der Adoleszenz<br />

stattfindenden zerebralen Umbauprozesse zeigt sich entwicklungsbedingt<br />

eine besondere Suszeptibilität gegenüber Umgebungseinflüssen, die wiederum<br />

zu jugendtypischen Verhaltenscharakteristika wie erhöhter Impulsivität,<br />

intensiverer Affektivität und Risikoverhalten beitragen. Reifungsungleichzeitigkeiten<br />

wurden bereits erwähnt, Dissozialität wird hier von<br />

allem in dem entwicklungskritischen Zeitfenster als Ausdruck von Anpassungsschwierigkeiten,<br />

Bewältigungsproblemen von Entwicklungsanforderungen<br />

gesehen. Derartige Jugendliche verfügen allerdings im Vergleich zu<br />

denen des persistierenden Verlaufstyps über erheblich mehr sogenannte<br />

protektive Faktoren wie bessere soziale Fertigkeiten, sie zeigen sich zumindest<br />

zu Beginn der Auffälligkeiten schulisch als erfolgreicher, fallen<br />

durch weniger begleitende psychische Störungen auf, zeigen sich als beziehungs-<br />

und bindungsfähig und von ihrer kognitiven Ausstattung als leistungsfähiger<br />

(Vloet, 2006; Laucht, 2001).<br />

Risikoevaluation und möglichst frühe Erfassung sind auch ein wesentliches<br />

Anliegen im Bereich psychischer Störungen. Generell haben epidemiologische<br />

Erhebungen erbracht, dass auch für psychische Störungen<br />

soziale Faktoren wie Armut, zerbrochene Familien, Migration, Bildungslaufbahn,<br />

Schichtstatus risikoerhöhende biographische Merkmale darstellen.<br />

Aspekte der als modern apostrophierten Lebenswelt wie ein exzessiver<br />

Medienkonsum, eine im-mer wieder beschworene hohe Mobilität<br />

und Flexibilität sowie das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in<br />

Teil- oder neu sortierten Familien tragen hier zu einem Strukturverlust im<br />

Kernbetreuungsgefüge der Familie bei, der institutionell bei Weitem nicht<br />

ausgeglichen werden kann. Für die hier infrage stehende spezielle Altersgruppe<br />

der Jugendlichen gilt cum grano salis, dass Entwicklungsschwellen<br />

generell als risikoerhöhend gelten, auch wenn das lange übliche Konzept<br />

von der Adoleszenz als Krise per se nicht ausreichend validiert werden<br />

konnte (u. a. Kapfhammer, 1995).<br />

Diagnostik und Intervention<br />

Angesichts der vielen Überschneidungen, differenter Verlaufsformen der generell<br />

häufig „vageren“ Störungsbilder im Jugendalter und auch bestimmter,<br />

teils trivialer, teils klischeehafter Grundannahmen („Pubertät!“) erscheint es<br />

aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht in jedem Falle dringlich, mittels<br />

einer adäquaten Diagnostik, in der Risikofaktoren für dissoziale delinquente<br />

Entwicklungen sowie Vorläufer und Begleitsymptomatik identifiziert werden,<br />

Voraussetzungen für frühzeitige Interventionen bei auffälligen Jugendlichen<br />

zu schaffen. Eine adäquate Diagnostik hilft bei der Differenzierung<br />

entwicklungsbedingter, dis-sozialer und dezidiert psychopathologisch relevanter<br />

Phänomene und ist der erste wesentliche Beitrag der Jugendpsychiatrie<br />

in der skizzierten interdisziplinären Herausforderung. Die hohe Dunkelziffer<br />

psychischer Störung bei Straftätern, die mangelnde Identifikation<br />

von Risikofaktoren und bei bereits stattgehabter Straffälligkeit die geringe<br />

Gutachtensquote zeigen Verdichtungs- und Verbesserungsmöglichkeiten in<br />

diesem Bereich an (Brünger & Weissbeck, 2008).<br />

Interventionen jeglicher Art hängen immer vom institutionellen Rahmen,<br />

der Ausgangsstörung und anderen individuellen Bedingungen wie Alter,<br />

Entwicklungsstand, kognitive Voraussetzungen ab. Dennoch lassen sich<br />

Schwerpunkte therapeutischer Arbeit mit Jugendlichen mit psychischen<br />

Auffälligkeiten und Dissozialität/Delinquenz benennen (Weissbeck &<br />

Brünger, 2008). Behandlungsziele, in denen sich heilpädagogische, sozialtherapeutische<br />

und kinder- und jugendpsychiatrische Kompetenz ergänzen<br />

müssen, bestehen immer in der Verbesserung der Realitätsprüfung mit<br />

dem Antizipieren von Handlungskonsequenzen, der Verbesserung kommunikativer<br />

Fertigkeiten mit der Entwicklung sozial adäquater Konfliktlösungsstrategien,<br />

der Verbesserung der Beziehungsfähigkeit mit Offenheit<br />

und Vertrauensbildung, ein sozial adäquaterer Umgang mit Verbesserung<br />

von Frustrationstoleranz, emotionaler Stabilität und Impulskontrolle, einer<br />

Verbesserung der Normenorientierung und Förderung alternativer<br />

Befriedigungsstrategien sowie auch in einer Verbesserung familiärer Beziehungen.<br />

Hinzu treten nach Art der Grundstörung weitere spezifische<br />

Behandlungsziele. Je nach institutioneller bzw. therapeutischer Umgebung<br />

und Grundstörung kommen psy-chopharmakotherapeutische Strategien,<br />

soziales Kompetenztraining, Entspannungsverfahren, Kreativtherapien,<br />

Arbeits- und Verselbstständigungstraining, verhaltenstherapeutische<br />

Strategien zur Verhaltensmodifikation, psychoedukative Maßnahmen in<br />

einzel- und gruppentherapeutischem Rahmen, mitunter auch im Rahmen<br />

einer Stufenbehandlung zum Einsatz (Weissbeck & Brünger, 2008). Schule,<br />

Ausbildung, berufsvorbereitende Maßnahmen, also eine praktische<br />

Unterstützung bei der Wahrnehmung individueller Entwicklungsoptionen<br />

zeigen sich ganz unabhängig von der institutionellen Umgebung generell<br />

als stabilisierender und prognostisch positiv Einfluss nehmender Faktor.<br />

Prävention<br />

Die Bedeutsamkeit straffälligen Verhaltens gleich welcher Genese, sowohl<br />

für den jugendlichen Straftäter selbst als auch für die soziale Gemeinschaft,<br />

legen nahe, präventive Strategien zu entwickeln und konsequent<br />

einzusetzen. Angesichts der epidemiologischen Relevanz wäre die<br />

Integration von Familien verhaltensproblematischer Kinder in Screeningprogramme<br />

als Primärprävention wünschenswert. Es zeigt sich jedoch<br />

immer wieder, dass gerade bei diesen Familien die Akzeptanz derartiger<br />

Unterstützungen äußerst gering ist und diese auch insgesamt auf einer<br />

freiwilligen Basis wenig erreichbar sind (Brünger & Weissbeck, 2008). Die<br />

Ambivalenz des öffentlichen Bewusstseins für ein vernetztes und elaboriertes<br />

Meldewesen derart auffälliger Kinder ist nachvollziehbar. Dennoch<br />

erscheint es auf welchem Wege auch immer prinzipiell wünschenswert,<br />

Prädiktorvariablen für dissoziale Störungen und de-linquente Auffälligkeiten<br />

wie Entwicklungsstörungen, hyperkinetische Störungen, Entwicklungsverzögerungen,<br />

widrige familiäre Verhältnisse und kindliche dissozialen<br />

Störungen zu identifizieren.<br />

Auf der Ebene der Sekundärprävention wäre exemplarisch vor allem die<br />

Diagnostik und adäquate Behandlung eines Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms<br />

(ADHS) zu nennen, das nach Längsschnittuntersuchungen mit einem<br />

besonders hohen Entwicklungsrisiko einhergeht. 30 bis 80 Prozent<br />

aller Kinder mit einem diagnostizierten ADHS erreichen keinen Schulabschluss,<br />

60 Prozent keine adäquate soziale Integration, wobei 45 Prozent<br />

ein antisoziales Verhalten zeigen. 25 Prozent entwickeln Depressionen,<br />

20 Prozent Persönlichkeitsstörungen (Kölch 2009). Auch die Rate derer,<br />

die eine stoffgebundene Abhängigkeitsentwicklung neh-men, ist hoch.<br />

Neben der nach einer sorgfältigen Diagnostik unter Würdigung anderer<br />

pathogenetischer Elemente (und zwar nur dann!) empfohlenen Medikation<br />

mit Stimulanzien (u.a. Methylphenidat, Atomoxetin) sind weitere adjuvante<br />

Maßnahmen in schulischem Rahmen, verhaltenstherapeutische Strategien<br />

sowie ambulante oder stationäre Maßnah-men nach dem Kinder- und<br />

Jugendhilfegesetz auf ihre Indikation hin zu prüfen. Einschränkend muss<br />

allerdings gesagt werden, dass auch bei Intervention die Prognose einer<br />

Hochrisikokerngruppe mit derartigen Auffälligkeiten schlecht bleibt.<br />

Der Tertiärprävention bleibt es dann vorbehalten, psychisch kranke Straftäter<br />

im Gefängnis oder- sollte eine De- bzw. Exkulpierung im Rahmen<br />

einer forensischen Begutachtung erfolgt sein-, im Maßregelvollzug angemessen<br />

zu behandeln und zu betreuen, um zumindest per-spektivisch Voraussetzungen<br />

einer günstigen prognostischen Beeinflussung zu schaffen.<br />

Zusammenfassende Konsequenzen für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Jugendhilfe,<br />

Schule und Justiz<br />

In jedem Fall erscheint es trotz mitunter zweifelhafter Prognose bei einer<br />

Hochrisikogruppe von überragender Bedeutung, eine rechtzeitige Weichenstellung<br />

durch eine adäquate Diagnostik vorzunehmen. Im Hinblick auf die<br />

skizzierten Risikoentwicklungen müssen psychiatrische Störungen und<br />

auch komorbide Störungen dissozialer Verlaufsformen rechtzeitig identifiziert<br />

werden, um im Rahmen evaluierter Vorgehensweiser, ggfs. eine adjuvante<br />

Pharmakotherapie einsetzen zu können. Früh beginnende Störungen<br />

des Sozialverhaltens gleich welcher Genese erreichen oft den Charakter<br />

seelischer Behinderung, weil sie die Teilhabe am sozialen Leben langfristig<br />

bedrohen oder beeinträchtigen. Hier kommt der Jugendhilfe und dem<br />

familiären Anspruch auf Unterstützung entscheidende und durch niederschwellige<br />

Vorfeldangebote wie Clearingmaßnahmen eine bedeutungsvolle<br />

Weichenstellungs- und Zu-weisungsfunktion zu. Gerade für Jugendliche mit<br />

einem hohen Risikohintergrund erscheint die Begleitung der „Sollbruchstelle“<br />

Schule und nachschulische berufliche Anbahnung sinnvoll, um gefährdeten<br />

Jugendlichen den Einstieg in eine risikomindernde sozialintegrative<br />

Ausbildungsumgebung zu ermöglichen. Mit der Volljährigkeitsschwelle<br />

wiederum entfallen für Jugendliche viele öffentliche Unterstützungsmöglichkeiten,<br />

auch die rechtliche Situation junger Heranwachsender muss<br />

mitunter ausdrücklich neu bewertet werden, so dass die Zeit drängt.<br />

Abschließende Bemerkung<br />

Abhängig vom ätiologischen bzw. motivationalen Hintergrund sowie Entwicklungsverlauf<br />

zeigen sich in dem Gefüge der Aufgaben von Kinder- und<br />

Jugendpsychiatrie, Jugendhilfe, Schule und Justiz erhebliche Unterschiede<br />

in Gewichtung und Akzentsetzung, nicht zuletzt, was den Betreuungs- und<br />

Behandlungsstrang bei den mitunter sehr differierenden Anforderungen<br />

betrifft, die die Problematik dieser Jugendlichen für sie aufwirft. Stellt die<br />

Justiz meist die vorerst letzte Station des in vielen Belangen belasteten<br />

und häufig misslingenden Entwicklungsweges eines dergestalt auffälligen<br />

Jugendlichen dar, kommen trotz aller relativierenden Längsschnittuntersuchungen<br />

den genannten Disziplinen wichtige, trotz allem mitunter<br />

prognostisch entscheidende präventive, therapeutische, betreuend begleitende<br />

Aufgaben zu, denen sie nur in der interdisziplinärer Kooperation<br />

annähernd gerecht werden können.<br />

Literatur<br />

Brünger, M. & Weissbeck, W. (2008). Psychisch kranke Straftäter im Jugendalter – eine interdisziplinäre<br />

Herausforderung. In M. Brünger, W. Weissbeck (Hrsg.), Psychisch kranke Straftäter im Jugendalter (S. 3-14).<br />

Berlin: Medizinisch-wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.<br />

Kapfhammer, H. P. (1995). Psychosoziale Entwicklung im jungen Erwachsenenalter. Berlin: Springer.<br />

Kölch, M. (2009). Psychische Erkrankungen im Jugendalter. Symposium Jugendliche und jun-ge Erwachsene<br />

mit psychischen Störungen im Schulalltag. Ulm 22.04.2009.<br />

Laucht, M. (2001). Antisoziales Verhalten im Jugendalter: Entstehungsbedingungen und Ver-laufsformen.<br />

Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 29 (4), 297-311.<br />

Moffitt, T. E. (1993). Adolescent-limited and life-course persistent antisocial behavior: A de-velopmental<br />

taxonomy. Psychological Review, 100 (4), 674-701.<br />

Ravens-Sieberer, U., Wille, N., Bethke, S. & Erhart, M. (2007). Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen<br />

in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsfor-schung – Gesundheitsschutz, 50,<br />

871-878.<br />

Remschmidt, H. & Walter, R. (<strong>2010</strong>). Was wird aus delinquenten Kindern? Ergebnisse der Marburger Kinderdelinquenzstudie.<br />

Deutsches Ärzteblatt int., 107 (27), 477-483.<br />

Schmidt, M. H. (2008) Dissozialität – Ein Überblick. In M. Brünger, W. Weissbeck (Hrsg.), In Weissbeck, W. &<br />

Brünger, M. (Hrsg.) Psychisch kranke Straftäter im Jugendalter, a. a. O., S. 15-30.<br />

Vloet, T. D., Herpertz, S. & Herpertz-Dahlmann, B. (2006). Ätiologie und Verlauf kindlichen dissozialen Verhaltens<br />

– Risikofaktoren für die Entwicklung einer antisozialen Persönlich-keitsstörung. Zeitschrift für Kinderund<br />

Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 34 (2), 101-115.<br />

Weissbeck, W. & Brünger, M. (2008). Konzeption der sozialtherapeutischen Abteilung im Pfalzinstitut Klingenmünster<br />

– Ein Organisationsmodell des Maßregelvollzugs und der so-zialtherapeutischen Behandlung innerhalb<br />

der Kinder- und Jugendpsychiatrie. In M. Brün-ger, W. Weissbeck (Hrsg.), Psychisch kranke Straftäter<br />

im Jugendalter, a. a. O., S. 145-174.<br />

Die Videokonferenz an der Staatlichen Schule für<br />

Kranke München – ein Schülerprojekt<br />

Ingrid Glauz<br />

Studienrätin im Realschuldienst, Schule für Kranke, München<br />

Inge Schneider<br />

Gymnasiallehrerin, Schule für Kranke, München<br />

Pädagogisches Konzept:<br />

Zwischen der Schule für Kranke (SfK) in der Schwabinger Kinderklinik, einem<br />

Münchener Gymnasium und einer Münchener Realschule ist mit finanzieller<br />

Unterstützung der Stadt München und verschiedener Stiftungen<br />

eine Videokonferenzschaltung mit der Bezeichnung „digitales Klassenzimmer“<br />

eingerichtet worden. Über die Videokonferenzschaltung können die<br />

Jugendlichen an dem Unterricht der Partnerschulen in den Fächern, die<br />

von den Lehrern der SfK nicht unterrichtet werden können, teilnehmen.<br />

• Die SfK verfügt nicht über Fachlehrer und Fachräume in Physik und<br />

Chemie. Mit der VK können die Schülerinnen den Lernstoff in Physik<br />

und Chemie bearbeiten und erhalten zudem die Chance, spannende<br />

Einführungsstunden mit Versuchen zu erleben.<br />

• Das Ziel der neuen Unterrichtsform besteht vor allem darin, die schulischen<br />

Versäumnisse der kranken Schüler/innen möglichst gering zu<br />

halten, um den Schüler/innen die Angst zu nehmen, den stofflichen Anschluss<br />

an die Heimatschule nicht zu schaffen.<br />

• Es soll vermieden werden, dass sich die ehrgeizigen Mädchen nach ihrer<br />

Entlassung beim Nacharbeiten des versäumten Lernstoffs überfordern<br />

und durch diese psychische Belastung ihre Genesung und Therapieerfolge<br />

gefährden.<br />

• Die Reintegration in das normale schulische Dasein nach der Entlassung<br />

aus dem Krankenhaus soll ihnen erleichtert werden.<br />

Bedeutung des Projekts für die beteiligten Schüler/innen:<br />

• Die Schüler/innen in der Klinik erwerben viele Fachkenntnisse und können<br />

ihrerseits aber auch dazu beitragen, dass sie ihr Wissen in den Unterricht<br />

mit einbringen.<br />

• Soziale und persönliche Kompetenzen wie dem kranken Schüler helfen,<br />

ihn unterstützen, sich trauen sich vor eine fremde Klasse zu stellen, sich<br />

trauen, sich in den Unterricht einzubringen … werden gefordert und gefördert.<br />

• Die Schüler/innen der Partnerschule haben die Aufgabe, die kranken<br />

Schüler/innen in ihre Klasse zu integrieren und gleichzeitig ist es eine<br />

Herausforderung für die kranken Schüler/innen sich in die unbekannte<br />

Klasse zu integrieren.<br />

• Die Schüler/innen müssen in Bezug auf Disziplin, Aufmerksamkeit und<br />

aktive Beteiligung zusammenarbeiten.<br />

• Das Thema „krank sein“ könnte im Unterricht behandelt werden.<br />

Bedeutung des Projekts für die beteiligten Schulen:<br />

• Schulentwicklung (neue Unterrichtsform, Öffnung der Schule nach außen,<br />

Aufnahme eines Gastschülers)<br />

• Verbesserung der EDV-Ausstattung<br />

• Kontakt und Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen<br />

• Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung des Unterrichts<br />

Praxis einer Videokonferenzschaltung: ein Filmprojekt<br />

Für die Darstellung der Praxis lassen wir nun die sprechen, die daran beteiligt<br />

sind:<br />

• die Schüler/innen in der Klinik<br />

• die Schüler/innen in der Partnerschule<br />

• Lehrer/innen der Partnerschule<br />

So entstand ein Filmprojekt, dessen Drehbuch, Texte, Szenen und Ausführung<br />

aus den Ideen der Schülerinnen in der Klinik hervorgingen.<br />

Erarbeitung des Drehbuchs<br />

Fragen an die Schüler/innen in der Klinik<br />

• Was war euer erster Gedanke, als ihr erfahren habt, dass es zu unserem<br />

schulischen Konzept gehört, in den Fächern Physik und Chemie an einer<br />

Videokonferenzschaltung zu einer fremden Schule teilzunehmen?<br />

• Freut es euch, dass ihr am Unterricht der Partnerschule teilnehmen könnt?<br />

• Habt ihr von dieser neuen Unterrichtsform vielleicht sogar einen persönlichen<br />

Gewinn?<br />

• Habt ihr das Gefühl, dass ihr von den Videokonferenzschaltungen profitiert?<br />

Fragen an die Schüler/innen der Partnerschule<br />

• Was war euer erster Gedanke, als ihr erfahren habt, dass ihr mit uns eine<br />

Videokonferenz durchführen werdet?<br />

• Findet ihr es von den kranken Schülern mutig, dass sie an einer Videokonferenz<br />

teilnehmen?<br />

• Beeinflusst eine Videokonferenz den Unterricht? Wenn ja, wie?<br />

• Habt ihr einen Gewinn, wenn ihr an der Videokonferenz teilnehmt?<br />

• Freut es euch, dass ihr mithelfen könnt, dass wir Unterricht kriegen? Wie<br />

könnt ihr euch verhalten, dass der Unterricht gelingt?<br />

Fragen an die Lehrer der Partnerschule<br />

• Herr Schaper, Sie sind der Leiter der Projektes “das digitale Klassenzimmer“<br />

am Thomas-Mann-Gymnasium.<br />

Welche Gründe waren ausschlaggebend dafür, dass sich Ihre Schule für<br />

dieses Projekt interessiert hat?<br />

• Welche Erfahrungen haben Sie und Ihre Kollegen und Kolleginnen im<br />

Unterricht mit den kranken Kindern gemacht?<br />

• Sehen Sie in dem Projekt einen Gewinn für Ihre Schüler und Schülerinnen?<br />

• Gibt es aus Ihrer Sicht noch Verbesserungsvorschläge


66 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

67<br />

Beginn der Dreharbeiten<br />

Die Fragen und Antworten sollten nun in Diskussionsrunden erörtert werden.<br />

Dazu wurden die Rollen an die einzelnen Schüler verteilt und die<br />

Sprechweise und Reihenfolge eingeübt. Ohne filmische Vorkenntnisse<br />

seitens der Lehrer und Schülerinnen wurden die Diskussionsrunden gefilmt.<br />

Wir hatten zwar viel Spaß dabei, aber das Ergebnis waren nur statische<br />

Szenen mit viel, viel Text. Ein Großteil der beteiligten Schülerinnen<br />

wurde entlassen und wir hatten nur halbfertiges Filmmaterial und neue<br />

Schülerinnen, die unsere Begeisterung für das Filmprojekt in keinster<br />

Weise teilten. In diese Lücke stieß nun Herr Fütterer, ein Kameramann<br />

und Drehbuchautor vom Fernsehsender PRO 7, der mit den Schülerinnen<br />

ein Filmprojekt, finanziert von unserem Förderverein, durchführen sollte.<br />

Er gab uns eine Einführungsstunde zur Kameraführung und zur Arbeit mit<br />

einem Drehbuch. Bei einigen Schülerinnen wurde das Interesse geweckt,<br />

sie arbeiteten sofort am Drehbuch weiter und dachten sich wirklich nette<br />

Szenen aus. Als es nun darum ging, die Szenen zu filmen, fand sich spontan<br />

nur eine Schülerin, die die Kamera führen wollte und eine zweite, die<br />

sich als Darstellerin zur Verfügung stellte. Die anderen Schülerinnen ließen<br />

sich nicht gewinnen. Ich hatte schon Sorge, dass wir das Projekt nicht<br />

zu Ende bringen könnten. Am Montag nach dem Wochenende wendete<br />

sich das Blatt, eine zweite Schülerin stellte sich als Darstellerin zur Verfügung.<br />

Nun begannen die drei Mädchen völlig eigenständig ihre Szenen<br />

zu drehen. Das Ergebnis sahen wir uns am nächsten Tag an, es war so<br />

überraschend gut und wir waren so begeistert, dass sich diese Stimmung<br />

nach und nach auf alle Schülerinnen übertrug und schließlich alle am Film<br />

auch als Darsteller mit machen wollten.<br />

Insgesamt hatten wir für die Dreharbeiten einen Zeitraum von 2 Wochen<br />

mit täglich 2 Stunden Arbeitszeit zur Verfügung. Daher mussten wir Lehrer<br />

in der Endphase beim Schneiden tatkräftig mit unterstützen.<br />

Film<br />

III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

Die Videokonferenz, Aussagen der Schülerinnen und Schüler<br />

Die neueste Methode für Kinder im Krankenhaus, Unterricht aktiv mitzuverfolgen!<br />

Stammt aus dem Lateinischen: videre, sehen und Konferenz, im Sinne von<br />

Zusammenkommen<br />

„während unserer ersten Schaltung konzentrierten wir uns mehr auf die<br />

neue Umgebung und die Reaktionen der Klasse als auf den wirklichen Unterricht…“<br />

Viele Jugendliche sind schüchtern, besonders chronisch kranke, die auch<br />

durch die Krankheit wenig Kontakt haben, sie haben oft nicht den Mut zu<br />

sprechen und leiden unter Einsamkeit bezogen auf Gleichaltrige. Durch<br />

die Webcam sehen und hören sie die anderen Schüler, ohne dass sie sich<br />

direkt gegenüberstehen, das hilft leichter sprechen zu können.<br />

Dadurch, dass wir in der Videokonferenz wieder Zugang zum Unterricht<br />

in der Außenwelt bekommen, gerät ein Stück Normalität in unser Leben,<br />

wir haben die Chance trotz momentaner Schwierigkeiten nicht in totalen<br />

Rückzug zu treten, sondern den Blick für das Leben nicht zu verlieren und<br />

ein Verhältnis zu Menschen außerhalb des Krankenhauses aufzubauen.<br />

Auch die gesunden Jugendlichen erfahren mehr über ihre neuen Mitschüler<br />

und entwickeln Sensibilität für die Krankheit der anderen und bestimmte<br />

Reaktionen.<br />

Vor allem die Weiterentwicklung der Persönlichkeit spricht für eine Teilnahme<br />

an der Videokonferenz. So stärkt diese Art von Unterricht das<br />

Selbstbewusstsein der Heranwachsenden deutlich. Denn zuerst einmal<br />

heißt es, sich der neuen Klasse vorzustellen und sich dabei gekonnt, überzeugend<br />

und selbstsicher zu präsentieren und mit dem Gefühl konfrontiert<br />

zu sein, im Mittelpunkt zu stehen. Bei Fragen zum Schulstoff kostet es<br />

Mut, Nerven und Überwindung, eigene Anliegen und Ideen in den Unterricht<br />

einzubringen.<br />

Mit der Zeit wurde ich immer sicherer und bin mit Selbstvertrauen und<br />

sogar Vorfreude in die Videokonferenzstunden gegangen.<br />

Wir lernten neue Arbeitsmethoden, Lehr- und Lernmethoden kennen, was<br />

zu einer toleranteren Haltung gegenüber Veränderungen führt. Wir konnten<br />

uns unsere eigene Meinung zum Nutzen dieser neuen Lerntechnik bilden,<br />

unabhängig und völlig unvoreingenommen. Zuerst hatten wir große<br />

Vorurteile gegenüber einer Schaltung, doch unsere Einstellung änderte<br />

sich, so dass wir für neue Lebensbereiche offener wurden und Angst vor<br />

Neuem verloren. Das ist besonders bei psychosomatisch Erkrankten von<br />

Bedeutung.<br />

Wer glaubt, es sei bei der Videokonferenz mit passivem Zuhören und Abschreiben<br />

getan, irrt sich, es kommt auf die aktive und engagierte Mitarbeit<br />

an, man zeigt sich, wird gesehen und gehört. Auch zum Thema gehörige<br />

Arbeitsblätter wollen mit Hilfe eigener Recherchen ausgefüllt werden.<br />

Die zugeschalteten Lehrer nehmen speziell Rücksicht auf die Schüler im<br />

Krankenhaus und bemühen sich alles so deutlich und genau zu erklären,<br />

damit das Mitkommen leichter wird.<br />

Durch das kontinuierliche Erleben des „echten“ Unterrichts fällt es leichter<br />

sich wieder in die Heimatschule einzufinden, Klassengröße und – klima,<br />

viel Still- und Selbstarbeit spielen hierbei eine Rolle und auch in Physik<br />

die Versuche.<br />

Vor Beginn einer Therapie mit einem längeren stationären Klinikaufenthalt<br />

spielen die Schule und die schulischen Leistungen im Gespräch zwischen<br />

Eltern und Schülern eine große Rolle. Es beruhigt sehr, wenn man weiß,<br />

dass man die Gelegenheit hat, am normalen Unterricht an einer Außenschule<br />

teilnehmen zu können, denn oft haben die Schülerinnen die Befürchtung<br />

wichtigen Grundlagen für die weitere schulische Ausbildung zu<br />

versäumen.<br />

Von Lorena, Leonie und Nadine<br />

Resümee (Entwicklung der Entstehung des Films)<br />

Abschließend möchten wir noch mal verdeutlichen, dass das wesentliche<br />

Ergebnis dieses Films neben den fachlichen vor allem die Erweiterung<br />

der persönlichen Kompetenzen der Schülerinnen darstellt. Magersüchtige<br />

Mädchen und Jungen, die sich oft scheuen, vor einer kleinen Gruppe zu<br />

sprechen und erst allmählich ihre Kreativität und Phantasie wieder finden,<br />

entdecken an sich völlig neue Seiten.<br />

Nicole, die den gesamten Film drehte, erbrachte enorme Leistungen, wenn<br />

man nur mal das Gewicht der Kamera bedenkt. Für sich selbst hat sie eine<br />

neue Berufsidee gewonnen.<br />

Die beiden Hauptdarstellerinnen Nina und Leonie sind sensationell über<br />

sich hinausgewachsen.<br />

Andere Schüler/innen haben sich anfangs sehr lange gegen ein Mitmachen<br />

gewehrt, dann doch ihre Schüchternheit abgelegt und wollten sich<br />

schließlich sogar als Schauspieler probieren.<br />

Für uns Lehrer bestand die Haupterkenntnis aus der Filmprojektarbeit<br />

vor allem darin, zu sehen wie differenziert die Schülerinnen diese neue<br />

Unterrichtmethode betrachten und welch großen Einfluss sie auf die Entwicklung<br />

und Erweiterung der sozialen und persönlichen Kompetenzen in<br />

Richtung Selbstbewusstsein hat.<br />

Wenn wir noch mal die Ziele der VK, die wir in unserem pädagogischen<br />

Konzept formuliert haben, betrachten, dann sehen wir jetzt, dass wir die<br />

Reihenfolge verändern müssen.<br />

Bedeutung des Projekts für die beteiligten Schüler/innen:<br />

• Der Erwerb von Fachkenntnissen, der anfänglich an der erster Stelle<br />

stand, ist nun gleichwertig mit den sozialen und persönlichen Kompetenzen.<br />

• Erweiterung der sozialen und persönlichen Kompetenzen<br />

• Integration der kranken Schüler/innen in eine Klasse<br />

• Kooperation zwischen den Schülern der beiden Schulen<br />

• Das Thema „krank sein“ als Unterrichtseinheit<br />

Jedes gute Projekt muss auch gebührend beendet werden. Wir haben mit<br />

unseren Schülern eine Oskar-Verleihung gefeiert.<br />

Nachtrag:<br />

Einige Teilnehmer an unserem Workshop gaben uns sehr positive Rückmeldungen,<br />

insbesondere darüber, dass 3 Schülerinnen, die an dem Filmprojekt<br />

mitgemacht haben, eingeladen waren und sehr authentisch und<br />

praxisbezogen über die Videokonferenz berichteten und Fragen der Teilnehmer<br />

gut beantworteten.<br />

Fortbildung für Klinik- und Hauslehrer/innen<br />

Christoph Napp<br />

stellvertretender Leiter an der Schule für Haus- und Krankenhausunterricht<br />

in Hamburg<br />

In Hamburg werden kranke Schüler von den Lehrerinnen und Lehrern der<br />

„Schule für Haus- und Krankenhausunterricht“ (HuK) zu Hause, in Krankenhäusern<br />

oder auch in den Unterrichtsräumen der HuK-Zentrale betreut.<br />

Die einzelnen Bereiche des HuK sind der Hausunterricht, der Krankenhausunterricht<br />

in der Pädiatrie und der Krankenhausunterricht in der Kinder-<br />

und Jugendpsychiatrie.<br />

Das Kollegium wuchs in den letzten Jahren stark an und besteht mittlerweile<br />

aus 62 Kolleginnen und Kollegen, die sich 45,5 Stellen teilen. Zu den<br />

oben genannten Bereichen kommt jetzt neu der Bereich Autismusberatung<br />

hinzu.<br />

Die verschiedenen Aufgabenbereiche haben sehr unterschiedliche Arbeitsbedingungen:<br />

• Krankenhauslehrer (Kinder- und Jugendpsychiatrie), die in den vier Klinikschulen<br />

von Kinder- und Jugendpsychiatrien und in einem sozialpädiatrischen<br />

Zentrum arbeiten. In diesen Settings wird zum Teil bzw. zeitweise<br />

im Einzelunterricht gearbeitet, im Wesentlichen aber in Gruppen<br />

unterrichtet, wobei die Gruppenzusammensetzung höchst unterschiedlich<br />

sein kann. So kann eine Gruppe beispielsweise aus Vorschülern,<br />

Grundschülern und Schülern der 5. – 7. Klasse bestehen, die dann<br />

auch noch aus unterschiedlichen Schulformen kommen (Förderschule,<br />

Grundschule, Haupt- und Realschule, Gesamtschule, Gymnasium).<br />

• Krankenhauslehrer (Pädiatrie) unterrichten an verschiedenen Standorten<br />

in fünf Hamburger Kinderkrankenhäusern und an einem Unfallkrankenhaus<br />

mit unterschiedlichen Schwerpunkten (Erkrankungen des Bewegungsapparates,<br />

Querschnittsgelähmte, Brandverletzte, Dialyse- und<br />

Krebspatienten etc.). Hier werden die Schüler meist im Einzelunterricht<br />

betreut. Die Krankenhauslehrer müssen sich ständig neu einstellen auf<br />

verschiedene fachliche Ansprüche ihrer Schüler, aber auch auf stark<br />

wechselnde Belastbarkeiten ihrer Schüler. Viele Kollegen aus den pädiatrischen<br />

Klinikschulen unterrichten nachmittags auch noch Hausschüler.<br />

• Hauslehrer, die im gesamten Hamburger Stadtgebiet kranke Kinder zu<br />

Hause oder an einem nahe gelegenen Standort unterrichten und somit<br />

einen engen Kontakt zum Elternhaus haben. Die Schüler werden größtenteils<br />

einzeln unterrichtet. Hauslehrer decken oft einen ganzen Fächerkanon<br />

ab, Alter, Klassenstufe und Schulform der zu betreuenden<br />

Schüler wechseln innerhalb eines Arbeitstages stark. Im Hausunterricht<br />

werden mittlerweile ca. 2/3 psychisch erkrankte Schüler betreut. Diese<br />

werden in der Regel nicht zu Hause unterrichtet, sondern in unseren eigenen<br />

Unterrichtsräumen betreut. Über den eigentlichen Unterricht ist<br />

hier auch viel sogenannte „Fallarbeit“ zu leisten, um eine Reintegration<br />

in die Schule zu ermöglichen.<br />

Allen Lehrern gemeinsam ist, dass sie einen intensiven Kontakt zur<br />

Stammschule der Schüler pflegen. Zudem wird mit den zuständigen Ärzten,<br />

Therapeuten, Betreuern, mit dem Elternhaus, mit den regionalen<br />

Beratungs- und Unterstützungsstellen (ReBUS), mit anderen Hamburger<br />

Behörden (Jugendamt, Arbeitsamt) und Einrichtungen der Jugendhilfe zusammengearbeitet.<br />

Der Unterricht von Schülern mit schweren, lang andauernden oder chronischen<br />

Erkrankungen unterscheidet sich sehr von Unterrichtssituationen<br />

an Regelschulen. Lehrer von kranken Schülern sind ständig mit vielfältigen<br />

Anforderungen und Fragen konfrontiert, die weit über die „normalen“ Aspekte<br />

von Unterricht hinausgehen, zum Beispiel:<br />

• Wie unterrichte ich am Krankenbett, wenn ein Kind über längere Zeit mit<br />

orthopädischen Erkrankungen ans Bett gefesselt ist?<br />

• Wie kann ich Rücksicht nehmen auf die Schwäche eines Kindes, welches an<br />

Krebs erkrankt ist? Wie gehe ich mit dem Tod eines Schülers um?<br />

• Wie werde ich Schülern gerecht, die zum Beispiel unter Rheuma, Asthma,<br />

Diabetes oder anderen chronischen Erkrankungen leiden?<br />

• Wie motiviere ich Schüler, die depressiv sind oder seit Monaten die<br />

Schule nicht mehr besucht haben?<br />

• Wie gehe ich mit Schülern um, die emotionale Störungen mit aggressiven<br />

Impulsdurchbrüchen zeigen? Wie kann ich ihnen helfen, sich wieder<br />

angemessen in einer Schülergruppe zu verhalten?<br />

• Wie bereite ich den Unterrichtsstoff für Schüler einer Gruppe auf, die<br />

heterogen in Bezug auf Alter, Klassenstufe und Schulform ist? Wie kann<br />

ich Schüler in gemischten Gruppen individuell fördern?<br />

Die oben genannten Fragestellungen machen deutlich, dass Lehrer von<br />

besonderen Schülern auch besondere Voraussetzungen erfüllen müssen.<br />

Neben der selbstverständlichen Aneignung von Fachwissen müssen sich<br />

Klinik- und Hauslehrer ein Wissen über die Krankheiten sowie deren Auswirkungen<br />

auf die Lernfähigkeit der betreuten Schüler aneignen. Nur wenn<br />

man ein genaues Bild vom Gesundheits- und Leistungsstand der betreuten<br />

Schüler hat, kann man einen angemessenen Umgang mit dem kranken<br />

Schüler haben.<br />

Bedeutsam ist auch die Bereitschaft, in Teams und im Austausch mit anderen<br />

Bezugspersonen eines Schülers zusammenzuarbeiten. Das bedeutet<br />

eine hohe Flexibilität, die insbesondere bei den Hauslehrern auch ganz<br />

selbstverständlich ständig wechselnde Lernorte bedeutet. Zusammenfassend<br />

gibt es also viele Gründe dafür, dass Lehrer kranker Schüler sich<br />

in besonderem Maße auf die individuelle Beziehungsarbeit mit Schülern<br />

in zum Teil extremen Unterrichtssituationen und außergewöhnlichen<br />

„Klassenzimmern“ einstellen müssen. Eine der Vorbereitungen für gelingenden<br />

Unterricht ist eine kontinuierliche, auf die Arbeitsanforderungen<br />

ausgerichtet Fortbildung, denn Besondere Lehrer brauchen besondere<br />

Fortbildungsangebote Kurzgefasst ergeben sich aus den vorstehenden<br />

Ausführungen insbesondere folgende Gründe für besondere Fortbildungsangebote:<br />

• Die Besonderheit der Schüler bzw. die besondere Situation der Schüler<br />

• Unterricht in sehr heterogen zusammengesetzten Gruppen<br />

• Die Vielfalt der Unterrichtsfächer, Schulformen und Klassenstufen<br />

• Besondere Formen des Unterrichts (Teamteaching, vernetztes Arbeiten)<br />

• Sehr unterschiedliche Unterrichtsorte<br />

• Flexible Unterrichts- und Arbeitszeiten<br />

• Enge Zusammenarbeit mit zahlreichen unterschiedlichen Berufsgruppen<br />

In der Schule für Haus- und Krankenhausunterricht wurde immer stärker<br />

deutlich, dass zur Erfüllung eines derartigen Lehrauftrages nicht nur<br />

fachlich-didaktische Anregungen notwendig sind, sondern auch Hilfen<br />

vermittelt werden müssen, die Lehrer im Umgang mit besonderen Schülern<br />

stärken, einfühlsam und einfallsreich machen, aber auch flexibel sein<br />

lassen. Die üblichen Angebote des Landesinstitutes für Lehrerbildung und<br />

Schulentwicklung in Hamburg erfüllten dabei nur ansatzweise die speziellen<br />

Kriterien, die sich die Lehrer kranker Schüler wünschten.<br />

Dieser Umstand führte dazu, dass die Leiterin des HuK, Frau Mona Meister ein<br />

spezielles Fortbildungsangebot für Lehrer kranker Schüler entwickeln wollte.<br />

Dazu wurde im Jahr 2006 eine Arbeitsgruppe „Fortbildung““ gebildet, die<br />

seitdem ein abwechslungsreiches Fortbildungsangebot für die Kollegen<br />

plant und gestaltet. Es ist abgestimmt auf die unterschiedlichen Bedürfnisse<br />

und Arbeitsweisen der Hamburger Klinik- und Hauslehrer.<br />

Diese zusätzlichen Angebote sollten wegen der ohnehin schon hohen zeitlichen<br />

Belastung der Kollegen in die bestehenden Verpflichtungen (regelmäßige<br />

Konferenzen, Teamtreffen, Konzepttage) integriert werden. Hierzu<br />

bot sich die Konferenzstruktur der Schule für Haus- und Krankenhausunterricht<br />

an, die wie folgt aussieht:<br />

Regelmäßig kommt das gesamte Kollegium zusammen (6 Gesamtkonferenzen<br />

pro Jahr), weiterhin gibt es Teilbereichskonferenzen der Hauslehrer<br />

(ca. 9), der Lehrer in den Kinder- und Jugendpsychiatrien (ca. 5) und der<br />

Krankenhauslehrer (ca. 5). Außerdem treffen sich die Kollegen der Klinikschulen<br />

zu regelmäßigen Sitzungen an ihren Standorten. Einmal jährlich<br />

treffen sich alle Kollegen zu einer zweitägigen Konzept-Tagung außerhalb<br />

von Hamburg. Dieser enge Austausch gibt immer wieder die Möglichkeit,<br />

Fortbildungselemente einzufügen.


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

68 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

69<br />

Folgende Kriterien sollten bei der Auswahl und Planung der Fortbildungsangebote<br />

berücksichtigt werden:<br />

• Geeigneter Ort und passende Zeiten. Für die Kollegen sollen Fortbildungen<br />

möglichst wenig zusätzliche Belastungen bedeuten. Es ist von daher<br />

sinnvoll, Konferenzzeiten, sei es zentral für alle Kollegen oder vor Ort für<br />

Teilteams, für Fortbildungen zu nutzen.<br />

• Besonderheiten unserer Schüler. Fortbildungen müssen sich sowohl<br />

auf die Krankheitsbilder wie auch auf fachliche und förderpädagogische<br />

Aspekte beziehen. Beispiele: Auswirkungen von Krebstherapie auf das<br />

Lernverhalten, ausgeprägte Verhaltensauffälligkeiten.<br />

• Besondere Formen des Unterrichts, z.B. Teamteaching oder vernetztes<br />

Arbeiten auch mit anderen Berufsgruppen. Dazu sind besondere Formen<br />

der engen Absprache und des fachlichen Austausches unerlässlich.<br />

• Fachliche Anforderungen. Viele Kollegen unterrichten fachfremd, dazu<br />

auf verschiedenen Niveaus und für unterschiedliche Schulformen.<br />

• Pädagogische bzw. sonderpädagogische Anforderungen, z.B. Kenntnisse<br />

über Gruppendynamikprozesse, Lernbehinderungen etc..<br />

Wie sieht die Fortbildung in der „Schule für Haus- und Krankenhausunterricht“<br />

nun konkret aus? Welche Veranstaltungen und Angebote wurden in<br />

den letzten Jahren für die Lehrer entwickelt?<br />

1. Die Fortbildungsgruppe informiert zunächst einmal über Fortbildungsangebote,<br />

die für alle Hamburger Lehrer oder auf Kongressen bundesweit<br />

angeboten werden. Wichtig ist dabei, dass nicht jeder einzelne mit hohem<br />

Zeitaufwand sich im Dschungel der vielfältigen Seminare zurechtfinden<br />

muss, sondern dass eine gezielte Vorauswahl stattfindet. Dazu zählen<br />

Angebote des „Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung“<br />

(LI, Seminare zu gängigen Schulfächern, aber auch fächerübergreifende<br />

Angebote und spezielle Themen wie ADHS etc.).<br />

Das Hamburger Beratungszentrum Integration (BZI) bietet geeignete Fortbildungen<br />

für den sonderpädagogischen Bereich an (Förderdiagnostik und<br />

–pläne, besondere Formen des Team-Teaching).<br />

Das Sucht-Präventions-Zentrum (SPZ) ist ein weiterer Pfeiler in der Hamburger<br />

Fortbildungslandschaft. Hier werden Fortbildungen zu Medienkonsum,<br />

Rauchen etc., aber auch zum Thema Selbstwertstärkung („Fit und<br />

stark“) angeboten.<br />

Häufig brauchen Kollegen auch Beratung in Bezug auf Schüler, die aus den<br />

normalen Bildungssystemen herauszufallen drohen oder bereits herausgefallen<br />

sind. Diese Aufgabe übernimmt das Schul-Informations-Zentrum<br />

(SIZ).<br />

Ganz wichtige Fortbildungsveranstaltungen sind Tagungen zu unterschiedlichen<br />

Themen, wie zum Beispiel ADHS oder Schulabsentismus, die von<br />

SchuPs-Nord (Schule- und Psychiatrie) im norddeutschen Raum für Lehrer<br />

in den Kinder- und Jugendpsychiatrien angeboten werden.<br />

Zuletzt seien noch Tagungen genannt, die der Verband Sonderpädagogik<br />

(vds), der Kinderschutzbund und die Organisation <strong>HOPE</strong> (Hospital Organisation<br />

of Pedagogues in Europe) in Deutschland oder auch Europa anbieten.<br />

2. Die Gruppe organisiert Fortbildungen, die im Rahmen von Lehrerkonferenzen<br />

des gesamten Kollegiums stattfinden. Beispiele dafür waren:<br />

Einsatz von Computern im Unterricht am Krankenbett. Das Schulinformationszentrum<br />

(SIZ) wurde eingeladen, um Anregungen zu Beratungen zur<br />

Schullaufbahn von Schülern zu geben.<br />

3. Wichtige Angebote sind Veranstaltungen zu speziellen Themen, die im Rahmen<br />

der sogenannten Teilkonferenzen stattfinden. So haben Haus- und Krankenhauslehrer<br />

das Kinderhospiz „Sternenbrücke“ besucht und sich intensiv<br />

mit dem Thema „Wenn ein Schüler stirbt“ auseinandergesetzt.<br />

Oft ist es auch wichtig, dass Fachärzte zu einem Vortrag über bestimmte<br />

Krankheiten eingeladen werden: Ein Gastroenterologe referierte über das<br />

Thema „Chronische Bauchschmerzen“, ein Kinder- und Jugendpsychiater<br />

behandelte das Thema „Angsterkrankungen“, eine Onkologin sprach über<br />

die körperlichen Auswirkungen von Chemotherapien.<br />

Die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen ist für Lehrer von kranken<br />

Schülern immer wieder von großer Bedeutung. In den Klinikschulen<br />

wird daher auch an Fortbildungen des klinischen Personals teilgenommen,<br />

zum Beispiel zum Thema „Selbstverletzendes Verhalten“. Der Chefarzt<br />

einer Kinder- und Jugendpsychiatrie erläuterte, welche Kriterien darüber<br />

entscheiden, ob ein Schüler stationär oder tagesklinisch behandelt wird<br />

und wovon die Behandlungsdauer abhängt.<br />

4. In den Teams der Klinikschulen gibt es wöchentlich mindestens eine<br />

Teamstunde. Dort berichten die Kollegen sich gegenseitig, welche Schüler,<br />

Unterrichtssituationen oder Aufgaben sie besonders beschäftigen. Der regelmäßige<br />

Austausch trägt wesentlich zur Entlastung bei und die Anregungen<br />

der Kollegen helfen bei der Bewältigung von Problemen.<br />

5. Es gibt ein regelmäßiges Angebot an Supervision: Um die vielfältigen<br />

Anforderungen (Umgang mit schwerstkranken oder auch sterbenden<br />

Schülern, Umgang mit schwierigen Schülern und ihren Familien etc.) gut<br />

zu meistern, ist es oft notwendig, einen Blick von außen zu erlangen. Lehrer<br />

mit solch ungewöhnlichen Belastungen haben ein Anrecht auf Supervision<br />

und so können alle Lehrer bzw. Klinikschulteams Supervision durch<br />

Mitarbeiter des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung<br />

(LI) beantragen.<br />

In Kliniken nehmen Lehrer auch gemeinsam mit den Mitarbeitern der Kinder-<br />

und Jugendpsychiatrien an Fallsupervisionen teil, wodurch sie einen<br />

vertieften Einblick in die psychische Entwicklung und soziale Hintergründe<br />

ihres Schülers erhalten.<br />

6. Ein weiterer Schwerpunkt der Fortbildung in Hamburg bildet die „Kollegiale<br />

Fortbildung“. Damit ist gemeint, dass sehr viele Klinik- und Hauslehrer<br />

über Spezialkenntnisse verfügen, die für das Kollegium von großer Bedeutung<br />

sind. Daraus wurden Kompetenzlisten erstellt mit folgendem Inhalt:<br />

Welcher Kollege kennt sich auf welchem Gebiet besonders gut aus und<br />

kann dieses an andere Lehrer weitergeben. So konnten Themen aus den<br />

Bereichen Mathematik, Kunst, Englisch, Musik, Fachwissen über einzelne<br />

Krankheitsbilder (Morbus Crohn, Autismus, ADHS, Krebs etc.) angeboten<br />

werden. Kollegen berichteten über sehr persönliche Erfahrungen aus ihrer<br />

Arbeit (Erfahrungen mit krebskranken Schülern, mit sterbenden Schülern),<br />

vermittelten ihre Kompetenzen bei Beratung und Gesprächsführung, aber<br />

auch ganz konkrete Unterrichtsvorschläge wie Phantasiereisen, Massagen<br />

bei Kindern, Zeitung machen mit Schülern etc. sind mögliche Angebote.<br />

Diese Vorträge und Informationen werden manchmal als kurze Einheiten<br />

an eine Konferenz angehängt oder auf unserer jährlichen Konzept-Tagung<br />

in Ratzeburg ins Programm genommen.<br />

7. Einmal jährlich treffen sich alle Kollegen des HuK zu einer zweitägigen<br />

Konzept-Tagung außerhalb Hamburgs. Gerade wegen unserer dezentralen<br />

Struktur haben sich diese Tagungen als unverzichtbarer Bestandteil sowohl<br />

für kollegialen Austausch als auch für Fortbildung und konzeptionelle<br />

Weiterentwicklung des HuK erwiesen. Diese Tagungen werden jeweils von<br />

einer Gruppe von Kollegen und der Leitung vorbereitet und durch einen<br />

externen Moderator geleitet.<br />

8. Zu den Fortbildungskonferenzen werden auch interessierte Lehrer der<br />

Stammschulen eingeladen, um die Transparenz und Zusammenarbeit zu<br />

stärken. Lehrer können eine Krankheit – zum Beispiel Autismus – besser<br />

verstehen und Informationen für ihren pädagogischen Alltag in der Schule<br />

mitnehmen. Wenn dann ein Schüler nach Aufenthalt in der Klinik oder<br />

längerem Hausunterricht wieder zurück in seine alte Klasse geht, gelingt<br />

der Übergang besser, wenn er auf informierte und verständnisvolle Lehrer<br />

trifft.<br />

9. Die Fortbildungs-AG sucht auch stetig nach neuen Informationsquellen,<br />

die Lehrern bei ihrer täglichen Arbeit helfen können. Dabei ist der<br />

Gebrauch des Internets nicht zu vergessen: Dort gibt es sehr viele nützliche<br />

Informationen über Krankheitsbilder. Auch gezielte Informationen für<br />

Lehrer findet man über das Internet. Ein Beispiel sind die sehr hilfreichen<br />

Handreichungen zu Themen wie „Asperger Autismus“, „ADHS“ etc.. Auch<br />

Unterrichtsmaterialien mit Arbeitsblättern findet man bei vielen Internetadressen:<br />

Beispiele dafür sind die die Bildungsserver der Bundesländer,<br />

Suchmaschinen für Kinder wie www.blinde-kuh.de, www.hamsterkiste.de<br />

und spezielle Lehrerseiten wie www.schule.at, www.educa.ch, www.vsmaterial.wegerer.at<br />

und viele andere mehr.<br />

Als Anregungen für die Organisation von Fortbildung von Haus- und Kliniklehrern<br />

möchten wir folgendes benennen:<br />

• Die Möglichkeit, sich mindestens einmal jährlich zu einem intensiven<br />

Austausch zu treffen (Konzept-Tage).<br />

• Die Gründung einer Arbeitsgruppe, die herausfindet, welche besonderen<br />

Fortbildungswünsche die Kollegen haben, die dem Kollegium Informationen<br />

über Fortbildungsmöglichkeiten zugänglich macht und die in<br />

Absprache mit der Leitung Fortbildungsangebote plant und koordiniert.<br />

• Die Fortbildungsangebote müssen sich an den konkreten Themen orientieren,<br />

die den Kollegen besonders auf den Nägeln brennen. Dabei muss<br />

Fortbildung möglichst so in den Arbeitsalltag integriert werden, dass<br />

wenig zusätzliche Belastungen für die Kollegen entstehen.<br />

• Ein großer Teil der Fortbildungen sollte möglichst vor Ort an den Klinikschulen<br />

stattfinden, zum Beispiel im Rahmen von Supervision und<br />

wöchentlichen Team-Runden<br />

Resümee:<br />

Unsere Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass viele Kollegen von dieser<br />

Art der Fortbildung sehr profitieren. Konferenzen gehören zu einem<br />

wesentlichen Bestandteil der Arbeitszeit und des kollegialen Austausches.<br />

Das inhaltliche Füllen mit spezifisch zugeschnittenen Angeboten<br />

bereichert die Konferenzen in hohem Maße. Einige Konferenzen werden<br />

ausschließlich als Fortbildungskonferenzen konzipiert. Bei anderen Konferenzen<br />

und Tagungen sind es nur kleinere Fortbildungselemente, die<br />

aber immer in sehr engem Zusammenhang mit den täglichen Fragen und<br />

Themen des eigenen Unterrichts stehen. In den meisten Fällen waren die<br />

Kollegen sehr zufrieden mit den Themen und Inhalten dieser speziellen<br />

Fortbildungsform.<br />

Lebendige Diskussionen und Beispiele aus der eigenen Praxis sowie Anregungen<br />

sind häufig von großem Interesse. Auch gegenseitiger Informationsaustausch<br />

und kollegiale Hilfen ersparen zeitaufwendiges Suchen des<br />

Einzelnen wie es so häufig im Lehreralltag vorkommt.<br />

Zusammenfassend wirkt diese Form der Lehrerfortbildung sehr befriedigend<br />

und Kraft spendend für die teilweise sehr anspruchsvolle Arbeit mit<br />

kranken Schülern.<br />

Mit Kindern philosophieren- auch in der Klinik!<br />

„Wer früher philosophiert, ist länger weise.“<br />

Ulrike Kalmes<br />

Lehrerin, qual. Beratungslehrerin, Schule für Kranke, München<br />

Johannes Ramsauer<br />

Rektor im Kirchendienst, Erzbischöfliches Ordinariat,<br />

Schulreferat, München<br />

„Was ist ein Freund?“, „Was braucht man, um glücklich zu sein?“, „Wo<br />

wohnt die Zeit?“<br />

Auf solche Fragen gibt es keine eindeutigen Antworten. Philosophieren<br />

bedeutet, solche Fragen und Gedanken ernst zu nehmen und es den Kindern<br />

und Jugendlichen zu ermöglichen, sich gemeinsam mit anderen auf<br />

die Suche nach Antworten zu machen. Besonders während einer Krankheit<br />

stellen unsere Schüler oft existentielle (Sinn-)Fragen und suchen nach<br />

Orientierung.<br />

Das Philosophieren gibt ihnen die Möglichkeit zu staunen, zu zweifeln<br />

und alles zu hinterfragen. Sie reflektieren eigene Gefühle, Gedanken und<br />

Werte, trauen sich ihre Meinung zu äußern und öffnen sich für die Sichtweisen<br />

anderer. Das Philosophieren unterstützt bei der Bewältigung ihrer<br />

Entwicklungsaufgaben, stärkt soziale Kompetenzen und schult kreatives<br />

und logisches Denken. Es wird als Bildungsprinzip verstanden, für das<br />

kein philosophisches Fachwissen vonnöten ist.<br />

Ziel des Workshops war es, die Teilnehmer für das Philosophieren mit<br />

ihren Schülern zu begeistern. Im Mittelpunkt standen die gemeinsame<br />

Durchführung einer philosophischen Einheit und die Präsentation von<br />

praktischen Beispielen aus dem Schulalltag. Ein Film ermöglichte den Einblick<br />

in das Philosophieren mit sehr jungen Kindern. Die Lehrkräfte erhielten<br />

aber auch theoretische Grundlagen und Materialien, um eine Einheit<br />

später selbst gestalten zu können. Möglichkeiten und Grenzen des Philosophierens<br />

im Klinik-Setting wurden diskutiert.<br />

1. Ablauf einer philosophischen Einheit<br />

1.1 Vorbereitung<br />

Auswahl der Kinderfrage<br />

Am besten knüpft man an die Lebenswelt der Kinder an und nimmt ihre<br />

Fragen auf. Alles, was das eigene Ich, das Miteinander und die Welt angeht<br />

sowie die Dinge, die über unsere Erfahrungen hinausgehen (z.B. Tod, Gott,<br />

Seele) eignen sich zum Philosophieren.<br />

Beispiele von Fragen von Kindern und Jugendlichen:<br />

• Warum bin ich so wie ich bin?<br />

• Muss man immer die Wahrheit sagen?<br />

• Was wäre, wenn nichts wäre?<br />

• Haben Tiere eine Seele?<br />

• Was ist normal?<br />

• Was ist der Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe?<br />

Für die Klinik bietet sich eine Auswahl von Fragen in einer „Schatzkiste“<br />

an, wenn die Schüler keine eigenen Ideen einbringen.<br />

Bei der Auswahl der Kinderfrage muss die Lehrkraft gut unterscheiden<br />

zwischen Wissensfragen, theologischen und philosophischen Fragen.<br />

Eine philosophische Frage<br />

• ist offen und allgemein formuliert<br />

(„Haben Tiere eine Seele?),<br />

• ist auf das Ganze ausgerichtet, sucht nach Bedeutung, Sinn eines Phänomens<br />

oder Begriffs<br />

(„Was ist eine Lüge?“, „Was ist Glück?“) und<br />

• hat Lebensweltbezug, fordert persönliche Auseinandersetzung („Ist der<br />

Mensch wirklich frei?“, „Ist der Mensch gut?“).<br />

Sie verlangt nicht nach einer Antwort, aber immer nach einem Gespräch.<br />

Erstellen einer Gedankenkarte (Mindmap)<br />

Eine philosophische Einheit kann nicht in dem Sinn vorbereitet werden,<br />

dass ein inhaltliches Lernziel verfolgt wird. Um ein philosophisches Gespräch<br />

zu moderieren, bedarf es aber einer gewissen Sicherheit, was das<br />

Thema angeht. Dazu hat es sich als nützlich erwiesen, eine Mindmap zu<br />

der philosophischen Frage anzufertigen, die im Zentrum stehen soll. Damit<br />

lassen sich eigene Reflexionen zum Thema übersichtlich entwickeln<br />

und darstellen und mit Leitfragen verknüpfen. So kann die Lehrkraft dem<br />

Gespräch auch Impulse geben.<br />

Mindmap zum Thema Zeit (aus Zeitler: „Siehst du die Welt auch so wie<br />

ich?“, S.50)<br />

Wiederholung der Gesprächsregeln<br />

Die Gesprächsleitung erteilt das Wort durch Zuwerfen des „Wuschels“,<br />

eines leicht zu werfenden und zu fangenden Balles. Sprechen darf nur,<br />

wer ihn in Händen hält und nach Beendigung des Beitrags wird er zur<br />

Gesprächsleitung zurückgeworfen. Dies ist die einzige Regel, die der<br />

Gruppe vorgegeben wird. Alle weiteren Regeln zur Gesprächsführung<br />

erarbeitet bzw. wiederholt die Gruppe gemeinsam.<br />

Raum/Bett gestalten, Rituale anwenden Rituale geben den Kindern einen<br />

Rahmen und Sicherheit und vermitteln das Gefühl, an etwas Besonderem<br />

teilzuhaben.<br />

Im Klinikalltag ist die Festlegung des zeitlichen Rahmens und die<br />

Abstimmung mit Visiten-, Behandlungs- und Besuchszeiten besonders<br />

wichtig, damit Störungen weitestgehend vermieden werden können.<br />

Wenn ein eigener Klassenraum vorhanden sind, kann ein Sitzkreis, eventuell<br />

mit Sitzkissen gebildet werden, in dessen Zentrum ein Bodenbild passend


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

70 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

71<br />

zum Thema gestaltet wird. Darf der Schüler das Bett nicht verlassen, so<br />

kann es mit einem Tuch und für das Kind bedeutsamen Gegenständen, wie<br />

einer Feder, einem Stein oder einem Bild geschmückt werden.<br />

Als Anfangs- und Schlussritual eignen sich z.B. eine bestimmte Musik,<br />

Klangschalen, Düfte, Kränze oder Phantasiereisen.<br />

1.2 Einstieg<br />

Er soll zum Thema hinführen, persönliche Betroffenheit oder Irritation<br />

erzeugen und muss<br />

offen sein und Fragen zulassen.<br />

Im Workshop diente ein Wecker in der Kreismitte als Hinführung zum Thema<br />

„Zeit“. Anschließend sollten die Gruppenmitglieder mit geschlossenen<br />

Augen schätzen, wie lange eine Minute dauerte.<br />

Weitere Möglichkeiten sind<br />

• Gedankenexperimente<br />

• Bilder, Cartoons<br />

• Aphorismen, Gedichte<br />

• Phantasiereisen<br />

• Umfragen<br />

• Interviews<br />

• Rollenspiele<br />

• Bilderbücher<br />

• Geschichten<br />

• Rätsel/Spiele<br />

• Filme usw. …<br />

1.3 Philosophisches Gespräch<br />

In einem philosophischen Gespräch wollen die Teilnehmer nicht nach der<br />

richtigen Antwort suchen, sondern vermeintliches Wissen hinterfragen,<br />

neue Erkenntnisse gewinnen und Orientierung finden.<br />

Lehrerrolle<br />

Die Lehrkraft ist ebenfalls Suchende, Fragende, nicht Wissensvermittler<br />

und beteiligt sich nicht mit inhaltlichen Beiträgen am Gespräch. Sie<br />

beurteilt und bewertet Ideen der Kinder nicht, sondern moderiert den<br />

Gesprächsverlauf und achtet auf die Einhaltung der Regeln. Manchmal vertieft<br />

sie das Gespräch durch Nachfragen, fasst mit eigenen Worten zusammen, gibt<br />

Impulse und regt durch Rückfragen zu Differenzierungen an:<br />

• Sehen das die anderen auch so?<br />

• Was bedeutet das?<br />

• Wie begründest du das?<br />

• Wie können wir herausfinden, ob das wahr ist?<br />

• Habe ich dich richtig verstanden?<br />

• Kannst du ein Beispiel dafür nennen?<br />

Die Lehrkraft bringt stets eine wertschätzende Haltung zum Ausdruck.<br />

1.4 Gesprächsauswertung<br />

Die Reflexion verdeutlicht die eigene Verantwortung am Verlauf des<br />

Gesprächs. Dabei soll nicht die Leistung des Einzelnen beurteilt, son dern eine<br />

konkrete Auffassung darüber entwickelt werden, was ein philosophisches<br />

Gespräch sowie eine philosophische Gesprächskultur ausmacht.<br />

Blitzlichtrunde<br />

Dabei fasst jeder Teilnehmer den für ihn wichtigsten Aspekt des Gesprächs<br />

zusammen. Die Ergebnisse können auf einem Plakat festgehalten werden.<br />

Daumensprache<br />

Die Gruppenmitglieder zeigen durch einfache Daumensprache (Hochhal<br />

ten, Senken, Waagrechthalten des Daumens) ihre persönliche<br />

Einschätzung z.B. zu folgenden Kriterien:<br />

• Hast du den anderen zugehört?<br />

• Warst du auf deine Art an dem Gespräch beteiligt?<br />

• Waren wir eine Gruppe, in der man sich wohlfühlen konnte?<br />

• Ist das Gespräch in die Tiefe gegangen?<br />

• Habe ich etwas Neues gelernt?<br />

• War es interessant?<br />

Eventuell können auch Fragebögen mit Ratingskalen ausgeteilt werden.<br />

1.5 kreative Weiterarbeit<br />

Beim Thema „Zeit“ können die Schüler anschließend Zeitfresser und<br />

Zeitspender malen oder Zeitgutscheine ausfüllen, die sie verschenken.<br />

Weitere Möglichkeiten sind<br />

• kreatives Schreiben<br />

• Malen/Zeichnen/Basteln<br />

1.6 Rahmenbedingungen<br />

Philosophische Gespräche eignen sich für alle Menschen ab 4 Jahren.<br />

Als gute Gruppengröße haben sich 3-12 Schüler bewährt. Ausreichend ist<br />

ein Sitzkreis in einem ruhigen Raum. In der Regel sollte man 45 bis 90<br />

Minuten (samt begleitender Aktivitäten) einplanen.<br />

Die Teilnahme soll unbedingt auf freiwilliger Basis erfolgen.<br />

2. Grenzen des Philosophierens im Kliniksetting<br />

2.1 Einzelunterricht<br />

Ein philosophisches Gespräch lebt von den verschiedenen Erfahrungen<br />

und Gedanken seiner Teilnehmer. Wenn der Lehrer im Einzelunterricht<br />

als gleichwertiger Gesprächspartner fungiert, um die Diskussion zu<br />

bereichern, gerät er schnell in einen Rollenkonflikt, da er ja eigentlich die<br />

Aufgabe des Moderators inne hat.<br />

2.2 Gruppenunterricht<br />

Durch den ständigen Wechsel der Gruppenzusammensetzung ist eine<br />

kontinuierliche Aufbau- und Weiterarbeit nicht möglich. Zum Philosophieren<br />

ist oft eine gewisse Vertrautheit Voraussetzung, die bei den<br />

Patienten nicht immer so schnell wachsen kann.<br />

2.3 Psychische und physische Verfassung der Schüler<br />

An manchen Tagen sind die Patienten aufgrund starker Schmerzen, Übelkeit<br />

oder großer Müdigkeit nicht in der Lage, sich auf ein philosophisches<br />

Thema einzulassen. Auch psychische Probleme können eine konzentrierte<br />

Auseinandersetzung mit einer philosophischen Frage verhindern.<br />

2.4 Zusammenarbeit mit dem medizinischen und psychosozialen Team<br />

Manchmal berühren die Schüler in den philosophischen Gesprächen<br />

Themen, die sie auch mit Psychologen und Ärzten thematisieren. Inhalte,<br />

die auch in der Therapie behandelt werden, sollten unbedingt mit dem<br />

medizinischen und psychosozialen Team abgesprochen werden.<br />

2.5 Organisatorisches<br />

Wenn im Krankenzimmer unterrichtet werden muss, kann das Gespräch<br />

durch Unterbrechungen gestört werden. Die Lehrkraft sollte sich deshalb<br />

unbedingt nach Visiten, Hauptbesuchs- und Essenszeiten richten.<br />

3. Fortbildungsmöglichkeiten<br />

3.1 Die Fortbildungsreihe „Kinder philosophieren“<br />

Die Akademie „Kinder philosophieren“ in München bietet praktische<br />

Übung, hilfreiche Werkzeuge und alles, was sonst noch notwendig ist,<br />

um mit Kindern und Jugendlichen zu philosophieren. Die Fortbildung<br />

umfasst vier zweitägige Module, die als freie Fortbildungen und als In-<br />

Haus-Schulungen angeboten werden. Die Teilnehmer erhalten mit<br />

Abschluss der Fortbildungsreihe ein Zertifikat, das sie in philosophischer<br />

Gesprächsführung auszeichnet.<br />

Akademie Kinder philosophieren<br />

Infanteriestraße 8<br />

80797 München<br />

Email: akademie@kinder-philosophieren.de<br />

www.kinder-philosophieren.de<br />

3.2 Zusatzstudium an der Hochschule für Philosophie München<br />

Das Zusatzstudium »Kinder philosophieren« wird an der Hochschule für<br />

Philosophie ab dem Wintersemester <strong>2010</strong>/11 nicht mehr angeboten.<br />

4. Beschreibung der philosophischen Einheit während des Workshops<br />

Den Teilnehmern wurden zunächst die wichtigsten Regeln für ein<br />

philosophisches Gespräch erklärt.<br />

• Der Gesprächs - Wuschel erleichtert die Gesprächsführung.<br />

• Nur wer den Wuschel hat, redet.<br />

• Der Wuschel geht immer an die leitende Lehrkraft zurück.<br />

• Im Gespräch herrscht ein respektvoller Umgang.<br />

Für diese Einheit wurde bewusst eine offene Möglichkeit der<br />

Themenfindung für ein philosophisches Gespräch vorgestellt. In die mit<br />

einem Tuch gestaltete Kreismitte legte der Leiter eine Uhr, um auf das<br />

Thema Zeit einzustimmen. Danach folgte eine Übung. Alle Teilnehmer<br />

stellten sich hin und schlossen die Augen.<br />

Ab einem „Jetzt“ sollte sich jeder hinsetzen, wenn er meinte, dass eine<br />

Minute vergangen war.<br />

Der Gesprächsleiter stoppte die Zeit. Die gefühlten „Minuten“ der<br />

Teilnehmer dauerten von 27 bis 97 Sekunden. In einem anschließenden<br />

Gespräch erläuterten Einzelne ihre Strategie der Findung einer Minute.<br />

Nun sollte sich jeder Teilnehmer eine philosophische Frage zum Thema<br />

Zeit überlegen, u. A. wurden folgende Vorschläge eingebracht:<br />

• Was ist die Zeit?<br />

• Warum vergeht die Zeit unterschiedlich schnell?<br />

• Wie viel Zeit bleibt mir(uns) noch?<br />

• Brauchen wir die Zeit?<br />

• Gibt es vergeudete Zeit?<br />

Die Fragen wurden auf einem Flipchart gesammelt, kurz erläutert und<br />

nummeriert. Mit geschlossenen Augen konnten sich die Teilnehmer jetzt<br />

bei zwei Fragen melden, die sie am meisten interessierten.<br />

Die Frage „Gibt es vergeudete Zeit?“ fand eine Mehrheit. Sie wurde<br />

nochmals vorgelesen, danach wurde eine Klangschale angeschlagen, um<br />

die Frage zu verinnerlichen und mit dem letzten Ton begann das aktive<br />

Philosophieren.<br />

Die Teilnehmer standen sehr bald in einem aktiven und ernsthaften<br />

Austausch. Die Rolle des Leiters bestand im genauen Zuhören, Nachfragen,<br />

Zusammenfassen, Zurückführen auf die Frage und Achten auf die Einhaltung<br />

der Regeln. Er beteiligte sich nicht inhaltlich am Philosophieren und<br />

beurteilte oder bewertete die einzelnen Beiträge nicht.<br />

Gegen Ende des Philosophierens wurde eine Sanduhr umgedreht, um zu<br />

verdeutlichen, dass mit Ablauf der Uhr der inhaltliche Austausch zu Ende ging.<br />

Anschließend konnte jeder Teilnehmer einen für ihn neuen und wichtigen<br />

Gedanken nennen.<br />

Zum Abschluss zeigten die Teilnehmer mit einer einfachen Daumensprache<br />

ihre persönliche Einschätzung des philosophischen Gesprächs.<br />

Ausgestellte bzw. verwendete Literatur<br />

Bilderbücher<br />

Bauer, Jutta: Opas Engel, Carlsen Verlag, 2001<br />

Cave, Kathryn: Irgendwie anders, Oetinger Verlag, 1994<br />

Ende, Michael: Das Traumfresserchen, Thienemann Verlag, 1978<br />

Erlbruch, Wolf: Die große Frage, Hammer Verlag, 2009<br />

Erlbruch, Wolf: Ente, Tod und Tulpe, Kunstmann Verlag, 2007<br />

Feth, Monika: Der Gedankensammler, Sauerländer Verlag, 2006<br />

Heine, Helme: Freunde, Middelhauve Verlag, 1982<br />

Lionni, Leo: Swimmy, Middelhauve Verlag, 1983<br />

McKee, David: Du hast angefangen! Nein, du!, Sauerländer Verlag, 1998<br />

Olten, Manuela: Wahre Freunde, Bajazzo Verlag, 2007<br />

Opel-Götz, Susanne: Ab heute sind wir cool, Oetinger Verlag, 2007<br />

Usatschow, Andrej: Geschichte ohne Anfang und Ende, Nordsüd Verlag, 2008<br />

Varley, Susan: Leb wohl lieber Dachs, Betz Verlag, 1984<br />

Kinderliteratur<br />

Akademie Kinder philosophieren (Hrsg.): Ich bin ich, oder?, Heinrich Vogel Verlag, 2008<br />

Law Stephen: Philosophie:- Abenteuer Denken, Arena Verlag, 2007<br />

Lobel, Arnold: Das große Buch von Frosch und Kröte, dtv junior Verlag, 2006<br />

Nicholls, Sally: Wie man unsterblich wird, Hanser Verlag, 2008<br />

Oberthür, Rainer: Neles Buch der großen Fragen, Kösel Verlag, 2008<br />

Schulz-Reiss: Nachgefragt: Philosophie, Loewe Verlag, 2005<br />

Philosophieren mit Kindern<br />

Akademie Kinder philosophieren im Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft e.V.: Skripte der<br />

Fortbildungsreihe Kinder philosophieren 2009/<strong>2010</strong><br />

Brokemper, Peter: Glück, ein Projektbuch, Verlag an der Ruhr, 2009<br />

Brüning, Barbara: Philosophieren in der Grundschule, Cornelsen Verlag, 2001<br />

Rude/Simbeck/Witt-Kruse/Zeitler: Praxisleitfaden Kinder philosophieren für Kindertageseinrichtungen und<br />

Schulen, München 2007<br />

Zeitler, Katharina: Siehst du die Welt auch so wie ich?, Herder Verlag, <strong>2010</strong><br />

Zoller Morf, Eva: Selber denken macht schlau, Zytglogge Verlag, <strong>2010</strong><br />

Film<br />

Akademie Kinder philosophieren im Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft e.V.: Wer früher philosophiert,<br />

ist länger weise<br />

„Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen.<br />

Das Staunen ist der Anfang der Philosophie.“<br />

Aristoteles, Metaphysik, Buch 1<br />

Die Nachsorge von schulabstinenten Kindern und Jugendlichen:<br />

Die Relevanz einer sozialpsychologischen Perspektive<br />

Pia Anna Weber<br />

Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lecturer am Lehrstuhl Sozialpsychologie<br />

und allgemeine Psychologie, Duisburg-Essen<br />

Verena Welling<br />

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Allgemeine Psychologie<br />

und Arbeits-psychologie an der Universität<br />

Duisburg-Essen<br />

Prof. Dr. Gisela Steins<br />

Professorin Allgemeine Psychologie und Arbeitspsychologie an der<br />

Universität Duisburg-Essen<br />

1. Theoretischer Hintergrund<br />

Übergänge, seien sie biographisch und/oder institutionell, können von<br />

psychisch kranken Kindern und Jugendlichen als belastend empfunden<br />

werden. Die Übergänge vom häuslichen Milieu und dem Besuch einer Regelschule<br />

hin in eine psychiatrische Einrichtung und dem damit verbundenen<br />

Besuch einer Klinikschule werden möglicherweise von den Schülern/innen<br />

als extrem krisenhaft erlebt (Wertgen, 2009). Nach Ciompi 1982<br />

und Kuchenbecker 2002 haben psychisch kranke Kinder generell eine<br />

erhöhte Vulnerabilität. Werden sie mit Stressoren konfrontiert, ist von einer<br />

niedrigen Belastungsschwelle auszugehen. Hinzu kommt die Gefahr<br />

möglicher Stigmatisierungsprozesse, denen psychisch kranke Kinder und<br />

Jugendliche im Vergleich zu gesunden Kindern ausgesetzt sind (Haep et<br />

al., 2011). Treffen die Schüler/-innen in der Schule auf Unverständnis<br />

und negative Erwartungshaltungen von Seiten der Lehrkräfte und/oder<br />

Mitschülern/-innen, sind dies ungünstige Prädiktoren für einen regelmäßigen<br />

Schulbesuch. Zudem können aus einer unzureichenden Ausbildung<br />

ne-gative Erwartungshaltungen und unzulässige Dispositionszuschreibungen<br />

entstehen (vgl. hierzu Hirsch-Herzogenrath & Schleider, <strong>2010</strong>). Weiterhin<br />

nimmt auch das schulische Umfeld Einfluss auf das Verhalten, die<br />

psychische Gesundheit und die Genesung psychisch erkrank-ter Kinder<br />

und Jugendlicher (Harter-Meyer & Weidenbach, 2001).<br />

Unseren Beobachtungen aus dem Projekt „Qualitätssicherung in Schulen<br />

für Kranke“ zu Fol-ge, gelingt es Schülern/-innen, die nicht die notwendigen<br />

Ressourcen mitbringen, nur schwer ohne externe Hilfe den Schulbesuch<br />

zu meistern (Weber et al., 2008). In einigen Fällen wechseln die<br />

Schüler/-innen nach ihrem Klinikaufenthalt nicht in ihre Stammschule<br />

zurück, sondern in eine neue Schule, was mit deutlichen Herausforderungen<br />

verbunden ist. Versu-che der Reintegration scheitern häufig bei<br />

Kindern und Jugendlichen ohne unterstützendes und verlässliches soziales<br />

Umfeld (Steins, 2008). Im Rahmen der o.g. Forschungsarbeit ist in<br />

einer Befragung von betroffenen Schülern/-innen und deren Eltern deutlich<br />

geworden, dass die Eltern betroffener Kinder und Jugendlicher den<br />

Übergang aus der Psychiatrie zurück in die Regelschule als belastend und<br />

risikoreich erleben und sich gezielte Unterstützungsmaß-nahmen für ihre<br />

Kinder wünschen (Weber et al., 2008). In manchen Fällen sind Angst- und<br />

Vermeidungsverhalten so chronifiziert, dass die Schüler/-innen ohne externe<br />

Unterstützung keinen Wiedereinstieg schaffen. Weiterhin spricht<br />

für die Notwendigkeit einer Unterstüt-zungsmaßnahme, dass psychisch<br />

kranke Schüler/-innen nach ihrer Entlassung aus der Psych-iatrie oft nicht<br />

völlig gesund sind und somit weitere Unterstützung benötigen. Abgedeckt<br />

werden sollte nicht nur der Zeitpunkt der Rückschulung während der Behandlung,<br />

sondern besonders auch die Zeit unmittelbar nach dem Klinikaufenthalt.<br />

Brechen Hilfesysteme plötz-lich weg, ist unseren Erfahrungen<br />

zu Folge die Gefahr eines schulischen Einbruches für psy-chisch kranke<br />

Schüler/-innen besonders hoch.


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

72 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

73<br />

2. Beteiligte Schnittstellen<br />

Die Schnittstellen zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. Klinikschule<br />

und Heimat-schule ist das Thema des Projekts. Soulguard ist ein<br />

Kooperationsprojekt der Universität Duisburg-Essen, Fakultät Bildungswissenschaften<br />

und der Kinder- und Jugendpsychiatrie Essen-Werden<br />

(Ltd. Arzt: Herr Christoph Arning) und wurde bis Februar 2011 von der<br />

RWE-Jugendstiftung gefördert.<br />

„Soulguard“ heißt übersetzt Seelenwächter. So wie ein Leibwächter sich<br />

um das körperliche Wohl seines Schutzbefohlenen kümmert, wird in diesem<br />

Projekt versucht auf die seelische Balance erkrankter Kinder und Jugendlicher<br />

zu achten.<br />

Psychisch erkrankte Schüler/-innen werden während der Behandlung<br />

und nach ihrer Entlas-sung aus der Psychiatrie bei der Wiedereingliederung<br />

in ihre Schule unterstützt. Das Angebot richtet sich insbesondere<br />

an Schüler/-innen mit einer Schulverweigerungssymptomatik und/oder<br />

schulischen Problemen sozialer und emotionaler Art.<br />

Auf diesem Weg sollen Probleme in der Reintegration entdeckt und Lösungen<br />

entwickelt werden. Prof. Dr. Gisela Steins leitet das Projekt, wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterinnen sind Frau Pia Weber und Frau Verena Welling.<br />

Soulguard ist ein Folgeprojekt des Forschungsprojekts „Guter Unterricht<br />

für kranke Kinder“.<br />

Unsere Unterstützungsangebote<br />

Wie bereits erwähnt werden Übergänge zwischen den Institutionen sowohl<br />

von Eltern als auch von Lehrern/-innen und von den Schülern/-innen<br />

als problematisch erlebt (Steins, 2008). Es kann bei der Reintegration zu<br />

Problemen innerhalb eines Systems (z.B. innerhalb des Systems Schule)<br />

und darüber hinaus auch zu Problemen zwischen den Systemen kommen<br />

(z.B. Schule – Elternhaus – Psychiatrie). Dieses Phänomen wird als<br />

Schnittstellenpro-blematik bezeichnet. In Abbildung 1 werden alle beteiligten<br />

Schnittstellen und deren Bezie-hungen zueinander graphisch veranschaulicht.<br />

Abbildung 1: Am Reintegrationsprozess beteiligte Schnittstellen im<br />

Forschungsprojekt Soul-guard.<br />

Wir bieten im Projekt Soulguard den beteiligten Systemen ein psychologisches<br />

Unterstützungskonzept mit dem Schwerpunkt einer Unterstützung<br />

am Kind an. Das heißt, dass für jede/n Schüler/-in ein<br />

zielorientierter Maßnahmenplan entwickelt wird. Dieser Plan hat das<br />

Ziel, soziale Kompetenzen in vivo zu fördern, den Selbstwert durch<br />

positive Verstärkung zu erhöhen, die Selbstwirksamkeit durch sukzessive<br />

Reduzierung des Begleitungsumfangs zu stärken und den emotionalen<br />

Gefühlszustand durch rationale Erklärungsmodelle (Ellis & Hoellen, 2004)<br />

zu verbessern.<br />

Wir erreichen diese Ziele durch drei Arten der Unterstützung:<br />

Soziale Unterstützung, emotionale Unterstützung und strukturelle<br />

Unterstützung.<br />

Unter sozialer und emotionaler Unterstützung verstehen wir z.B.<br />

• Abholen von zu Hause und Begleiten in die Schule<br />

• Verweilen in der Schule<br />

• Gespräche mit Lehrer/-innen, Schulsozialarbeiter/-innen,<br />

Schulpsychologen/-innen<br />

• Verhaltensbeobachtungen<br />

• Weitere individuelle Möglichkeiten der Begleitung, die zur Lösung der<br />

Schulproblematik beitragen können<br />

• Verhaltensprogramme zur Reduzierung einer bestimmten Problematik,<br />

z.B. Ärgermanagement (Wilde, Haep & Steins, <strong>2010</strong>)<br />

• Streitschlichtung zwischen dem Kind/Jugendlichen und Mitschüler/-innen<br />

Mit einer strukturellen Unterstützung sind alle Hilfestellungen gemeint,<br />

die den Schüler/-innen helfen, den Schulalltag besser zu planen. Dies<br />

könnte eine Hilfestellung bei der Be-schaffung von Unterrichtsmaterialien<br />

sein, aber auch das Besorgen des aktuellen Stunden-planes. In Fällen<br />

von Schulwechseln oder Klassenwiederholungen wird der/die Schüler/-in<br />

beim Beschaffen aktueller Unterrichtsmaterialien unterstützt.<br />

3. Das Konzept der irrationalen Gedanken<br />

Unsere Unterstützungsmaßnahme basiert auf psychologischen Prinzipien,<br />

insbesondere auf dem rational-emotiven Verhaltensansatz (Ellis & Hoellen,<br />

2004). Dieser Ansatz arbeitet mit dem Konzept der irrationalen Gedanken.<br />

Der Begriff irrational bei Ellis wird ins Deutsche mit unangemessen,<br />

unangebracht, unreali-stisch und nicht zielführend übersetzt. Irrationale<br />

Gedanken oder irrationales Handeln wird in diesem Kontext nicht mit<br />

gefühlsbetont oder emotional bezeichnet, wie es in der Alltags-sprache<br />

häufi g üblich ist. Irrational bezeichnet mangelnde Logik/fehlende<br />

Realitätsnähe der Überzeugungen, so dass ein Mensch sie als hinderlich<br />

im Hinblick auf die Erreichung seiner persönlichen Ziele erlebt (Ellis &<br />

Hoellen, 2004).<br />

Auf Basis dieses Ansatzes vermitteln wir den psychisch erkrankten<br />

Schülern/-innen rationale Problemlösefähigkeiten und zeigen ihnen<br />

den Unterschied zwischen selbstschädigenden Gefühlen (irrational)<br />

und hilfreichen Gefühlen (rational) auf. Abbildung 2 zeigt irrationale und<br />

rationale Gefühle im Vergleich.<br />

Abbildung 2: Übersicht angemessener und unangemessener Gefühle (vgl.<br />

Waters et al., 2003).<br />

Folgend haben wir einige irrationale Bewertungen im schulischen Alltag<br />

zusammengestellt, die wir häufi g bei unseren Klienten beobachten:<br />

• Weil Schule nicht immer Spaß macht, gehe ich nicht hin!<br />

• Sobald ich ein leichtes Unwohlsein spüre, bin ich nicht in der Lage die<br />

Schule zu besuchen!<br />

• Wenn jemand mich beleidigt, muss ich ihn verbal und/oder körperlich<br />

angreifen!<br />

• Wenn niemand mir Aufmerksamkeit schenkt, halte ich das nicht aus!<br />

• Wenn ich eine schlechte Note bekomme, heißt das, dass ich eine Niete<br />

in diesem Fach bin!<br />

Was sind rationale Überzeugungen von Schüler/-innen?<br />

• Ich mag die Schule nicht, aber ich komme irgendwie mit ihr klar!<br />

• Ich habe mich ziemlich daneben benommen, deswegen bin ich noch<br />

lange kein schrecklicher Mensch!<br />

• Ich mag es nicht, wenn man mich beschimpft, aber wenn es passiert, ist<br />

dies keine Katastrophe!<br />

• Nur weil jemand mich beleidigt, heißt das noch lange nicht, dass die<br />

Person Recht hat!<br />

• Wenn ich mich am Unterricht beteilige, vergeht die Zeit schneller!<br />

• Wenn ich die Schule bei Unwohlsein besuche, kann ich es erst recht<br />

schaffen, wenn es mir gut geht!<br />

Um diesen Prozess der kognitiven Umstrukturierung anzuregen, arbeiten die<br />

Reintegrations-hilfen mit diversen Methoden.<br />

Eine zentrale Rolle nimmt das Prinzip der Wiederholung und des ständigen<br />

Übens ein. Die Schüler/-innen werden in gemeinsamen Treffen und<br />

während der Begleitung auf irrationale Gedanken hingewiesen und erarbeiten<br />

gemeinsam mit den studentischen Mitarbeiterinnen rationale Pendants. Die<br />

Studierenden werden in dieser anspruchsvollen Aufgabenstellung durch ein<br />

verbindliches Beratungssystem unterstützt. Dazu gehören u.a. wöchentliche<br />

Treffen in Kleingruppen, die durch wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen<br />

geleitet werden. Es ist u.a. ein Ziel der Klienten/-innen, mit Problemen<br />

lösungsorientiert umzugehen. Die Schüler/-innen sollen schnellstmöglich<br />

verselbstständigt werden und in der Lage sein, die Schule regelmäßig und in<br />

vollem Stundenumfang zu besuchen.<br />

Darüber hinaus bekommen sie weitere Hilfen, Situationen angemessen<br />

zu bewerten. So führen sie beispielsweise mit den Reintegrationshilfen<br />

gemeinsam erarbeitete Kärtchen mit sich, die ihnen in Angst besetzten<br />

Situationen Mut machen sollen.<br />

4. Ausgewählte Beispiele<br />

An dieser Stelle beschreiben wir zwei Fallbeispiele aus dem Projekt<br />

Soulguard, um Beispiele für eine Schnittstellenproblematik a) innerhalb<br />

eines Systems und b) zwischen Systemen am Beispiel Schule –<br />

Elternhaus – Psychiatrie exemplarisch aufzuzeigen.<br />

a) Schnittstellenproblematik innerhalb eines Systems – Der Fall Sven<br />

Scholl<br />

Der Schüler Sven Scholl ist 13 Jahre alt und verweigert seit mehr als<br />

zwei Jahren den Schul-besuch und ist mit einer Sozialen Phobie und<br />

einer Emotionalen Störung des Kindesalters (F 40.1, F 93) diagnostiziert.<br />

Sven wurde in seine Heimatschule, eine Hauptschule, in die 7. Klasse<br />

reintegriert.<br />

Sven hat eine umfangreiche Therapiegeschichte und erlebte bereits<br />

mehrere Schulwechsel, zuletzt von einer Realschule in seine derzeitige<br />

Heimatschule. Es handelt sich nach Angaben des Schülers um eine<br />

angstbedingte Schulverweigerung, weil er in der Realschule gemobbt<br />

(psychisch und physisch) worden sei.<br />

Anhand dieses Falls stellen wir die Problematik innerhalb eines Systems<br />

am Beispiel Schule dar. In Abbildung 3 werden diese Zusammenhänge<br />

veranschaulicht.<br />

Abbildung 3: Schnittstellenproblematik innerhalb eines Systems am<br />

Beispiel der Schule.<br />

In Svens Fall ergaben sich Unklarheiten und unterschiedliche Erwar tungen<br />

in Hinblick auf die Leistungsbewertung und unzureichende Absprachen<br />

bezüglich Svens Versetzung in die Jahrgangsstufe 8. Ob wohl Sven nur<br />

vereinzelte Tage in der Schule anwesend war, erwar teten Frau und Herr<br />

Scholl eine pädagogische Versetzung. In einer Vorbesprechung zum<br />

Schulbesuch, die kurz vor den Sommerschulferien stattfand, vereinbarten<br />

Kliniklehrer und Klassenlehrer der Heimatschule gemeinsam mit Eltern<br />

und Klinikpersonal, dass Sven zur Probe versetzt werden solle, wenn die<br />

Schulleitung ihr Einverständnis gäbe.<br />

Für Sven bedeutete dies, dass er noch drei Monate nach Schuljahres beginn<br />

die Jahrgangsstufe 7 zurückversetzt werden könnte, wenn sich abzeichnet,<br />

dass die Schulleistungen nicht ausreichend sind. Aus diesem Grunde und<br />

um seine Eigenmotivation zu zeigen, sollte Sven diverse Klassenarbeiten in<br />

der Klinikschule nachschreiben. Allerdings wurden hierzu keine Kriterien<br />

vereinbart, d.h. wie viele Arbeiten nachgeschrieben werden müssen und<br />

wann ge-nau die Klausurleistungen vorliegen müssen. Bedingt durch die<br />

schulischen Ferien waren sowohl Kliniklehrer, als auch Klassenlehrer und<br />

die Schulleitung der Heimatschule nicht für die Familie erreichbar.<br />

Somit konnte Sven weder Klassenarbeiten schreiben, noch erfuhr er, ob<br />

die Schulleitung einer pädagogischen Versetzung in die Jahrgangsstufe 8<br />

zugestimmt hatte. Dieser Umstand wirkte sich angstfördernd auf Sven aus.<br />

Kurz vor Schulbeginn wurde Sven mitgeteilt, dass er zunächst in seine bisherige<br />

Klasse (somit Jahrgangsstufe 8) gehen könne. Da seine Fachlehrer/innen<br />

ihn aber bereits anwiesen, Bücher für die Jahrgangsstufe 8 zu<br />

bestellen, schien für Sven klar zu sein, dass er nicht mehr rückversetzt wird.<br />

Alle Vorfälle wirkten sich auf Svens Anstrengungsbereitschaft negativ<br />

aus. Die Klassenarbeiten wurden nicht mehr zur Sprache gebracht und<br />

Sven hat dadurch gelernt, dass er auch durch wenig Eigenanteil seine Ziele<br />

erreicht. Für Sven ergab sich aus dieser Erfahrung kein Anreiz für eine<br />

Verhaltensänderung.<br />

Unzureichende Absprachen können auch zwischen unterschiedlichen<br />

Systemen bestehen. Der nächste Fall soll dies exemplarisch<br />

veranschaulichen.<br />

b) Schnittstellenproblematik zwischen den Systemen – Der Fall Kathrin Porz<br />

Ein weiteres Fallbespiel für eine Schnittstellenproblematik ist der Fall<br />

Kathrin Porz.<br />

Die Schülerin Kathrin Porz ist 16 Jahre alt und leidet an einer chronischen<br />

Schulverweigerung. Sie verweigert seit 3 Monaten die Schule, wobei sich<br />

ihre Symptomatik seit Sommer 2009 allmählich verstärkte. Sie ist mit<br />

einer Generalisierten Angststörung und einer kombinierten Störung des<br />

Sozialverhaltens und der Emotionen diagnostiziert worden (F 41.1., F 92.8).<br />

Kathrin wurde in die 10. Klasse ihrer Heimatschule reintegriert.<br />

Neben der chronischen Schulverweigerung gibt es in diesem Fall die<br />

Besonderheit, dass die Schülerin schriftliche Leistungen bei Sonderterminen<br />

und in Sonderräumen erbringt. Weiterhin sind Fahrten mit<br />

öffentlichen Verkehrsmitteln angstbedingt problematisch, insbeson-dere<br />

das Fahren mit dem Bus.<br />

Obwohl die beteiligten Systeme gemeinsame Ziele aufweisen,<br />

kristallisierten sich unterschiedliche Erwartungshaltungen zur Erreichung<br />

dieser heraus. Intention aller Beteiligten war es, dass Kathrins<br />

Störungsproblematik sich reduziert und dass sie regelmäßig die Schule<br />

in vollem Stundenumfang besucht, ohne dabei Sonderbehandlungen zu<br />

bekommen. Vordergründiges schulisches Ziel ist der Abschluss nach Klasse<br />

10. Die Schule ermöglichte es ihr bis zum Behandlungsbeginn und teilweise<br />

noch während der Behandlung, Klausuren in separa-ten Schulräumen zu<br />

eigens eingerichteten Terminen zu schreiben. Übungsaufgaben wurden<br />

stets von Frau Porz in der Schule abgeholt. Obwohl Kathrin seit 2009<br />

nur partiell in der Schule anwesend war, erhielt sie im Januar <strong>2010</strong> ein<br />

Halbjahreszeugnis mit dem Durchschnitt 2,5. Diese Erleichterungen<br />

wurden der Schülerin von der Schule mit der Intention gewährt, dass dies<br />

hilfreich im Zusammenhang mit der Störungsproblematik ist. Ungewollt hat<br />

die Schule jedoch das Vermeidungsverhalten durch Sonderbehandlungen<br />

noch verstärkt.<br />

Da Kathrins Störungsproblematik neben den Angstanteilen auch<br />

einen Vermeidungsanteil aufwies, war von Seiten der Klinik bestimmt<br />

worden, dass es Aufgabe der Familie und der Schule ist, keine Ver meidungssituationen<br />

mehr zuzulassen und Sonderbehandlungen aufzugeben.<br />

Sowohl die Schule als auch die Eltern konnten dieses Wohl wollen der<br />

Schülerin gegenüber nicht aufgeben. Die Schule ermöglichte weitere<br />

Sondertermine und die Eltern verstärkten Kathrins Vermeidungsverhalten,<br />

indem sie ihr weiterhin Pfl ichten abnahmen. Beispielsweise fuhren<br />

sie ihre Tochter mit dem Auto in die Schule oder zu Freizeitaktivitäten,<br />

sie organisierten für ihre Tochter Unterrichtsmaterial und handelten<br />

Sonderbedingungen aus.<br />

Kathrin hat durch die inkonsistenten Absprachen und Handlungen gelernt,<br />

dass sie durch hartnäckiges Beklagen und Betonen ihres Leidensdrucks<br />

Pfl ichten abgenommen bekommt. Auch für Kathrin ergab sich aus dieser<br />

Erfahrung kein Anreiz für eine Verhaltensänderung.<br />

5. Fragestellungen<br />

Aus dem Forschungsstand und unserem Kenntnisstand heraus,<br />

entwickelten wir folgende Fragestellung:<br />

Wie viele Schüler/-innen der Treatmentgruppe (Schüler/-innen, die<br />

Unterstützung durch Soulguard bekamen) im Vergleich zur Kontrollgruppe<br />

(Schüler/-innen ohne Unterstützung durch Soulguard) besuchen zu T1, T2<br />

und T3 regelmäßig, partiell oder gar nicht die Schule?<br />

6. Methode<br />

Zur Etablierung einer Vergleichsgruppe werden derzeit vermehrt Interviews<br />

mit ehemaligen Patienten/-innen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und<br />

deren Eltern geführt. Deren Behandlungszeitraum erstreckt sich von 2006<br />

bis zum Jahre <strong>2010</strong>. Die Vergleichsgruppe umfasst bisher 21 ehemalige<br />

Patienten/-innen. Es wird mittels Telefoninterviews mit Schülern/-innen<br />

und deren Eltern geprüft, ob der/die Schüler/-in zu den Zeitpunkten T1,<br />

T2 und T3 regelmäßig, partiell oder gar nicht die Schule besuchte. Die<br />

3 Messzeitpunkte erlauben uns Aussagen zur Dauer des Schulbesuches.<br />

Zum explorativen Forschungsdesign werden qualitative Methoden<br />

eingesetzt. Die nachfolgenden Ergebnisse für Experimental- und<br />

Vergleichsgruppe wurden mittels Dokumentenanalysen, Interviews,<br />

Beobachtungsdaten (Verhaltensbeobachtungen und Unterrichts beobach-


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

74 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

75<br />

tungen für die Experimentalgruppe), Selbstbericht- und Fremdberichtdaten<br />

zu drei Messzeitpunkten erhoben. Der erste Messzeitpunkt (T1) im<br />

Längsschnittdesign umfasst Beobach-tungsdaten und Interviews mit dem/<br />

der Schüler/-in und einem Elternteil während des Kli-nikaufenthaltes. Der<br />

zweite Messzeitpunkt (T2) erfolgt 8 Wochen nach Begleitungsende und T3<br />

erfolgt 5 Monate nach der Entlassung aus der Klinik. Die Ermittlung der<br />

Daten zu T2 und T3 erfolgt über Telefoninterviews.<br />

7. Ergebnisse<br />

Die in den Abbildungen 4 bis 6 dargestellten Ergebnisse beziehen sich<br />

auf die Treatmentgruppe. Hierbei wird zwischen unterschiedlichen<br />

Messzeitpunkten differenziert.<br />

Abbildung 4: Schulbesuch zum 1. Messzeitpunkt in % (Begleitung während<br />

des Klinikaufenthaltes).<br />

Abbildung 5: Schulbesuch zum 2. Messzeitpunkt in % (2 Monate nach<br />

Begleitungsende).<br />

Abbildung 6: Schulbesuch zum 3. Messzeitpunkt in % (5 Monate nach<br />

Begleitungsende).<br />

Die in Abbildung 7 dargestellten Ergebnisse beziehen sich auf den<br />

Schulbesuch zu 3 verschiedenen Messzeitpunkten der Vergleichsgruppe.<br />

Abbildung 7: Schulbesuch zu den 3 Messzeitpunkten in % (n=21).<br />

Es wird deutlich, dass der regelmäßige Schulbesuch bei der Treatmentgruppe<br />

mit 63,3% zum ersten Messzeitpunkt dreimal höher ist, als bei der<br />

Vergleichsgruppe mit 21,4 %. Zudem gehen zu T1 in der Treatmentgruppe<br />

3,3% gar nicht in die Schule, während in der Vergleichs-gruppe 42,8% gar<br />

nicht in die Schule gehen.<br />

Zum zweiten Messzeitpunkt ist der regelmäßige Schulbesuch mit 50% bei<br />

fast doppelt so vielen Schülern/-innen gegeben als in der Ver gleichsgruppe<br />

mit 28,6%. Gar nicht in die Schule gehen zu T2 50% der Vergleichsgruppe<br />

und 19,2% der Treatmentgruppe. In der Treat-mentgruppe gehen 19,2%<br />

der Schüler/-innen partiell in die Schule, in der Vergleichsgruppe besucht<br />

kein/e Schüler/-in partiell die Schule.<br />

Während des dritten Messzeitpunktes ist der regelmäßige Schulbesuch<br />

bei nahezu gleich vielen Schülern/-innen der Treatmentgruppe mit 53,3%<br />

und der Vergleichsgruppe mit 57,7% festzustellen.<br />

Kein Schulbesuch liegt bei 20% der Schüler/-innen aus der Treatmentgruppe<br />

und bei 21,4% der Schüler/-innen aus der Vergleichs gruppe zum<br />

dritten Messzeitpunkt vor. Keine Angabe zum Schulbesuch liegt bei der<br />

Vergleichsgruppe zu allen drei Messzeitpunkten bei 21,4%. Der Anteil der<br />

Schüler/-innen, bei denen keine Angabe zum Schulbesuch zur Verfügung<br />

steht, ist bei der Treatmentgruppe 6,7% (T1, T3) bzw. 11,6% (T2). Die<br />

Gründe für die fehlen-den Angaben liegen daran, dass die Schüler/-innen<br />

und/oder deren Eltern telefonisch nicht kontaktiert werden konnten bzw.<br />

eine telefonische Befragung ablehnten.<br />

8. Diskussion<br />

Die Ergebnisse zum Schulbesuch (regelmäßig, partiell, gar nicht)<br />

ergeben, dass zu den Messzeitpunkten 1 und 2 doppelt so viele<br />

Schüler/-innen der Treatmentgruppe regelmäßig die Schule besuchen<br />

wie in der Vergleichsgruppe. Zum ersten Messzeitpunkt sind fast 13<br />

Mal mehr Schüler/-innen aus der Vergleichsgruppe gar nicht mehr zur<br />

Schule gegangen im Vergleich zur Experimentalgruppe. Zum zweiten<br />

Messzeitpunkt, also 8 Wochen nach T1, sind 2,6 Mal mehr Schüler/-innen<br />

aus der Vergleichsgruppe gar nicht mehr zur Schule gegangen im Vergleich<br />

zur Experimentalgruppe.<br />

Fokussiert man im Rahmen der schulischen Reintegration die Dauerhaftigkeit<br />

des Schulbesuches, so ist zum 3. Messzeitpunkt auffällig, dass<br />

sich die Experimentalgruppe in der Dimension regel mäßiger Schulbesuch<br />

nur unwesentlich von der Vergleichsgruppe unterscheidet. Ein ähnlicher<br />

Effekt lässt sich für die Dimension kein Schulbesuch feststellen. Warum<br />

diese positiven Effekte in T1 und T2 zu T3 verschwinden, ist unklar.<br />

Eine mögliche Erklärung hierfür wäre, dass sich mindestens 5 Monate<br />

nach Entlassung aus der Psychiatrie die Hilfesysteme zurückgezogen<br />

haben. Kommen dann persönliche Probleme hinzu, erhöht dies die<br />

Wahrscheinlichkeit eines unregelmäßigen Schulbesuches oder gar eines<br />

erneuten Schulabbruches.<br />

Aus den bisherigen Ergebnissen kann resümiert werden, dass die<br />

begleiteten Übergänge – besonders während des Klinikaufenthaltes<br />

und in den ersten zwei Monaten nach Entlassung aus der Psychiatrie –<br />

einen wesentlich regelmäßigeren Schulbesuch zur Folge haben könnten<br />

im Vergleich zu den Schülern/-innen, die bei ihrer Reintegration aus der<br />

Psychiatrie zurück in die Regelschule nicht unterstützt wurden.<br />

Bei der Interpretation der Ergebnisse ist jedoch zu beachten, dass der<br />

Anteil der Schüler/-innen, bei denen keine Angabe zum Schulbesuch zur<br />

Verfügung steht, bei der Treatmentgruppe nur 6,7% (T1, T3) bzw. 11,6% (T2)<br />

ist. In der Vergleichsgruppe liegt dieser Anteil zu allen drei Messzeitpunkten<br />

bei 21,4%. Demnach müssten die Schüler/-innen ohne Angabe zum<br />

Schulbesuch noch auf die Items regelmäßig, partiell und gar nicht verteilt<br />

werden, dadurch könnten sich die Ergebnisse der Treatmentgruppe und<br />

Vergleichsgruppe verändern und so auch ihre Relationen zueinander.<br />

Bedingt durch das Längsschnitt-Design des Forschungsprojektes nimmt<br />

die Stichprobengröße der Treatmentgruppe von T1 zu T3 ab. Darüber hinaus<br />

werden derzeit noch weitere Daten für die Vergleichsgruppe ermit<br />

telt. Eine weitere wichtige Fragestellung: Welche Reibungsverluste<br />

entstehen an den Schnittstellen Psychiatrie –Elternhaus–Heimat schule<br />

im Kontext psychischer Erkrankungen im Zusammenhang mit einer<br />

Schulverweigerungsproblematik und Schülern/-innen mit Schulproblemen?<br />

wird derzeit noch mit qualitativen Analyseverfahren untersucht.<br />

9. Fazit<br />

Ein Großteil der Schüler/-innen, die bei ihrer Wiedereingliederung in die<br />

Regelschule unter-stützt wurden, profi tiert vom Unterstützungsangebot<br />

während ihres Klinikaufenthaltes und 2 Monate danach.<br />

Bei der Interpretation der Ergebniswerte zu T3 ist die Varianz der<br />

Stichprobengröße zu berücksichtigen. Zu diesem Zeitpunkt ist noch<br />

schwer einzuschätzen, wie erfolgreich diese Art der Intervention für einen<br />

regelmäßigen und dauerhaften Schulbesuch wirklich ist.<br />

10. Ausblick<br />

In zukünftigen Forschungsvorhaben sollte das Phänomen der<br />

Schulvermeidung auf individueller, institutioneller und systemischer<br />

Ebene untersucht werden. Die Ziele sind eine Syste-matisierung der<br />

Problematiken auf allen drei Ebenen, die Bestimmung der gravierendsten<br />

Problematiken und die Generierung von Lösungen hierfür. Der Zugang<br />

zum Feld sollte durch eine Intervention gewählt werden, die gleichzeitig<br />

erlaubt, die Entwicklungen auf der individuellen Ebene weiterzuverfolgen<br />

und zu untersuchen, wie wirksam die Anstrengungen der verschiedenen<br />

Systeme sind.<br />

11. Literaturangaben<br />

Ciompi, L. (1982). Affektlogik. Über die Struktur der Psyche und ihre Entwicklung. Ein Beitrag zur<br />

Schizophrenieforschung. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />

Ellis, A. & Hoellen, B. (2004). Die Rational Emotive Verhaltenstherapie - Refl exionen und Neubestimmungen.<br />

Stuttgart: Pfeiffer.<br />

Haep, A., Weber, P.A., Welling, V. & Steins, G. (2011). Psychopathologisierung von Kindern und Jugendlichen,<br />

die Rolle des Elternhauses und der Schule und die Relevanz einer sozialpsychologischen Perspektive. In E.<br />

Witte (Hrsg.). Sozialpsychologie, Sozialisation und Schule, 26. Hamburger Symposium zur Methodologie der<br />

Sozialpsychologie (im Druck). Berlin: Pabst Science Publishers.<br />

Haep, A., Steins, G. & Wilde, J. (2011). Materialpaket Soziales Lernen Sekundarstufe I. Donauwörth: Auer.<br />

Harter-Meyer, R. & Weidenbach, M. (2001). Bildung und Krankheit. Herausforderungen für Lehrkräfte.<br />

Münster: LIT Verlag.<br />

Hirsch-Herzogenrath, S. & Schleider, K. (<strong>2010</strong>). Reintegration psychisch kranker Schülerinnen und Schüler<br />

in die Allgemeine Schule aus Sicht der Schulen für Kranke – empirische Befunde. In: Zeitschrift für<br />

Heilpädagogik, 9, 351-359.<br />

Kuchenbecker, A. (2002). Behandlungsende und Entlassvorbereitung: die Begleitung von Abschied,<br />

Trennung und Übergang. In: Kuchenbecker, A. (Hrsg.). Pädagogischpfl egerische Praxis in der Kinder- und<br />

Jugendpsychiatrie, Dortmund, 137–153<br />

Steins, G. (2008). Schule trotz Krankheit – Eine Evaluation von Unterricht mit kranken Kindern und<br />

Jugendlichen und Implikationen für die allgemeinbildenden Schulen. Lengerich: Pabst Science Publishers.<br />

Waters, V., Schwartz, D., Gravemeier, R., Grünke, M. (2003). Fritzchen Flunder und Nora Nachtigall. Bern:<br />

Huber.<br />

Weber, P. A., Steins, G., Brendgen, A., Haep, A. (2008). Entwicklung weiterführender Maßnahmen. In: Steins<br />

Gisela: Schule trotz Krankheit – Eine Evaluation von Unterricht mit kranken Kindern und Jugendlichen und<br />

Implikationen für die allgemeinbildenden Schulen (316-353). Lengerich: Pabst Science Publishers.<br />

Wertgen, A. (2009). Auf den Übergang kommt es an! Pädagogisch begleitet Schulrückführung als Angebot der<br />

Schule für Kranke für Schüler nach einem Psychiatrieaufenthalt. In: Zeitschrift für Heilpädagogik, 8, 308-319.<br />

Resilienz – Kinder widerstandsfähig machen<br />

Dr. Edith Wölfl<br />

Sonderschulrektorin, Wichern-Zentrum, München<br />

Defi nition<br />

Psychische Widerstandsfähigkeit<br />

gegenüber<br />

• biologischen,<br />

• psychologischen und<br />

• psycholsozialen Entwicklungsrisiken.<br />

Wichtigste Studien<br />

• Emmy Werner 1993: Entwicklung zwischen Risiko und Resilienz Kauai-Studie<br />

• Laucht et. al. 2000: Mannheimer Längsschnittstudie<br />

Risikofaktoren<br />

Risikofaktoren werden als krankheitsbegünstigende, risikoerhöhende und<br />

entwicklungshemmende Merkmale defi niert, von denen eine Ge fähr dung<br />

der gesunden Entwicklung des Kindes ausgeht.<br />

(Holtmann/Schmidt 2004 nach Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2009 S. 20)<br />

Primäre<br />

Vulnerabilitätsfaktoren<br />

• Prä-, peri- und postnatale Faktoren<br />

• Neuropsychologische Defi zite<br />

• Genetische Faktoren<br />

• Chronische Erkrankungen<br />

• Schwieriges Temperament<br />

• Frühes impulsives Verhalten<br />

• Geringe Fähigkeit zur Selbstregulation von Anspannung und<br />

Entspannung<br />

• Geringe kognitive Fähigkeiten<br />

Soziale Risikofaktoren<br />

• Niedriger sozioökonomischer Status<br />

• Armut<br />

• Migrationshintergrund bei niedrigem sozioökonomischem Status<br />

• Aversives Wohnumfeld<br />

• Kriminalität der Eltern<br />

• Obdachlosigkeit<br />

• Soziale Isolation der Familie<br />

• Mobbing /Ablehnung durch Gleichaltrige<br />

• Häufi ge Schulwechsel oder Umzüge<br />

Risikofaktoren in der Familie<br />

• Chronische Disharmonie<br />

• Elterliche Trennung/Scheidung<br />

• Alkohol-/Drogenmissbrauch der Eltern<br />

• Psychische Störungen oder Erkrankungen eines bzw. beider Elternteile<br />

• Chronische oder lang anhaltende schwere Erkrankung eines Elternteils<br />

• Niedriges Bildungsniveau der Eltern<br />

• Abwesenheit eines Elternteils/alleinerziehender Elternteil<br />

• Erziehungsdefi zite und ungünstige Erziehungspraktiken<br />

• Schwangerschaft der Mutter unter 18 Jahren<br />

• Unerwünschte Schwangerschaft<br />

• Geschwister mit einer Behinderung oder chronischen Erkrankung<br />

• Mehr als vier Geschwister<br />

Sehr schwere Risikofaktoren<br />

• Sexueller Missbrauch<br />

• Verlust eines nahen Familienangehörigen<br />

• Gewalt in der Familie gegenüber dem Kind<br />

• Gewalt der Eltern untereinander<br />

• Kriegs- oder Terrorerlebnisse, Flucht<br />

• Naturkatastrophen<br />

Wirkmechanismen<br />

• Anhäufung der Belastungen<br />

• Dauer der Belastungen<br />

• Alter und Entwicklungsstand des Kindes


76 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

77<br />

• Geschlechtsspezifische Aspekte<br />

• Subjektive Bewertung der Risikobelastung<br />

Schutzfaktoren<br />

Schutzfaktoren werden als Merkmale beschrieben, die das Auftreten einer<br />

psychischen Störung oder einer unangepassten Entwicklung verhindern<br />

oder abmildern sowie die Wahrscheinlichkeit einer positiven<br />

Entwicklung erhöhen.<br />

(Rutter 1990 nach Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2009, S. 27)<br />

Schutzfaktoren im Kind 1<br />

Babies<br />

• Positives Temperament<br />

• Hohes Antriebsniveau<br />

• Geselligkeit<br />

• Ausgeglichenheit<br />

III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

Kleinkinder<br />

• Unabhängigkeit<br />

• Fähigkeit, um Hilfe zu bitten<br />

• Fähigkeit, die Aufmerksamkeit abzulenken von schmerzlichen<br />

Erfahrungen, statt sie darauf hin zu lenken<br />

Schutzfaktoren im Kind 2<br />

Schulalter<br />

• Hohe Leistungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit<br />

• Kinder nutzen ihre Talente effektiv aus<br />

• Kinder haben spezielles Hobby<br />

• Intelligenz<br />

• Vielfalt von Stress reduzierenden Bewältigungsstrategien<br />

• Fähigkeit zu überlegen und zu planen<br />

• Überzeugung, Schicksal oder Lebenswelt positiv beeinflussen zu können<br />

• Fähigkeit, Zukunft realistisch zu planen<br />

• Kinder benutzen keine Geschlechterstereotypien, sondern sind zugleich<br />

selbstbewusst und fürsorglich, leistungsfähig und freundlich<br />

Schutzfaktoren in der Familie<br />

• Chance, eine enge Bindung zu mindestens einer Person aufzubauen<br />

• Entwicklung von grundlegendem Vertrauen am Anfang des Lebens<br />

• Abstand zwischen dem Erstgeborenen zum zweiten Kind mindestens<br />

zwei Jahre<br />

• Kompetenz der Mutter im Umgang mit dem Kleinkind - Feinfühligkeit<br />

• Bildungsniveau der Mutter<br />

• Finden von Ersatzeltern<br />

• Übernehmen der Sorge für ein jüngeres Geschwister oder Familienmitglieder,<br />

die krank oder behindert sind<br />

• Bei Jungen: klare Strukturen und Regeln<br />

• Bei Mädchen: Betonung der Unabhängigkeit zusammen mit der<br />

Unterstützung durch eine weibliche Bezugsperson<br />

• Religiöse Überzeugung<br />

Schutzfaktoren in der Umwelt<br />

• Kinder verlassen sich auf Verwandte, Freunde, Nachbarn, ältere<br />

Menschen<br />

• Verbindung zu Kindern aus stabilen Familien<br />

• Lieblingslehrer/in als positives Rollenmodell<br />

• Lehrkräfte, die die Kinder interessieren und herausfordern<br />

• Schule lindert den Stress des Elternhauses durch<br />

– Aktivitäten, die helfen, wichtige Erziehungs- und Berufsziele zu erreichen<br />

– Aktivitäten, die das kindliche Selbstgefühl stärken<br />

– Aktivitäten, die anderen Menschen in Not helfen.<br />

Förderfaktoren von Resilienz<br />

• Selbst- und Fremdwahrnehmung<br />

• Selbstregulation bzw. Selbststeuerung<br />

• Selbstwirksamkeit<br />

• Soziale Kompetenzen<br />

• Umgang mit Stress<br />

• Problemlösung<br />

Resilienzförderliche Haltungen<br />

• Klare, transparente und konsistente Regeln und Strukturen<br />

• Wertschätzendes Klima<br />

• Warmherzigkeit<br />

• Hoher, angemessener Leistungsstandard<br />

• Positive Verstärkung der Leistungen und der Anstrengungsbereitschaft<br />

des Kindes<br />

• Positive Freundschaftsbeziehungen<br />

• Basiskompetenzen z.B. Höflichkeit<br />

• Zusammenarbeit mit dem Elternhaus und andren sozialen Institutionen<br />

• Kompetente und fürsorgliche Erwachsene im Umfeld des Kindes<br />

• Vorhandensein prosozialer Werte und Normen in der Gesellschaft<br />

Literatur<br />

• Opp, Fingerle, Freytag (Hrsg.): Was Kinder stärkt. Erziehung zwischen Risiko und Resilienz, München 1999<br />

• Fröhlich-Gildhoff/Dörner/Rönnau: Prävention und Resilienzförderung in Kindertageseinrichtungen - PRiK<br />

München 2007<br />

• Zander: Armes Kind - starkes Kind? Die Chance der Resilienz Wiesbaden 2. Aufl. 2009<br />

• Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse: Resilienz München 2009<br />

Partnership with Education:<br />

What Value to Rehabilitation and Mental Health Services?<br />

Caleb Jones<br />

ABI & Spinal Rehab Liaison Teacher<br />

Hospital School Services, Perth, AUSTRALIA<br />

It is now well documented that collaborative practices increase effectiveness<br />

and efficiency in response to service needs (Miller & Ahmad, 2000).<br />

Hospital School Services (HSS) is one of four Statewide Specialist Services<br />

within the Department of Education Western Australia and provides<br />

teaching and education services to both government and private school<br />

students whose physical and/or mental health presents difficulties in<br />

accessing their regular education program and also facilitates their entry<br />

or return to a program that best meets their ongoing needs. For inpatients<br />

and outpatients with chronic health needs referred to HSS, liaison with<br />

schools and families promotes and supports consistent communication<br />

between student, family, school and health service. It also provides a<br />

bridge for the school to access the specialist knowledge of the health<br />

team and for that team in turn to better understand the challenges the<br />

students is facing in the regular school setting. The development of the<br />

‘Liaison Teacher’ role over the last decade has been the key conduit to<br />

facilitating this for many students with chronic illness in health settings<br />

across WA, including rehabilitation and mental health conditions. This<br />

presentation will describe the education services available to patients<br />

from rehabilitation and mental health services in Western Australia and<br />

give an example case study.<br />

HSS in Context<br />

To put Hospital School Services in context, Western Australia is a rapidly<br />

growing population of about 2.2 million people across a geographical<br />

expanse of approximately 5,500,000 km2 – an area covering the size of<br />

Western Europe. There is significant cultural diversity, living conditions<br />

and access to services from small rural and remote communities to<br />

large urban centres like the capital, Perth. The challenges in providing an<br />

effective, seamless service are therefore geographical and cultural. To<br />

ensure our services are cohesive across all contexts, we have adopted this<br />

credo. “When services are not integrated with a common goal, a common<br />

paradigm for understanding the social problems, a common language<br />

of how to work together, families and children fall prey to fragmented<br />

services and interagency debates about mandates and responsibilities”<br />

(Moretti, 1997).<br />

Development of HSS Liaison Services<br />

A defining moment in HSS’s development was the establishment of a<br />

Memorandum of Understanding (MOU) in 2005 between the Director<br />

Generals of both the Departments of Education and Health. This forged<br />

the way for greater inter-agency collaboration, the signing of Service<br />

Protocols between HSS and a wide range of WA Health Services (currently<br />

40+ programs in 20+ health sites statewide) and the inclusion of Liaison<br />

Teachers in many of the inter-disciplinary health teams in these hospitals<br />

and community CAMHS clinics. We now service an average of 4300<br />

students/year (40% primary, 60% secondary) and, as programs have<br />

shown evidence of their inherent value and been maintained, HSS staffing<br />

has increased now to 72 teaching and support staff (many part-time), with<br />

assistance from approximately 40 volunteers.<br />

Four HSS Outcomes and Evidence for Collaboration<br />

At HSS, we value most highly four outcomes in our work - providing a<br />

relevant educational program; collaborating with schools of long-term or<br />

chronically ill students; collaborating within inter-disciplinary teams and<br />

with other agencies to support educational, medical and psychosocial<br />

needs; and facilitating a student’s transition back to school or toward<br />

another study or career path. These goals have been considered and<br />

reinforced repeatedly by evidence gathered on effective collaboration by<br />

education services in health settings and are the basis for development of<br />

our liaison services. The references provided at the close of this transcript<br />

provide examples, but to note a few:<br />

• Closs & Norris (2001) found a positive educational outcome more likely<br />

for a chronically ill student when: partnerships existed, planning was<br />

conducted as early as possible, professional learning was conducted for<br />

enrolled school staff and the student’s enrolled school had a positive<br />

ethos to support the student.<br />

• Farrell & Harris (2003) highlighted five overarching themes for effective<br />

policy and practice as: mainstream ownership (for connection),<br />

collaboration (for consistency), flexibility (for practical solutions),<br />

responsiveness (for timely delivery & good process) and clarity (of roles<br />

& boundaries).<br />

• A Western Australian survey (Gardiner, 2006) followed these findings by<br />

asking teachers what they worried about when it came to students in their<br />

schools with chronic illness and teachers wanted: greater knowledge<br />

and understanding of the health condition and its impact, access to<br />

assistance in addressing the student’s changing health related needs<br />

and support from someone who understands the classroom context.<br />

• Most recently Payne & Valentine (<strong>2010</strong>), both accomplished<br />

paediatricians, acknowledged the importance of education staff in<br />

health teams by stating that “current models of interdisciplinary care<br />

should incorporate education staff as a matter of course.”<br />

Liaison Teacher Roles<br />

Liaison Teacher in Mental Health Teams<br />

The Liaison Teacher role is obviously very similar across all specialty<br />

health teams but some differences arise according to the nature of the<br />

conditions supported, so in the time available I will highlight two as<br />

examples. Liaison Teachers were piloted and established in several mental<br />

health settings/CAMHS teams after recommendations from a 2004 review<br />

of the Western Australian Education system and students with psychiatric<br />

disability. Within these specific teams they have been given the acronym<br />

CELT (CAMHS and Education Liaison Teacher).<br />

CELT Role<br />

The following define the role of a CELT:<br />

• Consultancy to CAMHS clinicians on educational matters<br />

• Direct consultation to government & private schools for students who<br />

are “active” clients with CAMHS and have signed parental consent for<br />

CELT support<br />

• Liaise with schools and ‘Student Services’ teams regarding individual<br />

students<br />

• Broker professional learning with health clinicians for schools and<br />

district education offices<br />

• Make educational assessment in collaboration with CAMHS & through<br />

liaison with school & regional services<br />

• Offer generalist mental health advice, including classroom observation<br />

& modelling<br />

• Facilitate a student’s transition planning<br />

• Support schools with funding applications for Severe Mental Disorder<br />

• Help schools understand how CAMHS services work<br />

• Facilitate flexible service delivery by clinicians.<br />

The CELT role has now expanded into CAMHS teams state-wide in<br />

response to the extremely positive feedback received from the health<br />

and education sectors through various evaluations. For example, one<br />

Consultant Psychiatrist commented that ‘it functions as an extremely<br />

useful and beneficial service to help coordinated management in what<br />

is an extremely complicated overlap between Education and Health.’<br />

Most recently Grant Wheatley, Principal Hospital School Services, was<br />

recipient of the <strong>2010</strong> University of Western Australia Dr Mark Rooney<br />

Award for “Improved Outcomes in Child and Youth Mental Health”. This<br />

recognised him as a driving force behind initiatives like CELT services and<br />

demonstrates that these projects have led to improvements not only in the<br />

way the education sector manages students with mental health problems,<br />

but has significantly enhanced the collaboration between these sectors.<br />

Liaison Teacher in Rehabilitation Teams<br />

The Acquired Brain Injury (ABI) and Spinal Rehabilitation Teams also have<br />

well established Liaison Teacher roles in their inter-disciplinary health<br />

teams, who work closely with Consultants, Liaison Nurses, Allied Health,<br />

Clinical Psychology and Community Mental Health Nurses. These Liaison<br />

Teachers follow the Rehabilitation Team principles of being: holistic &<br />

child/family centred, evidence based with intervention, working towards<br />

meaningful, objective and functional goals within the neurocognitive rehab<br />

approach and aiming to minimise complications of the condition while<br />

maximising access, independence and transition to school/community.<br />

The most common conditions of young people in the Rehab Teams are<br />

either congenital (eg Spinal Dysraphism) or acquired (eg brain and spinal<br />

injuries from accidents, tumours or infections etc). The long term clinical<br />

pathway after referral for a young person is always underpinned by support<br />

for the family, the school and any transitions, as seen in this model:v<br />

Referral<br />

PMH<br />

inpatient/outpatient<br />

Introduction<br />

to service<br />

Team<br />

assessment<br />

Rehabilitation<br />

planning and<br />

goal setting<br />

Rehab Service Model<br />

I ntensive<br />

inpatient<br />

rehabilitation<br />

Well defined clinical pathway<br />

Hospital based<br />

outpatient<br />

rehabilitation<br />

Transition<br />

to adult<br />

services<br />

Community based<br />

rehabilitation<br />

Home based<br />

rehabilitation<br />

Hospital School services - Liaison Teacher<br />

Family Support School Support Rehabilitation Review Transition<br />

Psychosocial team - Community Mental Health Nurse<br />

Common Factors to Consider at School<br />

As the brain and spine are essential to so many aspects of functioning<br />

there are many factors a young person might experience and that a<br />

Liaison Teacher would assist the student and school with. Each individual<br />

is different but may involve:<br />

• Cognitive impairment - intellectual, new learning, executive function,<br />

processing speed, poor attention & memory, impulsivity & perseveration<br />

• Physical & functional impairment - toileting and continence, gross & fine<br />

motor weakness effecting ADLs like mobilising, fatigue, writing, meals<br />

and socialisation<br />

• Communication & language difficulties<br />

• Personality and behavioural change<br />

• Higher risk of mental health issues<br />

• Direct impact on the family, their education and future career pathways.<br />

School Considerations for Students with an ABI<br />

The following is some information to better understand ABI and the school<br />

considerations a Liaison Teacher assists with:<br />

• An ABI is Australia’s leading cause of acquired disability and death in<br />

childhood and adolescence, approx 1:650 young people<br />

• Incidence peaks twice, less than 5yrs and during adolescence with more<br />

males than females (Khan et al, 2003)<br />

• Outcomes of an ABI are very complex and heterogenous with potential<br />

contributors being the injury severity & location, age at injury, pre-injury<br />

social & mental health, environmental and family factors and access to<br />

rehab services<br />

• A 5 year review of HSS data for moderate to severe ABI students showed<br />

approx 50% of children required educational assistance (EA in class or in


78 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

79<br />

SEN/ES unit) to manage school participation<br />

• Survivors of an ABI experience numerous “invisible” disabilities that<br />

many people won’t recognise (McLure & Abbott, 2009) (Hawley, 2004).<br />

School Considerations for Students with Spinal Conditions<br />

The following is some information to better understand Spinal conditions<br />

and the school considerations a Liaison Teacher assists with:<br />

• Frequently have Neurogenic Bladder &/or Bowel (nerve supply interrupted<br />

through trauma or congenital abnormality) requiring management at<br />

school. Failure to empty brings significant renal complications so the<br />

aim is to prevent complications & achieve social continence, in turn<br />

minimising accidents & bullying. School management includes planning<br />

toilet routines, catheterisation, EA support and working towards<br />

independence.<br />

• Use of various equipment to maximise mobility (wheelchair, walker, AFOs).<br />

• Verbal communication is usually considerably higher than their actual literacy.<br />

• Overall intelligence is usually in low average range eg 75% IQ < 80.<br />

(McLone, 1992).<br />

Rehab Liaison Teacher Role<br />

The role of a Rehab Liaison Teacher is primarily to ensure participation in<br />

a student’s enrolled school despite the impact of their health condition.<br />

Before any intervention, the most important requirement is to gain signed<br />

consent from the parents/carer for exchange of information on school<br />

related issues. This allows them to maintain confidentiality while keeping<br />

open and consistent communication between the parents, rehab team,<br />

school, regional office and other community agencies involved. The tasks<br />

a Liaison Teacher may be involved in are:<br />

• Provide closer links between health and education by offering access to<br />

specialist knowledge from the health team and assisting health teams to<br />

understand school and education processes<br />

• Attend case conferences & review meetings<br />

• Facilitate transition planning<br />

• Monitor long term student progress via school and hospital outpatient clinics<br />

• Facilitate professional learning for school staff<br />

• Provide documentation from health team eg medical diagnosis letter,<br />

therapy reports, neurocognitive assessment, teacher information booklets<br />

• Assist school in planning & accessing funding (from Education or<br />

Insurance organisations)<br />

• Consider equipment or assistive technology needs<br />

• Clarify young person’s physical activity capabilities and limits on high<br />

risk sport<br />

• Offer the school practical strategies to apply in each context such as:<br />

a gradual increase in attendance/workload during transitions, allowing<br />

time between classes to leave early or arrive late, provision for small rest<br />

breaks as needed for fatigue, use of a ‘buddy system’, change of seating<br />

arrangements and involvement of an Education Assistant (for mobilising<br />

& transfers, toileting, hygiene, organisation, help to summarise learning,<br />

scribe for longer tasks and to assist with books/bag/equipment).<br />

Rehabilitation Case Study<br />

III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

This case study outlines the journey of a rehabilitation patient. It provides<br />

an example of how the support of a Liaison Teacher assists young people<br />

with chronic health conditions to experience as much school normality as<br />

possible and access the best possible educational opportunities in their<br />

enrolled school.<br />

Background of young person - TC<br />

• 13 yrs old, Yr9 student, ‘average’, active, good social network but hx of<br />

bullying<br />

• Family - Mother (PA) & Father (fly in/fly out mining), 16yo sister<br />

• Lives ~30km from Perth centre and hospital<br />

• Accident - passenger in off-road motorbike accident on his birthday<br />

• Emergency - CPR, severe (GCS 3), ambulance to hospital.<br />

• ICU - 2/52 in coma/intubated/ventilated/NG tube fed<br />

• Resulting diagnosis<br />

– Severe Traumatic Brain Injury (ABI)<br />

– Pulmonary contusion<br />

– # spine at T3 stabilised<br />

– # R ribs & # R forearm<br />

– L Hemiparesis (left sided weakness)<br />

– L Hemianopia (limited vision complicates mobility/function).<br />

Inpatient Rehabilitation for TC<br />

• Transfer to ward and referral to team, later introduction of Liaison Teacher<br />

• Obtained signed parental consent to exchange information<br />

• Intense interdisciplinary rehab with daily school session included<br />

• Collaborate with therapists to coordinated inpatient teaching times<br />

• Initiate a link with enrolled school and request pre-injury questionnaire<br />

and outline of school program (to be modified for TC’s present<br />

capabilities)<br />

• Contribute to regular team meetings<br />

• Keep ongoing communication with school for understanding of student,<br />

family & health considerations<br />

• Suggest opportunities to foster peer connections through school<br />

• TC remained an inpatient for 10/52.<br />

Prior to Discharge from Hospital<br />

• Independent ADLs but needing assistance for transfers & mobilising<br />

• Could walk short distances with side assist and using K-walker<br />

• Wheelchair necessary for distance<br />

• L side blindness permanent (Hemianopia)<br />

• Fatigue and sometimes impulsive, resulting in falls<br />

• L hemi meant fine motor difficulties & ataxic gait<br />

• Changed hand dominance due to injury (learn use of R instead of L)<br />

• Communication difficulties (slurred speech and word finding)<br />

• Poor executive functioning (organising himself through day)<br />

• He was very insightful into effects of injury and the social implications/bullying<br />

• This resulted in increased anxiety about school return and some school refusal<br />

• Mother also experienced anxiety and had expectations of school.<br />

TC’s Transition to School<br />

• Meeting to plan discharge from inpatient stay<br />

• Arranged short period of home teaching (~2/52) till school more<br />

prepared<br />

• Facilitated school visit for OT to report on accessibility of grounds<br />

• Arranged school case conference re: transition planning by school<br />

• Liaised with Vision Education Service & District’s inclusion team for input<br />

• Provided school with documentation from health team including medical<br />

diagnosis letter, school info booklet (condition, symptoms and advice)<br />

and therapy recommendations<br />

• Assist school with their health care plans, IEP’s and funding applications<br />

for EA<br />

• Guided teachers & EA on strategies eg assisting with mobility/transfers,<br />

compensatory strategies in the classroom<br />

• Linked staff to related professional learning<br />

• Directed school on level of physical activity he could participate in<br />

• Arranged TC a first school visit, only a few peers/teachers for gradual<br />

exposure<br />

• Conducted class talk to peers prior to TC’s return so they knew what to<br />

expect and could be supportive environment<br />

• Rehearse school/social scenarios with TC to prepare for entry<br />

• First day attending, I was present at school to ‘pep talk’ with TC and give<br />

classroom support/modeling where needed<br />

• Coordinated timetabling between hospital therapy and school as<br />

attendance stepped up<br />

• Regular communication with parents and school to ensure all happy<br />

• Repeated school visit coming weeks of transition to ‘trouble shoot’ &<br />

encourage TC’s success/engagement<br />

• Over time TC no longer needed wheelchair/walker, gained more independence<br />

• Reduced school visits to periodical.<br />

Support Continued Through Outpatient (OP) Rehabilitation<br />

• Monitored progress in OP clinic and contact with school<br />

• Relay academic/social/emotional/mobility progress to health team<br />

• Attended periodic school review meetings<br />

• School allowed TC continued support from student services as required<br />

• As additional supervision ceased, initiated buddy system with suitable peers<br />

• Neurocognitive assessment conducted @ 12mths post injury, so ensured<br />

school had access to this valuable information<br />

• Provided school with regular health/therapy progress<br />

• Assisted school with modifying TC’s program & funding reviews<br />

• School awarded TC an achievement award for his courage and<br />

determination<br />

• TC managing better in academic subjects<br />

• Shifted EA priorities to subjects with high writing & practical demands<br />

• Issues between family and school arose over time through<br />

misunderstanding of health progress etc so mediated resolutions,<br />

consulted Rehab Team as needed<br />

• Work placement opportunities arose (bricklaying, mechanics) – asked<br />

OT to assess function & processing skills to reassure school he could<br />

participate<br />

• Changed to community based therapy, so ensured they were linked to<br />

school<br />

• Recommended parents apply for Ronald McDonald Learning Program<br />

(RMLP)<br />

• Guided school on government’s special examination arrangements<br />

• Provided TC with guidance on education, training and career pathways<br />

TC Today, 2 Years Later<br />

• Full time school participation<br />

• Has been able to maximise his rehab & health outcomes<br />

• Has regained much of his adolescent independence<br />

• Maintained and built positive social relationships<br />

• Has good attitude towards school<br />

• Recently completed Yr10 studies<br />

• Is preparing to engage in work/training pathways<br />

Case Study Summary: Collaboration - What Worked Well?<br />

This case study demonstrates how the intervention of a liaison service<br />

leads to very positive outcomes for students not necessarily achievable<br />

otherwise. It is noteworthy that the Liaison Teacher ensured mutual<br />

understanding between the education and health contexts through<br />

free flowing information and prompt, supportive & flexible interagency<br />

responses. TC and his family felt supported during pivotal transition<br />

periods, enabling them to overcome unfamiliar obstacles. Another factor<br />

of success was that the school kept ownership of TC as their student and<br />

also identified a case manager at school to monitor & report issues to<br />

Rehab Team through HSS. This meant the school were able to receive<br />

valuable documentation and access support to formulate and implement<br />

effective plans for TC. Finally, it was very important that the health team<br />

recognised school as an important setting for TC to achieve his long term<br />

rehabilitation goals and the Liaison Teacher could help communicate this<br />

sense of value as well as useful strategies to the school.<br />

Conclusion: HSS Model of Collaborative Service Delivery<br />

Evaluation of HSS in 2008 reinforced that the service effectively supports<br />

schools, such that students can continue to attend/participate in their school<br />

program (Bauer, Crosby, Hughes & Sharp - 2008). Feedback received has<br />

highlighted the importance of collaboration in reaching our desired outcomes.<br />

One health professional who has worked closely with HSS commented that,<br />

“every time HSS is involved, this supports a successful outcome. We all share<br />

a philosophy of the value of education; the school is the biggest resource we<br />

have in terms of trying to make changes.”<br />

For More Information<br />

References<br />

1. Bauer, B., Crosby, I., Hughes, L. & Sharp, A. (2008). Evaluating Hospital School Services‘ collaborative<br />

model of service delivery. Special Education Perspectives, 17 (2), 57-76.<br />

2. Closs, A., Stead, J., Arshad, R., Norris, C. (2001). School peer relationships of ‘minority’ children in<br />

Scotland. Child Care Health and Development, Blackwell-Synergy.<br />

3. Farrell, P. & Harris, K. (2003). Access to Education for Children with Medical Needs - A Map of Best<br />

Practice. Faculty of Education University of Manchester.<br />

4. Gardiner, J. (2006) School staff perceptions of the impact of chronic illness: A survey of staff attending<br />

professional development sessions. Unpublished Quality Improvement Report, Princess Margaret Hospital<br />

for Children, Western Australia.<br />

5. Hawley, C., Ward, A., Magnay, A. & Long, J. (2004). Outcomes following childhood head injury: a population<br />

study. Journal of Neurology Neurosurgery and Psychiatry, 75 (5), 737-742.<br />

6. Khan, F., Baguley, I. & Cameron, I. (2003). Rehabilitation after traumatic brain injury. MJA, 178, 290-295.<br />

7. McClure, J. & Abbott, J. (2009). How Normative Information Shapes Attributions for the Actions of Persons<br />

with Traumatic Brain Injury. Brain Impairment, 10 (2), 180-187.<br />

8. McLone, D. G. (1992). Continuing concepts in the management of Spina Bifida. Ped Neurosurg, 18, 254-256.<br />

9. Miller, C. & Ahmad, Y. (2000). Collaboration and partnership: an effective response to complexity and<br />

fragmentation or solution built on sand? Int. Journal of Sociology & Social Policy, 20(5-6), 1-38.<br />

10. Moretti, M., Emmrys, C., Grisenko, N., Holland, R., Moore, K., Shamsie, J. et al (1997). The treatment of<br />

conduct disorder: Perspectives from across Canada. Canadian Journal of Psychiatry, 42(6), 637-648.<br />

11. Olson, A., Seidler, A., Goodman, D., Gaelic, S. & Nordgren, R. (2004). School Professionals‘ Perceptions<br />

About the Impact of Chronic Illness in the Classroom. Arch Ped Adol Med, 158(1), 53-58.<br />

12. Payne, D. & Valentine, J. (<strong>2010</strong>). Putting Adolescent Health at the Heart of Pediatrics. Journal of Pediatrics,<br />

157 (4), 524-526.<br />

Kollegiales Team Coaching – KTC<br />

Bernhard Ruppert<br />

2. Sonderschulkonrektor, Schule für Kranke, München<br />

Coach, Schulentwickler<br />

Kollegiales Teamcoaching kann ein wirkungsvolles Instrument zur<br />

Reflexion der Arbeit im Kollegium einer Schule für Kranke sein.<br />

KTC sollte unter der Anleitung eines (externen) Moderators durchgeführt<br />

werden.<br />

1. Rollen im Kollegialen Team Coaching<br />

Für das KTC ist eine Gruppe von fünf bis acht Personen erforderlich.<br />

Folgende Rollen sind zu vergeben:<br />

• AkteurIn (Fallgeber/in)<br />

• Coaches<br />

• Schreiber und Coach<br />

• Moderator und Coach<br />

• Prozessbeobachter und Coach<br />

1.1 Der Akteur<br />

• bringt „seinen Fall“ ein<br />

• schildert seine persönliche Arbeitssituation<br />

• beschreibt, was gelungen/nicht gelungen ist<br />

• beschreibt seine Beziehungen zu den Personen seiner Situation<br />

• beschreibt Ziele, Hoffnungen, Ängste und Zweifel<br />

• spricht in „Ich-Form“<br />

1.2. Der Moderator<br />

• leitet die Gruppe am methodischen Modell<br />

• spricht Konflikte und Störungen an<br />

• lässt jeden zu Wort kommen<br />

• achtet auf die zeitliche Struktur<br />

• ist auch Coach<br />

• sorgt für ein wertschätzendes offenes Klima<br />

1.3. Die Coaches<br />

• sind verantwortlich für den Coachingprozess. Grundhaltung: Vertrauen<br />

und Wertschätzung<br />

• spiegeln ihre Wahrnehmung, emotionale Reaktionen und ihren ersten<br />

Eindruck, nachdem der Akteur die Situation geschildert hat<br />

• fokussieren ihre unmittelbare Wahrnehmung: Was zeigt sich im Bericht/<br />

im Verhalten des Akteurs, welche Gedanken und Bilder werden beim<br />

einzelnen Coach ausgelöst?<br />

• stellen Verständnis- und Klärungsfragen<br />

• liefern in der Ideenwerkstatt Entwicklungsideen<br />

1.4. Der Schreiber<br />

• hält Eindrücke, Gefühle, Ideen der Coaches in Stichworten oder<br />

Symbolen fest<br />

• er tut dies, ohne sie zu verfälschen oder nach seiner Meinung zu<br />

verändern<br />

• sorgt für die Aufnahme aller Aspekte und visualisiert die Konferenz der<br />

Coaches und die der Ideenwerkstatt<br />

1.5. Prozessbeobachter und Coach<br />

• gibt am Ende Feedback zur Prozessdynamik.


80 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

81<br />

2. Ablaufschema KTC (60 Minuten)<br />

10<br />

5<br />

10<br />

5<br />

III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

10<br />

15<br />

5<br />

Präsentation des<br />

Anliegens (Bericht,<br />

Darstellung durch den<br />

Akteur)<br />

Klärende Rückfragen<br />

Konferenz der Coaches<br />

Formulieren des<br />

Schlüsselthemas<br />

Ideenwerkstatt /<br />

Lösungsbrainstorming<br />

Prozessreflexion<br />

(Prozessbeobachter<br />

berichtet)<br />

Feedback des Akteurs<br />

3. Arbeitsschritte im KTC<br />

• Akteur präsentiert sein Szenario, die Gruppe fragt nach (keine<br />

Interpretationen oder suggestive Fragen!)<br />

• Konferenz der Coaches (Akteur sitzt außerhalb der Gruppe, hört zu!)<br />

Coaches sammeln Eindrücke, Assoziationen, Phantasien, Gedanken,<br />

Gefühle<br />

• Coaches stellen evtl. Klärungsfragen an Akteur.<br />

• Coaches entwickeln das Schlüsselthema<br />

• Ideenwerkstatt: Die Coaches sammeln Ideen im Brainstorming<br />

• Feedback des Prozessbeobachters<br />

• Akteur entwickelt seine persönliche Maßnahme<br />

3.1. Das Schlüsselthema<br />

• gibt die zentrale Entwicklungsrichtung für den Akteur an<br />

• ist der Hebel für eine gezielte Veränderung der Person und ihres Systems<br />

• ist mit einer Vision verbunden<br />

• ist positiv, pointiert, entwicklungsorientiert und erreichbar, ermutigend<br />

und herausfordernd, knapp und treffend<br />

• hat oft eine metaphorische Aussage<br />

• wird in der Ideenwerkstatt durch Konkretisieren näher ausgeführt<br />

4. KTC-Zyklus als Raumfolge<br />

• Unmittelbare Wahrnehmung der Situation – Problemraum “Entdeckung<br />

des Neuen“, „Unsicherheit und Faszination“<br />

• Resonanzraum<br />

Die Coaches spiegeln Eindrücke, Gefühle, Gedanken, Bilder<br />

• Lösungsraum<br />

Entwickeln eines Schlüsselthemas<br />

Sammeln von Entwicklungsideen<br />

Definieren der Maßnahmen<br />

• Handlungsraum<br />

Praxisphase: Versuch & Irrtum, Entwicklung einer neuen Situation<br />

Kollegiales Team Coaching – KTC<br />

nach: Prof. Dr. Wilfried Schley, Universität Zürich<br />

Prof. Dr. Michael Schratz, Universität Innsbruck<br />

Cooperation between hospital teachers and home school teachers.<br />

Grete Buck Aulin<br />

Hospital Teacher and Marte Meo Pedagogue. SWEDEN<br />

The background for my work with home school teachers<br />

I am a hospital teacher in a psychiatric consultation for Children and<br />

Youth, called BUP, in Sweden. The following is a common problem for<br />

school staff that asks for consultation.<br />

Teachers complain about students having disturbing behavior at school,<br />

feeling that these students don’t want to work and that they are lazy. That<br />

might be true for some children who have reached the age where they find<br />

other friends they want to be with and other activities they want to do. But<br />

some children not only disturb the lessons at school, they have problems<br />

in the playground as well. The other children refuse to let them join in their<br />

play because they know that these children will even destroy their games<br />

as well as the lessons.<br />

Skills children need to succeed in life<br />

A six year old child who wants to play with other children, must be able to<br />

be socially attentive in following the initiatives of other children. The child<br />

has to name his own initiatives and to be able to take turns. He has to<br />

have social behavioural models as well as adequate cooperation skills and<br />

he has to be able to concentrate. These skills and also other skills such<br />

as solving problems and sufficient language to express himself as well as<br />

having ideas for playing and working, are necessary in order to make good<br />

connections with others. There are some children that don’t have these<br />

skills and they all get behavioural problems at school. This behaviour also<br />

affects the learning situation for the child.<br />

We all want to join the group, the society in which we live. And we all want<br />

to learn to be a part of the society. The children who don’t know how<br />

to behave together with their peers have difficulties in many situations<br />

and are at risk for psychiatric disorders. In other words the child with<br />

developmental problems in basic communication skills needs support in<br />

order to continue developing well.<br />

The Marte Meo Method<br />

As a Marte Meo pedagogue as well as a hospital teacher, I can help these<br />

children in their own environment, at school. The Marte Meo method<br />

helps the school staff to understand the child and support the child in his<br />

development.<br />

I take up a five to ten minute film session in order to analyse the interaction<br />

between student and teacher. After each film session I have a<br />

review session. The use of the video camera allows the teacher to view<br />

the child step by step in a way that’s impossible in real life. In the view<br />

session I give the teacher “homework” in supporting communication using<br />

the Marte Meo Principles. You can read more about the method at http://<br />

www.martemeo.com/site/index.cfm.<br />

My workshop<br />

In my work-shop, I will show you some films from my work in school. We<br />

are going to follow two or three boys that have gone through the Marte<br />

Meo Programme. I will tell you a little about each child and his back ground<br />

at home and also his school history. Using the film sequences, I can show<br />

you how the child interacts with others and what he needs to work on in<br />

order to continue to develop well.<br />

I have taken several films of the boys in order to give review sessions<br />

showing the school staff how to continue working with the Marte Meo<br />

principles. I will show you some of the sessions so that you can see and<br />

follow the work the school staff has done. The best part of filming is that<br />

it makes it possible to stop time, to look step by step at what’s going on<br />

in the interaction. That makes it possible for you to be able to see film<br />

sequences where the child is developing his connecting skills.<br />

The child’s development<br />

The child’s needs and stage of development is in focus in stead of the age of<br />

the child. The adult can support the child who can have different problems<br />

such as language difficulties, autism, ADHD and conduct disorders. The<br />

question is not why the child does not have the skills, but how to help the<br />

child to develop his connection skills.<br />

The teachers’ development<br />

It is nice also to follow the development of the school staff. Their skills are<br />

increasing and they have a more professional way of interacting with the<br />

child after they have been working with Marte Meo. The teachers change<br />

the interpretation of the child’s behaviour from “he disturbs and is lazy” to<br />

“today he looked at me when I named his initiatives and he realized what he<br />

had to do!” The teachers go from been a victim of the child’s behaviour to<br />

being the professional leader of the action in the classroom.<br />

The teachers in my films have different education. You will be able to follow<br />

teachers who have been unaware how they react on the child’s initiatives<br />

to connect. They also realize that it is important to approach and handle<br />

situations with a different perspective and less negative actions.<br />

In my films I have other teachers who work in a special school for children<br />

with behavioural disorders. These teachers are very familiar with the<br />

impotence of their own interacting with the children and the importance of<br />

structure in their work. They know how to be a positive leader who creates<br />

a good atmosphere and emotional connections at school.<br />

I am glad that I can show you how one of them supports a child in the<br />

playground so that he can be part of the group, helping him how to follow<br />

the initiatives of the other children.<br />

Even this teacher needs the help of the video and the Marte Meo principles.<br />

You can follow her effort to help this child in a couple of sequences from<br />

films I have taken during the lessons.<br />

Photos and video recordings during the workshop<br />

It is obvious that it’s impossible to show the films’ sequences from school<br />

work and at the same time let the persons in the film stay anonymous.<br />

I am so glad that the parents of the children and their teachers have<br />

given me permission to show you the films. As one parent said: “I wish<br />

all teachers could learn how to help children with behavioral disorders to<br />

develop well, but I don’t want to find films of my child on the Internet.”<br />

Projektbeschreibung „Warteschleife“<br />

Edith Ramminger<br />

Sonderschullehrerin, Schule für Kranke, Tübingen<br />

Kranke Kinder in der Schule, e.V.<br />

Die Mitglieder des Vereins „Kranke Kinder in der Schule“ sind mehr heitlich<br />

LehrerInnen der Schule für Kranke am Universitätsklinikum Tübingen.<br />

Ziel des Vereins ist es im Arbeitsfeld Pädagogik bei Krankheit dort<br />

initiativ zu werden, wo es im Sinne von kranken Kindern und Jugendlichen<br />

Unterstützungsbedarf in Aus- und Fortbildung, Schule und beim Übergang<br />

Schule und Klinik gibt.<br />

Beschreibung des Projektes „Warteschleife“:<br />

„Warteschleife“ bedeutet, dass ein Schulkind mit festgestelltem psychiatrischem<br />

Behandlungsbedarf nicht sofort in die Klinik aufgenommen<br />

werden kann, weil dort nicht genügend Kapazität vorhanden ist. Das<br />

heißt, das Schulkind wartet zurzeit nicht selten 4 bis 6 Monate auf einen<br />

stationären oder teilstationären Therapieplatz.<br />

In dieser Wartezeit, wir nennen sie „Warteschleife“, brauchen die meisten<br />

dieser Schulkinder und nicht zuletzt ihre Heimatschule Unterstützung in<br />

mehrfacher Hinsicht:<br />

• Bis die Kinder und Jugendlichen die Zusage für eine teilstationäre<br />

oder stationäre Klinikaufnahme erhalten, geraten Schulkinder mit<br />

psychiatrischem Behandlungsbedarf auch in der Schule oftmals in<br />

krisenhafte Situationen.<br />

• Nach der Zusage auf einen Therapieplatz, also während dieser Wartezeit<br />

(„Warteschleife“) verschlimmern sich häufig die Symptome der Patienten<br />

auch in der Schule. Diese Symptome lassen sich beispielsweise<br />

beschreiben als dissoziales, aggressives Verhalten, stark ausgeprägte<br />

Verweigerungshaltung, Lernstörungen, Störungen der Emotionen mit<br />

depressiven und ängstlichen Tendenzen, Schulabsentismus….<br />

• Für Schule und Schulkind ist diese Wartezeit ohne unterstützende<br />

Angebote von Schulamt, Jugendhilfe, Sozialamt nicht selten die befürchtete<br />

Katastrophe: das Schulkind ist im Unterricht überfordert; für die<br />

Klasse ist dieses allein gelassene Schulkind dann eine Zumutung;<br />

mö g licher weise muss es krank geschrieben werden, dann erhält es<br />

Hausunterricht.<br />

• Wir Kliniklehrer halten in diesen Fällen Hausunterricht meistens nicht<br />

für eine geeignete Unterstützungsmaßnahme. Weil Hausunterricht<br />

bedeutet, dass der Unterricht nicht im Klassenverbund stattfindet,<br />

erlebt sich das das Schulkind als ausgeschlossen im schlimmsten Fall als<br />

ausgestoßen von der Schulgemeinschaft, keine günstige Voraussetzung<br />

für den Behandlungsbeginn.<br />

Mit dem Wissen um diese Problematik hat der Verein „Kranke Kinder in der<br />

Schule, e.V.“ in Zusammenarbeit mit der Schule für Kranke seit eineinhalb<br />

Jahren an ausgesuchten Grundschulen das Projekt „Warteschleife“<br />

entwickelt und organisiert.<br />

Bisherige Entwicklung des Projektes:<br />

• Im Sommer 2009 begannen wir mit der Projektphase. Seitdem hat der<br />

Verein sechs Schulkinder und ihre Schulen unterstützt.<br />

• Es gibt einen aktuellen Bedarf im SSA Tübingen von etwa 5 Kindern in<br />

der Warteschleife mit steigender Tendenz.<br />

• Leider gibt es zurzeit von öffentlicher Seite (RP, Kultusbürokratie,<br />

Jugendamt) keine finanzielle Unterstützung für dieses von der<br />

Fachöffentlichkeit hochgeschätzte Projekt.<br />

• In Zusammenarbeit mit der Fakultät Sonderpädagogik der Pädagogischen<br />

Hochschule wurde erreicht, dass für Studierende der<br />

Sonderschullehrerausbildung dieses Arbeitsfeld ab 2011/12 als<br />

Handlungsfeld in der Prüfungsordnung festgeschrieben wird.<br />

Voraussetzung und Durchführung<br />

• Voraussetzung ist, dass die Schule grundsätzlich bereit ist, den<br />

kranken Schüler auch nach dem Klinikaufenthalt wieder in die Klasse<br />

aufzunehmen, auch wenn sich im Behandlungsverlauf herausstellen<br />

sollte, dass ein Schulwechsel für das Kind förderlich ist.<br />

• Eine Schulbegleitung wird als hilfreich für Schule und Schüler<br />

eingeschätzt. Der Sonderpädagogische Dienst der Schule für Kranke<br />

steht zur Beratung zur Verfügung.<br />

• Ein runder Tisch mit Eltern/ Schule/ Sonderpädagogischem Dienst<br />

entscheidet über Umfang und Gestaltung der Unterstützung.<br />

• Die Eltern und das kranke Schulkind sind mit dem Vorhaben<br />

einverstanden<br />

• Eine kompetente Person (Studierende der Sonderpädagogik oder<br />

der Erziehungswissenschaft) wird für die Überbrückungszeit bis zur<br />

Klinikaufnahme mit einem Werksvertrag für 8 bis 12 Stunden in der<br />

Woche vom Verein „Kranke Kinder in der Schule, e.V.“ angestellt.<br />

(Unfallschutz übernimmt die Schule).<br />

• Die Schulbegleitung unterstützt das Schulkind im Unterricht und schützt<br />

es in Absprache mit dem/der Lehrer/in in Überforderungssituationen.<br />

Für den Klassenlehrer ist die Schulbegleitung eine Unterstützung.<br />

Regelmäßige Besprechungen und Anleitung werden vom<br />

Sonderpädagogischen Dienst der Schule für Kranke oder einer Fachkraft,<br />

finanziert vom Verein „Kranke Kinder in der Schule“ angeboten.<br />

Ziele:<br />

• Das Kind soll erleben, dass es Hilfe erhält. Es erfährt, dass sein<br />

Wohlbefinden im Interesse der Schule liegt und Krankheit keinen Grund<br />

für schulische Ausgrenzung darstellt.<br />

• Die Schule wird in ihren Bemühungen, das Schulkind zu integrieren,<br />

unterstützt.<br />

• Die Schulbegleitung begünstigst therapeutische Erfolge und erleichtert<br />

den Einstieg in den teilstationären bzw. stationären Klinikaufenthalt.<br />

Zusammenfassung und Ausblick<br />

In zwei Jahren wird aller Voraussicht nach ein Teil der kranken Schulkinder<br />

in der Warteschleife von Studierenden der Fakultät für Sonderpädagogik<br />

der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg betreut werden können. Die<br />

Anzahl der Schulbegleiter/innen, die bezahlt werden müssen, wird sich<br />

voraussichtlich verringern.<br />

Bis dahin wird sich die Schullandschaft durch den Inklusionsanspruch<br />

verändert haben. Schulbegleitung wird vermutlich zum Schulalltag<br />

gehören. Unseren Beitrag zur Inklusion können wir mit der Entwicklung<br />

und Dokumentation von inklusionsfördernden Strukturen in der Schule<br />

leisten.<br />

Die Besonderheit des Projektes „Warteschleife“: es ist eine zeitlich<br />

begrenzte Schulbegleitung in Krisensituationen.<br />

To be or not to be<br />

Prof. Dr. Michele Noterdaeme<br />

Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie,<br />

Josefinum, Augsburg<br />

„Since 1938, there have come to our attention a number of children<br />

whose condition differs so markedly and uniquely from anything reported<br />

so far, that each case merits a detailed consideration of its fascinating


82 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

83<br />

peculiarities.“<br />

Leo Kanner, Autistic disturbances of affective contact 1943<br />

Developmental Disorders<br />

• Onset during infancy or early childhood<br />

• Impairment or delay in the development of functions that are strongly<br />

related to biological maturation of the central nervous system<br />

• Steady course, without remissions and relapses<br />

Pervasive Developmental Disorders<br />

• Qualitative abnormalities in reciprocal social interactions<br />

• Qualitative abnormalities in language and communication<br />

• Restricted, stereotyped and repetitive patterns of behaviour and<br />

interests.<br />

Joint attention<br />

It is at around 1 year of age that infants for the fi rst time begin to look<br />

where adults are looking fl exibly and reliably, use adults as social<br />

reference points, and act on objects in the way adults are acting on<br />

them. At around this same age, infants also begin actively to direct adult<br />

attention to outside entities using intentionally communicative gestures;<br />

this achievement is soon followed by the acquisition of skills of lin- guistic<br />

communication. What all these skills have in common is that they involve<br />

the referential triangle of child, adult, and some third event or entity to<br />

which the participants share attention.<br />

Mundy et al. 1998, 2003, Paparella 2004<br />

Classifi cation of ASD<br />

• F 84.0 Childhood autism<br />

• F 84.5 Asperger‘s syndrom<br />

• F 84.1 Atypical autism<br />

• F84.9 pervasive Developmental disorder not otherwise specifi ed(PDD-<br />

NOS)<br />

Epidemiology<br />

• Meta-analysis 34 studies PDD prevalence<br />

• Median age: 8 years Fombonne 2005, J Clin Psychiatry<br />

Not a rare disease<br />

III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

Age at diagnosis Kanner-Asperger<br />

Early recognition ASD<br />

• 1999 (UK) Autism 5.5 years Asperger 11 years<br />

• 2002 (USA) Autism 6.3 years<br />

• 2005 (UK) Asperger > 3. years<br />

• 2006 (CH) Autism 6 - 4.5 - 6 years<br />

• Noterdaeme (G) Autism 6.1 years<br />

Asperger 9.3 years<br />

Childhood autism social interaction<br />

1. failure to use eye to eye gaze, facial expression, body psoture and<br />

gesture to regulate social interaction<br />

2. failure to develop peer relationships that involve a mutual sharing of<br />

interests, activities and emotions<br />

3. Lack of socio-emotional reciporcity, as shown by deviant response to<br />

other‘s people emotions; a lack of modulation of behaviour according<br />

to social context ar a weak integration of social, emotional and<br />

communicative behaviours<br />

4. Lack of spontaneousl seeking to share enjoyment interests or<br />

achievements with other people (a lack of showing, bringing or pointing<br />

Childhood autism communication<br />

1. A delay in, a total lack of,development of spoken language that is not<br />

accompanied by an attempt to compensate through the use of gesture<br />

or mime as an alternative mode of communication<br />

2. Relative failure to initiate or sustain conversational interchange (at<br />

whatever level of language skills are present), in which there is recipocral<br />

responsiveness to the communication of the other person<br />

3. Stereotyped and repetitive use of language or idiosyncratic use of<br />

words and phrases<br />

4. Lack of varied spontaneous make believe or social imitative play<br />

Leo Kanner<br />

„Words to him had a specifi cally literal, infl exible meaning“<br />

Hans Asperger<br />

„Immer kommt uns bei den autistischen Psychopathen die Sprache<br />

abartig vor. Einmal ist die Stimme auffallend leise und fern, einmal geht sie<br />

monoton dahin, ist ein leierndes Singsang. Oder aber die Sprache<br />

ist übertrieben moduliert, wirkt wie schlechte Deklamation.“<br />

„Und noch eins: sie richtet sich nicht an einen Angesprochenen, sondern<br />

ist gleichsam in den leeren Raum hineingeredet“<br />

Leo Kanner<br />

„As far as the communicative functions of speech are concerned, there is<br />

no difference between the eight speaking and the three mute children.“<br />

„Thus, from the start, language – which the children did not use for the<br />

purpose of communication – was defl ected in a considerable measure<br />

to a selfsuffi cient, semantically and conversationally valueless or grossly<br />

distorted memory exercise.“<br />

Hans Asperger<br />

„Hört man den Burschen reden, so ist man überrascht, wie klug es aus<br />

ihm tönt. Auch beim Sprechen wahrt er seine unbewegliche Würde, redet<br />

langsam, fast skandierend, voll Einsicht und Überlegenheit. Er gebraucht<br />

öfters ungewöhnliche Wörter, manchmal aus der dichterischen Sprache,<br />

manchmal in ungewöhnlichen Zusammensetzungen.“<br />

Childhood autism RRB<br />

1. An encompassing preoccupation with one or more stereotyped and<br />

restricted patterns of interest that are abnormal in content or focus;<br />

or one or more interests that are abnormal in their intensity and<br />

circumscribed nature, though not in their content or focus<br />

2. Apparently compulsive adherence to specifi c, non -functional routines<br />

or rituals<br />

3. Stereotped and repetitive motor mannerisms that involve either hand or<br />

fi nger fl apping or twisting, or complex whole-body movements<br />

4. Preoccupations with part-objects or non-functional elements of play<br />

materials (such as odour, the feel of their surfaces, or the noise or<br />

vibration that they generate.<br />

Course<br />

Age at diagnosis: 7 years<br />

Age at FU: 29 years<br />

IQ >50<br />

IMPAIRMENT<br />

• SELF SUPPORT<br />

• OCCUPATION<br />

• FRIENDSHIP<br />

• PARTNER<br />

Howlin, Goode, Hutton, Rutter 2004 J Child Psychology and Psychiatry<br />

Psychopathologie CBCL<br />

ADHS<br />

• Aufmerksamkeitsdefi zit<br />

- Hyperaktivitätsstörung (DSM-IV)<br />

- Unaufmerksamer Subtyp<br />

- Hyperaktiv-impulsiver Subtyp<br />

- Kombinierter Subtyp<br />

• 3-Monats-Prävalenz aller Subtypen: 28% (Simonoff et al., 2008)<br />

– 10-14 Jahre alt; populationsbasiert; N=255<br />

• Punktprävalenz aller Subtypen: 30% (Leyfer et al.,2006)<br />

– 5-17 Jahre alt; Klinikstichprobe; N=109<br />

– Unaufmerksamer Subtyp: 20%<br />

ADHS<br />

• Methylphenidat – Evidenzgrad II (RUPP 2005; Posey et al., 2007; Jahromi et al., 2009)<br />

– N=72, 5-14 Jahre; ASD + Hyperaktivität; „mittlere“ Dosis = 0,25 mg/kg<br />

KG am besten, 3x täglich<br />

• Dtl. Verbesserung der Hyperaktivität<br />

• Aber: geringerer Effekt bei ADHS<br />

• 49% Responder; 18% Abbruchrate wg. Nebenwirkungen<br />

• NW: Appetitminderung, Schlafprobleme, gesteigerte Irritabilität<br />

– N=66 (Subgruppe)<br />

• Besserer Effekt auf Hyperaktivität/Impulsivität als auf Unaufmerksamkeit;<br />

hier Dosierung bis 0,5 mg/kg KG<br />

– N=33 (Subgruppe)<br />

• Verbesserung der gemeinsamen Aufmerksamkeit, der Selbstregulation<br />

und der affektiven Regulation<br />

Angst- und Zwangsstörungen<br />

• Häufi ge Komorbidität bei ASD (Leyfer et al., 2006; Simonoff et al., 2008)<br />

– Zwangsstörungen: ca. 35%<br />

• DD: Zwangsstörung – stereotypes Verhalten<br />

– Angststörungen: insbes. Spezifi sche Phobien; zusammen ca. 45%<br />

• Medikation<br />

– CY-BOCS: Risperidon – Evidenzgrad I (Cochrane review Jesner et al., 2007)<br />

– SSRI: Citalopram, Fluoxetin untersucht<br />

• Kein (!) Effekt auf stereotypes und zwängliches Verhalten<br />

• Steigerung (!) der „Irritabilität“ (King et al. 2009; Hollander et al., 2005)<br />

• Bei HFA/Asperger-Syndrom<br />

– Kognitive Verhaltenstherapie bei Angststörungen (Evidenzgrad II)<br />

(Sofronoff et al., 2005; Wood et al., 2009)<br />

Zwangsstörungen Symptome<br />

• Zwangshandlungen waschen, kontrollieren, wiederholen, ordnen, oft in<br />

Form von komplexen Zwangsritualen.<br />

• Zwangsgedanken umschriebene Befürchtungen (vor Krankheit oder Tod,<br />

Urin, Kot und anderen ekelbesetzten Stoffen, Schmutz, Chemikalien,<br />

Bakterien).<br />

• Fragezwänge, Zwangsfl uchen und Zwangsschimpfen.<br />

Depressive Episoden<br />

• Komorbidität bei HFA/Asperger-Syndrom im Jugend und Erwachsenenalter<br />

(Leyfer et al., 2006; Simonoff et al., 2008; Sierlin et al., 2008)<br />

• Medikation<br />

– Evidenzgrad III


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

84 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

85<br />

• Mirtazapin (Posey et al., 2001)<br />

• Verbesserung depressiver Symptome, Schlafstörung und Irritabilität<br />

• Bisher keine randomisiert-kontrollierte Studie<br />

– SSRI nicht bzgl. Dep. Untersucht, aber keine Verbesserung des CGI-I<br />

(King et al., 2009; Hollander et al., 2005)<br />

• Psychotherapie<br />

– Keine Studien zu kognitiver Einzel-VT oder Gruppentherapie<br />

Zusammenfassung<br />

• Angststörungen: sehr häufige Komorbidität<br />

• SSRI: nicht evaluiert, aber sehr wahrscheinlich nicht wirksam<br />

– Bei ASD und IQ > 80; kognitive Verhaltenstherapie in der Gruppe<br />

• Zwangssymptome; ggf. Zwangsstörungen<br />

– Risperidon (Evidenzgrad I)<br />

– Nicht (): SSRI (Evidenzgrad II)<br />

• Depressive Episode/depressive Symptome<br />

– Studienlage unzureichend<br />

– Mirtazapin: Evidenzgrad III<br />

– SSRI: sehr wahrscheinlich nicht wirksam<br />

– Psychotherapie: nicht untersucht<br />

Empirisch gut abgesicherte und anerkannt wirksame Verfahren<br />

Verhaltenstherapeutische Verfahren und Therapieprogramme, auch im<br />

Rahmen von Frühförderprogrammen (Lovaas, 1987, Koegel et al., 2001)<br />

Psychoedukative Programme wie TEACCH (Mesibov, 1997)<br />

Medikation für Begleitsymptome (McCracken, 2005, Poustka & Poustka, 2007)<br />

Empirisch mäßig abgesicherte Verfahren, aber potentiell wirksam<br />

Training der sozialen Kompetenz, auch anhand von Theory of Mind<br />

Trainings, Social Stories oder gruppentherapeutischen Angeboten<br />

(Gray, 2000, Baron-Cohen, 2004, Herbrecht & Poustka, 2007)<br />

Empirisch nicht abgesichert, aber potentiell wirksam<br />

Ergotherapie, Physiotherapie, Reittherapie, vor allem wenn in die<br />

Behandlungseinheiten lerntheoretische Elemente eingebaut werden<br />

Zweifelhafte Methoden ohne empirische Absicherung und ohne<br />

wissenschaftlich fundierten Hintergrund<br />

Festhaltetherapie, Diäten, Vitamine, Mineralstoffe, Sekretin, auditives<br />

Integrationstraining, Irlen-Therapie, Facilitated Communication (FC),<br />

Affolter, Delacato<br />

Was erschwert das Lernen?<br />

• Erkennen: Was ist jetzt wichtig?<br />

• Umstellen auf neue Anforderungen<br />

• Erhöhte Ablenkbarkeit<br />

• Handlungsorganisation/Schritte einhalten /Zeitliche Verknüpfung<br />

• Schwierigkeiten in der räumlichen Orientierung<br />

• Eindeutigkeit/Mehrdeutigkeit der Sprache<br />

• Entscheidungen treffen, die eine eigene Einschätzung erfordern<br />

Perspektivenwechsel - positiv<br />

Autistische Kinder :<br />

• Stehen Regelhaftigkeiten positiv gegenüber<br />

• Nehmen Dinge sehr genau<br />

• Haben einen Blick für Details<br />

• Nehmen Bemerkungen genau<br />

• Lieben Wiederholungen<br />

• Können auf intensive Zuwendung verzichten<br />

• Können sich intensiv mit einer Sache befassen<br />

• Können sich Dinge lange merken<br />

• Wissen meistens, was ihnen wirklich Spaß macht<br />

Perspektivenwechsel - negativ<br />

Autistische Kinder mögen es nicht wenn:<br />

• Der Lehrer ist krank<br />

• Heute ist etwas Besonderes los<br />

• Sucht euch einen Partner<br />

• Wir machen heute mal was ganz anderes<br />

• Wir machen einen Ausflug<br />

• Wir feiern ein Fest<br />

• Wir/Du sind/bist eingeladen<br />

• Ich habe eine Überraschung für dich<br />

• Du darfst aussuchen<br />

• Ihr dürft malen, was ihr wollt<br />

• Gleich sind wir fertig<br />

TEACCH<br />

Treatment and Education of Autistic and related<br />

Communication handicapped CHildren<br />

1. Anpassung der Umwelt<br />

2. Steigerung der individuellen Fähigkeiten<br />

Schopler 1997, Mesiboc 1997, Panerai et al. 1997, Ozonoff et al. 1998 Mesibov et al. 1997<br />

TEACCH-Programm<br />

• Enstehung im Rahmen eines Forschungsprojekts an der University of<br />

North-Carolina (1964)<br />

• Eric Schopler und Robert Reichler gründen TEACCH (1972)<br />

• Kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung und Weiterentwicklung<br />

des Programms<br />

Zentrale Begriffe bei TEACCH<br />

• Strukturierung<br />

• Strukturierung des Raumes<br />

• Strukturierung der Zeit<br />

• Strukturierung der Arbeit/Aufgaben<br />

• Strukturierung von Material<br />

• Aufbau von Routinen als Strukturhilfen<br />

• Visualisierung<br />

Vorteile von TEACCH<br />

• Kein Dogma/ Integrativer Ansatz<br />

• Bekanntes wird systematisiert<br />

• Kein stures Training<br />

• Individuell einsetz- und veränderbar<br />

• Alltagstauglichkeit ist gut<br />

• Auch andere Kinder profitieren davon<br />

• Ermöglicht Integration<br />

Ebenen der Strukturierung<br />

• Strukturierung des Raumes<br />

• Strukturierung der Zeit<br />

• Strukturierung der Arbeit/Aufgaben<br />

• Strukturierung von Material<br />

• Aufbau von Routinen als Strukturhilfen<br />

Struktur des Raums<br />

• Übersichtlichkeit<br />

• Bereiche kennzeichnen<br />

• Begrifflichkeiten klären<br />

• Feste Zuweisungen für Aktivitäten<br />

(Hilfsmittel: Klebeband, Teppichfliesen, Fotos, Schilder, Klebepunkte,<br />

Farbkarten,..)<br />

Struktur der Zeit<br />

• Visuelle Darbietung von Abfolgen von Ereignissen (Symbole, Wörter,<br />

Zeichnungen)<br />

• „Überschaubarkeit“ muss individuell festgelegt werden ( vom Tagesplan<br />

zum Jahresplan)<br />

• Handhabung des Plans durch Kontrolle und Überprüfung (Abhaken,<br />

Klammern, Abreissen)<br />

• S ichtbarkeit an der Wand, in der Hand, am Platz)<br />

Strukturierung der Arbeit/Aufgaben<br />

• Ziel: Möglichst selbständige Durchführung von Tätigkeiten im Sinne der<br />

Bewältigung eines Arbeitspensums/ einer Aufgabe<br />

• Etablierung von „Arbeitssystemen“ Bsp: Arbeitskiste/ Fertigkiste<br />

Symbol oder Auftragskarten Karteikasten, Aufgabenliste, Was ist zu tun?<br />

Wieviel ist zu tun? Wann bin ich fertig? Was kommt danach?<br />

DSM-V Task force<br />

• Autismus-Spektrum-Störung keine Differenzierung mehr zwischen<br />

Autismus, Asperger<br />

- Syndrom, atypischem Autismus, PDD-NOS<br />

• Soziale Kommunikation & Stereotypes Interesse & Verhalten nicht mehr<br />

drei Verhaltensbereiche<br />

• Separate Schweregradeinschätzungen für beide Bereiche<br />

• ggf. Sprache, Regression, Komorbidität als zusätzliche Codes<br />

Was wirkt wirklich?<br />

• Strukturierte Therapien<br />

– Klar definierte Nahziele, Absprache Eltern<br />

– Soziale Kommunikation<br />

– Eigenständigkeit<br />

– Motivation und Eigeninitiative berücksichtigen<br />

– Generalisierung<br />

• Anpassung im Entwicklungsverlauf<br />

• Behandlung der Begleitsymptome<br />

Lerngang Klinikum<br />

Wolfgang Huber<br />

Sonderschulrektor an der Schule für Kranke, Ludwigsburg<br />

Maria Schmidt<br />

Realschullehrerin an der Schule für Kranke, Ludwigsburg<br />

Komitee Mitglied für <strong>HOPE</strong> Sektion Deutschland<br />

Der Lerngang Klinikum wird seit vielen Jahren an der Schule für Kranke<br />

Ludwigsburg ca. 8-mal im Jahr durchgeführt. Zu jedem Termin wird eine<br />

Schulklasse aus dem Einzugsbereich der SfK eingeladen, um einen Tag lang<br />

das Krankenhaus hinter den Kulissen zu erkunden und dabei die Vielfalt der<br />

Berufe im Krankenhaus kennenzulernen (z.B. Laboranten, Telefontechniker,<br />

Haushaltsfachkräfte, IT-Fachleute, Fachpflegekräfte, Elek triker,<br />

Physiotherapeuten, usw.). Die Schüler lernen das Krankenhaus als einen der<br />

großen Arbeitgeber unseres Landkreises kennen, haben die Gelegenheit,<br />

persönlich mit vielen Personen unterschiedlicher Berufe und Tätigkeiten zu<br />

sprechen. Gleichzeitig haben die jungen Leute dabei die Chance, falsche<br />

Vorstellungen zu korrigieren oder mögliche Ängste abzubauen.<br />

Wenn die Schüler morgens ankommen, werden sie in Gruppen zu je vier<br />

aufgeteilt. Jede Gruppe erhält individuelle Wegbeschreibungen, Zeitpläne<br />

und andere Unterlagen. Dann machen sie sich auf den Weg z.B. zur<br />

Notaufnahme, der Neugeborenenstation, der Buchhaltung, der Reparatur-<br />

Werkstatt, den Operationssälen, usw. Bei jeder Anlaufstelle nehmen sie<br />

Kontakt auf zu einer bestimmten Verbindungsperson.<br />

Am Ende des Tages werden in einer gemeinsamen Abschlussrunde<br />

die Erfahrungen und Eindrücke zusammengetragen und den anderen<br />

präsentiert. Eine Vertreterin der Personalabteilung ist anwesend und<br />

beantwortet Fragen nach Schulabschlüssen, Lehrstellen, Berufs laufbahn,<br />

Praktikantenstellen.<br />

Der Tag wird an der Stammschule vor- und nachbereitet, z.B. auch in<br />

Rollenspielen zu Verhalten, Kommunikations- und Präsentations techniken.<br />

Das Projekt kann den folgenden Zielen dienen für die Schüler:<br />

• Abbau von Ängsten in Bezug auf das Krankenhaus;<br />

• Das Krankenhaus hinter den Kulissen kennenlernen;<br />

• Berufserkundung für 14 - 16-jährige Schüler;<br />

• Kontaktaufnahme bezüglich möglicher Praktikantenstellen;<br />

• Einüben von Kommunikations- und Präsentationstechniken;<br />

und für unsere Schule:<br />

• PR für unser Krankenhaus und unsere Schule;<br />

• Stärkung der Kooperation mit den Schulen unseres Einzugsbereichs;<br />

• Vernetzung mit Stationen und Abteilungen in der Klinik.<br />

Project Hospital-School-Home<br />

Collaboration between Monza hospital school and the local<br />

school – Evaluation of a multiyear experience<br />

Flavia Tarquini<br />

Hospital Teacher - Istituto Comprensivo Salvo D’Acquisto<br />

Scuola in Ospedale Monza, ITALY<br />

Angela Passoni<br />

Hospital Teacher - Istituto Comprensivo Salvo D’Acquisto<br />

Scuola in Ospedale Monza, ITALY<br />

Silvia Pertici<br />

Assistente Sociale - Comitato Maria Letizia Verga,<br />

Ospedale San Gerardo, Monza, ITALY<br />

Fondazione Monza Brianza per il Bambino e la sua Mamma<br />

Ospedale San Gerardo Monza, ITALY<br />

One of the main aims of the Hospital School is to help children in hospital<br />

to keep in touch with their own local schools as well as with everyday life.<br />

The Monza hospital school is part of a group of 65 Italian hospitals<br />

included in HSH@Network Project provided by the State Ministry of Edu -<br />

cation. The HSH-Monza project allows children hospitalized in Monza<br />

Pediatric Haematology Unit to collaborate online with some classes of the<br />

local Elisa Sala Junior High School in order to develop multidisciplinary<br />

projects by videoconference.<br />

Since 2001/2002, Junior High School students taking part to the project<br />

have been requested to fill in a form to evaluate teaching objectives and<br />

the emotional impact of the experience.<br />

The aim of our contribution is to present the evaluation method and the<br />

results of a multiyear monitoring and to reflect on the deep meaning of the<br />

collaboration between the local territory and the hospital.<br />

Evaluation method<br />

• The evaluation has been carried out by giving Junior High School<br />

students open answers questionnaries about previous knowledge of<br />

the hospital school, evaluation of the use of the project: didactic and<br />

educational value, personal feelings about the participation<br />

• The data have been analysed and discussed by the operators to test and<br />

redefine the project<br />

Results<br />

According to the answers given by the Junior High School students, the<br />

videoconference has proved very useful to get a better knowledge of the<br />

hospital school.<br />

The experience of collaboration with the hospital school children has been<br />

considered a very positive one, both for its educational aspect and for its<br />

relational impact.<br />

Conclusions<br />

Junior High School students, while just sitting at their own school desks,<br />

have been offered the opportunity to enter the hospital classroom, to<br />

learn something about the everyday life in hospital, to get in touch with<br />

ill children and teenagers, to cooperate and to work in a condition of<br />

equality, overcoming together difficulties and fears. The project has been<br />

an important occasion to test how a situation of difficulty can become<br />

an opportunity of integration and growth for the participants. When the<br />

hospitalized students are ready to go back to their local schools, the<br />

products made together not only represent their individual’s experience,<br />

but also a concrete contribution to share with other people.<br />

Parents as Partners<br />

Tanja Becan<br />

Headteacher Ledina Hospital School, Ljubljana, SLOVENIA<br />

We’ll focus on<br />

• the need for cooperation between the parents and teachers,<br />

• the prospects for successful cooperation between the parents and<br />

teachers,


86 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

87<br />

• the possibility of parental non-participation,<br />

• the alternatives when we, the teachers, cannot do anything.<br />

PETER’S STORY<br />

Cooperation between parents and teachers of a sick child is necessary for<br />

effective teaching and child’s inclusion.<br />

Cooperation involving the doctor or multidisciplinary team on each ward<br />

is also necessary.<br />

PARENTS - TEACHER – DOCTOR, INTERDISCIPLINARY TEAM<br />

Good cooperation between parents and teachers requires the<br />

following:<br />

Teachers should:<br />

• respect the sick child,<br />

• understand the sick child,<br />

• respect the parents of the sick child,<br />

• understand what the sick child’s parents think and experience.<br />

Parents should:<br />

• love, understand and respect their child,<br />

• respect the teachers,<br />

• understand what the sick child‘s teachers think and experience.<br />

Teachers and parents should:<br />

• listen (not only talk) to each other,<br />

• establish a relationship of mutual trust,<br />

• cooperate towards a common goal – the child‘s best interests.<br />

PARENTS AND TEACHERS AS PARTNERS<br />

CHILD’S BEST INTERESTS<br />

What does it mean to work for child’s best interests?<br />

What should a teacher know about the parents of a sick child?<br />

The sick child’s parents deal with issues the average parent doesn’t have<br />

to deal with:<br />

• They worry about their child’s health.<br />

• They worry about their child’s life.<br />

• They worry about their child’s future.<br />

• They feel fear.<br />

• They face trying to accept their child’s illness and go through denial,<br />

anger, bargaining, and fi nally acceptance.<br />

• They face the stress of additional obligations, including travelling to and<br />

from the hospital for regular visits.<br />

• They are burdened with guilt.<br />

• They are burdened fi nancially.<br />

• They struggle with keeping their family life and partnership intact.<br />

What should a teacher know about the parents of a sick child?<br />

o LOVE<br />

o CONCERN FOR THE CHILD<br />

o FEAR<br />

o WORRIES<br />

What should parents need to know about the teacher of their sick child?<br />

The teacher:<br />

• worries about the sick pupil’s life and well-being,<br />

• cares about teaching the sick pupil in the most effective way possible,<br />

• cares about teaching the sick pupil in a way that would not cause any<br />

further illness,<br />

• worries that the teaching tasks will not be fulfi lled.<br />

o CONCERN FOR THE PUPIL<br />

o DEVOTION/LOVE<br />

o FEARS<br />

o WORRIES<br />

III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

What should parents/teachers know about their sick child/pupil? S 15<br />

The sick child wants, like any child, to be diligent and successful.<br />

The sick child did not choose to have a serious disease.<br />

The sick child wants to be healthy, just like any other child.<br />

The sick pupil does not want special treatment.<br />

The sick child cares about their parents and doesn’t want them to worry.<br />

The sick child may be afraid of having no friends.<br />

The sick child may fear not being able to live with the disease.<br />

o BE THE NORMAL CHILD<br />

o LOVE<br />

o CONCERN<br />

o FEAR<br />

o WORRIES<br />

Parents of a sick child usually fi nd it diffi cult to believe and trust other<br />

people in terms of caring for their child.<br />

They often believe that only they themselves know what is best for their<br />

child.<br />

We need to obtain the confi dence of a sick child’s parents.<br />

TRUST - JOINT COOPERATION<br />

How does a teacher gain the confi dence of parents?<br />

Confi dence is gained by:<br />

• Understanding the child’s and parents’ feelings.<br />

• Respecting and observing the parents.<br />

• Respecting and appreciating their child.<br />

• Demonstrating a responsible attitude toward the school work.<br />

• Demonstrating a devoted relationship to their child.<br />

Sharing a teaching plan for their child that is:<br />

• clear<br />

• transparent<br />

• appropriate<br />

• useful<br />

• realistic<br />

• Demonstrating a competent knowledge base.<br />

• Demonstrating that the child’s best interests are being kept foremost<br />

in mind.<br />

WHAT WENT WRONG IN PETER’SSTORY?<br />

• The parents were not able to accept their son’s disease; because of their<br />

lack of acceptance, they remained angry at the entire world.<br />

• The parents’ inability to accept the son’s disease was compounded by<br />

their own health problems and partner relationship issues.<br />

• They were not able to see what was best for their child.<br />

FAIL TO SEETHE BEST INTEREST OF THEIR CHILD<br />

FAILURE<br />

Competence of a sick pupil’s teacher to accept the failure<br />

What can we do when we cannot do anything?<br />

• WAIT TILL THE RIGHT TIME COMES?<br />

• TRY T0 CONVINCE PARENTS?<br />

• TO PUT PRESSURE ON THE PARENTS?<br />

TO CONCLUDE<br />

• MUTUAL RESPECT BETWEEN PARENTS AND TEACHERS<br />

• MUTUAL TRUST<br />

• JOINED PARTICIPATION<br />

• CHILD’S BEST INTERESTS = PARTNER RELATIONSHIP BETWEEN<br />

PARENTS AND TEACHERS<br />

It is best if a man can say: ‘I did what I could and knew. I have a clear<br />

conscience.’ Honesty is the fact that you have for your profession suffi cient<br />

knowledge and cultural heart that you can perform for the benefi t of man.<br />

(Joze Plecnik)<br />

Is Peter‘s story my failure?<br />

Besuch der Klinikschule, Schule für Kranke München<br />

Standort: Kinderklinik München Schwabing<br />

Haunersches Kinderspital München<br />

Ulrike Kalmes<br />

Lehrerin, qual. Beratungslehrerin, Schule für Kranke München<br />

Bernhard Ruppert<br />

2. Sonderschulkonrektor, Schule für Kranke München<br />

Leitziele<br />

Wir stärken unsere Schülerinnen und Schüler in ihrer Persönlich keitsentwicklung<br />

zu einem selbst bestimmten Leben bei meist schwerer<br />

Krankheit.<br />

Wir fördern unsere Schülerinnen und Schüler nach den Anforderungen<br />

ihrer Herkunftsklassen und nach ihren persönlichen Möglichkeiten bei<br />

der Krankheit.<br />

Wir gestalten den Unterricht individuell abgestimmt auf die Bedürfnisse<br />

der Schülerinnen und Schüler bei der jeweiligen Erkrankung.<br />

Wir stützen unsere Schülerinnen und Schüler bei Krankheit, indem wir ihre<br />

Fähigkeiten fördern und ihre Defi zite ausgleichen.<br />

Wir tauschen uns für einen diagnosegeleiteten Unterricht regelmäßig mit<br />

den medizinischen Fachdiensten der Kliniken aus.<br />

Wir pfl egen nach erfolgter Schweigepfl ichtentbindung kontinuierlich Kontakt<br />

zu den Heimatschulen.<br />

Wir arbeiten nach Möglichkeit eng mit den Eltern und den jeweiligen<br />

Institutionen zusammen.<br />

Wir begleiten und beraten in allen Fragen der Pädagogik bei Krankheit.<br />

Wir verstehen uns als Team und arbeiten effektiv und kreativ zusammen.<br />

Standorte der Schule<br />

Der Unterricht fi ndet an folgenden 12 Standorten statt, die bis zu 20 km<br />

weit entfernt liegen:<br />

- Klinikum Bogenhausen, Städt. Klinikum München GmbH<br />

- Klinikum Dritter Orden, Kinderklinik<br />

- Klinikum der Universität München, Campus Großhadern<br />

- Städt. Klinikum München GmbH, Klinikum Harlaching, Klinik für Kinder-<br />

und Jugendmedizin<br />

- Dr. von Haunersches Kinderspital der Universität München, Kinderklinik<br />

und Poliklinik<br />

- Deutsches Herzzentrum München, TU, Klinik für Kinderkardiologie u.<br />

angeb. Herzfehler<br />

- Kinderzentrum München, Bezirk Oberbayern<br />

- Klinikum Rechts der Isar der TU München<br />

- Klinik und Poliklinik der Dermatologie und Allergologie am Biederstein,<br />

TU München<br />

- Kinderklinik und Poliklinik der TU München, Kinderklinik München-<br />

Schwabing<br />

- Münchner Waisenhaus<br />

Auftrag und Aufgaben<br />

Die Schule für Kranke in Bayern ist eine eigenständige Schulart (Bayerisches<br />

Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen, Bay EUG, Art.<br />

23), die 1984 gegründet wurde.<br />

Die Staatliche Schule für Kranke München unterrichtet Schülerinnen<br />

und Schüler während ihres stationären oder ambulanten Klinik- und<br />

Therapieaufenthaltes.<br />

Das schulische Konzept basiert auf der Schulordnung der Schulen für<br />

Kranke in Bayern (KraSO) und berücksichtigt die besonderen Aufgaben<br />

der Schule für Kranke München. Es erfordert im Sinne eines ganzheitlichen<br />

Therapiekonzepts eine enge Zusammenarbeit mit den Ärzten, Therapeuten<br />

und dem psychosozialen Team.<br />

Der Unterricht soll den Bildungsauftrag der Schule unter dem be-<br />

son deren Gesichtspunkt von Krankheit, Krankenhausaufenthalt und<br />

Erholungsbedürftigkeit erfüllen, möglichst den Anschluss an die<br />

Schulbildung gewährleisten, die Wiedereingliederung in den norma<br />

len Schulbetrieb vorbereiten, Befürchtungen, in den Leistungen<br />

zurückzubleiben, vermindern, von der Krankheit ablenken, den Heilungsprozess<br />

unterstützen, den Willen zur Genesung stärken und Gefahren für<br />

die seelische Entwicklung abwenden; er soll helfen, die Krankheit besser<br />

zu bewältigen, sich mit den Folgen auseinanderzusetzen und Rückfälle zu<br />

vermeiden. (nach KraSO 1999, §5)<br />

Profi l der Schule<br />

Die Staatliche Schule für Kranke München betreut etwa 1400<br />

schulpfl ichtige Kinder und Jugendliche im Jahr, die wegen einer längeren<br />

oder chronischen Erkrankung ihre Heimatschule voraussichtlich länger als<br />

sechs Wochen oder immer wiederkehrend nicht besuchen können.<br />

Die schulische Betreuung umfasst Unterricht in verschiedenen Fächern,<br />

Beratung von Schülerinnen und Schülern, deren Eltern und Geschwister,<br />

eine enge Zusammenarbeit mit den Kollegien der Heimatschulen und<br />

dem Hausunterricht und basiert auf einer engen Zusammenarbeit mit den<br />

Ärzten, Schwestern und den psychosozialen Diensten.<br />

Unser oberstes Gebot ist das kranke Kind in seiner Krankheit anzunehmen,<br />

es zu verstehen, zu fördern und zu begleiten. Als besondere pädagogische<br />

Aufgaben sehen wir die Auseinandersetzung mit der Krankheit, mit ihren<br />

Ängsten und beeinträchtigenden Behandlungen. Andererseits soll die<br />

Arbeit in der Schule auch von der Krankheit ablenken. Wir begleiten und<br />

beobachten das individuelle Lernen der Kinder und Jugendlichen bei ihrer<br />

Krankheit, vermitteln, wo nötig, spezifi sche Lernstrukturen und bieten<br />

stützende Maßnahmen für abweichendes Lernverhalten.<br />

Sehr intensive Bemühungen verwenden wir auf die Vermeidung von<br />

Nachteilen bei Krankheit. Dies betrifft den Umfang des geforderten<br />

Lernstoffs, die Leistungsnachweise aber auch die soziale Einbindung des<br />

kranken Kindes oder Jugendlichen.<br />

Der Unterricht richtet sich immer nach dem momentanen Befi nden,<br />

den individuellen Bedürfnissen und dem Leistungsstand der kranken<br />

Schülerinnen und Schüler. Er fi ndet einzeln oder in Gruppen statt. Seit<br />

Kurzem kann auch Videokonferenzunterricht gehalten werden, bei dem<br />

Schüler und Lehrer über das Internet (Notebook, Headset, Mikrofon,<br />

Dokumentenkamera) miteinander den Unterricht gestalten können.<br />

Das Ziel unserer Arbeit in der Schule ist immer die Integration der Kinder<br />

und Jugendlichen in ihr gewohntes Leben, das soziale Umfeld, den vor der<br />

Erkrankung erlebten Schulalltag, möglichst die<br />

„eigene“ Klasse. Dazu werden auch Heimatschulbesuche durchgeführt.<br />

Sollte die Erkrankung oder Behinderung eine Schullaufbahnänderung<br />

erfordern, bemühen wir uns diese den neuen Bedingungen des kranken<br />

Kindes entsprechend auszurichten und es dabei auch über den<br />

Krankhausaufenthalt hinaus zu begleiten.<br />

Krankheitsbilder<br />

darunter 170 Doppeldiagnosen<br />

Verteilung nach Schularten<br />

Etwa 1400 Schülerinnen und Schüler werden pro Jahr in der Schule für<br />

Kranke unterrichtet, diagnostiziert, beraten oder in ihrer Schullaufbahn in<br />

der allgemeinen Schule bei Krankheit begleitet.<br />

In den letzten Jahren ist durch den Anstieg der Patientenzahlen im Bereich<br />

Psychosomatik/Psychiatrie die Zahl der älteren Schülerinnen und Schüler<br />

gestiegen und ein deutlicher Zuwachs bei Gymnasiasten und Realschülern<br />

zu verzeichnen.


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

88 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

89<br />

Verteilung nach Wohnorten<br />

Das Einzugsgebiet umfasst Bayern, aber auch das gesamte Bundesgebiet,<br />

was sich mit Spezialkliniken sowie zwei Universitätskliniken in München<br />

begründen lässt.<br />

Einige Klinken haben mit verschiedenen europäischen Nachbarländern<br />

oder dem Nahen Osten besondere Behandlungsverträge, so dass auch<br />

einige Schülerinnen und Schüler z.B. aus Russland oder den arabischen<br />

Ländern den Unterricht besuchen.<br />

Schulleitung und Kollegium<br />

Die Staatliche Schule für Kranke München steht unter der Leitung von Frau<br />

Elisabeth Meixner-Mücke, Sonderschulrektorin. Ihr erster und zweiter<br />

Stellvertreter sind Herr Alto Merkt, Sonderschulkonrektor und Herr<br />

Bernhard Ruppert, 2. Sonderschulkonrektor.<br />

Das Kollegium besteht aus 23 Lehrkräften der Grund-, Haupt-, Förder- und<br />

Realschule sowie des Gymnasiums.<br />

Honorarlehrkräfte<br />

12 Honorarlehrkräfte, meist im Ruhestand, die aus dem Bereich der<br />

weiterführenden Schulen kommen, ergänzen die Arbeit des Kollegiums im<br />

Umfang von 30-40 Stunden pro Woche. Dies betrifft Fächer wie Latein,<br />

Griechisch, Spanisch, Italienisch, BWR oder Chemie. Die Finanzierung<br />

übernimmt der Förderverein Schule für Kranke.<br />

Individuelle Förderung im Rahmen eines projektorientierten<br />

Unterrichts an der Schule an der Heckscher-Klinik, Abt.<br />

Rottmannshöhe (KJP)<br />

Elisabeth Fuchsenberger<br />

Dipl. Pädagogin, Studienrätin im Förderschuldienst<br />

Schule an der Heckscher-Klinik, München Abt. Rottmannshöhe<br />

Mit einer Ambulanz und 42 vollstationären, offen geführten Behandlungsplätzen<br />

auf drei Stationen betreut die Abteilung Rott mannshöhe vorwiegend<br />

Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren mit Ess-Störungen, Psychosen,<br />

Angst- und Zwangserkrankungen und Depressionen.<br />

Die Jugendlichen sind in Ein-, Zwei- und Dreibettzimmern unter gebracht, die<br />

Stationen werden gemischtgeschlechtlich belegt. Als stationsübergreifende<br />

therapeutische Methoden werden Arbeits- und Beschäftigungstherapie,<br />

Musiktherapie, Kunsttherapie, Sport- und Bewegungstherapie angeboten.<br />

Die Jugendlichen erhalten regelmäßig Einzeltherapie und ein individuell<br />

abgestimmtes Programm von gruppentherapeutischen Verfahren. Die<br />

psychotherapeutischen Methoden sind vielfältig und schließen neben der<br />

im Vordergrund stehenden Verhaltenstherapie auch erlebnisorientierte<br />

und tiefen psychologische Maßnahmen mit ein. Regelmäßige Eltern- und<br />

Familien gespräche dienen der gegenseitigen Information, der Aufrechterhaltung<br />

der familiären Kontakte und der therapeutischen Be ar beitung<br />

von Beziehungsproblemen. Wenn es sinnvoll und hilfreich erscheint,<br />

werden auch psychopharmakologische Behandlungsmethoden eingesetzt.<br />

Das großzügige Anwesen oberhalb des Starnberger Sees bietet den<br />

jungen Patienten neben der Therapie umfangreiche Möglichkeiten zur<br />

Freizeitgestaltung wie z.B. Hallenbad, Sauna, Turnhalle, Gärtnerei,<br />

Sportgelände und Tennisplatz. Die Lehrer/innen der Schule an der<br />

Rott mannshöhe (vier Sonderschullehrer, eine Heilpädagogin, vier<br />

Gymnasiallehrer und eine Fachlehrerin für Handarbeit) unterrichten die<br />

noch schulpflichtigen Patienten in vier Lerngruppen (ca. 10 Jugendliche),<br />

die von den Sonderpädagogen geführt werden:<br />

Orientierungsklasse: hier werden Schüler/innen betreut, deren schulische<br />

Zukunft noch nicht eindeutig beschrieben werden kann und die den<br />

Unterricht nur stundenweise bewältigen können.<br />

Klasse 7/8: In dieser Lerngruppe sind Kinder der 7./und 8.Jahrgangsstufe<br />

aller Schularten.<br />

Klasse 9: Hier werden ebenfalls Jugendliche aller Schularten gemeinsam<br />

unterrichtet. In dieser Klasse ist der Qualifizierende Hauptschulabschluss<br />

am Ende eines Schuljahres möglich.<br />

Klasse 10+: Hier werden Jugendliche der 10. Klasse und die Jahrgangstufen<br />

darüber unterrichtet.<br />

Die Teilung in Lerngruppen erfolgt also nicht nach Schularten, sondern<br />

nach Jahrgangstufen und Entwicklungsstand der jungen Patienten. So<br />

kann es durchaus sein, dass ein Schüler der 8. Klasse gemeinsam mit den<br />

Neuntklasslern unterrichtet wird, wenn dieser eher dem Leistungs- und<br />

Entwicklungsstand dieser Jahrgangsstufe entspricht. Auch Jugendliche,<br />

die ihre Schulpflicht bereits erfüllt haben, deren kognitive und soziale<br />

Entwicklung aber, etwa im Rahmen einer Psychosebehandlung, beobachtet<br />

werden soll, können, wenn noch Kapazitäten frei sind, die Schule besuchen.<br />

Jede der an der Schule unterrichtenden Lehrkraft wird in jeder Lerngruppe<br />

eingesetzt, so dass jeder Lehrer jeden Schüler kennt. So<br />

können Lern- und Leistungsschwächen entdeckt und Lücken aufgefüllt<br />

werden. Eine umfassenden kollegiale Beobachtung und Besprechung<br />

des Jugendlichen ist auf diese Weise möglich, um dem Jugendlichen bei<br />

Schullaufbahnberatungen- evt. auch bei Schullaufbahnkorrekturen helfen<br />

zu können, damit er seine Schulzeit erfolgversprechend beenden kann.<br />

Verlässt ein Jugendlicher die Schule an der Rottmannshöhe, so geht er<br />

entweder sofort an seine Herkunftsschule zurück, oder er besucht von der<br />

Klinik aus eine Schule in der Umgebung. Dadurch ist er noch therapeutisch<br />

im Hause angebunden, kann aber bereits wieder einen normalen Schulalltag<br />

erleben. Wenn eine weitere Beschulung an den Herkunftsschulen nicht mehr<br />

möglich ist, wird evt. mit Hilfe des Sozialdienstes der Klinik, eine passende<br />

Schule oder Einrichtung für den Jugendlichen gesucht. Der Übergang an<br />

eine Nachfolgeeinrichtung wird von den Lehrkräften im Rahmen des<br />

sonderpädagogischen, mobilen Dienstes (MSD) bei Bedarf begleitet.<br />

Die unterschiedlichen Schullaufbahnen und Jahrgangsstufen unserer<br />

Schüler/innen machen eine Differenzierung und Individualisierung des<br />

Unterrichts dringend notwendig. In Projekten, die wir etwa sechsmal im<br />

Schuljahr durchführen, kann dieses Ziel verwirklicht werden.<br />

Die Schüler/innen kommen alle zusammen (dann hat die Lerngruppe<br />

etwa die Größe einer „normalen“ Schulklasse). Sodann werden sie mit<br />

dem Thema des Projekts bekannt gemacht, haben auch noch selbst<br />

die Möglichkeit, das Thema zu gestalten und evt. zu akzentuieren. In<br />

einzelnen, thematisch bestimmten Arbeitsgruppen bearbeiten sie nun mit<br />

unterschiedlichen Methoden und Arbeitsweisen gemeinsam das Thema<br />

der Gruppe. Je nach Fähigkeit und Können arbeiten sie individuell und doch<br />

gemeinsam an einer Thematik und präsentieren die Arbeitsergebnisse<br />

in der Gruppe. Die Projekte decken Themen aus den Lehrplänen der<br />

unterschiedlichen Schularten ab und es wird versucht, eine Schnittmenge<br />

aus den Lehrplänen zu gewinnen. So konnte z.B. das Projekt: „Deutschland<br />

im 20. Jahrhundert“ fächer- und jahrgangsübergreifend behandelt werden.<br />

Den Abschluss eines jeden Projektes bildet ein gemeinsames Erlebnis<br />

(Fest, Essen, Modenschau durch die Jahrhunderte, Ausflug, usw.)<br />

Die Nachhaltigkeit des Lernerfolgs und die positive oder negative<br />

Rückmeldung der Jugendlichen wird am Ende des Projektes, das etwa zwei<br />

Wochen dauert, durch einen Evaluationsbogen festgehalten.<br />

Auf diese Weise kann individuell auf den einzelnen Schüler eingegangen<br />

werden, seine Stärken betont, sein Schwächen bearbeitet und das<br />

Lernen in der Gruppe (Teamarbeit und Soziales Lernen, Stärkung des<br />

Selbstbewusstseins) gefördert werden. Benotung und Leistungsdruck gibt<br />

es bei dieser Art des Lernens nicht. Gerade für Patienten mit Schulphobie<br />

und sozialen Ängsten kann diese Methode die Freude am Lernen und an<br />

der Schule fördern und so zur allgemeinen Gesundung beitragen.<br />

Die Teilnehmer/innen des Workshops lernten nach einem Rundgang<br />

durch Schule und Klinik die spezielle Arbeitsweise der Schule kennen<br />

und bekamen durch umfangreiches Filmmaterial einen Eindruck von<br />

dem projektorientierten und individuellen Unterrichten am Standort<br />

Rottmannshöhe.<br />

Talk 2 me: - Migration und Sprache - Sprache als Instrument der<br />

Integration - Was tun bei Sprachstörungen ?<br />

Dr. med. Martin Sobanski<br />

Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie<br />

Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin<br />

Oberärztliche Leitung der Abteilung Sprach- und Entwicklungsstörungen,<br />

Heckscher-Klinikum<br />

Sprachliche Kommunikation ist ein wesentlicher Mediator interpersoneller<br />

Beziehungen. Störungen der Sprache wirken sich daher potentiell als<br />

Gefahr für die Integration von Menschen in ihrem Umfeld aus. Etwa<br />

5-7% aller Kinder sind von einer sog. Teilleistungsstörung im Bereich<br />

Sprache betroffen. Diese expressiven und rezeptiven Sprachstörungen<br />

gehören damit zu den häufigsten Entwicklungsstörungen. Bei genauer<br />

Diagnostik finden sich zudem regelmäßig neurokognitive Defizite,<br />

welche sich klinisch und im Schulalltag auswirken können. Auch bergen<br />

Sprachentwicklungsstörungen ein hohes Risiko für die Ausbildung<br />

psychia t rischer Störungen.<br />

Bis vor wenigen Jahren war die Forschung im Bereich der Sprachstörungen<br />

rein monolingual geprägt. Mehrsprachigkeit ist heute weltweit eher<br />

der Normal- als der Ausnahmefall. Globalisierung und zunehmende<br />

Migrationsbewegungen lassen dies auch in Deutschland deutlich werden.<br />

Dabei kann Mehrsprachigkeit als Risiko und als Chance betrachtet<br />

werden. Wie allerdings wirkt sich eine Sprachentwicklungsstörung bei<br />

Mehrsprachigkeit aus? Erkennen wir die spezifische Störung genau genug,<br />

um die Hochrisikogruppe ‚Sprachstörungen bei Mehrsprachigkeit‘ weder<br />

unter- noch überzudiagnostizieren?<br />

Die Ergebnisse der PISA-Studien in Deutschland zeigen eine Benachteiligung<br />

von Menschen mit Migrationshintergrund im Schulsystem. Kinder mit einer<br />

Sprachstörung sind mit einem zusätzlichen Integrationsrisiko behaftet.<br />

Das Impulsreferat wird schlaglichtartig die Themenkomplexe ‚Migration<br />

- Mehrsprachigkeit - Sprachentwicklungsstörung - psychiatrische<br />

Komorbidität und Prognose‘ beleuchten. Klinische Fallbeispiele sollen<br />

exemplarisch die Lebensumstände von betroffenen Kindern verdeutlichen.<br />

Im zweiten Teil des Workshops sind Diskussionsbeiträge zu den<br />

angesprochenen Themen erwünscht. Sehr willkommen sind zudem<br />

Berichte über die entsprechenden Versorgungsstrukturen in den<br />

Herkunftsländern der Workshopteilnehmer.<br />

(siehe Website: www.hope<strong>2010</strong>.eu)<br />

Child Life Programs<br />

Integrating the educational, recreational and emotional needs<br />

Olga Lizasoain<br />

Dpt. Of Education, Lecturer, University of Navarra. SPAIN<br />

S 2<br />

INTRODUCTION<br />

• This communication focuses on the American Child Life programs<br />

• designed to meet the educational and psychosocial needs of paediatric<br />

patients and their families generated as a result of hospitalization and<br />

illness<br />

S 3<br />

What is the purpose of my presentation?<br />

1. Through this communication is intended to show a specific pattern of<br />

action as a mean to inform and promote the work of European hospital<br />

teachers with the idea to push them go far<br />

2. To insist on the idea that together with academic activities and the<br />

school curriculum is essential to take into account recreational and<br />

emotional aspects, focusing on the specific situation of illness and<br />

hospitalization of the students, including family support<br />

3. And to stress that Hospital teachers must integrate all this in their role,<br />

always collaborating with all professionals involved in the care of young<br />

patients.<br />

S 4<br />

Objective of the Child Life programs<br />

In a general way, they have the goal of normalizing the life of young patients<br />

and their families basis on an environmental approach that involves health<br />

professionals, schools and the wider community.<br />

S 5<br />

More specifically, I will focus on five points of these programs:<br />

I Psychological intervention<br />

II Recreational intervention<br />

III Family intervention<br />

IV Interdisciplinary collaboration<br />

S 6<br />

Starting with the first point: Psychological intervention<br />

I can say that a central aspect in the major objective of the Child life<br />

program is to reduce patient’s fears and anxiety caused by hospitalization<br />

and illnesst At the same time a great importance is done to inform<br />

properly about illness, treatments and hospital context Information and<br />

preparation for hospitalization are offered using the following strategies:<br />

S 7<br />

Specific Intervention Strategies<br />

INFORMATIVE TECHNIQUES<br />

Sensory and procedural information<br />

Interview<br />

Videos<br />

Guided Tour


90 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

91<br />

BEHAVIORAL TECHNIQUES<br />

Filmed models<br />

Molding<br />

Relaxation<br />

Positive reinforcement<br />

COGNITIVE TECHNIQUES<br />

Distraction<br />

Guided imagery<br />

Desensitization<br />

III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

S 8<br />

These strategies are used to fight some negative elements that characterize<br />

the pediatric hospitalization such as:<br />

Isolation<br />

Limitation of movement<br />

Depersonalization<br />

Dependence<br />

Loss of privacy<br />

Poor information<br />

Restriction of visits<br />

The lack of decoration and furniture appropriate<br />

Medical gowns and uniforms<br />

S 9<br />

Child Life Programs also aim to combat the main fears of preschool<br />

children facing to hospitalization:<br />

to be abandoned by their parents<br />

fear of the unknown<br />

to see hospitalization as a punishment for a bad behavior they have had<br />

S 10<br />

Child Life Programs also pursue to combat the main fears of school<br />

children facing to hospitalization:<br />

Pain<br />

Anesthesia<br />

Body Mutilation<br />

Losing their school desk and place in class (in regular school)<br />

S 11<br />

And in the same way, Child Life Programs also aim to combat the main<br />

fears of adolescents facing to hospitalization such as:<br />

Dependence on parents and health care professionals<br />

Lack of activities<br />

Restriction of visits (friends and classmates)<br />

Hospital rules and routines<br />

Loss of control (specially during anesthesia<br />

S 12<br />

Continuing with the second main point of the Child Life programs<br />

II- Recreational or playful intervention The value of play and recreational<br />

activities are also emphasised as instruments to offer medical information<br />

to children, as effective distracters against pain and as instigators of<br />

feelings’ expression.<br />

S 13<br />

And what is the importance of play for children?<br />

Provides comfort and confidence<br />

It is a Means of communication<br />

A Way to express feelings<br />

And Channels to receive information<br />

Through play children can socialize with other children<br />

And they develop also physical and mental functions<br />

S 14<br />

Regarding point three of the Child Life programs:<br />

III - Family intervention What is interesting to notice is that the program<br />

aims to address the needs of the entire family helping parents to better<br />

cope with the situation of childhood disease and even supporting brothers<br />

and sisters.<br />

S 15<br />

Family as a system several interrelated parts<br />

a change in one part affects other parts<br />

there is a tendency to balance<br />

S 16<br />

The intervention is aimed at reducing:<br />

Overprotection of the child by their parents excessive involvement of the<br />

mother in the disease<br />

Lack of organization<br />

Family conflict<br />

Emotional block<br />

Focus all the family problems on illness<br />

S 17<br />

Impact of the illness on siblings Siblings can be regarded as the “forgotten<br />

children” in this process<br />

S 18<br />

Guidelines of Intervention focused on siblings are:<br />

Give them information about the illness Develop attitudes to cope with<br />

difficult situations in a constructive way Expression of feelings towards the<br />

ill sibling (jealousy, guilt, shame, sadness or abandon)<br />

Develop their own life project (compatible with responsibilities derived<br />

from the dare of the ill sibling<br />

S 19<br />

And the last point of the Child Life Programs I want to focus is IV-<br />

Interdisciplinary collaboration cooperation among all the professionals<br />

involved is a fundamental aspect of the program<br />

S 20<br />

Here the principal actors<br />

Doctor<br />

Surgeon<br />

Nurse<br />

Psychologist<br />

Teacher<br />

Volunteers<br />

Clowns<br />

Cleaning staff<br />

S 21<br />

Besides specialists in<br />

Art therapy<br />

Music therapy<br />

Pet therapy<br />

etcetera etcetera etcetera<br />

S 22<br />

The starting point of this Child Life Programs<br />

Is The Association for the Care of Children‘s Health (ACCH) (founded in 1979)<br />

that In 1982 has been founded the Child Life Council (CLC)<br />

as a non profit organization focused on pursuing a vocational training<br />

for persons engaged in the Child Life programs<br />

In 1998 is developed an official certification to become a Child Life<br />

Specialist<br />

S 23<br />

The Child Life specialist<br />

Several American universities offer postgraduate intensive courses,<br />

usually one<br />

year, to become a Child Life Specialist<br />

These courses consist of knowledge and skills to work in the field of child<br />

and adolescent inpatient<br />

S 24<br />

To conclude my presentation:<br />

I would stress that the main difference between hospital pedagogy in<br />

Europe and Hospital Pedagogy in North America focuses on:<br />

the importance given there to specific psychological training programs for<br />

hospitalized children and teenagers<br />

Along with this, emotional support and guidance provided to the families<br />

of pediatric patients<br />

S25<br />

However, the best approach in the field of child illness and hospitalization<br />

is not exclusive to the American model or any model<br />

is only one, of many ways, to carry out the hospital pedagogy<br />

It is therefore necessary that every professional, each teacher, make the<br />

best synthesis and adaptation of models, programs, strategies and ideas<br />

all this in order to act in the best possible way<br />

Managing complex medical cases and education<br />

Marie Sherlock<br />

Assistant Head Teacher, Chelsea Community Hospital School<br />

Maria Marinho<br />

Assistant Head Teacher, Chelsea Community Hospital School<br />

Frederic Irigaray<br />

ICT Projects Manager, Chelsea Community Hospital School<br />

Chelsea Community Hospital School London<br />

• Based in 4 hospitals across West London.<br />

• Mixture of general and specialist centres.<br />

• Maria Marinho<br />

• Fred Irigaray<br />

• Marie Sherlock<br />

Part 1<br />

James - Asthma<br />

Marie Sherlock<br />

Assistant Head Teacher, Chelsea Community Hospital School<br />

• Do you have legislation in your country to protect the educational needs<br />

of children with a medical and mental health condition?<br />

• If so, is it meaningful?<br />

• Can you suggest other ways in which this could have been dealt with<br />

differently that might have made for a quicker and smoother resolution?<br />

• How can we support schools in understanding that many chronic<br />

conditions can impact on individuals in very different ways?<br />

• How might you have dealt with this?<br />

James<br />

• 14 year old boy in Year 9 at a local comprehensive school.<br />

• Diagnosed at 18 months with asthma<br />

• He is one of six children in the family. Five of the six children have a<br />

chronic condition.<br />

• 1 with coeliac disease, 2 with asthma, 2 with excema (one of these<br />

children receives supplementary nutrition via a gastrostomy peg).<br />

• Increasingly his asthma was becoming more difficult to manage and<br />

both Daniel and James were under the care of a consultant at the Royal<br />

Brompton Hospital a tertiary referral centre.<br />

• Both boys are described as being in the worst 5% of asthma sufferers.<br />

A few facts about asthma in the UK<br />

• 1.1 million children in the UK have asthma.<br />

• There were 1,204 deaths from asthma in the UK in 2008.<br />

• On average, 3 people per day or 1 person every 7 hours dies from<br />

asthma.<br />

• 61% of people with asthma say that their asthma stops them from getting<br />

a good night‘s sleep.<br />

• On average there are two children with asthma in every classroom in<br />

the UK.<br />

• Every 17 minutes a child is admitted to hospital in the UK because of<br />

their asthma.<br />

• One in 8 children under 15 with asthma symptoms experience attacks<br />

so severe they can‘t speak.<br />

Legislation to support pupils with a chronic medical or mental health<br />

condition<br />

• The Children Act 1989<br />

• This Act imposes a general duty on local councils (under which education<br />

departments come) to provide a range of services to ‚children in need‘<br />

in their area.<br />

• Asthma comes under the Disability and Discrimination Act 1995 and is<br />

considered an unseen disability.<br />

• Under the Equality Act <strong>2010</strong>, a child with a disability has the right to be<br />

treated fairly at school.<br />

• Access to Education for children and young people with Medical needs<br />

– document Reference: 0025/2002<br />

• Access To Education For Children With Medical Needs: A Map of Best<br />

Practice RB303<br />

• Meeting the Educational needs of Children and Young People in Hospital<br />

0112711359<br />

Meeting No.1<br />

• Following initial discussions with the SENCO (Special Education Needs<br />

Coordinator) a meeting was set for June 2009.<br />

• We suggested that the school consider assessing James for a Statement<br />

of Special Educational Needs.<br />

• Request that staff be updated about the severity of James’s condition.<br />

• Regular reviews of James’s IEP (Individual Education Plan).<br />

• Home Tuition.<br />

• The outcome on that day lacked any formal commitment from the school.<br />

• The SENCO said that she couldn’t justify any funds from her budget to<br />

support James at this point as he was doing ‘ok’ academically.<br />

• During this meeting both myself and James’s mother argued the need to<br />

consider the future for James.<br />

The School Agreed To<br />

• Move the boys on School Action Plus.<br />

• Improved communication between home and school.<br />

• Ensure that all teachers working with James had a termly update on his<br />

condition and the impact of his treatment regime.<br />

• The SENCO to discuss the case with the Educational Psychologist<br />

The Reality<br />

• No communication with home nor hospital school.<br />

• No IEPs written for the boys.<br />

• No follow-up from the school regarding the conversation with the<br />

Educational Psychologist.<br />

• Responsibility for collecting and catching up with work was still with<br />

James.<br />

• Contacted the Senior Educational Psychologist for the area.<br />

Meeting No2!<br />

• Happened in November 2009.<br />

• Attended by the SENCO, mother, James, the Educational Psychologist<br />

and myself.<br />

• A clear description of James’s life with asthma was given to the Ed. Psych.<br />

• James described his own feelings of falling further and further behind.<br />

• Same ad hoc support for James, ‘come to the Inclusion Room when you<br />

want’.<br />

• ‘Disability Living Allowance’.<br />

• The Ed Psych said he would investigate a computer based learning<br />

option for the school.<br />

• James to undergo a psychometric assessment with the clinical<br />

psychology department at Brompton.<br />

The Reality Again<br />

• Surprise! Surprise! No feedback from the school nor the Educational<br />

Psychologist.<br />

• Psychometric Assessment results.<br />

• James prescribed Prozac.<br />

• An overwhelming lack of support from all the educational services again.<br />

Where Next ?<br />

• A letter to the Head Teacher and the Chair of Governors for the school


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

92 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

93<br />

• The letter was also sent to;<br />

• the SENCO,<br />

• the Educational Psychologist for the school<br />

• the senior Educational Psychologist for the Local Authority<br />

• Head Teacher of the hospital school<br />

• James and his parents<br />

• the Chief Executive for the school’s Local Authority.<br />

The Outcome<br />

• A third meeting called by the school in June <strong>2010</strong>.<br />

• SENCO, mother, James, the educational Psychologist, myself and the<br />

head teacher for the school.<br />

• Updates given on James’s wellbeing.<br />

• Academic results indicate that James is not achieving in line with his ability.<br />

• School agree to progress with assessing James for a statement.<br />

Aftermath<br />

• All necessary assessment and documentation collated for a special<br />

needs panel review within 2 weeks.<br />

• James was granted a statement which means;<br />

• his educational needs are protected until he is 19 yrs old<br />

• they are reviewed yearly.<br />

• He now has a tutor assigned to him all the time who works with him<br />

between school, home, and hospital.<br />

• The SENCO has retired and her replacement has forged a real relationship<br />

with James.<br />

James<br />

• Does legislation in your country protect the needs of children with a<br />

medical and mental health condition?<br />

• Can you suggest other ways in which this could have been dealt with<br />

differently that might have made for a quicker and smoother resolution?<br />

• How can we support schools in understanding that many chronic<br />

conditions can impact on individuals in very different ways?<br />

• How might you have dealt with this?<br />

Part 2<br />

Managing complex medical cases and education: Transition<br />

Maria Marinho<br />

Assistant Head Teacher, Chelsea Community Hospital School<br />

Background<br />

• 14 year old girl<br />

• Living with father & brother<br />

• Referred to the hospital school for home tuition having moved into the<br />

local area<br />

• Had not attended school for 10 months prior to referral<br />

• Psychiatric team heavily involved.<br />

Previous History<br />

• Previous psychotic episode at age 12 possibly linked to anti-malarial<br />

medication<br />

• Hospitalised for 6 months<br />

• Successfully transferred to small tuition unit for rehabilitation and<br />

successfully returned to mainstream school<br />

• Lenesha and her brother lived with their mother but visited their father<br />

who lived separately.<br />

Referral Information<br />

• February 2009 mother died<br />

• Lenesha and her brother moved to live with their father in a different<br />

part of the city.<br />

• Lenesha presented with a range of psychiatric symptoms requiring<br />

intensive intervention however she was not admitted to hospital.<br />

• She refused to engage with some members of the psychiatric team<br />

First Meeting Between Hospital School and Lenesha<br />

• She had not left the house for several months<br />

• She remained all day in her night clothes<br />

• She did not make eye contact<br />

• She spoke in a very quiet voice only to answer direct questions<br />

• The room was dim and chaotic<br />

• She said she was interested in learning and liked English and ICT<br />

Planning Input<br />

• Needed an experienced staff member who could develop a trusting<br />

relationship<br />

• Needed to build a trusting relationship with her father<br />

• Needed to work very closely with the psychiatric team<br />

Plan<br />

• Request made to education authority for 10 hours teaching input per<br />

week.<br />

• Refused and only 5 hours input was authorised<br />

• Initially one female staff member to visit 3 times per week.<br />

• Focus on subjects of interest and core skills, English, maths science<br />

and ICT<br />

• Laptop with internet access provided with facility to message teacher<br />

outside of allocated slots<br />

Issues to consider<br />

• Lenesha did not know what caused her mothers death<br />

• Father was very concerned about her vulnerability and her ability to<br />

return to her previous sociable self.<br />

• Very little progress with psychiatric input<br />

• Lenesha was concerned that her tuition was linked to a hospital school<br />

as she was highly anxious that she would be admitted to hospital again<br />

as she had been when she was 12<br />

Actions taken by tuition team<br />

• Focus of input was to develop a positive and trusting relationship that<br />

would support Lenesha to move out of the house for short periods of<br />

time<br />

• Activities organised that gave Lenesha some control<br />

• Focus on bringing the outside world to her through the laptop, giving<br />

access to her teacher and a view of the hospital school classroom<br />

• Frequent reference made to next steps outside the house<br />

Diffi culties<br />

• Level of grief and anxiety extremely high<br />

• Too much for one staff member<br />

• Father feeling powerless<br />

• Lisa’s refusal to engage with the psychiatric team<br />

• Additional pressure placed on teacher to focus on aspects of the<br />

psychiatric teams work because the teacher had developed a positive<br />

relationship with Lenesha<br />

Positive Aspects<br />

• Lenesha appeared to value input from the hospital school<br />

• She liked her teacher<br />

• Good communication between the range of professionals involved in<br />

the case<br />

• Father supportive of input<br />

Turning Point<br />

• Father re-established links with maternal aunt following advice from<br />

psychiatric team<br />

• Lenesha began using messenger frequently with her teacher and was<br />

curious to see the classroom in the hospital via video link<br />

• Aunt persuaded Lenesha to go shopping one weekend<br />

• Aunt agreed to accompany Lenesha to the Hospital School for a short<br />

visit<br />

New Start<br />

• Lenesha agreed to attend hospital school for afternoon sessions<br />

• This quickly became full days<br />

• Lenesha worked 1-1 with a teacher in the classroom<br />

• She needed a lot of support to access learning tasks<br />

• Initially she did not engage with any other students<br />

What next?<br />

• It was clear Lenesha had some underlying learning diffi culties as well as<br />

her current psychiatric illness<br />

• Before considering a return to mainstream school in the future she<br />

would need a full educational assessment to establish her special needs<br />

• The hospital school arranged this and this was carried out within the<br />

legal timeframe.<br />

Lisa’s re-engagement with the world.<br />

• Lenesha has become increasingly confi dent at the hospital school and<br />

with her Aunt and cousins<br />

• She has started to engage positively with the psychiatric nurse and work<br />

has begun on re-learning social skills and skills for life.<br />

• She is enjoying the interaction with other young people and the staff at<br />

the hospital school<br />

Current Issues<br />

• Lenesha has an educational statement: a legal document stating what<br />

support must be provided for her to manage at school<br />

• She is in her fi nal year of compulsory schooling.<br />

• Lenesha and her father have differing views on what would be a good<br />

school placement for her<br />

• Lenesha remains very vulnerable but desperately wants to be with other<br />

young people in a ‘normal school setting’<br />

Where we are now<br />

• Lenesha is slowly developing her confi dence in learning and in life skills<br />

• The education authority is looking for a suitable school<br />

• Lisa’s father is ill, though Lenesha is not aware of how ill he is.<br />

Key Questions<br />

• What approach would you have taken with this case?<br />

• Where would Lenesha be placed after the hospital school in your country ?<br />

• How would you work with the other professionals on this case?<br />

Part 3<br />

Managing complex medical cases and education: Godi<br />

Frederic IRIGARAY<br />

ICT Project Manager, Chelsea Community Hospital School<br />

Case history<br />

• Godi is a 15 years old boy<br />

• Admitted to hospital after a major stroke<br />

• Godi was a normal boy very friendly and sociable<br />

• Unable to communicate or move any parts of his body<br />

• Communicate by eye pointing for yes/no.<br />

Use an alphabet chart to spell out key words<br />

A B C D E F<br />

G H I J K<br />

L M N O P<br />

Q R S T U<br />

V W X Y Z<br />

School introduction<br />

• Godi physically came to school after 2 weeks spent in PICU where he<br />

received lessons by his bed<br />

• He likes football and enjoys making fi lms and animations.<br />

• He has been introduced to the idea of making an animation about his<br />

favourite football team.<br />

Planning the animation<br />

• Defi nition : A simulation of movement created by displaying a series of<br />

pictures<br />

• Creating story board using alphabet chart<br />

• Setting up the laptop by his bed<br />

• Setting up the camera<br />

• Setting up backgrounds and characters<br />

• Introducing Godi to the switch technology (using head switch to<br />

command the laptop)<br />

Discussion<br />

• Why was this case successful?<br />

- Being part of a multi disciplinary team<br />

- Have everyone on board helped a lot.<br />

- It was a special case<br />

• What was it that made Godi’s story different?<br />

- Godi’s self consideration<br />

- Parents’ determination<br />

- Medical team was very involved<br />

- Flexibility of the school (as a school member of staff can be called for<br />

special case)<br />

- Relationship between Godi and the staff<br />

- Physio’s timetable gets Godi ready for school...<br />

Report about the Timsis workshop 19<br />

Christine Walser<br />

Teacher Special Needs Teacher<br />

Hospital School, University Children’s Hospital Zurich,<br />

SWITZERLAND<br />

TIMSIS is the abbreviation for “Teacher in-service training material<br />

concerning pupils with serious and chronic illnesses in both regular and<br />

hospital attached schools”. It started 2004 as an EU funded COMENIUS<br />

2.1 project, in which a group of teacher training institutions as well as<br />

hospital schools from six countries (Czech Republic, Finland, Germany,<br />

Hungary, Norway and Russia) developed web based information material<br />

focusing on the re-integration of severely or chronically ill pupils into their<br />

home schools. It is the aim to facilitate the ill pupils’ way back to normalcy.<br />

Following an agreement between <strong>HOPE</strong> and Ludwigsburg University<br />

of Education (Germany), which was the coordinating institution of the<br />

Comenius project in 2007, <strong>HOPE</strong> is now hosting the TIMSIS material.<br />

The material addresses itself to teachers and parents as well as ill pupils<br />

and their classmates. So far two sets of material (a short and an extended<br />

version) have been developed which focus on seven of the most common<br />

diseases in childhood and adolescence: ADHD, Asthma, Childhood Cancer,<br />

Cystic Fibrosis, Diabetes, Eating Disorders, Epilepsy and a chapter on<br />

General Information.<br />

At the <strong>HOPE</strong> congress in Tampere, Finland (2008), TIMSIS became a <strong>HOPE</strong><br />

Workshop (Workshop 19) and since then information in fi ve new languages<br />

and two new diseases were added so that there are information in twelve<br />

languages (English, German, Finish, Hungarian, Norwegian, Czech,<br />

Russian, Spanish, French, Italian, Portuguese, Slovenian) and about nine<br />

diseases (allergies, ADHD, asthma, cancer, diabetes, CF, eating disorders,<br />

epilepsy, immune disorders).<br />

At the <strong>HOPE</strong> congress in <strong>Munich</strong>, Germany (<strong>2010</strong>), the workshop 19<br />

TIMSIS met, looked back, evaluated its work, elected two new workshop<br />

leaders and made future plans. Soon there will be guidelines available on<br />

the webpage for translators and authors of new diseases.<br />

Use it or lose it!<br />

If you are a committed teacher who works (also) with chronically or severely<br />

ill children you can profi t from the precious information and send the link<br />

to your colleagues, patients and their parents. We know that information<br />

is a crucial point for the inclusion of our patients!<br />

If you can offer translation for free or you are able to start a new disease<br />

(always in English fi rst), please do not hesitate and contact the workshop<br />

coordinators. If you fi nd something which is not correct or should be<br />

updated, please help us with more suitable or new information.<br />

http://www.hospitalteachers.eu/ click then on TIMSIS


94 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

95<br />

E-Junkie<br />

Dr. Helmut Wittmann<br />

Ministerialdirigent a.D., Bayerisches Ministerium für<br />

Unterricht und Kultus<br />

Kinder- und Jugendschutz im Internet<br />

1 Internet als Chance und Gefahr - Fakten<br />

…<br />

2. Folgerungen und Aufgaben für Schule/Gesellschaft<br />

3. Internet und Jugendschutz in der schulischen Praxis<br />

4. Initiativen in Bayern<br />

1 Internet als Chance und Gefahr - Fakten<br />

Unter der Überschrift „Verirrt in der virtuellen Welt“ berichtete am 28.April<br />

<strong>2010</strong> das Chiemgau Wochenblatt (Landkreis Traunstein):<br />

„Das Internet ist Fluch und Segen zugleich. Laut Polizei musste jüngst ein<br />

Schulleiter unserer Region einen Schüler der 5.Klasse aus dem Unterricht<br />

entfernen lassen. Der Junge war onlinesüchtig. Er kam nicht mehr in der<br />

Realität zurecht und musste in eine Klinik eingewiesen werden.“<br />

Ein Extremfall – ja, aber sicher leider kein Einzelfall!<br />

Der Allgegenwart des Internets mit professionellen Vermarktungsstrategien<br />

steht die Erziehungs- und Bildungsverantwortung von Schule<br />

und Elternhaus gegenüber.<br />

Computer/Neue Medien/Internet<br />

sind von großer Bedeutung in Privatleben, Schule und Beruf. Als Werkzeug,<br />

Instrument für Recherche, Informationserweiterung, Ordnung<br />

und Unterhaltung („4. Kulturtechnik“)<br />

aber:<br />

„Kinder und Jugendliche haben heute in der überwiegenden<br />

Mehrzahl einen schnellen Zugang zu ihnen, nutzen sie intensiv und<br />

sind eine wichtige Zielgruppe für Produkte geworden.<br />

Die jugendgefährdende Qualität einzelner Angebote sowie der<br />

Missbrauch von Medienangeboten und Daten können auch dazu<br />

führen, dass Kinder und Jugendliche bei der Nutzung von Medien<br />

in Gefahr geraten“.<br />

Bekanntmachung des Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus zur Medien Bildung v.14.Okt. 2009<br />

1.1 Internetnutzung: Inhalte und Ausmaß<br />

Jugendliche heute:<br />

„digital natives“ (im Vergleich zu vielen Eltern und Lehrern) mit Vollausstattung:<br />

u.a. Computer; Internet; Handy; Webcam; MP3-Player; TV<br />

(vgl. JIM – Studie 2009)<br />

Negative Wirkung durch Negativ-Inhalte und extreme zeitliche Dosis<br />

• Gewalt<br />

• Politischer und religiöser Extremismus<br />

• Pornografi e<br />

• Jugend gefährdende Computerspiele<br />

• Glücksspiele<br />

• Illegale Downloads (Softwarepiraterie)<br />

>>Drogen aktuell: Web 2.0<br />

Inhalte<br />

Beispiele aus der Befragung 12- bis 16-Jähriger<br />

• nachgestellte, fi ktive Gewalt ; Krieg, Folter, Hinrichtung (realistische<br />

Darstellungen mit hohem<br />

Wirkungsrisiko); Prügelvideos mit Tätern als Helden und Schwächeren als<br />

Opfer; Snuffvideos<br />

(Tötungsdarstellungen oft einhergehend mit Quälereien, Horrorszenen)<br />

• happy-slapping: Schlägereien oder sexuelle Attacken – gefi lmt und ins<br />

Internet gestellt<br />

• online-Foren: wie Pro-Anorexie-Foren, Ritzer- (Messer-) und Prügelforen<br />

• Cyber-Mobbing: wie Flaming (Beleidigung, Belästigung), Impersonisation<br />

(Bloßstellung durch falsche Identität), Cyberthreats (Drohung)<br />

und Cyberstalking (Verfolgung)<br />

• sexuelle Belästigungen durch Chats<br />

• Pornografi e (als Video- oder Livecamdarstellungen)<br />

• Extremismus, z.B. hate-pages rechtsextremer, rassistischer, antisemitischer<br />

Thesen (Propagandaplattform)<br />

• Onlinespiele: wie World of Warcraft (erhebliches Suchtpotenzial!)<br />

cf. Prof. Petra Grimm, Hochschule für Medien. Stuttgart 2008<br />

Internetzugang<br />

57% der Jugendlichen haben Internetzugang ohne Einschränkung<br />

Was machen die Eltern?<br />

80% kontrollieren nie die Inhalte<br />

30% nutzen technische Filtersysteme<br />

Wie kommen Jugendliche zu den jugendgefährdenden Inhalten ?<br />

70% peergroups<br />

60% Links<br />

30% Suchmaschinen<br />

vgl. Prof. Petra Grimm, Hochschule für Medien. Stuttgart 2008<br />

1.2 Unterschiede in der Nutzung/Wirkung<br />

Inhalte<br />

Männliche Jugendliche<br />

• Deutlich anfälliger<br />

• hinsichtlich Gewalt /<br />

• sexuelle Darstellungen („action“)<br />

• (Extremfall; Juli <strong>2010</strong>,<br />

• Gewaltexzess auf Ameland)<br />

Weibliche Jugendliche<br />

• Suche nach virtueller<br />

• Gemeinschaft<br />

• (z.B. „Gute Zeiten – schlechte Zeiten“)<br />

• Chatrooms<br />

• Virtuelle Freundschaften (z.B. „Facebook“)<br />

Auslöser für beide Gruppen ist oft:<br />

• mangelnde Sozialkompetenz<br />

• geringes Selbstwertgefühl<br />

• innerfamiliärer Druck<br />

• Suche nach Sozialkontakten<br />

15-Jähriger (April <strong>2010</strong> München):<br />

„Ich habe immer mehr virtuelle Freunde und werde immer einsamer!“<br />

Inhaltliche Verteilung der Internetnutzung<br />

Inhaltliche Verteilung der Internetnutzung<br />

Medienzeiten/Beispiele<br />

• Männl. Jugendliche durchschnittlich 2 Std. 21 Min pro Tag Computerspiele<br />

(CS) Weibl. Jugendliche durchschnittlich 56 Min<br />

• Extreme Unterschiede bei psychischer Abhängigkeit zu Lasten<br />

männlicher Jugendlicher!<br />

• In Verbindung mit niedrigem Bildungsniveau: mehr Zeit mit CS als<br />

Schulstunden!<br />

Weibl. Jugendliche durchschnittlich 56 Min<br />

• Extreme Unterschiede bei psychischer Abhängigkeit zu Lasten männlicher<br />

Jugendlicher!<br />

• In Verbindung mit niedrigem Bildungsniveau: mehr Zeit mit CS als Schulstunden !<br />

III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

Medienzeiten an einem regulären Schultag nach Geschlecht und Bil dungsniveau<br />

(BN) der Eltern<br />

Medienzeiten an einem regulären Schultag nach Geschlecht und Bildungsniveau (BN) der Eltern<br />

7<br />

Aus: Repräsentativbefragung KFN /<br />

Kriminologisches Forschungsinstitut<br />

Niedersachsen 2008;<br />

44 600 Schüler in Jahrgang 9<br />

8 000 Schüler in Jahrgang 4<br />

Medienausstattung im Kinderzimmer / Beispiele<br />

Aus: Repräsentativbefragung KFN/Kriminologisches Forschungsinstitut Extrem „Online-Sucht“ – insbesondere Spielsucht<br />

Niedersachsen 2008; 44 600 Schüler in Jahrgang 9 | 8 000 Schüler in Beispiel<br />

Jahrgang • Männl. 4 Jugendliche : 40,3 % Spielkonsolen<br />

Extrem suchtgefährlich „World of Warcraft“:<br />

• Weibl. Jugendliche : 20,5 %<br />

Millionen von Spieler weltweit<br />

Medienausstattung im Kinderzimmer/Beispiele<br />

Von USK* ab 12 Jahren freigegeben (!)<br />

• Männl. • In Jugendliche: bildungsfernen 40,3 % Familien Spielkonsolen : signifikant höhere Ausstattung mit Verein Mediengeräten<br />

„widows of world of warcraft“ in USA<br />

• Weibl. Jugendliche: 20,5 %<br />

• In bildungsfernen Familien: signifi kant höhere Ausstattung mit Prävention/Hilfen:<br />

Mediengeräten<br />

• bundesweit Fachambulanzen<br />

• Kontakte<br />

• www.rollenspielsucht.de (ein Netzwerk von Eltern für Ratsuchende)<br />

• www.onlinesucht.de (Kontakte zu Therapeuten und Kliniken)<br />

• www.fv-medienabhaengigkeit.de<br />

• www.stiftung.medienundonlinesucht.de<br />

Mediengeräte im Kinderzimmer nach Geschlecht und Bildungsniveau (BN) der Eltern<br />

Mediengeräte im Kinderzimmer nach Geschlecht und Bildungsniveau (BN)<br />

der Eltern<br />

Aus: Repräsentativbefragung KFN/Kriminologisches Forschungsinstitut<br />

Niedersachsen 2008<br />

1.3. Mögliche Folgen<br />

- Insbesondere bei extremen Konsum von Computerspielen -<br />

Universität Auckland (2009):<br />

• gestörte Wahrnehmung von Realität und Fiktion<br />

• Negative (Wirkung) auf soziale Beziehungen (Eltern ,Freunde)<br />

• weg von Realwelt – hin zu virtueller Welt<br />

• je jünger die Kinder, desto stärkere Nachahmung<br />

• Jugendliche als Opfer und Täter<br />

• abgestumpftes aggressives Verhalten, Ängste, Verlust d. Fähigkeit zu<br />

Partnerschaft/Liebe<br />

JIM – Studie (2009):<br />

• Leistungseinbußen in Schule und Beruf (Schwänzen, Schlafdefi zit)<br />

• zunehmende Beschäftigung mit CS<br />

• Suizid – Gefährdung<br />

Drogen – u. Suchtbericht d. Bundesregierung (2009):<br />

• 3 – 7 % der Internetnutzer computersüchtig (insb. männl. Jugendliche)<br />

• 3 % männl. Jugdl. Computerspiel abhängig 0,3 % weibl.<br />

Prof. Hüther/Göttingen: (Hirnforscher)<br />

• exzessives Spielverhalten vieler Jugendlicher (> 4,5 Std. täglich !)<br />

• negative Relation extremer Medienkonsum (CS) und Lerndispositionen<br />

„Killerspiele sind Leistungskiller“<br />

Extrem „Online-Sucht“ – insbesondere Spielsucht<br />

Ein neues Krankheitsbild!?<br />

2008 erste deutsche Spielsuchtambulanz Uniklinik Mainz<br />

2009 erstmals Begriff „Online-Junkie“<br />

• Online-Sucht politisch noch nicht anerkannt<br />

aber<br />

• spezifi sche, nicht stoffgebundene Krankheit<br />

• mit anderen Verhaltenssüchten vergleichbar<br />

• Bei Unterbrechung: Entziehungserscheinungen wie hohe Reizbarkeit,<br />

vegetative Unruhe<br />

• noch keine fi xierten Kriterien für Diagnose u. Therapie<br />

• Keine Erstattung (aber bei Zusatz- oder Folgeerkrankungen wie Depression,<br />

ADHS, Borderline-Syndrom)<br />

Trauriges Beispiel:<br />

Tod der 2-jährigen Lea (Tirschenreuth <strong>2010</strong>), „weil ihre Mutter pausenlos<br />

(Tag u. Nacht) im Internet unterwegs war“ (Pressebericht…..)<br />

2. Folgerungen und Aufgaben für Schule/Gesellschaft<br />

Jugendschutz : pädagogisch - technisch - rechtlich<br />

2. Folgerungen und Aufgaben für<br />

Schule / Gesellschaft<br />

Aus: Repräsentativbefragung Jugendschutz : KFN pädagogisch / - technisch - rechtlich<br />

Abgrenzung Kriminologisches zu Zensur : Keine Forschungsinstitut<br />

generelle Sperrung – aber :<br />

Niedersachsen 2008<br />

Was für Erwachsene zulässig ist, muss für Kinder und Jugendliche längst nicht geeignet sein !<br />

Es geht nicht um Verbote (z.B. strafrechtlich eindeutige Verfolgung im Zusammenhang mit<br />

Kinderpornografie), sondern um die oft schwierige Abgrenzung von Angeboten hinsichtlich ihrer<br />

Verkraftbarkeit für Kinder und Jugendliche.<br />

8<br />

Abgrenzung zu Zensur : Keine generelle Sperrung – aber:<br />

Was für Erwachsene zulässig ist, muss für Kinder und Jugendliche längst<br />

nicht geeignet sein! Es geht nicht um Verbote (z.B. strafrechtlich eindeutige<br />

Verfolgung im Zusammenhang mit Kinderpornografi e), sondern um die oft<br />

schwierige Abgrenzung von Angeboten hinsichtlich ihrer Verkraftbarkeit<br />

für Kinder und Jugendliche.Regarding schools there Bei der Schule geht es<br />

zusätzlich um Aufsichtspfl icht.<br />

Bei der Schule geht es zusätzlich um Aufsichtspflicht.<br />

9<br />

I I I III<br />

Drei – Säulen – Modell (nach TIME for kids)<br />

Drei – Säulen – Modell (nach TIME for kids)<br />

1 3<br />

2.1. Pädagogischer Jugendschutz<br />

Handlungsfeld I : Medienerziehung<br />

č Für alle Schulen und Jahrgangsstufen verpfl ichtender Bildungsauftrag<br />

č Ziel : Ichstärke und Entscheidungskompetenz „Dare to say no!“<br />

Medienkompetenz Handlungsbereiche<br />

• Auswählen und Nutzen von Medienangeboten<br />

• Gestalten und Verbreiten eigener medialer Beiträge<br />

Inhaltsbereiche<br />

• Verstehen und Bewerten von Mediengestaltungen<br />

• Erkennen und Aufarbeiten von Medieneinfl üssen<br />

• Durchschauen und Beurteilen von Bedingungen der Medienproduktion<br />

und Medienvorbereitung<br />

Medienkompetenzmodell (nach Tulodziecki/Herzig/Grafe)


96 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

97<br />

Medien Führerschein Bayern Bayern<br />

III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

Bayern<br />

• Medienführerschein: Beginn 2009/10 in Grundschulen<br />

Erprobung von 6 Modulen, u.a. Chancen und Risiken von Computerspielen<br />

> Ausweitung auf alle Schulen<br />

• Bekanntmachung des Kultusministeriums vom 15. Okt. 2009:<br />

„Die Kinder und Jugendlichen sollen in der Schule<br />

- Medien kennen lernen,<br />

- Medien auswählen, analysieren und bewerten lernen,<br />

- Medien refl ektieren lernen,<br />

- die Möglichkeiten und Grenzen sowie die Gefahren von Medienangeboten<br />

einschätzen lernen“<br />

Medienerziehung hat zu tun mit<br />

- Werteorientierung<br />

- Wahrnehmungs – und Urteilsvermögen<br />

- Kommunikationsfähigkeit<br />

- Persönlichkeitsbildung<br />

• Initiative für ein sauberes Internet an bayrischen Schulen Praxis (Teil 4)<br />

2.2. Technischer Jugendschutz<br />

Handlungsfeld II: Jugendschutz-Filter<br />

• Riesige Quantität des Internet-Angebots<br />

• Oft mindere/jugendgefährdende Qualität<br />

Weltweit gibt es ca. 8 Mrd. bekannte Webseiten. Wenn ein Mensch sich<br />

jede Seite nur eine Minute lang anschauen würde, benötigte er dafür mehr<br />

als 15.000 Jahre!!!<br />

Pädagogik (Schule/Lehrer/Eltern) alleine/auf sich gestellt ist überfordert<br />

(vergleiche: Alkohol, Nikotin)!<br />

Flankierende Hilfe durch Jugendschutz-Filter<br />

as Kinder / Jugendliche jederzeit im Internet finden<br />

Was Kinder/Jugendliche jederzeit im Internet fi nden<br />

• Eingabe von von Suchbegriffen bei www.google.de bei www.google.de im Juni im <strong>2010</strong> Juni <strong>2010</strong><br />

2.6.1 Jugendschutz<br />

Medien, deren Inhalt gegen die Bildungsziele, gegen die Bayeri sche<br />

Verfassung, das Grundgesetz, andere Gesetze oder Jugendschutzbestimmungen<br />

verstößt, dürfen nicht eingesetzt werden. Die Aufsichtspfl<br />

icht der Schule entfällt auch dann nicht, wenn die Erziehungsberechtigten<br />

ausdrücklich auf eine Aufsicht verzichtet haben.<br />

2.8 Schutzvorkehrungen<br />

Technische Vorkehrungen, wie sie beispielsweise durch den Einsatz von<br />

Filtersystemen, Zugangssperren, Zugangskontrollen oder auch Systemen<br />

zur Protokollierung von aufgerufenen Web-Seiten getroffen werden<br />

können, helfen im Zusammenspiel mit organisatorischen Maßnahmen<br />

(z. B. Nutzungsordnungen, zu deren Erlassung Schulen verpfl ichtet<br />

sind) den Zugang zu jugendgefährdenden, menschenverachtenden und<br />

gewaltverherrlichenden Inhalten zu erschweren. Es wird grundsätzlich<br />

empfohlen, Kontroll- und Schutzsoftware zu installieren.<br />

• Empfehlung auf dem bayerischen Schulserver:<br />

http://www.schule.bayern.de/beratung/iuk/fi lter/anbieter.php<br />

Hochwertige Jugendschutz-Filter (z. B. TIME for kids)<br />

• Hohe Wirksamkeit<br />

• Individuell/auf jeweiligen Nutzer bezogen<br />

• Effi ziente pädagogische Hilfe<br />

• Wirksames Suchmaschinen-Prinzip<br />

- automatisches Analyseverfahren<br />

- inhaltliche und semantische Textanalyse<br />

- Bild-, Symbol- und Strukturanalyse<br />

• Effi zienzstrategien<br />

- über 11 Milliarden Internetinhalte ausgewertet<br />

- circa 5 Mio. Internetinhalte werden täglich analysiert<br />

- über 150.000 werden täglich aktualisiert<br />

• Dynamisches Datenbanksystem<br />

- in 70 Themenfeldern zulassen oder sperren<br />

- Binnendifferenzierung für Schüler mit Migrationshintergrund durch 45<br />

Sprachen<br />

- hohe Wirksamkeit: „90 Prozent plus Strategie“ bei allen gesetzlich und<br />

gesellschaftlich geforderten Themenfeldern (z.B. Pornografi e)<br />

2.3. Gesetzlicher Jugendschutz Handlungsfeld 3: Wahrnehmung und Verstär<br />

kung des rechtlichen Rahmens<br />

Herausforderung 1:<br />

Nur rd. 10% der Anbieter kommen aus Deutschland (nur für sie gilt<br />

deutscher Rechtsrahmen) – 90% kommen aus dem Ausland (!)<br />

Was tun ? Zusätzlich Nutzerprinzip<br />

Herausforderung 2:<br />

Große/schwer überschaubare Vielfalt an Institu tionen und Zuständigkeiten<br />

im Jugendschutz<br />

Was tun? Mehr Transparenz, Straffung<br />

Jugendmedienschutz in Deutschland<br />

Ausschnitt aus Institutionen/Zuständigkeiten<br />

Suchbegriff Suchergebnisse<br />

Sex 754 Mio.<br />

Porno 183 Mio.<br />

Gesetzliche Grundlagen<br />

Gewalt 19 Mio.<br />

Strafgesetzbuch Bund<br />

Drogen 5 Mio.<br />

Jugendschutzgesetz Bund<br />

Suizid/Selbstmord 2 Mio.<br />

Jugendmedienschutz- Staatsvertrag (JMStV) 16 Bundesländer<br />

Magersucht 1 Mio.<br />

Organe der Selbstkontrolle (der Wirtschaft)<br />

• Laut LKA Sachsen-Anhalt gibt es z.Zt. 13 Millionen<br />

FSK Freiwillige Selbst Kontrolle der Filmwirtschaft<br />

Webseiten Laut LKA Sachsen-Anhalt mit kinderpornografi gibt es schen z.Zt. 13 Inhalten. Millionen<br />

USK Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (Computerspiele)<br />

• Webseiten 6 von 10 mit Kindern kinderpornografischen sind regelmäßig Inhalten. jugendgefährdenden Seiten im FSF Freiwillige Selbstkontrolle (privates) Fernsehen<br />

Internet ausgesetzt<br />

FSM Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (Internet)<br />

(Studie EU-KIDS Online, London School of Economics 2006)aphy.<br />

6 von 10 Kindern sind regelmäßig jugendgefährdenden Seiten im Internet ausgesetzt<br />

Zuständig für Indizierungen (Verbote für unter 18-Jährige)<br />

(Studie EU-KIDS Online, London School of Economics 2006)<br />

Aus Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPJM)<br />

und Kultus vom 15. Oktober 2009<br />

Überwachung, (staatliche) Kontrolle und Beschwerden<br />

Örtliche Jugend-/Ordnungsämter, Staatsanwaltschaften, jugendschutz.<br />

https://www.verkuendung-bayern.de/fi les/kwmbl/2009/20/kwmbl-2009-20.pdf net, Kommission für Jugendmedienschutz (KJM)<br />

1 9<br />

Ein System, das vor allem die Anbieter von Medien in die Verantwortung<br />

nimmt: „regulierte Selbstregulierung“<br />

Information bringt Sicherheit<br />

• Relevante Gesetze des Jugendmedienschutzes<br />

• Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV)<br />

• Jugendschutzgesetz (JuSchG)<br />

• Strafgesetzbuch (StGB)<br />

• Ordnungswidrigkeiten-Gesetz (OwiG)<br />

• Strafbare Inhalte<br />

• absolut verbotene Seiten (Kinder-, Gewalt-, Tierpornografi e)<br />

• verbotene Organisationen<br />

• Staatsgefährdung, Aufruf zu oder Unterstützung von Straftaten<br />

• Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte (heimliche Aufnahmen und<br />

Verbreitung, Verleumdung)<br />

• Jugendgefährdende Inhalte<br />

• Pornografi e<br />

• Suizid, Magersucht<br />

• Hass, „Tasteless“<br />

Information bringt Sicherheit<br />

• Entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte<br />

• Altersdifferenzierung<br />

• Randbereiche mit pädagogischem Bezug (Okkultismus, Sekten)<br />

• Selbstdarstellung<br />

• „gläserner Schüler“, das Internet vergisst nie<br />

• Jugendliche werden Ziel von Diffamierung, Verleumdung, Nachrede<br />

• Jobsuche?, Bankkredite?, politische Karriere?, Werbeziel (Peer groups,<br />

Trends)<br />

• illegale Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler<br />

• Kopierschutz umgehen (Medien, Software)<br />

• IT-Systemschutz umgehen, IT-Systeme stören<br />

• Missachtung von Urheber- und Nutzungsrechten (Tauschbörsen,<br />

Webspeicher)<br />

Jede Schule sollte/muss Schutzmaßnahmen ergreifen<br />

• Warum?<br />

• Die Schulleitung ist verantwortlich!<br />

• Jede Internetnutzung trägt den Stempel der Schule!<br />

• Illegales Handeln ist nachvollziehbar und kann bestraft werden.<br />

• Schutzmaßnahmen<br />

• Aufsichtspfl icht differenziert wahrnehmen (auf jeweilige Nutzer bezogen)<br />

• Lehrerinnen und Lehrer fortbilden<br />

• Konsens in Schulgremien erzielen und Regeln entwickeln (Beispiel einer<br />

IT-Nutzungsordnung unter http://www.lehrer-online.de...mustertext_<br />

nutzungsordnung.rtf )<br />

• Beratung für Schüler und Eltern auf – und ausbauen<br />

• Probleme thematisieren<br />

• wirksame Filtertechnologien einsetzen<br />

3. Internet und Jugendschutz in der schulischen Praxis<br />

> Zusammenwirken der 3 Säulen im Sinne ganzheitlicher Erziehung und<br />

Bildung<br />

• Wahrnehmung der Aufsichtspfl icht<br />

• Zunehmend Ganztagsschulen zunehmend > Lernzeiten in Selbsttätigkeit<br />

der Schüler<br />

> Heterogenität von Gruppen u. Klassen > Differenzierung, Individualisierung<br />

• Besondere Unterrichts – und Betreuungserfordernisse, z.B. Schule für<br />

Kranke<br />

• „Lust auf Realwelt“ (Pfeiffer, KFN) wecken durch sportliche, musische,<br />

soziale Angebote und Erfolge<br />

Philosophie zur Internetfi lterung<br />

Nutzerprinzip (hier TIME for kids)<br />

• Erwachsene bestimmen durch gezielte Freischaltung oder Sperrung,<br />

was Kinder und Jugendliche sehen sollen<br />

- in der Schule<br />

- in Kinder- und Jugendeinrichtungen<br />

- zu Hause<br />

• Der Nutzer erhält eine Information, wenn und warum etwas gesperrt ist.<br />

• Kein zentraler Informationsentzug (Zensur)<br />

Bei Anbieterprinzip<br />

• Zentrale Anbieter, wie z.B. Google bestimmen was gefi ltert wird<br />

• Dem Nutzer werden zentral Informationen entzogen, ohne dass er<br />

darüber informiert wird.<br />

3.1. Pädagogischer Jugendschutz in der Praxis<br />

Eigenverantwortung nach dem Nutzerprinzip<br />

• Schule, jeweiliger Lehrer entscheidet darüber, was zugelassen und was<br />

gesperrt werden soll.<br />

Pädagogischer Jugendschutz/Praxis<br />

Schulische Aufgaben<br />

č neue Medienwelten für Schüler erschließen<br />

• Gesellschaftlichen Anspruch der Informationsgesellschaft einlösen<br />

• bildungsrelevante Inhalte bereit stellen<br />

• e-Learning/Distance Learning unterstützen<br />

aber<br />

• Ablenkung<br />

• Informationsfl ut<br />

• bedenkliche Inhalte<br />

• Kommunikationsfallen, Kostenfallen<br />

• illegale Aktivitäten<br />

• Datenschutzproblematik<br />

3.2. Rechtliche Aspekte in der Praxis<br />

3.2. Rechtliche Aspekte in der Praxis<br />

Das System der vier Körbe für kritische Inhalte<br />

Absolut verbotene<br />

Inhalte<br />

Verbot des<br />

Zugänglichmachens<br />

auch gegenüber<br />

Erwachsenen (z.T.<br />

auch Besitzverbot)<br />

Das System der vier Körbe für kritische Inhalte<br />

1 2 3 4<br />

Jugendgefährdende<br />

Inhalte<br />

Insb. Verbot des<br />

Zugänglichmachens<br />

gegenüber<br />

Minderjährigen<br />

In Anlehnung an: Jörg Knupfer, München<br />

Entwicklungsbeein-<br />

trächtigende Inhalte<br />

Insb.<br />

Alterskennzeichnung<br />

Beispiele für das System der vier Körbe<br />

1. Absolut verbotene Inhalte, z.B.<br />

• Harte Pornografi e/Gewaltpornografi e<br />

• Kinderpornografi e<br />

• Tierpornografi e<br />

2. Jugendgefährdende Inhalte, z.B.<br />

• Pornografi sche Inhalte<br />

Besonders unterrichts-<br />

störende Inhalte<br />

Was den Unterricht<br />

stört<br />

3. Entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte<br />

• Alle Inhalte, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder<br />

Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen<br />

Persönlichkeit zu beeinträchtigen<br />

4. Besonders unterrichtsstörende Inhalte, z.B.<br />

• Chat<br />

• Webmail<br />

• Dating<br />

• Auktionen<br />

3.3. Auswahl geeigneter Jugendschutzfi lter<br />

- Aufgabe von Schule und Aufwandsträger -<br />

3 1


98 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

99<br />

3.3. Auswahl geeigneter Jugendschutzfilter<br />

- Aufgabe von Schule und Aufwandsträger -<br />

Lösungen im Vergleich<br />

• Lösungen Objektive im Vergleich technische Qualitätskriterien<br />

Objektive technische Qualitätskriterien<br />

Anzahl von kategorisierten<br />

Websites<br />

squidGuard TIME for kids Schulfilter Plus<br />

ca. 3 Mio. über 105 Mio.<br />

Anzahl von kategorisierten<br />

Webpages<br />

keine Angabe Über 11 Mrd.<br />

Anzahl Themenfelder 72 70<br />

Neue/aktual. Websites (tägl.) ca. 1.000 ca. 150.000<br />

Text-Analyse (Key words) Ja Ja<br />

Text-Analyse (inhaltlich) Nein Ja<br />

Bild- und Symbol-Analyse Nein Ja<br />

Analyseverfahren händisch automatisch<br />

Beispiel für größtmögliche Individualisierung und<br />

Differenzierung (Nutzerprinzip auf Ebene der einzelnen Schule)<br />

3 3<br />

Beispiel für Ausblenden von Werbung<br />

Internetseite nach Aufruf über die Werbeplattform<br />

„FragFinn“ (Kinderseiten mit Bannerwerbung in der Schule)<br />

Internetseite nach Aufruf mit aktiviertem Schulfi lter Plus (Bannerwerbung<br />

automatisch in der Schule ausgeblendet)<br />

1<br />

III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

2<br />

4. Initiativen in Bayern<br />

4.1 Medienführerschein<br />

Grenzenlose Kommunikation<br />

Überblick<br />

„Ich habe mich mit einem Mädchen aus dem Chat verabredet, das Pferde<br />

auch sehr liebt. Es kam aber ein Junge, der mindestens schon über 20<br />

war.“ Jugendschutz.net<br />

Jahrgangsstufe 3 und 4<br />

Lernplanbezug Heimat- und Sachunterricht<br />

Einleitung<br />

„Man ist heute mit einer Informationsfl ut konfrontiert, braucht<br />

Orientierungshilfe. Dies übernehmen die Freunde aus den sozialen<br />

Netzwerken. Künftig kann man mit Gleichgesinnten aus der ganzen Welt<br />

befreundet sein, ohne mit ihnen jeden Abend ein Bier zu trinken.“<br />

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg stern 37/09<br />

Orientierungshilfe? Und das ausgerechnet von Freunden aus dem Netz?<br />

Selbstverständlich gibt es berechtigte Einwände gegen diese Aussage,<br />

die allein die Chancen, aber nicht die ebenso vorhandenen Risiken von<br />

Kommunikation im Internet thematisiert.<br />

„Grundsätzlich sollte Kindern der Umgang im Netz nicht versagt werden,<br />

sondern sie sollten bei ihrer Entdeckungsreise im Internet begleitet<br />

werden. Für ihre schulische und berufl iche Zukunft sind Erfahrungen mit<br />

all den Möglichkeiten, die der Computer bietet, wichtig.“<br />

Aktion Jugendschutz Landesarbeitsstelle Bayern e. V.: Kinder und Internet<br />

Lernziel:<br />

Die Schülerinnen und Schüler tauschen ihre Erfahrungen im Umgang<br />

mit E-Mail, Chat und Messenger-Diensten aus und bewerten die von<br />

ihnen genutzten Online-Kommunikations-Formen. Nachdem sie in einer<br />

Chat-Simulation die versuchte Verletzung ihrer Privatsphäre erleben,<br />

formulieren sie Regeln für eine sichere Kommunikation, die sie in einem<br />

Identitätsspiel anwenden und überprüfen.<br />

Literature, Media, Links<br />

BPjM, Wegweiser Jugendmedienschutz, Bad Godesberg 2009<br />

Grimm, Petra u.a., Gewalt im Web 2.0, München 2008<br />

JIM study 2009 http://www.mpfs.de/fi leadmin/JIM-pdf09/JIM-Studie2009.pdf<br />

www.klicksafe.de/plaudern/trends.php<br />

Klicksafe – mehr Sicherheit im Internet durch Medienkompetenz<br />

www.lehrer-online.de; questions about school and legislation<br />

www.kfn.de; fi ndings about computer games as cause of failure at school<br />

www.mpfs.de<br />

www.time-for-kids.org; information about school fi lter, kontakt@time-for-kids.org<br />

www.medieninfo.bayern.de; information about media education and media protection<br />

Contact<br />

TIME for kids Foundation gemeinnützige GmbH<br />

Gubener Straße 47<br />

D-10243 Berlin<br />

Tel.: +49 30 2936989-0<br />

Fax: +49 30 2936989-21<br />

E-Mail: kontakt@time-for-kids.org<br />

Web: http://www.tfk-foundation.de<br />

„Ausweitung einer sinnvollen und notwendigen Initiative“<br />

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!<br />

“Angriff oder Flucht” im Spital(Krankheitsbedingter) Stress und<br />

seine Auswirkungen aufs Lernen<br />

Christine Walser<br />

Lehrerin und schulische Heilpädagogin<br />

Universitäts-Kinderklinik Kinderspital Zürich, Schweiz<br />

Einleitung: Ausgestattet mit einem Stress-Reaktions-System, welches<br />

das Überleben des Fittesten in der Steinzeit förderte, sind Menschen für<br />

die heutigen Stressoren (Lärm, Umweltverschmutzung, Zeitdruck, hohe<br />

Anforderungen und Erwartungen in Schulen und bei der Arbeit, Gewalt…)<br />

schlecht vorbereitet. Diese Stressoren lösen Stressreaktionen aus, welche<br />

bei häufi gem Auftreten zu einem „Allostatic Overload“ (McEwen, 2007)<br />

oder chronischem Stress (auch als Disstress oder Dystress bekannt) und<br />

zu Diagnosen wie Depression, Burnout, Verdauungsstörungen, Diabetes,<br />

Krebs, Allergien, Herz-Kreislauf- und Autoimmun-Erkrankungen führen<br />

können.<br />

Sachverhalt: Landolt et al. (2004) stellten fest, dass 15 – 20% aller<br />

aufgrund eines Verkehrsunfalles hospitalisierten Kinder Symptome einer<br />

posttraumatischen Belastungsstörung zeigten. Kinder im Krankenhaus<br />

sind meist nur schon wegen ihres Aufenthaltes im Krankenhaus gestresst.<br />

Behandlungen können ausserdem als Misshandlungen oder Übergriffe auf<br />

Körper und Seele erlebt werden. Seit frühester Kindheit chronisch kranke<br />

Kinder sind oft traumatisiert.<br />

Frühkindlicher Stress (welcher schon im Mutterleib beginnen kann) löst<br />

eine veränderte Gehirnentwicklung aus. Betroffen sind vor allem das<br />

limbische System, der präfrontale Cortex, der Hippocampus und der<br />

Balken (Corpus callosum).<br />

Chronischer Stress kann das Lernen während des ganzen Lebens<br />

beeinträchtigen. Ein zu hoher Spiegel an Acetylcholin und Cortison<br />

während des Schlafens hält uns davon ab, in den Delta-Schlaf zu fallen, in<br />

welchem der Hippocampus seine Inhalte (das, was wir während des Tages<br />

gelernt und erlebt haben) in den Neocortex (das Langzeitgedächtnis)<br />

verschieben könnte (Born & Kraft, 2004).<br />

Stresshormone sind es auch, die uns in Prüfungssituationen mit Blackouts<br />

dumm dastehen lassen.<br />

Stress hat einen umgekehrten U-Form-Effekt auf das Lernen: Zu viel oder<br />

zu wenig Stress behindert das Lernen.<br />

Konsequenzen: Bei unserer Arbeit mit chronisch kranken Kindern<br />

müssen wir diese Fakten einbeziehen. „Sichere (nadelfreie) Orte“ und<br />

Zeiträume sind nötig, damit stressfreies Lernen und Spielen möglich sind.<br />

Kliniklehrer/innen müssen verlässlich, achtsam, unterstützend und positiv<br />

sein und das Kind darin unterstützen, in Aktivitäten „einzutauchen“, die<br />

die Selbstwirksamkeitserwartung (Bandura, 1997) fördern und einen<br />

„Flow“ (Csíkszentmihályi) oder die „Polarisation der Aufmerksamkeit“<br />

(Montessori) ermöglichen, also aus intrinsischer Motivation erfolgen und<br />

zu der so genannten „Dopamindusche“ führen.<br />

Fazit: Chronischer Stress macht dumm, depressiv, dick und krank. Unsere<br />

Aufgabe als multidisziplinäres Team rund um das chronisch kranke Kind<br />

und speziell als Kliniklehrer/innen ist es, Stress möglichst zu vermeiden<br />

oder wenigstens zu reduzieren und eine möglichst gesunde Entwicklung<br />

zu unterstützen.<br />

Zaubern macht Sinn - Zaubertricks im Unterricht mit kranken<br />

Kindern und Jugendlichen<br />

Fedor Lantzsch<br />

Zauberer, Stuttgart<br />

Edith Ramminger<br />

Sonderschullehrerin, Schule für Kranke, Tübingen<br />

1. Warum Zaubertrick im Unterricht der Schule für Kranke?<br />

– einige Anregungen dazu<br />

• Zauberkunststücke mit geeigneten Geschichten und Methapern helfen<br />

Kindern, sich zu entspannen und Ängste, beispielsweise vor einer<br />

anstehenden Operation zu verringern.<br />

• Kinder und auch ihre Eltern stehen im Krankenhaus häufi g unter Ängsten<br />

und unter Druck. Wenn Kinder dann Zaubertricks beherrschen und<br />

möglicherweise den Eltern vorführen, steht nicht mehr die Krankheit im<br />

Mittelpunkt. Die Kinder erhalten darüber Gelegenheit aktiv zu werden –<br />

eine Gegenrolle zu der des passiven Patienten<br />

• Zaubertricks beherrschen und damit die Umgebung zu faszinieren,<br />

hinterlässt positive Spuren in der Erinnerung an die Krankenhauszeit.<br />

• Kranke Kinder brauchen Trost, Unterstützung, Ablenkung, Ermutigung<br />

und Erlebnisse, die das Selbstwertgefühl stärken und schulen.<br />

Zaubertricks erleben und Zaubertricks lernen, sie perfektionieren und<br />

sie, wenn möglich, vorführen ist eine erfolgversprechende Möglichkeit<br />

für eine kurzweilige und wenigstens in Teilaspekten gewinnbringende<br />

Zeit in der Klinik<br />

• Die Kindergruppe einer Kinder- und jugendpsychiatrischen<br />

Klinik übte erfolgreich für eine Zaubervorstellung. In den stark<br />

strukturierten Gruppensitzungen mit angeleiteten Entspannungs-<br />

und Schauspieltraining war neben dem Herstellen von kleinen<br />

Zauberkunststücken vor allem das Herstellen einer „magischen<br />

Atmosphäre“ bedeutsam. ( Anneliese Neumayer)<br />

2. Zaubertricks und Lernen<br />

• In fast allen Unterrichtsfächern können Zaubertricks den Unterricht<br />

methodisch und didaktisch bereichern.<br />

• Bei Zahlentricks werden die Grundrechenarten geübt; das Herstellen<br />

der Tricks verlangt geometrische Grundkenntnisse. Für Kinder mit<br />

Lernproblemen sind gerade „mathematische Kunststücke“ sehr gut<br />

geeignet. Ein Kind, das beim Erwerb der „Kulturtechniken“ negative<br />

Erfahrungen gemacht hat, genießt es, mit Zahlenspielen zu beeindrucken.<br />

• Das Fach Deutsch wird beispielsweise das Leseverständnis trainiert,<br />

wenn Zaubertricks gelesen und verstanden werden sollen. Beim<br />

Vorführen sind kommunikative und gestaltende Fähigkeiten gefragt und<br />

werden auch geschult.<br />

• Naturwissenschaftliche Phänomene können Thema werden, wenn<br />

Tricks analysiert werden.<br />

• Nicht zuletzt wird über das Ziel der Vorführung die gesamten musischen<br />

und kreativen Potentiale des Schülers angesprochen und gefördert.<br />

• Kinder mit dem Aufmerksamkeitsdefi zitsyndrom sind geradezu<br />

„gierig“ danach zaubern zu lernen. Anfangs begeistert, sind sie bei<br />

Ausdaueranforderungen schnell frustriert. Sie brauchen dann einfache<br />

Zauberkunststücke, die binnen einer Stunde publikumsreif sind. Diese<br />

Kinder brauchen eine klare Strukturierung und Planung.<br />

3. Voraussetzungen, um Zaubertricks zu unterrichten<br />

• Der Lehrer braucht ein solides Grundwissen an Zaubertricks, die er mit<br />

ansteckender Lust vorführen können sollte.<br />

• Der Lehrer muss wissen, welche Tricks unter welchen Unterrichtsbedingungen<br />

günstig sind:<br />

Zum Beispiel Vorhersagezaubereien und Bilderbuchtrick für den Schüler im<br />

Einzelunterricht in der Isolierstation. (wenig Material, nur aus Papier, Tricks<br />

zum basteln). Meist wird der Schüler mit seinen Künsten in ausgesuchten<br />

kommunikativen Situationen glänzen können. Mit dem erworbenen Wissen<br />

hat der Schüler für die Zukunft einen Schatz für Aufführungen.<br />

Für die Schüler im Gruppenunterricht in der Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />

sind alle möglichen Tricks denkbar (beginnen sollte man mit ganz einfachen<br />

Tricks, sogenannten Selbstläufern), die mit dem Ziel einer Aufführung über<br />

eine bestimmte Zeit hinweg eingeübt werden sollten.<br />

Jeder Schüler sollte dann an dem gemeinsamen Repertoire üben. Zauberhut,<br />

Zauberkiste, Zaubersprüche, Zaubermusik, Rhythmusinstrumente, all<br />

die publikumswirksamen Attribute sollten in diesen Projekten eine Rolle<br />

spielen.<br />

4. Beispiele dafür wofür Zaubertricks gut sein können<br />

• Zaubern zur Kontaktaufnahme (diese Tricks, wie z.B. „Ente und Tuch“<br />

werden nicht aufgelöst)<br />

• Zaubern als sympathischer Fluchtpunkt<br />

• Zaubern und Lernen<br />

• Lernen in Gruppen und Vorführung<br />

Zwei Pole (Isolierstation und Gruppenunterricht) für mögliche Un terrichts<br />

orte mit Beispielen für Zaubertricks. (Liste ist offen und variabel – es<br />

werden nur die Tricks genannt, die im Workshop geübt wurden).<br />

KMT/ Einzelsituation am Krankenbett<br />

Stehendes Seil , Malbuch, Elefant, Zahlentricks, Bilderrätsel<br />

Psychiatrie/ Arbeit mit Gruppen<br />

Becherspiel, Stehendes Seil , Malbuch, Elefant, Zahlentricks, Bilderrätsel<br />

Elemente einer Aufführung : siehe PPP Tipps für Aufführungen<br />

Zusammen gefasst:<br />

Wenn der Kliniklehrer dem kranken Schüler Zaubertricks beibringt passiert<br />

häufi g zweierlei:<br />

dem Schüler gelingt es oft, die Krankheit zeitweilig zu vergessen und das<br />

Lernen ist ganzheitlich und spielt eine zentrale Rolle, denn Zaubertricks<br />

verlangen Verstand und Training.


100 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

101<br />

Literaturhinweise; Links<br />

III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

Annalisa Neumeyer – zwei Bücher zum Thema<br />

Mit Feengeist und Zauberpuste, 2009<br />

Wie Zaubern Kindern hilft, 2009<br />

www.therapeutisches –zaubern.de<br />

Ulrich Rausch – ein Buch und ein Internetauftritt<br />

Zauber- Fundgrube: Kunststücke für Schüler und Lehrer im Unterricht (Cornelson Verlag)<br />

www.circus-mignon.de<br />

Das Recht des kranken Kindes auf Bildung<br />

Gerd Falk-Schalk<br />

Präsidentin von <strong>HOPE</strong> (Hospital Organisation of Peagogues<br />

in Europe)<br />

Während des <strong>HOPE</strong> Kongresses in München nahmen rund 20 Teilnehmer,<br />

<strong>HOPE</strong> Mitglieder aus aller Welt, am <strong>HOPE</strong> Workshop 15 Teil: „Das Recht<br />

des kranken Kindes auf Bildung zu Hause oder im Krankenhaus“.<br />

Fast alle trugen sich ein für eine Neu-Auflage des Workshops.<br />

Folgende Punkte standen auf der Tagesordnung:<br />

1. Aktualisierung der Sprache der <strong>HOPE</strong> Charta und des ‚Standard‘<br />

(Der ‚Standard‘ unter<br />

www.hospitalteachers.eu/winfos/ap_detail.php?recordID=04<br />

erklärt ausführlicher die 10 Punkte der Charta.)<br />

2. Diskussion einer Strategie für die bestmögliche Umsetzung der Charta<br />

und des Standard<br />

3. Wahl eines Workshop Koordinators<br />

Alexander Wertgen, Düsseldorf, gab eine kurze Einführung auf der Basis<br />

seiner eigenen Arbeit und Analyse der <strong>HOPE</strong> Charta. Aus seiner Sicht hat<br />

die Charta weiterhin Aussagekraft und braucht nur geringe Änderungen.<br />

Der Hauptkritikpunkt liegt in der Verwendung des Begriffs ‚sick child‘ in<br />

der englischen Version.<br />

Günter Brehm, Lörrach, berichtete über seine Arbeit als Vertreter für <strong>HOPE</strong><br />

bei den Sitzungen der Nicht-Regierungsorganisationen beim Europarat/<br />

Council of Europe in Straßburg. Aus seiner Erfahrung fand er es notwendig<br />

darauf hinzuweisen, dass der Europarat, bzw. das Council of Europe www.<br />

coe.int nicht mit der Europäischen Union verwechselt werden darf. Das<br />

CoE hat 47 Mitgliedsländer und wurde 1949 gegründet. Im Jahr 2011 feiert<br />

es 50 Jahre Europäische Menschenrechtskonvention und Europäische<br />

Sozialcharta. <strong>HOPE</strong> ist berechtigt, Klage zu führen bei Verstößen gegen<br />

die Sozialcharta (nur 12 der 47 Länder haben zugestimmt, Klagen gegen<br />

sich aufzugreifen).<br />

Nach einer Vorstellung der Teilnehmer teilte sich der Workshop in<br />

Arbeitsgruppen, um die Charta zu diskutieren und Vorschläge für<br />

Aktualisierungen zu machen.<br />

Ein Teilnehmer machte den Vorschlag, die UN Behindertenrechtskonvention<br />

zu den Grundlagen-Texten des Workshop 15 hinzuzufügen.<br />

Ziel des Workshops ist es, eine neu formulierte Fassung der<br />

Generalversammlung 2012 in Amsterdam vorlegen zu können. Alle<br />

Interessierte an diesem Prozess werden gerne in die Workshop-Mailing-<br />

Liste aufgenommen. Nachricht bitte an Workshop-Koordinatorin Gerd<br />

Falk-Schalk unter folgender E-Mail-Adresse: 018.252682@telia.com.<br />

Leider gab es nicht genügend Zeit für eine weitere Diskussion der Strategie-<br />

Arbeit, auch nicht für die Wahl eines neuen Koordinators. Die Gruppe wird<br />

weiterhin per E-Mail zusammenarbeiten und die Unterzeichnende wird<br />

die Aufgabe der Koordinatorin beibehalten bis eine neue Person für die<br />

Funktion gefunden ist.<br />

Zwischenlösungen 1 – Hausunterricht bis Schulabschluss –<br />

gemischter Schulbesuch<br />

Mona Meister<br />

Schulleiterin Schule für Haus- und<br />

Krankenhausunterricht Hamburg<br />

Elisabeth Voigt<br />

Kliniklehrerin - Schule für Haus- und<br />

Krankenhausunterricht Hamburg<br />

Die Schule für Haus- und Krankenhausunterricht (HuK) ist für die Versorgung<br />

von kranken Schülerinnen und Schülern in ganz Hamburg zuständig.<br />

Wir haben folgende Bereiche:<br />

• Hausunterricht<br />

• Klinikschulen (Pädiatrie)<br />

• Klinikschulen (Psychiatrie)<br />

• Autismusberatungsstelle<br />

• Kooperationsprojekte mit Schulen und Jugendhilfe<br />

Es gibt ein Kollegium, das fest an der Schule arbeitet und sich aus Lehrkräften<br />

aller Schularten zusammensetzt.<br />

<strong>2010</strong> haben wir 46,5 Planstellen auf 62 Kolleginnen und<br />

Kollegen verteilt.<br />

Krankenhaus<br />

Somatik<br />

8 Lehrkräfte<br />

Davon 4 auch im<br />

HU<br />

Hausunterricht<br />

23 Lehrkräfte<br />

KJP<br />

Kinder- und<br />

Jugendpsychiatrie<br />

29 Lehrkräfte<br />

Beratungsstelle<br />

Autismus<br />

2 Lehrkräfte<br />

+12 KollegInnen<br />

Alle Lehrkräfte des HuK arbeiten sehr eigenverantwortlich mit den Schülerpatienten.<br />

Ziel ist ein größtmögliches Maß an Unterrichtsinhalten aber<br />

immer angepasst an den jeweiligen Gesundheitszustand. Dabei halten wir<br />

engen Kontakt zu den Schulen und den Fachlehrern.<br />

Bundesgesetze<br />

Kultusministerium<br />

gesetzliche Regelungen<br />

Verordnungen<br />

REBUS<br />

Regionale Beratungs- und<br />

Unterstützungsstellen<br />

Internate<br />

Rehaeinrichtungen<br />

HIBB<br />

Hausunterricht<br />

Klinikschule<br />

Regelschule<br />

Stammschule<br />

Neue Schule<br />

Klinik / Station<br />

Therapeuten /Ärzte<br />

Sozialpädagogen /<br />

Erzieher<br />

Ergo-, Kunst-, und<br />

Bewegungstherapeuten<br />

Pflegedienst<br />

Kooperations<br />

projekte<br />

Eltern<br />

und / oder<br />

Jugendamt<br />

Selbsthilfe<br />

Wir arbeiten eng mit den Schulen, Therapeuten und Eltern zusammen.<br />

Hohe Priorität hat bei unseren Angeboten immer, dass die Schülerinnen<br />

und Schüler schnellstmöglich wieder am Klassenunterricht teilnehmen.<br />

Wenn sie krankheitsbedingt aber noch nicht das volle Unterrichtspensum<br />

schaffen oder weiterhin hohe Fehlzeiten haben, begleiten wir durch unsere<br />

mobilen Lehrkräfte. Bei chronischen Erkrankungen begleiten wir bei<br />

Bedarf auch jahrelang.<br />

Wir bieten dazu:<br />

• Unterrichtsinhalte parallel zur Klasse<br />

• Arbeiten können unter Aufsicht der Kollegen im Hausunterricht oder in<br />

der Klinikschule geschrieben werden<br />

• Klausurersatzleistungen<br />

• Anfertigen von Referaten als Ersatz für mündliche Noten<br />

Bei chronischen Erkrankungen darüber hinaus:<br />

> Unterstützender Unterricht Zuhause<br />

> Enge Zusammenarbeit mit den Fachlehrern<br />

> Verkürzung des Stundenplans z.B. durch Streichung von „unnötigen“<br />

Fächern<br />

Wenn nötig:<br />

> Notengebung zusammen mit den Lehrern der Schule<br />

> Übernahme von einzelnen Fächern durch den HU<br />

> Ermöglichen von verlängerten Abschlussjahren z.B. geteiltes Abitur in<br />

mehreren Teilen nach 3-4 Jahren statt alle Prüfungen nach 2 Jahren<br />

Oberstufe<br />

Wir begleiten so lange<br />

• bis der Anschluss an die Klasse geschafft ist.<br />

• bis die Angst vor dem Versagen nach der langen „Pause“ reduziert ist.<br />

• bis die Lehrerkräfte sicher sind, dass das Kind wieder Tritt gefasst hat.<br />

Die Schulen können von uns erwarten:<br />

• Beratungsgespräche in den Schulen mit Lehrern, Schülern und Eltern<br />

• Vereinbarungen zu Klausur- bzw. Prüfungsbedingungen, die an die Erkrankungsfolgen<br />

angepasst sind.<br />

• Verbesserung der Situation im Schulalltag<br />

• Begleitete Rückkehr in die Klasse<br />

• Beratung bezüglich des Nachteilsausgleichs<br />

Auf Schulleitungsebene:<br />

• Beratung der Schulleiter über rechtliche Spielräume des Nachteilsausgleichs<br />

• An die Krankheit angepasste Klausur- bzw. Prüfungsbedingungen finden<br />

• Teilnahme der HuK-Leitung an runden Tischen<br />

• Ansprechpartner für Schulaufsicht und Rechtsabteilung der Schulbehörde<br />

Beispiele:<br />

• Mittelstufe: Florian<br />

• Oberstufe: Hanna<br />

Vivian<br />

Nora<br />

Florian<br />

Florian leidet seit etlichen Jahren am „overgrowth“ Syndrom. (= Überwucherung<br />

der normalen Dünndarmflora durch Keime des Dickdarmes)<br />

Die Auswirkungen sind ähnlich wie bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen:<br />

• Malabsorption (Fehlaufnahme) verschiedener Nahrungsbestandteile<br />

mit nachfolgenden Blähungen nach dem Essen<br />

• Mundgeruch durch Resorption und Lungenabatmung von Darmgasen.<br />

Diese entstehen durch Verstoffwechselung der Nahrung durch Dickdarmkeime.<br />

• Allergien durch Antigenüberflutung, da eine verstärkte Schleimhautdurchlässigkeit<br />

besteht.<br />

• Durchfälle oder breiige Stühle<br />

All diese Symptome sind für Florian extrem peinlich – er vermeidet es<br />

darüber zu sprechen.<br />

Treffen mit Florian in seiner 9. Klasse, 1. Durchgang, Frühjahr/Sommer<br />

2008<br />

Florian hatte zu Beginn unserer Zusammenarbeit bereits sehr viele Fehltage<br />

wegen der damals nicht klar diagnostizierten Darm-Problematik. Zu-<br />

sätzliches Mobbing erhöhte die Zahl der Fehltage.<br />

Florian ging in der Zeit unseres begleitenden Hausunterrichtes unregelmäßig<br />

zur Schule – je nach Gesundheitszustand. Ebenso daran ausgerichtet<br />

waren unsere Arbeitstreffen unregelmäßig.<br />

Er hielt von sich aus den Kontakt zu seinen Fachlehrern seiner Schule und<br />

lehnte die Unterstützung durch die Hauslehrerin diesbezüglich ab.<br />

Er erhielt auch Material von den Fachlehrern, empfand im Nachhinein dennoch<br />

die Zusammenarbeit zwischen uns und ihnen als ungenügend.<br />

Trotz unseres erfolgreichen begleitenden Hausunterrichtes entschied Florian<br />

sich, dem Mobbing zu entgehen, indem er die Klasse wiederholte.<br />

Florian muss regelmäßig zu Beginn jeder Ferien ins Krankenhaus, um sich<br />

„aufpäppeln“ zu lassen.<br />

Er kommt im Moment ohne den HuK aus, weiß aber, dass er uns jederzeit<br />

wieder beanspruchen darf.<br />

Fragen an Florian und an die Eltern<br />

Für den <strong>HOPE</strong>-Kongress, der im November <strong>2010</strong> in München stattfindet,<br />

möchten wir dich bitten uns aus deiner Sicht als Schüler/in eine Rückmeldung<br />

zu geben, wie das Angebot des begleitenden Hausunterrichts für<br />

dich war.<br />

Antwort Florian:<br />

1. Wie bist Du zum HuK gekommen?<br />

Durch Anfrage bei der Schule aufgrund einer Erkrankung und dem dadurch<br />

bedingten Unterrichtsausfall.<br />

2. Was war für Dich das Wichtigste in unserem Angebot?<br />

Versuch der Aufrechterhaltung des Lernpensums, Füllen von Unterrichtslücken,<br />

flexible Einsatzzeiten der Hauslehrerin<br />

3. Was hättest Du Dir darüber hinaus gewünscht?<br />

Bessere Zusammenarbeit zwischen Schule und Hauslehrern.<br />

Antwort Eltern:<br />

1. Wie sind Sie zum HuK gekommen?<br />

Wir sind im Zuge von Besprechungen mit dem Alexander-von-Humboldt-<br />

Gymnasium anlässlich der zunehmenden krankheitsbedingten Ausfallzeiten<br />

unseres Sohnes von Seiten der Schule auf dieses Angebot aufmerksam<br />

gemacht worden.<br />

2. Was war für Sie das Wichtigste in unserem Angebot?<br />

Schnelle Verfügbarkeit, flexibler Lehreinsatz, Umfang und Qualität der angebotenen<br />

Lehrtätigkeit.<br />

3. Was hätten Sie sich darüber hinaus noch gewünscht?<br />

Gesundung unseres Kindes ;-)<br />

Bessere Mitwirkung der Schullehrer bei der Weitergabe von Lehrstoffen<br />

und -material<br />

Uwe L.<br />

Neben Florian unterrichten wir in Hamburg häufig Schüler mit chronisch<br />

entzündlichen Darmerkrankungen, die ihre Unterstützung sehr individuell<br />

und nach dem jeweiligen Gesundheitszustand abfordern.<br />

Als Nachteilsausgleich vereinbaren wir häufig:<br />

• Flexible Fehlzeitenregelungen<br />

• Hausaufgabenerlass bei großer Erschöpfung<br />

aber auch<br />

• Benutzung der Lehrertoiletten oder Rollstuhlfahrertoiletten (eigener<br />

Schlüssel)<br />

• Rückzugsmöglichkeit mit Liege bei Bauchschmerzen<br />

Hanna<br />

Hanna leidet an Depressionen mit ausgeprägter Angsterkrankung. Sie hat


102 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

103<br />

den Realschulabschluss mehr schlecht als recht geschafft und wurde danach<br />

außerhalb Hamburgs stationär behandelt.<br />

Während der Behandlung kommt es zu unerwarteten Nebenwirkungen der<br />

Medikamente. Hanna ist in dieser Zeit zu keinerlei Unterricht fähig.<br />

Erstes Treffen im Mai 2008.<br />

Hanna hat nach dem fast einjährigen Klinikaufenthalt wieder angefangen<br />

zu lernen – sie ist sprachbegabt und besucht ein Fremdspracheninstitut<br />

um Persisch zu lernen.<br />

Ihr Wunsch:<br />

Besuch der Oberstufe eines Gymnasiums - keine Wiederholung<br />

Angebot des HuK:<br />

• Überprüfung des Leistungsstand in den Fächern Deutsch, Englisch, Mathe<br />

und NW<br />

• Einschätzung, der Kollegen, dass sie die Oberstufe schaffen kann.<br />

Leistungen des HuK<br />

• Suche nach einer neuen Schule, die bereit ist Hanna trotz schlechtem<br />

Realschulabschluss und nicht besuchter 11. Klasse in die Oberstufe aufzunehmen<br />

• Garantie für den aufnehmenden Schulleiter, dass im Falle von auftretenden<br />

Schwierigkeiten der HuK in der Verantwortung bleibt.<br />

• Garantie den begleitenden Unterricht nach Bedarf fortzusetzen.<br />

• Begleitender Unterricht in Deutsch, Philosophie, Mathe und Englisch<br />

nach Bedarf<br />

Hanna nimmt das Angebot sehr gewissenhaft und dosiert an. In Phasen, in<br />

denen es ihr gut geht, greift sie nicht auf die möglichen Stunden zurück.<br />

Sie fragt die Stunden regelmäßig vor Arbeiten ab und koordiniert alles gut.<br />

In Phasen, in denen es ihr schlecht geht, braucht sie viel Unterstützung.<br />

Zum Teil finden Motivationsgespräche mit der Leitung des HuK statt.<br />

Hanna will bewusst keine Sonderregelungen im Sinne des Nachteilsausgleichs<br />

in Anspruch nehmen.<br />

Kurz vor dem Abi kommt es zu einer dramatischen Verschlechterung ihres<br />

Gesundheitszustands.<br />

Die Fehlzeitenquote wird für sie außer Kraft gesetzt. Es finden mehrere<br />

Krisengespräche der HuK-Leitung bei ihr zuhause statt. HuK-Leitung und<br />

Schulleitung sind in engem Kontakt.<br />

Hanna schafft es, ihr Abi regulär mit zu schreiben und erreicht einen guten<br />

Notendurchschnitt.<br />

Zurzeit ist sie im Ausland. Sie kann deshalb auch nicht bei diesem Workshop<br />

mitmachen, wie wir es ursprünglich gemeinsam geplant hatten.<br />

Die Fragen stellten wir deshalb der Mutter:<br />

Für den <strong>HOPE</strong>-Kongress, der im November <strong>2010</strong> in München stattfindet,<br />

möchten wir Sie bitten uns aus Ihrer Sicht als Mutter/Vater eine Rückmeldung<br />

zu geben, wie das Angebot des begleitenden Hausunterrichts bei<br />

Ihrem Kind für Sie bzw. die Familie war.<br />

Antwort der Mutter<br />

III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

1.) Wie sind Sie zum HUK gekommen<br />

Während eines Klinikaufenthaltes unserer Tochter lernten wir Herrn Prof.<br />

Schulte-Markwort kennen. Er gab uns die Nummer vom HuK und wir meldeten<br />

uns dann bei Frau Mona Meister. Wir wurden sehr herzlich von Frau<br />

Meister aufgenommen und kompetent unterstützt. Meine eigenen Versuche,<br />

meine Tochter Hanna nach dem Klinikaufenthalt wieder in die Schule<br />

zu integrieren schlugen fehl, auch die persönliche Vorsprache bei der für<br />

uns zuständigen Behörde hatte leider keinen Erfolg. Erst durch den Kontakt<br />

und den unermüdlichen Einsatz der HuK-Leitung ist die Rückkehr in<br />

die Schule möglich gewesen. Wir sind unendlich dankbar, Frau Meister an<br />

unserer Seite gehabt zu haben !!!<br />

2.) Was war für Sie das Wichtigste in unserem Angebot ?<br />

Sehr wichtig war für mich als Mutter, in dem HuK endlich auf unserer Odyssee<br />

eine Institution gefunden zu haben, die sich unserem Problem annimmt<br />

und ihre Hilfe anbietet. Vom ersten Treffen an hatte ich nach Monaten voller<br />

Hoffnungslosigkeit endlich das Gefühl, „da ist jemand, der ist für dich da und<br />

sagt nicht nur, dass er helfen würde, nein, er tut es auch !!<br />

Sehr wichtig war auch die Auswahl der HuK Lehrkräfte. Mit Frau Kömen wurde<br />

unserer Tochter eine Lehrkraft an die Seite gestellt, die nicht nur fachlich,<br />

sondern auch menschlich mit unserer Tochter wunderbar harmonierte. Frau<br />

Kömen war in der Lage, in unserer Tochter die Liebe zur Literatur zu entdecken.<br />

Dank dem HuK hat unsere Tochter den Einstieg nach einer einjährigen<br />

Schulpause geschafft und ein tolles Abitur gemacht. (Wie es uns ohne die<br />

Hilfe des HuK ergangen wäre möchte ich gar nicht ausmalen)<br />

Wir danken dem HuK und vor allem Frau Meister und Frau Kömen von<br />

ganzem Herzen !!!<br />

3.) Was haben Sie sich darüber hinaus noch gewünscht?<br />

Wunschlos glücklich !!<br />

Vivian<br />

Anzeichen einer schweren Krankheit seit Sommer 2006 – endlose Arztbesuche,<br />

Diagnose Anfang Februar 2007: Hydrocephalus<br />

Ende Februar 2007: Hirn-OP<br />

Im Frühjahr intensive Schul-Suche – noch ohne Unterstützung vom HuK<br />

Während der ambulanten Reha im Juni 2007 erfuhr Vivian von uns<br />

Erster Kontakt mit dem HuK im Herbst 2007; Vivian wiederholt die 12. Klasse<br />

Beginn des schulbegleitenden Hausunterrichts für Vivian<br />

Auswirkungen ihrer Erkrankung;<br />

• Große Probleme beim Lesen - kein „Überblick“ über die Arbeitsblätter<br />

• Konzentrations- und Gedächtnisstörungen<br />

• Schnelle Ermüdung<br />

Angebot des HuK:<br />

• Vivian koordiniert alle Stunden mit uns selbst.<br />

• Sie erhält über 2 Jahre Unterricht nach Bedarf in Mathe, Chemie, Englisch,<br />

Deutsch, Geographie und Gemeinschaftskunde<br />

• 3 KollegInnen treffen Vivian bei ihr zu Hause, in einem nahe bei ihrer<br />

Wohnung gelegenenSchulraum oder in der Schule.<br />

• Wir stehen in engem Kontakt mit den FachkollegInnen der Schule.<br />

Nachteilsausgleich:<br />

• Vivian hat während der 4 Semester folgende Nachteilsausgleichsregelungen:<br />

• Sie erhält Klausur-Texte am Tag vor der Klausur<br />

• sie kann alle Themen aus dem Unterricht mit uns nacharbeiten<br />

• sie braucht nicht an allen Fächern teil zu nehmen, die „Pflicht-Stundenzahl“<br />

wurde als Abitur-Grundlage anerkannt<br />

Vivian hatte während der Abitur-Prüfungen als besondere Regelungen,<br />

dass:<br />

• ihre HuK-Lehrerin ihr als Assistentin während der Klausuren zur Verfügung<br />

stand<br />

• Die Prüfungszeit um 60 Minuten verlängert war.<br />

Wir haben Vivian und ihren Eltern folgende Fragen gestellt:<br />

Für den <strong>HOPE</strong>-Kongress, der im November <strong>2010</strong> in München stattfindet,<br />

möchten wir Sie bitten uns aus Ihrer Sicht als Mutter/Vater eine Rückmeldung<br />

zu geben, wie das Angebot des begleitenden Hausunterrichts bei<br />

Ihrem Kind für Sie bzw. die Familie war.<br />

Antwort der Mutter:<br />

4. Wie sind Sie zum HuK gekommen?<br />

Durch Rebus Mitte (Grabenstraße), dazu kam ich durch eine interessierte<br />

Bekannte die Lehrerin ist.<br />

5. Was war für Sie das Wichtigste in unserem Angebot?<br />

a. Die entsprechende nötige Hilfe für Vivian, wieder in den Schulalltag<br />

rein zukommen.<br />

b. Begleitendes und unterstützendes Lernen in Fächern bei denen Vivian<br />

am dringendsten Bedarf hat.<br />

• Dass Vivian Selbstsicherheit und Selbstvertrauen gewinnt und das<br />

Bewusstsein kriegt, sie kann alles schaffen was sie wirklich will!<br />

6. Was hätten Sie sich darüber hinaus noch gewünscht?<br />

Nichts, ich war froh, dass ich wusste was ich für Vivian wollte und das<br />

meinen AnsprechpartnerInnen gegenüber deutlich machen konnte.<br />

Antwort der Schülerin:<br />

4. Wie bist Du zum HuK gekommen?<br />

Über eine bekannte meiner Mutter, sie ist Lehrerin und hat uns Rebus<br />

empfohlen und so bin ich dann in Kontakt mit Mona Meister bzw. zu HuK<br />

gekommen.<br />

5. Was war für Dich das Wichtigste in unserem Angebot?<br />

Es war für mich sehr wichtig und hilfreich regelmäßig (~ einmal wöchentlich)<br />

Hilfe und Unterstützung in den wichtigsten und schwierigsten Fachen<br />

zu bekommen und somit meine Defizite auszugleichen bzw. aufzuarbeiten.<br />

Durch die Terminbindung hatte man schon einen Schritt der Disziplin hinter<br />

sich, alleine hätte ich das alles nicht so gut schaffen können, wenn<br />

überhaupt.<br />

> die fachliche Kompetenz der Lehrer<br />

> soziale Kompetenz (von Elisabeth) in jeglichen Situationen<br />

> Bewerbungstraining, Wie geht man im weiteren Leben mit seiner Erkrankung<br />

um, aber auch der Austausch mit anderen die ähnliche/andere Erfahrungen<br />

machten<br />

6. Was hättest Du Dir darüber hinaus gewünscht?<br />

Nichts weiter, ich denke für mich hätte es nicht besser kommen können<br />

zumal ich bis dahin dachte ich müsste alles alleine schaffen und nicht<br />

wusste das es auch für solche Schicksale eine Anlaufstelle gibt, dies wäre<br />

auch der einzige Punkt<br />

> die Verbreitung solcher Instanzen, dass die Gesellschaft weiß wenn so<br />

etwas passiert, an wen sie sich wenden kann, die auch mit solchen Fällen<br />

vertraut sind. (z.B. Krankenkassen, Krankenhäuser, Schulen, Kinder-<br />

& Jugendtherapeuten, etc.)<br />

Nora<br />

• Nora wurde im Oktober 2006 krank. Bis Februar 2007 verschiedene<br />

Krankheitsausbrüche, (Fehl-)Diagnosen, Psychiatrie-Aufenthalt, Medikamentengaben<br />

– dann die Diagnose: Hashimoto Syndrom<br />

• Bis heute leidet sie unter Symptomen wie Müdigkeit, Konzentrationsstörungen,<br />

Muskel- und Gelenkschmerzen. Häufige Unterbrechung des<br />

Nachtschlafes, Blasenprobleme und Nebenwirkungen der Medikamente<br />

bereiten ihr große Probleme.<br />

Erster Unterricht des HuK während der Diagnostik in der Klinik durch die<br />

Kollegen der dortigen Klinikschule. Danach Antrag auf Hausunterricht.<br />

• erstes Treffen mit uns bei ihr zu Hause im Februar 2007, damals war<br />

Nora in der 9. Klasse.<br />

Nachteilsausgleich:<br />

Nora hat neben der Unterstützung durch Hausunterricht folgende „Sonderregelungen“<br />

erhalten:<br />

• deutlich reduzierter Stundenplan<br />

• HS-Abschluss-Prüfung wurde erlassen, da der Realschulabschluss erwartet<br />

werden konnte.<br />

• Nora durfte nach Hause gehen, sobald sie erschöpft war<br />

• ihr wurde das Praktikum erlassen. In dieser Zeit erhielt sie intensiv Hausunterricht<br />

• schulbegleitender Unterricht nach Bedarf von Februar 2007 bis Sommer<br />

2008<br />

Einjährige Pause. Nora schaffte die 11. Klasse allein.<br />

• Im Sommer 2009 erneuter Krankenhaus-Aufenthalt, neue Medikamenten-Gabe<br />

• Seit Sommer 2009 unterrichten 2 Kolleginnen Nora regelmäßig in Mathe<br />

und Englisch<br />

• reduzierter Stundenplan bis heute<br />

Die Kolleginnen aus dem Hausunterricht können auf eine gute Zusammenarbeit<br />

mit den Stufen-Koordinatoren bauen.<br />

Der Kontakt zu den Fachkollegen der Schule spielt derzeit kaum eine Rolle,<br />

da Nora selbständig ihre Unterstützung managt.<br />

Wir haben Nora und ihren Eltern folgende Fragen gestellt:<br />

Für den <strong>HOPE</strong>-Kongress, der im November <strong>2010</strong> in München stattfindet,<br />

möchten wir Sie bitten uns aus Ihrer Sicht eine Rückmeldung zu geben,<br />

wie das Angebot des begleitenden Hausunterrichts bei Ihrem Kind, für Sie<br />

bzw, die Familie war.<br />

Antwort Eltern:<br />

7. Wie sind Sie zum HuK gekommen?<br />

Eine Freundin, die selber als Lehrerin tätig ist wusste von dieser Organisation<br />

und informierte uns nachdem es meiner Tochter besser ging. Wir<br />

nahmen Kontakt mit dem HuK auf und Nora wurde schnell ohne bürokratische<br />

Probleme geholfen<br />

8. Was war für Sie das Wichtigste in unserem Angebot?<br />

• Mir war es wichtig, da Nora auf Grund ihrer Krankheit nicht wie gewöhnlich<br />

den vollen Unterricht besuchen konnte, den Anschluss nicht verpasst<br />

und deshalb als Ausgleich die Unterstützung von dem HuK bekam.<br />

• Das Angebot an Lehrern, die zu einem nach Hause kommen, und die<br />

Unterstützung auch wenn man nach einiger Zeit noch Hilfe braucht oder<br />

zwischen durch mal Pause machen möchte.<br />

• Der HuK unterstützte uns, sprach mit den Lehrern, damit auch die bescheid<br />

wussten und entlasteten uns als Eltern und unsere Tochter.<br />

• Die Offenheit für jedes Problem und die mögliche Lösung dazu.<br />

9. Was hätten Sie sich darüber hinaus noch gewünscht?<br />

Wir sind sehr zufrieden und haben somit keinerlei Wünsche mehr offen.<br />

Antwort Schülerin:<br />

a. Wie sind Sie zum HuK gekommen?<br />

Eine Freundin meiner Mutter, die selber als Lehrerin tätig ist, hat uns auf<br />

dieses Thema angesprochen und verhalf uns zum Kontakt mit dem HuK.<br />

b. Was war für Sie das Wichtigste in unserem Angebot?<br />

Das wichtigste für mich ist, dass ich gar nicht wusste wir viel ich mir selber<br />

zumuten konnte und der HuK mich ein bisschen gezügelt hatte. Im Nachhinein<br />

war das so viel besser, denn nur so kam ich mit Allem was außerhalb<br />

der Schule noch nötig war hinterher. Die Lehrer wurden informiert, über<br />

das was mich in den letzten 3 Monaten belastet hatte und so wurde mir<br />

die Zeit um einiges erleichtert und Kompromisse und Unterstützung waren<br />

gegeben. Alleine diese Organisation hat mir geholfen und natürlich der<br />

Unterricht, denn ohne den hätte ich bestimmt Wiederholen müssen geschweige<br />

denn wäre ich jetzt in der Oberstufe.<br />

c. Was hätten Sie sich darüber hinaus noch gewünscht?<br />

Ich bin sehr zufrieden und habe somit keinerlei Wünsche mehr offen.


III. Workshops und Foren III. Workshops und Foren<br />

104 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

105<br />

Living Karaoke - Freue dich an etwas Musik und komm in die Band!<br />

Ein Modell für die Beteiligung von Schülern im Krankenhaus am<br />

Musizieren als Orchester<br />

Klas Brunander<br />

Schulleiter, Linköping, SCHWEDEN<br />

Elisabeth Karelid<br />

Lehrerin, Linköping, SCHWEDEN<br />

Nina Lindberg<br />

Lehrerin, Linköping, SCHWEDEN<br />

Ronny Nordenjack<br />

Lehrer, Linköping, SCHWEDEN<br />

Die Krankenausschule Linköping in Schweden hat über die Jahre verschiedene<br />

Methoden entwickelt in den Fächern Kunst und Musik.<br />

In Musik gibt es zwei Unterrichtsstunden pro Woche. Dabei musizieren<br />

wir als Orchester, wobei sich die Schülerinnen und Schüler je nach Können<br />

und Interesse beteiligen. Sie übernehmen die Rolle des Schlagzeugers,<br />

des Gitarristen, Cellisten oder spielen ein anderes Instrument. Viele sind<br />

glücklich, wenn sie als Sänger oder im Chor mitmachen können.<br />

Man kann sagen, es entsteht ein lebendiges Karaoke. Es hat eine sehr gute<br />

Wirkung auf die Schüler, und auch auf andere Besucher unserer Schule.<br />

Unsere Grund-Idee ist es, Schüler im Musikzimmer zu haben und wir als<br />

Lehrer singen und spielen zusammen mit ihnen. Wir einigen uns darauf,<br />

was wir singen wollen.<br />

In unserem Workshop in München spielten wir Musik von ABBA, den Beatles,<br />

Cash, usw.<br />

Das Erstaunliche ist, wie viel Freude es macht zu spielen und zu singen.<br />

Wir glauben, dass Musik einen sehr wertvollen Beitrag leisten kann bei der<br />

Genesung der Schülerinnen und Schüler.<br />

For the Best - a participatory arts project<br />

Manuela Beste<br />

Headteacher, Evelina Hospital School, London, UK<br />

Following are excerpts from a report about a year long collaboration between<br />

Evelina Children’s Hospital School, the Unicorn Theatre, primary<br />

schools and artists and performers in London, conceived by artist Mark<br />

Storor and produced by educationalist Anna Ledgard. For the Best was<br />

largely funded through a Wellcome Trust Arts Award as part of a public<br />

engagement strategy to support projects that aim to inform and inspire<br />

the public about biomedical science and its social contexts.<br />

The project provided a model of interdisciplinary partnership and collaboration<br />

across multiple agencies including a hospital renal unit, a hospital<br />

school, a theatre, primary schools, artists, a fi lm maker and performers<br />

from a range of disciplines. The project has had a number of profound<br />

outcomes for participating children and families, their peers in primary<br />

schools, bio-medical and education professionals and the general public<br />

audiences for the performance.<br />

Project Activity<br />

From September 2008 Mark Storor worked as artist in residence on the<br />

Dialysis Unit with the children, hearing their stories, enabling them to<br />

create poems and to make images and entering into a reciprocal creative<br />

process with them. A team of artists worked to support the work in the<br />

school, bringing animation, sound recording and making skills to give form<br />

to the children’s ideas.<br />

Along with one of the children from the Unit Mark also devised an imagined<br />

journey drawn from images and writing the child had created that<br />

were metaphorical representations of<br />

his experience of his condition. This journey, named Out of Bounds, included<br />

a maze that had to be travelled through without crossing the bound-<br />

aries, a meeting with a tiger whose fi erceness had to be subdued and an<br />

impossible jigsaw that had to be completed blindfolded.<br />

Responding to letters sent from this child, children at Worple School and<br />

at Charles Dickens School had to travel on the Out of Bounds journey and<br />

rise to the challenge of facing diffi culties and hardships in collaboration<br />

with each other in order to succeed.<br />

A team of 6 performers took part in a 6 week devising and rehearsal process<br />

in May 2009 which resulted in the creation of an 80minute piece of<br />

theatre for public audiences. The<br />

stories of the children in the dialysis unit were the source material for<br />

the devising process and, under the guidance of Mark Storor, artists and<br />

performers kept to the essence of these stories, going back to the source<br />

material all the time, whilst bringing their own experience to it, and making<br />

something new and fresh.<br />

The performance of For the Best took place in the Clore studio, corridors<br />

and backstage areas of the Unicorn Theatre. It was attended by mixed audiences<br />

of adults and children – a total of 2,000. The show received excellent<br />

reviews, including a 5 star review in The Guardian, and was pick of the<br />

week in Time Out. The performance was accompanied by other events:<br />

a post-show talk organized in collaboration with London Arts in Health<br />

Forum (attended by 40 delegates); a masterclass for young performers<br />

(attended by 15); and a Symposium at City Hall (attended by 90 delegates).<br />

Opening Workshop<br />

Each workshop began with the participants making a drawing of their physical<br />

self whilst blindfolded. Translating the sensate experience of the<br />

body into a visual image without seeing what is being created provided a<br />

safety for those involved by removing the hesitancy that can come with<br />

expectations of making a recognisable representation. It also signalled<br />

a shift from a focus on the external world to the unique inner landscape<br />

of each participant that would deepen as the workshop progressed. The<br />

next activity encouraged a shift in language use from discursive to expressive<br />

mode. Storor asked participants to identify themselves with objects,<br />

landscapes; creatures etc.<br />

As in: If you were an animal what would you be?<br />

The responses were personal and private and at no time were any of the<br />

participants asked to explain their choices. This shift to expressing self<br />

perception through metaphor then provided the source of the visual images<br />

in the next stage of the workshop.<br />

Each of the participants then drew round a partner to provide them with a<br />

life sized outline of themselves. This outline was then fi lled with the images<br />

created earlier using whatever materials participants chose from the<br />

rich array of resources Mark Storor provided.<br />

Evelina Hospital School - The Children’s responses<br />

Child J (girl aged 15)<br />

I am a creative pepper, rich, green, smooth and bright<br />

Belonging to a sisterhood of richly coloured, lushly textured peppers:<br />

red, orange, yellow, green<br />

However, slice into my core, and deep<br />

inside my core is dark purple.<br />

My feelings, heartfelt emotion, lies in deep.<br />

I peer into the deep darkness<br />

and recognise a vein of purple jealousy stirring<br />

I push it deeper<br />

Amongst the other tubes<br />

My purple heart core<br />

Although limited make note<br />

Restricted intake – drops<br />

Limited water passes my lips but I am water.<br />

Open, clear, crystal cold, a fountain of refl ection<br />

comes to those who gaze into me.<br />

Water holds memory – mix water to substance and<br />

It can ….change things<br />

The property like magic<br />

I am hospital, my second home,<br />

A home is not always where you might expect it,<br />

I am attached, actually attached,<br />

physically, emotionally, mentally, actually,<br />

dialysis is part of me<br />

I know everyone, my other family,<br />

when you have something of myself is here<br />

People who care for you<br />

You are safe<br />

Something of myself is here<br />

Child K (boy aged 16)<br />

I am a cabbage, full, wholesome, tight close, into myself, a whole person.<br />

Compacted, my leaves like a new page open up a little at a time.<br />

The cabbage is like the journey of life, its heart lies deep rooted within the<br />

layers.<br />

I am Fire. I have great burning ambitions I always want to aim higher if you<br />

start a fi re it gradually multiply it keeps catching on if you don’t put it out. It<br />

is wild unlike the rhythms of the sea. I am like an internal fi re that suddenly<br />

burst out, sometimes calms and sometime explosive.<br />

I am Sky blue. Sky blue can give people a sense of peace. It offers opportunity,<br />

possibilities and hope. Gazing at sky blue, images appear. A<br />

wondering mind can travel from miles and miles and miles.<br />

They say the black hole can suck you in, it represents death but I don’t<br />

believe the world, life, everything will end easily. There is a point beyond,<br />

there is no black hole but there is a room and the room will never be empty.<br />

You may enter through one door and not immediately see that there is<br />

another one too. When you get used to the dark, you will have the eye to<br />

see everything far beyond your imagination.<br />

I am Romance. Music fi lls my soul and I am drenched in song. Lyrics live<br />

in my memories. A song is like a poem, they are about culture, experience<br />

and emotion. I understand the lyrics I feel the music, I know the song, but<br />

I’m hanging by a thread of desperate longing, waiting<br />

for my turn but I haven’t experience anything yet…just yet but when it comes<br />

my whole body will bust with fi reworks shooting through the pores of<br />

my skin like a bomb inside my belly, love will explode and my fragile heart<br />

beats harder than ever in my life sinking deeper<br />

into the world of love. I live through the word the song the melody and<br />

harmonies and try to understand other people feelings maybe, just maybe,<br />

I could help others to understand too.<br />

(girl aged 12)<br />

The complete evaluation of the project can be viewed at the links below:<br />

http://www.unicorntheatre.com/userfi les/fi les/forthebest_evaluation.pdf<br />

http://annaledgard.com/wp-content/uploads/forthebest_evaluation.pdf<br />

www.evelina.southwark.sch.uk


106 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

107<br />

Perspektiven-Foren –<br />

Weiterentwicklung der Schule für Kranke in Europa<br />

Elisabeth Meixner-Mücke<br />

Sonderschulrektorin Schule für Kranke München<br />

Das Kultusministerium lud Fachreferenten der Ministerien aus den Bundesländern,<br />

ebenso Pädagogen, Mediziner, Hochschullehrer und Behördenvertreter<br />

aus dem In- und Ausland ein, um vordringliche Themen der<br />

Pädagogik bei Krankheit anzusprechen. Fortschritte in der Medizin sowie<br />

damit verbundene Veränderungen in der Behandlung von Erkrankungen<br />

und eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität der kranken Kinder<br />

und Jugendlichen erfor-dern eine Weiterentwicklung und Ausweitung des<br />

Aufgabenbereichs von Schulen für Kranke, die in den bisherigen Verordnungen<br />

dieser Schulart im allgemeinen noch nicht verankert sind.<br />

Folgende Themen wurden an zwei Nachmittagen diskutiert und als Anregung<br />

zur weiteren Bearbeitung „mitgenommen“:<br />

Perspektiven- Forum 1<br />

Beratung- Nachteilsausgleich- Nachsorge<br />

Leitung:<br />

IV. Zusammenfassung IV. Zusammenfassung<br />

Erich Weigl<br />

Ministerialrat Bayerisches Ministerium für Unterricht und Kultus<br />

Elisabeth Meixner-Mücke<br />

Sonderschulrektorin Schule für Kranke München<br />

Bernhard Ruppert<br />

2. Sonderschulkonrektor Schule für Kranke München<br />

Beratung bei Krankheit<br />

Die in der Vergangenheit vor allem auf lange, stationäre Aufenthalte in<br />

der Klinik ausgerichteten Behandlungen werden heute in einer Mischung<br />

aus stationärer und ambulanter medi-zinischer Betreuung durchgeführt.<br />

Manche schwerwiegenden Erkrankungen benötigen eine lebenslange medizinische<br />

wie krankenpädagogische Betreuung.<br />

Forderungen:<br />

• Beratung ist erforderlich als Vorsorge, während einer Erkrankung und im<br />

Anschluss nach langer Krankheitsdauer<br />

• Beratung gilt für die erkrankten Schülerinnen und Schüler, für Eltern und<br />

Geschwisterkinder, Ämter und Heimatschulen. Sie muss individuell auf<br />

die Krankheit abgstimmt sein.<br />

• Schulen für Kranke verstehen sich als Beratungszentren bei Krankheit<br />

• Standards für Beratung bei Krankheit müssen entwickelt werden<br />

• Heimatschulen sollen Beratung bei Krankheit durch dafür ausgebildete<br />

Lehrkräfte in Kooperation mit Schulen für Kranke durchführen.<br />

Nachteilsausgleich<br />

Eine Erkrankung kann auch auf die schulische Laufbahn eines Kindes<br />

schwerwiegende Auswirkungen haben. Bisher wird ein Nachteilsausgleich<br />

sehr unterschiedlich und in Anlehnung an Regelungen für Menschen mit<br />

Behinderung individuell gewährt und kann bisweilen wesentliche Bedürfnisse<br />

nicht berücksichtigen.<br />

Forderungen:<br />

• Ein verbindlicher Nachteilsausgleich bei Krankheit soll für alle Schularten<br />

formuliert werden.<br />

• Ein Rechtsanspruch auf Nachteilsausgleich muss für Kranke geschaffen<br />

werden, in allen Phasen der Ausbildung einschließlich beruflicher<br />

Bildung und Studium. Schule für Kranke kann dabei eine hilfreiche Beratungsschnittstelle<br />

sein.<br />

• Leistungserhebungen von schwer erkrankten Schülern können mit ärztlicher<br />

Empfehlung in der Schule für Kranke durchgeführt werden.<br />

• Vorschläge einzelner Verfahrensweisen aus verschiedenen Bundesländern<br />

sollen verglichen und ausgewertet werden.<br />

Nachsorge<br />

Unter dem Gedanken der Inklusion sollen die Schulen für Kranke als ein<br />

wesentlicher Kooperationspartner im Verbund von Medizin, Pädagogik,<br />

Familie und Patient betrachtet werden.<br />

Eine für erkrankte Kinder und Jugendliche unerlässliche Nachsorge - auch<br />

auf pädagogischer Ebene - muss u.a. übernehmen:<br />

Aufgaben:<br />

• Festlegung des Förderbedarfs eines kranken Schülers<br />

• Strukturierung von notwendigen Maßnahmen in der pädagogischen Betreuung<br />

• Fachliche Begleitung durch sonderpädagogisches Fachpersonal mit<br />

Schwerpunkt Pä-dagogik bei Krankheit in allen Schularten<br />

• Speziell in Deutschland: „Nachsorge“ als gemeinsame Aufgabe aller<br />

Bundesländer in der Kultusministeriellen Konferenz der Länder.<br />

Perspektiven-Forum 2<br />

Personalressourcen - Schulräume - Lehrerbildung<br />

Leitung:<br />

Irene Schopf<br />

Ministerialrätin Bayerisches Ministerium für Unterricht und Kultus<br />

Elisabeth Meixner-Mücke<br />

Sonderschulrektorin Schule für Kranke München<br />

Personalressourcen<br />

Allgemein wurde ein eigener Haushaltsetat für Schulen für Kranke vorgeschlagen,<br />

der die tatsächliche Bedarfslage finanziell abdeckt. Erforderlich<br />

ist die Bemessung eines Stundenkontingents für die umfängliche Arbeit<br />

der Beratung einschließlich Gutachtertätigkeit und Heimatschulbesuchen<br />

zusätzlich zu dem jeweiligen Unterrichtsdeputat der einzelnen Lehrkräfte.<br />

Der Bedarf an Lehrerstunden für Schulen für Kranke muss im Vergleich<br />

zum jetzigen Stand und unter dem Gesichtspunkt veränderter Aufgaben<br />

deshalb erhöht werden.<br />

Zusätzlich muss die erforderliche Qualifikation von Kliniklehrern deutlich<br />

beschrieben werden. Für den Bedarf der Schulen für Kranke ist u.a. Folgendes<br />

vorzugeben:<br />

Bedingungen:<br />

• Lehrerinnen und Lehrer aus allen Schularten, entsprechend der Schülerpopulation<br />

• Regelung für Anwesenheit der Lehrkräfte in der Klinik<br />

• Hohe Flexibilität in der Planung und Durchführung aller schulischen Tätigkeiten<br />

• Berufserfahrung im Unterricht mit heterogener Schülerschaft<br />

• Bereitschaft für enge Kontaktpflege zur Heimatschule, zu Eltern und anderen<br />

Berufsgruppen und Institutionen<br />

Schulräume<br />

In wenigen Ländern ist eine befriedigende räumliche Ausstattung für die<br />

Schule im Krankhaus festzustellen. Es gibt weitgehend kaum eine Bedarfsbeschreibung<br />

für Schulräume in der Klinik, teilweise bestehende Vorgaben<br />

sind unzureichend. Klinik und Schule stehen oft in unterschiedlicher<br />

Trägerschaft, eine Zusammenarbeit der dafür verantwortlichen Stellen<br />

gestaltet sich bisweilen daher sehr schwierig.<br />

Forderungen:<br />

• Vergleichbare Regelungen und Standards innerhalb Europas<br />

• Bedarfsgerechte bauliche Vorgaben für Schulräume<br />

• Mitsprache der Schulbehörde bei Planung und Bau von Klinikneubauten<br />

Lehrerbildung<br />

Die Probleme kranker Kinder und Jugendlicher stellen sich in Europa ähnlich<br />

dar. So könnte gerade auf diesem Gebiet eine hervorragende Zusam<br />

menarbeit in der Pädagogik bei Krankheit national wie international<br />

entstehen. Eine Vernetzung unterschiedlicher Institutionen -Ministerien,<br />

Universitäten, Schulen vor Ort - lässt einen hohen Synergieeffekt erwarten.<br />

Forderungen:<br />

• Aufnahme der Pädagogik bei Krankheit in die Lehrerbildung/Prüfungsordnungen<br />

• Basismodule für Pädagogik bei Krankheit in den Studienrichtungen aller<br />

Lehrämter<br />

• Spezialisierung für Lehrkräfte an Klinikschulen/im Hausunterricht<br />

• Schule für Kranke in der Funktion einer Seminarschule<br />

Der gemeinsame Gedanke, in allen Ländern eine Versorgung kranker Kinder<br />

und Jugendlicher durch Schulen für Kranke zu gewährleisten und zu verbessern,<br />

zeigte sich in einer regen Diskussion in beiden Perspektivenforen.<br />

Zur Vorbereitung einer Europäischen Lösung wurde von den Teilnehmern<br />

die Idee einer <strong>HOPE</strong> - Summerschool 2012/13 sehr begrüßt.<br />

Impulsreferat<br />

Wolfgang Oelsner<br />

Sonderschulrektor Johann-Christoph-Winters-Schule<br />

Schule für Kranke der Stadt Köln<br />

Guten Morgen meine Damen und Herren!<br />

Wenn doch die Metapher vom „Trommelfeuer“ nicht militärisch vorbelastet<br />

wäre! Wie gerne würde ich sie nutzen, um von der soeben erlebten,<br />

fantastischen Präsentation der jungen Trommler auf Themen überzuleiten,<br />

mit denen ich sie in einem Impulsreferat auf den Abschluss-Morgen<br />

einstimmen darf. Denn dieser Kongress in München wird wahrhaft als ein<br />

Trommelfeuer in die <strong>HOPE</strong>-Geschichte eingehen. Nicht nur des tollen Rahmens<br />

wegen, jenem Trommelfeuer von Klassik über Volkstümlichkeit bis<br />

hin zum Rock. Ein Paukenschlag war auch die Themenvielfalt, wie ich sie<br />

in den 22 Jahren, die ich jetzt leitend in Schule für Kranke tätig bin, bei<br />

<strong>HOPE</strong> so noch nicht gehört und erlebt habe. Mit dieser Tagung wurde ein<br />

Graben zugeschüttet, der sich latent immer auftat. Es war ein Graben, wie<br />

man ihn zuweilen zwischen nahen Verwandten kennt, die zwar alle den<br />

gleichen Familiennamen tragen, bei Familienfesten jedoch darum streiten,<br />

wer eigentlich der Eltern liebstes und legitimes Kind ist.<br />

Wer darf sich zu den legitimen Familienmitgliedern der Krankenpädagogik<br />

rechnen? Lange Zeit spaltete diese Frage. Da standen auf der einen Seite<br />

die Kolleginnen und Kollegen, die tradiert auf den somatischen Stationen<br />

arbeiten, und auf der anderen Seite die Kolleginnen und Kollegen, die in<br />

den neu entstandenen Kinder- und Jugendpsychiatrien arbeiten. Manchmal<br />

erschienen sie eher als Stiefverwandte. Seit München <strong>2010</strong> schlägt<br />

die Familienchronik neue Seiten auf. Seit München ist die trennende Abgrenzung<br />

passé. Wir Krankenpädagogen verstehen uns sämtlichst als pädagogische<br />

Fachkräfte für Kinder und Jugendliche mit krankheitsbedingten<br />

Lernschwierigkeiten. Lernprobleme, die krankheitsbedingt sind, gehen<br />

immer mit Lebensproblemen einher. Dieser Auftrag eint uns als Pädagogenfamilie.<br />

Wie alle Schulen haben auch wir Krankenpädagogen den Auftrag, zu unterrichten<br />

und zu erziehen. Wenn Lebensschwierigkeiten im Raum stehen,<br />

kann der Erziehungsauftrag aus unserer Arbeit nicht ausgeklammert werden.<br />

In beiden Tätigkeitsfeldern, dem psychischen wie dem somatischen,<br />

haben wir es mit langfristigen, oft chronifizierten Krankheitsverläufen zu<br />

tun. Begriffe wie „Liegezeiten“ und deren Quantifizierung wie „vierwöchig“<br />

oder „sechswöchig“ entstammen einer anderen Zeit und erfassen inhaltlich<br />

nicht mehr die anstehenden Aufgaben. Wir haben es zu tun mit hartnäckigen<br />

Krankheitsverläufen und wiederholten Krankenhausaufenthalten.<br />

Das ist nicht gleichbedeutend mit permanenter stationärer Unterbringung,<br />

aber immer mit langen Zeiten, in denen Kinder nicht in ihrer Heimatschule<br />

unterrichtet werden können.<br />

Am Eröffnungstag sagte der Kinderonkologe, Herr Professor Burdach:<br />

„Wer unterrichtet wird, hat Zukunft.“ Indem wir kranke Kinder, auch lebensbedrohlich<br />

erkrankte, unterrichten, wahren sie ihre Optionen auf Zukunft.<br />

Wer auf unserem Stundenplan steht, kann weder wert- noch hoffnungslos<br />

sein. Dennoch müssen wir neben einer Kultur der Ermutigung<br />

auch eine des Abschiednehmens akzeptieren und pflegen. Auch diese Ambivalenz<br />

eint uns Krankenpädagogen auf den unterschiedlichen Stationen.<br />

Abschiede von Bildungszielen sind auch Abschiede von Lebenskonzepten<br />

und wollen von uns begleitet werden. Mal steht die Diagnose „Tumor“<br />

mit irreparablem Funktionsverlust dahinter. Mal erzwingt die Diagnose<br />

„Asperger Autismus“ ein Umdenken, etwa wenn ein Kind wegen ADHS in<br />

der Kinderpsychiatrie vorgestellt wird und sich während der Behandlung<br />

herausstellt, dass das ADHS lediglich Komorbidität einer bis dahin nicht<br />

erkannten tiefgreifenden Entwicklungsstörung war. In beiden Fällen verläuft<br />

das junge Leben nach der Diagnosestellung in anderen Bahnen. Es<br />

gilt Abschied zu nehmen von Planungen, Hoffnungen, Wünschen, Utopien.<br />

Ich will die Impulse meines Referats in jeweils kurzen Thesen komprimieren<br />

These 1:<br />

Die SfK pflegt eine Kultur sowohl der Ermutigung und Zukunftsfindung als<br />

auch des Abschiednehmens. Auch die Befähigung zur Trauerarbeit ist immanentes<br />

Ziel im Unterricht und bei Schullaufbahnberatungen vor allem<br />

chronisch kranker Schüler.<br />

Die Berufserfahrung lehrt uns, dass auch bei optimaler Förderung die<br />

Bildungswege nicht immer geradlinig, selten linear verlaufen. Sie sind<br />

durchaus auch wellenförmig. Manchmal verharren Kinder auch lange Zeit<br />

auf Entwicklungsplateaus, und es bleibt zunächst offen, ob und wie es<br />

weitergeht. Das braucht Geduld. Das verlangt auch eine gewisse Demut<br />

statt einer Bildungs- und Therapieeuphorie. Wir tun den Kindern, ihren<br />

Angehörigen und uns keinen Gefallen, wenn wir die Ziele unser krankenpädagogischen<br />

Intervention in den Dienst des gesellschaftlichen Hypes stellen,<br />

wonach nur das Abitur zum Glück und zur gesellschaftlichen Teilhabe<br />

führen kann. Mit einer relativierenden Haltung werden wir uns nicht immer<br />

beliebt machen. Wir sollten sie dennoch sehr offensiv kommunizieren und<br />

Gegenwind aushalten.<br />

These 2:<br />

Realitätsprüfung, Krankheitseinsicht und –bewältigung sind immanente Förderziele<br />

von Unterricht, Beratung und Diagnostik in einer Klinikschule. Zur Realitätsakzeptanz<br />

gehört auch eine Krankheits- und Verlustakzeptanz.<br />

Die beschriebene Haltung bleibt keineswegs auf den Klinikunterricht beschränkt.<br />

Wir haben sie in die Kollegien der Regelschulen hineinzutragen.<br />

Die Erkenntnis, dass Krankheit und Begrenzung Bestandteile des Lebens<br />

sind, ist beileibe kein Monopol der Krankenpädagogik. Sie lässt sich didaktisch<br />

aber nicht immer, nicht unmittelbar und nicht hinreichend gut im allgemeinen<br />

Schulleben umsetzen. Wenn sich der Umgang mit Begrenzungen<br />

vorerst nur im geschützten System der Krankenpädagogik umsetzen lässt,<br />

dann steht dies nicht im Widerspruch zum allseits geforderten Inklusionsgedanken.<br />

Der Weg zum Ziel braucht auch längere Zeit, als die stationäre<br />

Verweildauer sie den Kindern als Zugangberechtigung zur SfK zugesteht.<br />

Was ist die Schule für Kranke?<br />

Gestatten Sie mir eine etwas sibyllinisch klingende Formulierung<br />

„Die Schule für Kranke ist das, was es ohne sie nicht gäbe“.<br />

Dieser Versuch einer recht offenen Definition ist auch eine Referenz an<br />

die Medienstadt München. Denn meine Diktion ist die Variation einer Formulierung,<br />

die Heribert Prantl in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung<br />

zum Münchener Kirchentag <strong>2010</strong> wählte. Auf die Frage: „Was ist Kirche?“<br />

antwortete er: „Kirche ist das, was es ohne sie nicht gäbe.“<br />

In einigen Bundesländern (so in meinem Bundesland NRW) hat die Schule<br />

für Kranke den Rechtsstatus einer „Schule eigener Art“. Ich erlaube mir,<br />

dies in folgender These zu erweitern:<br />

These 3<br />

„Die Schule für Kranke ist das, was es ohne sie nicht gäbe“.<br />

Rechtlich ist sie eine „Schule eigener Art“. Sie ist auch eine Schule einzigartiger,<br />

notwendiger Art. Ihr Alleinstellungsmerkmal liegt in der Integration<br />

von Maßnahmen.<br />

Krankenpädagogik integriert den medizinisch-therapeutischen Aspekt,<br />

der sich aus der Tatsache ergibt, dass das Kind krank ist, und den schulischen<br />

Aspekt, der sich aus der Tatsache ergibt, dass es eben ein Kind,<br />

bzw. ein Jugendlicher ist. Wir Krankenpädagogen haben dabei - auch das<br />

hat München deutlich gezeigt - den Paradigmenwechsel vollzogen, den die<br />

Bezeichnung unserer Schulform schon vor Jahren anbahnte, und den ich<br />

mit folgender These zusammenfasse:


IV. Zusammenfassung IV. Zusammenfassung<br />

108 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

109<br />

These 4:<br />

Die Namensänderung „Schule für Kranke“ statt „Krankenhausschule“ impliziert<br />

einen Paradigmenwechsel. Der Auftrag der Krankenpädagogik ist<br />

losgelöst vom Ort der medizinischen Behandlung. Schulrechtlich blieb er<br />

mit Erlassvorgaben von Mindestliegezeiten allerdings daran gekoppelt.<br />

In der Praxis ergeben sich daraus immer wieder Konflikte der Zugangsberechtigung<br />

und Umsetzung, weil sich unser Auftrag aus den krankheitsbedingten<br />

Lern- und Lebensschwierigkeiten unserer Schüler ergeben. Deren<br />

Dauer lässt sich nicht in Liegezeiten quantifizieren.<br />

Krankenpädagogen im Spannungsfeld multiprofessioneller Teams<br />

Die Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen erfordert permanente Reflexionen<br />

über Abgrenzung und Schnittmengen. Unser Arbeit auf der Beziehungsebene,<br />

die sich allein schon aus dem Erziehungsauftrag von Schule ergibt,<br />

lässt Kolleginnen und Kollegen aus den psychologischen Fachbereichen<br />

manchmal fragen, ob wir nicht „in fremden Revieren wildern“.<br />

Dazu meine These 5:<br />

Die Berücksichtigung der Beziehungsebene ist originärer<br />

Bestandteil des Unterrichtens in der Klinik. Sie ist kein Monopol der psychologischen<br />

Professionen. Sie sollte allerdings auch kein Monopol der<br />

Krankenpädagogik sein.<br />

Ich will dem gleich noch eine weiter gehende Aussage hinzufügen, die sich<br />

aus der Tatsache ergibt, dass unser Berufsstand in meiner Wahrnehmung<br />

eine hohe Affinität zu psychotherapeutischen Ergänzungsqualifikationen<br />

aufweist. In der flankierenden Beratungs- und Elternarbeit – auch die gehört<br />

zum staatlichen Auftrag - sind diese sehr hilfreich. Psychologische oder<br />

psychotherapeutische Zusatzkenntnisse der Krankenpädagogen sind umso<br />

effizienter, je deutlicher wir Lehrkräfte als Didaktiker erkennbar bleiben.<br />

These 6:<br />

Es ist hilfreich, wenn Kliniklehrkräfte therapeutisch sehen und verstehen<br />

können. Handeln werden sie jedoch ausschließlich als Schulpädagogen.<br />

Ihr Instrument bleibt die Didaktik auf der Basis von Empathie.<br />

Der Auftrag des Klinikunterrichts liegt unter anderem darin, dem kranken<br />

Schüler die Wahrung seines Leistungsniveaus zu ermöglichen. Zu den förderpädagogischen<br />

Besonderheiten der Krankenpädagogik zählt indes auch<br />

die individualisierte curriculare Auswahl unter Berücksichtigung des spezifischen<br />

Krankheitsbildes. Themenstellungen mit Option auf identifikatorische<br />

Besetzung können einem körperlich leidendem Kind Trost und Durchstehvermögen<br />

vermitteln. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie kann die Affektsteuerung<br />

verhaltensabweichender Kinder und Jugendliche didaktisch erheblich<br />

beeinflusst werden. Ich kann dies heute Morgen hier nur andeuten.<br />

Unterrichtsinhalte fördern die Mentalisierungsprozesse von Schülern. Auch<br />

in extrem belasteten Lebensphasen bieten Unterrichtsinhalte Chancen der<br />

Identifizierung oder projektiven Entlastung. Affekte können über Sprache<br />

kultur- und sozialverträgliche Ausdrucksformen finden. Wer, um noch einmal<br />

die morgendliche Trommelkunst der Jugendgruppe aufzugreifen, einen<br />

negativen Affekt „wegtrommelt“, schlägt Trommeln, keine Mitmenschen.<br />

Geschmacklich können wir in den Generationen da durchaus weit auseinander<br />

sein. Punkmusik muss einem fünfzigjährigem Lehrer nicht gefallen.<br />

Doch Schüler, die sich in Punkmusik entäußern, erbringen eine Kulturleistung,<br />

deren Stilmittel im Unterricht erworben werden können.<br />

These 7:<br />

Die curriculare Auswahl unterstützt Affektsteuerung und Mentalisierungsprozesse.<br />

Unterrichtsinhalte beinhalten auch in extremen Lebensphasen<br />

Chancen der Identifizierung und projektiven Entlastung. Sie transformieren<br />

in Sprache, was einst nur Affekt war.<br />

Am Eingangstag der Tagung zitierte Herr Hans Jörg Polzer Friedrich Otto<br />

Bollnows Formulierung vom „tragenden Grund“, den Jugendliche zum<br />

Strukturaufbau brauchen. Ähnliches meint der heute favorisierte Begriff<br />

„Containment“. Belasteten Schülern bietet der Besuch der Klinikschule<br />

einen haltenden Rahmen. Unsere Personkonstanz, die Inhalte unseres<br />

Schullebens, die Verlässlichkeit unserer Stundenplangestaltung erfüllen<br />

Aspekte des Containments.<br />

These 8:<br />

Schülern mit instabiler Persönlichkeit bietet der Besuch der Klinikschule einen<br />

„haltenden Rahmen“, eine Chance zum “Strukturaufbau“. Aspekte des „Containment“<br />

beeinflussen Stundenplangestaltung und Lerngruppenzuweisung.<br />

Voraussetzung dafür, dass Schule einen „haltenden Rahmen“ bieten kann,<br />

ist deren personelle und bauliche Infrastruktur. Schule muss als Schule<br />

wahrnehmbar sein, nicht als ein Räumchen irgendwo. Selbstverständlich<br />

brauchen wir in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik Sporthallen,<br />

wir brauchen Gelegenheiten für Theater und Musik, Kunst, Werken<br />

und Hauswirtschaft. All das gehört zum Unterricht in der Klinikschule. Ein<br />

Oberarzt, der nicht Chefarzt einer Kinderklinik ohne Schule werden wollte,<br />

sprach mal von einem Schildbürgerstreich, als habe man „eine Chirurgie<br />

ohne Anästhesie“ gebaut.<br />

Außerstationäre Begleitung durch die SfK<br />

Für manche jugendliche Patienten, insbesondere jenen der psychiatrischen<br />

Kliniken, ist auch während ihrer Stationszeit durchaus der Besuch<br />

ihrer Heimatschule indiziert. Es gibt jedenfalls keinen Automatismus,<br />

dass Klinikpatienten ausschließlich die Klinikschule besuchen müssen,<br />

wenngleich dies in Großstädten verkehrstechnisch eher möglich ist als in<br />

Flächenregionen. Umgekehrt ist es nicht mehr zeitgemäß und in keiner<br />

Weise mit modernen, flexiblen Behandlungsstrukturen zu vereinbaren,<br />

die Zugangsberechtigung der Schule für Kranke ausschließlich auf den<br />

Stationsaufenthalt zu beschränken, wie das die Erlasse in den Ländern<br />

überwiegend noch vorsehen. Der Wechsel von der Station in die ambulante<br />

Behandlung ist nicht immer identisch mit der vollen Belastbarkeit im<br />

Regelschulsystem.<br />

In Nordrhein-Westfalen haben von den 40 Klinikschulen 17, die in der Psychiatrie<br />

groß aufgestellt sind, in den Jahren 2007 und 2008 eine Statistik<br />

erhoben, wonach rund ein Drittel aller Schüler nach einem Klinikaufenthalt<br />

die Schule wechselte. Ein Trend, der sich bei Folgeerhebungen in NRW-<br />

Großstädten auf 40% der Schülerschaft erweiterte. Die neuen Förderorte<br />

sind aber längst nicht immer am Tag der Entlassung verfügbar. Eine Rückkehr<br />

in die Herkunftsschule ist oft contraindiziert. Dort droht mit der sozialen<br />

oder intellektuellen Überforderung ein Rezidiv.<br />

These 9:<br />

Behandlungsstrukturen erzwingen zunehmend eine Begleitung von<br />

Schülern durch die SfK über die stationäre Behandlungszeit hinaus.<br />

Nachgehende Betreuung durch die SfK im Sinne „weicher Übergänge“ wird<br />

in den Ländern vermehrt mit Ausnahmeregelungen geduldet. Derzeit gilt<br />

das schulpolitische Bemühen der Möglichkeit einer vor-stationären Unterrichtsaufnahme<br />

in der SfK. Die langen Wartezeiten gerade in psychiatrischen<br />

Kliniken sind bekannt. Wie hilfreich wäre es, wenn die Wartezeit in<br />

der zukünftigen Klinikschule überbrückt werden könnte. Und wie unsinnig<br />

ist es, wenn die Schulaufsicht statt dessen Hausunterricht verordnet. So<br />

sinnvoll dieser beispielsweise in der Onkologie ist, so sehr verschleiert er<br />

bei einem Schulphobiker die Probleme. Mitunter zementiert er die gar die<br />

Symptome.<br />

Zum erweiterten Aufgabenfeld der SfK zählen auch präventive Beratungsdienste.<br />

These 10:<br />

Medizinische und psychologische Fachdienste, andere Schulen sowie<br />

Schulaufsichten beanspruchen zunehmend Beratungs-, Diagnose- und<br />

Unterrichtshilfen der SfK im Sinne eines Kompetenzzentrums für krankheitsbedingte<br />

Lernstörungen. Dies betrifft auch Informationen über Nachteilsausgleiche.<br />

Der Konfliktlage, in die wir Krankenpädagogen angesicht solcher Aufgabenerweiterung<br />

mit geltendem Schulrecht geraten können, möchte ich<br />

meine vorletzte These widmen.<br />

These 11:<br />

Beamte haben Erlasse einzuhalten, Pädagogen haben die Lebenswirklichkeit<br />

zu berücksichtigen. Verbeamtete Pädagogen treffen bei Diskrepanz<br />

eine Güterabwägung und formulieren daraus schulpolitische Konsequenzen.<br />

Manchmal bedarf es auch des zivilen Ungehorsams, wenn Erlasse die<br />

Lebenswirklichkeit gar nicht mehr widerspiegeln.<br />

Ein Letztes. Unsere Arbeit verlangt im Miteinander der Berufsgruppen und<br />

im Engagement für die jungen Patienten und ihr Umfeld eine Haltung, die<br />

ich eine Kultur der Offenheit nennen möchte. Dazu gehört die Akzeptanz<br />

der anderen Fachdisziplinen wie die Bereitschaft, Eltern und ihre Kinder<br />

als Experten in ihrer eigenen Sache zu vertrauen. Natürlich brauchen wir<br />

Lehrkräfte fundiertes Fachwissen und begleitende Fortbildung. Doch Wissenschaft<br />

ist nur ein Standbein, um die Aufgabe gut zu meistern und um<br />

die Situation unserer Kinder anzunehmen, manchmal auch auszuhalten.<br />

Das zweite Standbein möchte ich in meiner letzten These nennen.<br />

These 12:<br />

Wissenschaft hilft uns, kranke Kinder und Jugendlichen zu unterrichten.<br />

Humor hilft uns, ihre und unsere Situation anzunehmen und auszuhalten.<br />

Auch in diesem Sinne waren die gleichermaßen fachfundierten wie heiteren<br />

Tage in München ein Trommelfeuer. Vielen Dank!


110 IV. Zusammenfassung 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

IV. Zusammenfassung 111<br />

MÜNCHNER<br />

THESEN<br />

Präambel<br />

Krankheit kann eine lang andauernde, schwere Belastung mit vielen Einschränkungen<br />

im Leben eines Kindes und Jugendlichen sein.<br />

Thesen<br />

Unsere Gesellschaft muss kranke Kinder und Jugendliche nachhaltig vor<br />

Ausgrenzung und Diskriminierung schützen.<br />

Der Staat hat die Verpflichtung, eine gesetzliche Grundlage dafür schaffen.<br />

Es ist die Aufgabe aller Schulen aller Länder ein Netzwerk für kranke Kinder<br />

und Jugendliche zu bilden.<br />

Pädagogik bei Krankheit muss ein fester Bestandteil der Lehrerbildung sein.<br />

Schulen für Kranke sind gesetzlich verankerte Kompetenzzentren für Unterricht<br />

und Beratung bei Krankheit.<br />

Bedarfsgerecht ausgestattete Räume sind eine Bedingung für effektives<br />

Lernen.<br />

Die Kompetenzzentren für Unterricht und Beratung bei Krankheit sind offen<br />

für alle Kinder und Jugendliche jeden Alters, jeder Schulart und jeder Nationalität,<br />

die bei einer Erkrankung Hilfe und Unterstützung in ihrer Entwicklung<br />

und ihrer schulischen Laufbahn brauchen.<br />

Maria Schmidt<br />

Vorsitzende <strong>HOPE</strong>-Sektion Deutschland<br />

Elisabeth Meixner-Mücke<br />

Sonderschulrektorin Schule für Kranke München<br />

Anne-Kathrin Kohtz-Heldrich<br />

Sonderschulrektorin Schule an der Heckscher-Klinik<br />

Neben der medizinischen Nachsorge und analog dazu begleiten und beraten<br />

auch die Unterrichts- und Beratungszentren bei Krankheit kranke Schülerinnen<br />

und Schüler während der ganzen Schulzeit, solange dies erforderlich ist.<br />

Die Unterrichts- und Beratungszentren bei Krankheit geben Empfehlungen<br />

für einen gesetzlich umschriebenen, auf das jeweilige Krankheitsbild anwendbaren<br />

Nachteilsausgleich.<br />

Pädagogik bei Krankheit hat die wesentliche Aufgabe zur Entwicklung und<br />

Stabilisierung kranker Kinder und Jugendlicher beizutragen.<br />

Dieser Prozess braucht Zeit und Geduld. Unserer Gesellschaft muss dies<br />

ein besonderes Anliegen sein.<br />

Deshalb müssen alle Nationen, Länder, Kommunen, Gemeinschaften und<br />

alle am Prozess beteiligten Personen diesen Schutz gewährleisten und in<br />

der Praxis wirksam umsetzen.


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<br />

Liebe Mitglieder, Freunde und KollegInnen,<br />

<br />

Nun, wir haben es geschafft! Der <strong>HOPE</strong> Kongress hat dieses Mal in Deutschland stattgefunden<br />

und - nach vielen positiven Rückmeldungen zu urteilen - war er eine ganz gelungene<br />

<br />

Sektion Deutschland<br />

Maria Schmidt<br />

Veranstaltung.<br />

Vor etwa 3 Jahren hatten wir begonnen, auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Jetzt, nach zahllosen<br />

Vorbereitungs-Treffen, tausenden von E-Mails, vielen schlaflosen Nächten, Computer Abstürzen,<br />

Auto-Schäden, Telefon-Ausfällen, Website-Umzügen, Internet Problemen, leider auch persönlichen<br />

Tragödien, sind wir jetzt glücklich, dass die Novembertage in München gute Tage waren.<br />

Wir hatten uns so darauf gefreut, 'die Welt' zu Besuch zu haben und die außerordentliche<br />

<br />

Atmosphäre zu genießen, die Kennzeichen eines <strong>HOPE</strong> Kongresses ist.<br />

Rund 380 Teilnehmer aus diesen 33 Ländern waren angereist:<br />

<br />

Armenien, Australien, Belgien, Brasilien, Bulgarien, Chile, Dänemark, Deutschland,<br />

Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Israel, Italien, Litauen,<br />

<br />

Luxemburg, Mexiko, Niederlande, Norwegen, Neuseeland, Österreich, Polen,<br />

Rumänien, Slowakei, Slowenien, Schweden, Spanien, Schweiz, Tschechische Republik,<br />

Ungarn, Vereinigtes Königreich, Venezuela.<br />

20<br />

Vorträge, 60 Workshops und mehrere Poster Präsentationen wurden dargeboten. Auf den<br />

folgenden Seiten sollen einige wenige Beispiele den weiten Bogen der Beiträge zeigen.<br />

<br />

<br />

Unser naheliegendes Ziel war es, eine Plattform für wissenschaftlichen und professionellen<br />

Austausch zu bereiten, für die Weitergabe von Ideen und Beispielen guter Praxis, für die<br />

<br />

Möglichkeit, evtl auch mit ein paar neu gelernten praktischen Fertigkeiten heimzureisen, und -<br />

<br />

nicht zuletzt - für die Gelegenheit, sich professionell und persönlich zu vernetzen.<br />

Wir wollten den Blick richten auf die Interdependenz der medizinischen Strukturen und<br />

verschiedener Berufsgruppen, die in ihnen arbeiten, und deren<br />

Konsequenz auf die Bildungsansprüche der Kinder und Jugendlichen,<br />

die sich in diesem Netz befinden. In diesem Beziehungsgeflecht<br />

verändert sich auch die Rolle der Lehrkräfte.<br />

Allerdings genügt es nicht, den Schutz vor Ausgrenzung und<br />

das Recht kranker Kinder und Jugendlicher auf Bildung zu<br />

progagieren. Rechte müssen sich in Gesetzen und in Rahmen- Dr. L. Spaenle, Staatsminister für<br />

bedingungen widerspiegeln, wenn sie zählen sollen.<br />

Bildung und Kultur in Bayern<br />

Vor diesem Hintergrund unternahmen die Veranstalter besondere Anstrengungen, die<br />

Vernetzung auch zur Politik aufzugreifen, entsprechende Vertreter und Persönlichkeiten<br />

Dr. I. Lukšič, Minister für einzuladen, um ihre jeweiligen Positionen darzulegen, aber auch um zuzuhören und zu<br />

Bildung und Sport, Slowenien<br />

lernen; schließlich hoffen wir auf ein vertieftes Verständnis und mehr Unterstützung.<br />

Nicht zuletzt hatte auch die damalige First Lady der BRD, Frau Eva Luise Köhler, die<br />

Schirmherrschaft übernommen.<br />

<br />

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<br />

<br />

Staatliche Schule für Schule an der <strong>HOPE</strong> Förderverein Schule für<br />

Kranke München Heckscher Klinik München Sektion Deutschland Kranke München e.V.<br />

V. Presse/Echo | Inland<br />

<br />

Das Feld der Pädagogik bei Krankheit mag ein kleines Feld sein in der Bildungslandschaft, aber es liegt<br />

an einer kritischen Wegegabelung in manch einer persönlichen Biographie. Es steht außerdem in<br />

unmittelbarer Verbindung mit allen anderen Bereichen der Bildungssysteme. Es scheint sogar, dass es<br />

wie ein Frühwarnsystem in Bezug auf gesellschaftliche Veränderungen fungieren kann (Zunahme<br />

psychischer Auffälligkeiten etwa).<br />

In diesem Kontext gab es zwei 'Perspektiven Foren', die<br />

parallel zu den Nachmittagsprogrammen stattfanden. Die<br />

Teilnehmer waren Politiker, Vertreter von Schulbehörden,<br />

Berufsverbänden, Schulen, Hochschulen, Universitätskrankenhäusern.<br />

Die Themen waren u.a. Beratungsaufgaben,<br />

pädagogische Nachsorge, Nachteilsausgleich,<br />

Lehrerausbildung, Fort- und Weiterbildung, räumliche<br />

Erfordernisse für Unterricht in Kliniken, usw. Unsere<br />

Schlussberichte werden wir an die EU, den Europarat<br />

(Council of Europe) und Ministerien geben.<br />

----------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Beim Aufbruch zu so einem großen Projekt gibt es lange Zeit mehr Fragen als Antworten, z.B. über die<br />

notwendigen und verfügbaren Gelder, 'offizielle Unterstützung', die zu erwartende Anzahl an Teilnehmern,<br />

wie viele und wie große Räume gebucht werden müssen, wie viele Dolmetscherstunden<br />

eingekauft werden können, usw., usw. Um die Kosten niedrig zu halten, beschlossen wir, die meisten<br />

Veranstaltungen lieber in den Krankenhäusern anzusiedeln, in denen die beiden Schulen ihre Hauptstandorte<br />

haben. Das hatte allerdings zur Folge, dass die Teilnehmer zwischen den Standorten<br />

wechseln und ihre Programmwahl entsprechend treffen mussten. Sicher war das eine<br />

Unbequemlichkeit gegenüber der gesamten Veranstaltung unter einem Dach. Andererseits sagten uns<br />

einige Teilnehmer, sie hätten sich gerade in dem Ambiente ganz wohl gefühlt, es erschien ihnen<br />

wirklichkeitsnah und vertraut, etwa wenn sie zum Mittagessen in die Klinik-Kantine gingen.<br />

Ein möglicherweise neuer Aspekt bei dieser Veranstaltung war es, dass 4 Einrichtungen zusammen<br />

kamen um 1 Kongress-Team zu bilden: zwei Münchner Schulen, die deutsche Sektion von <strong>HOPE</strong>, und<br />

der 'Förderverein …', ein gemeinnütziger Verein; dieser diente uns als gemeinsamer rechtlicher<br />

Vertreter.<br />

Gemeinsam<br />

stellten wir einen<br />

Antrag für EU-<br />

Unterstützung.<br />

Das erlaubte uns,<br />

Reise- und Hotel-<br />

kosten zu erstatten und die Anmeldekosten niedrig zu halten, gerade auch für <strong>HOPE</strong> Mitglieder. Viele<br />

Ländervertreter waren froh, dass es endlich einen klaren Vorteil für Mitglieder gab.<br />

An dieser Stelle möchte ich meine tiefe Dankbarkeit zum Ausdruck bringen für die grenzenlose Energie, den guten Willen,<br />

den Mut, Optimismus, die Geduld und das Verständnis bei den Mitgliedern des Vorbereitungsteams:<br />

Lisa Meixner-Mücke Anne Kohtz-Heldrich Maria Schmidt Dolores Waldschmidt Nina Röchling<br />

Alto Merkt Sissi Fuchsenberger Wolfgang Huber Erhard Karl Philipp Röchling<br />

Bernhard Ruppert Rita Wagner Mona Meister Günter Wieching Verena Rometsch<br />

Uli Kalmes Axel Orlovius viele einheimische Elisabeth von Langen Gerrit Mazzarin<br />

Evi Friedl Frau Kunert und internationale<br />

Ralph Peters Michael Metzger Mitglieder & Freunde von <strong>HOPE</strong><br />

… und den zahlreichen anderen KollegInnen, die für uns Aufgaben übernahmen, wenn wir mit Vorbereitungen überbeschäftigt<br />

waren, die während der Kongresstage mithalfen (erinnert ihr euch an die orangen Halstücher?), allen<br />

Sekretärinnen, Fahrern, Klinikchefs, Hausmeistern, Krankenhauspersonal, jugendlichen Vorführenden, freiwilligen<br />

Übersetzern, und noch vielen anderen, nicht zuletzt den Sponsoren. Herzlichen Dank! Ms


128 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

129<br />

<br />

V. Presse/Echo | Inland V. Presse/Echo | Inland<br />

<br />

<br />

<br />

Es erscheint<br />

zunehmend<br />

schwierig,<br />

Mitglieder<br />

zu finden,<br />

die sich aktiv<br />

einbringen<br />

und eine<br />

<br />

'öffentliche' <br />

Rolle übernehmen wollen. Die meisten Organisationen verlieren auch Mitglieder. <strong>HOPE</strong> aber ist in<br />

letzter Zeit gewachsen! Deshalb gibt es auch neue Komitee-Mitglieder (Ländervertreter). In München<br />

waren sie so zahlreich vertreten, dass ihre Sitzung teilweise aufgeteilt wurde, damit die Erfahrenen sich<br />

über Laufendes austauschen konnten, während die Neuen besprechen konnten, wie sie ihre ersten<br />

Schritte in ihrer neuen Rolle gestalten wollen. - Eine Idee, die diskutiert wurde, war ein 1-2-tägiges<br />

Treffen des Komitees. Das Wann?-Wo?-Wie?(finanziell) wird sorgfältig zu recherchieren und<br />

vorzubereiten sein.<br />

<br />

<br />

Das zur Verfügung stehende Zeitfenster für die GV in München war ziemlich klein. Die<br />

meisten 'Berichte' waren schon vorher bekanntgemacht worden, um die Abläufe zu kürzen.<br />

Der wichtigste Punkt auf der Tagesordnung war der Rücktritt der Präsidentin, Gerd Falk-<br />

Schalk, nach 6 Jahren an der Spitze der Organisation, und von zwei weiteren<br />

Vorstandsmitgliedern, Paula Hicks und Michel Kleuters. Es ist bedauerlich, ihre Talente und<br />

Erfahrung zu verlieren, um so mehr als es nicht einfach war, Ersatz für sie zu finden.<br />

Neue Kandidaten für den Vorstand waren Anja de Jong, Agneta Grunditz und Mary<br />

McCarron. Da niemand aus dem gegenwärtigen Vorstand bereit war, die Aufgabe des Präsidenten allein zu<br />

übernehmen, beschloss der Vorstand eine Lösung vorzuschlagen, wie sie in politischen Parteien schon<br />

üblich ist, d.h. eine 'Doppel-Spitze': Michele Capurso und Mojca Topic würden<br />

Aufgaben und Verantwortung der Präsidentschaft teilen. Sie betonten, dass sie<br />

die Kommunikation unter und mit den Mitgliedern verbessern wollten.<br />

Außerdem wiesen sie darauf hin, dass für Amsterdam eine neue, vereinfachte<br />

Satzung vorbereitet werden sollte. - Es gab eine Debatte darüber, warum es<br />

nicht möglich gewesen sei, eine/n einzelne/n Kandidatin/en für die<br />

Präsidentschaft zu finden. Alle Kandidaten wurden durch Abstimmung bestätigt.<br />

Der Punkt, ein 1-2-tägiges Treffen der Komitee-Mitglieder zu organisieren wurde noch einmal<br />

aufgeworfen.<br />

<br />

<br />

Dies ist nicht die Stelle, um ausführlich das Programm zu besprechen; auf der Kongress-Website ist es nach<br />

wie vor einsehbar. Hier möchte ich nur ein paar wenige (sehr verkürzte!) Zitate aus Vorträgen und<br />

Workshops aufreihen. Mehr ist hier leider nicht möglich. Sobald die mehreren hundert Rückerstattungen<br />

abgearbeitet sind, werden wir daran gehen, die uns vorliegenden Vorträge und Workshop Ergebnisse<br />

zusammenzustellen, zu transkribieren, zu überprüfen, übersetzen, lay-outen, usw. Sie werden dann<br />

zugänglich gemacht werden, damit man die Veranstaltungen nachlesen kann, die man versäumt hatte:<br />

<br />

<br />

<br />

[Dr. Hoanzl - '… Verquickungen und Verstrickungen'] Jedes Kind hat einen Drang in sich, größer zu werden und zu<br />

wachsen. Entwicklung ist immer 'vorwärts' und damit in die Zukunft gerichtet! Lernen bzw. Lernzuwachs ist die<br />

Grundlage aller Entwicklung und untrennbar mit Schule verbunden! …Klinikschulen scheinen dem Motto zu folgen:<br />

"Nicht das System weist uns den Weg, sondern der Schüler!" …Kliniklehrer arbeiten nicht nur im bestehenden<br />

System, sondern am System!<br />

[Oelsner - '… Pädagogik in Extremlagen'] An den Erfahrungen anderer teilzuhaben und sich diese mittels der<br />

eigenen Fähigkeiten zu erschließen, bewahrt Schüler vor einer Fixierung in der eigenen Ohnmacht. … Ein chronisch<br />

krankes Kind in der Klasse ist nicht nur Belastung, es ist stets auch Chance für das Klassenklima. Sie können im<br />

Umgang mit Abweichungen von unseren Medien-, Model- und Werbehochglanzbotschaften und dem von Models<br />

vorgegebenem Menschenbild andere Lebenspositionen kennen lernen.<br />

[Polzer - '::: Pädagogik der Entschleunigung'] Wir müssen uns also dessen bewusst werden, dass keine auch noch so<br />

wissenschaftlich begründete Ansammlung von diagnostischem Datenmüll uns hilft, wo es auf das Verstehen der<br />

existenziellen Lebensvoraussetzungen der uns begegnenden Kinder und Jugendlichen ankommt. Das Verstehen<br />

kommt vor dem „Wissen über“.<br />

[Dr. Spindler - Allergische Erkrankungen und … Schulalltag'] Welche<br />

Gedanken, Erfahrungen, evt. Probleme verbindest du mit "Sport"?<br />

"Die Kinder sagen "Asthmaidiot", wenn ich nicht so schnell laufen kann oder<br />

kurz tauche."<br />

[Häcker - 'Begleitung von trauernden Klassen'] Wenn wir uns von den<br />

Wünschen und Bedürfnissen unserer Schüler leiten lassen, dann kann das<br />

auch heißen, dass einige auch keinen Kontakt mehr zur Klasse haben<br />

möchten. Viele ziehen sich zurück, wollen nur noch ihre Familie und die<br />

engsten Freunde um sich haben. Dann ist es wichtig, dies den Mitschülern<br />

verständlich zu machen und mit ihnen dennoch eine Form zu finden, wie sie<br />

ausdrücken können, dass sie in Gedanken bei ihrem Mitschüler sind - und<br />

einen Raum für ihre Trauer zu finden.<br />

[Lantzsch - Zaubern mit Kindern im Krankenhaus] Wenn der Kliniklehrer dem<br />

kranken Kind Zaubertricks beibringt, gerät die Krankheit zeitweilig in den<br />

Hintergrund. Das Lernen wird wichtig, denn Zaubertricks verlangen Verstand<br />

und Training. Darüber hinaus macht Zaubern Spaß.<br />

<br />

<br />

Ein Teil des Vergnügens eines <strong>HOPE</strong> -<br />

Kongresses liegt darin, etwas lokale<br />

Kultur und Atmosphäre zu 'kosten'.<br />

Deshalb musste in München ein<br />

Besuch im Hofbräuhaus dazu gehören.<br />

Ungefähr 280 Teilnehmer nahmen die<br />

Gelegenheit wahr, einen Abend lang<br />

deutsches Bier zu trinken, sich ein bayrisches Abendessen schmecken zu lassen, bayerische Schrammelmusik<br />

live kennenzulernen und sogar, wer hätte das gedacht - den Tanzboden zu erproben.


130<br />

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<br />

<br />

Am Freitag Abend war die Lobby der Heckscher-Klinik Ort einer lauten und glücklichen Party. Die Jazz-<br />

Rock Band'Extra-Dry' verführte<br />

fast alle zum Tanzen.<br />

Und -Junge, Junge - wie<br />

haben diese Lehrer gerockt!<br />

Für die jungen Patienten<br />

muss es sehr schwer gewesen<br />

sein, in dieser Nacht<br />

im Bett zu bleiben. -<br />

Glücklicherweise gab es<br />

<br />

Abkühlungspausen, in denen Zauberer Fedor Lantzsch die<br />

Menge mit seinen magischen Vorführungen unterhielt.<br />

______________________________________________________________________________<br />

<br />

Wir möchten allen danken, die uns Rückmeldungen gegeben haben. Sie waren ganz überwiegend positiv.<br />

Die Botschaften sind uns eine Belohnung für lange Monate intensiver Vorarbeiten. - Hier ein paar Zitate,<br />

die uns besonders bedeutungsvoll waren:<br />

Der Kongress hat uns allen SEHR gefallen. Ich fühlte mich beschwingt, angeregt und hatte viel Lust auf meine Arbeit.<br />

…Ich ärgere mich inzwischen, dass ich mir Finnland vor 2 Jahren verkniffen habe...aber in Amsterdam sehen wir uns<br />

wieder!!<br />

Alle …-er Teilnehmer haben übrigens durch den Kongress einen Pusch bekommen. Deshalb starten wir gerade eine<br />

neue Initiative zum Krankenhausunterricht im Ministerium. …<br />

Ich hatte eine großartige Zeit beim Kongress. Ich freue mich, so viele nette Leute kennengelernt und viele<br />

interessante Themen gehört zu haben. … Die Abende habe ich wirklich genossen, ich hatte nicht erwartet, dass<br />

Sie so viel vergnügliche Zeit einplanen würden. …<br />

Auch von Seiten des Organisationsteams möchten wir allen Teilnehmern gerne diese Rückmeldung geben:<br />

Es machte uns glücklich und stolz, euch/Sie alle als unsere Gäste zu empfangen. Einige von euch sind alte Freunde,<br />

andere haben wir zum ersten Mal in München persönlich kennengelernt; herzlichen Dank für all die wertvollen<br />

Beiträge und den produktiven Rahmen, der damit geschaffen wurde. Eure/Ihre Aufgeschlossenheit und gute Laune<br />

waren für uns eine wunderbare Erfahrung.<br />

_______________________________________________________________________________<br />

<br />

wird im Oktober 2012 in Amsterdam stattfinden.<br />

Unsere niederländischen KollegInnen haben bereits ein Team<br />

gebildet. Am letzen Tag in München präsentierten sie eine<br />

charmante Einladung in ihr Land und in die Stadt Amsterdam. Eine<br />

Kollegin überraschte die Versammelten, als sie durch die Reihen<br />

ging mit holländischer Haube auf dem Kopf und heftig mit einer<br />

Fahrradglocke klingelte. Andere Kollegen boten währenddessen<br />

holländische Kostproben an: Käsewürfel und Erdbeeren. Nach<br />

einem Video von Amsterdam skizzierten sie ihre Ideen für den<br />

nächsten Kongress in einer kurzen Ansprache. - Sie schienen [noch ☺] so frisch und unverbraucht, dass<br />

das Münchner Team den Staffelstab mit gutem Gefühl an sie weitergab.<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 131<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Section Allemagne<br />

Maria Schmidt<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Chers membres de <strong>HOPE</strong>, amis et collègues<br />

<br />

Nous l’avons fait ! Le 7<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

ème congrès de <strong>HOPE</strong> a eu lieu et selon les retours que nous avons reçus – a<br />

été un événement réussi.<br />

Nous avons commencé à travailler pour cet événement il y a 3 ans. Maintenant, après de<br />

nombreuses réunions préparatoires, des milliers d’e-mails, de nombreuses nuits sans sommeil, des<br />

pannes d’ordinateur, des incidents de voiture, des problèmes de téléphone, des changements de<br />

web site, des ennuis avec Internet et même des tragédies personnelles, nous sommes heureux que<br />

les participants aient apprécié leur séjour à <strong>Munich</strong>.<br />

Nous étions impatients d’accueillir « le monde » venant à nous et d’apprécier l’atmosphère<br />

extraordinaire qui est la spécificité d’un congrès de <strong>HOPE</strong>.<br />

Environ 380 participants représentaient 33 pays :<br />

Arménie, Autriche, Australie, Belgique, Brésil, Bulgarie, Chili, République Tchèque, Danemark,<br />

Estonie, Finlande, France, Allemagne, Grèce, Hongrie, Irlande, Israël, Italie, Lituanie,<br />

Luxembourg, Mexique, Hollande, Norvège, Nouvelle Zélande, Pologne, Roumanie, Slovaquie,<br />

Slovénie, Suède, Espagne, Suisse, Royaume-Uni, Venezuela.<br />

Il y a eu 20 interventions, 60 ateliers et plusieurs présentations sur posters.<br />

Sur les pages suivantes vous trouverez quelques exemples sur le vaste choix des présentations.<br />

Notre but était de fournir une plateforme pour des échanges scientifiques et professionnels,<br />

<br />

pour transmettre des idées et des exemples de bonnes pratiques afin de repartir avec des<br />

<br />

nouvelles pratiques et la possibilité de communiquer en réseau.<br />

Notre intention était de mettre en lumière l’interconnexion entre les structures médicales et les<br />

divers professionnels travaillant avec elles, les besoins éducatifs des enfants et adolescents qui sont<br />

patients à l’intérieur et en dehors des hôpitaux, les changements de<br />

de rôle des enseignants travaillant dans ce domaine.<br />

Dr. I. Lukšič, Ministre de<br />

l'Education et du Sport,<br />

Slovénie<br />

<br />

Cependant, de notre point de vue, il n’est pas suffisant d’affir-<br />

mer que tout enfant ou adolescent malade ou blessé ne doit<br />

pas être désavantagé et a le droit à l’éducation – les droits<br />

doivent être mentionnés dans les lois et les règlements afin<br />

qu’ils comptent.<br />

L’équipe organisatrice a fait des efforts spéciaux pour<br />

engager des politiciens et autres personnes influentes à participer, à intervenir, à<br />

écouter, à apprendre et rentrer avec de fortes motivations pour nous soutenir. <br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

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<br />

<br />

<br />

<br />

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<br />

<br />

Dr. L. Spaenle,Ministre de<br />

l'Education et de la Culture en<br />

Bavière


132<br />

<br />

<br />

Staatliche Schule für Schule an der <strong>HOPE</strong> Förderverein Schule für<br />

Kranke München Heckscher Klinik München Section Germany Kranke München e.V.<br />

<br />

<br />

Le domaine de l’éducation aux élèves malades et blessés est une petite partie du champ, mais il est situé à<br />

une jonction critique dans les histoires personnelles. Il est également lié à toutes les autres branches de<br />

notre système éducatif. Cela peut être même un système d’avertissement pour les développements en<br />

société.<br />

Dans ce contexte, il y avait 2 cercles de débats sur les<br />

« Perspectives » qui se déroulaient en parallèle au<br />

programme de l’après-midi.<br />

Les participants représentaient les cadres de l’école, les<br />

organisations professionnelles, les écoles, les universités<br />

et les hôpitaux universitaires. Les sujets abordés ont été<br />

par exemple: la consultation, le suivi éducatif, l’adaptation<br />

des exigences éducatives aux cas individuels, la formation<br />

professionnelle, les exigences d’espace…etc.<br />

Nos derniers comptes rendus seront donnés à l’Union<br />

Européenne, au Conseil de l’Europe, aux Ministères d’état et nationaux.<br />

__________________________________________<br />

Quand on s’embarque dans un si gros projet, il y a plus de questions que de réponses comme par exemple<br />

à propos des fonds nécessaires et possibles, du soutien officiel, du nombre de participants attendus, du<br />

nombre de pièces nécessaires, etc. Pour maintenir les coûts bas, nous avons décidé que tous les<br />

événements se dérouleraient dans les deux hôpitaux où les écoles se situaient. Cela signifiait cependant<br />

que les participants devaient faire la navette entre les deux endroits et planifier leur programme en<br />

fonction. C’était un inconvénient par rapport à tout avoir dans un seul lieu. D’un autre côté, des<br />

participants nous ont dit qu’ils se sentaient comme chez eux, ils ont aimé l’atmosphère de la vraie vie, par<br />

exemple prendre son déjeuner à la cafeteria avec le personnel hospitalier.<br />

Un aspect potentiellement nouveau dans l’organisation de cet événement a été que 4 entités se sont<br />

groupées pour former une équipe pour le congrès : deux écoles de <strong>Munich</strong>, la section allemande de <strong>HOPE</strong><br />

et le «Förderverein», une organisation charitable, qui a été notre représentant légal.<br />

Ensemble nous<br />

avons soumis une<br />

demande pour<br />

7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 133<br />

avoir des fonds de<br />

la communauté<br />

européenne. De ce<br />

fait, nous étions<br />

capables de rembourser les frais de voyage et d’hôtel et de maintenir les frais d’inscription à un bas<br />

niveau, spécialement pour les membres de <strong>HOPE</strong>. La réponse de beaucoup de représentants des pays a<br />

montré qu’il y avait un avantage certain d’être membre de <strong>HOPE</strong>.<br />

À ce point, laissez-moi exprimer ma profonde gratitude à tous les membres de l'équipe, à nos collègues, sympathisants et amis,<br />

pour leurs énergies sans limite, leur bonne volonté, leur courage, leur optimisme, leur patience et compréhension:<br />

Lisa Meixner-Mücke Anne Kohtz-Heldrich Maria Schmidt Dolores Waldschmidt Nina Röchling<br />

Alto Merkt Sissi Fuchsenberger Wolfgang Huber Erhard Karl Philipp Röchling<br />

Bernhard Ruppert Rita Wagner Mona Meister Günter Wieching Verena Rometsch<br />

Uli Kalmes Axel Orlovius de nombreux Elisabeth von Langen Gerrit Mazarin<br />

Evi Friedl Ms Kunert membres et amis<br />

Ralph Peters Michael Metzger nationaux et internationaux<br />

de <strong>HOPE</strong><br />

… et beaucoup d'autres collègues et amis qui ont assuré quand nous étions occupés à préparer le congrès, ou qui ont aidé<br />

durant les jours du congrès (rappelez-vous les écharpes orange?), toutes les secrétaires, chauffeurs, gardiens, les dirigeants<br />

de l'hôpital, l'équipe médicale, les jeunes présentateurs, traducteurs volontaires, et plus encore, et pas des moindres, les<br />

donateurs. Merci! ms<br />

<br />

V. Presse/Echo | Ausland V. Presse/Echo | Ausland<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Cela semble<br />

très difficile<br />

de trouver<br />

des<br />

membres<br />

actifs<br />

impliqués<br />

qui pren-<br />

<br />

nent une <br />

tâche « publique » et une responsabilité. La plupart des organisations perdent même des membres.<br />

Cependant, <strong>HOPE</strong>, récemment s’est développé ! Il y a de nouveaux membres du comité (les représentants<br />

des pays). Il y avait tellement de membres du comité présents à <strong>Munich</strong> que le groupe s’est séparé en<br />

deux pour une partie de la réunion, laissant les « vieux » membres du comité expérimentés discuter leurs<br />

affaires en cours, pendant que les nouveaux membres du comité discutaient de ce que seraient leurs<br />

premiers pas dans leur nouveau rôle. Une idée abordée a été celle d’essayer d’organiser une réunion<br />

spéciale des membres du comité durant 1 ou 2 jours – Où ? Quand ? Comment ? (Financièrement) cela<br />

nécessitera une recherche et une préparation soigneuses.<br />

<br />

<br />

Le temps imparti pour l’A.G. à <strong>Munich</strong> était assez court. La plupart des rapports avaient été<br />

publiés avant pour accélérer les procédures. Le point le plus important de l’ordre du jour<br />

était la démission de la Présidente, Gerd Falk-Schalk, après six ans à la barre de notre<br />

organisation, et de deux autres membres du bureau, Paula Hicks et Michel Kleuters. Il est<br />

regrettable de perdre leur talent et leur expérience. Il sera difficile de les remplacer.<br />

Les nouveaux membres du bureau sont : Anja de Jong, Agneta<br />

Grunditz et Mary MacCarron. Pour prendre la fonction de<br />

président, aucun des membres du bureau ne voulait prendre la tâche seul ; alors<br />

le bureau a décidé de proposer une solution qui est déjà pratiquée dans les partis<br />

politiques, une double présidence : Michele Capurso et Mojca Topic vont<br />

partager les tâches et les responsabilités. Ils ont insisté sur le fait qu’ils allaient<br />

améliorer la communication parmi les membres. Ils ont aussi mentionné que de<br />

nouveaux statuts simplifiés seraient préparés pour Amsterdam.<br />

On a discuté l’impossibilité de trouver un seul candidat à la présidence. Tous les candidats ont été<br />

approuvés par l’A.G. L’idée d’organiser une réunion de comité d’1 à 2 jours a été à nouveau mentionnée.<br />

<br />

<br />

Ce n’est pas le lieu de développer le programme. Il est toujours accessible sur le web site du congrès<br />

(www.hope<strong>2010</strong>mich.eu ). Ici dans cette newsletter, je vous donnerai quelques citations (très courtes !)<br />

venant des interventions et des ateliers. Je m’excuse de ne pouvoir en présenter plus. Nous allons (après<br />

avoir procédé à des centaines de remboursements) commencer à compiler, vérifier, traduire,<br />

présenter …etc. tous les discours et les résultats des ateliers. Ils seront à votre disposition, vous aurez<br />

ainsi l’opportunité de lire les discours et les ateliers que vous aurez manqués.


134<br />

<br />

V. Presse/Echo | Ausland V. Presse/Echo | Ausland<br />

<br />

<br />

[Dr. Hoanzl - 'Investissement et co-implication…'] Chaque enfant a le besoin de grandir. Le développement est<br />

toujours un mouvement vers l’avant et orienté vers le futur! Apprendre et progresser en apprenant sont les bases<br />

de tout développement et sont intimement liés à l’école!... Les écoles à l’hôpital semblent suivre la devise «Ce<br />

n’est pas le système qui nous montre le chemin, mais nos élèves»… Les enseignants à l’hôpital ne travaillent pas<br />

seulement dans un système donné, ils travaillent aussi à changer le système!...<br />

[Oelsner - éducation dans les situations extrêmes] Participer aux expériences des autres et les acquérir avec ses<br />

propres capacités empêche les élèves de se focaliser sur leur propre impuissance… Un malade chronique dans sa<br />

classe d’origine… représente toujours une chance pour la cohésion du groupe des pairs. En confrontant des<br />

divergences avec les modèles des médias et des messages publicitaires ainsi que les idées présentées par les<br />

modèles sur ce qu’un homme ou une femme devrait ressembler et être, les élèves ont besoin de connaître d’autres<br />

conditions de vie.<br />

[Polzer - l’éducation lente] Nous devons par conséquent réaliser qu’aucune donnée diagnostique justifiée<br />

scientifiquement ne nous aidera quand nous avons besoin de comprendre les conditions de vie existentielles d’un<br />

enfant ou d’un adolescent que nous rencontrons. La compréhension se fait avant de «savoir sur».<br />

[Dr. Spindler - Allergies … dans la vie scolaire de tous les jours]Quelles idées,<br />

expériences, problèmes possibles vous associez avec les «sports» ?<br />

«Les autres enfants m’appellent «l’idiot de l’asthme» quand je ne peux pas<br />

courir aussi vite ou plonger aussi loin.»<br />

[Häcker - aider les classes dans la peine] Si nous laissons les besoins et les<br />

souhaits de nos élèves nous guider, cela signifie que certains d’entre eux ne<br />

veulent plus être en relation avec leur classe. Souvent, ils ne veulent voir que<br />

leur famille et leurs amis proches. Dans ce cas, il est important de le faire<br />

comprendre à leurs camarades et de trouver un moyen pour exprimer qu’ils<br />

pensent à leur copain malade en laissant place à leur chagrin.<br />

[Lantzsch - Des tours de magie avec les enfants à l’hôpital] Quand l’enseignant<br />

à l’hôpital apprend à l’enfant malade des tours de magie, la maladie s’efface<br />

temporairement en arrière-plan. L’apprentissage devient important car les<br />

tours de magie nécessitent de la concentration et de la pratique. Par-dessus<br />

tout la magie c’est de la gaieté.<br />

<br />

<br />

Une partie du plaisir dans un congrès de <strong>HOPE</strong> est de savourer la culture et l’atmosphère locales. Aussi,<br />

une destination à <strong>Munich</strong> devait être<br />

la Hofbräuhaus, la fameuse brasserie.<br />

Environ 280 participants ont eu<br />

l’occasion de boire de la bière<br />

allemande, de manger un diner<br />

bavarois, d’écouter de la musique<br />

bavaroise en live et – qui l’aurait deviné- certains ont dansé.<br />

7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 135<br />

<br />

<br />

Vendredi soir, le hall de la clinique Heckscher a été le lieu<br />

d’une soirée bruyante et<br />

heureuse. Le groupe jazzrock<br />

« Extra-dry » a fait<br />

danser tout le monde. Et<br />

comme ces enseignants<br />

dansent ! Cela devait être<br />

dur pour les jeunes patients<br />

de rester au lit cette nuit.<br />

Heureusement, il y avait<br />

<br />

quelques pauses pour se rafraîchir et regarder le magicien Fedor Lantzsch amuser la foule avec des tours<br />

de magie.<br />

______________________________________________________________________________<br />

<br />

Nous remercions ceux qui nous ont envoyé leur réaction. C’était pour la plupart très positif. Vos<br />

messages sont une récompense pour de nombreux mois de travail. Voici quelques extraits qui sont<br />

particulièrement significatifs pour nous:<br />

«Nous avons tous apprécié le congrès. Je me suis sentie transportée et vibrante, ressourcée dans mon travail avec<br />

joie…Maintenant je regrette de ne pas être allée en Finlande il y a deux ans…mais nous nous retrouverons à<br />

Amsterdam!!»<br />

«Tous les participants de…ont senti une nouvelle impulsion; aussi nous allons proposer une nouvelle<br />

initiative à notre ministre…»<br />

«J’ai eu beaucoup de plaisir au congrès. Je suis heureux d’avoir rencontré tant de personnes sympathiques et<br />

écouté beaucoup de sujets intéressants… J’ai beaucoup aimé les soirées et je ne m’attendais pas à ce que vous<br />

organisiez autant de temps de divertissement.»<br />

Au nom du comité d’organisation nous souhaitons donner aux participants également des réactions:<br />

Nous étions heureux et fiers de vous inviter, certains d’entre vous sont de vieux amis, d’autres se sont<br />

rencontrés pour la première fois à <strong>Munich</strong>, merci pour vos contributions de valeur et à l’atmosphère<br />

productive que vous avez contribué à créer. Vous êtes venues avec des esprits ouverts et une bonne humeur.<br />

C’était un plaisir de vous avoir.<br />

_______________________________________________________________________________<br />

<br />

aura lieu à Amsterdam en octobre 2012.<br />

Nos collègues hollandais ont déjà formé une équipe. Le<br />

dernier jour à <strong>Munich</strong>, ils ont présenté une invitation<br />

charmante pour leur pays et leur ville d’Amsterdam. Une<br />

collègue hollandaise a surpris l’assemblée des participants en<br />

défilant à travers les rangs avec une coiffe hollandaise tout en<br />

faisant tinter une sonnette de bicyclette. D’autres collègues<br />

hollandais offraient un peu des Pays-Bas : des cubes de fromage<br />

hollandais et des fraises à chacun. Ils nous ont montré une vidéo d’Amsterdam et indiqué leurs idées pour<br />

le prochain congrès de <strong>HOPE</strong> dans une courte présentation. Ils semblent [toujours ☺ ] frais et énergiques<br />

et l’équipe de <strong>Munich</strong> leur a passé le relais avec tous ses vœux de réussite.


136 V. Presse/Echo | Ausland<br />

In den letzten Monaten haben die Krankenhausschulen in Australien und<br />

Neuseeland kooperiert und nach europäischem Beispiel eine eigene Organisation<br />

ins Leben gerufen: H.E.L.P. Die Gründungskonferenz wird von<br />

5.-6. September in Sidney, Australien, stattfi nden.<br />

Inaugural Australasian H.E.L.P. Conference<br />

5–6 September 2011, Coogee Beach, Sydney, Australia<br />

Diese Konferenz wird Gelegenheit geben, die Bedeutung integrativer<br />

Dienstleistung, Forschung, innovativer Praxis und fortschrittlicher professioneller<br />

Entwicklungsstrategien für Kinder mit chronischen Erkrankungen<br />

darzustellen.<br />

Webadresse:<br />

https://events.cievents.com.au/au/cm.esp?id=2203&pageid=_34W0WXINM<br />

Einladung zum Kongress 2012 in Amsterdam<br />

Claudia Molier<br />

consult for educational support for sick children in Holland<br />

Goodmorning to everybody, Gutemorgen geerhte Damen und Herren, Bonjour<br />

a tous,<br />

My name is Claudia Molier, Im a member of the board of the Dutch network<br />

for hospitalteachers or as we call it consultants for educational support for<br />

sick children in Holland. The national network in Holland is called Ziezon,<br />

which stands for Ziek zijn en onderwijs; being sick and education if you<br />

would translate this.<br />

To me it is the honour of standing here and thank our hosts for the last four<br />

days. The 7th <strong>Hope</strong> <strong>Congress</strong> in Munchen was a wonderfull experience. I<br />

think I dont speak only on behalf of myself when I say whe all go back to<br />

our countries and pupils inspired and enriched with knowledge and information<br />

we can use and put into practice in all the different places where<br />

we work.<br />

I would like to make a big compliment for the very accessible website the<br />

<strong>Munich</strong> <strong>Hope</strong> <strong>Congress</strong> has. Very clear and informative. I would also thank<br />

the <strong>Munich</strong> organisation for the very friendly and organised welcome here<br />

in your homecity and hospitals. You have spoiled us with a very interesting<br />

and high quality program. The speeches and workshops were excellent.<br />

Also the program on the side was highly entertaining and good fun. (you<br />

have such nice beer…) It gave everybody the opportunity to meet and greet<br />

and talk beyond borders. As we all know working together and sharing<br />

information is of great value.<br />

So therefore I would like to thank you all on behalf of the Dutch committee<br />

which is standing here behind me.<br />

Its therefor a great honour for the Netherlands, but also a great challenge<br />

after such an oustanding congress we had here (it will be diffi cult to compete<br />

with these high standards) to be the next host for the 8th <strong>Hope</strong> <strong>Congress</strong>.<br />

Amsterdam has more than tulips, windmills and hash. Amsterdam<br />

has two Academical hospitals and a hospitalschool and they are excited to<br />

welcome all of you in oktober 2012.<br />

We ofcourse know as all the organisers here will agree on that it is a big<br />

job. So therefor we formed a commitee of people to organise the 8th <strong>Hope</strong><br />

<strong>Congress</strong>. Let them introduce themselves:<br />

We have; Herr Otto Mourik, Frau Carla Handriks, Frau Anja de Jong, Herr<br />

Berry Deckers, Herr Michel Kleuters our man in charge and Frau Antje<br />

alias Frau Ria Bakker.<br />

We are already busy on planning a good and interesting program for 2012.<br />

We didnt give the 8th <strong>Hope</strong> <strong>Congress</strong> a tittle yet but our thoughts and<br />

ideas go around the theme of Changing Times in a fast changing world.<br />

More and more today its not only about the body getting better but the<br />

complete person is very important. Many developments in health, as well<br />

as in the psychology and pedagogy are being made and going by. These developments<br />

ask for a constant awareness, for changing our competencies<br />

and skills to have the good and professional attitude towards the pupils,<br />

the schools were they come from and their parents. We hope we can form<br />

good and constructive ideas together as hospitalteachers in Amsterdam<br />

about how to deal with these fast changing developments around us. We<br />

hope that we can move you to come to Amsterdam to share again the<br />

European knowledge and information. Also in the next two years developments<br />

will go rapidly.<br />

We plan to stay in a congresscentre in Amsterdam which is a neighbourtown<br />

of Amsterdamcentre in a very nice atmosphere. Also we will spend<br />

a day in the Academical Hospital of Amsterdam where we have the opportunity<br />

to visit the schools as well. I dont need to say that Amsterdam is a<br />

very lively and interesting city with many opportunities to see musea, to<br />

shop, to go to markets, cinema’s and theatre’s. Amsterdam itself will you<br />

show you now …<br />

We really hope to see all you back in Amsterdam on the 8the <strong>Congress</strong> of<br />

<strong>Hope</strong> in 2012. Look at the website and have a little Dutch foretaste with<br />

our cheese!<br />

7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

137


138 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

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47<br />

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II. Reden<br />

VI. Register VI. Register<br />

Pädagogik der Entschleunigung – eine besondere (sonder-)<br />

pädagogische Herausforderung im Normalfall des Lebens<br />

Hans-Jörg Polzer<br />

Krebs bei Kindern – Was kommt nach der Heilung?<br />

Therapiefortschritte und Partizipation der Schule<br />

Prof. Dr. med. Stefan Burdach<br />

Psychisch kranke Schüler – Was ist zu tun?<br />

Prof. Dr. med. Franz Joseph Freisleder<br />

Wie psychiatrisch ist die Kinder- und Jugendpsychosomatik?<br />

Aktuelle Entwicklungen und ihre Folgen für die<br />

Schule für Kranke<br />

Dr. med. Nikolaus von Hofacker<br />

„Ohne Worte“ – Diagnostik, Therapie und Behandlungsverlauf<br />

bei sexuellem Missbrauch<br />

Dr. med. Sabine Rohde<br />

Kliniklehrer und ihre Schüler – Verquickungen und<br />

Verstrickungen im Netz von Pädagogik und Medizin<br />

Dr. Martina Hoanzl<br />

„Die Zeit, die bleibt“ – Palliativ-Medizin und Schule<br />

Prof. Dr. med. Monika Führer<br />

Schulbasierte Prävention psychischer Störungen<br />

Prof. Dr. Clemens Hillenbrand<br />

Krankenpädagogik als Pädagogik in Extremlagen<br />

Wolfgang Oelsner<br />

The Child-Friendly Paediatric Health Care Model<br />

Prof. Dr. med. Jochen H. H. Ehrich, D.C.M.T. (London)<br />

III. Workshops und Foren<br />

Zur Beratung und Begleitung von suizidalen Kindern,<br />

Jugendlichen und ihren Eltern<br />

Dr. med. Sebastian Wolf<br />

Cooperation between Hospital/Special<br />

Educators and Home School Teachers<br />

Liana Sanamyan<br />

Mobiler sonderpädagogischer Dienst und die Ambulanzklasse<br />

– Ein Modell mit Zukunft für die Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />

und Sonderpädagogik<br />

Annette Werner-Frommelt<br />

Rita Wagner<br />

Dr. med. Sibylle Lehnerer<br />

Grenzen kranker Kinder – Starke Eltern – Starke Kinder<br />

Andrea Huber<br />

Leitlinien zur Interpretation der Kinderzeichnung<br />

Die Anwendung von Kinderzeichnungen in Diagnostik, Beratung,<br />

Förderung unt Therapie<br />

Dr. Christa Seidel<br />

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Saving Minds and Bodies.<br />

Health and Education Working Together<br />

Tracy Webster<br />

Begleitung von trauernden Klassen<br />

Werner Häcker<br />

„Faires Raufen“<br />

Möglichkeiten der Aggressionsbewältigung<br />

Dörthe Gerber<br />

Musikalische Interaktionsspiele im Gruppenunterricht<br />

Gudrun Diallo<br />

Schulische Reintegration onkologisch erkrankter Kinder<br />

Heimatschulbesuche mit Ärztin<br />

PD Dr. Dr. Irene Teichert von Lüttichau<br />

Dr. Barbara Kreutzer<br />

Beate Winkler<br />

„Umgang mit Kindern psychisch kranker Eltern“<br />

Birgit Laurinck<br />

Angela Ettenreich-Koschinsky<br />

Dr. Ulrich Rüth<br />

Kriminalität und Gewaltdelinquenz im Jugendalter<br />

Dr. Martin Rieger<br />

Psychisch kranke Straftäter im Jugendalter<br />

Dr. med. Rainer Huppert<br />

Die Videokonferenz an der Staatlichen Schule für<br />

Kranke München – ein Schülerprojekt<br />

Ingrid Glauz<br />

Inge Schneider<br />

Fortbildung für Klinik- und Hauslehrer/innen<br />

Christoph Napp<br />

Mit Kindern philosophieren- auch in der Klinik!<br />

„Wer früher philosophiert, ist länger weise.“<br />

Ulrike Kalmes<br />

Johannes Ramsauer<br />

Die Nachsorge von schulabstinenten<br />

Kindern und Jugendlichen:<br />

Die Relevanz einer sozialpsychologischen Perspektive<br />

Pia Anna Weber<br />

Verena Welling<br />

Prof. Dr. Gisela Steins<br />

Resilienz – Kinder widerstandsfähig machen<br />

Dr. Edith Wölfl<br />

Partnership with Education:<br />

What Value to Rehabilitation and Mental Health Services?<br />

Caleb Jones<br />

Kollegiales Team Coaching – KTC<br />

Bernhard Ruppert<br />

Cooperation between hospital teachers and<br />

home school teachers.<br />

Grete Buck Aulin<br />

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Projektbeschreibung „Warteschleife“<br />

Edith Ramminger<br />

To be or not to be<br />

Prof. Dr. Michele Noterdaeme<br />

Lerngang Klinikum<br />

Wolfgang Huber<br />

Maria Schmidt<br />

Project Hospital-School-Home<br />

Collaboration between Monza hospital school and<br />

the local school – Evaluation of a multiyear experience<br />

Flavia Tarquini<br />

Angela Passoni<br />

Silvia Pertici<br />

Parents as Partners<br />

Tanja Becan<br />

Besuch der Klinikschule, Schule für Kranke München<br />

Standort: Kinderklinik München Schwabing<br />

Haunersches Kinderspital München<br />

Ulrike Kalmes<br />

Bernhard Ruppert<br />

Individuelle Förderung im Rahmen eines<br />

projektorientierten Unterrichts an der Schule an der<br />

Heckscher-Klinik, Abt. Rottmannshöhe (KJP)<br />

Elisabeth Fuchsenberger<br />

Talk 2 me: - Migration und Sprache - Sprache als Instrument<br />

der Integration - Was tun bei Sprachstörungen ?<br />

Dr. med. Martin Sobanski<br />

Child Life Programs – Integrating the educational,<br />

recreational and emotional needs<br />

Olga Lizasoain<br />

Managing complex medical cases and education<br />

Marie Sherlock<br />

Maria Marinho<br />

Frederic Irigaray<br />

Report about the Timsis workshop 19<br />

Christine Walser<br />

E-Junkie<br />

Dr. Helmut Wittmann<br />

“Angriff oder Flucht” im Spital(Krankheitsbedingter)<br />

Stress und seine Auswirkungen aufs Lernen<br />

Christine Walser<br />

Zaubern macht Sinn - Zaubertricks im Unterricht mit<br />

kranken Kindern und Jugendlichen<br />

Fedor Lantzsch<br />

Edith Ramminger<br />

Das Recht des kranken Kindes auf Bildung<br />

Gerd Falk-Schalk<br />

100<br />

104<br />

104<br />

106<br />

107<br />

110<br />

Zwischenlösungen 1 – Hausunterricht bis Schulabschluss –<br />

gemischter Schulbesuch<br />

Mona Meister<br />

Elisabeth Voigt<br />

Living Karaoke - Freue dich an etwas Musik und<br />

komm in die Band! – Ein Modell für die Beteiligung von<br />

Schülern im Krankenhaus am Musizieren als Orchester<br />

Klas Brunander<br />

Elisabeth Karelid<br />

Nina Lindberg<br />

Ronny Nordenjack<br />

For the Best - a participatory arts project<br />

Manuela Beste<br />

IV. Zusammenfassung/Ergebnis/Ausblick<br />

Perspektiven-Foren –<br />

Weiterentwicklung der Schule für Kranke in Europa<br />

Elisabeth Meixner-Mücke<br />

Impulsreferat<br />

Wolfgang Oelsner<br />

Münchner Thesen<br />

Maria Schmidt<br />

Elisabeth Meixner-Mücke<br />

Anne-Kathrin Kohtz-Heldrich


7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong>

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