Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
KUNSTSTANDORT WIEN<br />
<strong>Wien</strong> im internationalen Kontext<br />
4<br />
© Michael Hudler<br />
© John Reeves<br />
Courtesy: Lord Cultural Resources<br />
© Kenny Schachter/Rove<br />
MAx HOLLEIN<br />
Zwei Geschwindigkeiten<br />
Die Kunststadt <strong>Wien</strong> ist eine Metropole<br />
der zwei Geschwindigkeiten. Während man<br />
einerseits immer wieder gerne zurückkehrt,<br />
um mit größter Verlässlichkeit – und wohl<br />
aufgrund einer für die globalisierte Kunstwelt<br />
einzigartigen Treue der Proponenten zur<br />
Heimatstadt – am gleichen Ort hervorragend<br />
Bekanntes und außergewöhnliche Bekannte<br />
wiederzusehen, ist die aktuelle Kunst szene<br />
<strong>Wien</strong>s andererseits an allen Ecken und<br />
Enden von einer sehr sympathischen und<br />
ungemein inspirierenden Aktivität und Dynamik<br />
geprägt. Aber auch hier gilt: Man muss<br />
immer wieder nach <strong>Wien</strong> kommen, um alles<br />
rechtzeitig zu entdecken, zu erleben und in<br />
die Stadt einzutauchen.<br />
Max Hollein ist Direktor des Städel Museum, der Schirn Kunsthalle<br />
Frankfurt und der Liebieghaus Skulpturensammlung.<br />
BARRy LORD<br />
Jenseits des Geschmacks<br />
Der Geist des Jahres 1968 bewog die Leitung<br />
der Biennale von Venedig dazu, den Verkauf<br />
von Kunstwerken zu untersagen; bis dahin<br />
war er fixer Bestandteil der Veranstaltung<br />
gewesen. Zwei Jahre später fand die erste<br />
Art Basel statt. Sie war just so anberaumt,<br />
dass Biennale-Besucher gleich nach der<br />
Vernissage nach Basel weiterfliegen konnten.<br />
Heute werden auf der Hong Kong International<br />
Art Fair (an der die Schweizer Messegesellschaft,<br />
die auch die Art Basel betreibt,<br />
den Mehrheitsanteil hält) Tragetaschen mit<br />
dem Slogan »Money Creates Taste« verteilt.<br />
Die Kunsthändler bei der Messe lesen den<br />
Spruch rückwärts: »Taste Creates Money«.<br />
Seit der Gründung der Art Basel im Jahr<br />
1970 haben Messen und Auktionshäuser Mäzenen<br />
und Käufern zunehmend mehr Macht<br />
eingeräumt. Sie gehören in der Regel jenem<br />
»einen Prozent« an, von dem die Occupy-<br />
Bewegung spricht. Der »Geschmack«, den<br />
sie schaffen, <strong>wird</strong> von hunderten Biennalen<br />
weltweit bedient. Noch steht der Künstler im<br />
Mittelpunkt; schließlich bringt er jene Werte<br />
und Inhalte hervor, die Mäzene sich zueigen<br />
machen, wenn sie ihr Geld ausgeben. Die<br />
Grenzen des Machbaren aber sind für viele<br />
Künstler zwangsläufig vom »Geschmack«<br />
ihrer potenziellen Geldgeber bestimmt.<br />
Glücklicherweise gibt es Künstler, die<br />
jenseits, fernab oder schlichtweg in seliger<br />
Unkenntnis des sogenannten Geschmacks<br />
arbeiten. Für uns besteht die Herausforderung<br />
darin, eine Form von Mäzenatentum<br />
zu finden, die es <strong>zum</strong>indest einem Teil der<br />
restlichen »99 Prozent« möglich macht, ihre<br />
Kunst zu kaufen. Möge die VIENNA ART<br />
WEEK eine Veranstaltung sein, die Kunst<br />
»jenseits des Geschmacks« vorantreibt.<br />
Barry Lord ist Ko-Präsident von Lord Cultural Resources und Mitautor<br />
von »Artists, Patrons and the Public: Why Culture Changes«<br />
(mit Gail Dexter Lord, AltaMira 2010).<br />
KENNy SCHACHTER<br />
Lokalkolorit statt globaler Einförmigkeit<br />
Wir leben in einer von Messen dominierten<br />
Kunstwelt. Deren Gefilde sind einem steten<br />
und so rasch fortschreitenden Wandel unterworfen,<br />
dass es manchmal schwerfällt, ihren<br />
Status quo zu bestimmen. Der Einfluss der<br />
Auktionshäuser auf die wichtigsten Bereiche<br />
des Marktes und der Wildwuchs an Kunstmessen<br />
haben die Gesetzmäßigkeiten für<br />
Galerien, wie Kunst zu kaufen und zu verkaufen<br />
sei, nachhaltig verändert. Nie zuvor hat<br />
das kunstaffine Publikum eine solche Vielfalt<br />
und Vielschichtigkeit geboten bekommen,<br />
nie zuvor war es mit einer visuellen Überfrachtung<br />
solchen Ausmaßes konfrontiert. Ob<br />
es eine gute Entwicklung darstellt, dass sich<br />
unsere Rezeption jeglicher Art von Kunst<br />
aus den Galerien in die Messehallen und<br />
Auktionshäuser verlagert, bleibt abzuwarten,<br />
hat jedenfalls einer kritischen Beurteilung<br />
unterzogen zu werden.<br />
Jüngst war ich erstmals in Hongkong, um<br />
die Hong Kong International Art Fair zu<br />
besuchen, die sich heuer <strong>zum</strong> fünften<br />
Mal jährte. Vor Kurzem von der Art Basel<br />
mehrheitlich übernommen, haben wir nun<br />
also die Schweizer Art Basel, die Art Basel<br />
Miami Beach und die Art Basel Hongkong.<br />
Dieses Konzept erinnert an jenes der Disney-<br />
Themenparks, wie sie mittlerweile in Los<br />
Angeles, Orlando, Paris und – was ich bis<br />
dato nicht wusste – in Hongkong zu finden<br />
sind. Vielleicht sollte die nächste Disney-<br />
Lizenz an die Schweiz gehen; <strong>zum</strong>indest würde<br />
das gut ins Muster passen. Was ich damit<br />
sagen will: Es braucht mehr Projekte wie die<br />
VIENNA ART WEEK, mehr »Hybrid-Events«,<br />
mit denen man die Grenzen zwischen Kommerziellem<br />
und Institutionellem zu verwischen<br />
und unsere Wahrnehmung der Kunst<br />
beziehungsweise verwandter Bereiche zu<br />
erweitern sucht. Dass solche Veranstaltungen<br />
eine unverkennbar lokale Note tragen, ist in<br />
einer Welt, die sich in Richtung Einförmigkeit<br />
bewegt, fraglos etwas Gutes.<br />
Kenny Schachter hat Ausstellungen zeitgenössischer Kunst kuratiert,<br />
Hochschulseminare und Vorlesungen gehalten, publiziert,<br />
ein Rockefeller-Stipendium bekommen und wurde von »New<br />
York Times Magazine«, »Observer«, »The Independent« und »The<br />
Telegraph« porträtiert. Kenny Schachter handelt mit internationaler<br />
Kunst von Impressionismus und Modernismus bis hin zu<br />
Gegenwartskunst und -design.