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Handlungsoptionen zur Vitalisierung der Demokratie

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<strong>Handlungsoptionen</strong> <strong>zur</strong><br />

<strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong><br />

Expertise für die Bertelsmann Stiftung<br />

von Prof. Dr. Roland Roth


<strong>Handlungsoptionen</strong> <strong>zur</strong> <strong>Vitalisierung</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong><br />

Expertise für die Bertelsmann Stiftung<br />

von Prof. Dr. Roland Roth<br />

Kontakt:<br />

Dr. Anke Knopp<br />

Projectmanager<br />

Programm Integration und Bildung<br />

Bertelsmann Stiftung<br />

Telefon 05241 81-81305<br />

Fax 05241 81-681305<br />

Anke.Knopp@bertelsmann-stiftung.de<br />

www.bertelsmann-stiftung.de<br />

Kopfzeile | Seite 2


Inhalt<br />

Kopfzeile | Seite 3<br />

1 „<strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>“ – eine unspezifische Reformagenda.................................. 4<br />

2 <strong>Demokratie</strong>politische Prämissen <strong>der</strong> <strong>Vitalisierung</strong>sdebatte................................................ 5<br />

3 Zeitdiagnosen zwischen Krisen, Potentialen und Herausfor<strong>der</strong>ungen – o<strong>der</strong>:<br />

warum kann und sollte <strong>Demokratie</strong> vitalisiert werden? ...................................................... 6<br />

4 Maßstäbe vitaler <strong>Demokratie</strong> – das Instrument <strong>Demokratie</strong>-Audit ................................... 11<br />

5 <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> als Reformprojekt – das Beispiel <strong>der</strong><br />

kommunalen Ebene ........................................................................................................ 15<br />

6 Wege <strong>zur</strong> politischen Integration von Migrantinnen und Migranten................................. 18<br />

7 <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> durch bürgerschaftliches Engagement ............................... 33<br />

8 Instrumente und Verfahren.............................................................................................. 38<br />

9 Der demokratische Charme „kleiner“ Gesellschaftsverträge............................................ 41<br />

10 <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> als politischer Lernprozess................................................. 43<br />

11 Literatur........................................................................................................................... 46


1 „<strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>“ – eine unspezifische<br />

Reformagenda<br />

Kopfzeile | Seite 4<br />

Wer heute eine Neuerfindung, Erneuerung, Vertiefung o<strong>der</strong> <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> for<strong>der</strong>t,<br />

kann sich breiter Unterstützung sicher sein. Nachdem vor zwei Jahrzehnten mit dem Zusammenbruch<br />

Osteuropas <strong>der</strong> „Sieg <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>“ unaufhaltsam schien, meldeten sich bald kritische<br />

Stimmen zu Wort. Bereits 2002 widmete sich <strong>der</strong> Human Development Report <strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />

umfassend dem Thema „Deepening democracy in a fragmented World“ (UNDP 2002) und<br />

benannte zentrale Krisenzonen demokratischer Zukunftsentwicklung (wie z.B. politische Korruption,<br />

Parteien- und Wahlkampffinanzierung, Verfassung <strong>der</strong> medialen Öffentlichkeit, Missachtung<br />

demokratischer Grundrechte), die uns bis heute umtreiben. Es ging in diesem Bericht nicht nur um<br />

die Festigung neuer <strong>Demokratie</strong>n, son<strong>der</strong>n gleichzeitig um die Überwindung demokratischer Defizite<br />

in konsolidierten westlichen <strong>Demokratie</strong>n und eine Vertiefung demokratischer Politik auf<br />

globaler Ebene. Während dieser, globale Entwicklungen und alle Weltregionen einbeziehende Diskurs<br />

in Deutschland vergleichsweise wenig Resonanz fand, hat sich in den letzten Jahren auch<br />

hierzulande <strong>der</strong> Eindruck verstärkt, dass es erheblichen demokratischen Erneuerungsbedarf in den<br />

etablierten westlichen <strong>Demokratie</strong>n gibt. Zu einem zentralen wissenschaftlichen Stichwort entwickelte<br />

sich dabei <strong>der</strong> Begriff „Postdemokratie“, von Colin Crouch 2004 populär gemacht (vgl. Jörke<br />

2005). Seit <strong>der</strong> Übersetzung <strong>der</strong> schmalen Studie im Jahre 2008 wird diese Zeitdiagnose auch in<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik breiter wahrgenommen. Die Debatte über eine heraufziehende „Postdemokratie“<br />

ist allerdings nur eine Ausdrucksform einer allgemeinen „democratic recession“, die nach einer<br />

Welle <strong>der</strong> Demokratisierung nach dem Ende des Kalten Krieges durch eine Rückkehr autoritärer<br />

bzw. illiberaler Regime, aber auch sinken<strong>der</strong> demokratischer Unterstützung und <strong>Demokratie</strong>zufriedenheit<br />

in vielen Län<strong>der</strong>n gekennzeichnet ist, die ihre demokratischen Strukturen erhalten konnten<br />

(Zakaria 2003; Diamond 2008).<br />

Die Erwartungen, die im öffentlichen Raum mit dem Wunsch nach einer „<strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>“<br />

bislang verbunden werden, gehen weit auseinan<strong>der</strong>. Dies mögen zwei beliebig ausgewählte<br />

Beispiele verdeutlichen. In seiner dritten Berliner Rede vom 17. Juni 2008 („Arbeit, Bildung, Integration“)<br />

for<strong>der</strong>te Bundespräsident Horst Köhler eine „Agenda 2020“, die auch eine „<strong>Vitalisierung</strong><br />

unserer <strong>Demokratie</strong>, <strong>der</strong> Sozialen Marktwirtschaft und <strong>der</strong> Bürgergesellschaft“ umfassen soll. Seine<br />

Vorschläge <strong>zur</strong> demokratischen <strong>Vitalisierung</strong>, die das Themenfeld Bürgergesellschaft<br />

erstaunlicherweise aussparen, reichen von <strong>der</strong> Einführung eines Mehrheitswahlrechts über gemeinsame<br />

Wahltermine, um den „Dauerwahlkampf“ zu beenden, bis <strong>zur</strong> Auffor<strong>der</strong>ung zu mehr<br />

Engagement in den „bewährten“ politischen Institutionen wie Parteien und Kommunalparlamenten.<br />

Für Horst Köhler heißt <strong>Vitalisierung</strong> wesentlich den bestehenden Institutionen etwas mehr Leben<br />

einzuhauchen.<br />

Eine „<strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>“ hatte Anfang 2005 auch <strong>der</strong> Oppositionsführer <strong>der</strong> Linken/PDS<br />

Bodo Ramelow im Thüringer Landtag in seiner Antwort auf eine Regierungserklärung <strong>zur</strong> politischen<br />

Kultur des Bundeslandes gefor<strong>der</strong>t. Seine Vorschläge waren u.a. mehr Transparenz des<br />

Regierungshandelns durch ein Informationsfreiheitsgesetz, mehr direkte <strong>Demokratie</strong> und die Stärkung<br />

<strong>der</strong> kommunalen Ebene im fö<strong>der</strong>alen Gefüge. Bei Ramelow klingt an, dass mehr o<strong>der</strong><br />

weniger tiefgreifende Strukturreformen gebraucht werden und Appelle alleine nicht genügen, wenn<br />

eine <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> gelingen soll.<br />

Immerhin scheint die Metapher „<strong>Vitalisierung</strong>“ so assoziationsoffen, dass sie ein breites Spektrum<br />

möglicher Interventionen von höchst unterschiedlicher Eingriffstiefe anregen kann. Dies mag zwar


Kopfzeile | Seite 5<br />

wissenschaftlich unbefriedigt lassen, könnte aber durchaus ein Vorteil für mögliche politische Reforminitiativen<br />

und -bewegungen sein.<br />

2 <strong>Demokratie</strong>politische Prämissen <strong>der</strong> <strong>Vitalisierung</strong>sdebatte<br />

„Democracy is not an all-or-nothing affair. It is a question of the degree to which citizens exercise<br />

control over political decision-making and are treated as equals. These values of democracy are<br />

realized through political institutions and practices. There is no universal model of democracy. A<br />

country’s political institutions and practices are often shaped by its history, culture, social and economic<br />

factors. Democratization is not a linear process that moves from an authoritarian to a<br />

democratic regime. It is a multi-faceted, multi-disciplinary process that moves back and forth,<br />

where some institutions are more developed than others.<br />

A functioning democracy therefore requires many interdependent elements and processes that<br />

are based on a culture of citizen participation in public affairs”<br />

(IDEA, Citizen Assessment of Democracy)<br />

Das ausführliche Zitat einer Initiative, die sich seit vielen Jahren in demokratischer Absicht <strong>der</strong><br />

<strong>Demokratie</strong>messung und –bewertung durch die Bürgerinnen und Bürger 1 verschrieben hat, fasst<br />

einige Prämissen zusammen, die für die Debatte über Optionen für eine „<strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>“<br />

orientierend sein können. <strong>Demokratie</strong> wird hier nicht als ein hehres Ideal o<strong>der</strong> abstraktes<br />

Modell verstanden, das über <strong>der</strong> profanen Werktagspolitik schwebt. Vielmehr geht es um eine gelebte<br />

und erlebte politische Alltagspraxis, die stets - völlig unabhängig vom bereits erreichten<br />

demokratischen Niveau - verbesserungswürdig und verbesserungsfähig ist. Folgende acht Grundüberzeugungen<br />

sollten den Ausgangspunkt einer <strong>Demokratie</strong> vertiefenden Suchbewegung bilden:<br />

1. <strong>Demokratie</strong> ist keine Alles-o<strong>der</strong>-Nichts-Angelegenheit, son<strong>der</strong>n ein offener Prozess, in dem eine<br />

Gesellschaft ihren demokratischen Idealen näher kommt o<strong>der</strong> sich von ihnen entfernt.<br />

2. Es gibt kein universelles Modell von <strong>Demokratie</strong>. Historische und nationale Beson<strong>der</strong>heiten<br />

spielen eine wichtige Rolle. Aber es lassen sich unterschiedliche Entwicklungsniveaus identifizieren<br />

2 .<br />

3. Ohne den Rückgriff auf explizite demokratische Normen und Werte (politische Gleichheit, Verantwortlichkeit<br />

<strong>der</strong> Regierung, Rechtsstaatlichkeit etc.) kann nicht sinnvoll von <strong>Demokratie</strong><br />

gesprochen werden. Die Geltung dieser Normen, d.h. ihre institutionelle Umsetzung und alltagspraktische<br />

Bedeutung, kann erlebt, beobachtet und eingefor<strong>der</strong>t werden. In diesem Sinne gibt es<br />

„schwache“ o<strong>der</strong> „starke“ <strong>Demokratie</strong>n.<br />

4. Akzeptierte und gelebte demokratische Normen sind auf individueller Ebene, im Alltagshandeln,<br />

in zivilgesellschaftlichen Organisationen und politischen Zusammenschlüssen wie in <strong>der</strong> Regierungspraxis<br />

und im staatlichen Handeln von Bedeutung.<br />

5. Demokratisierung und <strong>Demokratie</strong>entwicklung sind offene Prozesse, Fortschritte und Rückschritte<br />

sind immer möglich. Da sich <strong>Demokratie</strong> in vielfältigen Institutionen, Praxisformen und<br />

Lebensbereichen manifestiert, kann es in einer Gesellschaft – je nach Bereich – unterschiedliche<br />

1<br />

Aus Gründen <strong>der</strong> Lesbarkeit wird nachfolgend weitgehend auf Zusätze in <strong>der</strong> weiblichen Form verzichtet, wenn sie<br />

nicht unmittelbar geboten sind.<br />

2<br />

Gross schlägt ein vierstufiges Entwicklungsschema vor: basic, developed, stable and strong (Parliamentary<br />

Assembly 2008: 12).


Kopfzeile | Seite 6<br />

Entwicklungen geben. In einigen Lebensbereichen ist das demokratische Entwicklungsniveau weiter<br />

fortgeschritten als in an<strong>der</strong>en.<br />

6. Gute und gefestigte <strong>Demokratie</strong>n zeichnen sich durch eine Vielfalt von demokratisch geprägten<br />

und demokratieför<strong>der</strong>lichen Institutionen und Prozessen in allen gesellschaftlichen Bereichen aus.<br />

Ihre Grundlage ist die möglichst intensive Beteiligung <strong>der</strong> Bürgerinnen und Bürger an allen öffentlichen<br />

Angelegenheiten.<br />

7. Diese Vielfalt an Möglichkeiten sollte auch das Nachdenken über demokratische <strong>Vitalisierung</strong>en<br />

inspirieren. Es gibt nicht den einen Schlüssel und den einen Weg, <strong>der</strong> zum gewünschten Zustand<br />

führt. Nicht alle denkbaren Reformanstrengungen passen zueinan<strong>der</strong> und in den jeweiligen nationalen<br />

Entwicklungspfad. Oft wird die öffentliche Debatte durch Beiträge bestimmt, die<br />

ausschließlich auf eine demokratische Methode setzen, ohne Grenzen, Kosten und das notwendige<br />

Zusammenspiel mit an<strong>der</strong>en demokratischen Formen zu bedenken. Klassisch ist die<br />

reflexartige Verteidigung repräsentativer Formen (Wahlen, Parlamente) gegen jede demokratische<br />

Konkurrenz, aber auch Alternativen, wie z.B. Bürgerentscheide o<strong>der</strong> Bürgergutachten, werden<br />

zuweilen absolut gesetzt. Dabei wird übersehen, dass wir es bereits heute in <strong>der</strong> Praxis mit vielfältigen<br />

Kombinationen demokratischer Verfahren zu tun haben. Eine Vertiefung <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong><br />

benötigt neue Gewichtungen und demokratische Formen. Ihre wechselseitige Verträglichkeit und<br />

erwünschte Synergieeffekte werden sich oftmals erst im Reformprozess selbst erweisen.<br />

8. Gefor<strong>der</strong>t ist ein fehlerfreundliches experimentelles Design, das Beteiligungserfahrungen und –<br />

bewertungen <strong>der</strong> Bürgerinnen und Bürger immer wie<strong>der</strong> als Anstoß für Verän<strong>der</strong>ungen einbezieht.<br />

Programme <strong>zur</strong> <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> können ihren normativen Ansprüchen und Qualitätsvorstellungen<br />

nur gerecht werden, wenn sie möglichst vielfältige Formen partizipativer<br />

Rückmeldung und Evaluation einbauen.<br />

3 Zeitdiagnosen zwischen Krisen, Potentialen und Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

– o<strong>der</strong>: warum kann und sollte <strong>Demokratie</strong> vitalisiert<br />

werden?<br />

Jenseits <strong>der</strong> mit den beiden Äußerungen angesprochenen Frage nach <strong>der</strong> möglichen und nötigen<br />

Eingriffstiefe reformpolitischer <strong>Vitalisierung</strong>en dürfte <strong>der</strong>en Gelingen davon abhängen, ob sie vorhandene<br />

Ressourcen und Entwicklungstendenzen aufgreifen und angemessene Antworten auf<br />

jene Krisenprozesse versprechen, die in den letzten Jahren immer wie<strong>der</strong> in unterschiedlichen<br />

Tonlagen beschworen (und bestritten) wurden. Einige Stichworte zu verbreiteten Krisendiagnosen<br />

mögen genügen:<br />

- Substanzkrise des Politischen. Mit dem Rückzug des Staates (Privatisierung öffentlicher Güter,<br />

Regulierungsverzicht des Staates bzw. wachsende Selbstregulierung privater Akteure) schrumpft<br />

<strong>der</strong> politisch zu gestaltende öffentliche Raum und damit die Reichweite demokratischen Handelns.<br />

- Verantwortungskrise repräsentativer <strong>Demokratie</strong>. Responsivität und Verantwortlichkeit von Regierungen<br />

erreichen in den Bewertungen von Bürgerinnen und Bürgern immer neue Tiefststände. 3<br />

Dem entspricht eine wachsende Korruptionsintensität, die Besetzung des öffentlichen Raums<br />

3 Der nie<strong>der</strong>ländische <strong>Demokratie</strong>report (“The state of our democracy 2006”) präsentiert folgende Daten: “The responsiveness<br />

of government leaves much to be desired. Thus 83 % of people feel that the government pays little attention to<br />

the problem of citizens, 90 % feel that the government scarcely involves citizens in the policy-making and 79 % feel<br />

that the government is not sufficiently accountable for its performance” (Ministry 2006).


Kopfzeile | Seite 7<br />

durch in sich abgeschlossene politische Eliten, eine von ungewählten Experten und Lobbyisten<br />

beherrschte „Räte“republik, <strong>der</strong> wachsende Einfluss des „großen Geldes“, von Medienunternehmen<br />

und starken Lobbygruppen 4<br />

- Performanzkrise des politischen Systems. Negative Leistungsbilanzen in zentralen Politikfel<strong>der</strong>n<br />

von <strong>der</strong> ökonomischen Entwicklung bis zu ökologischen Aufgaben haben in <strong>der</strong> Bevölkerung Erwartungen<br />

in die Leistungsfähigkeit von Politik drastisch reduziert. So gehen heute etwa zwei<br />

Drittel <strong>der</strong> jungen Menschen davon aus, dass die Politik nicht in <strong>der</strong> Lage sein wird, die großen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen unserer Zeit zu lösen.<br />

- Grenzen <strong>der</strong> Verteilungspolitik. Westliche <strong>Demokratie</strong>n hatten ihre beste Zeit, als sie über<br />

wohlstandsgestützte Handlungsspielräume verfügten. Seit dem Ende des „kurzen Traums immerwähren<strong>der</strong><br />

Prosperität“ schwinden die Verteilungsspielräume und höhlen eine zentrale Prämisse<br />

wohlfahrtsstaatlicher Interessenberücksichtigung aus.<br />

- Repräsentations- und Strukturkrise <strong>der</strong> politischen Interessenvertretung und –vermittlung. Um<br />

das System politischer Interessenvermittlung steht es nicht gut. Zu den Krisensymptomen zählen<br />

sinkende Wahlbeteiligung, die „Erosion <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>parteien“ 5 . Auch die Wertschätzung von und<br />

die Mitgliedschaft in Verbänden und Gewerkschaften wird kleiner. Dem stehen ein wachsendes<br />

bürgerschaftliches Engagement und intensivere politische Aktivitäten außerhalb <strong>der</strong> institutionellen<br />

Kanäle in Bürgerinitiativen, Protesten und sozialen Bewegungen gegenüber.<br />

- Vertrauens- und Akzeptanzkrise in <strong>der</strong> Bürgerschaft. Systemvertrauen und <strong>Demokratie</strong>vertrauen<br />

sind rückläufig. Ein Bedeutungsverlust <strong>der</strong> Volkssouveränität wird empfunden und ein sinken<strong>der</strong><br />

Einfluss von Wahlentscheidungen beklagt. Hinzu kommen uneingelöste Sicherheitsversprechen,<br />

seien sie nun auf Terrorgefahren, ökologische und technologische Risiken, o<strong>der</strong> materielle Unsicherheiten<br />

bezogen.<br />

- Krise <strong>der</strong> Menschen- und Bürgerrechte. Nach dem 11. September 2001 sind Menschen- und Bürgerrechte<br />

in vielen <strong>Demokratie</strong>n verstärkt in eine Abwärtsspirale geraten, indem sie teils<br />

programmatisch hinter sicherheitspolitischen Erwägungen <strong>zur</strong>ück gestellt werden, teils zu den Kollateralschäden<br />

des „Kriegs gegen den Terror“ gehören (Rückkehr <strong>der</strong> Folter, Entrechtung von<br />

Gefangenen à la Guantanamo etc. – zu den verschiedenen internationalen Facetten vgl. Wilson<br />

2005)<br />

- Vereinigungskrise. Sie markiert eine spezifisch deutsche Herausfor<strong>der</strong>ung, indem sich die Krisenprozesse<br />

<strong>der</strong> westlichen <strong>Demokratie</strong>n und die <strong>der</strong> Transformationsprozesse in den<br />

osteuropäischen Län<strong>der</strong> in Deutschland überlagern (Buzogany/Frankenberger 2007).<br />

Die genannten Krisenelemente bilden bei weitem keine vollständige Liste (vgl. ergänzend diverse<br />

Beiträge in Brodocz et al. 2008). Nun gehören Krisendiagnosen untrennbar <strong>zur</strong><br />

demokratischen Entwicklung. Über die „Krisen <strong>der</strong> Krisentheorien“ ist schon häufiger gelächelt<br />

worden. Die Erfahrungen mit dem Untergang des Ostblocks könnte sogar zu einer paradoxen Bewertung<br />

von Krisendiagnosen verführen: Nur wenn es sie nicht gibt (bzw. wenn sie nicht<br />

zugelassen werden), ist <strong>der</strong> Systembestand wirklich bedroht. Wie weit sich die genannten Krisen<br />

zu realen Bedrohungen auswachsen o<strong>der</strong> <strong>zur</strong> „normalen“ Begleitmusik stets angesagter demokratischer<br />

Neujustierungen gehören, mit denen wir entspannt leben sollten, sei hier einmal dahin<br />

gestellt (bestürzende demoskopische Befunde für die Bundesrepublik bietet Embacher 2009).<br />

4 Robert Reich (2008: 174 ff.) hat die Dynamik dieser Eroberung des politischen Raumes anschaulich beschrieben und<br />

als Konsequenz verschärfter internationaler Konkurrenzbedingungen plausibel gemacht.<br />

5 Eindrucksvolle internationale Daten zum Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong> Parteimitgliedschaft liefert <strong>der</strong> UNDP-Bericht (2002: 69),<br />

wobei die Entwicklung in Deutschland (auch vereinigungsbedingt) mo<strong>der</strong>ater ausfällt als in Län<strong>der</strong>n wie Frankreich,<br />

Italien o<strong>der</strong> den USA, wo sich die Zahl <strong>der</strong> Parteimitglie<strong>der</strong> in den letzten beiden Dekaden des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts mehr<br />

als halbiert hat. Zuwächse werden lediglich für die „neuen“ <strong>Demokratie</strong>n ausgewiesen.


Kopfzeile | Seite 8<br />

Der Ruf nach demokratischer Erneuerung muss jedoch nicht krisenpolitisch inspiriert o<strong>der</strong> gar begründet<br />

sein. Vorliegende Zeitdiagnosen beschreiben auch große demokratische Potentiale und<br />

Ressourcen (z.B. mit Blick auf politisches Interesse, Engagementbereitschaft, neue technologische<br />

Möglichkeiten demokratischer Kommunikations- und Entscheidungsprozesse), die durch <strong>Vitalisierung</strong>sprozesse<br />

demokratieför<strong>der</strong>lich genutzt werden könnten. Krisendiagnosen konzentrieren sich<br />

häufig auf einen bestimmten institutionellen Ausschnitt und vernachlässigen konträre Entwicklungen<br />

in an<strong>der</strong>en Bereichen. Folgende gegenläufige Tendenzen sind als unterstützende Ressourcen<br />

für das Thema „<strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>“ beson<strong>der</strong>s interessant:<br />

- Partizipatorischer Überfluss. Der Nie<strong>der</strong>gang konventioneller Formen <strong>der</strong> politischen Beteiligung<br />

ist in vielen westlichen <strong>Demokratie</strong>n mit einem Aufschwung „unkonventioneller“ Beteiligung verbunden.<br />

Es ist, so lauteten schon die Befunde <strong>der</strong> frühen „Political Action“-Studie (Barnes u.a.<br />

1979), zu einer Verschiebung im Handlungsrepertoire <strong>der</strong> Bürgerinnen und Bürger gekommen –<br />

und nicht zu einem Zerfall politischen Interesses, demokratischer Orientierungen und politischen<br />

Handelns. Für diese Verlagerung werden viele Ursachen genannt (bessere Bildungsressourcen,<br />

mehr freie Zeit, materielle Sicherheit als prägende Erfahrung, Zunahme postmaterialistischer, auf<br />

Partizipation und Selbstverwirklichung gestimmter Werthaltungen, Abschied von <strong>der</strong> patriarchalen<br />

hin <strong>zur</strong> demokratische Orientierungen stärkenden „Verhandlungsfamilie“, sinkende Gewaltneigung<br />

und Zivilisierung des öffentlichen Lebens, eine an Assoziationen, Vereinen und Initiativen reiche<br />

Zivilgesellschaft). Eine solide, international vergleichende Studie zu diesem Thema von Pippa Norris,<br />

<strong>der</strong>en Befunde vielfach bestätigt wurden, trägt daher den hoffnungsvollen Titel „demokratischer<br />

Phönix“ (2002).<br />

Diese Erneuerungserwartung ist allerdings daran gebunden, dass aus <strong>der</strong> Asche <strong>der</strong> alten Institutionen<br />

neue Formen und Institutionen <strong>der</strong> politischen Beteiligung entstehen, die zu einer<br />

Demokratisierung liberaler <strong>Demokratie</strong>n beitragen. „<strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>“ bedeutet in dieser<br />

Perspektive, diese neuen Motive (ökologische Themen, globale Gerechtigkeit, Gen<strong>der</strong> etc.)<br />

und praktischen Anstöße (projektorientierte Beteiligung mit starken Selbstgestaltungsansprüchen,<br />

Politik jenseits <strong>der</strong> traditionellen politischen Lagergrenzen etc.) in den zentralen politischen Institutionen<br />

<strong>zur</strong> Geltung zu bringen und sie entsprechend zu renovieren.<br />

In <strong>der</strong> Bundesrepublik ist die politisch-institutionelle Nutzung dieser neuen demokratischen Ressourcen<br />

bisher kaum gelungen 6 . Das politische Engagement in Bürgerinitiativen, sozialen<br />

Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen ist seit den 1960er Jahren deutlich angestiegen.<br />

Dies gilt auch für bevorzugte Protestformen wie z.B. Straßendemonstrationen. <strong>Demokratie</strong> stellt<br />

das gewichtigste übergreifende Thema <strong>der</strong> Mobilisierungen dar, sei es nun in Gestalt <strong>der</strong> Sorge<br />

über Rückbildungen („Notstand <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>“, bedrohte Bürgerrechte etc.) o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung<br />

nach mehr Mitsprachemöglichkeiten (etwa bei <strong>der</strong> Technikwahl im Energiebereich, dem<br />

Einsatz gentechnisch verän<strong>der</strong>ter Pflanzen o<strong>der</strong> bei großen Reformentscheidungen, wie bei <strong>der</strong><br />

Agenda 2010). Auf diese Weise ist eine anspruchsvolle demokratische Reformagenda entstanden<br />

(vgl. Roth 1999), die zuletzt durch globalisierungskritische Bewegungen um die Dimension transnationaler<br />

<strong>Demokratie</strong> erweitert wurde (Rucht/Roth 2008). Wenn auch nicht jede For<strong>der</strong>ung nach<br />

demokratischer Gestaltung ihren Anlass überdauert hat, ist im Rückblick durchaus erstaunlich, wie<br />

sensibel und innovativ das demokratische Agenda-Setting durch die neuen sozialen Bewegungen<br />

gewesen ist – und wie wenig davon bislang von institutionellen Akteuren aufgegriffen wurde. Trotz<br />

einiger Brückenschläge, wie <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> Partei „Die Grünen“, die zunächst als Bewegungs-<br />

6 Zu dieser Diagnose im Detail vgl. das Schlusskapitel unseres Handbuchs zu sozialen Bewegungen in Deutschland<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg (Roth/Rucht 2008: 635ff.). Es geht vor allem auf die demokratischen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

und Impulse <strong>der</strong> Protestbewegungen und <strong>der</strong>en durchaus begrenzte Resonanz ein.


Kopfzeile | Seite 9<br />

partei antrat und mit <strong>der</strong> Metapher „Spielbein und Standbein“ den Spagat zwischen Parlamenten<br />

und sozialen Bewegungen versuchte, ist es weitgehend bei separaten Welten geblieben (Roth<br />

1994), ohne dass die Bereitschaft zum Protest nachgelassen hätte. Anlässlich <strong>der</strong> aktuellen weltweiten<br />

Finanz- und Wirtschaftskrise sei nur daran erinnert, dass ein zentraler Mobilisierungsträger<br />

<strong>der</strong> globalisierungskritischen Bewegung, das 1998 in Frankreich gegründete und inzwischen weltweit<br />

verbreitete Netzwerk „attac“ 7 , seinen Namen dem Bestreben verdankt, die globalen<br />

Finanzmärkte zum Nutzen <strong>der</strong> Bürgerinnen und Bürger politisch zu regulieren. Dass sich dieses<br />

Netzwerk zudem als „Volkshochschule“ in Sachen globaler Ökonomie versteht und seit Jahren<br />

entsprechende Angebote in Sommerschulen und Themenabenden, auf Netzseiten und in Buchpublikationen<br />

anbietet, macht auf innovative politische Potentiale aufmerksam, die im Rahmen<br />

einer <strong>Vitalisierung</strong>sdebatte beson<strong>der</strong>e Beachtung verdienten 8 .<br />

- Große Bereitschaft zu freiwilligem Engagement. Eine vitale <strong>Demokratie</strong> ist in hohem Maße von<br />

einer lebendigen, demokratisch gestimmten Zivilgesellschaft abhängig. Auch hier gibt es positive<br />

Signale. Die Botschaft <strong>der</strong> Freiwilligensurveys von 1999 und 2004 (Gensicke u.a. 2006) fällt eindeutig<br />

aus: bürgerschaftliches Engagement gibt es in <strong>der</strong> Bundesrepublik auf hohem und<br />

steigendem Niveau. Um die För<strong>der</strong>ung des bürgerschaftlichen Engagements bemühen sich nach<br />

den Anstößen durch eine Enquete-Kommission des Bundestags „Zukunft des bürgerschaftlichen<br />

Engagements“ (2000-2002) Bund, Län<strong>der</strong> und Kommunen. Engagementpolitik gewinnt mehr und<br />

mehr die Umrisse eines eigenen Politikfeldes. Hier scheint <strong>der</strong> Transfer zu den bestehenden politischen<br />

Institutionen insgesamt besser zu gelingen als im Umgang mit Protesten und neuen<br />

sozialen Bewegungen. Allerdings fällt auf, dass die demokratiepolitische Dimension des bürgerschaftlichen<br />

Engagements bisher eher an den Rand gedrängt wird. Ein zentrales Motiv <strong>der</strong><br />

Engagierten ist es, wie wir aus vielen Studien wissen, zumindest im Kleinen etwas gestalten zu<br />

können – ein genuin demokratisches Anliegen, auch wenn es sich überwiegend in politikfernen<br />

Bereichen verwirklicht bzw. verwirklichen muss. Von den Möglichkeiten einer <strong>Vitalisierung</strong> von<br />

<strong>Demokratie</strong> durch Engagementpolitik soll weiter unten (VII.) noch die Rede sein.<br />

- Neue technologische Möglichkeiten. Die Ausbreitung neuer Informationstechnologien und die<br />

enorme Verbilligung von Transportkosten erlauben eine Ausweitung politischer Räume und die<br />

Intensivierung politischer Kommunikation. Das schnelle Anwachsen internationaler Nichtregierungsorganisationen<br />

in den letzten beiden Jahrzehnten ist eine <strong>der</strong> konkreten Ausdrucksformen<br />

(vgl. Brunnengräber u.a. 2005). Es gibt zwar keinen technologischen Determinismus, aber Email<br />

und Internet haben erheblich zu einer transnationalen Öffentlichkeit, einer dichten Folge transnationaler<br />

Mobilisierungen und zu neuen globalen politischen Vernetzungen beigetragen, wie z.B. dem<br />

2001 begründeten Weltsozialforum. Preisgünstige Internetkommunikation hat nicht nur die grenzüberschreitende<br />

Wahrnehmung und Vernetzung erleichtert, son<strong>der</strong>n auch lokalen Initiativen <strong>zur</strong><br />

<strong>Demokratie</strong>entwicklung Auftrieb gegeben (e-democracy). Neue Informationstechnologien sind dabei,<br />

politische Kampagnen und Wahlkämpfe zu verän<strong>der</strong>n – und dies nicht nur im negativen Sinne<br />

gesteigerter Manipulationsmöglichkeiten, son<strong>der</strong>n auch zugunsten eines demokratischen Mehrwerts,<br />

wie z.B. deliberative und gemeinschaftsbildende Elemente <strong>der</strong> Obama-Wahlkampagne<br />

gezeigt haben. In den Übersichten zu demokratieför<strong>der</strong>lichen Verfahren und Instrumenten finden<br />

sich vor allem in den USA eine Reihe von Vorschlägen und Projekten, die auf mo<strong>der</strong>ne Kommunikationsmöglichkeiten<br />

gestützt, den repräsentativen Charakter von Wahlen und<br />

Regierungsentscheidungen steigern wollen.<br />

7<br />

„Attac“ ist ein Akronym für Association pour la taxation des transactions financières pour l’aide aux citoyens.<br />

8<br />

In dieses Bild passt auch, dass prominente Politiker, wie Heiner Geißler, und Bürgerrechtler, wie Friedrich Schorlemer,<br />

inzwischen als Mitglie<strong>der</strong> von attac auftreten.


Kopfzeile | Seite 10<br />

Was bei den technologischen Möglichkeiten schon positiv anklang, verweist auf gewichtige Herausfor<strong>der</strong>ungen,<br />

denen sich eine <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> heute stellen muss. Folgende<br />

Aufgaben dürften uns noch anhaltend beschäftigen:<br />

- Politische Globalisierungsprozesse. Ohne sie hier im Detail beschreiben zu wollen, stellen die<br />

verstärkten Globalisierungsprozesse <strong>der</strong> letzten Jahrzehnte eine Herausfor<strong>der</strong>ung für jede nationalstaatlich<br />

verfasste Politik dar. Dies reicht von <strong>der</strong> oft beklagten Einengung nationaler<br />

Handlungsspielräume 9 bis zu den Anfor<strong>der</strong>ungen an eine transnationale Zusammenarbeit im Angesicht<br />

von zahlreichen ungelösten transnationalen Problemlagen (Klimawandel, Hunger, Krieg,<br />

Armut, Seuchen etc.).<br />

Auch hier sind nicht nur die Problemberge angewachsen. Mit den Globalisierungsprozessen findet<br />

auch ein verstärkter internationaler Austausch neuer politischer Formen und Initiativen statt. Die<br />

weltweite Karriere <strong>der</strong> zunächst in brasilianischen Städten erprobten „Bürgerhaushalte“ (zuerst<br />

1989 in Porto Alegre) bietet hierfür ein markantes Beispiel. Der Trend zu einer globalen Zivilgesellschaft<br />

hat nicht nur eine neue Ebene transnationaler Politik hervorgebracht, son<strong>der</strong>n auch zu<br />

vielfältigen Rückwirkungen von globalen Entwicklungen auf die nationale und lokale Ebene geführt<br />

10 , die z.B. unter dem Stichwort „Neuformatierung von Politik“ analysiert wird (Dean u.a. 2006).<br />

Der Rückzug auf eine, vermeintlich einen sicheren Hafen versprechende lokale Politik (Hauck<br />

2008) dürfte angesichts <strong>der</strong> aufgelaufenen Probleme jedenfalls keine Chance haben – auch wenn<br />

schon aus demokratischen Gründen eine Stärkung <strong>der</strong> lokalen Ebene Vorrang haben sollte. Bedingungen<br />

und Möglichkeiten einer demokratisch verfassten transnationalen Politik sind nicht nur<br />

heftig umstritten, son<strong>der</strong>n liegen auch in ihren institutionellen Ausprägungen noch weitgehend im<br />

Dunkeln (Roth 2005; Bohman 2007).<br />

- Regionalisierung, EU-Politik. Die verstärkte regionale Zusammenarbeit ist ein Motor globaler<br />

Konkurrenz, aber auch eine Reaktionsbildung auf Globalisierungsprozesse (vgl. die „Lissabon-<br />

Strategie“ <strong>der</strong> Europäischen Union mit dem Leitbild verbesserter Wettbewerbsfähigkeit). Wir erleben<br />

dies in <strong>der</strong> Bundesrepublik als Intensivierung und Erweiterung <strong>der</strong> Europäischen Union. Die<br />

<strong>Demokratie</strong>bilanz <strong>der</strong> EU-Politik wird zumeist negativ erlebt und thematisiert: als Aushöhlung nationaler<br />

Handlungsräume ohne entsprechende demokratische Zugewinne auf <strong>der</strong> EU-Ebene.<br />

Dennoch o<strong>der</strong> gerade deshalb macht sich z.B. <strong>der</strong> Europarat seit Jahren mit vielen Vorschlägen<br />

für eine demokratische <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> europäischen Politik und die ihrer Mitgliedslän<strong>der</strong> stark<br />

(vgl. Council of Europe 2005 & 2007)<br />

- Migration. Die bereits beschriebenen Prozesse haben dazu geführt, dass Migration und Zuwan<strong>der</strong>ung<br />

zum Normalfall vieler europäischer Gesellschaften geworden sind. Dies ist zwar schon<br />

länger <strong>der</strong> Fall, wurde aber viele Jahre als Gastarbeiterfrage heruntergespielt. Migrationsbedingte<br />

kulturelle Vielfalt ist <strong>zur</strong> beson<strong>der</strong>en Herausfor<strong>der</strong>ung für jene westlichen <strong>Demokratie</strong>n geworden,<br />

9 In einer Studie <strong>zur</strong> <strong>Demokratie</strong> in Norwegen heißt es: “Both politic and economic power is increasingly exercised<br />

above and outside the nation state, that is, beyond the reach of national democratic institutions; while within the nation<br />

state, the chain of command from below is weakening, outside the nation state a new chain of command is emerging<br />

from above that limits and directs national legislation but over which citizens and their representatives have virtually no<br />

say or control” (Stein Ringen, What Democracy is For, Princeton: Princeton University Press 2007, zitiert nach Parliamentary<br />

Assembly 2008, 62).<br />

10 Einen guten Überblick mit soliden Daten über die vielfältigen Dimensionen dieses Prozesses bietet das seit 2001<br />

zunächst bei Oxford University Press und dann bei Sage erscheinende, vom Center for the Study of Global Governance<br />

<strong>der</strong> London School of Economic and Political Science und dem Center for Civil Society an <strong>der</strong> University of California<br />

in Los Angeles herausgegebene Jahrbuch „Global Civil Society“ – <strong>zur</strong> demokratischen Entwicklung vgl. beson<strong>der</strong>s die<br />

Ausgabe von 2007/2008 (Albrow u.a. 2008).


Kopfzeile | Seite 11<br />

die auf homogenere Gesellschaften ausgelegt waren 11 . Gefragt ist eine verstärkte, auch politische<br />

Partizipation von Migranten und eine größere Inklusionskraft des demokratischen Prozesses (Parliamentary<br />

Assembly 2008) – ein Thema das weiter unten (VI.) noch detaillierter aufgegriffen wird.<br />

Diese eng miteinan<strong>der</strong> verwobenen Prozesse for<strong>der</strong>n zwei klassische demokratische Normen heraus:<br />

a. Von politischen Entscheidungen Betroffene müssen an diesen Entscheidungen angemessen<br />

beteiligt werden. Diese Norm wird gegenwärtig (und vermutlich auf absehbare Zeit) auf globaler<br />

Ebene nicht eingelöst. Dies schien solange verzichtbar, wie die Tragweite von Entscheidungen auf<br />

Gipfeltreffen, in internationalen Organisationen und themenspezifischen „Regimen“ begrenzt war<br />

und prinzipiell durch nationale Politik – zumindest die <strong>der</strong> größeren Staaten - beeinflussbar schien.<br />

Angesichts des Bedeutungsgewinns transnationaler Politik ist dies selbst für starke und einflussreiche<br />

Nationen wie <strong>der</strong> Bundesrepublik nur noch sehr eingeschränkt gegeben. Gefor<strong>der</strong>t ist<br />

deshalb, wie in einem Dokument des Europarats ohne weitere Konkretisierung formuliert wird, die<br />

Ausweitung demokratischer Teilhabe auf die transnationalen Ebene („enlarge it to the transnational<br />

level“ - Parliamentary Assembly 2008: 12).<br />

b. Es ist mit demokratischen Normen nicht vereinbar, wenn größere Bevölkerungsgruppen dauerhaft<br />

von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden. Deshalb muss, wie in<br />

einem Papier des Europarats gefor<strong>der</strong>t, <strong>der</strong> Zugang zu Bürgerrechten generell, aber auch zu politischen<br />

Rechten wie dem Wahlrecht für Nicht-Bürger ermöglicht werden, die sich dauerhaft und<br />

legal in einem Lande aufhalten. Die folgenreiche Unterscheidung von EU-Bürgern und Drittstaaten-<br />

Auslän<strong>der</strong>n, wie sie etwa für das Grundgesetz (Art. 28) maßgeblich ist, sollte deshalb überwunden<br />

werden (Parliamentary Assembly 2008: 9). Zudem komme es nicht nur auf eine formale Gleichstellung,<br />

son<strong>der</strong>n auf eine effektive Beteiligung an, was den Abbau institutioneller Barrieren und<br />

gesellschaftlicher Hin<strong>der</strong>nisse einschließt. Entscheidend für die demokratische Entwicklung sei<br />

eine Balance zwischen dem Respekt vor <strong>der</strong> Vielfalt und Integration. „Integration, which is basically<br />

aimed at eliminating exclusion and segregation of the society, has to go hand in hand with respect<br />

for diversity, different cultures, languages and religions, on full respect for human rights. Assimilation<br />

is not to be confused with integration and would un<strong>der</strong>mine it” (Parliamentary Assembly 2008:<br />

12).<br />

Es ist sicherlich kein Zufall, dass diese Herausfor<strong>der</strong>ungen zu den kontroversen Themen öffentlicher<br />

Debatten gehören. Sie sind heute zentrale Mobilisierungsthemen für rechtsradikale und<br />

rechtspopulistische Gruppierungen, die ihren überraschenden Aufstieg nicht zuletzt darauf gründen<br />

können. Solche politischen Zuspitzungen verdeutlichen, wie dringlich demokratische<br />

Lösungsangebote auf diesem Terrain sind.<br />

4 Maßstäbe vitaler <strong>Demokratie</strong> – das Instrument <strong>Demokratie</strong>-<br />

Audit<br />

Wer von „<strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>“ spricht, sollte wissen, dass es dafür keine allgemein akzeptierten<br />

und verbindlichen Maßstäbe gibt. Es bedarf <strong>der</strong> Entscheidung für einen normativ<br />

ausgewiesenen Zugang zum Thema. Davon kündet bereits die anhaltende Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

um angemessene <strong>Demokratie</strong>konzepte, die von den lange Zeit dominierenden, relativ anspruchs-<br />

11 „Migration is the major cause of this cultural diversification within European nation states. According to reliable<br />

estimates, there are 64,1 million migrants in Europe, which amounts to 8,8 % of the total population and this figure is


Kopfzeile | Seite 12<br />

losen „realistischen“ Modellen einer durch die „demokratische Methode“ geregelten Elitenzirkulation<br />

in <strong>der</strong> Tradition von Joseph A. Schumpeter bis zu anspruchsvollen Visionen einer „starken“, auf<br />

ein demokratisches Gemeinschaftsleben („civic culture“) gegründeten <strong>Demokratie</strong> reichen, die sich<br />

gerne auf Alexis de Tocquevilles US-Reiseberichte aus dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t berufen (zu dieser<br />

Tradition vgl. Wolin 2001). Die nach dem Ende des Kalten Krieges eingetretenen Entwicklungen<br />

(„dritte Welle“ <strong>der</strong> Demokratisierung, aber auch Rückbildungen sowohl in den neuen wie den konsolidierten<br />

<strong>Demokratie</strong>n) haben eine neue Runde demokratietheoretischer Debatten ausgelöst.<br />

Konsens dürfte lediglich darin bestehen, dass we<strong>der</strong> das „schlanke“ Modell <strong>der</strong> „demokratischen<br />

Methode“ (d.h. vor allem durch regelmäßige allgemeine Wahlen zustande gekommene Regierungen)<br />

noch das basisdemokratische Modell <strong>der</strong> zivilgesellschaftlich fundierten „starken <strong>Demokratie</strong>“<br />

ausreichen, um auf die aktuellen politischen Herausfor<strong>der</strong>ungen in neuen, aber auch konsolidierten<br />

<strong>Demokratie</strong>n angemessene Antworten zu geben.<br />

Die wissenschaftliche Bewertung von <strong>Demokratie</strong>qualität ist stark von den gewählten Konzepten<br />

abhängig, wobei klassisch prozedurale und substanzielle Ansätze konkurrieren. An Verfahren orientierte<br />

Konzepte lassen sich wie<strong>der</strong>um unterscheiden in ihrer Präferenz für repräsentative, direktdemokratische<br />

o<strong>der</strong> deliberative <strong>Demokratie</strong>formen (Lauth 2008: 33 ff.). An Versuchen und Ansätzen<br />

<strong>zur</strong> vergleichenden <strong>Demokratie</strong>bewertung herrscht in <strong>der</strong> wissenschaftlichen Debatte kein<br />

Mangel, wobei sich eine Tendenz zu komplexen Messbatterien abzeichnet, die sich stark an quantifizierenden<br />

Wissenschaftsidealen <strong>der</strong> vergleichenden Politikwissenschaft orientieren. Ihr<br />

aufklären<strong>der</strong> Wert und praktisch-politischer Nutzen nimmt allerdings mit wachsen<strong>der</strong> szientifischer<br />

Komplexität ab (vgl. die Synopse in Beetham et al. 2008: 306). Die Präzisierung <strong>der</strong> Messinstrumente<br />

und Indikatoren sollte zudem nicht darüber hinweg täuschen, dass es immer auch um<br />

„subjektive“ Bewertungen durch die jeweilige Bevölkerung geht und es unterschiedliche institutionelle<br />

Ausprägungen und damit auch Qualitäten von (westlicher) <strong>Demokratie</strong> gibt, die ein<br />

kontextsensibles Vorgehen erfor<strong>der</strong>n (Abromeit 2004).<br />

Das zuerst am britischen Beispiel entwickelte <strong>Demokratie</strong>-Audit bietet den gegenwärtig wohl interessantesten<br />

Ansatz, weil er die Bewertung von <strong>Demokratie</strong>qualität mit praktischen<br />

Reformabsichten verknüpft. „Unter <strong>Demokratie</strong>-Audit versteht man...ein Analyseinstrument, welches<br />

ausgehend von einer präzise operationalisierten Definition des Basiskonzepts <strong>Demokratie</strong><br />

und davon abgeleiteten Beurteilungskriterien Regierungssysteme und ihre Bestandteile, d.h. korporative<br />

Akteure, Institutionen und Verfahren <strong>der</strong> politischen Meinungs- und Willensbildung sowie<br />

Entscheidungsfindung auf ihren <strong>Demokratie</strong>grad prüft und Defizite diagnostiziert“ (Kaiser/Seils<br />

2005: 133f.). <strong>Demokratie</strong>-Audits wurden inzwischen in rund 20 Län<strong>der</strong>n in verschiedenen Regionen<br />

<strong>der</strong> Welt und für die Europäische Union vorgenommen. Es besteht seit 1993 als<br />

Orientierungsrahmen für unterschiedliche Projekte <strong>zur</strong> Erforschung <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>qualität ganzer<br />

Nationen, wird aber auch zu kleinteiligen Assessments von verschiedenen institutionellen Bereichen<br />

und Handlungsfel<strong>der</strong>n (von <strong>der</strong> Parteien- und Wahlkampffinanzierung bis <strong>zur</strong><br />

Korruptionsbekämpfung), <strong>zur</strong> Bewertung von Reformregierungen (z.B. <strong>der</strong> Blair-Agenda in Großbritannien)<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> demokratischen Qualität von wichtigen Einzelentscheidungen, etwa solchen<br />

außenpolitischen Weichenstellungen wie dem Eintritt in die „Koalition <strong>der</strong> Willigen“ im Kontext des<br />

„war on terror“ und dessen innenpolitische Rückwirkungen auf <strong>Demokratie</strong> und Bürgerrechte in<br />

Großbritannien. Dieses von David Beetham, Stuart Weir u.a. in reformpolitischer Absicht (im Kontext<br />

<strong>der</strong> britischen Charta 88) entwickelte Konzept hat beachtliche Resonanz vor allem in den<br />

angelsächsischen Län<strong>der</strong>n, aber auch z.B. in Italien, den Nie<strong>der</strong>landen und in Schweden gefunden.<br />

Das seit 2002 geför<strong>der</strong>te australische <strong>Demokratie</strong>-Audit zum Beispiel stellt sich neben dem<br />

increasing” (Parliamentary Assembly 2008).


Kopfzeile | Seite 13<br />

Anspruch, verbesserte Methoden <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>bewertung zu entwickeln, auch die Aufgabe<br />

durch internationale Vergleiche benchmarks für <strong>Demokratie</strong>reformen zu gewinnen und dadurch die<br />

Reformdebatte in Australien zu beleben. <strong>Demokratie</strong>-Audits müssen sich, wie das australische<br />

Beispiel zeigt, keineswegs auf staatliches Handeln und politische Kerninstitutionen beschränken.<br />

Zu den veröffentlichten Reports gehört z.B. auch eine Studie über die Repräsentation von benachteiligten<br />

Bevölkerungsgruppen in <strong>der</strong> australischen Politik durch Nichtregierungsorganisationen<br />

(http//democratic.audit.anu.edu.au).<br />

Von den üblichen Formen <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>messung, die sich stark an neuen <strong>Demokratie</strong>n und ihren<br />

Konsolidierungsproblemen ausrichten, unterscheidet sich das <strong>Demokratie</strong>-Audit dadurch, dass<br />

es ein hinreichend differenziertes Instrumentarium anbietet, um auch demokratisch bedeutsame<br />

Verän<strong>der</strong>ungen und Unterschiede in entwickelten westlichen <strong>Demokratie</strong>n zu erfassen und zu bewerten<br />

12 . Es wendet sich nicht nur an ein wissenschaftliches Publikum, son<strong>der</strong>n an demokratische<br />

politische Reformkräfte in Regierungen, Parteien und <strong>der</strong> Zivilgesellschaft. Die Ergebnisse dieser<br />

Bemühungen wurden im letzten Jahr in Form eines Praxishandbuchs (Beetham u.a. 2008) und in<br />

einer Überblicksbroschüre (Landman 2008) zusammengefasst. Das Verfahren wurde zwar auch in<br />

<strong>der</strong> deutschsprachigen Politikwissenschaft – überwiegend positiv - wahrgenommen (Kaiser/Seils<br />

2005; Lauth 2004 und 2008), allerdings bislang nicht reformpolitisch zugespitzt und praktisch genutzt<br />

13 .<br />

Im Zentrum des <strong>Demokratie</strong>-Audits stehen zwei demokratische Schlüsseldimensionen, die als relativ<br />

unumstritten gelten können: die öffentliche Kontrolle staatlichen Handelns (popular control) und<br />

die Gleichheit <strong>der</strong> Bürgerinnen und Bürger in <strong>der</strong> Ausübung dieser Kontrolle (political equality).<br />

Auch die aktuelle Agenda von „International IDEA“ setzt dort an: Politische Entscheidungen können<br />

von allen Bürgerinnen und Bürgern beeinflusst und kontrolliert werden, und alle Bürgerinnen<br />

und Bürger haben die gleichen politischen Rechte. Aus diesen Prämissen ergibt sich implizit ein<br />

demokratischer Sollwert: Ein demokratisches politisches System ist inklusiv, partizipatorisch, repräsentativ,<br />

verantwortlich, transparent und reagiert auf Wünsche und Erwartungen <strong>der</strong><br />

Bürgerinnen und Bürger. Zwischen diesen Prinzipien können Spannungen bestehen, die beson<strong>der</strong>s<br />

bei Reformvorschlägen zu berücksichtigen sind, wenn Interdependenzen und Rückwirkungen<br />

nicht zu unbeabsichtigten Folgen führen sollen. Am Anfang von Län<strong>der</strong>beobachtungen steht deshalb<br />

ein möglichst umfassendes Audit. Normative Schwerpunktsetzungen sind nicht (allein) die<br />

Aufgabe von Wissenschaftlern, son<strong>der</strong>n Ergebnis <strong>der</strong> Präferenzen in <strong>der</strong> Bevölkerung und/o<strong>der</strong><br />

Ausdruck von benchmarks, die durch internationale Vergleiche gewonnen werden.<br />

Ihre Konkretisierung erfahren die demokratischen Grundprinzipien in verschiedenen Varianten. Für<br />

die deutsche Debatte dürfte die jüngste zusammenfassende Version von International IDEA die<br />

interessanteste sein. Aus den beiden Grundprinzipien öffentliche Kontrolle und politische Gleichheit<br />

werden sieben Mittlerwerte abgeleitet: Partizipation, Autorisierung, Repräsentation,<br />

Verantwortlichkeit, Transparenz, Responsivität und Solidarität (Landman 2008: 11), die als Maß-<br />

12<br />

Interessant scheint mir beson<strong>der</strong>s die Variante <strong>der</strong> Selbstevaluation <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>qualität nach nie<strong>der</strong>ländischem<br />

Vorbild. Im Jahre 2006 haben die Nie<strong>der</strong>lande einen Bericht „The State of Our Democracy“<br />

(Ministry 2006) vorgelegt, dessen Aufbau sich an den Untersuchungsfragen des Stockholmer „International<br />

Institute for Democracy and Electoral Assistance (International IDEA)“ orientiert. Im Unterschied zu an<strong>der</strong>en<br />

<strong>Demokratie</strong>messverfahren (vgl. Lauth 2008) richten sich die IDEA-Fragekataloge nicht an ein wissenschaftliches<br />

Publikum, son<strong>der</strong>n stehen direkt an die Bürgerinnen und Bürger eines Landes <strong>zur</strong> Verfügung, die im<br />

Sinne eines „Gesundheitschecks“ die Qualität <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> in ihrem Lande beurteilen und eine entsprechende<br />

Reformagenda entwickeln wollen.<br />

13<br />

Immerhin wurde das Instrument eines ähnlich gerichteten <strong>Demokratie</strong>-Audits für die demokratische Schulentwicklung<br />

aufgegriffen (vgl. Eikel 2009).


Kopfzeile | Seite 14<br />

stäbe für die Untersuchung von vier Säulen demokratischer Gemeinwesen geltend gemacht werden:<br />

- Bürgerstatus, Gesetze und Rechte<br />

i. Nationaler Rahmen und Bürgerstatus<br />

ii. Rechtstaatlichkeit und Zugang zu Gerichten<br />

iii. Zivile und politische Rechte<br />

iv. Ökonomische und soziale Rechte<br />

- Repräsentative und verantwortliche Regierung<br />

i. Freie und faire Wahlen<br />

ii. Demokratische Rolle politischer Parteien<br />

iii. Effektive und responsive Regierung<br />

iv. Demokratische Effektivität des Parlaments<br />

v. Zivile Kontrolle von Militär und Polizei<br />

vi. Integrität des öffentlichen Lebens<br />

- Zivilgesellschaft und öffentliches Engagement<br />

i. Demokratische Medien<br />

ii. Politische Partizipation<br />

iii. Dezentralisierung<br />

- <strong>Demokratie</strong> jenseits des Staates<br />

i. Externe Einflüsse auf die <strong>Demokratie</strong> des Landes<br />

ii. Die demokratische Wirkung des Landes im Ausland<br />

Aus dieser Struktur ergeben sich 15 übergreifende Fragen, die durch 75 spezifische Auswertungsfragen<br />

ergänzt werden (Landman 2008: 25ff.). All diese Fragen sind inzwischen im Rahmen von<br />

Län<strong>der</strong>studien durch eine Serie von empirischen Indikatoren konkretisiert (und oft auch den jeweiligen<br />

nationalen Gegebenheiten angepasst) worden, die Anschluss an die üblichen<br />

<strong>Demokratie</strong>messkonzepte halten (Beetham et al. 2008: 70-282). Gleichzeitig betonen die Vertreter<br />

des <strong>Demokratie</strong>-Audits, dass es sich dabei selbst um ein demokratisches Verfahren („democratic<br />

audit“) handeln muss. Die Qualität <strong>der</strong> Bewertung von <strong>Demokratie</strong> lebt davon, dass sie sich auf<br />

eine möglichst breite öffentliche Beteiligung stützen kann und dabei Vorstellungen <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

aufgreift, wie eine qualitative Verbesserung <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> aussehen könnte und sollte. Die<br />

Chance, dass <strong>Demokratie</strong>-Audits zu demokratischen Reformprozessen beitragen können, steigt in<br />

dem Maße, wie bereits <strong>der</strong> Prozess des Assessments gesellschaftlich getragen und von wichtigen<br />

NGOs sowie an<strong>der</strong>en zivilgesellschaftlichen Akteuren unterstützt wird, d.h. nicht ausschließlich in<br />

<strong>der</strong> Hand einer Regierungskommission o<strong>der</strong> wissenschaftlichen Expertengruppe bleibt. Mit dem<br />

Prozess <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>-Bewertung ist in jedem Fall eine Selbstaufklärung über die Stärken und<br />

Schwächen <strong>der</strong> aktuellen demokratischen Verfassung verbunden. Der Einfluss von <strong>Demokratie</strong>-<br />

Audits auf den demokratischen Prozess ist umso größer, je stärker eine allgemeine Reformbereitschaft<br />

in einem Land zu spüren ist. Zu einer Reflexion und Stärkung <strong>der</strong> demokratischen<br />

Ansprüche <strong>der</strong> Zivilgesellschaft und zu einer <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> können solche <strong>Demokratie</strong>-Audits,<br />

so die Zwischenbilanz (Beetham et al. 2008: 285ff.), längerfristig auf jeden Fall<br />

beitragen.


Kopfzeile | Seite 15<br />

Die vorliegenden Audits verdeutlichen den Nutzen einer umfassenden <strong>Demokratie</strong>messung. National<br />

spezifische Stärken und Schwächen können deutlicher hervorgehoben werden. Die Kluft<br />

zwischen den großen Krisendiagnosen einerseits und oft sehr pragmatischen Reformvorschlägen<br />

mit geringer Reichweite an<strong>der</strong>erseits, die sich zudem meist auf einzelne Instrumente konzentrieren,<br />

wird zumindest sichtbar. Bei wie<strong>der</strong>holten Bewertungen lässt sich zudem überprüfen, ob die<br />

realisierten Reformen den erwarteten demokratischen Mehrwert erbracht haben. Zudem wird in<br />

den Studien sichtbar, dass Demokratisierungsprozesse gerade in „alten“ <strong>Demokratie</strong>n in nationale<br />

Pfade eingebettet sind und voller Wi<strong>der</strong>sprüche stecken. Steigerungen <strong>der</strong> demokratischen Qualität<br />

in einer Dimension können durch Rückbildungen in an<strong>der</strong>en Dimensionen konterkariert werden,<br />

von den regelmäßig zu erwartenden nicht-intendierten Folgen einmal ganz abgesehen.<br />

Es dürfte deutlich geworden sein, dass ein beteiligungsorientiertes <strong>Demokratie</strong>-Audit selbst ein<br />

wichtiger Beitrag <strong>zur</strong> <strong>Vitalisierung</strong> von <strong>Demokratie</strong> sein kann. Es konzentriert sich nicht nur auf<br />

eine Leistungsbilanz <strong>der</strong> bestehenden politischen Institutionen und <strong>der</strong> sie tragenden Zusammenschlüsse,<br />

son<strong>der</strong>n nimmt auch die demokratische Verfassung <strong>der</strong> Zivilgesellschaft in den Blick.<br />

Zudem wird die zunehmend bedeutende Frage des Einflusses transnationaler Institutionen und<br />

regionaler Zusammenschlüsse (EU) auf den nationalen Politikprozess gestellt, ohne wie<strong>der</strong>um<br />

dessen transnationale Wirkungen zu vernachlässigen. 14<br />

Wir verfügen in <strong>der</strong> Bundesrepublik und durch internationale Vergleiche über eine Fülle von Informationen<br />

zu einzelnen Dimensionen eines solchen Audits (von den Resultaten <strong>der</strong> Parteien- und<br />

Wahlforschung bis zu den Ergebnissen <strong>der</strong> Freiwilligensurveys). Gleichzeitig fällt auf, dass es enorme<br />

Wahrnehmungs-, Wissens- und Bewertungslücken gibt. Zum Beispiel liegen die letzten<br />

Versuche, die Praxis von Bürgerinitiativen systematisch zu erfassen (Themen, Aktionsformen,<br />

Teilnehmerstruktur, Erfolge etc.) und in ihren demokratischen Wirkungen zu bewerten, bereits drei<br />

Jahrzehnte <strong>zur</strong>ück, obwohl wir auch heute davon ausgehen können, dass in solchen Initiativen<br />

regelmäßig mehr Menschen engagiert sind als in den politischen Parteien. Dabei dürfte nicht nur<br />

die Zahl <strong>der</strong> Initiativbürger von Interesse sein, son<strong>der</strong>n gerade auch die demokratische Qualität<br />

ihres Engagements – eine Frage, die nicht erst durch das Vordringen rechtsextremer Kräfte in<br />

Heimatvereinen o<strong>der</strong> Bürgerinitiativen gegen Moschee-Bauten an politischer Brisanz gewonnen<br />

hat (s. Häusler 2008).<br />

5 <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> als Reformprojekt – das Beispiel<br />

<strong>der</strong> kommunalen Ebene<br />

Im Rahmen dieses Textes kann nicht <strong>der</strong> Anspruch erhoben werden, ein umfassendes <strong>Demokratie</strong>-Audit<br />

für die Bundesrepublik auch nur anzudeuten, das nötig wäre, um systematisch Potentiale<br />

und Ansatzpunkte für notwendige demokratische <strong>Vitalisierung</strong>sbemühungen zu identifizieren. Die<br />

zahlreich vorhandenen Reports – wie z.B. das Jahrbuch von Amnesty International, <strong>der</strong> jährliche<br />

„Grundrechte-Report“ von zentralen Menschenrechtsorganisationen o<strong>der</strong> das Jahrbuch des „Komitees<br />

für Grundrechte und <strong>Demokratie</strong>“ – können eine systematische Inspektion <strong>der</strong> verschiedenen<br />

Ebenen, Bereiche und Handlungsfel<strong>der</strong> demokratischer Praxis nicht ersetzen. Ansatzpunkte lassen<br />

sich, davon können wir ausgehen, auf allen Ebenen und in allen Politikbereichen finden. Hier<br />

soll zunächst nur kursorisch die lokale Ebene angesprochen werden, in <strong>der</strong> sich in den letzten bei-


Kopfzeile | Seite 16<br />

den Jahrzehnten die größte Reformbereitschaft gezeigt hat. Gleichzeitig werden die Grenzen von<br />

Versuchen deutlich, die auf eine Ebene o<strong>der</strong> einen Bereich <strong>der</strong> Politik beschränkt bleiben bzw.<br />

keine Unterstützung von an<strong>der</strong>en politischen Ebenen erfahren.<br />

Mit Blick auf die Staatsorganisation bietet die Bundesrepublik im Prinzip eher günstige institutionelle<br />

Voraussetzungen für eine „starke“ <strong>Demokratie</strong>. Fö<strong>der</strong>ale Strukturen und eine Tradition starker<br />

kommunaler Selbstverwaltung eröffnen mehr und angemessenere Einflussmöglichkeiten für die<br />

Bürgerinnen und Bürger, als dies in zentralistischen Strukturen üblicherweise <strong>der</strong> Fall ist. Diese<br />

vergleichsweise offenen Einflussstrukturen sind nach <strong>der</strong> Vereinigung durch den „Siegeszug“ <strong>der</strong><br />

süddeutschen Ratsverfassung mit ihren verstärkten direktdemokratischen Einflusschancen noch<br />

verbessert worden. Blicken wir auf die demokratischen Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten <strong>der</strong><br />

Bürgerinnen und Bürger, dann ist die Kommune die mit Abstand demokratischste Sphäre <strong>der</strong> Bundesrepublik.<br />

Hier können Wählerinnen und Wähler zumeist durch Kumulieren und Panaschieren<br />

ihre „eigene“ Liste zusammensetzen. Auch Nicht-Parteien (Wählervereinigungen etc.) können <strong>zur</strong><br />

Wahl antreten. Hinzu kommen noch Sach- und Personenvoten (Bürgerbegehren und Bürgerentscheide,<br />

Direktwahl und Abwahl von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern), die auf keiner<br />

an<strong>der</strong>en staatlichen Ebene in diesem Umfang vorhanden o<strong>der</strong> ähnlich partizipationsfreudig ausgestaltet<br />

sind. Jugendliche dürfen häufig früher wählen, und EU-Bürger sind kommunal (und bei<br />

Europawahlen) wahlberechtigt. Die Gemeindeordnung von Sachsen-Anhalt enthielt sogar einen –<br />

inzwischen aufgehobenen - Paragraphen 24 a, <strong>der</strong> lokalen Bürgerinitiativen die Möglichkeit einräumte,<br />

ihre Anliegen dem Gemeinde- bzw. Stadtrat zu unterbreiten. Viele Kommunen<br />

experimentieren immer wie<strong>der</strong> mit zusätzlichen Beteiligungsangeboten, die von gelegentlichen<br />

themenbezogenen Foren und Bürgergutachten über regelmäßige Beteiligungsgremien für spezifische<br />

Bevölkerungsgruppen – wie Kin<strong>der</strong>- und Jugendbeiräte, Integrationsräte,<br />

Behin<strong>der</strong>tenvertretungen und Seniorenbeiräte – bis hin zu ambitionierten Experimenten mit Bürgerhaushalten,<br />

regelmäßigen <strong>Demokratie</strong>berichten (Viernheim, Heidelberg) und gezielter<br />

Engagementför<strong>der</strong>ung, wie sie von reformorientierten Bürgerkommunen unternommen werden<br />

(vgl. Bogumil u.a. 2003; Roth 2006a) 15 . Hinzu kommen zahlreiche Impulse aus Bundes- und Landesprogrammen,<br />

die gezielt auf eine Beteiligung <strong>der</strong> lokalen Bürgerschaft setzen, wie etwa im<br />

Programm „Soziale Stadt“ o<strong>der</strong> den Bundesprogrammen gegen Rechtsextremismus, die zentral,<br />

neuerdings mit Hilfe von „Lokalen Aktionsplänen“, auf Zivilgesellschaft setzen. Demokratische Initiativen<br />

sind auch durch transnationale Programme und Initiativen angestoßen worden, wie z.B. die<br />

lokale „Agenda 21“ im Gefolge des Rio-Gipfels von 1992 o<strong>der</strong> verstärkte lokale Beteiligungsinitiativen<br />

für Kin<strong>der</strong> und Jugendliche im Anschluss an die Ratifizierung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>rechtskonvention <strong>der</strong><br />

Vereinten Nationen (1989 bzw. 1992). Eine ähnliche Wirkung kann lokal von <strong>der</strong> Unterzeichnung<br />

<strong>der</strong> Barcelona-Deklaration für die verstärkte Beteiligung von Menschen mit Behin<strong>der</strong>ungen in Städten<br />

ausgehen.<br />

Ein Blick auf die internationale <strong>Demokratie</strong>reformdebatte zeigt, dass es auf lokaler Ebene auch in<br />

Zukunft noch sehr lebendig zugehen wird, denn ein Großteil <strong>der</strong> Modelle und Formate kommt von<br />

<strong>der</strong> lokalen Ebene und ist auf <strong>der</strong>en Bedingungen zugeschnitten. Diese Dynamik dürfte durch disparate<br />

demografische Entwicklungen und vor allem die Folgen <strong>der</strong> aktuellen Finanz- und<br />

14 Die übergreifende Fragestellung lautet: „Ist die Wirkung externer Einflüsse unterstützend für die demokratische Entwicklung<br />

des Landes?“. Und umgekehrt: „Trägt die Außenpolitik eines Landes dazu bei, globale <strong>Demokratie</strong> zu<br />

stärken?“ (Landman 2008: 30)<br />

15 Die Bertelsmann Stiftung hat mit ihrem „Civitas“-Netzwerk früh und in erheblichem Umfang <strong>zur</strong> Entwicklung <strong>der</strong><br />

Agenda „Bürgerkommune“ beigetragen. Auch wenn sich immer neue Ansätze und Handlungsmöglichkeiten aufgetan<br />

haben, ist die „Bürgerkommune“ kein Selbstläufer. Die Gründe hierfür wären eine eigene Studie wert.


Kopfzeile | Seite 17<br />

Wirtschaftskrise noch an Schwung gewinnen, denn Wege aus <strong>der</strong> Krise werden – jenseits zentralstaatlicher<br />

Stabilisierungsbemühungen – vermutlich vor allem lokal gefunden werden müssen.<br />

Trotz dieses enormen Demokratisierungspotentials kommt man für die lokale Ebene bestenfalls zu<br />

einer gemischten Bilanz. Auf zentrale Fragen des <strong>Demokratie</strong>-Audits für die lokale Ebene<br />

- „Are decisions taken at the level of government that is most appropriate for the people<br />

affected?“<br />

- “How independent are the sub-central tiers of government from the centre, and how<br />

far do they have the powers and resources to carry out their responsibilities?”…<br />

- “How extensive is the cooperation of government at the most local level with relevant<br />

partners, associations and communities in the formation and implementation of<br />

policy, and in service provision?” (Landman 2008: 30)<br />

dürften eher skeptische und negative Antworten gegeben werden. Als Beleg mögen hier die Empfehlungen<br />

eines Bürgergutachtens im Rahmen <strong>der</strong> Kommunal- und Verwaltungsreform in<br />

Rheinland-Pfalz aus dem letzten Jahr genügen. Sie scheinen nur dann trivial, wenn man unterstellt,<br />

diese Empfehlungen müssten längst Wirklichkeit sein. Die erste For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Planungszellen an die Landespolitik lautete, die kommunale Handlungsfähigkeit zu stärken und<br />

nicht zu schwächen. Die Kommunen sollten möglichst viele Aufgaben übernehmen und sie bürgernah<br />

ausgestalten. Dazu gehöre auch die kommunale Zuständigkeit für Schulen, <strong>der</strong> Erhalt<br />

ortsnaher Bildungseinrichtungen und Kin<strong>der</strong>gärten, lebenslanges Lernen und generationsübergreifende<br />

Unterstützung. An Kommunalverwaltung und –politik richteten die Bürgerinnen und Bürger<br />

die For<strong>der</strong>ung nach mehr Bürgerbeteiligung und neuen Partnerschaften: „Bürger wollen Verantwortung<br />

übernehmen und sich an politischen Prozessen und Entscheidungen beteiligen, dafür soll<br />

die Politik die Bedingungen verbessern“ (Böhm u.a. 2008: 14). Damit wird auch eine demokratische<br />

Aufwertung <strong>der</strong> Bürger/Kundenrolle bei öffentlichen Dienstleistungen eingefor<strong>der</strong>t (im Sinne<br />

von user involvement und Koproduktion) 16 . Oft sind gerade Menschen mit Migrationshintergrund<br />

beson<strong>der</strong>s aktive Protagonisten <strong>der</strong> interkulturellen Öffnung lokaler Dienste und Einrichtungen (von<br />

den Kin<strong>der</strong>gärten bis zu den Alteneinrichtungen). Ihre Produktivkraft entfalten sie dabei häufig als<br />

bürgerschaftlich Engagierte (Lotsen, Mentoren, Mediatoren, Stadtteilmütter etc.).<br />

In diesem Bürgergutachten spiegeln sich einige Grun<strong>der</strong>fahrungen mit <strong>der</strong> kommunalen Selbstverwaltung<br />

in Deutschland. Ihre grundgesetzlich garantierte „Allzuständigkeit“ (Art. 28, 2 GG) ist<br />

faktisch längst zu einer Restzuständigkeit geworden, zumindest wenn es um eigensinnige Gestaltungsmöglichkeiten<br />

und frei verfügbare Ressourcen geht. Mehr als 90 Prozent <strong>der</strong> kommunalen<br />

Tätigkeit dürfte inzwischen durch das Land, den Bund und die EU weitgehend rechtlich und oft<br />

auch sachlich vorgeben sein. Die verbleibenden Gestaltungsmöglichkeiten bei den „freiwilligen<br />

Aufgaben“ werden durch die – notorisch desolate – kommunale Kassenlage zusätzlich beschnitten.<br />

Die seit den 1990er Jahren in immer neuen Schüben erfolgten Gebiets- und<br />

Verwaltungsreformen haben in ihrer binnenorientierten Managementperspektive die Bürgerinnen<br />

und Bürger zunächst fast völlig vergessen und die zivilgesellschaftlichen Kooperationspotentiale<br />

vernachlässigt. Die Fö<strong>der</strong>alismus- und Finanzreformen des letzten Jahrzehnts hatten gänzlich an<strong>der</strong>e<br />

Prioritäten. Das Herunterzonen von öffentlichen Aufgaben auf die kommunale Ebene, ihre<br />

angemessene finanzielle Ausstattung, verbunden mit einer gehörigen Portion Bürgerbeteiligung bis<br />

hin <strong>zur</strong> Ausgestaltung <strong>der</strong> kommunalen Dienste gehörten jedenfalls nicht dazu.<br />

Wenn diese Beschreibung des Kontextes zutreffend ist, geraten die vielfältigen <strong>Vitalisierung</strong>sversuche<br />

lokaler <strong>Demokratie</strong> in eine paradoxe Situation, die in <strong>der</strong> Entwicklungspolitik gelegentlich als


Kopfzeile | Seite 18<br />

„Demokratisierung <strong>der</strong> Machtlosigkeit“ beschrieben worden ist. Ohne strukturelle Reformen, wie<br />

sie im Bürgergutachten aus Rheinland-Pfalz angemahnt werden, geraten die lokalen Beteiligungsangebote<br />

in eine „Niedlichkeitsfalle“, Beteiligung wird <strong>zur</strong> „Treppe ins Nichts“. Weniger dramatisch<br />

lässt sich dieses Phänomen auf lokaler Ebene immer wie<strong>der</strong> besichtigen. Kommunalparlamente<br />

weisen Bürgerbegehren <strong>zur</strong>ück, weil die kommunale Ebene nicht zuständig sei o<strong>der</strong> ist. Kin<strong>der</strong> und<br />

Jugendliche werden eingeladen, Vorschläge <strong>zur</strong> Gestaltung von Jugendräumen zu machen, für<br />

<strong>der</strong>en Realisierung dann kein Geld vorhanden ist. Eltern werden eingeladen, sich an <strong>der</strong> familienfreundlichen<br />

Planung ihres Quartiers zu beteiligen, während die Schulverwaltung die zentrale<br />

Schule des Stadtviertels schließt. In einer kleinen Gemeinde gewinnt eine Initiative die Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Schülerinnen und Schüler in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Rechtsextremismus – aber<br />

genau <strong>der</strong>en Schule fällt demografischen Anpassungszwängen zum Opfer. Gemeinsam ist diesen<br />

Beispielen, dass es nicht nur auf neue demokratische Formen, Methoden und Beteiligungsangebote<br />

ankommt, son<strong>der</strong>n auch die jeweiligen rechtlichen und institutionellen Kontexte<br />

demokratiefreundlich gestaltet werden müssen. Von <strong>der</strong> Schulträgerschaft bis <strong>zur</strong> Arbeitsverwaltung<br />

fehlt es den Kommunen im Rahmen einer bürokratisch überregelten Politikverflechtung häufig<br />

an jenen Gestaltungsräumen, die eine erfolgreiche und nachhaltige Bürgerbeteiligung erlaubten.<br />

Dies gilt auch für die im Engagement möglichen politischen Lernprozesse. Theoretisch gibt es keine<br />

bessere <strong>Demokratie</strong>pädagogik als jene, die durch praktisches Engagement vermittelt wird.<br />

Auch wenn intensive Evaluationen eher selten sind, finden sich auch im bürgerschaftlichen Engagement<br />

genügend Beispiele für einen „heimlichen Lehrplan“, <strong>der</strong> mehr zu Ohnmacht und Zynismus<br />

beiträgt als zum „homo democraticus“. Kontextsensibilität ist deshalb eine wichtige Voraussetzung<br />

für die Auswahl und den Einsatz von erweiterten demokratischen Beteiligungsverfahren, wenn sie<br />

nicht mehr Schaden als Nutzen anrichten sollen.<br />

6 Wege <strong>zur</strong> politischen Integration von Migrantinnen und<br />

Migranten 17<br />

„Integration is both a necessary condition as well as<br />

a criterion for evaluating the quality of democracy“<br />

(Parliamentary Assembly 2008: 14)<br />

Eine Initiative des Europarats. Es wurde bereits betont, dass es mit demokratischen Normen<br />

nicht vereinbar ist, wenn größere Bevölkerungsgruppen dauerhaft von politischen<br />

Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden. <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> hat sicherlich<br />

vordringlich hier anzusetzen. In einem neueren Positionspapier sprechen sich<br />

Mitglie<strong>der</strong> des Europarats für einen uneingeschränkten Zugang von Migrantinnen und<br />

Migranten zu allen Bürgerrechten, beson<strong>der</strong>s zu politischen Rechten wie dem Wahlrecht für<br />

16 In Skandinavien und den angelsächsischen Län<strong>der</strong>n gibt es seit einiger Zeit eine intensive Debatte über Möglichkeiten<br />

und Grenzen, Kosten und Nutzen einer partizipatorischen Erweiterung <strong>der</strong> Kundenrolle im öffentlichen Sektor (vgl.<br />

Brannan u.a. 2006; Rosenbaum 2006; Carr 2007; Cowden/Singh 2007).<br />

17 Dieser Abschnitt beruht weitgehend auf einem Text des Autors, <strong>der</strong> mit dem Titel „Integration durch politische Partizipation<br />

und bürgerschaftliches Engagement“ in Gesemann/Roth 2009 erscheinen wird.


Kopfzeile | Seite 19<br />

Personen aus, die sich dauerhaft und legal im Lande aufhalten18. Die Unterscheidung von<br />

EU-Bürgern und Drittstaaten-Auslän<strong>der</strong>n, wie sie etwa für das Grundgesetz für Art. 28, 2<br />

maßgeblich ist, sollte überwunden werden (Parliamentary Assembly 2008: 9). Da in vielen<br />

Län<strong>der</strong>n auch die Nachfahren von Migranten, die inzwischen volle Bürgerrechte genießen,<br />

faktisch weitgehend aus dem politischen Prozess ausgeschlossen sind, kommt es nicht nur<br />

auf formale Gleichstellung, son<strong>der</strong>n auf reale Beteiligung an, was den effektiven Abbau gesellschaftlicher<br />

Beteiligungshin<strong>der</strong>nisse einschließt. Der Zugang zu politischen<br />

Beteiligungsrechten durch erleichterte Einbürgerung und doppelte Staatsbürgerschaft19,<br />

sowie die Ausweitung von Beteiligungsrechten auf Nicht-Bürger stellen zwei Wege dar, die<br />

sich – aus Sicht des Europarat-Papiers - wechselseitig ergänzen können. Entscheidend für<br />

die demokratische Entwicklung sei eine Balance zwischen dem Respekt vor <strong>der</strong> Vielfalt und<br />

gesellschaftlicher Integration. „Integration, which is basically aimed at eliminating exclusion<br />

and segregation of the society, has to go hand in hand with respect for diversity,<br />

different cultures, languages and religions, on full respect for human rights. Assimilation is<br />

not to be confused with integration and would un<strong>der</strong>mine it” (Parliamentary Assembly 2008:<br />

12).<br />

Ausländischen Residenten ohne EU-Bürgerschaft wird bereits in Irland, Schweden, Dänemark,<br />

den Nie<strong>der</strong>landen, in Estland, Lettland, Slowenien, <strong>der</strong> Slowakei und Belgien ein lokales Wahlrecht<br />

zugebilligt. Dennoch wäre es irrig, mit <strong>der</strong> Zubilligung des Wahlrechts bereits auf die Chance zu<br />

gleicher politischer Beteiligung zu schließen. Migrantinnen und Migranten beteiligen sich in <strong>der</strong><br />

Regel nicht nur in geringerem Umfang an Wahlen, son<strong>der</strong>n haben auch beson<strong>der</strong>en Anteil am<br />

Trend sinken<strong>der</strong> Wahlbeteiligung. In Schweden sank die generelle Beteiligung an Kommunalwahlen<br />

zwischen 1976 und 1994 von 90 % auf 84 %, bei Migranten im gleichen Zeitraum von 60 % auf<br />

40 % (Parliamentary Assembly 2008: 146). Ein Schlüssel für diese Entwicklung dürfte die geringe<br />

Repräsentanz von Zugewan<strong>der</strong>ten in Machtpositionen sein. Bei den Lokalwahlen in Luxemburg im<br />

Jahre 2005 machten z.B. ausländische Residenten 39 % <strong>der</strong> Wahlberechtigten aus, stellten aber<br />

nur 10 % <strong>der</strong> Wähler, 5,9 % <strong>der</strong> Kandidaten und 1,2 % <strong>der</strong> gewählten Repräsentanten (Parliamentary<br />

Assembly 2008: 147). Ähnlich gering fällt die Repräsentation von Zugewan<strong>der</strong>ten in nationalen<br />

Parlamenten aus. Ein Ausgangspunkt ist die vergleichsweise geringe Mitgliedschaft in Parteien<br />

und ihre noch geringere Chance, in diesen Parteien einflussreiche Funktionen zu übernehmen.<br />

Politische Rechte von Zugewan<strong>der</strong>ten in <strong>der</strong> Bundesrepublik. So verdienstvoll die Vorschläge des<br />

Europarats sind, greifen sie doch für die Bundesrepublik zu kurz. In den Gemeindeordnungen <strong>der</strong><br />

Bundeslän<strong>der</strong> findet sich die konstitutive Unterscheidung von Einwohnern und Bürgern bzw. Einwohnerinnen<br />

und Bürgerinnen. Zahlreiche Beteiligungsangebote – von den Wahlen bis zu<br />

Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden – sind auf diese Weise nicht nur mit Altersschranken versehen,<br />

son<strong>der</strong>n an die Staatsangehörigkeit gebunden. Der eingeschränkte Status von Menschen<br />

ohne deutschen Pass kommt nicht nur in zahlreichen restriktiven Regelungen des Auslän<strong>der</strong>rechts<br />

18 Auch für illegale Zuwan<strong>der</strong>er, Asylsuchende und Flüchtlinge ohne verfestigten Aufenthaltsstatus sind humane, menschenrechtlich<br />

akzeptable Formen des Umgangs zu entwickeln. Gerade auf lokaler Ebene wird diese Aufgabe oft<br />

intensiver wahrgenommen als dies die rechtlichen Vorgaben vorschreiben (Aumüller 2009). Zudem haben gerade diese<br />

Gruppen von Migranten häufiger durch Proteste auf ihre Lage aufmerksam gemacht (Rucht/Heitmeyer 2008).<br />

19 Der Europarat hat seine Haltung <strong>zur</strong> doppelten Staatsbürgerschaft erheblich verän<strong>der</strong>t. Während er 1963 eine Konvention<br />

vorlegte, die darauf abzielte, mehrfache Staatsbürgerschaften abzubauen, unterstützten 1977 zwei Resolutionen<br />

die doppelte Staatsbürgerschaft für Kin<strong>der</strong> und nachziehende Ehegatten. In einer 1997 vorgelegten Konvention wird es<br />

den Mitgliedsstaaten anheim gestellt, wie sie mit Mehrfachstaatsbürgerschaften umgehen. (Parliamentary Assembly<br />

2008: 121). Dass mit doppelten Staatsbürgerschaften auch zusätzliche Belastungen verknüpft sein können, wird mit<br />

Blick auf Wehrpflicht und Besteuerung deutlich. Während die Nie<strong>der</strong>lande und die Schweiz relativ freizügig mit <strong>der</strong>


Kopfzeile | Seite 20<br />

und in Einzelgesetzen (z.B. dem Asylbewerberleistungsgesetz) o<strong>der</strong> den auslän<strong>der</strong>rechtlichen<br />

Vorbehalten <strong>zur</strong> UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention zum Ausdruck, son<strong>der</strong>n ist auch für das Grundgesetz<br />

zentral, das zwischen allgemeinen Menschenrechten und jenen Bürgerrechten unterscheidet, die<br />

in vollem Umfang nur deutschen Staatsbürgern vorbehalten bleiben. „Die Chancen, am öffentlichen<br />

Leben teilzuhaben, die eigenen Interessen wahrzunehmen, am Arbeits- und<br />

Wohnungsmarkt, am sozialen Sicherungssystem und nicht zuletzt an <strong>der</strong> politischen Macht zu partizipieren,<br />

variieren je nach Rechtsstatus <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgruppe“ (Feldhoff/Scheffer 1993: 584).<br />

Dies gilt nicht zuletzt für die klassischen politischen Bürgerrechte (Versammlungs-, Vereinigungsund<br />

Koalitionsfreiheit), auf die sich Auslän<strong>der</strong> nicht unmittelbar berufen können, weil sie als ‚Deutschen-Rechte‘<br />

konzipiert sind (vgl. Leutheusser-Schnarrenberger 2001). Dennoch bieten<br />

Einzelgesetze (z.B. Vereins- und Versammlungsgesetze), wenn auch mit Einschränkungen, entsprechende<br />

Betätigungsmöglichkeiten. Kompensatorisch wirksame „Min<strong>der</strong>heitenrechte, wie etwa<br />

die Reservierung von Sitzen in Regierungen, Verwaltungen und Gerichten, gibt es in Deutschland<br />

nicht“ (Wiedemann 2006: 265). Die in einer Vielzahl <strong>der</strong> Städte eingerichteten kommunalen Auslän<strong>der</strong>beiräte<br />

sind in <strong>der</strong> Regel nur beratend tätig. 20<br />

Die Einschränkung von Partizipationsrechten konzentriert sich im politischen Bereich vor allem auf<br />

das vorenthaltene Wahlrecht. Versuche, zumindest ein kommunales Wahlrecht für Zugewan<strong>der</strong>te<br />

– wie z.B. in auch für kurze Zeit in <strong>der</strong> Kommunalverfassung <strong>der</strong> Wende-DDR vom Mai 1990 –<br />

durchzusetzen 21 , sind zuletzt 1989 am Bundesverfassungsgericht gescheitert, das die Norm <strong>der</strong><br />

Volkssouveränität erneut an die Zugehörigkeit zum ‚Deutschen Volk‘ gebunden hat, obwohl das zu<br />

Grunde gelegte Postulat eines „relativ homogenen“ Staatsvolks we<strong>der</strong> im historischen Rückblick<br />

und noch weniger für die aktuelle Zuwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft überzeugen kann (vgl. Sieveking<br />

2008). Immerhin brachte die Umsetzung des Maastricht-Vertrags von 1992 allen EU-Bürgerinnen<br />

und -Bürgern das kommunale Wahlrecht (GG Art. 28,2), ohne allerdings am Repräsentationsdefizit<br />

<strong>der</strong> größten Zuwan<strong>der</strong>ungsgruppe ohne deutschen Pass, den Einwohnern türkischer Herkunft,<br />

etwas zu än<strong>der</strong>n. Ob und in welcher Weise das im Jahr 2000 reformierte Staatsangehörigkeitsrecht<br />

und die seit 2004 einerseits erleichterte, aber an<strong>der</strong>erseits mit neuen Barrieren versehene<br />

Zuwan<strong>der</strong>ung daran längerfristig etwas än<strong>der</strong>n wird, lässt sich gegenwärtig noch nicht abschätzen.<br />

Dass auf diesem Wege Beteiligungsbarrieren für alle Zuwan<strong>der</strong>ergruppen deutlich abgesenkt werden<br />

und damit das deutsche Einbürgerungsdefizit behoben wird (vgl. Thränhardt 2008b: 7ff.),<br />

zeichnet sich jedoch nicht ab. „Im Gegenteil: Mit <strong>der</strong> Verschärfung <strong>der</strong> Voraussetzungen und <strong>der</strong><br />

Privilegierung von EU-Bürgern und Menschen aus Nichtausbürgerungslän<strong>der</strong>n in Bezug auf mehrfache<br />

Staatsangehörigkeit auf <strong>der</strong> einen Seite und dem Ausschluss <strong>der</strong> Türken und<br />

Südosteuropäer auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite...wird die existierende Asymmetrie noch verstärkt, begleitet<br />

von einem Klima des Verdachts in <strong>der</strong> Öffentlichkeit gegenüber Muslimen“ (Thränhardt 2008a:<br />

136).<br />

Geringe Erfolgsaussichten dürften angesichts <strong>der</strong> politischen Mehrheitsverhältnisse auch einer<br />

Bundesratsinitiative von SPD-regierten Bundeslän<strong>der</strong>n und zahlreichen kommunalen Initiativen für<br />

die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Nicht-EU-Bürgerinnen und Bürger beschieden<br />

sein (vgl. www.wahlrecht-fuer-migranten.de). „Solange sieben Millionen Zuwan<strong>der</strong>er kein Wahl-<br />

Möglichkeit <strong>der</strong> doppelten Staatsbürgerschaft umgehen, ist sie in einer Mehrzahl <strong>der</strong> europäischen Län<strong>der</strong>, wie auch in<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik und in Österreich, nur in Ausnahmen möglich.<br />

20 Eckpunkte für einen systematischen EU-Län<strong>der</strong>vergleich <strong>zur</strong> politischen Partizipation von Migranten bietet<br />

<strong>der</strong> „Migrant Integration Policy Index“, <strong>der</strong> auch an<strong>der</strong>e Integrationsbereiche umfasst. Die Bundesrepublik<br />

nimmt insgesamt einen eher mittleren Rang ein (Niessen et al. 2007: 77).<br />

21 Eine Bilanz <strong>der</strong> Erfahrungen mit <strong>der</strong> Einführung des kommunalen Wahlrechts in an<strong>der</strong>en EU-Län<strong>der</strong>n betont,<br />

dass es in keinem Land zu beson<strong>der</strong>en Problemen geführt habe, aber sicherlich auch nicht alle Integrations-


Kopfzeile | Seite 21<br />

recht haben und sich nicht am politischen Prozess beteiligen, ist dieser einer Schieflage ausgesetzt<br />

und es wird immer wie<strong>der</strong> Versuchungen geben, sich auf Kosten und gegen Einwan<strong>der</strong>er-<br />

Gruppen zu profilieren. Von daher ist das politische System erst dann voll funktionsfähig, wenn die<br />

Identität zwischen ständiger Bevölkerung und Staatsbürgerschaft wie<strong>der</strong>hergestellt ist“ (Thränhardt<br />

2008b: 14).<br />

Vermutlich leidet unter dieser gern genutzten Gelegenheit <strong>zur</strong> „mobilization of bias“ weniger die<br />

Funktionsfähigkeit des politischen Systems, aber sehr wohl die politische Gleichheit und damit<br />

seine demokratische Qualität des Gemeinwesens. Die in jüngerer Zeit bedrückend erfolgreichen<br />

populistischen Mobilisierungen in den Nie<strong>der</strong>landen o<strong>der</strong> in Dänemark sprechen zudem dafür,<br />

dass die Anti-Auslän<strong>der</strong>-Karte auch bei wesentlich höheren Einbürgerungsraten und uneingeschränktem<br />

kommunalem Auslän<strong>der</strong>wahlrecht stechen kann. Offensichtlich gibt es noch an<strong>der</strong>e,<br />

vor allem „einheimische“ Quellen, aus denen sich „moralische Paniken“ speisen können.<br />

Gemessen an einer gerade auch kommunal nachlassenden Wahlbeteiligung und einer allgemeinen<br />

Parteienverdrossenheit scheint das Wahlrecht insgesamt einen Bedeutungsverlust erlitten zu<br />

haben. Die Wahlbeteiligung von EU-Bürgern, eingebürgerten Migranten und Aussiedlern hat keine<br />

nachhaltigen Verschiebungen im Ausgang von Wahlen <strong>zur</strong> Folge gehabt, weil sich eher konservative<br />

Präferenzen bei zugewan<strong>der</strong>ten Aussiedlern und eher sozialdemokratische Neigungen bei<br />

süd- und südosteuropäischen Zuwan<strong>der</strong>ern die Waage hielten. Diese Aussage gilt vor allem für die<br />

Bundesebene, die lokalen Effekte sind dagegen nicht systematisch erforscht. Erst die Wahlberechtigung<br />

für türkeistämmige Migranten könnte die Mehrheitsverhältnisse maßgeblich beeinflussen<br />

(vgl. Kohlmeier/Schimany 2005: 64ff.; Wiedemann 2006: 271ff.).<br />

Da es Auslän<strong>der</strong>n (mit Ausnahme anerkannter Min<strong>der</strong>heiten wie den Dänen in Schleswig-Holstein)<br />

nach gelten<strong>der</strong> Rechtslage verwehrt ist, eigene politische Parteien zu gründen, bleibt ihnen nur <strong>der</strong><br />

Weg in die bestehenden Parteien. Die Bereitschaft, Mitglied in einer Partei zu werden, liegt deutlich<br />

unter <strong>der</strong> von Einheimischen, wobei erst mit <strong>der</strong> Einbürgerung solche Mitgliedschaften<br />

attraktiver werden (Wiedemann 2006: 278).<br />

Daraus zu folgern, das Wahlrecht sei für die Integrationspolitik irrelevant, verkennt jedoch seine<br />

vielfältigen sekundären Wirkungen, die sich im Rückblick auf die Ausweitung des Wahlrechts auf<br />

nichtbesitzende Schichten o<strong>der</strong> auf Frauen erschließen. Das Wahlrecht kann erheblich <strong>zur</strong> Herausbildung<br />

einer kontinuierlichen Interessenvertretung (Parteien, Wahlvereine, Verbände etc.)<br />

beitragen. Dies gilt gerade für Deutschland mit seinen starken korporatistischen Traditionen, einer<br />

umfänglichen staatlichen Parteienfinanzierung und vielfältigen Privilegien für anerkannte Vereinigungen<br />

(z.B. Gemeinnützigkeitsrecht). Damit eng verbunden begünstigt das Wahlrecht durch die<br />

Parteienkonkurrenz die Entfaltung einer entsprechenden politischen Agenda. Es unterstützt die<br />

Herausbildung und Qualifizierung des politischen Personals bzw. von gesellschaftlichen Eliten und<br />

führt – zumindest potentiell – <strong>zur</strong> größeren Berücksichtigung <strong>der</strong> öffentlich vorgebrachten Interessen.<br />

All dies könnte gleichzeitig die öffentliche Sichtbarkeit <strong>der</strong> Zugewan<strong>der</strong>ten, ihrer Wünsche,<br />

Interessen und Bedürfnisse för<strong>der</strong>n und so die Abschottung einer ‚inländischen‘ von diversen,<br />

meist informellen ‚ethnischen‘ Öffentlichkeiten überwinden helfen (vgl. Hunger 2006). Diese – auch<br />

in den Parteien gegenwärtig weitgehend fehlende – öffentliche Agenda wirkt im günstigen Fall als<br />

Frühwarnsystem und Aushandlungschance für Integrationsprobleme <strong>der</strong> Zugewan<strong>der</strong>ten wie <strong>der</strong><br />

Aufnahmegesellschaft. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um übergreifende Interessen entlang<br />

von Aufenthalt und Zuwan<strong>der</strong>ung, um herkunftsorientierte bzw. kulturell definierte Bedürfnisse bestimmter<br />

Migrantengruppen o<strong>der</strong> um politische Orientierungen handelt, die in <strong>der</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft bereits fest verankert sind.<br />

aufgaben lösen konnte (vgl. Cyrus/Vogel 2008: 23ff.).


Kopfzeile | Seite 22<br />

Es geht somit bei <strong>der</strong> – verweigerten – Beteiligung an Wahlen nicht nur um ein individuelles Recht,<br />

son<strong>der</strong>n um einen, in repräsentativen <strong>Demokratie</strong>n zentralen Modus politischer Inklusion. Er ist<br />

gerade nicht auf den Wahlakt beschränkt, son<strong>der</strong>n bietet Gelegenheiten und Ressourcen <strong>zur</strong> politischen<br />

Selbstorganisation (Parteibildung unterstützt durch die öffentliche Parteienfinanzierung,<br />

Herausbildung parteinaher Stiftungen, Übernahme von öffentlichen Ämtern etc.), stärkt die gesellschaftliche<br />

Anerkennung (via Amtsautorität, Beteiligung an Aushandlungsprozessen im Vorfeld <strong>der</strong><br />

Gesetzgebung etc.) und nimmt auf die öffentliche Debatte über Zuwan<strong>der</strong>ung und Integration Einfluss.<br />

Neben <strong>der</strong> im Durchschnitt niedrigeren formalen Bildung wird vor allem das fehlende<br />

Wahlrecht (für Migranten aus Drittstaaten) für die im Vergleich zu den Deutschen geringere politische<br />

Beteiligung von Zuwan<strong>der</strong>ern verantwortlich gemacht (Wiedemann 2006: 283).<br />

Dabei soll nicht übersehen werden, dass es sich bei <strong>der</strong> Migrationsbevölkerung „um ein äußerst<br />

heterogenes Konglomerat von Personen und Personengruppen handelt, die teilweise einen extrem<br />

unterschiedlichen rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Status haben und zudem sehr unterschiedlichen<br />

Kulturen angehören“ (Rucht/Heitmeyer 2008: 655). In Sachen Bildungsabschluss,<br />

Erwerbsarbeit und Einkommen verfügen die meisten Zuwan<strong>der</strong>er über einen niedrigeren Status<br />

(vgl. Wiedemann 2006: 266ff.). Rückkehrorientierung o<strong>der</strong> negative Erfahrungen im Herkunftsland<br />

können zusätzlich als Beteiligungsbarriere wirken (vgl. Cyrus/Vogel 2008: 10f.). In diese Richtung<br />

wirken auch historische Unterschiede in Sachen Migration und Integration in West- und Ostdeutschland,<br />

wobei die weitaus geringere Zuwan<strong>der</strong>ung und die Abschottungspraxis <strong>der</strong> DDR<br />

beson<strong>der</strong>s integrationshemmend zu Buche schlagen (vgl. Weiss/Kindelberger 2007).<br />

Umso stärker fällt <strong>der</strong> statusbedingte Mangel an Gelegenheitsstrukturen für Migranten ins Gewicht,<br />

gemeinsame Interessen zu entwickeln und zu artikulieren. Hier dürfte eine wichtige strukturelle<br />

Ursache dafür liegen, dass Migrantenorganisationen in Deutschland gerade auch in den Integrationsdebatten<br />

nur eine geringe öffentliche Wahrnehmung entfalten konnten (vgl. Thränhardt 2008a)<br />

und sich wenig sichtbar, aber teilweise sehr erfolgreich – wie z.B. die Arbeit <strong>der</strong> spanischen Elternvereine<br />

mit Blick auf die Bildungsabschlüsse ihrer Kin<strong>der</strong> zeigt – auf alltägliche Integrationshilfen<br />

beschränken.<br />

Die Organisationsschwäche, das Fehlen von anerkannten Spitzenorganisationen und legitimen<br />

Sprechern einerseits 22 , sowie das Überwiegen symbolischer Politik, die Bedeutung einzelner Personen<br />

und die Beliebigkeit <strong>der</strong> Einbeziehung durch selektive Einladung (wie etwa bei den jüngsten<br />

Integrationsgipfeln) sind ein zumindest indirekter Ausfluss verweigerter politischer Bürgerrechte.<br />

Von daher verwun<strong>der</strong>t es auch nicht, dass sich die Situation für Aussiedler mit deutscher Staatsbürgerschaft<br />

teilweise an<strong>der</strong>s darstellt. Sie verfügen über ein weit höheres Niveau an<br />

Selbstorganisation und ihre Verbände werden zudem staatlich geför<strong>der</strong>t und anerkannt.<br />

Zivilgesellschaftliche Organisationen können die eingeschränkte rechtliche und politische Integration<br />

nicht ausgleichen und Diskriminierungen nur partiell kompensieren. Ein Beispiel gibt die frühe<br />

Öffnung <strong>der</strong> Gewerkschaften für ‚Gastarbeiter‘. Im Jahr 1968 schuf die IG-Metall das Referat „Ausländische<br />

Arbeitnehmer“ und 1972 führte <strong>der</strong> DGB das passive Wahlrecht ein. Dies hat zwar den<br />

Organisationsgrad <strong>der</strong> ausländischen Arbeitskräfte in Teilbereichen über den <strong>der</strong> einheimischen<br />

steigen lassen. Allerdings sinkt ihre Präsenz in Gremien mit <strong>der</strong>en Bedeutungszunahme. So<br />

kommt es zu dem Paradox, dass Migranten zwar besser organisiert, aber schlechter repräsentiert<br />

sind (Kohlmeier/Schimany 2005: 62ff.).<br />

Die kommunale Ebene kann das diskriminierende Festhalten am „Auslän<strong>der</strong>tum“, das Michael<br />

Walzer mit Blick auf die „Gastarbeiter“-Praxis <strong>der</strong> Nachkriegszeit kritisiert hat (Walzer 1992: 98ff.),<br />

22<br />

Aktuelle Beispiel bieten die begrenzte Anerkennung des Koordinierungsrats <strong>der</strong> Muslime und die asymmetrische<br />

Kommunikationsstruktur <strong>der</strong> Islamkonferenzen.


Kopfzeile | Seite 23<br />

nicht kompensieren. Beson<strong>der</strong>s Städte mit starker Zuwan<strong>der</strong>ung haben jedoch bereits in den<br />

1970er Jahren damit begonnen, eigene Partizipationsangebote zu entwickeln. Sie reichen von früh<br />

eingerichteten, mehr o<strong>der</strong> weniger repräsentativen Beratungsgremien wie den Auslän<strong>der</strong>beiräten,<br />

über die För<strong>der</strong>ung und Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen in verschiedenen Politikfel<strong>der</strong>n,<br />

beson<strong>der</strong>e Beteiligungsangebote im Rahmen städtebaulicher Programme (z.B. ‚Soziale<br />

Stadt‘) bis <strong>zur</strong> bürgerschaftlichen Mitwirkung und Mitgestaltung in sozialen Diensten (z.B. durch<br />

Integrationslotsen, ‚Stadtteilmütter‘ etc.), die nachfolgend in ihren Grundlinien skizziert werden. In<br />

neueren kommunalen Integrationskonzepten wird u. a. <strong>der</strong> Versuch gemacht, diese Beteiligungsformen<br />

in einem institutionell abgesicherten Gefüge zu kombinieren und stärker mit den<br />

Regelstrukturen <strong>der</strong> kommunalen Selbstverwaltung zu verknüpfen. An vielen Orten wurde z.B. <strong>der</strong><br />

Weg von <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>vertretung zum kommunalen Integrationsrat gegangen, <strong>der</strong> durch die Beteiligung<br />

von Mandatsträgern aufgewertet wird.<br />

Schon rechtlich bedingt, konzentrieren sich in Deutschland die Partizipations- und Engagementangebote<br />

für Zugewan<strong>der</strong>te auf die lokale Ebene. Die Fülle an Experimenten und Ansätzen kann<br />

nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie als entscheidungs- und ressourcenschwächste Ebene<br />

vielerorts nur unverbundene, institutionell ungesicherte und unverbindliche Formen <strong>der</strong> politischen<br />

Beteiligung mit zumeist geringen Gestaltungsspielräumen anzubieten hat, die zudem mit den politischen<br />

Mehrheiten und dem lokalen Führungspersonal variieren. Gemessen an ihren Alltagsnöten<br />

erscheinen sie den angesprochenen Migranten oft als ‚Treppe ins Nichts‘. Geringe Wirkungsmöglichkeiten<br />

und fehlende Verbindlichkeit – bei fortdauern<strong>der</strong> Diskriminierung in zentralen<br />

Lebensbereichen wie Bildung und Erwerbsarbeit – tragen dazu bei, dass Migrantinnen und Migranten<br />

solche Einladungen <strong>zur</strong> Partizipation häufig ausschlagen. Dies wurde schon früh bei <strong>der</strong> meist<br />

geringen, in <strong>der</strong> Tendenz weiter nachlassenden Wahlbeteiligung für die Besetzung von repräsentativen<br />

Auslän<strong>der</strong>beiräten deutlich (vgl. Wiedemann 2006: 272). Diese Erfahrung konnte auch in<br />

vielen Aktivierungsprogrammen, etwa in den Problemgebieten des Bund/Län<strong>der</strong>-Programms ‚Soziale<br />

Stadt‘ gemacht werden (für Berlin vgl. Kast 2006). Zu den interessanten Befunden gehört<br />

dabei, dass dieses Beteiligungsdefizit in <strong>der</strong> Regel nicht einem allgemein geringeren politischen<br />

Interesse und Verantwortungsgefühl o<strong>der</strong> fehlen<strong>der</strong> Identifikation mit dem Quartier und <strong>der</strong> Stadt<br />

geschuldet ist. Es scheint vielmehr das Resultat einer Mischung aus fehlen<strong>der</strong> Anerkennung und<br />

erlebter Machtlosigkeit zu sein (an Beispielen des Umbaus Ost siehe Bernt/Fritsche 2008). Solche<br />

Erfahrungen machen jedoch nicht nur Migranten, son<strong>der</strong>n viele Gruppen, die sich jenseits <strong>der</strong> konventionellen<br />

Bahnen einmischen wollen.<br />

Problemorientierte Formen des politischen Engagements. Für Proteste und Mobilisierungen gilt die<br />

gleiche Strukturschwäche, wenn auch in abgeschwächter Weise. Immerhin zeigen die Proteste<br />

von Migranten, dass sie nicht passiv geblieben sind, son<strong>der</strong>n sich, auch ungebeten, in die politischen<br />

Debatten des Bundesrepublik eingemischt haben – sei es durch ‚Problemimport‘ aus den<br />

Herkunftslän<strong>der</strong>n, seien es die Verhältnisse in Deutschland.<br />

Die politische Beteiligung von Migranten weist mit Blick auf problemorientierte Formen – von Bürgerinitiativen<br />

bis zum Zivilen Ungehorsam – geringere Abstände <strong>zur</strong> deutschen Bevölkerung auf,<br />

als dies bei Wahlen o<strong>der</strong> Parteimitgliedschaften <strong>der</strong> Fall ist (vgl. Wiedemann 2006: 279ff.). Im<br />

Rückblick lässt sich eine spezifische Themenfolge ausmachen (vgl. Rucht/Heitmeyer 2008). In den<br />

1960er und 1970er Jahren waren es vor allem die autoritären und diktatorischen Regime <strong>der</strong> Herkunftslän<strong>der</strong>,<br />

die Beschäftigte aus Spanien, Portugal und Griechenland auf die Straße gehen ließ.<br />

Von großer Bedeutung sind dabei auch die Zusammenschlüsse ausländischer Studieren<strong>der</strong>, die<br />

häufiger gegen autoritäre Regime in ihrer Heimat, <strong>der</strong>en Unterstützung durch die Regierung <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik und die Ausweisung von politisch aktiven Studierenden gemeinsam mit deutschen<br />

Unterstützern protestierten. Der Kongo zu Zeiten Tschombés, <strong>der</strong> Iran des Schahs, Chile unter <strong>der</strong>


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Herrschaft des Generals Pinochets o<strong>der</strong> das militärische Vorgehen <strong>der</strong> Türkei gegen die kurdische<br />

Bevölkerung markieren einige Etappen dieser Proteste (vgl. Seibert 2008). Parallel kam es in vielen<br />

Städten zu Mobilisierungen gegen die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Migranten<br />

(Mietstreiks und Hausbesetzungen, For<strong>der</strong>ung nach muttersprachlichem Unterricht, Proteste gegen<br />

sozialpolitische Benachteiligungen etc.), die durch eine intensive Beteiligung an<br />

gewerkschaftlichen und betriebsbezogenen Aktivitäten (vom 1. Mai bis zu den wilden Streiks in <strong>der</strong><br />

Automobilindustrie) flankiert wurden. Ein weiterer Schwerpunkt <strong>der</strong> Proteste von Migranten und<br />

ihren Unterstützern bildeten die restriktive Auslän<strong>der</strong>gesetzgebung, die Asyl- und Abschiebepraxis<br />

in <strong>der</strong> Bundesrepublik. In <strong>der</strong> Nachkriegsgeschichte erreichten die Proteste von Migranten aber<br />

erst in den 1980er und 1990er Jahren entlang <strong>der</strong> Themenschwerpunkte Asyl, Rassismus und<br />

Einbürgerung ein zahlenmäßig hohes Niveau.<br />

Sie bekamen schließlich den Charakter von – in <strong>der</strong> Regel zahlenmäßig weitaus stärkeren – Gegenmobilisierungen,<br />

seit eine sich von Medien und Politik (‚Das Boot ist voll‘) durchaus ermutigt<br />

fühlende, selbstbewusster auftretende rechtsextreme Szene durch Mobilisierungen, Bandanschläge<br />

und Mordtaten zu einer auslän<strong>der</strong>feindlichen Radikalisierung des Themas Zuwan<strong>der</strong>ung<br />

beitrugen. Einen ersten Höhepunkt erreichten diese Konfrontationen in <strong>der</strong> Zeit nach <strong>der</strong> Vereinigung<br />

bis zum ‚Asylkompromiss‘ von 1992, d.h. <strong>der</strong> weitgehenden Abschaffung des Asylrechts. Sie<br />

sind jedoch bis heute virulent und entzünden sich an immer neuen, auch lokalen Konfliktthemen –<br />

vom Kopftuch bis zum Moscheebau, vom Wahlrecht für Auslän<strong>der</strong> bis <strong>zur</strong> doppelten Staatsanghörigkeit.<br />

Die ethnische, politische und soziale Heterogenität <strong>der</strong> Zugewan<strong>der</strong>ten verhin<strong>der</strong>t zumeist<br />

eine breite Mobilisierung entlang objektiv gemeinsamer Interessen: „Nur relativ selten, etwa in Reaktion<br />

auf auslän<strong>der</strong>feindliche Übergriffe und Pogrome, kam es zu einer punktuellen Allianz und<br />

gemeinsamen Aktionen politisch und ethnisch distinkter Gruppierungen von Migranten“<br />

(Rucht/Heitmeyer 2008: 586).<br />

Die kulturelle Vielfalt <strong>der</strong> Migrationsbevölkerung wird eher bei Stadtteilfesten und Festivals wie<br />

dem Berliner ‚Karneval <strong>der</strong> Kulturen‘ sichtbar als in gemeinsamen politischen Mobilisierungen.<br />

Auch wenn es zu einzelnen gewaltsamen Protesten, etwa im Kontext des Kurden-Konflikts, gekommen<br />

ist, hat nicht zuletzt <strong>der</strong> vergleichsweise geringere Segregationsgrad in deutschen<br />

Städten bislang verhin<strong>der</strong>t, dass es zu Unruhen bzw. riots gekommen ist, wie wir sie aus französischen<br />

Banlieues o<strong>der</strong> britischen Städten kennen.<br />

Auslän<strong>der</strong>beiräte. Auslän<strong>der</strong>beirate haben die längste Tradition in <strong>der</strong> jüngeren Geschichte kommunaler<br />

Beteiligungsangebote für Zugewan<strong>der</strong>te (vgl. Bommes 1992). Die Anfänge liegen in den<br />

späten 1960er und frühen 1970er Jahren. So fand bereits 1973 in Nürnberg die erste Wahl zum<br />

Auslän<strong>der</strong>beirat statt. Heute stellt <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>beirat eine, auch in einigen Kommunalverfassungen<br />

<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> vorgesehene, meist freiwillige Möglichkeit dar, Einwohner ohne Wahlrecht an <strong>der</strong><br />

kommunalen Selbstverwaltung zu beteiligen. Vor wenigen Jahren wurden 400 Auslän<strong>der</strong>beiräte<br />

gezählt, die sich teilweise über Landesverbände und einen Bundesverband koordinieren. In <strong>der</strong><br />

Alltagspraxis ist es zu sehr unterschiedlichen Ausprägungen gekommen: „Die Beiräte differieren in<br />

ihren politischen Kompetenzen (z.B. Anhörungs- und Beteiligungsrechte), <strong>der</strong> Ausstattung (z.B.<br />

eigener Etat, hauptamtliche Geschäftsführung), <strong>der</strong> Zusammensetzung (Ernennung o<strong>der</strong> Wahl, nur<br />

Auslän<strong>der</strong> o<strong>der</strong> nur Deutsche, Sitze für Parteien etc.) und dem Wahlmodus (z.B. nationale Listen,<br />

Parteien, Personen). Entsprechend haben einige Auslän<strong>der</strong>beiräte den Charakter von Verwaltungstreffen<br />

(ohne demokratische Funktion), an<strong>der</strong>e eher den Charakter eines Schülerparlaments<br />

(ohne materiale Kompetenz)“ (Scheffer 1998: 777).<br />

Insgesamt genießen sie nach anfänglicher Euphorie spätestens seit Ende <strong>der</strong> 1990er Jahre nicht<br />

mehr den Ruf eines effektiven und nachhaltigen Beteiligungsinstruments. Dies liegt einerseits daran,<br />

dass solche Konsultationsgremien kein Ersatz für ein fehlendes Wahlrecht sein können und in


Kopfzeile | Seite 25<br />

hohem Maße vom Wohlwollen <strong>der</strong> Ratsmitglie<strong>der</strong> abhängig sind. Zudem sind die kommunalen<br />

migrationspolitischen Handlungsspielräume seit den terroristischen Anschlägen vom 11. September<br />

2001 kleiner geworden. So hat eine, nicht zuletzt sicherheitspolitisch begründete<br />

Zentralisierung wichtiger Handlungsfel<strong>der</strong> (Aufenthaltsstatus, Bleiberechte etc.) stattgefunden<br />

(Thränhardt 2007). Entsprechend rückläufig ist auch die Wahlbeteiligung für repräsentative Auslän<strong>der</strong>beiräte.<br />

In Düsseldorf lag sie 2004 nur noch bei 6,2 Prozent <strong>der</strong> Wahlberechtigten, in den 37<br />

Städten, in denen 2004 in Nordrhein-Westfalen gewählt wurde, betrug die Wahlbeteiligung durchschnittlich<br />

11,4 Prozent (Wiedemann 2006: 272). Auch in Bundeslän<strong>der</strong>n wie in Nordrhein-<br />

Westfalen, in denen gewählte Auslän<strong>der</strong>beiräte in <strong>der</strong> Gemeindeordnung von 1994 verbindlich<br />

gemacht wurde, blieben die strukturellen Schwächen erhalten: „fehlende Beschlussrechte, fehlende<br />

Anbindung an den Rat und Unverbindlichkeit <strong>der</strong> Entscheidungen und Empfehlungen, die in<br />

diesen Gremien getroffen wurden“ (Keltek 2006: 20). Vor diesem Hintergrund wurde in NRW auf<br />

Drängen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>beiräte im Jahr 2004 im Kontext einer Experimentierklausel <strong>der</strong> Gemeindeordnung<br />

die Möglichkeit eröffnet, kommunale Ausschüsse zu bilden, die auch mit gewählten und<br />

stimmberechtigten Ratsmitglie<strong>der</strong>n, sowie Vertretern <strong>der</strong> Migranten besetzt sind und damit potentiell<br />

verbindlichere Beschlüsse fassen können. Allerdings wurde diese Möglichkeit <strong>zur</strong> Bildung von<br />

„Integrationsräten“ in den rund 100 Städten in NRW, in denen Integrationsräte, Migrationsräte,<br />

Auslän<strong>der</strong>beirate sowie Ausschüsse für Migration und Integration existieren, sehr unterschiedlich<br />

genutzt. Das Spektrum reicht von <strong>der</strong> bloßen Namensän<strong>der</strong>ung bis <strong>zur</strong> Gewährung von weitgehenden<br />

Mitsprache- und Entscheidungsrechten zu einem breiten Themenspektrum (vgl. Keltek<br />

2008). Eine zusammenfassende Bilanz <strong>der</strong> mit den Integrationsräten gemachten Erfahrungen<br />

steht noch aus, aber erste Übersichten sprechen dafür, dass zumindest die in ihren Befugnissen<br />

aufgewerteten Gremien zu mehr politischer Partizipation beitragen konnten (LAGA 2007). Unterstützend<br />

wirkte auch, Migranten als ‚sachkundige EinwohnerInnen‘ an <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong><br />

Kommunalparlamente und ihrer Ausschüsse zu beteiligen. Dies gilt auch für die Arbeit <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>beauftragten<br />

(später Integrationsbeauftragten), die sich zumeist als Themenanwalt und Mittler<br />

zwischen lokaler Migrantengemeinde und den Institutionen <strong>der</strong> kommunalen Selbstverwaltung<br />

verstehen. Integrationsräte können zwar nicht das vorenthaltene Wahlrecht kompensieren. Je<br />

mehr es jedoch gelingt, sie zu kompetenten Konsultativgremien zu entwickeln, desto einflussreicher<br />

sind sie auf dem integrationspolitischen Feld (vgl. Cyrus/Vogel 2008).<br />

Migrantenorganisationen. Ihre historischen Ursprünge hat die Selbstorganisation von Migranten in<br />

<strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung, gelegentlich auch in <strong>der</strong> offenen Kritik an <strong>der</strong> paternalistischen Interessenwahrnehmung<br />

durch die großen Wohlfahrtsverbände, die bereits seit den 1950er Jahren, teils<br />

mit Traditionslinien bis ins 19. Jahrhun<strong>der</strong>t, arbeitsteilig entlang <strong>der</strong> Herkunftslän<strong>der</strong> bzw. Religionszugehörigkeiten<br />

Betreuungsangebote für Zuwan<strong>der</strong>er entwickelten. Die Zuwan<strong>der</strong>er wurden<br />

somit früh „in das bundesdeutsche Verbändesystem eingebaut, gleichzeitig aber mediatisiert und<br />

klientelisiert“ (Thränhardt 2007). Formen <strong>der</strong> Selbstorganisation wurden nicht geför<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n<br />

eher argwöhnisch betrachtet. Ausgehend von den frühen Arbeitervereinen <strong>der</strong> 1950er Jahre ist<br />

dennoch ein thematisch breit gefächertes Netz von Vereinen und Initiativen entstanden, das ein<br />

‚zweites System <strong>der</strong> Sozialbetreuung‘ anbietet und die Lücken <strong>der</strong> kommunalen und verbandlichen<br />

Angebote schließen hilft. Zumindest für den Westen gilt, „die Anbindung <strong>der</strong> verschiedenen Nationalitäten<br />

an die unterschiedlichen Wohlfahrtsverbände wirkt bis in die Gegenwart fort“ (Hunger<br />

2002: 4).<br />

Es wäre jedoch falsch, Migrantenorganisationen auf ihre sozialen Integrationsleistungen zu reduzieren.<br />

Das konkrete Profil <strong>der</strong> einzelnen Verbände und Vereine ist nicht nur breiter angelegt,<br />

son<strong>der</strong>n wandelt sich häufig auch im Zeitverlauf: „Die Selbstorganisationen <strong>der</strong> Migranten sind<br />

vielfältig. Sie dienen <strong>der</strong> Gemeinschaftspflege, <strong>der</strong> Fortführung heimatlicher Aktivitäten o<strong>der</strong> <strong>der</strong>


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Bearbeitung lebenspraktischer Fragen“ (Scheffer 1998: 777). Dies gilt allerdings in vollem Umfang<br />

nur für Westdeutschland, denn die Organisationsstrukturen von Migranten und Aussiedlern befinden<br />

sich in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n allenfalls im Aufbau (Kindelberger 2007). Oft fehlt es ihnen –<br />

bei einem niedrigen Migrantenanteil von zwei bis drei Prozent <strong>der</strong> Wohnbevölkerung – schlicht an<br />

<strong>der</strong> ‚kritischen Masse‘. Eine eindrucksvolle Ausnahme bildet die Selbstorganisation von Vietnamesen,<br />

die bereits unter den restriktiven Bedingungen <strong>der</strong> DDR einsetzte, und nach <strong>der</strong> Wende<br />

differenzierte Selbsthilfestrukturen konsolidieren konnte (vgl. Weiss 2005).<br />

Auch wenn die Selbstorganisationen <strong>der</strong> Migranten nationalspezifisch unterschiedliche Wege gegangen<br />

sind, lässt sich aktuell folgen<strong>der</strong> gemeinsamer Nenner festhalten: „Heute dient die<br />

Mehrzahl <strong>der</strong> Vereine als Freizeit- und Begegnungsstätte, während politisch orientierte Organisationen,<br />

außer im gewerkschaftlichen Rahmen, kaum eine Rolle spielen. Darüber hinaus gibt es eine<br />

große Zahl an Wirtschafts- und Berufsvereinen“ (Huth 2007: 30).<br />

Migrantenselbstorganisationen agieren in idealtypischer Weise zwischen Identitätspolitik und Diaspora-Politik.<br />

Von Identitätspolitik kann dann gesprochen werden, wenn die Aktivitäten des<br />

Zusammenschlusses auf die Aufnahmegesellschaft gerichtet sind. Sie dienen <strong>der</strong> „Binnenintegration<br />

in kultureller, politischer o<strong>der</strong> religiöser Hinsicht sowie <strong>der</strong> öffentlichen Interessenartikulation<br />

<strong>zur</strong> Verbesserung des ökonomischen, sozialen o<strong>der</strong> kulturellen Immigrantenstatus. Beide Zielsetzungen<br />

sind miteinan<strong>der</strong> verbunden. Die Binnenintegration ist zum Teil Voraussetzung für die<br />

Artikulationsfähigkeit auf <strong>der</strong> öffentlichen politischen Bühne“ (Rucht/Heitmeyer 2008: 655). Mit Diaspora-Politik<br />

werden dagegen jene Aktivitäten bezeichnet, die in erster Linie auf das<br />

Herkunftsland bezogen sind und dabei gelegentlich dessen Konfliktlinien reproduzieren, sei es<br />

durch ‚Konfliktimport‘ o<strong>der</strong> in Form einer ‚Außensteuerung‘ durch Kräfte des Herkunftslandes.Vorliegende<br />

Studien lassen jedoch grundsätzliche Zweifel an <strong>der</strong> Klassifizierung von<br />

Migrantenorganisationen in herkunftsland- und aufnahmelandbezogene aufkommen, weil in <strong>der</strong><br />

Praxis häufig beide Richtungen kombiniert werden. Die in Migrantenorganisationen Engagierten<br />

haben zudem mehr soziale Kontakte und zwar nicht nur zu Landsleuten, son<strong>der</strong>n auch mit Deutschen<br />

(vgl. Cyrus 2005: 37ff.)<br />

Allerdings gibt es auch gegenläufige Trends verstärkter Selbstethnisierung in <strong>der</strong> zweiten und dritten<br />

Generation von Zuwan<strong>der</strong>ern. Im internationalen Vergleich zeigt sich zudem, dass die<br />

nationale Ausgestaltung <strong>der</strong> Bürgerrechte für Migranten, wie eingangs vermutet, erheblichen Einfluss<br />

auf <strong>der</strong>en Organisationsgefüge hat (vgl. Koopmans et al. 2005), d.h. die Entscheidung für<br />

o<strong>der</strong> gegen ethnisch homogene Vereinigungen nicht nur eine Frage individueller Präferenzen von<br />

Zugewan<strong>der</strong>ten darstellt.<br />

Als Funktionen von Migrantenorganisationen werden heute nach innen vor allem Identitätsstärkung,<br />

gegenseitige Hilfe, Pflege kultureller Traditionen, Anerkennung und die Entfaltung von<br />

sozialen Kompetenzen betont, nach außen übernehmen sie Mittler- und Brückenfunktionen, wenn<br />

es um die Beteiligung von Migranten geht.<br />

Vereinswesen und bürgerschaftliches Engagement. Das Vereinswesen wird als wesentliches Element<br />

integrativer Strategien angesehen. Dies gilt sowohl für ethnische Vereinsbildungen wie für<br />

die interkulturelle Öffnung deutscher Vereine. Beson<strong>der</strong>s im letzten Fall liegt die integrationspolitische<br />

Bedeutung des Vereinslebens in <strong>der</strong> Erzeugung von sozialem Kapital in Gestalt von lockeren<br />

Bindungen (‚bridging social capital‘), die den Kontakt zwischen Zuwan<strong>der</strong>ern und Einheimischen<br />

intensivieren. Die Befunde zu den Auswirkungen von ethnischen Vereinsbindungen auf an<strong>der</strong>e<br />

Engagementformen sind nicht eindeutig. Während in <strong>der</strong> öffentlichen Debatte aus <strong>der</strong> geringeren<br />

Beteiligung von Migranten oft auf eigenethnische Orientierungen geschlossen wird, gewinnt inzwischen<br />

die Sichtweise an Bedeutung, die anstehende kulturelle Öffnung des deutschen<br />

Vereinswesens stärker in den Blick zu nehmen.


Kopfzeile | Seite 27<br />

In ihrem Abschlussbericht beschrieb die Enquete-Kommission des Bundestags <strong>zur</strong> „Zukunft des<br />

bürgerschaftlichen Engagements“ eine schwierige und höchst ambivalente Situation:<br />

„Für den Integrationsprozess von Min<strong>der</strong>heiten in die Aufnahmegesellschaft und die gleichberechtigte<br />

Koexistenz unterschiedlicher Lebensformen kommt dem bürgerschaftlichen Engagement eine<br />

wichtige und bislang unterschätzte Rolle zu. Die geltenden auslän<strong>der</strong>- und aufenthaltsrechtlichen<br />

Regelungen und die daraus resultierende Sorge um den eigenen Aufenthaltsstatus setzen <strong>der</strong><br />

Bereitschaft von Migrantinnen und Migranten, sich für allgemeine Belange des Gemeinwesens zu<br />

engagieren, Grenzen“ (Enquete-Kommission 2002: 219).<br />

Dennoch gibt es eine breite Palette von Engagementformen, in denen sich Migranten zusammenfinden.<br />

Von kaum zu unterschätzen<strong>der</strong> Bedeutung sind dabei die Solidaritätspotentiale in Familien<br />

und darauf gegründete Formen <strong>der</strong> Selbsthilfe. In Familien-, Mütter-, Sozial- o<strong>der</strong> Nachbarschaftszentren<br />

wird dieses familienbezogene Engagementpotential aufgegriffen und professionell<br />

gestärkt. Formen und Inhalte werden dabei stark von den engagierten Migranten selbst bestimmt.<br />

Öffentlich sichtbarer sind Vereine und Verbände, von denen schon die Rede war. Ihre praktischen<br />

Integrationshilfen für die Einwan<strong>der</strong>er <strong>der</strong> ersten Generation sind unbestritten. Beson<strong>der</strong>s jüngere<br />

Migranten organisieren sich stärker in Vereinigungen des Aufnahmelandes (von Freizeiteinrichtungen<br />

über Sportvereine bis zu Gewerkschaften) o<strong>der</strong> gründen Vereine, die gezielt ihre Interessen in<br />

<strong>der</strong> Aufnahmegesellschaft geltend machen (Bürgerrechtsgruppen, Berufs- und Unternehmensverbände<br />

etc.). Die Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ ging noch<br />

vor wenigen Jahren von einem weithin unterschätzten Engagement von Migranten aus: „Die öffentliche<br />

Wahrnehmung und die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> eigenständigen Migrantenorganisationen und Projekte<br />

ist bislang zu kurz gekommen, da das Selbsthilfepotenzial <strong>der</strong> ethnischen Gemeinschaften und<br />

<strong>der</strong>en Integrationsarbeit für die Gesellschaft unterschätzt wurde“ (Enquete-Kommission 2002:<br />

222). Um <strong>der</strong>en Sichtbarkeit und politisches Gewicht zu stärken, for<strong>der</strong>te die Enquete-Kommission<br />

in ihrem Abschlussbericht eine verstärkte För<strong>der</strong>ung von „Eigeninitiative und Selbstorganisation<br />

<strong>der</strong> Migrantinnen und Migranten“ ... „ergänzend <strong>zur</strong> öffentlichen För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Wohlfahrtsverbände“<br />

(ebd.: 223).<br />

Auch wenn die empirische Forschung über die verschiedenen Formen <strong>der</strong> Beteiligung von Migranten<br />

noch viele Wünsche offen lässt, haben neuere Untersuchungen zum bürgerschaftlichen<br />

Engagement einige interessante Befunde zutage geför<strong>der</strong>t (vgl. Geiss/Gensicke 2006; Halm/Sauer<br />

2007). Dabei wird zwischen aktiver Mitgliedschaft in Vereinigungen aller Art (Gemeinschaftsaktivitäten)<br />

und <strong>der</strong> anspruchsvolleren Übernahme von ehrenamtlichen Funktionen und Aktivitäten für<br />

An<strong>der</strong>e in solchen Zusammenschlüssen (freiwilliges Engagement) unterschieden. Die Migrantenstichprobe<br />

des Freiwilligensurveys, die methodisch über Telefoninterviews vor allem<br />

deutschsprachige und gut sozial eingebundene Migranten erreichte, weist ein hohes Niveau bei<br />

den Gemeinschaftsaktivitäten von 61 Prozent aus, das jedoch unter dem <strong>der</strong> Nicht-Migranten (71<br />

%) liegt (Geiss/Gensicke 2006: 304). Bei den Engagierten ist <strong>der</strong> Abstand größer: 23 Prozent <strong>der</strong><br />

Migranten, aber 37 Prozent <strong>der</strong> Nicht-Migranten sind engagiert. Das Engagementpotential liegt bei<br />

Migranten dabei deutlich höher als bei den Nicht-Migranten: 17 Prozent <strong>der</strong> befragten Migranten<br />

äußern ihre nachdrückliche Bereitschaft zum Engagement (bei 11 % <strong>der</strong> Nicht-Migranten). Eventuell<br />

bereit zum Engagement sind 25 Prozent <strong>der</strong> Migranten gegenüber 20 Prozent <strong>der</strong> Nicht-<br />

Migranten. Beson<strong>der</strong>s hoch ist das Potential bei jugendlichen Migranten (vgl. Geiss/Gensicke<br />

2006: 304f.). Dies rechtfertigt das politische Fazit: „Das bürgerschaftliche Engagement von Migrantinnen<br />

und Migranten ist demnach in hohem Maße weiter ausbaufähig“ (Beauftragte <strong>der</strong><br />

Bundesregierung 2007: 116).<br />

Die Aktivitätsstruktur von Migranten und Einheimischen (Schwerpunkte sind Sport und Bewegung,<br />

Freizeit und Geselligkeit, Kultur und Musik sowie <strong>der</strong> soziale Bereich) ist ähnlicher als erwartet.


Kopfzeile | Seite 28<br />

Aber Schule und Kin<strong>der</strong>garten sind – entgegen <strong>der</strong> öffentlichen Wahrnehmung – ihr größtes Engagementfeld<br />

(41 % <strong>der</strong> freiwillig aktiven MigrantInnen engagieren sich für – ihre – Kin<strong>der</strong> und<br />

Jugendlichen), während bei Einheimischen Sport und Freizeit dominieren. „Bildungsthemen sind<br />

ein Schlüsselfaktor für die Aktivierung von MigrantInnen“ (Hanhörster/Reimann 2007: 91). Diese<br />

thematische Gewichtung dürfte auch den Integrationshürden in den Schulen (siehe PISA) wie den<br />

Barrieren im Vereinsbereich geschuldet sein. Interessant ist auch das größere Gewicht kommunaler<br />

Angebote für das Engagement von MigrantInnen als bei Einheimischen (17 % <strong>der</strong> MigrantInnen<br />

engagieren sich in staatlichen bzw. kommunalen Einrichtungen, nur 12 % <strong>der</strong> Deutschen, bei Vereinen<br />

ist es umgekehrt).<br />

Auf individueller Ebene zeigt das bürgerschaftliche Engagement von MigrantInnen wenig überraschende<br />

Befunde (Freiwilligensurvey 2004), son<strong>der</strong>n weist das übliche Sozialprofil (ansteigend mit<br />

Bildungsniveau und Sozialstatus) auf. Das insgesamt niedrigere Engagement dürfte <strong>der</strong> geringeren<br />

sozialen und politischen Einbindung geschuldet sein. Je länger sich Migranten in Deutschland<br />

aufhalten, desto mehr bürgerschaftliches Engagement entwickeln sie. Generell ähneln sich die<br />

Aktivitätsstrukturen von MigrantInnen und Einheimischen.<br />

Eine an den Freiwilligensurvey angelehnte zweisprachige Erhebung unter türkischen Migranten<br />

weist dagegen ‚Kirche und Religion‘ als stärksten Bereich <strong>der</strong> Gemeinschaftsaktivitäten aus (vgl.<br />

Halm/Sauer 2007: 52). Zwei Fünftel <strong>der</strong> Befragten betätigen sich – nach dieser Studie – ausschließlich<br />

in türkischen Vereinen und Gruppen. Eigenethnische Strukturen prägen nicht nur den<br />

religiösen und kulturellen Bereich, son<strong>der</strong>n auch die Freizeitgestaltung. Immerhin wird ein Drittel<br />

<strong>der</strong> Befragten sowohl in deutschen wie in türkischen Vereinen aktiv, 16 Prozent bewegen sich nur<br />

in deutschen Kontexten, neun Prozent in internationalen Zusammenhängen. Sport, berufliche und<br />

politische Interessenvertretung und quartiersbezogene Probleme begünstigen dabei interethnische<br />

Aktivitäten.<br />

In ihrer Studie <strong>zur</strong> Integrationsför<strong>der</strong>ung durch bürgerschaftliches Engagement kommt Huth zu<br />

dem Fazit: „Auch ein Engagement, das auf die eigene ethnische Gemeinschaft bezogen ist, ist als<br />

bürgerschaftlich zu verstehen, wenn es <strong>der</strong> Erschließung und För<strong>der</strong>ung von Beteiligungs- und<br />

Mitgestaltungsmöglichkeiten dient, sei es politisch, in <strong>der</strong> Beschäftigungsför<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> im Nachbarschafts-,<br />

Kin<strong>der</strong>-, Jugend-, Frauen- und Seniorenbereich etc.“ (Huth 2006: 24). Auch bei <strong>der</strong><br />

Diskussion des bürgerschaftlichen Engagements gilt es stärker als bisher kulturelle Beson<strong>der</strong>heiten<br />

zu berücksichtigen. Als Beispiel wird die beson<strong>der</strong>e Bedeutung des Spendens im Islam<br />

genannt (Huth 2006: 25). Mit dem Nationalen Integrationsplan von 2007 erfährt bürgerschaftliches<br />

Engagement eine deutliche politische Aufwertung. Früher diagnostizierte Gefahren und Ambivalenzen<br />

scheinen vergessen:<br />

„Es wirkt identitätsstiftend und stärkt die Handlungskompetenz. Deshalb hat bürgerschaftliches<br />

Engagement eine beson<strong>der</strong>e Katalysatorenfunktion auch für die Menschen mit Migrationshintergrund.<br />

Integration wird dann erfolgreich gelingen, wenn das freiwillige Engagement in<br />

klassischen Vereinen, Verbänden, Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie in Migrantenorganisationen<br />

gleichberechtigt und eigenverantwortlich bei <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

einbezogen wird“ (Bundesregierung 2007: 173).<br />

Seit den 1980er Jahren ist die Selbsthilfeför<strong>der</strong>ung in <strong>der</strong> Kultur, im Gesundheits- und Sozialbereich<br />

zu einem verbreiteten kommunalen Handlungsfeld geworden (vgl. den Berliner ‚Fink-Topf‘<br />

o<strong>der</strong> den ‚Bremer Topf‘), von dem nicht zuletzt Migranteninitiativen stimuliert und geför<strong>der</strong>t wurden.<br />

Die lokalen Unterschiede sind auch dabei sicherlich erheblich. Immerhin zeigt eine Analyse <strong>der</strong><br />

För<strong>der</strong>schwerpunkte in Bremen für den Berichtszeitraum 1993-1999, dass dort Auslän<strong>der</strong>initiativen<br />

den größten Einzelbereich ausmachen, allerdings auch eine erhebliche Fluktuation aufweisen<br />

(Osthorst/Prigge 2003: 46).


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Beteiligungsorientierte politische Programme (‚Soziale Stadt‘, Aktionsprogramme gegen Rechtsextremismus<br />

etc.), Wettbewerbe (Bertelsmann Stiftung /Bundesministerium des Innern: Erfolgreiche<br />

Integration ist kein Zufall, Bürger für Bürger: Teilhabe und Integration von MigrantInnen durch bürgerschaftliches<br />

Engagement) und Stiftungsinitiativen unterstützen vielfältige Formen <strong>der</strong><br />

Beteiligung und betrachten sie als Qualitätsmerkmal. Positiv daran ist in jedem Fall die größere<br />

Sichtbarkeit <strong>der</strong> Migrationsbevölkerung und <strong>der</strong>en zumindest symbolische Anerkennung. Damit ist<br />

ein Zustand ‚politischer Ausgrenzung‘ überwunden, <strong>der</strong> viele Bundesprogramme früherer Jahre<br />

kennzeichnete. Gelegentlich kommt es allerdings auch zu ‚leerlaufen<strong>der</strong> Partizipation‘, weil es<br />

nicht gelingt, die projektorientierten Beteiligungsvorhaben mit <strong>der</strong> lokalen Politik und ihren Regelstrukturen<br />

zu verbinden (<strong>zur</strong> Terminologie vgl. Häußermann/ Wurtzbacher 2005). Die Situation im<br />

Umfeld dieser Programme ist nicht frei von Ambivalenzen. Einerseits werden die eigenen Integrationsressourcen<br />

<strong>der</strong> Migrationsbevölkerung betont und geför<strong>der</strong>t, an<strong>der</strong>erseits kommt es immer<br />

wie<strong>der</strong> zu krisen-, konflikt- und problemorientierte Thematisierungen (Parallelgesellschaften, Auslän<strong>der</strong>kriminalität,<br />

Bildungsferne, Ehrenmorde etc.), die prägend auf die öffentliche Debatte wirken.<br />

Problematisch ist zudem die Selektivität <strong>der</strong> Themenfel<strong>der</strong> und <strong>der</strong> sozialen Zusammensetzung<br />

<strong>der</strong> Angesprochenen in den zumeist projektorientierten Angeboten. Die Beteiligung und Aktivierung<br />

von Migrantinnen und Migranten als Mittler, Lotsen, Paten o<strong>der</strong> Mentoren gehört in einzelnen<br />

Politikfel<strong>der</strong>n inzwischen zum Standard. So werden z.B. Kitas durch überwiegend ehrenamtlich<br />

tätige Integrationslotsinnen unterstützt, die niedrigschwellige Elterncafés und Elternbildung anbieten<br />

o<strong>der</strong> als Stadtteilmütter unterwegs sind (vgl. Kast 2006: 15ff.; Roth 2007). Dieses<br />

Angebotsprofil schlägt sich auch in den Individualdaten des Freiwilligensurvey 2004 nie<strong>der</strong>. Partizipation,<br />

genauer die Koproduktion durch Migranten, wird in diversen Programmen als wichtige<br />

Integrationshilfe genutzt. Dies ist auch notwendig, weil in es zahlreichen Fel<strong>der</strong>n an entsprechenden<br />

interkulturellen Kompetenzen und Beschäftigten mit Migrationshintergrund in Verwaltungen<br />

und Organisationen fehlt. Über die dabei von Migrantinnen und Migranten gemachten Erfahrungen<br />

wissen wir wenig.<br />

Dass sich mit wachsendem bürgerschaftlichen Engagement auch die sozialen Dienste und – wenn<br />

auch weniger ausgeprägt – Bildungseinrichtungen verän<strong>der</strong>t haben, hat bislang wenig öffentlich<br />

Beachtung gefunden. Auf Partizipation angelegte und von Beteiligung getragene soziale Dienstleistungen,<br />

die ihre ‚Klienten‘ und ‚Kunden‘ zu Mitgestaltern und Koproduzenten aufwerten, sind in<br />

einer breiten Palette von Arbeitsverhältnissen (von <strong>der</strong> klassischen professionellen Tätigkeit bis<br />

zum Ehrenamt in vielen Mischungen) und institutionellen Formen (von den Wohlfahrtsverbänden<br />

bis zu Freiwilligenagenturen und Bürgerstiftungen) im Vormarsch (vgl. Evers 2008). Die mit Integration<br />

und Migration befassten Tätigkeitsfel<strong>der</strong> haben dabei eine Vorreiterrolle (vgl. Roth 2007).<br />

Aktivierung, Beteiligung, Empowerment, Potentiale, Ressourcenorientierung sind einige <strong>der</strong> Stichworte,<br />

mit denen eine Neudefinition sozialer Dienste in vielen Bereichen, aber mit beson<strong>der</strong>em<br />

Nachdruck in <strong>der</strong> kommunalen Integrationspolitik vorangetrieben wird. Die Vorzüge dieses Weges<br />

von <strong>der</strong> professionellen „Betreuung <strong>zur</strong> Eigenverantwortung“ (Hunger 2002) liegen auf <strong>der</strong> Hand:<br />

Für die einbezogenen Migranten bedeuten sie u. a. die Anerkennung als handlungsfähige Akteure<br />

mit spezifischen kulturellen und religiösen Orientierungen, längerfristig auch die Chance zu vielfältigen<br />

informellen Lernprozessen im Engagement, nicht zuletzt die Stärkung ihrer ‚life skills‘<br />

insgesamt (vgl. Huth 2007). Partizipation kann so als zeitgemäße Übersetzung des alten Anspruchs<br />

<strong>der</strong> ‚Hilfe <strong>zur</strong> Selbsthilfe‘ erfahren werden und das Versprechen auf Mitgestaltung jener<br />

Dienste und Leistungen einlösen, die den Alltag prägen. Zudem för<strong>der</strong>t dieser neue Zugang das<br />

‚soziale Kapital‘ <strong>der</strong> Beteiligten, indem Formen <strong>der</strong> Gemeinschaftsbildung unterstützt, aber auch<br />

intensivere Kontakte zu Akteuren <strong>der</strong> Mehrheitsgesellschaft ermöglicht werden. Für Kommunen<br />

und Wohlfahrtsverbände werden so Qualitätsverbesserungen ihrer Dienstleistungen erreicht, die


Kopfzeile | Seite 30<br />

passgenauer auf die Adressaten zugeschnitten sind, weil sie von ihnen (mit-)gestaltet werden.<br />

Unter Bedingungen knapper Ressourcen ist die aktive Einbeziehung von Migranten – von <strong>der</strong> Betroffenenselbsthilfe<br />

über das freiwillige und ehrenamtliche bürgerschaftliche Engagement bis zu<br />

Formen eines ‚professionalisierten‘ Ehrenamts, wie das <strong>der</strong> ‚Stadtteilmütter‘ o<strong>der</strong> verschiedenen<br />

Varianten von ‚Integrationslotsen‘ (für die Stadt Münster siehe Michalowski 2005) - in die kommunale<br />

Sozial- und Bildungspolitik oft die einzige Chance, dem Postulat <strong>der</strong> interkulturellen Öffnung<br />

von Verwaltungen und Diensten zu entsprechen. Dass mit Aktivierungsstrategien immer auch Erwartungen<br />

in Richtung Kostenreduzierung durch Eigenhilfe verbunden werden, macht sie<br />

zusätzlich für die Auftraggeber attraktiv – unabhängig davon, dass <strong>der</strong> damit verbundene Mobilisierungseffekt,<br />

wie Skeptiker befürchten, durchaus auch zu potentiell kostensteigernden Ansprüchen<br />

<strong>der</strong> Aktivierten führen kann.<br />

Weniger im Blick sind die möglichen Kosten und (unerwünschten) Nebenwirkungen solcher partizipativ<br />

angelegten sozialen Aktivierungsstrategien. Auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Adressaten drohen<br />

Selektions- und Diskriminierungseffekte, weil die Fähigkeiten <strong>zur</strong> Teilhabe sozial sehr unterschiedlich<br />

ausgeprägt sind. Die Einladung <strong>zur</strong> aktiven Mitwirkung an <strong>der</strong> Lösung von<br />

Integrationsproblemen findet – und darin liegt ihr paradoxer Charakter – beson<strong>der</strong>s bei jenen<br />

Gruppen Resonanz, die über entsprechende individuelle und kollektive Ressourcen verfügen. Im<br />

Ergebnis droht das bereits im ‚Kampf gegen die Armut‘ in den USA beobachtete ‚creaming of the<br />

poor‘, d.h. die ‚Abschöpfung‘ bzw. Mobilisierung einer vergleichsweise besser gestellten Migrantenschicht,<br />

ohne dass die Situation <strong>der</strong> großen Zahl <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s Benachteiligten positiv<br />

verän<strong>der</strong>t würde. Auch mit negativen Effekten <strong>der</strong> thematischen Selektivität ist zu rechnen. Während<br />

man <strong>zur</strong> Partizipation zu einem bestimmten Thema (z.B. <strong>der</strong> Stadtentwicklung) eingeladen<br />

wird, bleibt man von wichtigen Gestaltungsentscheidungen (etwa <strong>der</strong> Schulentwicklung) ausgeschlossen.<br />

Auf institutioneller Ebene wird nicht nur vor einer beteiligungsgetriebenen<br />

‚Anspruchsinflation‘ gewarnt. Aktivierungsstrategien stehen in <strong>der</strong> Regel quer <strong>zur</strong> Verwaltungsroutine,<br />

erfor<strong>der</strong>n zusätzlichen Aufwand und ein entsprechend qualifiziertes Personal. Daher wird auf<br />

sie eher <strong>zur</strong>ückgegriffen, wenn entsprechende Programmför<strong>der</strong>ungen dies ermöglicht. Zum Wesen<br />

des Projekts gehört jedoch die Befristung – mit <strong>der</strong> Folge, dass die kommunalen Landschaften mit<br />

verlassenen Beteiligungsruinen übersäht sind, die Betroffene schrecken. Ernst zu nehmen ist auch<br />

<strong>der</strong> Einwand, dass Aktivierungsstrategien lokale Gerechtigkeitsprobleme nicht lösen, son<strong>der</strong>n sogar<br />

verstärken können, weil sich Mitnahmeeffekte für die Aktiven auf Kosten <strong>der</strong> nicht erreichten<br />

Gruppen einstellen können. Solche Kosten und unerwünschten Nebeneffekte sprechen nicht gegen<br />

partizipative Strategien, son<strong>der</strong>n erfor<strong>der</strong>n reflexive Formen <strong>der</strong> Umsetzung, die sie<br />

minimieren helfen (so auch Kast 2006: 50ff.). Gegen die Vermutung, es fehle Migranten an Beteiligungsbereitschaft,<br />

sprechen nicht zuletzt Erfahrungen in den Programmgebieten <strong>der</strong> ‚Sozialen<br />

Stadt‘. Obwohl sich dort auf individueller Ebene soziale und kulturelle Beteiligungsbarrieren verdichten,<br />

konnte beson<strong>der</strong>s mit niedrigschwelligen, aufsuchenden und zielgruppenspezifischen<br />

Angeboten an bestehende Formen <strong>der</strong> sozialen Beteiligung angeknüpft werden, denen sonst zumeist<br />

die öffentliche Anerkennung – Kast (2006: 47) spricht von einem „blinden Fleck“ in <strong>der</strong><br />

öffentlichen Wahrnehmung – verwehrt bleibt. „Tatsächlich haben MigrantInnen ein großes Interesse<br />

an vielfältigen Themenkomplexen, sie fragen Beratungsangebote und Kurse nach, sie<br />

organisieren sich und arbeiten ehrenamtlich. Oft allerdings bedarf es spezifischer Ansprachemethoden<br />

o<strong>der</strong> Zugeständnisse an ihre kulturellen und sozialen Beson<strong>der</strong>heiten und Bedürfnisse“<br />

(Kast 2006: 47). Dazu gehört vor allem, jenseits von individuell ansetzenden Angeboten die Entwicklung<br />

von lokalen Kooperationen, quartiersbezogenen Netzwerken und stadtteilorientierter


Kopfzeile | Seite 31<br />

Öffentlichkeitsarbeit mit Migranteninitiativen und –organisationen (vgl. Hanhörster/Reimann<br />

2007). 23<br />

Integrationsgipfel und Nationaler Integrationsplan. „Integration durch bürgerschaftliches<br />

Engagement und gleichberechtigte Teilhabe stärken“, wird im NIP als eines von zehn Themenfel<strong>der</strong>n<br />

benannt (Bundesregierung 2007: 173ff.). Bürgerschaftliches Engagement wird<br />

darin als eigener Integrationsort – neben Markt und Staat – anerkannt. Betont werden vor<br />

allem das gemeinschaftliche Engagement von Migranten und Einheimischen (bridging) unter<br />

dem Stichwort „öffentliche Verantwortungsteilung durch Vernetzung deutscher<br />

Verbände und Migrantenorganisationen“ (Bundesregierung 2007: 174), aber auch Religionsgemeinschaften<br />

finden Anerkennung. Grundsätzlich wird die gleichberechtigte Teilhabe<br />

von Migrantenorganisationen als wesentliches integrationspolitisches Vehikel von Bund<br />

und Län<strong>der</strong>n betont. Starke Erwartungen werden auch auf die interkulturelle Öffnung traditioneller<br />

Vereine, Verbände, Kirchen und Religionsgemeinschaften gesetzt. Beson<strong>der</strong>s<br />

betont werden die Lernchancen und <strong>der</strong> Kompetenzerwerb im bürgerschaftlichen Engagement.<br />

Ohne solche Lernorte gering zu schätzen, geraten sie angesichts <strong>der</strong> benachteiligten<br />

Situation im Schulsystem in Gefahr, dass ihnen ein kompensatorischer Status für unzulängliche<br />

formale Bildungschancen zugewiesen wird. Dies gilt auch für die neuerliche<br />

Anerkennung und För<strong>der</strong>ung von Bildungspatenschaften durch erfolgreiche Migrantinnen<br />

und Migranten, die in Vorschule, Schule und in <strong>der</strong> Ausbildung tätig werden. Patinnen und<br />

Paten – teilweise mit Migrationshintergrund – unterstützen junge Menschen mit und ohne<br />

Migrationshintergrund in unterschiedlichen Projekten und Organisationsmustern dauerhaft<br />

auf dem Weg durch Bildungs- und Ausbildungslandschaften (vgl. Huth 2008). Geför<strong>der</strong>t<br />

werden solche Patenschaften durch die ‚Aktion Zusammenwachsen‘ des Bundes. Es wird<br />

sich zeigen, ob davon nachhaltige Reformimpulse für eine Öffnung des Bildungs- und Ausbildungssystems<br />

in Richtung Integration ausgehen. Immerhin signalisiert das Programm,<br />

dass bürgerschaftliches Engagement als Reformtriebkraft (o<strong>der</strong> Kompensation) genutzt<br />

werden soll.<br />

Auch wenn mit Veranstaltungen vom Typus ‚Integrationsgipfel‘ in <strong>der</strong> Regel mehr Symbolik als<br />

materiell folgenreiche Politik einhergeht, haben die Selbstorganisationen <strong>der</strong> Migranten eine unerwartete<br />

Anerkennung erfahren, auch wenn nicht alle Beobachter so weit gehen werden wie<br />

Thränhardt (2008a: 131):<br />

„Mit <strong>der</strong> Einbeziehung von Migrantenverbänden in die ‚Integrationsgipfel’ bei <strong>der</strong> Bundeskanzlerin<br />

und in die ‚Deutsche Islamkonferenz’ beim Bundesinnenminister seit 2006 ist diese Ausgrenzung<br />

durchbrochen worden, was den türkischen Verbänden 2007 auch die Gelegenheit zu einem spektakulären<br />

Boykott bot, als sie den Eindruck gewannen, sie würden zwar zu einer Inszenierung<br />

eingeladen, bei den eigentlichen Entscheidungen über Einwan<strong>der</strong>ung und Einbürgerung aber nicht<br />

einmal konsultiert.“<br />

Es handelt sich nach <strong>der</strong> ‚Green Card‘-Initiative und <strong>der</strong> Süssmuth-Kommission um eine weitere<br />

symbolische Einbeziehung von Migranten in die deutsche Interessen- und Verbändelandschaft,<br />

wobei die materiellen Einflussmöglichkeiten <strong>der</strong> Migrantenverbände gering blieben.<br />

Auch die Kommunalen Spitzenverbände wollen in den Selbstverpflichtungen des NIP eine stärkere<br />

Beteiligung von Zugewan<strong>der</strong>ten „an den Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen in den unterschiedlichen<br />

Bereichen des sozialen und politischen Lebens“ (Bundesregierung 2007: 32), ihr<br />

23 Die Vernetzung von Migrantenorganisationen untereinan<strong>der</strong> und darüber hinaus hat als wichtiges integrationspolitisches<br />

Handlungsfeld inzwischen Anerkennung gefunden: „Netzwerke schaffen – Potenziale von Migrantenorganisationen<br />

bündeln“ (Mansury 2006: 125ff.).


Kopfzeile | Seite 32<br />

bürgerschaftliches Engagement för<strong>der</strong>n und „Zuwan<strong>der</strong>er als Multiplikatoren und Konfliktmo<strong>der</strong>atoren<br />

einbeziehen“ (Bundesregierung 2007: 32). Auf kommunaler Ebene hat die Stadt Wiesbaden<br />

durch Integrationsvereinbarungen einen interessanten Weg gefunden, die wechselseitigen Ansprüche<br />

von Kommune und Migrantenvereinen auf eine vertragliche Grundlage zu stellen, die sich<br />

bereits in lokalen Konflikten bewährt hat (vgl. Müller 2008).<br />

Die rechtliche Gleichstellung (Wahlrecht für Zuwan<strong>der</strong>er aus Nicht-EU-Staaten) wird aber explizit<br />

nicht in Aussicht gestellt (Bundesregierung 2007: 176). Die Wi<strong>der</strong>stände gegen integrationspolitische<br />

Maßnahmen sind offensichtlich dort am stärksten, wo es um strukturelle Verän<strong>der</strong>ungen<br />

geht: etwa bei <strong>der</strong> interkulturellen Öffnung des öffentlichen Dienstes durch die Einstellung von<br />

Migranten, bei <strong>der</strong> Steigerung des Migrantenanteils in den Parlamenten.<br />

Die auf unverbindlichen Selbstverpflichtungen beruhenden Bekundungen des Nationalen Integrationsplans<br />

bergen auch die Gefahr, dass die Kluft zwischen dem öffentlichen Diskurs und <strong>der</strong> realen<br />

Politik in <strong>der</strong> Integrationspolitik noch größer und die gesellschaftliche Wirklichkeit ausgeblendet<br />

wird.<br />

„Im politischen Diskurs setzt sich ... ein assimilatorisch gefärbter Integrationsdiskurs durch, <strong>der</strong> von<br />

den wirtschaftlichen Erfor<strong>der</strong>nissen und sozialen Realitäten weitgehend abgelöst ist. Im Zuge <strong>der</strong><br />

Ausglie<strong>der</strong>ung aus den sozialen Systemen werden schwächere Einwan<strong>der</strong>ergruppen marginalisiert<br />

und es wird ihnen erschwert, sich in das soziale, politische und ökonomische System zu<br />

inkludieren“ (Thränhardt 2007).<br />

Damit wächst zugleich die Anfälligkeit für populistische Inszenierungen und Moralpaniken.<br />

Fazit: In vielen kommunalen Politikfel<strong>der</strong>n werden Beteiligung und bürgerschaftliches Engagement<br />

als wichtige Integrationschance begriffen (vgl. Beauftragte <strong>der</strong> Bundesregierung 2007: 114ff.; Bundesregierung<br />

2007: 173ff.). Wie die vorbildliche Praxis in einzelnen Kommunen zeigt, bietet<br />

umfassende und systematisch unterstützte Partizipation enorme Integrationspotentiale. Dies gilt<br />

beson<strong>der</strong>s für eine alltägliche Integrationspraxis in verschiedenen Bereichen <strong>der</strong> kommunalen Daseinsvorsorge.<br />

Die Beteiligungspraxis ist jedoch von erheblichen Restriktionen (verwehrter Bürgerstatus, institutionelle<br />

Diskriminierungen etc.) und Unzulänglichkeiten (by invitation only etc.) geprägt. Ihre<br />

Potentiale sind noch weitgehend ungenutzt. „Alles in allem besitzt die Kommunalpolitik einen unschätzbaren<br />

Standortvorteil im Ausgleich für die relative Machtlosigkeit im staatlichen<br />

Institutionengefüge: Vor Ort ist es möglich, Probleme trefflich zu analysieren und mit den Beteiligten<br />

kleinzuarbeiten“ (Scheffer 1998: 779).<br />

Eine grundlegende, institutionell garantierte Aufwertung <strong>der</strong> lokalen Partizipation von Migranten ist<br />

nicht in Sicht. Dafür sorgen auch die ‚großen‘ nationalen Diskurse über Zuwan<strong>der</strong>ung, die bislang<br />

nicht darauf angelegt sind, die bürgerrechtlichen Einschränkungen und Beteiligungsbarrieren für<br />

Menschen ohne deutschen Pass abzubauen. Diese demokratische Herausfor<strong>der</strong>ung bleibt auf<br />

nationaler Ebene unbeantwortet (vgl. Schoch 2001). „In einer Gesellschaft, in <strong>der</strong> Menschen mit<br />

einem Migrationshintergrund einen immer größeren Anteil ausmachen, in <strong>der</strong> in manchen Großstädten<br />

die ‚Mehrheitsgesellschaft’ in verschiedenen Quartieren bereits in <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heit ist,<br />

entstehen ohne die Mitwirkung <strong>der</strong> MigrantInnen demokratiefreie Zonen. Das kann und darf sich<br />

die Bundesrepublik nicht leisten“ (Keltek 2006: 21).<br />

Der Rückblick stärkt die Hoffnung, dass die nun auch auf Bundes- und Landesebene stärker gewordene<br />

Bereitschaft zu einer aktiven Integrationspolitik aus jener Sackgasse führt, in die sich<br />

Deutschland in den <strong>zur</strong>ückliegenden Jahrzehnten manövriert hatte. So stellte ein Beobachter noch<br />

zu Beginn des Jahrzehnts fest: „Die Weigerung <strong>der</strong> Schweizer und <strong>der</strong> Deutschen, eine aktive Integrationspolitik<br />

zu entwickeln und Migranten zu Bürgern zu machen, hatte nur genau jene<br />

Konsequenzen, welche die Befürworter dieser Politik vermeiden wollten: Migranten selbst <strong>der</strong>


Kopfzeile | Seite 33<br />

zweiten und dritten Generation in diesen Län<strong>der</strong>n identifizieren sich auch Jahrzehnte nach <strong>der</strong>en<br />

Ankunft mit ihrer Heimatnation und Ursprungskultur und agieren als Mitglie<strong>der</strong> dieser Nation, anstatt<br />

einen konstruktiven Beitrag zum demokratischen Prozess <strong>der</strong> Schweiz und Deutschlands zu<br />

leisten“ (Koopmans 2001: 111). Die auf bürgerschaftliches Engagement und Migrantenselbstorganisation<br />

gerichteten lokalen Partizipationsangebote haben daher den Charakter einer „Integration<br />

durch die Hintertür“ (Berger et al. 2004), weil „<strong>der</strong> kürzeste Weg <strong>zur</strong> Integration – politische Partizipation“<br />

24 nur zögerlich beschritten wird.<br />

Immerhin hat die alternative Perspektive, Bürgerschaft – gerade auch für Zuwan<strong>der</strong>er – von <strong>der</strong><br />

kommunalen Ebene aus neu zu denken und eine lokale Bürgerschaft („local citizenship“) auszugestalten,<br />

die für alle Einwohner einer Gemeinde gilt, in den letzten Jahren Fürsprecher gewonnen<br />

(z.B. Friedmann 2002: 284ff.). Sie reichen bis zu dem Vorschlag, die Einbürgerung von Migranten<br />

lokal zu organisieren und den Bürgerstatus auf aktive Teilhabe zu gründen. Eine umfassend partizipativ<br />

verstandene lokale Selbstverwaltung, die unter dem Stichwort ‚Bürgerkommune‘ seit mehr<br />

als einem Jahrzehnt erprobt wird, könnte zum „Königsweg <strong>der</strong> Integration“ werden (Hoffmann-<br />

Axthelm 2004: 157), wenn es gelingt, Beteiligungsmöglichkeiten gerade auch für ‚partizipationsferne‘<br />

Gruppen zu entwickeln und auszubauen. Dies erfor<strong>der</strong>t die beson<strong>der</strong>e Unterstützung von<br />

Migranten und ihren Vereinigungen, die in ein erst noch zu etablierendes, umfassendes kommunales<br />

„Partizipationsmanagement“ (vgl. Holtkamp et al. 2006) einzubetten wäre. Ohne garantierte<br />

politische Bürgerrechte für Zugewan<strong>der</strong>te wird dies allerdings nicht zu verwirklichen sein. Die Aufwertung<br />

von Migrantenorganisationen und bürgerschaftlichem Engagement könnte immerhin dazu<br />

beitragen, die Bereitschaft hierfür in <strong>der</strong> einheimischen Bevölkerung und im politischen Prozess zu<br />

stärken.<br />

7 <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> durch bürgerschaftliches<br />

Engagement 25<br />

„How can we become a citizen culture, a country whose inhabitants think it normal,<br />

right and even pleasurable to be concerned with and actively involved in public affairs?<br />

…And by public affairs is not just meant the relationships of inhabitants to the state and government,<br />

but also to all those institutions intermediate and mediating between the individual and the<br />

state which we call civil society…” (Crick 2001: 1).<br />

Bernard Crick fasst prägnant die demokratischen Ambitionen von Engagementpolitik zusammen.<br />

Dass sie in Frageform und als Aufgabe formuliert sind, verweist auf Barrieren, die es zu überwinden<br />

gilt. Bürgerschaftliches Engagement wird zwar weithin geschätzt, seine demokratiepolitische<br />

Bedeutung ist jedoch umstritten. In einer eher konservativen Sicht wird es in die vorpolitische<br />

Sphäre gemeinwohlorientierten Handelns verbannt und dort als subsidiär betrachtet, d.h. eine engagierte<br />

Bürgerschaft ersetzt o<strong>der</strong> entlastet staatliches Handeln und sorgt für den nötigen<br />

gesellschaftlichen Zusammenhalt (von <strong>der</strong> Leyen/Schäuble 2009). Leitbil<strong>der</strong> dieser Sichtweise sind<br />

24<br />

So das Veranstaltungsmotto <strong>der</strong> LAGA (Landesarbeitsgemeinschaft <strong>der</strong> kommunalen Migrantenvertretungen) in<br />

NRW von 2002.<br />

25 Dieser Abschnitt fasst Ergebnisse eines Beitrags zusammen, <strong>der</strong> mit dem Titel „Engagementför<strong>der</strong>ung als<br />

<strong>Demokratie</strong>politik – Besichtigung einer Reformbaustelle“ in einem von Ansgar Klein, Thomas Olk und Birger<br />

Hartnuß editierten Band über „Engagementpolitik. Die Entwicklung <strong>der</strong> Zivilgesellschaft als politische Aufgabe“<br />

2009 im VS Verlag erscheinen wird.


Kopfzeile | Seite 34<br />

das Vereinswesen und das Ehrenamt. Die engere Zone <strong>der</strong> Politik bleibt fest in <strong>der</strong> Hand von politischen<br />

Eliten, die sich vor allem in <strong>der</strong> Wahlkonkurrenz auszuweisen und zu bewähren haben,<br />

aber ansonsten „für“ die Bürgerinnen und Bürger agieren und diese von eigenem politischem Engagement<br />

entlasten. Stärker im linken Spektrum wird Engagementpolitik wesentlich als<br />

<strong>Demokratie</strong>politik verstanden. „Mehr <strong>Demokratie</strong> wagen“, Empowerment von Bürgerinnen und<br />

Bürgern, die Demokratisierung von Institutionen und Lebensbereichen, eine verän<strong>der</strong>te Staatlichkeit,<br />

die Demokratisierung repräsentativer <strong>Demokratie</strong>n durch direkt-demokratische Formen sind in<br />

dieser Perspektive wesentliche Orientierungen für eine nachhaltige Engagementpolitik. Engagierte,<br />

aktive Bürgerinnen und Bürger und ihre Zusammenschlüsse werden als Voraussetzung und Kraftquelle<br />

demokratischer Gemeinwesen wie<strong>der</strong>entdeckt. Ihre Leitbil<strong>der</strong> sind Bürgerinitiativen und<br />

neue soziale Bewegungen. Angestrebt wird ein Umbau bzw. eine Erweiterung liberaler <strong>Demokratie</strong>n<br />

in Richtung Bürgerdemokratie („citizen democracy“), in <strong>der</strong> wesentliche<br />

Lebenszusammenhänge in die Reichweite einer aktiven Bürgerschaft gebracht werden. Dies setzt<br />

eine Rücknahme repräsentativer Alleinvertretungsansprüche und von Parteienprivilegien voraus.<br />

Auch die öffentliche Verwaltung kann sich nicht mehr ausschließlich an den Vorgaben <strong>der</strong> politischen<br />

Spitze orientieren, son<strong>der</strong>n muss die Bürger selbst als Auftraggeber, Mitgestalter und<br />

Koproduzenten mit ins Boot holen. Engagementpolitik ist somit in wesentlichen Komponenten mit<br />

dem Ziel einer <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> kompatibel, ohne damit identisch zu sein.<br />

Wer sich mit realen Zivilgesellschaften auseinan<strong>der</strong>setzt und das dort versammelte Engagement<br />

auf seine <strong>Demokratie</strong>verträglichkeit hin überprüft, wird zu dem Ergebnis kommen, dass<br />

das Verhältnis von bürgerschaftlichem Engagement und <strong>Demokratie</strong> keineswegs eindeutig ist.<br />

Lebendige Zivilgesellschaften gibt es auch ohne <strong>Demokratie</strong> (wie z.B. im deutschen Kaiserreich)<br />

und aktuelle Zivilgesellschaften sind zuweilen mit Gruppen bevölkert, denen – wie z.B. rechtsextremen<br />

Kameradschaften - jegliche demokratische Ambition abgeht, selbst dann wenn sie<br />

Hüpfburgen für die Dorfkin<strong>der</strong> aufbauen. 26 Positive, sich wechselseitig verstärkende Verknüpfungen<br />

von Engagement und <strong>Demokratie</strong> sind dann am wahrscheinlichsten, wenn<br />

- zivilgesellschaftliche Vereinigungen weitgehend demokratischen bzw. demokratieför<strong>der</strong>lichen<br />

Normen verpflichtet sind und eine Sphäre <strong>der</strong> „Zivilität“ begründen, in <strong>der</strong> das Alltagsverhalten von<br />

gegenseitigem Respekt und Toleranz geprägt ist,<br />

- Politik möglichst auf umfassende demokratische Beteiligung setzt und <strong>der</strong> engagierten Bürgerschaft<br />

Gestaltungsräume überlässt,<br />

- engagementpolitische Optionen bestehende Ungleichheiten in den Engagementchancen korrigieren<br />

und eine möglichst egalitäre Beteiligung ermöglichen,<br />

- Engagement in ein breites Spektrum institutionell garantierter und klug darauf abgestimmter, demokratischer<br />

Handlungsformen eingebettet sind und<br />

- die Austauschbeziehungen mit den an<strong>der</strong>en Gesellschaftsbereichen (Staat, Ökonomie, Gemeinschaften<br />

etc.) den Eigensinn <strong>der</strong> Zivilgesellschaft nicht beschädigen, son<strong>der</strong>n respektieren und<br />

för<strong>der</strong>n.<br />

Für eine auf die Stärkung von demokratischen Gestaltungsmöglichkeiten angelegte Engagementpolitik<br />

ergeben sich aus diesen Vorüberlegungen einige Hinweise:<br />

1. Nicht jede Engagementför<strong>der</strong>ung ist auch demokratieverträglich o<strong>der</strong> gar<br />

demokratiestärkend. Dabei geht es nicht um gute Absichten, son<strong>der</strong>n um die realen Effekte. Die<br />

ungleiche Verteilung von individuellen Ressourcen, institutionellen Zugängen und Beteiligungserfahrungen<br />

gilt es stets - in korrigieren<strong>der</strong> Absicht - zu berücksichtigen, soll Engagementför<strong>der</strong>ung<br />

26<br />

Eine ausführliche Auseinan<strong>der</strong>setzung mit diesen dunklen Seiten <strong>der</strong> Zivilgesellschaft habe ich an an<strong>der</strong>er Stelle<br />

versucht (s. Roth 2004).


Kopfzeile | Seite 35<br />

nicht <strong>zur</strong> weiteren Privilegierung <strong>der</strong> ohnehin politisch Aktiven und Durchsetzungsfähigen führen.<br />

Ohne entsprechende Korrektive führt Engagementför<strong>der</strong>ung „naturwüchsig“ zu mehr politischer<br />

Ungleichheit, die den angestrebten demokratischen Zugewinn durch Beteiligung aufzuzehren<br />

droht.<br />

2. Die demokratische Substanz des Engagements muss in und von den Assoziationen <strong>der</strong> Zivilgesellschaft<br />

selbst erzeugt werden. An<strong>der</strong>s als in Pluralismustheorien häufig unterstellt, die Prozesse<br />

in <strong>der</strong> Zivilgesellschaft analog zum Marktgeschehen denken, ist die demokratische Qualität nicht<br />

das Ergebnis einer unsichtbaren Hand, die aus dem Zusammenspiel von egoistischen Interessenverbänden,<br />

bornierten Vereinen und autoritären o<strong>der</strong> exklusiven Vereinigungen automatisch<br />

demokratischen Nutzen erwachsen lässt.<br />

3. Auch das demokratische Potential zivilgesellschaftlicher Assoziationen ist in hohem Maße abhängig<br />

von Erfahrungen und Einstellungen, die sie nicht selbst erzeugen können, son<strong>der</strong>n in<br />

Gemeinschaften, in staatlichen Institutionen und in <strong>der</strong> Wirtschaft zirkulieren (o<strong>der</strong> auch nicht).<br />

4. Engagementpolitik ist so anzulegen, dass <strong>der</strong> Eigensinn zivilgesellschaftlicher Assoziationen<br />

(freiwillig, selbstgewählt, ohne Erwerbszweck etc.) gewahrt wird. Versuche, sie „von oben“ und<br />

„von außen“ zu formatieren o<strong>der</strong> gar herzustellen, dürften gegenläufige Nebenwirkungen hervorbringen<br />

und keine dauerhafte o<strong>der</strong> allenfalls destruktuve Prägekraft besitzen.<br />

5. Wie auch in an<strong>der</strong>en Lebensbereichen sollte für Engagementpolitik als erste Maxime gelten,<br />

keinen Schaden zu stiften („do no harm!“). Zweitens muss es stets darum gehen, Beteiligungsbarrieren<br />

abzusenken, die ansonsten Engagement zum Exklusivgut <strong>der</strong> Bessergestellten und –<br />

gebildeten werden ließen. Drittens muss Engagementför<strong>der</strong>ung selbst in ihren Methoden und Anreizen<br />

demokratische Normen verkörpern. Viertens kann Engagementpolitik nur erfolgreich sein,<br />

wenn sie einen realen Zugewinn an Gestaltungsmöglichkeiten für die Beteiligten versprechen<br />

kann.<br />

Wie politisch ist das Engagement. Ein staatsfixiertes Politikverständnis taugt wenig, um aktuelle<br />

Formen des politischen Engagements zu erfassen. Vor allem die neuen sozialen Bewegungen<br />

haben systematisch zu einer Politisierung vormals „unpolitischer“ Bereiche beigetragen (Geschlechterverhältnis,<br />

Technikwahl, Naturverhältnis, Konsumstile etc.) und damit das Feld<br />

demokratischer Gestaltungsansprüche ausgeweitet. Hier sei nur exemplarisch auf zwei neuere<br />

Themenfel<strong>der</strong> verwiesen:<br />

- Die Schnittfläche von Zivilgesellschaft und Unternehmen hat in jüngster Zeit erheblich an politischer<br />

Dynamik gewonnen. Einerseits verpflichten sich Unternehmen mehr o<strong>der</strong> weniger freiwillig<br />

und folgenreich, „gute Bürger“ zu sein (Corporate Citizenship, Corporate Social Responsibility etc.)<br />

und müssen sich in <strong>der</strong> Folge auch an diesen Maßstäben messen lassen. Ob diese, zunächst mit<br />

wachsenden Erwartungen verbundene Unternehmenspraxis die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise<br />

überleben wird und sogar als Strategie einen weiteren Aufschwung erfährt, die das verlorene<br />

Vertrauen von Kunden und Konsumenten <strong>zur</strong>ückzugewinnen hilft, lässt sich noch nicht absehen.<br />

Zum an<strong>der</strong>en sind „aktive Konsumenten“ zu einem ernstzunehmenden Akteur geworden, die durch<br />

ethisch-politisch motivierte Kaufentscheidungen je nach Branche erheblichen Druck entfalten können.<br />

Ohne die Bedeutung dieser „Politik mit dem Einkaufswagen“ (Baringhorst u.a. 2007)<br />

überzeichnen zu wollen, gingen von ihr in den letzten Jahren deutlich mehr regulative Impulse aus,<br />

die Unternehmen auf ethische Maßstäbe verpflichteten, als etwa von Regierungen.<br />

- Selbsthilfegruppen, Protestbewegungen und Alternativszenen haben über die Jahre die Institutionen<br />

und Etappen des Lebenslaufs zumindest in dem Sinne politisiert, dass Alternativen<br />

eingefor<strong>der</strong>t werden und möglich sind. Dies beginnt bei <strong>der</strong> Pränataldiagnostik, gilt für die Geburt,<br />

die Varianten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>erziehung und vieles an<strong>der</strong>e mehr, aber auch für den Umgang mit Krankheiten,<br />

mit Alter und Sterben. Hospizinitiativen bemühen sich um menschenwürdige Formen, den


Kopfzeile | Seite 36<br />

letzten Lebensabschnitt zu gestalten. Brustkrebs-Initiativen for<strong>der</strong>n einen an<strong>der</strong>en Umgang mit<br />

dieser todbringenden Krankheit. Die Schwulenbewegung hat in <strong>der</strong> Bundesrepublik erheblich dazu<br />

beigetragen, dass sich seuchenpolizeiliche Ansätze im Umgang mit AIDS nicht durchsetzen konnten.<br />

Die Liste <strong>der</strong> Beispiele ließe sich lange fortsetzen. Gemeinsam ist ihnen, dass mal mehr, mal<br />

weniger offensiv institutionell eingespielte Formen <strong>der</strong> Behandlung und Verwaltung von Lebenslagen,<br />

sowie die sie tragenden Professionen herausgefor<strong>der</strong>t werden. Der italienische Psychologe<br />

und Soziologe Alberto Melucci hat in diesen herausfor<strong>der</strong>nden alternativen kulturellen Codes sogar<br />

die eigentliche politische Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> zeitgenössischen sozialen Bewegungen gesehen<br />

(Melucci 1996).<br />

In den Freiwilligensurveys finden wir deutliche Spuren dieses erweiterten Politikverständnisses. In<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Debatte werden häufig Spaß und Geselligkeit hervorgehoben, wenn es um die<br />

Erwartungen geht, die vor allem von Jugendlichen mit freiwilligem Engagement verbunden werden.<br />

Offen bleibt dabei, woran die Engagierten eigentlich Spaß haben. Eine genauere Analyse ihrer<br />

Motive bringt interessante Aufschlüsse. Die Aussage „Ich will durch mein Engagement die Gesellschaft<br />

zumindest im Kleinen mitgestalten“ findet bei zwei Dritteln <strong>der</strong> freiwillig Engagierten volle<br />

Zustimmung. „Wenigstens teilweise wird dieses Motiv sogar von fast allen Engagierten angegeben“<br />

– nämlich von 95 % (Gensicke/Geiss 2006: 322). Selbst im größten und vergleichsweise<br />

politikfernen Bereich Sport und Bewegung erheben noch 59 % <strong>der</strong> Engagierten voll und ganz diesen<br />

Anspruch.<br />

„Erstaunlich ist aber auch, dass fast die Hälfte des Engagements <strong>der</strong> Bürgerinnen und Bürger (wenigstens<br />

teilweise) politisch gemeint ist (48 %). Mit einem Fünftel <strong>der</strong> Engagierten, die ihr<br />

Engagement sogar voll und ganz als politisch motiviert einstufen (absolut 7, 5 % <strong>der</strong> Bevölkerung),<br />

ist <strong>der</strong> Prozentsatz deutlich höher als <strong>der</strong> jener 2,5 %, die sich selbst als freiwillig für politische<br />

Zwecke engagiert eingestuft haben“ (Gensicke/Geiss 2006: 323f.).<br />

Die Distanz junger Menschen <strong>zur</strong> konventionellen Politik ist (noch) nicht auf ein allgemeines politisches<br />

Desinteresse <strong>zur</strong>ückzuführen o<strong>der</strong> auf eine mangelnde Bereitschaft zum freiwilligen<br />

Engagement. Die Kluft <strong>zur</strong> konventionellen Politik ist vielmehr Ergebnis einer wahrgenommenen<br />

Distanz, fehlen<strong>der</strong> Kommunikation und Einflusslosigkeit, die in <strong>der</strong> Konsequenz eher unkonventionelle<br />

und gemeindebezogene Formen <strong>der</strong> Einflussnahme nahe legt. Ohne institutionelle Reformen,<br />

die neue Wege <strong>der</strong> Beteiligung ermöglichen, und den Ausbau von Engagementmöglichkeiten, die<br />

eigensinnige Gestaltungsmöglichkeiten erlauben, wird die Kluft <strong>zur</strong> konventionellen Politik nicht<br />

kleiner werden 27 .<br />

<strong>Demokratie</strong>för<strong>der</strong>nde Dimension des bürgerschaftlichen Engagements. Wenn „Mitgestalten im<br />

Kleinen“ als das stärkste Motiv für bürgerschaftliches Engagement angesehen wird, geht es um die<br />

Ausgestaltung solcher Möglichkeiten, um entsprechende „Passungen“. Wer sich beteiligt, will mitbestimmen.<br />

Hier liegen auch wesentliche Barrieren für traditionelle Großorganisationen, nicht<br />

zuletzt für die politischen Parteien (vgl. Mielke 2007), dieses Engagementpotential anzuziehen. Ihr<br />

Rollenangebot an Mitglie<strong>der</strong> und <strong>zur</strong> Mitwirkung bereite Menschen ist in <strong>der</strong> Regel eher bescheiden<br />

ausgestattet. Die Gestaltungsansprüche <strong>der</strong> freiwillig Engagierten stellen deshalb eine<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung für Institutionen (an ihr Personal, an ihre Routinen und Arbeitsteilung) dar, die<br />

bürgerschaftliches Engagement mobilisieren wollen 28 . Statt sich dieser Zumutung zu stellen, ist es<br />

27 John Gastil (2008) hat eine eindrucksvolle Palette von Möglichkeiten am Beispiel <strong>der</strong> USA zusammen getragen. Im<br />

Zentrum steht die Überzeugung: „Conversation is the soul of democracy“. Die aus <strong>der</strong> Werbebranche adaptierten Public<br />

Relation Strategien, die heute die öffentliche politische Kommunikation vielfach prägen, ist als Propaganda das Gegenteil<br />

einer auf Verständigung orientierten deliberativen Praxis – zum Siegeszug von PR vgl. Miller/Dinan 2008.<br />

28 Dies wird bei <strong>der</strong> Lektüre des umfangreichen Handbuchs zum Qualitätsmanagement für bürgerschaftliches Engagement<br />

bei <strong>der</strong> Arbeiterwohlfahrt deutlich (GOS 2007).


Kopfzeile | Seite 37<br />

wesentlich einfacher, auf subalterne Hilfskräfte (wie ABM- und MAE-Beschäftigte) zu setzen und<br />

ansonsten über nachlassendes Engagement zu klagen. Wie sehr Gestaltungschancen zählen,<br />

lässt sich z.B. an <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Attraktivität von jugendgeführten Organisationen („youth led organizations“)<br />

verdeutlichen, die sich schon aus biografischen Gründen ständig neu erfinden<br />

müssen und damit je<strong>der</strong> neuen Aktivengeneration ein Maximum an Gestaltungsmöglichkeiten bieten<br />

können. Während sich in den USA „youth led organizations“ um „harte“ Themen wie Drogen<br />

und Gewalt kümmern und gesellschaftliche Anerkennung finden (Kim/Sherman 2006), fehlt es in<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik noch weithin an entsprechen<strong>der</strong> Wertschätzung und För<strong>der</strong>ung, obwohl es<br />

durchaus Organisationen gibt, die Jugendliche nicht mit symbolischen und spielerischen Formen<br />

<strong>der</strong> Beteiligung abspeisen, son<strong>der</strong>n anspruchsvolle Projekte realisieren 29 .<br />

Engagementpolitischer Reformbedarf. Ohne eine demokratiepolitische Öffnung <strong>der</strong> Kerninstitutionen<br />

wird Bürgerengagement randständig bleiben. Dies ist z.B. die Botschaft <strong>der</strong> intensiven Debatte<br />

über die „innere“ und „äußere Öffnung“ von Schulen als praktischer Voraussetzung für eine auf<br />

Engagement gestimmte Schulkultur (vgl. Evers 2002; Hartnuß 2007).<br />

Für die Wohlfahrtsverbände wurden schon vor Jahren entsprechende Leitsätze formuliert, die<br />

nichts an Aktualität verloren haben:<br />

„Freiwilliges Engagement kontrolliert und korrigiert (reguliert) einen überbürokratischen, überregulierten<br />

und überprofessionellen Wohlfahrtsstaat... Freiwilliges Engagement gedeiht auf Dauer nur<br />

dort, wo Institutionen für ein hohes Maß an Eigeninitiative und Engagement offen sind und die Bereitschaft<br />

besteht, Freiwillige unkompliziert in Mitwirkungs- und Verantwortungsstrukturen<br />

einzubinden. Freiwilliges Engagement bedarf <strong>der</strong> Anerkennung. Die wichtigste Form <strong>der</strong> Anerkennung<br />

ist es, freiwilliges Engagement nicht mehr als ‚fünftes Rad am Wagen’ anzusehen, son<strong>der</strong>n<br />

es als konstitutiv für eine offene, demokratisch organisierte und vom Gestaltungswirken <strong>der</strong> Bürger<br />

getragene Gesellschaft anzuerkennen“ (Zinner 1999: 369).<br />

Wer sich heute engagiert, will sich in die eigenen Verhältnisse einmischen und nicht als subalterne<br />

Hilfskraft verkümmern. Mögliche Umrisse einer anspruchsvollen Engagementför<strong>der</strong>ung in demokratischer<br />

Absicht sind detailliert im Bericht <strong>der</strong> Enquete-Kommission des Bundestags „Zukunft des<br />

Bürgerschaftlichen Engagements“ (2002) skizziert worden. Bürgerschaftliches Engagement ist<br />

demnach eine Ressource, die (auch) durch staatliche Politik gehegt und vermehrt werden kann,<br />

indem die individuellen Voraussetzungen und Anreize für Engagement verbessert (Bürgerrechte,<br />

Lernchancen, Absicherungen, Nachteilsausgleich, Ermöglichung, Anerkennung etc.), gemeinschaftliche<br />

Handlungsmöglichkeiten geför<strong>der</strong>t (Vereinsrecht, Gemeinnützigkeit, Vernetzung,<br />

Empowerment, Infrastrukturför<strong>der</strong>ung etc.) und die Öffnung zentraler ökonomischer gesellschaftlicher<br />

und politischer Institutionen für Engagementbereite vorangetrieben wird (z.B. corporate<br />

citizenship, demokratische Schulen, beteiligungsorientierte Gesetze, Programme und Verwaltungen).<br />

Engagementpolitik gewinnt ihr spezifisches Profil durch das Zusammenspiel von solchen<br />

individuellen, kollektiven und institutionellen Ermöglichungsstrategien. Auch nach dem UN-Jahr <strong>der</strong><br />

Freiwilligen (2001) und dem Abschluss <strong>der</strong> Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen<br />

Engagements“ kann von einer integrierten Engagementpolitik in <strong>der</strong> Bundesrepublik nicht geredet<br />

werden. Immerhin ist es gelungen, einige institutionelle Fixpunkte zu schaffen (vor allem das Bundesnetzwerk<br />

Bürgerschaftliches Engagement, ein Unterausschuss Bürgerschaftliches<br />

Engagement im Bundestag und entsprechende Arbeitsgruppen und Initiativen im BMFSFJ), die die<br />

Hoffnung nährten, dem Wunschkonzert <strong>der</strong> Enquete könnten Taten folgen. Die vorliegenden Zwi-<br />

29 Ein eindrucksvolles Beispiel bietet <strong>der</strong> Verein „Schüler helfen Leben“, <strong>der</strong> bereits seit 1992 Unterstützungsprojekte<br />

in den kriegszerstörten Län<strong>der</strong>n von Ex-Jugoslawien durch Kampagnen wie den Sozialen Tag ermöglicht (zu den damit<br />

verbundenen Lernchancen vgl. Roth/Lang 2007).


Kopfzeile | Seite 38<br />

schenbilanzen (Bürsch 2008; Dettling 2008; Embacher/Lang 2008; Olk 2008) fallen ambivalent<br />

aus. Hilfreiche Fortschritte im Kleinen, ausgebliebener Erfolg im Großen, dürfte die Stimmungslage<br />

am besten kennzeichnen. Gerade die großen Reformen („Agenda 2010“, Fö<strong>der</strong>alismusreform,<br />

Gesundheitsreform etc.) und die seit Mitte 2008 angesagte Krisenpolitik sind durch einen fast vollständigen<br />

Verzicht auf die Mobilisierung bürgerschaftlichen Engagements und demokratischer<br />

Mitgestaltung geprägt. Stattdessen droht die Abwrackprämie <strong>zur</strong> krisenpolitischen Botschaft zu<br />

werden, für die charakteristisch ist, dass sie die Bürgerinnen und Bürger nur in ihrer Konsumentenrolle<br />

anspricht. Die parallelen bürgerschaftlichen Mobilisierungen in den USA, die mit <strong>der</strong><br />

Kandidatur und Präsidentschaft Barack Obamas verbunden sind, verdeutlichen, dass es Alternativen<br />

gibt.<br />

<strong>Demokratie</strong>politische Herausfor<strong>der</strong>ungen. Gemeinsamer Nenner von <strong>Demokratie</strong>politik ist die Annahme,<br />

dass es demokratieför<strong>der</strong>liche Gestaltungsoptionen in <strong>der</strong> Wahl politischer Verfahren und<br />

Institutionen gibt, die auf verän<strong>der</strong>te gesellschaftliche Anfor<strong>der</strong>ungen, Proteste, Gestaltungsansprüche<br />

und Bedürfnisse antworten. Sie ist angemessen nur als Mehrebenenansatz zu<br />

konzipieren. Ihr Leitbild ist eine starke bzw. gestärkte <strong>Demokratie</strong>, die sich u.a. daran ausweist, wie<br />

weit es gelingt,<br />

- Bürgerrechte und Teilhabegarantien zu stärken,<br />

- eine möglichst breite Palette demokratischer Verfahren und Formen zu etablieren, die sich<br />

wechselseitig stärken und nicht blockieren,<br />

- demokratische Gestaltungsspielräume in möglichst allen Lebensbereichen zu erhalten bzw.<br />

zu eröffnen,<br />

- Empowerment für bislang politisch und sozial randständige gesellschaftliche Gruppen zu<br />

betreiben und dadurch die soziale und politische Inklusion zu steigern und<br />

- die Beschränkung von demokratischer Beteiligung auf nachrangige politische Ebenen und<br />

Politikbereiche aufzubrechen.<br />

Dazu kann Engagementpolitik einen Beitrag leisten und damit <strong>zur</strong> <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong><br />

beitragen..<br />

8 Instrumente und Verfahren<br />

Ein Blick in die einschlägige internationale Literatur (z.B. Hirst/Khilnani 1996; Europarat 2004;<br />

Gastil/Levine 2005; Smith 2005; Gastil 2008; Goodin 2008; Kersting 2008) zeigt, dass die <strong>Vitalisierung</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> durch die Erprobung einer Vielzahl neuer, teils wie<strong>der</strong>entdeckter, teils<br />

erweiterter Formen <strong>der</strong> Beteiligung in vollem Gange ist. Keine dieser neuen (und älteren) Formen<br />

bedeutet per se einen Frontalangriff auf die repräsentativen Grundfesten westlicher <strong>Demokratie</strong>n,<br />

d.h. we<strong>der</strong> Wahlen noch Parteien o<strong>der</strong> Parlamente sollen abgeschafft und durch an<strong>der</strong>e demokratische<br />

Modelle gänzlich ersetzt werden. Jedenfalls sind programmatische Abwehrhaltung, nur<br />

„Representation is Democracy“ (Plotke 1997), seltener geworden. Die meisten Vorschläge verstehen<br />

sich vielmehr als notwendige o<strong>der</strong> wünschbare Ergänzungen, die zu einer Verbesserung und<br />

Vertiefung liberaler <strong>Demokratie</strong>n beitragen sollen 30 . Längst ist ein entsprechen<strong>der</strong> Markt entstanden.<br />

„Die Anzahl neuer Beteiligungsinstrumente ist mannigfaltig. Beratungsfirmen neigen dazu, ihr<br />

eigenes Instrument neu zu erfinden. Häufig werden ähnliche Ansätze unter an<strong>der</strong>en Labels neu<br />

vermarktet. Zum Teil werden nur Nuancen verän<strong>der</strong>t. Um das geistige Eigentum zu schützen, wer-<br />

30 Diese Sichtweise wird von einigen konservativen Vertretern des Faches in <strong>der</strong> Bundesrepublik allerdings nicht geteilt.<br />

Mit <strong>der</strong> Suche nach mehr Bürgerbeteiligung verbindet sich für sie die Gefahr einer „Hyperdemokratie“, die den<br />

Boden liberaler <strong>Demokratie</strong>n verlassen habe (vgl. Zittel 2008).


Kopfzeile | Seite 39<br />

den eigene Trademarks entwickelt (s. Deliberative Poll). Zum Teil werden Verfahren verknüpft und<br />

hierüber neu entwickelt“ (Kersting 2008: 28).<br />

Ihre Verbreitung wird als notwendig angesehen, weil es darum geht, die wachsende Kluft zwischen<br />

den institutionellen Praktiken <strong>der</strong> „konventionellen“ Parteiendemokratie einerseits und zivilgesellschaftlichen<br />

(vormals „unkonventionellen“) Formen <strong>der</strong> politischen Beteiligung zu verkleinern (so<br />

Kersting 2008: 11). Die präsentierten Modelle und Innovationen liegen in dieser Brückenfunktion<br />

einmal näher am Ufer <strong>der</strong> konventionellen Politik, ein an<strong>der</strong>es Mal lagern sie näher am unkonventionellen<br />

Ufer <strong>der</strong> Bürgerinitiativen und Nichtregierungsorganisationen, <strong>der</strong> Proteste und sozialen<br />

Bewegungen. Sie reichen deshalb von Neuerungen im Bereich <strong>der</strong> repräsentativen Praxis, etwa<br />

durch verstärkte Nutzung neuer Medien in Wahlkämpfen und in <strong>der</strong> Kommunikation mit den Bürgern,<br />

wie sie zuletzt US-Präsident Barack Obama in eindrucksvoller Weise genutzt hat, über<br />

direktdemokratische Verfahren, die zwar bereits zum antiken Kulturgut gehörten, aber in den letzten<br />

20 Jahren eine erstaunliche Karriere in vielen westlichen <strong>Demokratie</strong>n erfahren haben, bis zu<br />

diskursiv und interaktiv angelegten Modellen deliberativer Politik, die nicht zuletzt durch die eindrucksvolle<br />

Praxis des Weltsozialforums und seine Ausstrahlung auf regionale und lokale Foren<br />

eine enorme Aufmerksamkeit und Verbreitung gefunden haben.<br />

Eine detaillierte Darstellung <strong>der</strong> Instrumente und Verfahren, die <strong>zur</strong> <strong>Vitalisierung</strong> von <strong>Demokratie</strong><br />

beitragen können und sollen, würde den Rahmen sprengen. Im Green Paper des Europarats<br />

(2005) werden 28 Reformempfehlungen ausgesprochen, wovon sich ein Großteil auf innovative<br />

Verfahren und Modelle bezieht. Graham Smith hat im gleichen Jahr 57 demokratische Innovationen<br />

aus aller Welt zusammengetragen (Smith 2005). In ihrem Handbuch über deliberative<br />

<strong>Demokratie</strong> versammeln John Gastil und Peter Levine (2005) ausführlich 17 verschiedene Zugänge<br />

dieser Reformrichtung, in einer jüngeren deutschen Publikation werden 13 dialogorientierte<br />

Instrumente präsentiert und zugleich mit Qualitäts- bzw. Evaluationskriterien versehen (Kersting<br />

2008). Eine vergleichende Synopse ist schwierig, weil es zu viele Differenzierungsangebote für<br />

Formen <strong>der</strong> politischen Beteiligung gibt (vgl. Kersting 2008: 20 ff.). Für eine Bewertung ihrer<br />

Reichweite, Qualität und Übertragbarkeit fehlt es zumeist an soliden Evaluationen – zumindest gibt<br />

es bislang keinen Versuch, das auch in dieser Dimension möglicherweise vorhandene Wissen<br />

zusammenzutragen.<br />

Einige Innovationen werden in nahezu allen Bänden abgehandelt. Dies gilt vor allem für den Bürgerhaushalt,<br />

<strong>der</strong> von Porto Alegre aus im letzten Jahrzehnt einen erstaunlichen Siegeszug<br />

angetreten hat. Der Grund ist einfach, denn die partizipative Erarbeitung und Verabschiedung eines<br />

kommunalen Haushalts stellt den weitestgehenden Versuch dar, direkte und partizipatorische<br />

<strong>Demokratie</strong> umfassend zu verwirklichen. Denn es geht dabei nicht nur um Einzelentscheidungen<br />

und abgegrenzte Themen, son<strong>der</strong>n um die finanziell gestützte Festlegung <strong>der</strong> Gesamtpolitik einer<br />

Kommune - ein Feld, das nicht nur in <strong>der</strong> Bundesrepublik explizit von direktdemokratischen Entscheidungen<br />

ausgenommen und ausschließlich den Repräsentativorganen vorbehalten ist. Das<br />

Original von Porto Alegre weist eine Fülle von faszinierenden Details auf, ist es doch z.B. gelungen,<br />

den Prozess <strong>der</strong> Haushaltsplanung so zu organisieren, dass Kin<strong>der</strong> und Jugendliche, selbst<br />

weitgehend illiterate und sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen und Quartiere ihr Votum wirkungsvoll<br />

einbringen konnten (Streck 2006). Auf dem Weg in an<strong>der</strong>e Weltregionen ist nach<br />

schnellen Anfangserfolgen 31 Ernüchterung eingekehrt. Während in Porto Alegre mit diesem In-<br />

31<br />

2008 versuchten sich mehr als 150 Kommunen in Europa an <strong>der</strong> partizipativen Haushaltsplanung – von Sevilla bis<br />

Berlin-Lichtenberg.


Kopfzeile | Seite 40<br />

strument wirklich etwas bewegt werden konnte, erwies es sich an an<strong>der</strong>en Orten als stumpfes<br />

Schwert, nicht zuletzt weil es an disponiblen Ressourcen und lokalen Zuständigkeiten mangelte 32 .<br />

Unter den Innovationen finden sich erstaunlich viele Ansätze, die versuchen, z.B. durch „minipublics“<br />

und „deliberation days“ die Rationalität von Wahlen und die themenbezogene Repräsentativität<br />

von Vertretungskörperschaften und ihren Entscheidungen zu verbessern. Das Gros <strong>der</strong><br />

Bemühungen geht in Richtung unverbindliche konsultative Angebote, die sich möglichst auf aussagekräftige,<br />

intensive diskursive Angebote wie Open Space, Zukunftswerkstatt und World Café,<br />

aber auch auf Planungszelle, Bürgerforum und Bürgerpanel (Klages u.a. 2008) stützen. Einen enormen<br />

Zuwachs finden wir bei den direktdemokratischen Optionen wie z.B. Bürgerbegehren und<br />

Bürgerentscheid 33 . Auch hier sind die großen Erwartungen deutlich <strong>zur</strong>ückgeschraubt worden,<br />

auch wenn die Beurteilung durch Experten dieses Feldes verhalten positiv ausfällt: „Die seit den<br />

1990er Jahren vermehrt eingeführten und angewendeten direktdemokratischen Verfahren bieten<br />

eine effektive Möglichkeit, die politische Beteiligung über die Wahlbeteiligung hinaus auszudehnen.<br />

Initiativrechte bieten Potenziale <strong>der</strong> Agenda-Gestaltung, in <strong>der</strong> Rolle als Entscheidungsträger können<br />

Bürger <strong>zur</strong> Machtkontrolle und zu einer erhöhten Verbindlichkeit beitragen. Die<br />

vergleichsweise hohen Kosten für die Durchführung von Verfahren auf Seiten <strong>der</strong> Bürger wie auf<br />

Seiten <strong>der</strong> Gemeinden lassen es auch bei niedrigen Einstiegshürden unwahrscheinlich erscheinen,<br />

dass die Anzahl <strong>der</strong> Verfahren <strong>der</strong> Anzahl parlamentarischer Entscheidungen nahe kommt“ (Mittendorf/Schiller<br />

2008: 155).<br />

Die Mehrzahl <strong>der</strong> demokratischen Verfahren greift heute auf elektronische Unterstützung <strong>zur</strong>ück.<br />

Das gilt für die klassische repräsentative <strong>Demokratie</strong>, die neuerdings als „electronic democracy“<br />

mit virtuellen Bürgerinformationsdiensten, Internetbefragungen, online Konferenzen, Webforen und<br />

online Wahlen antritt. Auch direktdemokratische Verfahren gehen mit <strong>der</strong> Zeit, werben für elektronisch<br />

gestützte Sachvoten, für die entsprechende Netzseiten angemessen aufbereitete Materialien<br />

bereithalten. Selbst komplexe Quartiersplanungen können heute ins Internet verlagert werden und<br />

finden dort ihr aktives Publikum – wobei es zuweilen, wie deutsche Beispiele zeigen, nicht gelingt,<br />

die Planungsergebnisse für die Entscheidungsträger interessant o<strong>der</strong> gar verbindlich zu machen.<br />

Zur Ausgestaltung, Verbindlichkeit und Qualität von Beteiligungsverfahren tragen rechtliche Regelungen<br />

bei, die verstärkt eingefor<strong>der</strong>t werden. Auf individueller Ebene sind dies z.B.<br />

Informationsfreiheitsgesetze, Verbraucherschutzgesetze und <strong>der</strong> Whistleblower-Schutz. Auf Gruppenebene<br />

schlägt sich dies in Beteiligungsrechten nie<strong>der</strong> (etwa in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugendpolitik) 34 .<br />

Hinzu kommen schwächer institutionalisierte Vertretungsformen (Beauftragte für verschiedene<br />

Bevölkerungsgruppen).<br />

Wenn wir auf das Gefüge wohlorganisierter Interessengruppen in <strong>der</strong> Bundesrepublik schauen,<br />

wird die Dringlichkeit <strong>der</strong> Unterstützung von Zusammenschlüssen „schwacher Interessen“ und <strong>der</strong><br />

För<strong>der</strong>ung von „Themenanwälten“ deutlich. Migrantenselbstorganisationen, jugendgeführte Vereine<br />

(youth led organizations) wie z.B. Schüler Helfen Leben, Betroffenenzusammenschlüsse wie<br />

„People First!“ bedürfen <strong>der</strong> Unterstützung, damit ihre Stimme im Originalton gehört werden kann.<br />

„Schwache Interessen“ leiden in <strong>der</strong> Regel unter einem Vertretungsdefizit. Wo sie auf Unterstützer<br />

32<br />

Das Journal „Eurotopia“ betitelte deshalb sein Themenheft zum Bürgerhaushalt 2008 vorsichtig: „Participatory democracy<br />

at the crossroads“.<br />

33<br />

Zum Ausbau direktdemokratischer Formen auf kommunaler Ebene (Positiv- und Negativkataloge, Quoren,<br />

Zulassungsbedingungen etc.) und darüber hinaus (bis zu den EU-Referenden) gibt es eine aktuelle Übersicht<br />

für die EU-Län<strong>der</strong> (Walter-Rogg 2008), zu internationalen Entwicklungen vgl. IDEA 2008.<br />

34<br />

Erste Evaluationen sprechen für regelmäßige und verpflichtende lokale Dialogtage nach finnischem Vorbild,<br />

wo Kin<strong>der</strong> und Jugendliche das Beteiligungsangebot <strong>der</strong> Stadt bewerten, städtische Gremien Rede und<br />

Antwort stehen und jährliche Fortschrittsberichte für Verbindlichkeit sorgen.


Kopfzeile | Seite 41<br />

treffen, droht ihnen Paternalisierung und Klientelisierung. Die dänische Sozialpolitik hat einen interessanten<br />

Versuch gestartet. Sie unterstützt selbstorganisierte Sozialgruppen, die ihre soziale<br />

Agenda mit Empowermenteffekt selbst bestimmen können 35 .<br />

Die beschriebenen Instrumente und Methoden benötigen Empowerment und Ermöglichung („facilitation<br />

”) durch Mo<strong>der</strong>atoren, Kommunikationslotsen, Mentoren etc., die dazu beitragen, in bisher<br />

beteiligungsarmen Fel<strong>der</strong>n Partizipation zu ermöglichen bzw. vorhandene Partizipationsbarrieren<br />

abzubauen 36 .<br />

Unverbindlich, aber oft ausgesprochen innovativ sind eine Vielzahl von Projekten, Modellprogrammen<br />

und Wettbewerben, die gerade im Bereich <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>entwicklung immer wie<strong>der</strong><br />

aufgelegt werden. Ihre Stärken liegen zumeist im agenda setting und in exemplarischer Praxis, die<br />

neue Standards setzen können. Ihre Nachteile sind ebenfalls deutlich: Sie können we<strong>der</strong> Nachhaltigkeit<br />

noch Breitenwirkung garantieren. Da sie oft parallel zu Regelstrukturen betrieben werden,<br />

bleibt das Problem <strong>der</strong> Übertragbarkeit häufig ungelöst. Es lauert die Gefahr von „Modellruinen“<br />

und einer „Projektitis“, wo häufig wechselnde Projekte positive Entwicklungen eher simulieren als<br />

gestalten.<br />

In <strong>der</strong> Fülle <strong>der</strong> Formate und Optionen droht <strong>der</strong> Blick dafür verloren zu gehen, wie es um <strong>der</strong>en<br />

Kompatibilität und Kombinierbarkeit steht. Kosten- und Zeitstrukturen gehören ebenfalls zu den<br />

wenig beleuchteten Seiten <strong>der</strong> <strong>Vitalisierung</strong>sangebote. Politische Barrieren und Wi<strong>der</strong>stände <strong>der</strong>er,<br />

die kein Interesse an einer potentiell machtverschiebenden <strong>Vitalisierung</strong> haben, bleiben zumeist<br />

unbelichtet und damit auch unbearbeitet.<br />

9 Der demokratische Charme „kleiner“ Gesellschaftsverträge<br />

In einige <strong>der</strong> innovativen Beteiligungsmodelle sind kontraktualistische Elemente eingebaut, d.h. es<br />

werden zu Beginn eines Projekts Verträge geschlossen, die Beteiligungsrechte und Pflichten <strong>der</strong><br />

Beteiligten fixieren. Sie haben sich vor allem in jenen Bereichen ausgebreitet, die mit den beschriebenen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen zu tun haben, für die es (noch) keine verbindlichen Lösungen<br />

gibt. Kontrakte sind eine Form, in <strong>der</strong> Ungewissheiten ausgehandelt werden können, wenn es keine<br />

verbindlichen institutionellen Regelungen und geteilten Erwartungen gibt o<strong>der</strong> diese<br />

Erwartungen unsicher geworden sind.<br />

Ein Blick auf die Vertragstheorien <strong>der</strong> frühbürgerlichen Gesellschaften – von Locke bis Rousseau –<br />

und ihre aktuellen Wie<strong>der</strong>belebungen von Carole Pateman bis T. M. Scanlon macht den genuin<br />

demokratischen Charakter von Gesellschaftsverträgen deutlich. Dies gilt vor allem dann, wenn es<br />

nicht um implizite Gesellschaftsverträge, son<strong>der</strong>n um offen ausgehandelte Rechte und Pflichten<br />

geht. Dass sie gesellschaftliche Ungleichheiten nicht einfach überwinden können und deshalb in<br />

<strong>der</strong> Regel in asymmetrischen Konstellationen verhandelt werden, gilt es dabei ebenso im Blick zu<br />

behalten wie die ausgesparten, stillschweigend vorausgesetzten Elemente <strong>der</strong> Verträge, von den<br />

nicht-kontraktuellen Geltungsbedingungen <strong>der</strong> Verträge ganz abgesehen. Einige wenige Beispiele<br />

mögen die demokratische Produktivität solcher Verträge, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> vorgängigen Vertragsverhandlungen<br />

verdeutlichen:<br />

1. In den letzten Jahren haben sich Kitas in einigen norddeutschen Kommunen Verfassungen gegeben,<br />

die auf einem längeren Aushandlungsprozess zwischen Erzieherinnen, Kin<strong>der</strong>n und Eltern<br />

35<br />

Dadurch sind z.B. eine Wohnungslosengewerkschaft und eine Drogennutzervertretung entstanden.<br />

36<br />

Auswertungen des Programms „Soziale Stadt“, aber auch verschiedene Lokalstudien belegen grundsätzlich diese<br />

Möglichkeit (vgl. Dörner/Vogt 2008: 212).


Kopfzeile | Seite 42<br />

beruhen. In ihnen wird oft bis ins kleinste Detail geregelt, wer von den Beteiligten zu welchem<br />

Thema zu befragen ist, und welche Institutionen und Regelungen geschaffen werden, um die Umsetzung<br />

des Katalogs von Rechten und Pflichten zu garantieren. Es geht dabei um scheinbar so<br />

banale Dinge wie den Speiseplan, Schlafzeiten für die Kin<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Ausflugsziele. Nicht nur für die<br />

Kita-Kin<strong>der</strong> geht es aber um die Gestaltung ihres Kita-Alltags und um das Aushandeln <strong>der</strong> Bedürfnisse<br />

und Anfor<strong>der</strong>ungen, die Erzieher und Eltern in diesen Alltag einbringen. Die Kita-<br />

Verfassungen versuchen Regelungen zu erfinden, wie <strong>der</strong> Prozess des Interessensabgleichs aussehen<br />

sollte, welche Entscheidungsregeln gelten und wie bei möglichen Konflikten zu verfahren<br />

ist. Kita-Verfassungen sind ein gutes Beispiel, wie die Norm <strong>der</strong> auch von <strong>der</strong> Bundesrepublik ratifizierten<br />

UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention eingelöst werden kann, Kin<strong>der</strong> gemäß ihrer „evolving<br />

capacities“ an ihren Angelegenheiten zu beteiligen und den Willen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> angemessen zu berücksichtigen<br />

(Art. 12, 1). Zugleich handelt es sich um einen Prozess wechselseitiger<br />

Anerkennung. Eltern und Erzieherinnen respektieren den Subjektstatus <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>. Erzieherinnen<br />

ratifizieren, dass Kin<strong>der</strong> und Eltern mit Rechten ausgestattete Partner im Erziehungs- und Bildungsprozess<br />

sind usw. Gleichzeitig übernehmen alle Beteiligten explizit Verantwortung für den<br />

Kita-Alltag. Gelingen die Vertragsaushandlungen und führen sie zu einem lebbaren, freilich immer<br />

auch revidierbaren Ergebnis, dann ist die Kita potentiell zu einem demokratischen Lernort für alle<br />

Beteiligten geworden.<br />

2. Zu einer demokratisch ambitionierten Schule gehören heute ebenso Verträge wie zu verschiedenen<br />

Modellen <strong>der</strong> schulischen Gewaltprävention. Schüler und Lehrer handeln, gelegentlich auch<br />

mit Beteiligung <strong>der</strong> Eltern, z.B. aus, welche Verhaltensweisen sie wechselseitig voneinan<strong>der</strong> erwarten<br />

und welches Schulklima sie sich wünschen. Wird gegen die Leitlinien eines zivilen,<br />

anerkennenden und respektvollen Umgangs verstoßen, treten zuvor ausgehandelte Sanktionsinstanzen<br />

und –mechanismen in Kraft, die einen fixierten Sanktionskatalog umsetzen. Die<br />

Festlegung auf zivile Umgangsformen ist für alle Beteiligten verbindlich, aber in <strong>der</strong> Regel keineswegs<br />

selbstverständlich. Dies gilt für Lehrer wie für Schüler gleichermaßen. Sie machen die<br />

Schule potentiell zu einem zivilen und angstfreien Ort – und verbessern damit nebenbei die Lernbedingungen.<br />

3. Verträge sind ein anerkanntes Mittel <strong>der</strong> Integrationspolitik geworden. Sie können <strong>zur</strong> Grundlage<br />

vergleichsweise konfliktarmer kommunal unterstützter Moscheebau-Projekte werden, wenn sie auf<br />

einer Vereinbarung zwischen Stadt, Repräsentanten <strong>der</strong> Bürger und Moschee-Vereinen gründen,<br />

in <strong>der</strong> vorab Rechte, Pflichten und Erwartungen ausgehandelt worden sind. Auch hier werden potentielle<br />

Konflikte vorab verhandelt und ihr Austrag reguliert. Die Verhandlungssituation bedeutet<br />

potentiell die Anerkennung <strong>der</strong> legitimen Interessen <strong>der</strong> jeweils Beteiligten. Dies schließt faire<br />

Kompromisse bei wi<strong>der</strong>streitenden Erwartungen ein. Die Stadt Wiesbaden hat mit dieser Linie gute<br />

Erfahrungen gesammelt und sie <strong>zur</strong> Grundlage ihrer Integrationspolitik im religiösen Bereich gemacht<br />

(Müller 2008). Die Stadt Chemnitz schließt mit jedem Zuwan<strong>der</strong>er eine individuelle<br />

Integrationsvereinbarung ab. Ein Kontraktmodell (individuelle Hilfepläne, Coaching etc.) wendet<br />

auch Dortmund <strong>zur</strong> Einglie<strong>der</strong>ung von Spätaussiedlern und jüdischen Immigranten an. Auch hier<br />

geht es um das Aushandeln von Rechten und Pflichten. Was können die Zuwan<strong>der</strong>er von <strong>der</strong><br />

Stadt an Unterstützung erwarten, was erwartet wie<strong>der</strong>um die Stadt an integrationsför<strong>der</strong>lichen Aktionen?<br />

Diese individuelle Ebene ist aufgrund <strong>der</strong> Machtasymmetrie zwischen den Beteiligten sicherlich<br />

problematischer als die institutionellen Beispiele zuvor. Gleichwohl deutet die Nutzung des Instruments<br />

„Vereinbarung“ darauf hin, dass hier Gesellschaftsverträge im Kleinen ausgehandelt<br />

werden, die den Subjektcharakter und die Integrität <strong>der</strong> Beteiligten respektieren. Sie sind Teil und<br />

Ergebnis eines deliberativen Prozesses, <strong>der</strong> einen expliziten Erwartungs- und Interessenausgleich


Kopfzeile | Seite 43<br />

zu ermöglicht. Er macht auch Befürchtungen und Wünsche artikulierbar, die sonst keine Chance<br />

auf eine diskursive Bearbeitung hätten.<br />

10 <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> als politischer Lernprozess<br />

Auf individueller Ebene benötigt die <strong>Vitalisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> Menschen mit entsprechenden<br />

sozialen und politischen Kompetenzen. Über die Konturen gelingen<strong>der</strong> citizenship education wissen<br />

wir nach einigen Forschungsrunden heute mehr. Sie setzt früh in <strong>der</strong> Familie und im<br />

Kin<strong>der</strong>garten an, vermittelt Empathiefähigkeit und an<strong>der</strong>e soziale Kompetenzen. Schon in <strong>der</strong> Vorschule<br />

sind demokratische Entscheidungs- und Mitwirkungsmodelle gefragt, entwickelt sich in<br />

ersten Ansätzen moralische Urteilskraft. Weiter geht es in Schulen mit demokratischer Schulkultur<br />

und ausgebauten Klassenräten, in Schulen, die sich zum Gemeinwesen öffnen und so eine allmähliche<br />

Ausweitung des politischen Horizonts „urbi et orbi“ beför<strong>der</strong>n. Peer groups stehen<br />

hilfreich und prosozial <strong>zur</strong> Seite. Ich breche diese idealisierte Skizze an dieser Stelle ab. Sie kann<br />

sich durchaus auf Forschungsergebnisse aus <strong>der</strong> Gewalt- und Rechtsextremismusforschung berufen,<br />

weniger jedoch auf real existierende Verhältnisse. Sie macht aber deutlich, dass ein Großteil<br />

<strong>der</strong> Maßnahmen <strong>zur</strong> För<strong>der</strong>ung demokratischer Kompetenzen, von Toleranz und Zivilität zu spät<br />

einsetzt und zumeist ein unterstützendes Umfeld fehlt.<br />

Dies ist oft die Ausgangslage für Bildungsmaßnahmen <strong>zur</strong> Vermittlung von Basiskompetenzen und<br />

demokratischen Werten, durch Kurse und Formate, die im Rahmen schulischer und außerschulischer<br />

Projekte eingesetzt werden können (von Betzvata, Eine Welt <strong>der</strong> Vielfalt, Achtung (+)<br />

Toleranz, Blue Eyes/Brown Eyes bis zu den NDC-Formaten). Ihre Vorteile sind offensichtlich, denn<br />

es sind handliche und erprobte, gelegentlich sogar gut evaluierte Formate, die in verschiedenen<br />

Kontexten einsetzbar sind, ohne dort große Reformen vorauszusetzen, und je nach Kontext auch<br />

ein freiwilliges Angebot mit hohem Anregungspotential darstellen. Auch die Nachteile sind offensichtlich:<br />

Wir wissen fast nichts über <strong>der</strong>en Nachhaltigkeit, es handelt sich in <strong>der</strong> Regel um<br />

Kurzzeitpädagogik ohne gesicherten Transfer und ohne Einbettung in Alltagsstrukturen. Ihr „Inselcharakter“<br />

macht die individuelle Rezeption und Nutzung ungewiss. Ihre Qualität lässt sich bereits<br />

durch Vor- und Nachbereitung (z.B. in Schulen und Jugendeinrichtungen) und durch Anpassung<br />

<strong>der</strong> Formate an die jeweilige Zielgruppe verbessern.<br />

Die strukturelle Antwort auf die Frage nach den Orten und Formen des <strong>Demokratie</strong>lernens ist vergleichsweise<br />

einfach. Politische und soziale Alltagserfahrungen stellen ein „heimliches Curriculum“<br />

mit formativen Wirkungen dar. Wenn heute über Politik-, Politiker- und Parteienverdrossenheit in<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung geklagt wird, ist es notwendig, dies - auch und vermutlich in erster Linie - als<br />

Ausdruck von alltäglichen Erfahrungen mit Politik zu begreifen. Enttäuschung, Zynismus und<br />

Rückzug können durchaus rationale Reaktionsformen von Bürgerinnen und Bürgern sein, die „ihre“<br />

Erfahrungen mit Politik und Politikern gemacht haben (vgl. Offe 2008). Wer diese Vermutung zulässt,<br />

stellt an<strong>der</strong>e, ungleich schwerer zu realisierende Ansprüche an politische Lernprozesse, als<br />

dies in einer curricular orientierten Werteerziehung vorgesehen ist.<br />

Wenn es wesentlich die Alltagserfahrungen in Familien, Bildungseinrichtungen, Arbeitsstätten,<br />

freiwilligen Vereinigungen, aber auch mit Medien und Politik sind, die <strong>zur</strong> Vermittlung von demokratischen<br />

Werten und zivilen Haltungen beitragen (o<strong>der</strong> eben auch nicht), dann heißt<br />

<strong>Demokratie</strong>lernen jene alltagsrelevanten Institutionen so zu demokratisieren und zivilisieren, dass<br />

ihr „heimliches Curriculum“ zumindest demokratieverträglich, wenn nicht gar -för<strong>der</strong>lich ist.


Kopfzeile | Seite 44<br />

Dies bedeutet gerade auch für Bildungs- und Erziehungseinrichtungen, dass sie sich nicht auf curriculare<br />

Innovationen, Lehrplanrevisionen und neue pädagogische Formate beschränken können,<br />

so wichtig und sinnvoll sie im Einzelnen auch sein mögen (zu den curricularen Desi<strong>der</strong>ata im Umgang<br />

mit kultureller Vielfalt in <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft vgl. Hormel/Scherr 2004). Vielmehr<br />

muss sich ihre Alltagspraxis an demokratischen Normen ausweisen können. Dies ist, wenn ich es<br />

richtig sehe, die Botschaft von Kita-Verfassungen, die Kin<strong>der</strong>n und Eltern Mitwirkung und Verantwortung<br />

garantieren, dies ist die Botschaft des BLK-Programms „<strong>Demokratie</strong> lernen & leben“ und<br />

des <strong>Demokratie</strong>-Audits für eine demokratische Schule, <strong>der</strong> Initiative „mitWirkung!“, aber auch von<br />

systematischen Überlegungen zum moralischen Lernen o<strong>der</strong> <strong>zur</strong> interkulturellen Pädagogik 37 . Der<br />

beachtliche pädagogische Mehrwert einer praxisorientierten Strategie <strong>zur</strong> <strong>Vitalisierung</strong> von <strong>Demokratie</strong><br />

läge darin, dass damit zugleich neue demokratische Lernchancen eröffnet werden.<br />

Dies sollte entsprechende curriculare Angebote und Formate einschließen, wie etwa im Bereich<br />

des sozialen Engagements im Rahmen des mit dem Carl Bertelsmann Preis ausgezeichneten<br />

Themenorientierten Projekts Soziales Engagement (TOP SE) in Baden-Württemberg, <strong>der</strong> jugendgeführten<br />

Initiative „Schüler Helfen Leben“ (vgl. Roth/Lang 2007) o<strong>der</strong> den vielfältigen Versuchen,<br />

„service learning“ in <strong>der</strong> Bundesrepublik heimisch zu machen.<br />

Das „Lernen im Engagement“, wie das informelle bzw. nicht-formalisierte Lernen insgesamt, hat in<br />

den letzten Jahren eine enorme wissenschaftliche Aufmerksamkeit und politische Aufwertung erfahren<br />

(Kuhn u.a. 2000; Oser u.a. 2000; Chrisholm u.a. 2005; Rauschenbach u.a. 2006; Huth<br />

2007; Rauschenbach 2007; Otto/Rauschenbach 2008). Dies sicherlich zu Recht, denn mit <strong>der</strong><br />

Freiwilligkeit und dem Ernstcharakter <strong>der</strong> Aktivitäten sowie einem hohen Selbstorganisations- und<br />

Selbstbestimmungsanteil bieten Engagement und Beteiligung nahezu ideale Bedingungen für soziale<br />

und politische Lernprozesse. Vorliegende Evaluationen bestätigen weitgehend diese<br />

Annahmen (Huth 2007; Roth/Lang 2007; Düx u.a. 2008). Einrichtungen <strong>der</strong> Erwachsenenbildung<br />

(Voesgen 2006) und Weiterbildung (Faulseit-Stüber u.a. 2008) haben begonnen, „Lernen im Engagement“<br />

für sich zu erschließen und nach passenden pädagogischen und institutionellen<br />

Unterstützungsformen Ausschau zu halten. Vielversprechende Impulse kommen aus Integrationsprojekten<br />

mit Migrantinnen und Migranten o<strong>der</strong> mit Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten, wo<br />

z.B. Mentoren- und Patenschaftsmodelle dabei helfen, interkulturellen Kompetenzlücken ehrenamtlich<br />

zu schließen (Colley 2005), die in den meisten Institutionen <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft<br />

Bundesrepublik anzutreffen sind und die sich beson<strong>der</strong>s diskriminierend im Bildungsbereich auswirken<br />

(Huth 2008).<br />

Die produktive Wirkung neuer Curricula, außerschulischer Bildungsangebote und informellen Lernens<br />

im und durch Engagement bleibt jedoch an institutionelle Rahmenbedingungen gebunden,<br />

die <strong>zur</strong> Verstärkung und Anerkennung solcher Erfahrungen beitragen – also an Möglichkeiten <strong>der</strong><br />

eigenen Gestaltung und Selbstbestimmung, letztlich z.B. an eine demokratische Schulkultur und<br />

soziale Dienste, in denen die Menschenrechte <strong>der</strong> Nutzer geachtet und in ihren Mitwirkungswünsche<br />

geschätzt und aufgenommen werden. Treffen solche Verän<strong>der</strong>ungsimpulse auf Blockaden<br />

und Ignoranz, führt dies zu Parallelwelten o<strong>der</strong> im schlechtesten Fall <strong>zur</strong> Abwertung informeller wie<br />

formeller Lernorte.<br />

Eine Mehrzahl <strong>der</strong> demokratischen Innovationen <strong>der</strong> jüngeren Zeit ist darauf ausgelegt, die Rationalität<br />

und die Wissensgrundlagen politischen Handelns und Entscheidens zu verbessern. Das<br />

reicht von deliberativen Mini-Öffentlichkeiten, die vor Wahlentscheidungen und politischen Weichenstellungen<br />

<strong>zur</strong> Qualität <strong>der</strong> politischen Debatten beitragen sollen, über Sachvoten, die<br />

37 Zentrale Anfor<strong>der</strong>ungen für die institutionellen Rahmenbedingungen pädagogischer Prozesse in <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft<br />

haben z.B. Ulrike Hormel und Albert Scherr formuliert (Hormel/Scherr 2004: 285ff.).


Kopfzeile | Seite 45<br />

zumindest einen Minimum an Informationen über den Abstimmungsgegenstand voraussetzen, bis<br />

zu partizipativen Haushaltsplanungen auf kommunaler Ebene, die eine pädagogische Aufbereitung<br />

eines komplizierten Stoffes voraussetzen und entsprechende kognitive Mobilisierungen för<strong>der</strong>n.<br />

Es ist früh bemerkt worden, dass Bürgerinitiativen, Proteste und soziale Bewegungen ungewöhnlich<br />

produktive Lernorte sein können, weil sie dazu nötigen, öffentlich mit guten Argumenten für die<br />

eigenen Interessen und Anliegen einzutreten 38 . Wer sich in Bürgerinitiativen o<strong>der</strong> sozialen Bewegungen<br />

engagiert, muss sich mit den Standpunkten von Opponenten auseinan<strong>der</strong>setzen und<br />

Unterstützer gewinnen, Kenntnisse über politische Entscheidungswege und Verwaltungsverfahren<br />

erwerben und Öffentlichkeitsarbeit betreiben, um erfolgreich zu sein. Bürgerinitiativen und soziale<br />

Bewegungen müssen zudem angemessene Lern-, Diskussions- und Entscheidungsmuster entwickeln,<br />

die ihre Anhänger und Unterstützer zumindest nicht vergraulen, im besseren Fall sogar zum<br />

weiteren Mittun motivieren.<br />

Gerade die Erfahrungen in den Bundesprogrammen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit<br />

machen deutlich, dass die Entfaltung von demokratischen Werten, Einstellungen und<br />

Handlungspotentialen, dass <strong>der</strong> zivile Umgang mit Fremden ohne solche Kontextverän<strong>der</strong>ungen<br />

und damit verbundene Gegenerfahrungen kaum vermittelt werden kann (Roth/Benack 2003; Lynen<br />

von Berg/Roth 2003). Dies spricht nicht grundsätzlich gegen aufklärende und aufrüttelnde Projekttage,<br />

kurzzeitpädagogische Angebote und die breite Palette außerschulischer politischer Bildung.<br />

Wenn sie mit einer gehörigen Portion Selbsterfahrung und Interaktion verbunden sind, verbessern<br />

sich auch die Lernchancen. Dennoch gleichen solche Angebote ohne Einbettung in den institutionellen<br />

Alltag in <strong>der</strong> Regel einem Blindflug. Überraschungen sind nicht ausgeschlossen 39 . Dass es<br />

in Landstrichen, wie weithin in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n, mit einem Anteil von Migrantinnen und<br />

Migranten von weniger als zwei Prozent an <strong>der</strong> Wohnbevölkerung schwierig ist, interkulturelle<br />

Konzepte im Alltag zu verankern, liegt auf <strong>der</strong> Hand. Zumal dann, wenn ein erheblicher Teil <strong>der</strong><br />

lokalen Migrationsbevölkerung rechtlich und institutionell diskriminiert in Asylbewerberunterkünften<br />

außerhalb <strong>der</strong> Ortschaften untergebracht ist. Das Menschenbild, das Überlegungen zugrunde liegt,<br />

man könne die Zivilität <strong>der</strong> Zivilgesellschaft allein in <strong>der</strong> Deliberation und durch kognitive Angebote<br />

begründen, wird <strong>der</strong> tatsächlichen Komplexität von zumal wertebasierten Entscheidungen in keiner<br />

Weise gerecht. Es privilegiert darüber hinaus diejenigen politisch, die über die kulturellen Ressourcen<br />

verfügen, ihre Emotionen in einen rationalen Diskurs zu übersetzen und damit unsichtbar<br />

werden zu lassen (Pernau 2008).<br />

Das Glück, gemeinsam öffentlich zu handeln, die Erfahrungen von Solidarität und Gemeinsamkeit,<br />

o<strong>der</strong> von Streit, Kompromiss und Aussöhnung – all dies kann authentisch nur im politischen Engagement<br />

selbst erlebt werden. Hier liegt ein beson<strong>der</strong>e Chance von demokratischen<br />

<strong>Vitalisierung</strong>sstrategien: indem sie erprobt und ermöglicht werden, verbessern sie ihre Gelingensbedingungen<br />

und verbreitern ihre Anhängerschaft.<br />

38 Als Dokument von Bewegungsakteuren, die ihre Lernprozesse reflektieren s. Vack 1993. Weitere Hinweise finden<br />

sich in einem Handbuch <strong>zur</strong> politischen Sozialisation, das auch Bewegungszusammenhänge und unkonventionelle<br />

Beteiligungsverfahren aufgreift (Claußen/Geißler 1996).<br />

39 In <strong>der</strong> Evaluation einzelner Maßnahmen (Projekttage, Ausstellungsbesuche, Interaktionstrainings etc.) mussten wir<br />

gerade bei Importen von pädagogischen Formaten aus an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n gelegentlich die Erfahrung machen, dass nicht<br />

wenige <strong>der</strong> Beteiligten das Gegenteil von dem gelernt hatten, was eigentlich angestrebt wurde (Roth/Benack 2003).


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