Gesamtes Livebook als PDF - Börsenblatt des deutschen ...
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1 Theo Neteler<br />
heinrich Vogeler und<br />
rainer maria rilke. ihre<br />
Vor stellungen zur Buch -<br />
gestaltung<br />
Buchhandel<br />
17 Hans Altenhein<br />
der geteilte Buchhandel<br />
1945 bis 1990<br />
27 Hartmut Pätzke<br />
Anmerkungen zum<br />
Antiquariatsbuchhandel in<br />
der ddr<br />
Literatur<br />
39 Karl Klaus Walther<br />
Von der neuen leselust ins<br />
lese land – einige erinnerungen<br />
Theo Neteler<br />
Heinrich Vogeler und<br />
Rainer Maria Rilke.<br />
Ihre Vorstellungen zur<br />
Buchgestaltung<br />
»heute erwiedere [sic] ich diese Karte […] und<br />
gestern standen wir [rilke und seine frau] lange<br />
[… und] dachten herzlich an sie Beide – alles liebe<br />
in alter freundschaft: rainer maria rilke«, schrieb<br />
der dichter am 14. August 1906 auf einer reise aus<br />
Brügge nach Worpswede an das ehepaar Vogeler. 1<br />
sowohl rilke <strong>als</strong> auch Vogeler hielten sich<br />
zum ersten mal in florenz auf, <strong>als</strong> sie sich<br />
mitte April 1898 bei einem herrenabend<br />
auf der dachterrasse der Pension Benoit begeg-<br />
Antiquariat<br />
44 Auch Antiquare haben<br />
Witwen. Zwanzig Jahre<br />
Bekanntschaft mit<br />
emma rosen. Godebert M.<br />
Reiss<br />
Katalogbesprechungen<br />
47 Jürgen Voersters legendäre<br />
e. t. A. hoffmann-sammlung.<br />
Jörg Petzel<br />
48 Briefe aus dem exil. Stephan<br />
Schurr<br />
Katalognotizen<br />
49 neue listen und Kataloge<br />
neue folge 10 (2012) nr. 1<br />
Rezensionen<br />
51 the Kelmscott chaucer.<br />
Hans Eckert<br />
52 Bibliotheken und sammlungen<br />
im exil. Björn Biester<br />
52 Verlagslizenzierungen in der<br />
sowjeti schen Besatzungszone<br />
(1945–1949). Barbara Baerns<br />
Allgemeines<br />
54 nachrichten<br />
56 firmen/Personalien<br />
57 Werner Greve 1952–2011.<br />
Herbert Meinke<br />
58 Impressum<br />
59 Termine<br />
neten, in der rilke während seines Aufenthalts<br />
wohnte. es kam zu keinem richtigen Gespräch;<br />
sie erkundigten sich erst später, wer der andere<br />
war. überraschend entwickelte sich aber nach<br />
dem Zusammentreffen dieser beiden jungen zurückhaltenden,<br />
sensiblen und introvertierten<br />
Künstler, die sich gleichermaßen für die frührenaissance,<br />
besonders sandro Botticelli, begeisterten,<br />
ein Briefwechsel mit der folge, dass<br />
Vogeler rilke Anfang Juli nach Worpswede einlud.<br />
hier hatte der Bremer 1894 eine alte Bauernkate<br />
erworben, die er im laufe der Jahre zum<br />
Künstlertreffpunkt Barkenhoff ausbaute.<br />
ende november besucht jedoch Vogeler zunächst<br />
rilke in Berlin-schmargendorf; er erneuert<br />
die einladung nach Worpswede. rilke kommentiert<br />
am 21. november den Besuch Vogelers<br />
in einem Brief an den schriftsteller hugo salus:<br />
1
Buchkunst<br />
Federzeichnung<br />
von Vogeler<br />
Drachentöter. In:<br />
Deutsche Kunst<br />
und Dekoration,<br />
Rilke-Sonderheft,<br />
April 1902<br />
2<br />
der gestrige sonntag war auch für mich festlich;<br />
unvermutet kam es über meinen einsamen Waldfrieden<br />
[…]: ein willkommenes Buch und ein gernbegrüßter<br />
Gast, fast zugleich. ihre Gedichte und<br />
heinrich Vogeler, ein lieber träumerischer Weggefährte,<br />
mit dem man wohl rasten mag. 2<br />
Am 19. dezember fährt rilke dann nach Bremen,<br />
um heinrich Vogeler – »den mir befreundeten<br />
maler« 3 – zu besuchen und verbringt dort<br />
den 23. und 24. dezember im elternhaus Vogelers,<br />
»einem vornehmen alten Patrizierhaus«. 4<br />
Am 25. dezember fahren beide nach Worpswede.<br />
rilke schreibt: »Am 25. fuhr ich mit<br />
heinrich auf sein kleines landgut nach Worpswede,<br />
in das weiße Giebelhaus an dem jeder<br />
stein in dem jeder stuhl von ihm gezeichnet und<br />
beabsichtigt wurde. in diesem unbeschreiblich<br />
lieben Künstlerheim verging mir der erste feiertag.«<br />
5 Zurück in Berlin sendet er Vogeler seinen<br />
›haussegen‹: »licht sei sein los. / ist der herr<br />
nur das herz und die hand / <strong>des</strong> Bau’s, / mit<br />
den linden im land / Wird auch sein haus /<br />
schattig und groß«. folgende Widmung fügt er<br />
bei: »rainer maria rilke seinem lieben heinrich<br />
Vogeler zum Anfang <strong>des</strong> neuen und <strong>als</strong> Anhang<br />
<strong>des</strong> gut vollendeten Jahres. schmargendorf bei<br />
Berlin, am 29. dec. 1898«. der ›haussegen‹<br />
zierte bald den türbalken <strong>des</strong> Barkenhoffs.<br />
Erste Zusammenarbeit –<br />
Buchschmuck im Geist <strong>des</strong><br />
Jugendstils<br />
ein halbes Jahr später, am 1. Juli 1899, lädt<br />
Vogeler rilke erneut ein:<br />
Jetzt müssten sie einmal auf meinen rosenbehange -<br />
n en Barkenhoff kommen. es warten ein schlafzimmer<br />
chen und ein still abgeschlossenes studierzimmer<br />
ihrer. reizt sie das nicht? Behalten sie<br />
das bitte im Gedächtnis, und wenn sie einmal ruhn<br />
wollen von der Arbeit, so erscheinen sie mir. 6<br />
rilke antwortet nach seiner ersten russlandreise<br />
am 17. Juli aus schmargendorf mit einem Gedicht<br />
über den heiligen Georg, den drachentöter,<br />
mit dem titel: ›Gebet zu sankt Georgs<br />
macht und namen‹. Wieder fügt er eine Widmung<br />
bei: »meinem lieben heinrich Vogeler /<br />
mit einem russischen heiligen«. es existieren<br />
Abbildungen einer federzeichnung von Vogeler<br />
mit dem titel ›der drachentöter‹, das Original<br />
ist verschollen. unklar ist, ob rilke zuerst die<br />
federzeichnung gesehen hat und daraufhin das<br />
Gedicht schrieb oder ob Vogeler die Zeichnung<br />
nach der lektüre <strong>des</strong> Gedichts anfertigte. 7 in<br />
diesem Jahr kam kein Besuch rilkes zustande.<br />
er hatte zwar die Absicht, Vogeler im herbst<br />
1899 erneut zu besuchen, das scheiterte jedoch<br />
am Geld und am Wetter, wie er seiner mutter am<br />
26. september schrieb.<br />
Am 20. november 1899 bedankt sich rilke<br />
für Vogelers Gedichtband ›dir‹, der im insel-<br />
Verlag erschienen ist, ein im sinne <strong>des</strong> Jugendstils<br />
konzipiertes Gesamtkunstwerk, zu dem<br />
Vogeler die Gedichte, die illustrationen, die einbandgestaltung,<br />
den Vorsatz und die schrift beitrug.<br />
rilke bekommt ein handkoloriertes exemplar.<br />
8<br />
ende dezember 1899 kommt im Verlag<br />
Georg heinrich meyer, Berlin, rilkes Gedichtband<br />
›mir zur feier‹ heraus, das erste Buch, das<br />
rilke auch später gelten ließ: eine Zusammenstellung<br />
von Gedichten aus der Zeit bis ende<br />
mai 1898. Gegenüber dem titelblatt heißt es:<br />
»diesem Buch haben bei seiner Veröffentli -<br />
chung viel zudanke gethan: durch schmuck
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchkunst<br />
und schönheit: heinrich Vogeler-Worpswede;<br />
durch heimat liche teilnahme: herr Prof. dr.<br />
August sauer-Prag und die ›Gesellschaft zur<br />
förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und<br />
litteratur in Böhmen‹.«<br />
Aufgrund eines druckkostenzuschusses der<br />
Gesellschaft von 400 Gulden war diese Veröffentlichung<br />
möglich. rilke hatte seiner mutter<br />
mitte 1899 geschrieben: »nun kann das Buch<br />
doch vielleicht noch vor 1900 erscheinen geschmückt<br />
mit den Zeichnungen meines lieben<br />
heinrich Vogeler.« 9 einband- und titelseite sind<br />
gleich gestaltet; wie bei seinem Gedichtband<br />
›dir‹ sind titel, Verfassername und Verlag in<br />
l ateinischen Buchstaben handgeschrieben und<br />
von Blumenranken umschlossen. im innern <strong>des</strong><br />
Buches findet man florale Kopf- und schlussleisten,<br />
Vignetten, aber auch kleine auf den text<br />
bezogene illustrierende Zeichnungen: einen<br />
Brunnen, einen heiligen, einen engel, ein<br />
schloss, landschaften usw.<br />
rilke schenkt Vogeler ein exemplar mit der<br />
Widmung: »möchten sie, mein lieber heinrich<br />
Vogeler, dieses Buch immer <strong>als</strong> unsern gemeinsamen<br />
Besitz betrachten und – empfinden. in<br />
viel liebe und dankbarkeit ihr rainer maria<br />
rilke, Jan. 1900.« später hielt heinrich Vogeler<br />
die Gestaltung <strong>des</strong> Buches für verfehlt, da ihm<br />
nur das manuskript und nicht der satz vorgelegen<br />
habe. Wahrscheinlich lag ihm, aus welchen<br />
Gründen auch immer, nicht einmal das vollständige<br />
manuskript vor; denn ein teil <strong>des</strong> Buches<br />
ist gar nicht illustriert. rainer maria rilke<br />
äußerte sich nicht über den Buchschmuck; er<br />
meinte eines tages lediglich zur gewählten farbe<br />
der schrift und der Zeichnung <strong>des</strong> einbands:<br />
»für silber bin ich (nach den erfahrungen mit<br />
›mir zur feier‹) auch nicht; es ist auch beinahe<br />
banal geworden.« 10<br />
dieser Gedichtband rilkes ist das erste Buch<br />
mit weitgehend durchgehendem Buchschmuck. 11<br />
ein Jahr später folgt ein zweites im insel-Verlag:<br />
›Vom lieben Gott und Anderes. An Große für<br />
Kinder erzählt von rainer maria rilke‹. Auch<br />
dies ist im Geiste <strong>des</strong> Jugendstils gestaltet, und<br />
zwar von e. r. Weiß: das titel-Arrangement,<br />
initialen, leisten, Vignetten und sechs Zeichnungen<br />
findet man dort. es erschien aber erst<br />
kurz vor Weihnachten und war rilkes erstes<br />
Buch in diesem Verlag.<br />
Doppeltitel<br />
Vogelers zu Rilkes<br />
Die Heiligen Drei<br />
Könige. In: Die<br />
Insel, März 1900.<br />
3
Buchkunst<br />
Federzeichnung<br />
Vogelers<br />
Verkündigung.<br />
In: Deutsche<br />
Kunst und<br />
Dekoration,<br />
Rilke-Sonderheft,<br />
April 1902.<br />
4<br />
im herbst <strong>des</strong> Jahres 1899 war die bekannte<br />
Zeitschrift ›die insel‹ ins leben gerufen worden.<br />
Auch rilke wurde bald Beiträger. Am<br />
10. dezember 1899 schrieb der schriftsteller<br />
Bierbaum, einer der mitbegründer der Zeitschrift,<br />
an rilke:<br />
mit ihren heiligen drei Königen haben sie uns eine<br />
ganz außerordentliche freude gemacht. es ist ein<br />
entzücken<strong>des</strong> Gedicht, ein Wurf, wie er so nur selten<br />
gelingt. Wir hoffen, dass herr Vogeler ein Blatt dazu<br />
zeichnen wird, wenn wir es bringen. Am liebsten<br />
hätten wir es noch in die Januarnummer gestellt, aber<br />
eben der Gedanke, daß dieses Gedicht herrn Vogeler<br />
zu einem sehr schönen Blatt Anregung geben wird,<br />
läßt es uns vorziehen, lieber bis märz zu warten. 12<br />
Vogeler hatte für das zweite quartal der monatszeitschrift<br />
(Januar / märz 1900) die Gestaltung<br />
übernommen. der rahmenornamentstil der<br />
doppelseitigen Zeichnung, die auf der einen seite<br />
das Gedicht rilkes und auf der anderen eine illustration<br />
einrahmt, ist verwandt mit der rahmenornamentik<br />
<strong>des</strong> doppeltitels, der den quart<strong>als</strong>band<br />
der Zeitschrift eröffnet. die Zeichnung<br />
»gehört zu den reizvollsten Beispielen <strong>des</strong> Buchschmucks<br />
im Jugendstil. stimmungsmäßig paßt<br />
sie ausgezeichnet zu der humorvollen, leicht<br />
ironischen sprache <strong>des</strong> Gedichts und stellt das<br />
vielleicht schönste Beispiel der gelungenen<br />
künstlerischen Zusammenarbeit der beiden<br />
freunde dar«, urteilt richard Pettit. 13 nachdem<br />
Gedicht und Zeichnung erschienen waren,<br />
schrieb rilke an seine mutter: »[...] in der herrlichen<br />
Zeitschrift die ›insel‹ ist ein größeres Gedicht<br />
von mir: ›die heiligen drei Könige‹ mit so<br />
wundbarem Buchschmuck Vogelers erschienen,<br />
– dass ich wünschte, du besäßest dieses<br />
heft.« 14 die Zeichnung ist ein Beispiel dafür,<br />
dass Vogeler Anregungen empfing aus der<br />
dichtkunst seines freun<strong>des</strong>; wie wir sehen werden,<br />
gab es ebenso den umgekehrten Weg.<br />
noch während seiner zweiten russlandreise<br />
erhielt rilke wiederum eine einladung auf den<br />
Barkenhoff. er antwortete mit einer Karte:<br />
»m(ein) l(ieber) h(einrich) V(ogeler) dank für<br />
den Brief. ich bin <strong>als</strong>o über ein kurzes bei ihnen,<br />
und schreibe noch genau: wann. ich komme so<br />
herzlich gern! ihr r. m. r.« 15 Am 11. August<br />
1900 teilte rilke lou Andreas-salomé aus<br />
Petersburg mit: »Vogeler hat sehr lieb geschrieben,<br />
er erwartet mich <strong>als</strong>o. Auch bin ich schon<br />
nöthig für mein schönes Buch. der 1. Bogen<br />
correktur wartet schon.« 16<br />
nach seiner russlandreise fährt rilke am<br />
27. August zu einem längeren Aufenthalt nach<br />
Worpswede. seiner mutter schreibt er: »mein<br />
freund heinrich Vogeler hat mir in seinem<br />
landhaus in Worpswede eine schlafstube und<br />
ein Arbeitszimmer eingerichtet, das ich mit<br />
meinen neuen Arbeiten einweihen will.« 17 rilke<br />
ist von der landschaft Worpswe<strong>des</strong> mit dem<br />
großen weiten himmel und seiner stetigen Veränderung<br />
und dem besonderen licht begeistert.<br />
nicht nur die mitglieder der Künstlerkolonie<br />
lernt er dort kennen, sondern auch andere Gäste<br />
wie den schriftsteller carl hauptmann; er macht<br />
Besuche in der umgebung, aber auch einen<br />
Ausflug nach hamburg und fahrten nach<br />
Bremen, zur Kunsthalle, zur Oper, zum theater.<br />
»ich gebe Gesellschaften« – der hausherr<br />
Vogeler selbst ist zu dieser Zeit häufiger abwesend<br />
–, schreibt rilke am 4. september in sein
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchkunst<br />
tagebuch. 18 man trifft sich in der regel am<br />
sonntag im Weißen saal, trägt und liest vor<br />
(meistens rilke), diskutiert, musiziert. Kurze<br />
Zeit erwägt rilke, sich in Worpswede niederzulassen,<br />
doch am 5. Oktober 1900 verlässt er den<br />
Barkenhoff.<br />
über seine ›flucht‹ aus Worpswede schreibt<br />
rilke:<br />
und aus demselben Grunde, um der ruhigen, nüchternen,<br />
täglichen Arbeit nicht zu entfremden, habe<br />
ich in diesen herbsttagen auf einen sehr lieben Plan<br />
verzichtet. ich hatte ein kleines haus in Worpswede<br />
[...] gemietet … es ergab sich aber, daß ich doch von<br />
allen hilfsmenschen und hilfsmitteln, welche meine<br />
Arbeiten (besonders die russischen) brauchen, zu sehr<br />
entfernt wäre und Gefahr liefe, mit dem mühsam er -<br />
rungenen studium alle Zusammenhänge zu verlieren.<br />
dazu kommt, daß Worpswede überstark wirkt; seine<br />
farben und menschen sind gewaltsam groß, reich<br />
und mächtig, über jede andere stimmung zu herrschen.<br />
Aber wenngleich der Aufenthalt dort mich<br />
momentan russischen dingen entzogen hat, ich be -<br />
reue ihn doch nicht, ich denke sogar mit ein wenig<br />
heimweh an mein kleines verlassenes haus und an<br />
die dortigen lieben menschen, denen ich irgendwie<br />
treulos erscheinen muß. 19<br />
nach der rückkehr nach schmargendorf schreibt<br />
er seiner mutter: »heinrich Vogeler ist der Bedeutendste<br />
aus der bekannten malergruppe der<br />
Worpsweder.« 20 erst während dieses Aufenthalts<br />
lernte er die Kunst heinrich Vogelers richtig<br />
kennen. Als besonderen Vertrauensbeweis empfindet<br />
er, dass Vogeler ihm sein skizzenbuch<br />
zeigt (28. August). Zu zwei der skizzen, die<br />
biblische themen beinhalteten, verfasst er<br />
Gedichte: ›Verkündigung über den hirten‹ und<br />
›rast auf der flucht‹. in seinem Vogeler-Aufsatz<br />
schreibt rilke über Vogelers erste ›Verkündigung‹<br />
– es gab später auch eine radierung und<br />
ein Ölgemälde: »die erste und allerschönste<br />
findet sich <strong>als</strong> Bleistiftskizze in einem großen<br />
alten skizzen-Buch, das die stelle eines tage-<br />
Buches vertritt und die erlebnisse der ersten<br />
Worpsweder Zeit zusammenfasst.« und:<br />
»dam<strong>als</strong> zeichnete er diese unvergleichliche<br />
Verkündigung <strong>als</strong> das erste Blatt eines marienlebens.«<br />
21 in dieser Zeit muss der Plan zwischen<br />
beiden erörtert worden sein, eine mappe oder<br />
ein Buch herauszugeben mit Gedichten von<br />
rilke und illustrationen von Vogeler unter dem<br />
titel ›marien-leben‹, auf den Vogeler nach<br />
mehr <strong>als</strong> zehn Jahren zurückkam. Während <strong>des</strong><br />
Worpsweder Aufenthalts schrieb rilke noch<br />
vier weitere Gedichte, die auf andere Bilder<br />
(Ölgemälde) Vogelers zurückgehen: ›das haus‹,<br />
›ritter, Welt und heide‹, ›der Kahn‹, ›Widmung‹.<br />
in einem Brief aus schmargendorf vom<br />
24. november 1900 zeigt sich rilke über einen<br />
erneuten Besuch Vogelers in Berlin erfreut: »ich<br />
freue mich ja so sehr auf dieses Wiedersehen und<br />
lege gern das und jenes beiseit, um ihnen zu gehören<br />
sooft sie nichts anderes vorhaben.« er<br />
unterschreibt seinen Brief mit: »ihren / sie mit<br />
allen Gefühlen der freundschaft erwartenden /<br />
rainer maria rilke.« 22 Vogeler wollte Anfang<br />
dezember eine Ausstellung im Kunstsalon<br />
Keller & reiner vorbereiten, an der er mit<br />
radierungen, Gemälden, möbeln und kunstgewerblichen<br />
Arbeiten beteiligt war. Am 1. de -<br />
z ember waren Gerhart hauptmann (heinrich<br />
Vogeler hatte 1898 eine mappe mit lithografischen<br />
tafeln zu hauptmanns ›die versunkene<br />
Glocke‹ herausgegeben 23 ), heinrich Vogeler und<br />
rilke bei lou Andreas-salomé zu Gast.<br />
rilke fasst die während seines Worpswede-<br />
Aufenthalts und unmittelbar danach entstandenen<br />
Gedichte in einem manuskriptbuch zusammen<br />
(titelblatt und 29 handgeschriebene<br />
Blätter) und schenkt diese sammlung unter dem<br />
titel ›in und nach Worpswede‹ heinrich Vogeler<br />
neben anderen dingen zu seinem 28. Geburtstag<br />
am 12. dezember 1900. im Begleitbrief<br />
schreibt er:<br />
mein lieber heinrich Vogeler, ich kann sie nicht<br />
allein Geburtstag haben lassen ich gebe meinen<br />
wenigen Worten viele Wünsche zu tragen und<br />
schicke die so beladen zu ihnen. [...] ich gedenke<br />
ihrer in jener freundschaftlichen und dankbaren<br />
Gesinnung, welche ich ihnen immer bewahren<br />
werde und von welcher ich wünsche, dass sie sich<br />
manchmal ihrer erinnern um sie zu gebrauchen <strong>als</strong><br />
ihren täglichen Besitz! 24<br />
Auf rilkes entschluss, die Bildhauerin clara<br />
Westhoff im April 1901 zu heiraten und nach<br />
Westerwede in der nähe Worpswe<strong>des</strong> zu ziehen<br />
5
Buchkunst<br />
6<br />
und sich dort in einem Bauernhaus mit hilfe<br />
heinrich Vogelers wohnlich einzurichten, kann<br />
hier nicht näher eingegangen werden, ebenso<br />
nicht auf die trennung <strong>des</strong> ehepaars, die Auflösung<br />
<strong>des</strong> gemeinsamen haushalts und die übersiedlung<br />
nach Paris. 25<br />
Rilke ändert seine Auffassung,<br />
wie seine Bücher gestaltet werden<br />
sollen<br />
ende september 1901 schreibt rilke aus Westerwede<br />
an Axel Juncker, einen dänen, der in Berlin<br />
zunächst eine Buchhandlung, dann auch einen<br />
Verlag betrieb:<br />
heinrich Vogeler war gerade bei mir […] heinrich<br />
Vogeler ist nun in einer reichen und schönen entfaltungsperiode,<br />
die einige unglaublich feine Zeichnungen,<br />
die er später <strong>als</strong> Buch herauszugeben gedenkt,<br />
gezeitigt hat […] der styl und die Art seiner Zeichnungen<br />
(denn man kennt ihn noch kaum von dieser<br />
seite) wird zuerst bei einem Gedichtbuch von frau<br />
forbes-mosse, das sehr bald bei schuster u. loeffler<br />
erscheint, dem Publikum sichtbar werden. dort ist<br />
jeder strich reife und sommer. sie werden sehen! 26<br />
der Band ›mezzavoce‹ enthält keinerlei Zierrat;<br />
abgesehen von der Gestaltung <strong>des</strong> einban<strong>des</strong><br />
und der titelseite hat Vogeler für das Buch fünf<br />
ganzseitige Zeichnungen, eine halbseitige und<br />
eine schlussvignette angefertigt. die früher häufig<br />
benutzten rahmungen mit eigenem inhalt<br />
sind jetzt leichten floralen oder linearen rahmungen<br />
gewichen, zwei mal hat er ganz auf sie<br />
verzichtet.<br />
Während rilke offensichtlich bei anderen<br />
Autoren die illustrierung von Büchern weiterhin<br />
gelten lässt, beginnt er im hinblick auf seine<br />
Bücher neue Gestaltungswege zu gehen. deutlich<br />
wird das bei den Verhandlungen, die er ende<br />
1901 mit Axel Juncker beginnt, der nun sein<br />
hauptansprechpartner wird und der bereit ist,<br />
auf seine Gestaltungsvorstellungen einzugehen.<br />
An zwei Beispielen, einem Prosa- und einem<br />
lyrikband – beide erschienen 1902 –, soll das<br />
verdeutlicht werden.<br />
im schon erwähnten Brief fragt rilke bei<br />
Juncker an, ob er bereit sei, ein kleines Buch mit<br />
drei novellen (›im Gespräch‹, ›der liebende‹,<br />
›die letzten‹) von ihm zu verlegen unter dem<br />
titel ›die letzten‹. im nächsten Brief ›akzeptiert‹<br />
er die Bedingungen Junckers und schreibt:<br />
die Ausstattung überlasse ich gern ihrem ermessen,<br />
da ich das beste Vertrauen zu ihrem künstlerischen<br />
Gefühl rege; doch wollen sie mir den Vorschlag ge -<br />
statten, möglichst keine umschlagzeichnung zu verwenden,<br />
sondern größte einfachheit zum Gesetz<br />
zu machen. […] umschlagzeichnungen sind jetzt,<br />
wo so unendlich viel unbuchmäßiges in dieser Art<br />
ge leistet wird und fast kein Buch ohne derartigen<br />
›schmuck‹ erscheint, eine Gefahr. sie geben dem<br />
Buch etwas zeitliches, versehen es mit der marke<br />
einer bestimmten mode, die sehr bald vergangen<br />
sein wird. 27<br />
entgegen der Aussage <strong>des</strong> ersten zitierten satzes<br />
meldet rilke in diesem Brief zusätzliche Ausstattungswünsche<br />
an, zunächst im hinblick auf<br />
das Papier (»weiße imit. Bütte«), die typografie<br />
(»sehr einfache drucktype still und gleichmäßig«)<br />
und den einband (»einfache cartonierung«,<br />
»ohne schild einfach mit aufgedrucktem<br />
titel«). in einem weiteren Brief (2. Oktober<br />
1901) geht es um das format, die Anordnung<br />
und das Aussehen <strong>des</strong> titelblattes, das überzugpapier,<br />
den Verzicht auf ein rückenschild,<br />
die druckfarben, um den satzspiegel, die reihenfolge<br />
der novellen und den Wunsch nach<br />
druckproben. darüber hinaus spricht er im<br />
Zusammenhang mit den druckproben weitere<br />
details an. Anfang november heißt es dann:<br />
und nun noch eine sache, die ich für sehr wichtig<br />
halte. ich bitte sie dringend noch um eines, keine<br />
Verlagsankündigungen hinten in den ›letzten‹ anzubringen.<br />
das ist die größte Gefahr für ein stilles<br />
intimes Buch, daß es hinten, hinter allem, journalistisch<br />
und laut ausgeht, <strong>als</strong> ob hinter einem ernsten<br />
und leisen dramenakt ein Vorhang mit Plakaten<br />
(wie er in tingl-tangls manchmal gebräuchlich ist)<br />
niederfiele … Als ob in einer Kapelle Plakate hingen,<br />
… <strong>als</strong> ob ein lieber Besuch, mit dem wir eine stunde<br />
guten Gespräches verbracht, sich plötzlich wie ein<br />
handlungsreisender benähme und ein musterbuch<br />
aus der tasche zöge. 28<br />
Zahlreiche weitere hinweise zur Ausführung,<br />
z. B. zum Vorsatz, machen offenkundig, dass<br />
rilke das erscheinungsbild seiner Bücher nun
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchkunst<br />
selbst bestimmt. Auch ein anderer Brief an Axel<br />
Juncker verdeutlicht, wie klar die Vorstellungen<br />
sind, die rilke nun im hinblick auf die Gestaltung<br />
seiner Bücher hat:<br />
im ›Versacrum‹ [sic] ist mir ein heft gewidmet. heft<br />
21; haben sie es gesehen? es enthält drei dichtungen<br />
aus einem größeren Zusammenhang ›spiele‹. ich hätte<br />
es ihnen gern geschickt, aber der Buchschmuck ist so<br />
häßlich und das lesen <strong>des</strong> textes erschwerend, so<br />
sehr im Auswuchsstyle der wiener sezession, daß ich<br />
es ihnen nicht zumuthen darf. fünf Künstler haben<br />
an der ›Ausschmückung‹ dieses heftes recht rücksichtslos<br />
gearbeitet und es ist ein stark versalzener<br />
Brei herausgekommen. 29<br />
Obwohl rilke sehr zufrieden damit ist, wie<br />
Juncker auf seine Vorstellungen eingeht, bietet<br />
er seinen nächsten Gedichtband ›Buch der<br />
Bilder‹ am 12. Oktober 1901 Otto Julius Bierbaum<br />
für den insel-Verlag mit der Anmerkung<br />
an: »die Ausstattung denke ich mir ganz ohne<br />
Buchschmuck, groß, ernst, einfach.« 30 da Bierbaum<br />
im insel-Verlag nicht mehr zuständig war<br />
und sich das Projekt hinzieht, wendet sich rilke<br />
wieder an Juncker; erneut werden detaillierte<br />
Vorstellungen zur Ausstattung und zum druck<br />
<strong>des</strong> Buches entwickelt. Anfang dezember 1901<br />
schreibt rilke:<br />
An unser Gedichtbuch ›das Buch der Bilder‹ denke<br />
ich viel und habe Pläne, die sich mit den ihren, wie<br />
ich merke in manchem Punkte berühren. es wird ein<br />
sehr schönes Buch werden und ich habe mich noch<br />
auf keines so gefreut. es ist besser, wenn ich ihnen<br />
meinen Plan bezüglich dieses Buches, den ich auch<br />
mit h. Vogeler noch besprechen will, erst mittheile,<br />
bis die Wirrnis <strong>des</strong> Weihnachtsmarktes an ihnen vorübergezogen<br />
ist. Wir kommen dann darauf ausführlich<br />
zurück und gehen mit dem neuen Jahr an die<br />
neue Arbeit. 31<br />
Aberm<strong>als</strong> werden in zahlreichen Briefen themen<br />
zur Gestaltung erörtert. Angesprochen wird die<br />
Wahl <strong>des</strong> Papiers, der schrift, fragen <strong>des</strong> formats,<br />
<strong>des</strong> Bindens usw. der zentrale Punkt bei<br />
diesem Gedichtband ist die schrift:<br />
ich aber lege darauf gerade die Betonung, daß<br />
Gedichte in einer großen monumentalen, jeden<br />
Buchstaben klar für sich setzenden schrift gedruckt<br />
werden; […] das charakteristische von Versen [wird]<br />
am besten ausgedrückt durch das stehen, monumentalwerden<br />
auch der kleinsten Worte. es giebt nichts<br />
unwichtiges, nichts unfestliches da. Je<strong>des</strong> Wort, das<br />
mitgehen darf im triumpfzug <strong>des</strong> Verses, muß<br />
schreiten und das Kleinste darf dem größten nicht<br />
nachstehen an äußerer Würde und schönheit. 32<br />
im Brief rilkes an Juncker vom 6. februar 1902<br />
werden detaillierte Anweisungen und Wünsche<br />
zur Gestaltung <strong>des</strong> umschlags, zum einband-<br />
und Vorsatzpapier und zum satz gemacht;<br />
außerdem heißt es:<br />
da auch hier wieder das Prinzip, von welchem ich<br />
ihnen schon einmal gesprochen habe, eingehalten<br />
werden soll, – die äußere seite möglichst einfach und<br />
schmucklos zu halten. dagegen hat Vogeler für das<br />
innere titelblatt eine wunderschöne Vignette<br />
ge zeichnet, die für dieses und (in entsprechender<br />
Größe) für alle meine künftigen Bücher gelten soll.<br />
ich habe schon clichés in zwei Größen herstellen<br />
lassen, um ihnen ehestens Probedrucke senden zu<br />
können. die Anordnung dieses titelblattes (<strong>des</strong><br />
inneren, weißen <strong>als</strong>o) wäre dann etwa diese:<br />
[es folgt eine skizze]<br />
Außer dieser sehr schönen Vignette, die weniger<br />
Buchschmuck, <strong>als</strong> vielmehr eine Art Buchmarke sein<br />
soll, und nach meiner Angabe entstanden ist, kommt<br />
kein Buchschmuck vor. Größte einfachheit! die<br />
große type, gutes Papier. 33<br />
Auf Vorgaben rilkes hin <strong>als</strong>o hatte Vogeler<br />
einen springbrunnen für die titelseite der erstausgabe<br />
gezeichnet: ein mehrstrahliger Brunnen<br />
wird von Bäumen und rankenden rosenstöcken<br />
symmetrisch eingerahmt. in mehreren Gedichten<br />
(z. B. ›Von den fontänen‹, 1900; ›römische<br />
fontäne‹, 1906) rilkes taucht eine fontäne auf,<br />
Vignette Vogelers.<br />
In: Rilke, Buch<br />
der Bilder, 1902<br />
7
Buchkunst<br />
8<br />
sie ist eines seiner Grundsymbole. die Zeichnung<br />
Vogelers wurde von rilke einige Jahre<br />
nicht wie beabsichtigt <strong>als</strong> Buchmarke, sondern<br />
während der Westerweder Zeit und zu Beginn<br />
der Pariser Jahre <strong>als</strong> Briefkopf verwendet.<br />
in der dem zitierten Brief folgenden Korrespondenz<br />
gibt es weitere hinweise, einzelfragen<br />
und Korrekturen zum ›Buch der Bilder‹.<br />
rilke schrieb in das exemplar, das er Vogeler<br />
schenkte, die Widmung: »meinem lieben<br />
heinrich Vogeler, seiner frau, seinem hause<br />
voll dankbarer freundschaft: rainer maria<br />
rilke. Westerwede, im Juli 1902.« interessant<br />
ist, dass rilke parallel zu den überlegungen zur<br />
Gestaltung <strong>des</strong> Gedichtban<strong>des</strong> gegenüber Axel<br />
Juncker wiederum eine Bemerkung zur buchgestalterischen<br />
Arbeit heinrich Vogelers macht:<br />
schaukal bringt sein ›Pierrot und colombine‹, von<br />
heinrich Vogeler geschmückt, heraus, ein, wie es<br />
scheint, äußerst graziöses Buch! haben sie sich die<br />
Zeichnungen heinrich Vogelers in dem Buche<br />
mezzavoce von irene forbes-mosse angesehen?<br />
da ist ein ganz besonders feines phantastisches Blatt<br />
darunter, das Vogelers neue, auf das zeichnerische<br />
geleitete entwicklung, wohl zu loben vermag. 34<br />
überraschenderweise stellt rilke, <strong>als</strong> die zweite<br />
Auflage <strong>des</strong> Gedichtban<strong>des</strong> ›Buch der Bilder‹<br />
geplant wird, in einem Brief aus Paris vom<br />
25. november 1905 die überlegung an, für die<br />
zweite Auflage Vogeler um initialen zu bitten. 35<br />
doch etwas später äußert er: »so wenig meine<br />
Verse ein Ausdruck <strong>des</strong>sen sind, was man jetzt<br />
›modern‹ nennt, sowenig soll das äußere Aussehen<br />
meiner Bücher von dieser Zeitstimmung<br />
geprägt sein.« 36 die zweite, sehr vermehrte Auflage<br />
<strong>des</strong> Buches – 37 neue Gedichte – erschien<br />
erst im dezember 1906. Auf die initialen wurde<br />
verzichtet; selbst die Vignette Vogelers findet<br />
man nicht mehr. Weihnachten 1906 kommentiert<br />
rilke das erscheinungsbild der neuen Auflage<br />
aus capri:<br />
Besonders das B. d. B. hat mich überrascht durch<br />
die einfach ernste und überzeugende Wirkung, die<br />
auf das natürlichste von ihm ausgeht. die Wahl der<br />
schrift, <strong>des</strong> formates, die Anordnung: alles stellt<br />
sich <strong>als</strong> im besten sinne zweckmäßig heraus, ja, zu<br />
meiner freude, gibt sich manches der Gedichte<br />
noch besser <strong>als</strong> in der ersten Ausgabe; der fortfall<br />
der ästhetischen Prätension [wohl: Prätention] ist<br />
sehr nützlich: er läßt die Gedichte nun so ganz durch<br />
sich wirken. 37<br />
Wie man all diesen Vorgängen entnehmen kann,<br />
begann rilke sich im hinblick auf die Gestaltung<br />
seiner eigenen Bücher schon 1901 /02 von<br />
den Vorstellungen <strong>des</strong> Jugendstils, die sowohl<br />
ihn <strong>als</strong> auch Vogeler zunächst geprägt hatten, zu<br />
lösen. er legte allerdings nicht die gleichen maßstäbe<br />
bei Büchern anderer an. Bei Vogeler setzte<br />
die krisenhafte Auseinandersetzung mit diesen<br />
Auffassungen erst einige Jahre später ein.<br />
Rilkes Aufsatz über Vogeler<br />
und das Vogeler-Kapitel in seinem<br />
Worpswede-Buch<br />
im Januar <strong>des</strong> Jahres 1902 schrieb rilke über<br />
heinrich Vogeler in Westerwede einen Aufsatz,<br />
der im April <strong>als</strong> sonderheft der Zeitschrift<br />
›deutsche Kunst und dekoration‹ erschien.<br />
rilke versucht darin eine neue sicht auf den<br />
Künstler Vogeler zu eröffnen, auf die hier nicht<br />
weiter eingegangen werden soll. Abgebildet sind<br />
zur Veranschaulichung schwerpunktmäßig federzeichnungen,<br />
Gemälde und kunsthandwerkliche<br />
Arbeiten. merkwürdigerweise kommt die<br />
Buchgestaltung Vogelers thematisch nicht vor,<br />
von einer kurzen erwähnung der fantastischen<br />
Vögel in der Zeitschrift ›die insel‹ abgesehen.<br />
rilke schrieb an harry Graf Kessler, der ihm<br />
seine hochachtung für den Aufsatz ausgedrückt<br />
hatte: »[er] war mir eine besonders freudige<br />
Aufgabe, und wenn er gelungen ist, so ist das<br />
wieder ein Beweis für die tatsache, dass je größer<br />
die liebe, <strong>des</strong>to größer auch Gerechtigkeit<br />
und einsicht: liebe macht nicht blind, sondern<br />
sehend!« 38<br />
schon während der Arbeit am Aufsatz beginnen<br />
die Vorbereitungen zu der monografie<br />
›Worpswede‹, eine Auftragsarbeit für die reihe<br />
der Künstler-monografien <strong>des</strong> Verlags Velhagen<br />
& Klasing, verschafft durch den direktor der
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchkunst<br />
Kunsthalle Bremen, Gustav Pauli. Besprochen<br />
werden die fünf Gründungsmitglieder der<br />
›Worpsweder Künstlervereinigung‹: fritz<br />
mackensen, Otto modersohn, fritz Overbeck,<br />
hans am ende und heinrich Vogeler. ende mai<br />
ist das Buch fast abgeschlossen. in einem Brief<br />
an den maler Oskar Zwintscher schreibt rilke:<br />
»ich habe die letzten zwanzig tage (und nächte)<br />
größtenteils über meiner monographie verbracht,<br />
die jetzt endlich so gut wie fertig ist.« 39<br />
das erscheinen <strong>des</strong> Buches verzögert sich bis<br />
februar 1903. Auch hier soll auf die einordnung<br />
und Bewertung der Worpsweder Künstler und<br />
rilkes damalige Kunstauffassung nicht weiter<br />
eingegangen werden. Ohnehin ist auf rilkes<br />
dort geäußerte einschätzung der eingrenzung<br />
und Beschränkung der Vogelerschen Welt schon<br />
häufiger Bezug genommen worden. für den angesprochenen<br />
Zusammenhang ist wichtig, dass<br />
im Gegensatz zum erwähnten Aufsatz in dem<br />
Vogeler-Kapitel <strong>des</strong> Buches <strong>des</strong>sen buchkünstlerische<br />
Arbeit wenigstens kurz gestreift wird:<br />
es ist eine nebenerscheinung dieser eigentümlichen<br />
entwickelung heinrich Vogelers, daß sie ihn ganz<br />
besonders befähigt hat, Bücher zu schmücken. seine<br />
Absichten gehen schon lange (seitdem er sich mit<br />
einigen guten ex libris […] dem Wesen <strong>des</strong> Buches<br />
genähert hat) nach dieser seite hin, aber erst jetzt, da<br />
sein linienstil diese durchbildung erreicht hat, wird<br />
er im stande sein, ganz Glückliches in dieser richtung<br />
zu leisten. einige titelblätter in der insel, die<br />
Ausstattung eines kleinen Ban<strong>des</strong> Bierbaumscher<br />
Gedichte und der wundervolle schmuck, mit dem<br />
er das drama ›der Kaiser und die hexe‹ von hugo<br />
von hofmannsthal umgeben hat, bestätigen, daß<br />
seine ruhig und geschlossen wirkende und doch<br />
innerlich so reiche linienkunst wie keine geeignet<br />
ist, neben dem Gange edler lettern wie ein Gesang<br />
herzugehen. 40<br />
dass die Beschäftigung Vogelers mit Buchschmuck<br />
und Buchillustration keine, wie rilke<br />
es nennt, »nebenerscheinung« seiner künstlerischen<br />
laufbahn war, zeigt unter anderem<br />
Vogelers Klage während einer romreise 1903.<br />
dem damaligen leiter <strong>des</strong> insel-Verlags berichtet<br />
er, dass »er jeden tag gegen Abend« seinen<br />
»obligatorischen Krampf in der hand bekomme«.<br />
41 in den sechs Jahren von 1900 bis<br />
ende 1905 hat heinrich Vogeler circa 80 Bücher<br />
mehr oder weniger umfangreich illustriert, von<br />
Zeitschriften und seinen mit Buchzierrat versehenen<br />
Büchern ganz abgesehen. einer der höhepunkte<br />
der buchkünstlerischen tätigkeit Vogelers<br />
lag zur Zeit der Abfassung <strong>des</strong> Worpswede-<br />
Buches noch vor ihm: die beiden Ausgaben der<br />
erzählungen von Oscar Wilde ›das Granatapfelhaus‹<br />
(1904) und ›das Gespenst von<br />
canterville und fünf andere erzählungen‹<br />
(1905), erschienen im insel-Verlag. carl ernst<br />
Poeschel, einer der renommiertesten drucker<br />
dieser Zeit, der während der letzten Krankheitsphase<br />
<strong>des</strong> insel-Geschäftsführers rudolf von<br />
Poellnitz und nach <strong>des</strong>sen tod (februar 1905)<br />
zunächst allein, dann mit Anton Kippenberg die<br />
Verlagsleitung <strong>des</strong> insel-Verlags vorübergehend<br />
gemeinsam übernommen hatte, 42 äußerte sich<br />
begeistert: »die Zeichnungen sind nicht nur<br />
wohl gelungen, sondern sie gehören zum teil<br />
zum Besten, was sie <strong>als</strong> Buchkünstler geschaffen<br />
haben.« 43 Anton Kippenberg fasste später die<br />
beiden Bücher mit den Zeichnungen Vogelers in<br />
einem Band (Oscar Wilde: die erzählungen und<br />
märchen, leipzig 1910) zusammen. es wurde<br />
eines der erfolgreichsten Bücher <strong>des</strong> frühen<br />
insel-Verlags.<br />
Titelseite <strong>des</strong><br />
Rilke-<br />
Sonderheftes<br />
Deutsche Kunst<br />
und Dekoration,<br />
Heinrich Vogeler,<br />
April 1902<br />
9
Buchkunst<br />
10<br />
Unterschiedliche Auffassungen<br />
von Künstlerdasein und Lebensgestaltung<br />
Am 27. August 1902 reist rilke von Westerwede<br />
nach Paris; er will dort eine monografie über<br />
rodin im Auftrag <strong>des</strong> Professors der Kunstgeschichte<br />
richard muther schreiben. sie soll in<br />
der von muther herausgegebenen illustrierten<br />
reihe ›die Kunst‹ – Verlag Bard, marquardt &<br />
co. – in Berlin erscheinen, was auch im folgenden<br />
Jahr geschieht. rilke schreibt nach seiner<br />
Abreise am 17. september 1902 an Vogeler:<br />
ich fürchtete diesen Abschied. […] man nimmt nicht<br />
gern Abschied, wenn man nicht weiß, wohin man<br />
geht … […] Gott, sie wissen ja, was das mit uns ge -<br />
worden ist, sie sehen wie alles, was wir versucht<br />
haben, misslungen ist. sie haben es nahe an uns, fast<br />
mit uns erlebt und so muss ich ihnen gar nicht sagen,<br />
wie lieb, gut und wichtig alles hilfreiche ist, was sie<br />
jetzt thun. Bitte, bitte […] helfen sie ihr [clara] mit<br />
ihrem dasein uns Beistehen […] sie wollen ihr<br />
liebes haus mit unseren lieben sachen beladen:<br />
es ist unbescheiden, dass wir das annehmen, liebe<br />
Vogelers: Wir thun es doch. […] es ist ein großer<br />
trost, dass sie den dingen Obdach geben wollen.<br />
[…] ich danke ihnen sehr, sehr!<br />
und er fährt fort:<br />
Paris? Paris ist schwer. eine Galeere. ich kann nicht<br />
sagen, wie unsympathisch mir alles hier ist, nicht<br />
beschreiben, mit welcher instinktiven Ablehnung ich<br />
hier herumgehe! 44<br />
im Oktober folgt ihm clara nach Paris, die<br />
tochter ruth bleibt bei den Großeltern. Vogeler<br />
hilft bei der Auflösung <strong>des</strong> haushalts in Westerwede.<br />
rilkes Versuch, <strong>als</strong> Künstler eine bürgerliche<br />
existenz mit frau und Kind aufzubauen,<br />
hatte sich für ihn <strong>als</strong> irrweg erwiesen. sein Aufenthalt<br />
in Paris, die Begegnung mit rodin, auch<br />
der Beginn <strong>des</strong> romans ›die Aufzeichnungen<br />
<strong>des</strong> malte laurids Brigge‹ bestärken ihn in der<br />
überzeugung, dass er seinen Weg <strong>als</strong> Künstler<br />
allein gehen müsse. diese einsicht führt bei<br />
rilke ebenso zu einer veränderten Beurteilung<br />
<strong>des</strong> freun<strong>des</strong> Vogeler. <strong>des</strong>sen Versuch, an der<br />
Vorstellung festzuhalten, Kunst und leben im<br />
sinne <strong>des</strong> Jugendstils zu vereinigen, wird von<br />
rilke aufgrund seiner veränderten Auffassung<br />
vom angemessenen Künstlerdasein nun <strong>als</strong> irrweg<br />
gesehen. Zu diesem thema schrieb rilke<br />
etliche Jahre später an sidonie náderný: »daß<br />
Kunst-Arbeit und leben irgendwo ein entweder-Oder<br />
ist, entdeckt ja jeder zu seiner<br />
Zeit.« 45 rilke glaubte, Vogeler sei vom richtigen<br />
Weg abgekommen, er vernachlässige die Kunst,<br />
verwende mehr Zeit und Kraft auf das leben,<br />
die familie, haus und Garten.<br />
dass Vogeler in seiner Kunst bald ebenfalls in<br />
einer Krise war, dass gleichfalls seine ehe scheiterte,<br />
liegt auf einer anderen ebene. erstaunlich<br />
ist der tatbestand, dass rilke dies einfühlsam<br />
vorausahnte. der regelmäßige freundschaftliche<br />
Briefwechsel zwischen beiden geht während der<br />
Pariser Zeit weiter, auch <strong>als</strong> das ehepaar Vogeler<br />
eine italien-reise unternimmt. das zeigt unter<br />
anderem ein Briefausschnitt aus dem Jahre 1903:<br />
mein lieber heinrich Vogeler, ich werde lange <strong>des</strong><br />
tages gedenken, der uns ihren Brief aus florenz<br />
gebracht hat; es kann sein, dass wir diesen fünfzehnten<br />
märz überhaupt nicht vergessen werden.<br />
soviel Wohlthun haben sie mit ihren liebevollen<br />
Worten über uns gebreitet und gerade in dem<br />
Augenblick, da wir wohlthun und hilfe brauchten<br />
wie Brot. Wir waren beide so muthlos und so müde<br />
(ich – seit Wochen im Bann einer influenza, immer<br />
fast krank –) und da kamen sie, lieber, und zeigten<br />
uns Wege aus unserem Kleinmuth und machten uns<br />
die Welt wieder weit. Wir gingen dann den ganzen<br />
tag mit ihrem Briefe umher und lasen ihn immer<br />
wieder. 46<br />
diese freundschaft ist der hintergrund, dass<br />
Vogelers Barkenhoff im sommer 1903 von rilke<br />
<strong>als</strong> rettungsanker und erholungsmöglichkeit<br />
aus dem heißen Paris gesehen wird und ihn und<br />
clara zurück nach Worpswede lockt. Am<br />
13. Juli 1903 schreibt rilke an ellen Key:<br />
Paris wurde so drückend in den heißen tagen, dass<br />
wir uns rasch entschlossen, einem freunde (dem<br />
maler heinrich Vogeler) zu folgen, der uns her in<br />
sein stilles haus lud, nach Worpswede. die ruhe<br />
hier und die Weite ist unendliches Wohlthun nach<br />
Paris; hier wollen wir nun 6 – 8 Wochen wohnen und<br />
ausruhen. 47
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchkunst<br />
in einem Brief an seine mutter wird noch ein<br />
weiterer Grund für den Aufenthalt im Barkenhoff<br />
genannt: »heinrich Vogeler hat uns eingeladen<br />
dort für zwei monate seine Gäste zu sein.<br />
[…] zwei monate so gut wie umsonst zu leben,<br />
ist jetzt für uns das Wichtigste.« 48 später schreibt<br />
er: »Wir sind hier in Worpswede von heinrich<br />
Vogeler sehr gut aufgenommen worden und fangen<br />
an, uns ein wenig zu erholen.« 49 doch zwei<br />
tage zuvor hatte er lou Andreas-salomé mit geteilt:<br />
»Aber so still wie einst ist es nicht mehr auf<br />
dem Barkenhoff. Vogelers blonde frau wartet<br />
auf ihre zweite niederkunft und im Garten<br />
zwitschert die blasse kleine marie-luise Vogeler,<br />
die so alt ist wie ruth, aber viel zarter und<br />
kränklicher <strong>als</strong> sie.« 50 die Geburt der zweiten<br />
tochter erfolgte am 4. August.<br />
in einem ein paar tage später geschriebenen<br />
Brief werden der Wandel der inneren einstellung<br />
zu Vogeler und die begonnene entfremdung<br />
deutlich:<br />
Bei Vogelers ist wieder ein ganz kleines Kind, ein<br />
mädchen; und es wird einen altmodischen blassen<br />
namen haben, helene Bettina, und, wenn es sich<br />
nicht wehrt, wird es aufwachsen zu einem leben,<br />
das längst vergangen sein könnte. und es wird<br />
immer kleiner um heinrich Vogeler, sein haus zieht<br />
sich um ihn zusammen und füllt sich mit Alltag aus,<br />
mit Zufriedenheit, mit conventionen und mit trägheiten,<br />
so daß nichts unerwartetes mehr geschieht<br />
[…] und heinrich Vogelers Kunst wird unsicher,<br />
verliert immer mehr an Anschauung und sicherheit<br />
und ist ganz auf den Zufall einer spielerischen erfindung<br />
gestellt die sich von den dingen entfernt. […]<br />
heinrich Vogeler brauchte ein festes, stetes haus;<br />
aber jetzt, da es eigentlich voll und fertig ist [,] wächst<br />
es weiter in den Alltag hinein; und er empfindet<br />
nicht, daß es schwer wird. 51<br />
Wohl auch die enttäuschung, dass die sehnsucht<br />
nach ruhe und einem sorgenfreien Aufenthalt<br />
nicht in erfüllung gehen konnten, spielte bei<br />
diesen formulierungen mit. rilke fühlt sich angekommen<br />
in der rolle <strong>als</strong> einsamer Künstler<br />
ohne haus und ohne Bindung, nur seinem Werk<br />
verpflichtet. darüber hinaus wird der einfluss<br />
der Arbeitsauffassung rodins (»il faut travailler,<br />
rien que travailler«) ihn darin bestärkt haben.<br />
rilke kommt in den nächsten Jahren nach<br />
dem sommer von 1903 mehrfach nach Worps-<br />
wede – abgesehen von Besuchen in Oberneuland,<br />
um seine tochter zu sehen –, z. B. ende<br />
1904 bis ende februar 1905. Auch von Ostern<br />
1905 (23./24. April) bis zum 12. Juni 1905 hält er<br />
sich in Worpswede auf. seine frau hatte ihr Atelier<br />
in Oberneuland aufgegeben und nun eins in<br />
Worpswede in der hoffnung gemietet, dort<br />
schülerinnen zu finden. Bei diesem Aufenthalt<br />
besucht rilke Vogeler, um sich mit ihm wegen<br />
<strong>des</strong> ›stundenbuchs‹ zu beraten. 52<br />
Am 18. dezember 1905 reist rilke von frankreich<br />
über Brüssel erneut nach Worpswede, um<br />
clara zu besuchen. clara arbeitet zu diesem<br />
Zeitpunkt an einem leider verschollenen ton-<br />
oder Gipsmodell von ruth. Am 5. Januar 1906<br />
geht es zurück zu rodin nach meudon. Während<br />
einer Vortragsreise (rodin) im märz 1906<br />
hält sich rilke nur kurz in Worpswede auf, da er<br />
wegen <strong>des</strong> to<strong>des</strong> seines Vaters nach Prag weiterreisen<br />
muss. im Oktober 1906 sind Vogelers in<br />
Paris; doch konnten sie rilke nicht treffen, denn<br />
er war in dieser Zeit in Berlin.<br />
Von Anfang dezember 1907 bis zum<br />
18. februar 1908 befindet rilke sich in Oberneuland.<br />
Ob er bei dieser Gelegenheit auch im<br />
Barkenhoff war, ist unklar. Anlass für den Aufenthalt<br />
war der tod Paula modersohn-Beckers<br />
am 20. november 1907, der ihn sehr getroffen<br />
hatte. 53 Knapp ein Jahr später schreibt er für sie<br />
sein ›requiem. für eine freundin‹. Vom 9. Juli<br />
bis 10. August 1910 ist rilke zum letzten mal<br />
bei frau und tochter in Oberneuland. Am<br />
3. August besucht er von dort aus die familie<br />
Vogeler in Worpswede. er schenkt frau Vogeler<br />
seinen ›malte‹ mit der Widmung: »frau martha<br />
Vogeler herzlich und freundschaftlich beim<br />
Wiedersehn nach lange. Worpswede, am<br />
3. August 1910. rmr.« 54 es ist der letzte Barken -<br />
hoff-Besuch.<br />
Während seines Paris-Aufenthalts von 1911<br />
besucht Vogeler häufig den louvre, um unter<br />
anderem die Kunst der Ägypter und Babylonier<br />
zu studieren. er sieht rilke bei diesem Aufenthalt<br />
ein paar mal. seiner mutter schreibt rilke:<br />
»mein alter freund heinrich Vogeler aus<br />
Worpswede ist jetzt hier mit seiner frau, da er<br />
11
Buchkunst<br />
12<br />
Paris nur wenig kennt, musste ich mich ihm<br />
mehrfach widmen.« 55<br />
die unterschiedliche Auffassung vom Künstlerdasein<br />
und der angemessenen lebensgestaltung<br />
führte, wie wir festhalten können, zur allmählich<br />
fortschreitenden distanz der freunde,<br />
ihre Wege gingen mehr und mehr auseinander.<br />
Beide hielten jedoch an ihrer freundschaft fest.<br />
Neuer Umgang Rilkes in der<br />
Frage der Buchgestaltung durch<br />
die Zusammenarbeit mit dem<br />
Insel-Verlag<br />
durch die verstärkte, bald fast ausschließliche<br />
Zusammenarbeit mit dem insel-Verlag ändert<br />
sich rilkes Verhalten in der frage der Buchgestaltung<br />
erheblich. das zeigt sich schon bei<br />
der zweiten Auflage (1904) von ›Vom lieben<br />
Gott und Anderes‹. die initiativen gehen nun<br />
stärker vom Verlag aus <strong>als</strong> vom Autor. Auf Vorschlag<br />
<strong>des</strong> Verlagsleiters rudolf von Poellnitz 56<br />
wird nun der »eigentlich alte titel« ›Geschichten<br />
vom lieben Gott‹ genommen, der untertitel<br />
wird gestrichen. in einem Brief an ellen Key<br />
teilt rilke mit: »der insel-Verlag will die alte,<br />
unhandliche und unschöne Ausgabe <strong>des</strong> ›lieben-<br />
Gott-Buches‹ (die mir immer unlieb war) einstampfen,<br />
und eine neue, schöne Ausgabe davon<br />
drucken; ganz plötzlich kam dieser entschluss<br />
und mir zu grosser freude.« 57<br />
Bezeichnenderweise entfiel der Buchschmuck<br />
von e. r. Weiß völlig.<br />
lediglich im frühjahr 1905 gab es wie früher<br />
noch einen Briefwechsel über die Gestaltung <strong>des</strong><br />
›stunden-Buches‹ beziehungsweise <strong>des</strong>sen Ausstattung.<br />
rilke schreibt dem insel-Verlag, wie er<br />
sich das Buch vorstellt: »ich denke mir das<br />
stundenbuch schlicht und stark in der Wirkung;<br />
von jener Art eines vornehmen Gebrauchsbuches,<br />
wie die Gebetbücher etwa <strong>des</strong> sechzehnten<br />
Jahrhunderts sie aufweisen […] Absichtlich<br />
antiquierende mittel wären natürlich<br />
zu vermeiden.« 58 Auch gibt er weiterhin hin-<br />
weise auf format, titelblatt, satzspiegel und<br />
Papierqualität.<br />
die Gestaltung <strong>des</strong> Buches lag nunmehr in<br />
den händen von carl ernst Poeschel in Zusammenarbeit<br />
mit seinem freund, dem Buchgestalter<br />
Walter tiemann. Wie wichtig rilke zu<br />
diesem Zeitpunkt immer noch die einschätzung<br />
Vogelers in fragen der Buchgestaltung war,<br />
zeigt die Bitte rilkes an den insel-Verlag ende<br />
Juli 1905, der Verlag möge sich etwas gedulden,<br />
er möchte die druckproben erst Vogeler zeigen<br />
und <strong>des</strong>sen meinung hören. die gute erfahrung<br />
bei der Gestaltung <strong>des</strong> ›stundenbuches‹ prägt<br />
danach die weitere Zusammenarbeit mit dem<br />
insel-Verlag.<br />
Am 6. dezember 1905 richtet rilke aus Paris<br />
an den Verlag die Bitte, ihm einige exemplare<br />
<strong>des</strong> ›stundenbuches‹ zuzuschicken und erwähnt<br />
dabei, dass Vogeler ihm schrieb, dass er das<br />
›stundenbuch‹ in leipzig gesehen habe und dass<br />
es sehr schön geworden sei. Gegenüber Axel<br />
Juncker betont rilke: »wie viel die druckerei<br />
ausmacht, zeigt der wunderbar klare drugulinsatz<br />
im stunden-Buche.« 59 Viele Gedichte <strong>des</strong><br />
stundenbuches waren übrigens im herbst 1901<br />
in Westerwede entstanden, z. B. die 34 Gedichte<br />
<strong>des</strong> ›Buches von der Pilgerschaft‹ vom 18. bis 25.<br />
september.<br />
das Vertrauen in die solide und zuverlässige<br />
Arbeit <strong>des</strong> insel-Verlags festigt sich in der Zusammenarbeit<br />
mit Anton Kippenberg. in einem<br />
Brief an Kippenberg zur Veröffentlichung <strong>des</strong><br />
ersten teils der ›neuen Gedichte‹ schreibt rilke<br />
mitte 1907 zu dem neuen Gedichtband:<br />
Alles ist, was nun kommt, ihnen überlassen, die<br />
äußere form und Ausgestaltung und einrichtung<br />
<strong>des</strong> Buches, ja sogar (wie schon vorauszusehen war)<br />
der titel. […] Was das innere angeht, so kennen sie<br />
meine Abneigung gegen absichtliche Ausschmückung;<br />
aber hier ist alle erfahrung auf ihrer seite, und<br />
ich habe nichts weiter zu sagen und bin froh, daß es<br />
so ist. 60<br />
Kippenberg machte in der regel Vorschläge und<br />
bat um Zustimmung. Anders <strong>als</strong> früher hielt rilke<br />
sich nun zurück. ein weiteres Zitat verdeutlicht<br />
die Zufriedenheit mit der Arbeit <strong>des</strong> Ver-
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchkunst<br />
lages. rilke schrieb ende mai 1909: »Vor einer<br />
stunde sind die Pakete eingetroffen, und ich will<br />
ihnen gleich sagen, daß ich mich an den frühen<br />
Gedichten freue und die form sehr bewundere,<br />
die sie dem requiem gegeben haben.« 61 Wohl<br />
ohne dass rilke es ahnte, trägt dieses ›requiem‹ 62<br />
auf dem deckel eine Vignette von Vogeler – ein<br />
stilisierter tulpenkranz. sie wurde vom Verlag<br />
seit 1901 bei drei weiteren Büchern verwendet.<br />
im laufe der Zeit überließ rilke die Ausstattung<br />
der Bücher immer stärker Kippenberg.<br />
seine reaktion auf die Gestaltung und Ausstattung<br />
<strong>des</strong> ›malte‹, der am 31. mai 1910 erschien,<br />
lautete:<br />
mein lieber dr Kippenberg, wer ein wenig ahnt, was<br />
es heißt, ein Buch herauszubringen, der muß ihnen<br />
ehre geben, wenn er im aufschlagen und blättern<br />
sich bewußt macht, was an überlegung, an verwendeter<br />
erfahrung, an gutem Gewissen in der Verfügung<br />
und überaus endgültigen Ordnung dieser seiten<br />
im spiele steht. das titelblatt ist vollkommen in der<br />
Vertheilung und so alles im innern mit Geistesgegenwart<br />
und Produktivität organisiert. 63<br />
Scheitern einer erneuten<br />
Zusammenarbeit<br />
– Das Marien-Leben<br />
der Verleger Anton Kippenberg schrieb rilke<br />
am 4. Januar 1912:<br />
neulich war heinrich Vogeler bei mir und sprach<br />
unter anderem die Absicht aus, ihre etwa 10 marienlieder<br />
in einer von ihm geschmückten Ausgabe<br />
herauszugeben. er brachte mir einige titel-skizzen<br />
mit, die mich recht angesprochen haben, wenn ich<br />
auch, unter uns gesagt, finde, dass Vogelers Kunst<br />
zurückgeschritten ist. Aber ich möchte ihm aus<br />
mancherlei Gründen seinen Wunsch nicht abschlagen<br />
und sie werden es ebensowenig wollen. sagen<br />
sie mir <strong>als</strong>o bitte, ob sie mit Vogelers Absicht einverstanden<br />
sind. 64<br />
rilke antwortete zwei tage später aus duino:<br />
heinrich Vogeler kommt da auf einen ganz alten<br />
Plan zurück, den ich, offen gestanden, für aufgegeben<br />
hielt, umsomehr <strong>als</strong> ich seit Jahren die fühlung<br />
mit seinen Arbeiten verloren habe, wie auch er das,<br />
was ich jetzt mache, wahrscheinlich völlig an sich<br />
muß vorübergehen lassen. diese thatsache hat freilich<br />
an den alten Grundsätzen der freundschaft, die<br />
uns verbindet, nichts verdorben, und da er uns mit<br />
diesem Vorschlag kommt, so fühle ich mich min<strong>des</strong>tens<br />
angetrieben, seine intentionen mit ihnen auf<br />
das genaueste zu bedenken […] ich schreibe ihm<br />
vielleicht nächstens, wäre ihnen aber dankbar, wenn<br />
sie ihn schon jetzt wissen ließen, daß ich mich für<br />
die sache interessiere. 65<br />
doch rilke ist unklar, welche Gedichte Vogeler<br />
meint. in der sammlung ›in und nach Worpswede‹<br />
hatte es, wie schon erwähnt, lediglich zwei<br />
auf marias leben bezogene Gedichte gegeben:<br />
›Verkündigung über den hirten‹ und ›rast auf<br />
der flucht‹. Zusätzlich kamen allenfalls das Gedicht<br />
›die heiligen drei Könige‹ aus der ›insel‹<br />
und ›Verkündigung mariä‹ aus der Weihnachtsbeilage<br />
der Zeitschrift ›Bohemia‹ (Prag 1901) in<br />
Betracht. rilke kann sich nicht vorstellen, dass<br />
wirklich genügend Gedichte für ein ›marienleben‹<br />
vorhanden sind, auch zweifelt er daran,<br />
dass sie sich für eine Zusammenstellung eignen.<br />
er fährt in seinem Brief fort:<br />
die Vogeler’sche Kunst ist vielleicht nie mehr gewesen,<br />
<strong>als</strong> sie jetzt ist, nur daß wir sie eben gleichsam<br />
immer unter der verschwiegenen Bedingung hinnahmen,<br />
daß sie noch etwas mehr werde. darum scheint<br />
sie uns nun, in ihrem stehengebliebensein, gleich<br />
unzu länglich und, unter uns gesagt, auch ich halte es<br />
Entwurf zu Rilkes<br />
Marien-Leben,<br />
1912<br />
13
Buchkunst<br />
14<br />
für möglich, daß sein marien-leben, soweit es nicht<br />
auf alte entwürfe zurückgeht, vieles bringen wird,<br />
was einfach nicht ausreicht. in solchem fall aber<br />
sind sie diplomat genug, um ihn zu bewegen, ge -<br />
wisse Blätter noch einmal vorzunehmen oder durch<br />
andere zu ersetzen, und auch ich würde da, soweit<br />
<strong>als</strong> möglich, versuchen, meine stimme auf ihn wirken<br />
zu lassen. unter diesen Bedingungen könnten wir<br />
vielleicht doch etwas Gutes und in sich Berechtigtes<br />
an den tag geben. 66<br />
Von Anton Kippenberg erhält rilke eine Abschrift<br />
<strong>des</strong> heinrich Vogeler vor mehr <strong>als</strong> zehn<br />
Jahren geschenkten manuskripts ›in und nach<br />
Worpswede‹. Am 15. Januar teilt rilke mit:<br />
ich habe eben eine merkwürdige halbe stunde mit<br />
dem lesen der Gedichte aus Vogelers Besitz verbracht.<br />
es sind sehr schöne darunter, die mir noch<br />
ganz gradaus nahegehen, aber die beiden marienlieder<br />
gehören nicht zu den besten. Je mehr ichs<br />
bedenke, es wird bei einer Zusammenstellung<br />
solcher marien-lieder, wie er sie vorschlug, nichts<br />
Gutes herauskommen: sie werden kein Ganzes<br />
ergeben.<br />
doch weiterhin:<br />
[es] überrascht mich das, was in seinem Buche allmählich<br />
zusammengekommen ist, durch seine einheit,<br />
und ich stehe in diesem moment unter der<br />
eingebung, ob es nicht recht angemessen und von<br />
besonderem reiz wäre, diese für ihn entstandenen<br />
Verse, so wie sie sind, von ihm ausgestattet, <strong>als</strong> aus<br />
seinem Besitz, herauszugeben? […] ich schreibe<br />
Vogeler davon, – dies hätte mehr natur <strong>als</strong> ein<br />
Zusammenholen von marien-Gedichten; hier ist<br />
etwas fertiges. 67<br />
Aber aus der Gedenk- und erinnerungsmappe<br />
wird nichts, 68 denn zwischen dem 15. und 22.<br />
Januar inspiriert rilke – parallel zur ersten<br />
duineser elegie – die Beschäftigung mit dem<br />
thema überraschend zu einem Zyklus von 13<br />
beziehungsweise 15 (das letzte Gedicht besteht<br />
aus drei teilen) neuen marien-Gedichten. 69<br />
diese werden Vogeler zugeschickt.<br />
Vogeler entwickelte für den von ihm geplanten<br />
Band folgende Konzeption: für die Gedichte<br />
sollte eine eigene schrift entworfen werden,<br />
und zwar von heinrich Wieynck, einem<br />
der Wegbereiter der modernen schriftkunst. die<br />
Gedichttexte wollte Vogeler mit eigenen rahmenornamenten<br />
einfassen und den Gedichtseiten<br />
ganzseitige illustrationen gegenüberstel-<br />
len. dass in diesem Konzept vergangene Jugendstil-Vorstellungen<br />
anklingen, ist überdeutlich.<br />
Vielleicht hatte Vogeler auch noch im Kopf, was<br />
rilke dam<strong>als</strong> in seinem Worpswede-Buch über<br />
seine mappe ›An den frühling‹ schrieb:<br />
Wenn schon die radierungen ›An den frühling‹ mit<br />
recht in einer mappe zusammengefaßt werden<br />
konnten, so denken diese Blätter noch viel weniger<br />
daran, sich an Wände zu wünschen. ihrer intimität<br />
entspricht es, <strong>als</strong> mappenwerk behandelt zu werden,<br />
ja man kann sie sich sogar in einem Buche vorstellen<br />
<strong>als</strong> Gegenstück einer mit feingliederigen und stillen<br />
typen bedruckten Buchseite. 70<br />
Weder die Arbeit Wieyncks noch die Vogelers<br />
gefielen Anton Kippenberg. über die starren,<br />
zum teil statuarischen, holzschnittartigen illustrationen,<br />
die Vogeler nach den Gedichten entwarf,<br />
urteilt Kippenberg im Juli: »nach meinem<br />
empfinden sind die Vogeler’schen Zeichnungen<br />
unmöglich.« 71 Auch rilke ist nicht einverstanden.<br />
nach einigem hin und her (unter anderem<br />
die überlegung, nur eine Zeichnung dem Buch<br />
voranzustellen) schlägt rilke <strong>als</strong> Ausweg vor,<br />
das kleine Buch ›marien-leben‹ heinrich<br />
Vogeler zu widmen: »heinrich Vogeler / dankbar<br />
/ für alten und neuen Anlaß / zu diesen<br />
Versen«. über die reaktion Vogelers schreibt<br />
rilke am 9. november 1912: »heinrich Vogeler<br />
hat meinen Brief überaus freundlich aufgenommen<br />
und verstanden, er schreibt mir, es schiene<br />
auch ihm das richtigste, wenn das marien-<br />
leben ohne seine Zeichnungen erscheint.« 72<br />
rilke bekam die Zeichnung, die ihm am besten<br />
gefallen hatte, von Vogeler geschenkt. das<br />
›marien- leben‹ erschien in der insel-Bücherei<br />
und darüber hinaus in einer Vorzugsausgabe<br />
von 200 nummerierten exemplaren.<br />
Letzter Kontakt<br />
Gegen ende <strong>des</strong> ersten Weltkriegs und danach<br />
entfaltete heinrich Vogeler unterschiedliche<br />
politische Aktivitäten, unter anderem hielt er<br />
Vorträge und entwickelte in knappen schriften<br />
seine neuen politischen Vorstellungen. der
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchkunst<br />
Krieg hatte zum Zusammenbruch seiner Weltanschauung<br />
und zur hinwendung zum Kommunismus<br />
geführt. Wohl in erinnerung an die<br />
alte freundschaft schickte er rilke 1919 mehrere<br />
exemplare seines gedruckten Vortrags ݟber<br />
den expressionismus der liebe. der Weg zum<br />
frieden‹, den er in Bremen gehalten hatte. es<br />
war eine seiner ersten politischen schriften. 73<br />
rilke, <strong>des</strong>sen ursprüngliche Begeisterung für die<br />
räte-republik und für die ideen einer sozialistischen<br />
revolution sich lange gelegt hatte, war<br />
von Vogelers Aufruf beeindruckt. Wie bewegt<br />
rilke war, zeigt ein Brief an die schauspielerin<br />
Anni mewes:<br />
Vogeler ist nichts weniger <strong>als</strong> konsequent, er ist<br />
leicht zu widerlegen, und ich bin sicher, die näheren<br />
Verhältnisse um ihn herum widerlegen ihn jeden<br />
tag. Aber mich, der ich seit so viel Jahren sein<br />
freund sein durfte, rührt doch dieser Ausbruch<br />
seines stillen und eigentlich schüchternen Wesens:<br />
Was mussten in diesem, in seinen Verträumungen<br />
vielfältig und zierlich befangenen menschen für<br />
erschütterungen, für stürze, für erdbeben vorgehen,<br />
damit er so aus sich hinaus zu rufen und zu wirken<br />
sich genötigt sah? immer wieder ergreift mich dieser<br />
satz: ›ein nie gekannter menschlicher Zustand ist im<br />
Werden: frieden.‹ in dieser feststellung ist die innig -<br />
keit <strong>des</strong> früheren heinrich Vogeler, vermehrt um ein<br />
unendliches: um ein wirkliches Gelittenhaben, um<br />
ein in-der-hölle-Gewesen-sein und hernach hoffen<br />
–, ja, es ist eine immense realität der Gefühls-erfahrung,<br />
aus der diese Worte hervorgehen, wie von<br />
einem Auferstehenden gesprochen, der nicht mehr<br />
zu beirren ist, ob er gleich aus einem moment <strong>des</strong><br />
Grabes kommt und in ein chaos hineintaumelnd<br />
aufersteht. 74<br />
2012 ist ein Heinrich-Vogeler-Gedenkjahr: vor 140<br />
Jahren wurde der Worpsweder Künstler in Bremen<br />
geboren; er starb vor 70 Jahren während <strong>des</strong> Zweiten<br />
Weltkriegs in Kasachstan, wohin er im Jahre <strong>des</strong> Überfalls<br />
Deutschlands auf die Sowjetunion deportiert worden<br />
war. Rainer Maria Rilke starb bereits Ende 1926<br />
in der Schweiz.<br />
Anmerkungen<br />
1 Ansichtskarte r. m. rilkes an Vogelers vom 14. August<br />
1906, deutsches literaturarchiv marbach,<br />
A. rilke, 65.1317. leider hat sich der Briefwechsel<br />
zwischen h. Vogeler und r. m. rilke nur rudimentär<br />
erhalten. in marbach liegt einzig die Karte vor; im<br />
Worpsweder Archiv der Barkenhoff-stiftung befinden<br />
sich Abschriften von zehn Briefen und einer<br />
Karte rilkes, außerdem eine Abschrift eines Briefes<br />
von Vogeler und eine Briefkopie. diese schreiben<br />
stammen aus dem Zeitraum 1900 bis 1903 (Abschriften<br />
aus dem rilke-Archiv in Gernsbach).<br />
2 Brief an hugo salus vom 21. november 1898. in:<br />
rmr. Briefe aus den Jahren 1892 bis 1904. hrsg. von<br />
ruth sieber-rilke und carl sieber. leipzig 1939, s. 60.<br />
3 Brief an seine mutter vom 17. dezember 1898. in:<br />
rmr. Briefe an die mutter. 1896 bis 1926. hrsg. von<br />
hella sieber-rilke. 2 Bde. frankfurt am main und<br />
leipzig 2009, hier Bd. 1, s. 74.<br />
4 Brief an seine mutter vom 29. dezember 1898, ebd.,<br />
s. 77.<br />
5 ebd., s. 77. die bisherigen chronologien der Künstlerfreundschaft<br />
der beiden enthalten fehler, auf die<br />
hier nicht detailliert eingegangen werden soll; z. B.<br />
richard Pettit: rmr und seine Künstlerfreunde in<br />
Worpswede. lilienthal, 3. veränderte Aufl. 2001;<br />
ebenso rieke marquarding: eine chronologie. rmr<br />
und Worpswede. in: rilke. Worpswede. eine Ausstellung<br />
<strong>als</strong> Phantasie über ein Buch. Bremen 2003, s.<br />
310–363.<br />
6 Zitiert nach carl sieber: rilke und Worpswede. in:<br />
merian, Worpswede. hamburg 1949, s. 28.<br />
7 eine Abbildung befindet sich sowohl in rilkes Aufsatz<br />
über Vogeler <strong>als</strong> auch in seinem Worpswede-<br />
Buch (siehe unten).<br />
8 rilke schenkte sein exemplar später Alfred lichtwark,<br />
dem direktor der hamburger Kunsthalle.<br />
9 Brief an seine mutter vom 7. Juli 1899, a. a. O., s. 114.<br />
10 Brief an A. Juncker vom 6. november 1901. in: rmr.<br />
Briefe an A. Juncker. hrsg. von renate scharffenberg.<br />
frankfurt am main 1979, s. 32. das Buch erschien<br />
mit verschiedenen einbandvarianten: blaues<br />
leinen, halbleinen und halbleder; roter Karton; es<br />
gibt auch Pergamentexemplare.<br />
11 Auch frühere Bücher rilkes waren von Künstlern<br />
›geschmückt‹ worden. der umschlag seiner zweiten<br />
veröffentlichten Gedichtsammlung z. B., ›larenopfer‹,<br />
1895, wurde von seiner ersten freundin, der<br />
künstlerisch begabten Valerie von david-rhonfeld<br />
entworfen. emil Orlik, rilkes freund aus Prag,<br />
zeichnete den einband zu rilkes vierter Gedichtsammlung,<br />
›Advent‹, 1897.<br />
12 Brief an rilke vom 10. dezember 1899, zit. nach renate<br />
scharffenberg: der Beitrag <strong>des</strong> dichters zum<br />
formwandel in der äusseren Gestalt <strong>des</strong> Buches um<br />
die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. diss. marburg<br />
1953, s. 151 f.<br />
13 richard Pettit: rmr und seine Künstlerfreunde in<br />
Worpswede, a. a. O., s. 13.<br />
14 Brief an seine mutter vom 12. April 1900, a. a. O., s. 167.<br />
15 Karte vom 26. Juli 1900, abgebildet in richard Pettit:<br />
rmr und seine Künstlerfreunde in Worpswede, a. a.<br />
O., s. 21.<br />
16 Brief vom 11. August 1900. in: rmr / lou Andreassalomé,<br />
Briefwechsel. hrsg. von ernst Pfeiffer<br />
frankfurt am main 1975, s. 44; gemeint ist: Vom lieben<br />
Gott und Anderes.<br />
17 Brief an seine mutter vom 8. August 1900, a. a. O.,<br />
s. 193.<br />
18 eintrag vom 4. september 1900. in: rmr. Briefe und<br />
tagebücher aus der frühzeit. 1899 bis 1902. hrsg.<br />
von ruth sieber-rilke und carl sieber. leipzig 1933,<br />
s. 269.<br />
15
Buchkunst<br />
16<br />
19 Brief an frieda von Bülow vom 24. Oktober 1900. in:<br />
rmr. Briefe aus den Jahren 1892 bis 1904. hrsg. von<br />
ruth sieber-rilke und carl sieber. leipzig 1939,<br />
s. 117.<br />
20 Brief an seine mutter vom 29. dezember 1898, a. a. O.,<br />
s. 76.<br />
21 rmr: heinrich Vogeler * Worpswede. in: deutsche<br />
Kunst und dekoration. darmstadt, April 1902,<br />
s. 325.<br />
22 Brief an h. Vogeler vom 24. november 1900; Abschrift<br />
im Worpsweder Archiv.<br />
23 theo neteler: der Buchkünstler heinrich Vogeler<br />
und die Brüder Gerhart und carl hauptmann. in:<br />
marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie.<br />
heft 3/2007, s. 2533.<br />
24 Brief an h. Vogeler vom 9. dezember 1900, Abschrift<br />
im Worpsweder Archiv. das skizzenbuch ist verloren<br />
gegangen. die federzeichnungen ›Verkündigung<br />
über den hirten‹ und ›rast auf der flucht‹ waren inspirationsquelle<br />
für die Gedichte rilkes. Bei dem<br />
›marien-leben‹ von 1912 wurde versucht, den umgekehrten<br />
Weg einzuschlagen.<br />
25 Gerade zu diesem Komplex gibt es in der literatur<br />
sehr unterschiedliche Aussagen; vgl. u. a. heinrich<br />
Wigand Petzet: das Bildnis <strong>des</strong> dichters. rainer maria<br />
rilke – Paula modersohn-Becker. eine Begegnung.<br />
frankfurt am main 1976; helmut naumann: rilke<br />
und Worpswede. rheinfelden und Berlin 1997; ralph<br />
freedman: rainer maria rilke. 2 Bde. Aus dem Amerikanischen<br />
von curdin ebneter. frankfurt am main<br />
und leipzig 2001.<br />
26 Brief an A. Juncker vom 20. september 1901, a. a. O.,<br />
s. 21. irene forbes-mosse (1864–1946) geb. Gräfin<br />
flemming, enkelin Bettine von Arnims, schriftstellerin;<br />
die Gedichtsammlung ›mezzavoce‹ erschien<br />
1901. Während rilke Vogeler zuvor noch <strong>als</strong> ›meister<br />
<strong>des</strong> frühlings‹ gesehen hatte, stellt er hier eine Weiterentwicklung<br />
fest.<br />
27 Brief an A. Juncker vom 26. september 1901, ebd.,<br />
s. 22 f. richard Pettit (rainer maria rilke und seine<br />
Künstlerfreunde in Worpswede, a. a. O., s. 96) vermutet,<br />
dass rilkes intensive Beschäftigung mit der<br />
Gestaltung seiner Bücher »wohl auch durch den umgang<br />
mit heinrich Vogeler angeregt« wurde. Wahrscheinlich<br />
ist bei rilke der einfluss der reform der<br />
Buchgestaltung, die er auch durch seine mitarbeit an<br />
den Zeitschriften ›PAn‹ und ›die insel‹ kannte, bedeutender.<br />
28 Brief an A. Juncker zwischen dem 3. und 6. november<br />
1901, a. a. O., s. 31.<br />
29 Brief an A. Juncker vom 26. dezember 1901, ebd.,<br />
s. 49.<br />
30 Zit. nach ingeborg schnack: rmr. chronik seines<br />
lebens und seines Werkes. 1875–1926. erw. neuausgabe<br />
hrsg. von renate scharffenberg (im folgenden:<br />
rilke-chronik). frankfurt am main und leipzig<br />
2009, s. 137.<br />
31 Brief an A. Juncker vom 7. dezember 1901, a. a. O.,<br />
s. 45.<br />
32 Brief an A. Juncker vom 7. november 1901, ebd.,<br />
s. 35. Aus diesem Grunde entschied sich rilke für<br />
durchgehende Versalien, was er in der zweiten Auflage<br />
aber wieder zurücknahm.<br />
33 Brief an A. Juncker vom 6. februar 1902, ebd., s. 57 f.<br />
34 Brief an A. Juncker vom 7. dezember 1901, ebd.,<br />
s. 44 f. leider hat rilke das Blatt nicht genau benannt.<br />
35 Brief an A. Juncker vom 25. november 1905: »ich<br />
würde Vogeler um ein paar initialen bitten: vielleicht<br />
wollen sie sich diese kleine Auslage nicht verdrießen<br />
lassen?«; ebd., s. 168 f.<br />
36 Brief an A. Juncker vom 21. Januar 1906, ebd., s. 174.<br />
37 Brief an A. Juncker von Weihnachten 1906, ebd., s.<br />
193. rilke hatte gegenüber der ersten Auflage ein<br />
kleineres format vorgeschlagen. die Kompromisslosigkeit<br />
rilkes bei der Auseinandersetzung mit dem<br />
druck seiner Werke zeigt auch die Äußerung bei der<br />
herstellung <strong>des</strong> ›cornet‹: »die seite macht den eindruck<br />
einer leseprobe im Zimmer eines Augenarztes.«<br />
Brief an A. Juncker vom 10. August 1906,<br />
ebd., s.188 f.<br />
38 Brief rilkes an Kessler vom 12. April 1902, rilkechronik,<br />
s. 150.<br />
39 Brief an Oskar Zwintscher vom 28. mai 1902. in:<br />
rmr. dreizehn Briefe an Oskar Zwintscher. handschriftlich<br />
wiedergegeben. Gesellschaft der Bücherfreunde<br />
zu chemnitz 1931. unpag.; seine monografie:<br />
rainer maria rilke: Worpswede. fritz mackensen,<br />
Otto modersohn, fritz Overbeck, hans am<br />
ende, heinrich Vogeler. Bielefeld und leipzig 1903.<br />
40 rmr: Worpswede, ebd., s. 116 f. Vollständig erneut<br />
abgedruckt im Katalog: rilke. Worpswede. eine Ausstellung<br />
<strong>als</strong> Phantasie über ein Buch. hrsg. von Wulf<br />
herzogenrath und Andreas Kreul. Bremen 2003. der<br />
letzte satz lässt sich wohl auch auf den in dieser Zeit<br />
besprochenen Plan beziehen, gemeinsam ein Buch<br />
mit Gedichten rilkes und Zeichnungen Vogelers herauszugeben<br />
unter dem titel ›marien-leben‹.<br />
41 Brief an rudolf von Poellnitz vom 3. februar 1903,<br />
zitiert nach theo neteler: der Buchkünstler heinrich<br />
Vogeler. mit einer Bibliographie. Ascona und<br />
unterrreit 1998, s. 52.<br />
42 theo neteler: die gescheiterte doppelspitze. carl<br />
ernst Poeschel und Anton Kippenberg misslingt<br />
1905/1906 die gemeinsame leitung <strong>des</strong> insel-Verlags.<br />
in: das zweite Jahrzehnt. leipziger Bibliophilen-<br />
Abend. eine festschrift. hrsg. von h. Kästner. leipzig<br />
2011, s. 66–79.<br />
43 Brief vom 19. september 1905, zitiert nach theo<br />
neteler: »die verschlungenen Wege der Kontur…«.<br />
in: Vom Ornament zur linie. der frühe insel-Verlag<br />
1899 bis 1924. hrsg. von John dieter Brinks. Assenheim<br />
1999, s. 108.<br />
44 Brief an Vogeler vom 17. september 1902. in: rmr.<br />
Briefe. 2 Bde. hrsg. von Karl Altheim. Wiesbaden<br />
1950, s. 38 f.<br />
45 Brief an sidonie náderný von Borutin vom 31. Oktober<br />
1913. in: rmr / sidonie náderný von Borutin.<br />
Briefwechsel 1906–1926. hrsg. und kommentiert von<br />
Joachim W. storck unter mitarbeit von W. und fr.<br />
Pfäfflin. Göttingen 2007, s. 190.<br />
46 Brief an h. Vogeler vom 3. April 1903, Abschrift im<br />
Worpsweder Archiv.<br />
47 Brief an ellen Key vom 13. Juli 1903. in: rmr. Briefwechsel<br />
mit ellen Key. hrsg. von theodore fiedler.<br />
frankfurt am main und leipzig 1993, s. 30.<br />
48 Brief an seine mutter vom 3. Juli 1903, a. a. O., s. 380.<br />
49 Brief an seine mutter vom 15.7.1903, ebd., s. 381.<br />
50 Brief an l. Andreas-salomé vom 13. Juli 1903, a. a. O.,
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchhandel<br />
s. 64. ruth war auch während <strong>des</strong> Barkenhoff-Aufenthalts<br />
bei den Großeltern in Oberneuland. die<br />
eltern besuchten sie dort acht tage lang ende Juli.<br />
51 Brief vom 8. August 1903 aus Oberneuland an<br />
l. Andreas-salomé, ebd., s. 90 f. und 92.<br />
52 rilke wohnte nicht, wie im Katalog ›rilke. Worpswede‹<br />
angegeben (s. 350) »bei heinrich Vogeler auf dem<br />
Barkenhoff«. im gleichen Buch heißt es fälschlich:<br />
das stundenbuch enthalte »illustrationen von heinrich<br />
Vogeler« (s. 351).<br />
53 Otto modersohn berichtet in seinem tagebuch Anfang<br />
februar 1908: »mit rilkes war ich in Paulas Atelier,<br />
er war schon dort gewesen und kannte alle ihre<br />
sachen. er war enthusiasmiert von ihnen.« Zitiert<br />
nach rainer stamm: »ein kurzes intensives fest«.<br />
Paula modersohn-Becker. eine Biographie. stuttgart<br />
2007, s. 238.<br />
54 Zitiert nach rilke-chronik, a. a. O., s. 349.<br />
55 Brief an seine mutter vom 2. mai 1911, a. a. O., Bd. 2,<br />
s. 71.<br />
56 rudolf von Poellnitz übernahm seit september 1901<br />
in leipzig die Geschäftsführung <strong>des</strong> insel-Verlags,<br />
vgl. theo neteler: rudolf von Poellnitz. Von eugen<br />
diederichs zum insel-Verlag. in: Philobiblon 42<br />
(1998) s. 169–200.<br />
57 Brief an e. Key vom 6. februar 1904, a. a. O., s. 46.<br />
das Buchformat änderte sich von Groß- zu Klein-<br />
Oktav.<br />
58 Brief an den insel-Verlag vom 16. mai 1905, zitiert<br />
nach rilke-chronik, s. 216.<br />
59 Brief an A. Juncker vom 21. Januar 1906, a. a. O.,<br />
s. 175; siehe auch theo neteler: die Offizin W. drugulin<br />
– haag-drugulin. leipzig 2009.<br />
60 Brief an A. Kippenberg vom 27. Juli 1907. in: rmr.<br />
Briefwechsel mit Anton Kippenberg. hrsg. von<br />
i. schnack und r. scharffenberg. frankfurt am main<br />
und leipzig 1995, hier Bd. 1, s. 79.<br />
61 Brief an A. Kippenberg vom 21. mai 1909, ebd.,<br />
s. 161.<br />
62 es handelt sich um ein Gedenkbuch für Paula modersohn-Becker,<br />
erschienen 1909 in 500 nummerierten<br />
exemplaren. einband: violettes leinen oder<br />
Pappe: deckelvignette in schwarz; weißes leinen<br />
oder Pappe: deckelvignette in Violett. die Vignette<br />
ist nicht mit den initialen Vogelers versehen.<br />
63 Brief an Kippenberg vom 9. Juni 1910, a. a. O., s. 216.<br />
64 Kippenberg an rilke vom 4. Januar 1912, ebd., s. 308.<br />
65 Brief an Kippenberg vom 6. Januar 1912, ebd., s. 311.<br />
66 ebd., s. 312.<br />
67 Brief an A. Kippenberg vom 15. Januar 1912, ebd.,<br />
s. 317 f.<br />
68 die Gedichte sind <strong>als</strong> geschlossene sammlung erst<br />
viele Jahrzehnte später veröffentlicht worden: rmr:<br />
in und nach Worpswede. Gedichte. mit Bildern von<br />
heinrich Vogeler. iB nr. 1208. frankfurt am main<br />
und leipzig 2000.<br />
69 Angeregt worden sei er, wie er später erläutert, von<br />
erinnerungen an italienische Bilder (tizian, tintoretto)<br />
bis hin zur ikonen-malerei. richard exner hat in<br />
seiner Ausgabe: rmr: das marien-leben. frankfurt<br />
am main und leipzig 1999, die Bilder, die rilke inspiriert<br />
haben (könnten), den Gedichten gegenübergestellt.<br />
70 rmr: Worpswede, a. a. O., s. 115 f.<br />
71 Brief an rilke vom 25. Juli 1912, a. a. O., s. 343.<br />
72 ebd., s. 364. die feststellungen Wolfgang leppmanns<br />
(rilke. sein leben, seine Welt, sein Werk.<br />
Bern und münchen 1993): »die freundschaft mit<br />
heinrich Vogeler zerbricht unter der last eines Projekts,<br />
das sie schon 1900 in Worpswede erwogen hatten<br />
und das der maler jetzt wieder aufnehmen möchte.«<br />
und: »rilke hatte dam<strong>als</strong> drei kurze Gedichte<br />
geschrieben, zu denen jetzt zwölf neue hinzukommen.«<br />
(s. 313 f.) sind eine überinterpretation beziehungsweise<br />
nicht ganz korrekt.<br />
73 heinrich Vogeler: über den expressionismus der<br />
liebe. der Weg zum frieden. Bremen 1918. Kart.,<br />
mit deckelillustration <strong>des</strong> Verfassers. Von dem von<br />
Vogeler in seinen erinnerungen geschilderten unglücklichen<br />
›Wiedersehen‹ in Partenkirchen Anfang<br />
februar 1915, bei dem rilke den uniformierten Vogeler<br />
offensichtlich nicht erkannt hat, wird hier abgesehen.<br />
74 Brief rilkes vom 12. september 1919 aus soglio an<br />
Anni mewes. in: Joachim W. storck (hrsg.): rmr.<br />
Briefe zur Politik. frankfurt am main und leipzig<br />
1992, s. 284.<br />
Hans Altenhein<br />
Der geteilte Buchhandel<br />
1945 bis 1990<br />
die historische Betrachtung der ersten<br />
vier nachkriegsjahre in deutschland<br />
von 1945 bis 1949, insbesondere aber<br />
die untersuchung der bilateralen Beziehungen<br />
zwischen den beiden <strong>deutschen</strong> staaten von<br />
1949 bis 1990 ist bisher weitgehend durch den<br />
standort der jeweiligen Betrachter bestimmt gewesen<br />
und damit unvermeidlich perspektivisch,<br />
das gilt auch für die Buch- und Verlagsgeschichte.<br />
1 Gründe für diese einschränkung <strong>des</strong> Gesichtsfelds<br />
beruhen nicht nur, bewusst oder unbewusst,<br />
auf den alten politischen Kontroversen,<br />
sondern auch auf den methodischen<br />
schwierigkeiten einer integralen Geschichtsschreibung.<br />
immerhin gibt es denkbare Ansätze<br />
für eine Geschichte der <strong>deutschen</strong> teilung. sie<br />
begänne etwa mit dem endzustand der einheit,<br />
<strong>als</strong>o der Katastrophe, in der sich die lebenswelt,<br />
die Warenproduktion, der Verkehr und die Kultur<br />
vor und gleich nach dem Kriegsende von<br />
17
Buchhandel<br />
18<br />
1945 befanden, sie würde fortfahren mit der Beschreibung<br />
zweier sich gegeneinander entwickelnder<br />
Gesellschaftsformen, der <strong>des</strong> spätkapitalismus<br />
auf der einen, <strong>des</strong> spätsozialismus auf<br />
der anderen seite, 2 und käme, angesichts vieler<br />
Kontroversen, zur dokumentation eines labilen,<br />
weil militarisierten Balance-Zustands, der<br />
dann, unter wechselnder Prozessgeschwindigkeit,<br />
im Zusammenbruch <strong>des</strong> einen, nämlich<br />
östlichen systems, endete und damit einen Wandel<br />
mit positiven und negativen folgen auslöste.<br />
in einem solchen Geschichtsmodell müsste auch<br />
eine integrale Buchgeschichte ihre erklärungsmuster<br />
finden, denn weder eine Parallelgeschichte<br />
<strong>des</strong> Buchwesens in der ddr und der<br />
Bun<strong>des</strong>republik, noch auch ein systemvergleich<br />
zwischen beiden, könnte den trennenden und<br />
verbindenden faktoren gerecht werden, die ja<br />
teil und motor <strong>des</strong> Geschichtsprozesses sind.<br />
nur wenn man das Ganze der Beziehungen,<br />
<strong>als</strong>o die Affinitäten, rückbezüge und trennlinien<br />
ins Auge fasst, ist die subgeschichte <strong>des</strong> geteilten<br />
Buchwesens verständlich zu machen.<br />
Die Einheit vor der Teilung<br />
man muss sich die ursprüngliche Bedeutung<br />
dieses grenzüberschreitenden, rechtsförmigkorporativen<br />
und privatwirtschaftlich operierenden<br />
systems vor Augen halten, das sich im<br />
Börsenverein der <strong>deutschen</strong> Buchhändler zu<br />
leipzig konstituierte und das stanley unwin<br />
1927 <strong>als</strong> »die vollkommenste Buchvertriebsorganisation<br />
der ganzen Welt« bezeichnet hatte, 3<br />
um zu ermessen, was im 20. Jahrhundert daraus<br />
wurde. dabei ist zu bedenken, dass die Organisation<br />
<strong>des</strong> <strong>deutschen</strong> Buchhandels bereits unter<br />
der herrschaft <strong>des</strong> nation<strong>als</strong>ozialismus erhebliche<br />
macht- und Kompetenzverluste erlitt, und<br />
dass durch die Verfolgung und Vertreibung<br />
jüdischer Verleger, Buchhändler und Antiquare<br />
Personen- und substanzverluste entstanden, die<br />
nie mehr gut gemacht werden konnten. die<br />
Zeitgenossen sahen das anders und hielten weiter<br />
zu ihrem Berufsverband. Allein Gerhard<br />
menz, autoritärer Vordenker <strong>des</strong> Buchhandels,<br />
erinnerte im Kriegsjahr 1942 zwar an die »großdeutsche<br />
Anlage« <strong>des</strong> Börsenvereins, fand aber<br />
nun, dass sein früherer Arbeitgeber »<strong>als</strong> ein bürgerlicher<br />
Verein alten stils für die lösung aller<br />
Aufgaben und namentlich der brennendst gewordenen«<br />
nicht mehr ausreiche, 4 und sprach<br />
ungeniert von einem erneuerten »europäischen<br />
Buchhandel unter deutscher führung«. 5<br />
tatsächlich hatte sich im Verlauf <strong>des</strong> Zweiten<br />
Weltkriegs das Geschäftsgebiet <strong>des</strong> <strong>deutschen</strong><br />
Buchhandels auf ganz europa ausgedehnt.<br />
reichsdeutsche Verlage ließen ihre Bücher in<br />
besetzten ländern wie den niederlanden, frankreich,<br />
Belgien und den baltischen Gebieten<br />
produzieren. 6 ein netz von zentral geführten,<br />
stationären ›frontbuchhandlungen‹, betreut von<br />
buchhändlerisch ausgebildeten Angehörigen der<br />
Wehrmacht, später auch von Buchhändlerinnen,<br />
überzog europa – 98 filialen waren es ende<br />
1943. deutsche Verlagsgründungen, Kooperationen<br />
und Beteiligungen im Ausland 7 entstanden<br />
unter dem schirm <strong>des</strong> Besatzungsregimes der<br />
Wehrmacht. in frankreich bediente man sich<br />
der firma hachette für die distribution deutscher<br />
Bücher. der Volk und reich Verlag, der<br />
der ss zugerechnet wurde, firmierte in Berlin,<br />
Amsterdam, Prag und Wien. Aber nach Kriegsende<br />
hatte sich nicht nur für dieses Buchhandelsunternehmen<br />
alles geändert. Berlin war nicht<br />
mehr die hauptstadt <strong>des</strong> Groß<strong>deutschen</strong> reichs,<br />
sondern eine eroberte stadtruine, das besetzte<br />
Amsterdam wieder frei, Prag nicht mehr der sitz<br />
<strong>des</strong> reichsprotektors von Böhmen und mähren,<br />
sondern die hauptstadt eines wiederhergestellten<br />
tschechoslowakischen staates, Wien nicht<br />
mehr ns-Gauhauptstadt, sondern Gründungsort<br />
der zweiten republik Österreichs. frankreich<br />
gehörte zu den siegermächten. in Oslo,<br />
riga und Warschau gab es keine <strong>deutschen</strong> uniformen<br />
mehr. Breslau und Königsberg standen<br />
unter fremder Verwaltung. rest- deutschland<br />
war in vier Besatzungszonen aufgeteilt, die<br />
durchaus unterschiedlichen politischen Programmen<br />
folgten. das logistische Buchhandelszentrum<br />
in leipzig, bald sowjetische Besat-
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchhandel<br />
zungszone, war im luftkrieg nachhaltig zerstört<br />
worden. der alliierte Kontrollrat verlangte die<br />
»Vernichtung der bestehenden übermäßigen<br />
Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt<br />
insbesondere durch Kartelle, syndikate, trusts<br />
und andere monopolvereinigungen«. 8<br />
trotz allem: erste überlegungen für eine<br />
»demokratische erneuerung deutschlands«<br />
setzten die einheit <strong>des</strong> lan<strong>des</strong> voraus. das galt<br />
vor allem für den Kulturbund gleichen namens<br />
(erster Präsident: Johannes r. Becher), der im<br />
Westen bald unter politischen Generalverdacht<br />
geriet und dort verboten wurde. einige westdeutsche<br />
Verleger, so zum Beispiel ernst rowohlt,<br />
lambert schneider oder curt Weller,<br />
standen ihm nahe. in Buchhandelskreisen interessierte<br />
man sich vor allem für die Wiederherstellung<br />
alter einrichtungen. in leipzig und<br />
Wiesbaden wurden Bemühungen um einen erneuerten<br />
Börsenverein und die fortsetzung <strong>des</strong><br />
<strong>Börsenblatt</strong>s gleichzeitig betrieben. in allen<br />
Zonen erhielten alte Verlagsunternehmen neue<br />
lizenzen. unmittelbar nach dem ende der<br />
reichsschrifttumskammer konnte ein fachmann<br />
wie horst Kliemann ernsthaft für die<br />
Wiedereinführung zentraler regulierungs-<br />
systeme plädieren, und im Auftrag der liberaldemokratischen<br />
Partei erklärte Wilhelm Goldmann<br />
– leipzig, im herbst 1945 – die »unentbehrlichkeit<br />
der Privatverlage für den neuaufbau<br />
<strong>des</strong> <strong>deutschen</strong> Kulturlebens«.<br />
nutznießer <strong>des</strong> alten regimes wie Wilhelm<br />
Andermann oder Kurt <strong>des</strong>ch nahmen scheinbar<br />
übergangslos ihr Verlagsgeschäft wieder auf. im<br />
frühjahr 1947 fanden offizielle tagungen zum<br />
gesamt<strong>deutschen</strong> Buchverkehr in Bielefeld und<br />
leipzig statt, und noch im sommer 1947 veranstaltete<br />
der magistrat von Groß-Berlin, in Verbindung<br />
mit der Berliner Verleger- und Buchhändlervereinigung<br />
und unter dem Patronat der<br />
Britischen militärregierung, eine ›deutsche<br />
Buchausstellung‹ mit umfangreichem rahmenprogramm,<br />
die <strong>als</strong> ›demonstration für die einheit<br />
deutschlands‹ zu verstehen war. 400 Verleger<br />
aus allen Besatzungszonen nahmen an der<br />
Ausstellung teil. 9 eine ›tagung aller <strong>deutschen</strong><br />
Buchhandelsorganisationen‹ fand gleichzeitig<br />
statt. Auch von europa war wieder die rede.<br />
Wollte man zurück in die einheit, und wenn ja,<br />
in die einheit welcher Vorkriegszeit? Oder ging<br />
es, nach der Gründung einer englisch-amerikanischen<br />
›Bizone‹, nur noch um die einheit <strong>des</strong><br />
Westens? das schisma hatte sich ja schon angekündigt,<br />
<strong>als</strong> die us-Armee 1945 bei ihrem Abzug<br />
aus leipzig wichtiges Personal und die notwendigsten<br />
Akten für ein buchhändlerisches<br />
Gegenzentrum nach Wiesbaden transportierte.<br />
den siegermächten war jedenfalls sehr früh klar<br />
geworden, dass die teilung nicht das Problem,<br />
sondern die lösung war. 10 Also hieß das historische<br />
Programm nicht Vereinigung, sondern<br />
teilung: Währungsreform 1948, Gründung<br />
zweier deutscher staaten 1949. Zwei Börsenvereine,<br />
zwei Börsenblätter, zwei nationalbibliotheken,<br />
zwei Bibliografien, zwei Buchmärkte.<br />
und: das ende der gesamt<strong>deutschen</strong> illusion.<br />
Wenn man die vorangegangene Katastrophe<br />
im Kopf hat, wird man von der teilung deutschlands<br />
und seiner einst hochgeschätzten Buchhandelsorganisation<br />
ohne f<strong>als</strong>ches Pathos, ohne<br />
billigen Vorwurf an die siegermächte und ohne<br />
Gewinnerpose reden müssen, um zu einsichten<br />
zu kommen.<br />
Teilung <strong>als</strong> Zustand<br />
die teilung kam nicht über nacht. in den frühen<br />
nachkriegsjahren waren alle Zonengrenzen<br />
– auch die Grenze zwischen der amerikanischen<br />
und der britischen Zone – höchst lästige Barrieren<br />
für den Personenverkehr, den Waren- und<br />
Geldtransfer und die Post- und telefonverbindungen,<br />
aber mehr ein praktisches, <strong>als</strong> ein politisches<br />
Problem. im ersten leipziger nachkriegs-<strong>Börsenblatt</strong><br />
werden die ›Versendungsmöglichkeiten‹<br />
in die West-Zonen, so beschränkt<br />
sie waren (»Kreuzbänder bis 500g«),<br />
ausdrücklich aufgeführt. 11 Viele West-Verlage<br />
bemühten sich bald nach der lizenzerteilung<br />
um niederlassungen in anderen Besatzungs-<br />
zonen, um das Vertriebsgebiet zu erweitern. 12<br />
19
Buchhandel<br />
20<br />
Während in Berlin noch der Anschein einer<br />
Kommunikation unter interalliierter Kontrolle<br />
aufrecht erhalten wurde, gelang es lediglich dem<br />
rowohlt Verlag, in allen vier Besatzungszonen<br />
– nämlich auch im sowjetischen sektor von Berlin<br />
– lizenzen zu erhalten, sogar eine Verbindung<br />
mit dem Aufbau-Verlag im Osten der<br />
stadt erschien dam<strong>als</strong> wünschenswert und<br />
denkbar. 13 die späteren Bemühungen Walter<br />
Jankas, mit unterstützung von rowohlt in<br />
hamburg eine niederlassung <strong>des</strong> Ost-Berliner<br />
Verlages zu errichten, scheiterten dann bereits<br />
am Veto ulbrichts, der keinen Präzedenzfall<br />
schaffen wollte. 14 denn: seit dem Juni 1945, <strong>als</strong><br />
die amerikanische Besatzungsmacht den transfer<br />
von leipzig nach Wiesbaden organisiert hatte,<br />
war eigentlich erkennbar, dass die Westgrenze<br />
der sowjetischen Besatzungszone <strong>als</strong> Grenze<br />
zweier konkurrierender Weltsysteme in mitteleuropa<br />
eine besondere qualität erlangen würde.<br />
15 das sah auch ein deutscher Akteur wie Georg<br />
Kurt schauer, dem »klar war, dass sich der<br />
Westen buchhändlerisch selbständig machen<br />
müsse«, unabhängig von leipzig, »das inzwischen<br />
ja russisch geworden war«. 16 in leipzig<br />
hingegen hatte sich die neugründung und lizenzierung<br />
<strong>des</strong> alten Börsenvereins hingezogen,<br />
die smAd war grundsätzlich gegen jede Zentralorganisa-tion,<br />
zudem galt der unternehmer-<br />
Verband bei den funktionären der KPd/sed <strong>als</strong><br />
›interessenvertretung kapitalistischer interessen‹.<br />
erst eine veränderte satzung, sowie das<br />
dringende interesse der leipziger stadtverwaltung<br />
an der Aufrechterhaltung <strong>des</strong> standorts<br />
von Buchgewerbe, messe und deutscher Bücherei<br />
(nicht zuletzt im besorgten Blick auf die<br />
Berliner Zentralverwaltung), und schließlich die<br />
Konkurrenzanstrengungen der West-Zonen<br />
veranlassten die militärregierung zum einlenken:<br />
Am 21. Juni 1946 erteilte sie die erlaubnis<br />
zur Wiederaufnahme der tätigkeit <strong>des</strong> leipziger<br />
Börsenvereins. 17<br />
unter solchen umständen wurden bis 1948<br />
alle Versuche, die wenigen noch offenen Verbindungswege<br />
zu nutzen und Buchhandelsgeschäfte<br />
über die Ost-West-Grenze hinweg ab-<br />
zuwickeln, auf beiden seiten mit wachsendem<br />
offiziellem misstrauen verfolgt. trotzdem<br />
konnte der münchner Verleger Willi Weismann<br />
in dieser übergangszeit die bestehenden praktischen<br />
wie politischen hindernisse umgehen<br />
und im Osten drucken lassen, konnte der insel<br />
Verlag in Wiesbaden lieferungen aus leipzig<br />
beziehen und der springer Verlag in West-Berlin<br />
alte Aufträge aus seinen ost<strong>deutschen</strong> druckereien<br />
abrufen, während leipziger Kommissionäre<br />
noch an westdeutsche Buchhändler lieferten.<br />
18 Jedenfalls scheint es so, <strong>als</strong> hätten die gemeinsam<br />
erfahrenen Kriegsfolgen, die alten<br />
Kollegenbekanntschaften und schließlich die<br />
ressentiments gegenüber dem Besatzungsregime<br />
für eine Weile noch eine labile Grundlage<br />
für diskrete Beziehungen unter <strong>deutschen</strong> Buchhändlern<br />
und Verlegern in Ost und West abgegeben,<br />
während eine berufsständische Gemeinsamkeit<br />
sich schon auf zwei mythen gründete:<br />
Auf den mythos der Buchstadt leipzig, und auf<br />
den der Jungbuchhandelsbewegung aus Weimarer<br />
Zeit. 19<br />
die veröffentlichte Verlagskorrespondenz<br />
der ersten nachkriegszeit zeigt, dass über den<br />
Zustand der teilung zunächst noch weitgehende<br />
unklarheit herrschte. Zum Beispiel Kiepenheuer:<br />
»Wir haben im Westen mit vorläufiger domizilierung<br />
in hagen eine von der Weimarer<br />
firma unabhängige neue Gesellschaft gegründet«,<br />
schreibt der aus der sowjetzone geflüchtete<br />
Bibliothekar und nun Verleger Joseph caspar<br />
Witsch an den Kollegen eugen claassen im dezember<br />
1948. Aus den »alten Kiepenheuerrechten«<br />
soll wieder aufgelegt werden, »was<br />
uns wünschenswert oder nützlich erscheint«,<br />
während der Gustav Kiepenheuer Verlag in<br />
Weimar <strong>als</strong> sterben<strong>des</strong> unternehmen angesehen<br />
wird. 20 Bestehende Autorenbeziehungen werden<br />
dabei gering geachtet, wie im fall der new Yorker<br />
Aurora-Bücherei, die kurzerhand von Aufbau<br />
<strong>als</strong> lizenz in Anspruch genommen wird.<br />
den exilierten Autoren geht es naturgemäß um<br />
Verbreitung in allen Zonen deutschlands, die<br />
zurück gekehrte Anna seghers operiert <strong>des</strong>halb<br />
zwischen dem Aufbau-Verlag in Ost-Berlin,
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchhandel<br />
dem Verlag curt Weller am Bodensee und dem<br />
querido-Verlag in Amsterdam. noch fühlen<br />
sich alle diese Verlage <strong>als</strong> mögliche Konkurrenten<br />
auf einem vermuteten gemeinsamen<br />
markt. heinrich maria ledig rowohlt, 1946<br />
noch in stuttgart, lässt um Bücher aus dem<br />
»neiderregenden Prospekt <strong>des</strong> Aufbau-Verlages«<br />
bitten. 21 der Vater wird später in seinen<br />
›Ostkontakten‹ noch weiter gehen und damit<br />
seine Partner verärgern. 22<br />
erst die beiderseitige staatsgründung von<br />
1949 beendet diese improvisationen. in der ddr<br />
nimmt die ideologisch-bürokratische Organisation<br />
<strong>des</strong> Buchwesens ihren lauf. Verbote, überwachungen<br />
und Kontrollen <strong>des</strong> Bücherverkehrs<br />
garantieren beiderseits die Grenzziehung. der<br />
stetige Ausbau der ost<strong>deutschen</strong> Post- und Zollkontrolle<br />
von Zeitschriften- und Büchersendungen,<br />
später perfektioniert in der Abteilung<br />
m <strong>des</strong> ministeriums für staatssicherheit der<br />
ddr, 23 gehört ebenso dazu, wie die Kontrolle in<br />
den Post- und Zollämtern der Bun<strong>des</strong>republik. 24<br />
›staatsschutz‹ spielte eine rolle bei den sanktionen<br />
gegen Willi Weismann, nachrichtendienstlich<br />
motiviert war die Verhaftung <strong>des</strong> aus der<br />
ddr angereisten Verlagsleiters, schriftstellers<br />
und Kulturfunktionärs Günther hofé beim Besuch<br />
der frankfurter Buchmesse am 6. Oktober<br />
1963, die, zunächst zum öffentlichen fall gemacht<br />
und im Bun<strong>des</strong>kabinett erörtert, am 24.<br />
August 1964 ohne weiteres Verfahren durch<br />
freilassung im Austausch endete. 25 Kontakte<br />
und telefonate von west<strong>deutschen</strong> Aussteller<br />
auf der leipziger Buchmesse wurden überwacht,<br />
ihre exponate unterlagen der inhaltlichen<br />
›Zollkontrolle‹.<br />
natürlich wirkte sich der nicht erklärte Krieg<br />
auch in der Publizistik selbst aus. Getarnte und<br />
ungetarnte Propagandaschriften erschienen auf<br />
beiden seiten, mit deren übermittlern beschäftigten<br />
sich die Gerichte und sicherheitsdienste. 26<br />
emphatisch waren die öffentlichen Auseinandersetzungen<br />
zwischen Autoren, der Brief, den<br />
Günter Grass nach dem mauerbau 1961 an Anna<br />
seghers schrieb, ist das prominenteste Beispiel<br />
solcher Polemik, noch im selben Jahr er-<br />
schien er in einer sammlung entsprechender<br />
texte, die <strong>als</strong> rowohlt-taschenbuch Aufsehen<br />
erregte (›die mauer oder der 13. August‹).<br />
die Zweiteilung deutschlands schuf aber<br />
nicht nur einen politischen Kampfplatz, sondern<br />
zugleich auch ein ökonomisches Problemfeld,<br />
sie spaltete den nach 1945 räumlich verkleinerten<br />
Gesamtmarkt für deutsche Bücher noch<br />
einmal in zwei ungleiche teile, die von- einander<br />
durch unterschiedliche Währungen, Produktionsweisen,<br />
distributionswege und Auslandsbeziehungen<br />
getrennt waren. es kam hinzu, dass<br />
viele privatwirtschaftliche Buchhandelsunternehmen<br />
ihren traditionellen sitz in Ostdeutschland<br />
aufgeben mussten. Während es 1959 immerhin<br />
noch 2.000 private Buchhandlungen in<br />
der ddr gab, die noch nicht vom staatlichen<br />
Volksbuchhandel verdrängt worden waren, 27<br />
und während ab 1946 neben den staatlichen<br />
neugründungen dort auch wichtige Privatverlage<br />
lizenziert worden waren (nicht zuletzt, um<br />
deren Abwanderung in den Westen zu verhindern,<br />
wo ihnen wie befürchtet lizenzen ›in beliebigem<br />
umfang‹ winkten), 28 nahm die Zahl der<br />
enteigneten, unter treuhandverwaltung gestellten<br />
oder durch staatliche Auflagen oder durch<br />
amtlichen druck aus dem land verdrängten<br />
Alt-Verlage bald zu. insoweit deren inhaber in<br />
der Bun<strong>des</strong>republik neue firmen unter dem altem<br />
namen gründeten, entstanden doppelverlage,<br />
die ein beträchtliches urheber- und gesellschaftsrechtliches<br />
Konfliktpotential entwickelten<br />
und zusammen mit der gleichzeitigen<br />
Zweiteilung von Börsenverein, <strong>Börsenblatt</strong>,<br />
Buchmesse und nationalbibliothek die Konfrontation<br />
der beiden Buchhandelssysteme mit<br />
zusätzlichen emotionen aufluden. nur wenigen<br />
betroffenen unternehmen, wie dem Wissenschaftsverlag<br />
Gustav fischer in stuttgart und<br />
Jena, den firmen VeB Bibliographisches institut<br />
in leipzig und Bibliographisches institut AG in<br />
mannheim oder dem insel Verlag in Wiesbaden<br />
und leipzig, gelang es, die lange trennungsphase<br />
in begrenztem einvernehmen zu überstehen.<br />
Besondere Verhältnisse ergaben sich im Antiquariatsbuchhandel.<br />
Während in der ersten<br />
21
Buchhandel<br />
22<br />
nachkriegszeit Geschäfte mit antiquarischen<br />
Beständen oft unter der hand betrieben wurden,<br />
waren import und export in der späteren<br />
ddr zentral geregelt. das dringende interesse<br />
an exporterlösen führte dabei allerdings zu einer<br />
forcierten Ausfuhr, sodass hier von einem<br />
bilateralen Austausch nicht geredet werden<br />
kann. 29 Ab 1959 war das Zentralantiquariat der<br />
ddr – ursprünglich <strong>als</strong> Abteilung der firma<br />
Buchexport hervorgegangen aus K. f. Koehlers<br />
Antiquarium in leipzig und nun teil <strong>des</strong> Volksbuchhandels<br />
– mit dem export antiquarischer<br />
literatur in das »nicht-sozialistische Wirtschaftsgebiet«<br />
betraut. im innenverkehr der<br />
ddr bestanden weiterhin auch private Antiquariatsgeschäfte.<br />
Verbindung durch Verfahren.<br />
Bilateraler Handelsverkehr<br />
Keine Grenze ist einseitig, übergänge sind zwar<br />
ausdrücklich <strong>als</strong> Orte staatlicher hoheits-Akte<br />
hervorgehoben, dienen aber auch dem kontrollierten<br />
interessenausgleich. so wurden sehr bald<br />
administrative Verfahren entwickelt, um einen<br />
begrenzten Bücherverkehr im politisch wie monetär<br />
zweigeteilten deutschland unter beiderseitiger<br />
Kontrolle der Warenströme wie der inhalte<br />
aufrecht zu erhalten. 30 die strikt gehandhabte<br />
behördliche Organisation <strong>des</strong> bilateralen<br />
handelsverkehrs verbietet es, dieses ›loch in<br />
der mauer‹ <strong>als</strong> eine geheime und subversive<br />
›durchreiche‹ anzusehen, allerdings fanden<br />
sicherheitsbehörden immer wieder Anlass, den<br />
damit verbundenen informationsaustausch und<br />
Personenverkehr zu beanstanden und zu behindern.<br />
die motive für den im volkswirtschaftlichen<br />
Gesamtvolumen bescheidenen grenzüberschreitenden<br />
handelsverkehr mit Büchern<br />
und Zeitschriften waren unterschiedlich: neben<br />
wirtschaftlichen interessen ist ein mischung von<br />
Gründen auf beiden seiten erkennbar. dem<br />
Osten waren einerseits Valuta-einkünfte hochwillkommen,<br />
andererseits gab es aber auch ein<br />
Bedürfnis nach kultureller Außendarstellung<br />
durch literatur, Wissenschaft und Buchkunst.<br />
den westlichen Partnern erbrachte der literaturverkehr<br />
nicht nur erwünschte nebenrechtseinnahmen<br />
und, anfangs jedenfalls, preiswerte<br />
druckleistungen im Gegengeschäft, sondern<br />
auch einen Zuwachs an Wirkung und Präsenz<br />
im nachbarland, einer Präsenz, die von Autoren<br />
und Verlegern nicht selten <strong>als</strong> hebelkraft im<br />
Binnenverkehr genutzt wurde. für freiberufliche<br />
schriftsteller in der ddr bedeutete die westdeutsche<br />
Verlagsbeziehung oft einen Verhandlungsvorteil<br />
im eigenen land, und im Konfliktfall<br />
eine existenzgrundlage beim langfristigen oder<br />
dauerhaften Aufenthalt in der Bun<strong>des</strong>republik.<br />
die Wege dieses interzonalen Bücherverkehrs<br />
liefen über verschiedene stationen:<br />
1 über das sogenannte clearing zwischen<br />
west<strong>deutschen</strong> Kommissionären, die<br />
sich auf diesen handelsverkehr spezia-<br />
lisierten, und der Buchexport-Gmbh<br />
der ddr, wobei Verrechnungseinheiten<br />
den baren Zahlungssausgleich ersetzten.<br />
2 über Kompensationsvereinbarungen zwi-<br />
schen einzelnen Verlagen, <strong>als</strong>o über den<br />
wechselseitigen Bezug von teilauflagen<br />
oder Zeitschriften-Abonnements oder die<br />
lieferung gegen druckaufträge.<br />
3 ein direkter Warenbezug durch die staatli -<br />
chen einkaufstellen der ddr setzte im<br />
Allgemeinen die teilnahme <strong>des</strong> west-<br />
<strong>deutschen</strong> Verlags an der leipziger<br />
Buchmesse voraus. hier wurden feste<br />
Budgets für den Bezug westlicher Ver-<br />
lagswerke durch die zentrale Außen-<br />
handelsfirma Buch-export festgelegt<br />
und die west<strong>deutschen</strong> Ausstellungsexem-<br />
plare gleich übernommen. dies war das<br />
einzige unmittelbare und natürlich<br />
nicht kostendeckende messegeschäft,<br />
trotzdem kamen westdeutsche Ausstel-<br />
ler regelmäßig nach leipzig, um die Ost-<br />
beziehungen zu pflegen.
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchhandel<br />
Angesichts der seit 1948 inkompatiblen Währungen<br />
musste die handelsbilanz möglichst ausgeglichen<br />
bleiben, das erreichte man ab 1950<br />
durch zwischenstaatliche Abkommen, in denen<br />
bestimmte quoten für Bücher und Zeitschriften<br />
ausgehandelt und festgesetzt wurden. über die<br />
Jahre hinweg war der ›interzonenhandel‹ – nicht<br />
nur der mit druckerzeugnissen – der einzige<br />
Kommunikationskanal zwischen beiden staaten,<br />
fachleute <strong>des</strong> ddr-ministeriums für Außenhandel<br />
und inner<strong>deutschen</strong> handel konferierten<br />
hier in aller stille mit solchen der westlichen<br />
treuhandstelle für den interzonenhandel<br />
(tatsächlich <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>wirtschaftsministeriums).<br />
im übrigen konnte man in der ddr West-<br />
Bücher aus dem sogenannten ›tanten-export‹,<br />
<strong>als</strong>o aus west<strong>deutschen</strong> Geschenksendungen,<br />
oder aus der ›mitnahme‹ von Ausstellungsexemplaren<br />
auf der leipziger Buchmesse erlangen,<br />
umgekehrt gab es für westdeutsche Besucher die<br />
möglichkeit zu Bücher-einkäufen in umgetauschter<br />
lan<strong>des</strong>währung. mit zunehmenden<br />
schwierigkeiten der termin- und qualitätskontrolle<br />
in der Polygrafie der ddr wurde zwischen<br />
Verlagen der materialfreie Austausch von Vertriebslizenzen<br />
immer beliebter, im laufe der<br />
Zeit entstanden dabei lose Partnerschaften. solche<br />
lizenzausgaben ließen sich gut in das eigene<br />
Angebot der lizenznehmenden Verlage integrieren,<br />
31 während Originalausgaben der jeweils anderen<br />
seite, wie immer sie ins land gekommen<br />
waren, eher <strong>als</strong> eine Art politischen Gefahrguts<br />
angesehen wurden.<br />
interessanter noch <strong>als</strong> die mengen sind die<br />
inhalte der grenzüberschreitenden drucksachen<br />
und deren rezeption. Wie zumeist, stand dabei<br />
die Belletristik im Zentrum der Aufmerksamkeit.<br />
die namen vieler schriftsteller, deren<br />
Werke auf diese Weise ins nachbarland gelangten,<br />
wobei nicht wenige ostdeutsche Autoren<br />
ihren Werken folgten, können aber die tatsache<br />
nicht verdecken, dass ein erheblicher teil<br />
der Bücher und Zeitschriften nicht der schönen<br />
literatur, sondern den wissenschaftlichen und<br />
technischen sachgruppen zuzuordnen war. das<br />
galt vor allem für den Zeitschriftenaustausch,<br />
schließt aber nicht aus, dass einzelne fachbuchtitel<br />
in größerer stückzahl über die Grenze<br />
transportiert wurden, sei es im interzonenhandel,<br />
sei es <strong>als</strong> lizenzausgaben. ein bekanntes<br />
Beispiel ist das ›taschenbuch der mathematik<br />
für ingenieure und studenten der technischen<br />
hochschulen‹ von Bronstein/semendjajew,<br />
1958 bei B. G. teubner in leipzig erstm<strong>als</strong> <strong>als</strong><br />
übersetzung aus dem russischen erschienen,<br />
das in den folgenden Jahren in Zehntausenden<br />
von exemplaren in die Bun<strong>des</strong>republik geliefert<br />
wurde. umgekehrt war der ›dubbel‹, das bekannte<br />
taschenbuch für den maschinenbau, seit<br />
1949 wieder bei springer in Berlin aufgelegt, ein<br />
vielbenutztes Werk in der ddr.<br />
die sozialgeschichtliche Bedeutung und Wirkung<br />
<strong>des</strong> literaturaustauschs darf allerdings<br />
nicht überschätzt werden. An wissenschaftlicher<br />
und literarischer Kommunikation ist immer nur<br />
ein relativ kleiner teil der Bevölkerung beteiligt<br />
und interessiert, wer im Osten dazu gehörte, sah<br />
sich oft genug in der rolle <strong>des</strong> ›heimlichen lesers‹.<br />
eine jahrzehntelange unterbrechung der<br />
Alltagsverbindungen, die entwicklung unterschiedlicher<br />
formen von Arbeitsorganisation,<br />
Verwaltung, lebenshaltung, Geldwirtschaft,<br />
mode, Alters- und Gesundheitsfürsorge führten<br />
zu einer entfremdung und entfernung der lebenswelten<br />
in Ost- und Westdeutschland, die<br />
durch lektüre und (beschränkte) mediennutzung<br />
nicht aufzuheben war und auch nach ende<br />
der trennung nicht einfach entfiel. fotodokumentationen<br />
aus der untergegangenen <strong>deutschen</strong><br />
demokratischen republik, die nach 1990<br />
erschienen, zeigen den west<strong>deutschen</strong> Betrachtern<br />
ein weithin frem<strong>des</strong>, oft genug befremdliches<br />
und seltsam zeitentrücktes Bild. 32<br />
daran konnte auch die private und im laufe<br />
der Jahrzehnte zunehmende Kontaktaufnahme<br />
der literarischen intelligenz nichts ändern. 33 sie<br />
beschränkte sich auf das feld der literatur und<br />
literaturproduktion, bewirkte hier allerdings<br />
einen grenzüberschreitenden, von sicherheitsorganen<br />
beobachteten diskurs, der sich mehr<br />
und mehr durch sachlichkeit auszeichnete und<br />
innerhalb der gebotenen schranken auch Ver-<br />
23
Buchhandel<br />
24<br />
trauensbeziehungen möglich machte. der<br />
Amtssitz und die residenz von Günter Gaus in<br />
Ost-Berlin waren dabei gern genutzte treffpunkte.<br />
Am leichtesten ist noch die institutionen-<br />
geschichte der teilung zu verfolgen. nach der<br />
Auflösung der Wiesbadener ›Zweigstelle‹ <strong>des</strong><br />
Börsenvereins der <strong>deutschen</strong> Buchhändler zu<br />
leipzig hatten sich von den lan<strong>des</strong>verbänden,<br />
die in den westlichen Zonen gebildet worden<br />
waren, 1948 zunächst nur die der amerikanischen<br />
und der britischen Zone zu einer Arbeitsgemeinschaft<br />
zusammen geschlossen, die<br />
sich dann ›Börsenverein deutscher Verleger-<br />
und Buchhändler-Verbände‹ nannte und ab 1949<br />
auch die französische Zone sowie ab 1950 die<br />
West-sektoren von Berlin einschloss. erst mit<br />
der neuen satzung von 1955 gab es in frankfurt<br />
formell einen ›Börsenverein <strong>des</strong> <strong>deutschen</strong><br />
Buchhandels‹ und mit dem seit 1946 tätigen<br />
Börsenverein der <strong>deutschen</strong> Buchhändler zu<br />
leipzig zwei in ihrem jeweiligen staatsgebiet<br />
flächendeckende und zentrale, ihrer struktur<br />
und politischen Zielsetzung nach aber unterschiedliche<br />
Verbände. deren Verkehr war nicht<br />
allein durch den erbstreit von 1945 belastet.<br />
Während der frankfurter Verein mit der größeren<br />
firmenzahl auch den größeren Binnenmarkt<br />
vertrat und seine mitglieder sich bald den Zugang<br />
zum westeuropäischen und dann auch<br />
transatlantischen markt erschließen konnten,<br />
war der leipziger Verein auf sein kleineres territorium<br />
und auf einen planwirtschaftlich regulierten<br />
Buchmarkt beschränkt. es kam hinzu,<br />
dass die Organisationskraft und politische<br />
durchsetzungsfähigkeit <strong>des</strong> Verbands in frankfurt<br />
schnell wuchs, während in leipzig ein großer<br />
teil der früheren Kompetenzen auf zentrale<br />
Behörden in Berlin übergegangen war, dem sitz<br />
auch der großen Verlagsneugründungen.<br />
Von einer wirklichen Zusammenarbeit der<br />
beiden ungleichen Verbände konnte auf lange<br />
Zeit keine rede sein. 34 der interzonenhandel<br />
war ihrer Zuständigkeit entzogen, die einrichtung<br />
einer gemeinsamen Vergabe von isBnnummern<br />
bedurfte jahrelanger Verhandlungen,<br />
die regeln der teilnahme an den Buchmessen in<br />
frankfurt und leipzig führten zu schweren<br />
Auseinandersetzungen, die ursprünglich auf<br />
initiative <strong>des</strong> Börsenvereins in leipzig begründete<br />
bibliografische und bibliothekarische informationszentrale<br />
in Gestalt der <strong>deutschen</strong><br />
Bücherei hatte in der <strong>deutschen</strong> Bibliothek in<br />
frankfurt ihr Gegenstück erhalten. erst die<br />
unterzeichnung <strong>des</strong> Kulturabkommens zwischen<br />
beiden <strong>deutschen</strong> staaten von 1986 schuf<br />
den rahmen einer vorsichtigen Kooperation,<br />
die sich vor allem in der lange geplanten Organisation<br />
wechselseitiger repräsentativer Buchausstellungen<br />
verwirklichte, verhandelt von den<br />
Vorstehern Jürgen Gruner und Günther christiansen,<br />
35 eine Kooperation, die bald von der fusion<br />
der beiden Verbände überholt wurde. sitz<br />
<strong>des</strong> vereinigten Börsenvereins wurde frankfurt<br />
am main, das auf dem Grundstück <strong>des</strong> alten<br />
Vereins neu erbaute und 1996 eröffnete haus<br />
<strong>des</strong> Buches in leipzig dient, nach der lösung<br />
erheblicher finanzierungsprobleme durch den<br />
Börsenverein, lokalen Zwecken. 36<br />
Zwischenbilanz<br />
eigentlich gab es nur schwierigkeiten. der literarische<br />
Warenverkehr zur Zeit der <strong>deutschen</strong><br />
teilung erscheint bestimmt durch eine unauflösliche<br />
Vermischung von politischen, ökonomischen<br />
und publizistischen interessen, die das<br />
Prinzip der ›einheit von Kulturpolitik und<br />
Ökonomie‹, das in der ddr proklamiert, aber<br />
nie verwirklicht wurde, 37 deutlich dementiert<br />
und zugleich Züge einer systemkonkurrenz<br />
zeigt. Bei der unterschiedlichen Größe, Wirtschaftskraft<br />
und Bevölkerung beider Kontrahenten<br />
ergeben sich dabei ein asymmetrisches<br />
Bild und eine unausgeglichene Bilanz, die im<br />
Osten durchaus <strong>als</strong> solche empfunden wurde.<br />
Während die größere Bun<strong>des</strong>republik sehr auf<br />
die Vermeidung eines Preisdrucks durch größere<br />
einfuhrmengen achtete, war der kleinere<br />
Partner ddr besonders stark am export von<br />
leistungen und Produkten und damit an Valu-
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchhandel<br />
ta-erlösen interessiert. die Konfrontation der<br />
Politik und der politischen Programme sowie<br />
die strittigen eigentumsverhältnisse an buchhändlerischen<br />
unternehmen in Ostdeutschland<br />
erwiesen sich zudem immer wieder <strong>als</strong> erhebliche<br />
störfaktoren im wechselseitigen Austausch.<br />
im übrigen ging die entwicklung der<br />
materiellen Buchproduktion mit unterschiedlicher<br />
Geschwindigkeit vonstatten. Während<br />
sich im Westen die grafische industrie automatisierte<br />
und rationalisierte, kämpfte sie im Osten<br />
mit materi<strong>als</strong>chwierigkeiten und mit der rückständigkeit<br />
der maschinenausstattung. (Klagen<br />
darüber nehmen bis 1989 eher zu <strong>als</strong> ab.) die<br />
Großhandelslogistik blieb dort ein anhalten<strong>des</strong><br />
Problem. 38 die Organisation <strong>des</strong> Verlagswesens<br />
folgte einem eher traditionellen, hierarchischen<br />
und bürokratischen schema, während im Westen<br />
absatzorientierte Verlagsgruppen ihre eigene<br />
dynamik entwickelten. eine soziologie <strong>des</strong><br />
lebenslaufs könnte zeigen, wie unterschiedlich<br />
sich die Profile der handelnden Personen auf<br />
beiden seiten vor allem in den frühen Jahren<br />
darstellten. Kein einfaches milieu für Vereinbarungen.<br />
Bei all diesen schwierigkeiten, ungleichzeitigkeiten<br />
und schwankungen sind umso mehr<br />
die ergebnisse einer immer wieder neu ansetzenden<br />
Zusammenarbeit zu notieren. das gilt<br />
vor allem für die Kooperation zwischen Verlagen<br />
beider seiten, sei es durch lizenzaustausch,<br />
sei es durch Kooperationen. herausragende<br />
Beispiele, zu denen auch die namen der Akteure<br />
genannt werden müssen: die 30bändige<br />
›Große kommentierte Berliner und frankfurter<br />
Ausgabe‹ der Werke Bertolt Brechts bei suhrkamp<br />
(siegfried unseld) und Aufbau (elmar faber),<br />
die ›Bibliothek <strong>des</strong> 18. Jahrhunderts‹ bei c.<br />
h. Beck (ernst-Peter Wieckenberg <strong>als</strong> Programmleiter)<br />
und der Verlagsgruppe Kiepenheuer<br />
(roland links), 39 die doppelausgaben<br />
von nachschlagewerken in beiden Bibliographischen<br />
instituten (helmut Bähring war der<br />
höchst erfolgreicher leiter <strong>des</strong> gleichnamigen<br />
VeB in leipzig) oder die zahlreichen mappenwerke,<br />
Pressen-drucke und bibliophilen Aus-<br />
gaben, die im Zusammenwirken <strong>des</strong> Verlags<br />
Philipp reclam jun. in leipzig (hans marquardt<br />
<strong>als</strong> leiter und Kunstverständiger) und der<br />
Büchergilde Gutenberg in frankfurt (edgar<br />
Päßler) erschienen. 40 hier sind die umrisse einer<br />
ungeteilten Kulturlandschaft zu erkennen.<br />
Wenn auch der materielle Wert <strong>des</strong> lieferverkehrs<br />
mit Büchern zwischen den beiden <strong>deutschen</strong><br />
staaten volkswirtschaftlich nicht bedeutend<br />
war – der sogenannte ›innerdeutsche handel‹<br />
brachte es 1987 auf Bezüge von nicht einmal<br />
25 millionen und auf lieferungen von knapp 14<br />
millionen Verrechnungseinheiten in der Bun<strong>des</strong>republik<br />
(die differenz wurde durch Zeitschriftenlieferungen<br />
ausgeglichen), der Austausch<br />
von lizenzen bewegte sich hin wie her<br />
um die zweihundert Vorgänge – so war die damit<br />
in Gang gesetzte Buch-medienkommunikation<br />
doch von weitreichender Wirkung. sie irritierte<br />
auf beiden seiten die Anwälte einer strikten<br />
Abgrenzung, aber sie trug zur relativierung<br />
fixer Vorstellungen vom jeweils anderen Kulturleben<br />
bei. Ohne die zögernde, aber unvermeidliche<br />
Öffnung <strong>des</strong> Westens nach Osten einerseits,<br />
ohne die mehr geduldete <strong>als</strong> gewünschte<br />
Öffnung <strong>des</strong> Ostens nach Westen andererseits,<br />
<strong>als</strong>o ohne diese doppelte herausforderung und<br />
Zumutung, hätte sich das deutsche selbstbewusstsein<br />
auf beiden seiten der Grenze noch<br />
provinzieller und eingeschränkter entwickelt,<br />
<strong>als</strong> es sowieso schon der fall war. die Probleme<br />
einer einigung nach 45 Jahren der teilung wären<br />
noch erheblich größer gewesen.<br />
der einigungsprozess selbst, <strong>als</strong>o die Zusammenführung<br />
der ungleichen teile <strong>des</strong> Buchhandels,<br />
bleibt ein thema für sich. 41 es wird allerdings<br />
im rahmen einer Geschichte der digitalisierung<br />
und internationalisierung <strong>des</strong> allumfassenden<br />
medienmarktes zu behandeln sein.<br />
Anmerkungen<br />
1 die richtungsweisende leipziger tagung <strong>des</strong> leipziger<br />
Arbeitskreises zur Geschichte <strong>des</strong> Buchwesens<br />
von 1996 (das loch in der mauer. der innerdeutsche<br />
literaturaustausch. hrsg. mark lehmstedt und siegfried<br />
lokatis [schriften und Zeugnisse zur Buchge-<br />
25
Buchhandel<br />
26<br />
schichte Band 10]. Wiesbaden: harrassowitz 1997)<br />
mit Beiträgen ost- und westdeutscher Wissenschaftler<br />
und Zeitzeugen führte erstm<strong>als</strong> zu übergreifenden<br />
fragestellungen. siehe insgesamt Konrad h. Jarausch:<br />
»die teile <strong>als</strong> Ganzes erkennen.« Zur integration der<br />
beiden <strong>deutschen</strong> nachkriegsgeschichten, in: Zeithistorische<br />
forschungen, Online-Ausgabe, 1 (2004)<br />
heft 1, www.zeithistorische-forschungen.de/ 16126041<br />
-Jarausch-1-2004 (16. september 2011).<br />
2 charles s. maier: das Verschwinden der ddr und<br />
der untergang <strong>des</strong> Kommunismus. frankfurt am<br />
main 2000.<br />
3 stanley unwin: das wahre Gesicht <strong>des</strong> Verlagsbuchhandels.<br />
stuttgart 1927, s. 207.<br />
4 Gerhard menz: der deutsche Buchhandel. 2., durchgesehene<br />
und vermehrte Aufl. Gotha 1942, s. 180.<br />
5 Gerhard menz: der europäische Buchhandel seit dem<br />
Wiener Kongreß. Würzburg 1941 (das Buch im Kulturleben<br />
der Völker, hrsg. von Prof. dr. Gerhard<br />
menz, Bd. 1), s. 162.<br />
6 Vgl. hierzu und im folgenden hans-eugen Bühler in<br />
Verbindung mit edelgard Bühler: der fontbuchhandel<br />
1939–1945. Organisationen, Kompetenzen, Bücher.<br />
eine dokumentation. frankfurt am main 2002.<br />
7 Beispielsweise die Beteiligung <strong>des</strong> callwey-Verlegers<br />
Karl Baur an den rohrer-firmen in Brünn und Prag,<br />
siehe Karl Baur: Wenn ich so zurückdenke… ein<br />
leben <strong>als</strong> Verleger in bewegter Zeit. münchen 1985,<br />
s. 257–265.<br />
8 Zitiert nach stefan doernberg: die Geburt eines neuen<br />
deutschland 1945–1949. Berlin (Ost) 1959, s. 53.<br />
9 Vgl. monika estermann: nachrichten aus dem Zwischenreich.<br />
das neue Buch – ein Ausstellungskatalog<br />
von 1947. in: Parallelwelten <strong>des</strong> Buches. Beiträge zur<br />
Buchpolitik, Verlagsgeschichte, Bibliophilie und<br />
Buchkunst. hrsg. von monika estermann, ernst<br />
fischer und reinhard Wittmann. Wiesbaden 2008,<br />
s. 241–275.<br />
10 »that the only way to keep Germany from being the<br />
problem was to change the terms of the debate and<br />
declare it the solution« – tony Judt: Postwar. A history<br />
of europe since 1945. new York 2006, s. 128.<br />
11 <strong>Börsenblatt</strong> für den <strong>deutschen</strong> Buchhandel, 113. Jg.,<br />
nr.1/2 , leipzig, 25. August 1946, s. 6.<br />
12 hans Altenhein: Gründung 1947. der Aldus Verlag.<br />
in: Aus dem Antiquariat nf 7 (2009) s. 386–391. der<br />
Aldus Verlag in diez war eine filialgründung in der<br />
französischen Zone von Wolfgang Krüger in hamburg.<br />
13 ursula reinhold: rororo – Bücher für alle. in: unterm<br />
notdach. nachkriegsliteratur in Berlin 1945–<br />
1949. hrsg. von ursula heukenkamp. Berlin 1996,<br />
s. 201.<br />
14 carsten Wurm: der frühe Aufbau-Verlag 1945–1961.<br />
Konzepte und Kontroversen. Wiesbaden 1996,<br />
s. 182–185.<br />
15 … einer neuen Zeit Beginn. erinnerungen an die Anfänge<br />
unserer Kulturrevolution 1945–1949. hrsg.<br />
vom institut für marxismus-leninismus beim ZK der<br />
sed und vom Kulturbund der ddr. Berlin (Ost)<br />
1980.<br />
16 die unbefangenen Äußerungen stammen allerdings<br />
aus späterer Zeit: leipzig – Wiesbaden – frankfurt.<br />
ein Gespräch mit Professor dr. Georg Kurt schauer<br />
über die Anfänge <strong>des</strong> frankfurter <strong>Börsenblatt</strong>es. in:<br />
<strong>Börsenblatt</strong> für den <strong>deutschen</strong> Buchhandel – frankfurter<br />
Ausgabe – nr. 60 vom 30. Juli 1974, s. 1238–<br />
1241, hier s. 1238 f.; siehe auch ders.: erinnerungen<br />
an meine <strong>Börsenblatt</strong>-Zeit: 1. Juni 1945 bis 1. Oktober<br />
1948. in: Buchhandelsgeschichte 2/5, <strong>Börsenblatt</strong><br />
für den <strong>deutschen</strong> Buchhandel – frankfurter Ausgabe<br />
– nr. 31 vom 11. April 1980, B 267–275.<br />
17 siehe dazu reimar riese: der Börsenverein in der sowjetischen<br />
Besatzungszone und in der <strong>deutschen</strong><br />
demokratischen republik. in: der Börsenverein <strong>des</strong><br />
<strong>deutschen</strong> Buchhandels 1825–2000. ein geschichtlicher<br />
Aufriss. hrsg. im Auftrag der historischen<br />
Kommission von stephan füssel… frankfurt am<br />
main 2000, s. 118–160.<br />
18 heinz sarkowski: die Anfänge <strong>des</strong> deutsch-<strong>deutschen</strong><br />
Buchhandelsverkehrs (1945–1955). in: das<br />
loch in der mauer (Anm. 1), s. 89–108, hier s. 92 f.<br />
19 harry fauth: Zur Geschichte <strong>des</strong> Jungbuchhandels in<br />
deutschland 1923 bis 1933. in: Beiträge zur Geschichte<br />
<strong>des</strong> Buchwesens. Bd. iV. leipzig 1969, s.<br />
163–187.<br />
20 Joseph caspar Witsch: Briefe 1948–1967. hrsg. von<br />
Kristian Witsch. Köln 1977, s. 17.<br />
21 A. a. O., s. 221 f.<br />
22 100 Jahre rowohlt. eine illustrierte chronik. reinbek<br />
2008, s. 198 f.<br />
23 hanna labrenz-Weiss: Abteilung m. in: mfs-handbuch<br />
teil iii/19. Berlin 2005.<br />
24 das ›Gesetz zur überwachung strafrechtlicher und<br />
anderer Verbringungsverbote‹ von 1961 schränkte<br />
das Brief- und Postgeheimnis ausdrücklich ein – »es<br />
sei denn, daß es sich lediglich um reiselektüre handelt«<br />
(§ 2,1).<br />
25 die Kabinettsprotokolle der Bun<strong>des</strong>regierung online:<br />
119. Kabinettssitzung am 22. April 1964. www.bun<br />
<strong>des</strong>archiv.de/cocoon/barch/z1/k/k1964k (12.12.2010).<br />
26 Zum Beispiel Braunbuch. Kriegs- und naziverbrecher<br />
in der Bun<strong>des</strong>republik. staat, Wirtschaft, Armee,<br />
Verwaltung, Justiz, Wissenschaft. hg. nationalrat<br />
der nationalen front <strong>des</strong> demokratischen deutschland.<br />
Berlin: staatsverlag der ddr 1965. siehe Klaus<br />
Körner: ›sBZ von A–Z‹. die sieben Verlage <strong>des</strong> Berend<br />
von nottbeck 1950–1990. in: Aus dem Antiquariat<br />
1999, A 188–214. folgenreich war die grenzverletzende<br />
›Ballonaffäre‹ <strong>des</strong> rowohlt Verlags von<br />
1969: Wolfgang Kraushaar: die Ballonaffäre. in: 100<br />
Jahre rowohlt (Anm. 22), s. 260–262.<br />
27 dietrich löffler: Zwischen literaturvertrieb und<br />
Buchhandel. der Buchmarkt der ddr seit den siebziger<br />
Jahren, in: leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte<br />
11 (2001/2002). Wiesbaden 2002. siehe jetzt<br />
vom selben Verfasser: Buch und lesen in der ddr.<br />
ein literatur-soziologischer rückblick. Berlin 2011.<br />
28 Bettina Jütte: Verlagslizenzierungen in der sowjetischen<br />
Besatzungszone (1945–1949). Berlin 2010, s. 175.<br />
29 Vgl. heidi Karla: der handel mit antiquarischen Büchern<br />
aus der ddr in die Brd. in: das loch in der<br />
mauer (Anm. 1), s. 109–120.<br />
30 siehe das postum veröffentlichte, nicht abgeschlossene<br />
Kapitel ›der Buchhandel im geteilten deutschland‹.<br />
in: ernst umlauff: der Wiederaufbau <strong>des</strong><br />
Buchhandels. Beiträge zur Geschichte <strong>des</strong> Buchmarkes<br />
in Westdeutschland nach 1945. frankfurt am
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchhandel<br />
main 1978, sp. 1187–1454.<br />
31 hans Altenhein: im spiegel. ddr-literatur in den<br />
hauspublikationen eines west<strong>deutschen</strong> Verlages<br />
(luchterhand 1965–1987). in: das loch in der mauer<br />
(Anm. 1), s. 298–304.<br />
32 roger mehlis: in einem stillen land. fotografien<br />
1965–1989. leipzig 2007. schau ins land. ein fotolese-Buch.<br />
hrsg. von Günther drommer. Berlin<br />
1989. die fähre. eine Geschichte in Bildern von helfried<br />
strauß. eingeleitet von fritz rudolf fries.<br />
frankfurt und leipzig: insel 1991. Weltnest. literarisches<br />
leben in leipzig 1970–1990. fotografien von<br />
helfried strauß. hrsg. von Peter Gosse und helfried<br />
strauß. halle 2007.<br />
33 stille Post. inoffizielle schriftstellerkontakte zwischen<br />
West und Ost. hrsg. von roland Berbig. Berlin<br />
2005. die heimlichkeit, die der anekdotenreiche<br />
sammelband unterstellt, war begrenzt.<br />
34 Vgl. monika estermann: die Börsenvereine in leipzig<br />
und frankfurt – eine Problemskizze. in: das<br />
loch in der mauer (Anm. 1), s. 72–88.<br />
35 hans Altenhein: Buchhandel und Kulturpolitik: die<br />
wechselseitigen Buchausstellungen in den beiden<br />
<strong>deutschen</strong> staaten 1988–1990. in: leipziger Jahrbuch<br />
zur Buchgeschichte 12 (2003) s. 389–393.<br />
36 das haus <strong>des</strong> Buches in leipzig. Zu seiner eröffnung<br />
hrsg. vom Kuratorium »haus <strong>des</strong> Buches« e. V. leipzig.<br />
leipzig 1996.<br />
37 Karlheinz selle: Zur Geschichte <strong>des</strong> Verlagswesens<br />
der <strong>deutschen</strong> demokratischen republik. ein Abriß<br />
der entwicklung <strong>des</strong> Buchverlagswesens 1945–1970.<br />
in: Beiträge zur Geschichte <strong>des</strong> Buchwesens Band V.<br />
hrsg. von Karl-heinz Kalhöfer und helmut rötzsch<br />
im Auftrage der historischen Kommission <strong>des</strong> Börsenvereins<br />
der <strong>deutschen</strong> Buchhändler zu leipzig.<br />
leipzig 1972, s. 43.<br />
38 Jürgen Petry: das monopol. Geschichte <strong>des</strong> leipziger<br />
Kommissions- und Großbuchhandels lKG. leipzig<br />
2001, s. 69–89.<br />
39 ernst-Peter Wieckenberg: die Bibliothek <strong>des</strong> 18.<br />
Jahrhunderts. Bericht über eine deutsch-deutsche Zusammenarbeit.<br />
in: 100 Jahre Kiepenheuer-Verlage.<br />
hrsg. von siegfried lokatis und ingrid sonntag. Berlin<br />
2011, s. 327–338.<br />
40 Bibliographische übersicht in: Autoren, Verleger, Bücher.<br />
ein Almanach. für hans marquardt zum 12.<br />
August 1985. leipzig 1985.<br />
41 Vgl. christoph links: das schicksal der ddr-Verlage.<br />
die Privatisierung und ihre Konsequenzen. 2.<br />
Auflage. Berlin 2010.<br />
Hartmut Pätzke<br />
Anmerkungen zum<br />
Antiquariatsbuchhandel<br />
in der DDR<br />
eine Geschichte <strong>des</strong> Antiquariats in der<br />
sowjetischen Besatzungszone (sBZ)<br />
und in der <strong>deutschen</strong> demokratischen<br />
republik (ddr) – einschließlich der Buch- und<br />
Grafikauktionen – ist noch nicht geschrieben.<br />
sie kann im Augenblick nur angedeutet werden.<br />
es bedürfte der sichtung vieler quellen und <strong>des</strong><br />
Gesprächs mit Beteiligten, um ein annähernd<br />
zutreffen<strong>des</strong> Bild zu erhalten. selbst um den<br />
rechten Gebrauch <strong>des</strong> Begriffs Antiquariat<br />
musste Bruno Kaiser in den 1970er Jahren in<br />
Berlin besorgt sein. über dem haus eines fotogeschäfts<br />
in Berlin-mitte, in dem es auch eine<br />
Abteilung für gebrauchte fotoapparate und<br />
Zubehör gab, prangte eine leuchtschrift, die auf<br />
ein foto-Antiquariat hinwies. es bedurfte energischen<br />
Protests <strong>des</strong> Vorsitzenden der Pirckheimer-Gesellschaft,<br />
der in den Antiquariaten<br />
europas zuhause war. 1<br />
Krieg und Zerstörung hatten vielfache Verluste<br />
gebracht. Bibliotheken waren bemüht, ihre<br />
lücken zu schließen. Wissenschaftler und studierende,<br />
wie menschen, für die das Buch zum<br />
leben gehörte, bemühten sich um eigene Bestände.<br />
Bei franz dorsch in hagenow, emil<br />
Gräfe und f. W. haschke in leipzig und bei<br />
eckard J. mueller in halle an der saale, bei c. f.<br />
schulz & co. in Plauen gab es etwas zu erwerben.<br />
Akribisch müsste man auf der landkarte<br />
Bücherfähnchen mit namen versehen, um zu<br />
einer übersicht zu gelangen. wo sich ein oder<br />
gar mehrere Antiquariate befanden. seit mitte<br />
der 1950er Jahren wurden staatliche Antiquariate<br />
gebildet. Oft, wie in Berlin-Pankow, cottbus,<br />
dresden, halle und in rostock, wurden so<br />
zuvor private Antiquariate weitergeführt. seit<br />
den 1950er Jahren war die Zulassung für private<br />
Buch- und Kunsthandlungen so gut wie ausge-<br />
27
Buchhandel<br />
28<br />
schlossen. Allein in leipzig eröffneten mitte der<br />
1960er Jahre gleichzeitig mehrere private Antiquitätenhändler,<br />
die zuvor in der Gaststättenbranche<br />
tätig gewesen sind. Von ihnen blieb nur<br />
Petkus, nahe dem hauptbahnhof, übrig.<br />
es war sowohl für private Antiquitätenhändler<br />
<strong>als</strong> auch für die Geschäfte <strong>des</strong> staatlichen<br />
Kunsthandels möglich, mit alten Büchern und<br />
mit Grafik dekorativen oder künstlerischen<br />
charakters zu handeln. Alte landkarten, vor<br />
allem homann-Karten, die gerahmt wurden,<br />
waren ein einträgliches Geschäft. Bibeln <strong>des</strong><br />
17. und 18. Jahrhunderts gehörten zu den relativ<br />
häufigen Angeboten. in der zweiten hälfte der<br />
1960er Jahre hätte man den ›PAn‹ in erfurt auf<br />
der Krämerbrücke im staatlichen Kunsthandel<br />
bei Gisela Kosa ohne das hauptblatt von toulouse-lautrec<br />
für etwa 6.000 mark erwerben<br />
können. die schedelsche Weltchronik ging im<br />
staatlichen Kunsthandel bei frau Blumenfeld in<br />
leipzig in der Goethestraße 6 (vorm<strong>als</strong> franke,<br />
dann in Baden-Baden) zu einem angemessenen<br />
Preis über den ladentisch. lithografien von Otto<br />
dix gab es dort zu etwa 250 mark in größerer<br />
Zahl. Bei nova (Kempe) in dresden auf der<br />
friedrich-engels-straße, im ersten stock, stand<br />
die komplette Zeitschrift ›Jugend‹ lange für etwa<br />
350 mark zum Verkauf.<br />
Wer Geld, Kenntnisse und gute Beziehungen<br />
zu Antiquaren hatte, konnte bald nach dem<br />
ende <strong>des</strong> Zweiten Weltkriegs eine nützliche und<br />
sehenswerte Bibliothek aufbauen. Jürgen<br />
Kuczynski berichtete von dem Antiquar Pinzke, 2<br />
der seinen laden am Bahnhof friedrichstraße<br />
hatte. dort erwarben Jürgen Kuczynski Bücher<br />
kofferweise, Bruno Kaiser aktentaschenweise,<br />
und danach blieb für i. m. lange, Gründungs-<br />
und später ehrenmitglied der Pirckheimer, noch<br />
etwas übrig. 3 der romanist Werner Krauss erzählte<br />
mir am Ostermontag 1972 (in der ddr<br />
zu der Zeit kein feiertag mehr) in seiner Wohnung<br />
in hessenwinkel, dass die 1950er Jahre in<br />
leipzig für ihn eine wahre fundgrube waren.<br />
die Währungsreform 1948 und die Gründung<br />
der beiden <strong>deutschen</strong> staaten führten in<br />
der ddr zu dem zwar erst 1952 beschlossenen<br />
Aufbau <strong>des</strong> sozialismus, brachten aber schon<br />
zuvor Probleme für private unternehmen, zu<br />
denen auch Antiquariate und Kunsthandlungen<br />
gehörten. das monopol für den Außenhandel,<br />
das heißt für den export, oblag auch innerhalb<br />
deutschlands allein dem staat beziehungsweise<br />
den damit beauftragten institutionen. traditionell<br />
kamen aber die Käufer vom rhein. heinrich<br />
mock (1904–1984) verkaufte seinen Graphik<br />
Verlag 1949 an den thüringer Volksverlag, da er<br />
durch das Ausbleiben seiner Kunden auf der<br />
leipziger messe für sich keine Absatz- und<br />
Verdienstmöglichkeiten mehr sah. 4 ferdinand<br />
möller ging im september 1949 aus neuruppin<br />
nach Köln, nachdem er zuvor inhaftiert worden<br />
war. 5 Aus chemnitz ging 1950 Wilhelm<br />
Grosshennig (gemeinsam mit h. u. K. stickel<br />
Kunstausstellung Gerstenberger Gmbh, gegründet<br />
1847), der sowohl Gemälde, Grafik und<br />
Plastik <strong>des</strong> 17. bis 19. Jahrhunderts <strong>als</strong> auch die<br />
expressionisten handelte, nach düsseldorf. das<br />
Auktionshaus c. G. Boerner, in leipzig seit<br />
1826, hatte noch 1948 mit zwei Katalogen in der<br />
messe stadt auf sich aufmerksam gemacht, um<br />
dann 1950 mit seinem Geschäftsführer eduard<br />
trautscholdt (1893–1976) und ruth-maria<br />
muthmann sein domizil in düsseldorf aufzuschlagen.<br />
6 das Brockhaus/Antiquarium bestand<br />
in leipzig seit 1856 (zwischen 1948 und 1950
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchhandel<br />
erschienen 22 Verkaufskataloge). 7 die Antiquariate<br />
von harrassowitz und hiersemann bildeten<br />
mit dem Weggang der Verlage nach<br />
Wiesbaden beziehungsweise stuttgart den<br />
Grundstock <strong>des</strong> Zentralantiquariats der ddr.<br />
die Bezirksantiquariate, die nach und nach entstanden,<br />
gehörten zum Volksbuchhandel <strong>des</strong> jeweiligen<br />
Bezirkes, meist in den zum sitz der Bezirksverwaltung<br />
1952 ernannten städten, aber<br />
auch in Jena, Weimar und meiningen. sie arbeiteten<br />
unter schwierigen Bedingungen. Pläne,<br />
auch für den export, waren zu erfüllen. fahrzeuge<br />
zum einkauf im Bezirk waren anzufordern.<br />
die Kataloge, die sie erstellten, mussten<br />
dem leipziger Zentralantiquariat vor der<br />
drucklegung vorgelegt werden. die Bücher beziehungsweise<br />
Posten, die von exportkunden<br />
bestellt wurden, mussten nach leipzig eingesandt<br />
werden. so war eine mehrfache Kontrolle<br />
gesichert.<br />
Vor dem exportkunden standen <strong>als</strong> Kunden<br />
an erster stelle die sächsische lan<strong>des</strong>bibliothek<br />
in dresden, die erhebliche Verluste während <strong>des</strong><br />
Krieges und aufgrund der Beschlagnahme durch<br />
die sowjetische Besatzungsmacht erlitten hatte,<br />
und das Armeemuseum. die chancen für den<br />
privaten Besteller, etwas Besonderes zu ergattern,<br />
auch wenn er gleich nach Katalogerhalt<br />
zum telefonhörer griff, um seine Begehrlichkeiten<br />
zu äußern, waren gering. der exportkunde,<br />
auch wenn er sich erst 14 tage nach dem<br />
privaten ddr-erstbesteller meldete, hatte Priorität.<br />
Auf meine Bestellungen im Zentralantiquariat<br />
in Berlin in der rungestraße erhielt ich<br />
in den 1980er Jahren nach circa vier Wochen einen<br />
Bescheid. das eine Buch, das mir zugestanden<br />
wurde, musste ich auch noch abholen.<br />
eine Besonderheit <strong>des</strong> Zentralantiquariats<br />
der ddr bildete die reprintabteilung, die überwiegend<br />
seltene und gesuchte wissenschaftliche<br />
Werke produzierte, besonders für den export. 8<br />
für ein Buch allerdings, es traf gewiss öfter zu,<br />
bemerkte Jürgen Kuczynski einmal, dass das<br />
originale Werk in einem Antiquariatskatalog <strong>des</strong><br />
Zentralantiquariats für einen spürbar geringeren<br />
Preis zu haben war.<br />
Antiquariate in Berlin<br />
die situation im Kunsthandel in Berlin unterschied<br />
sich in der Viersektorenstadt sehr von der<br />
in der ddr. es war bis zur schließung der<br />
Grenze am 13. August 1961 leicht, etwas <strong>als</strong><br />
fußgänger oder per s-Bahn in den Westteil der<br />
stadt zu bringen und zu verkaufen. Kontrollen<br />
fanden so gut wie gar nicht statt, da der Verkehr<br />
in der millionenstadt nicht unterbrochen war.<br />
Ärzte und andere Personen besaßen sondergenehmigungen,<br />
die ihnen die durchfahrt beziehungsweise<br />
fahrt in die Westsektoren mit eigenem<br />
fahrzeug erlaubten. reisende von und<br />
nach Berlin unterlagen strengen Kontrollen.<br />
im Osten Berlins gab es traditionell wenige<br />
Kunsthandlungen, wie auch die Käufer dort in<br />
der minderzahl waren. erich c. l. Zintl (1911–<br />
1998) 9 hatte sich schon 1938 unter den linden<br />
66 etabliert. in nachkriegszeitschriften bis 1948<br />
fallen seine ganzseitigen Annoncen auf. Amsler<br />
& ruthardt hatte eine Adresse unter den linden<br />
9 zu Beginn der 1950er Jahre. Karl Buchholz<br />
(1901–1992), 10 bis 1942 in der leipziger straße<br />
119, mit einer Antiquariatsgründung 1940 in der<br />
Pommerschen straße, hatte schon 1947 das<br />
Geschäft unter den linden nach charlottenburg<br />
verlegt. hollstein & Puppel hatte es nach<br />
quedlinburg verschlagen. reinhold Puppel<br />
starb im herbst 1956 kurz vor seiner rückkehr<br />
nach Berlin.<br />
im dezember 1955 wurde der staatliche<br />
Kunsthandel gegründet. in dem laden in der<br />
stalinallee 366 (seit 1960 frankfurter Allee 84),<br />
einem früheren Bankhaus, war zuvor eine private<br />
Antiquitätenhandlung untergebracht. Als<br />
stellvertretender leiter war heinrich mock<br />
gewonnen worden. mock war sammler und<br />
hatte sich <strong>als</strong> Verleger in Altenburg unmittelbar<br />
nach dem Krieg für die deutsche Gegenwartsgrafik<br />
engagiert. er machte fortan nicht nur<br />
Ausstellungen von Berliner Künstlern, sondern<br />
baute auch eine eigene Abteilung für Grafik und<br />
Bücher auf.<br />
in der ddr war die Zugehörigkeit zu einem<br />
größeren Betrieb ein Gebot. in diesem fall war<br />
29
Buchhandel<br />
30<br />
es die 1950 gegründete staatliche handelsorganisation<br />
(hO), die nach und nach neben den<br />
Geschäften der Konsum-Genossenschaft den<br />
einzelhandel bestimmte. mock ging im november<br />
1959 nach münchen. Kurz vor Weihnachten<br />
1962 war die gesamte Belegschaft inhaftiert und<br />
1964 verurteilt worden. in der zweiten hälfte<br />
der 1960er Jahre gelangten die Grafik-restbestände<br />
zu einem Pauschalpreis an das leipziger<br />
Zentralantiquariat.<br />
Viele kleine Buchhandlungen führten bescheidene<br />
antiquarische eckchen. Allein in Pankow<br />
gab es um 1960 noch drei private Buchhandlungen,<br />
in denen Bücher antiquarisch zu<br />
haben waren. das setzte sich in der schönhauser<br />
Allee in der Buchhandlung von Walter dörge<br />
fort, die in den 1980er Jahren zum modernen<br />
Antiquariat wurde. in der schönhauser Allee 9<br />
A gab es bis 1955 die Kunsthandlung Willy<br />
müller. treuhänder wurde Willy Vandüren, ein<br />
rheinländer, der zuvor beim magistrat in der<br />
Kulturverwaltung beschäftigt war. Assistiert<br />
wurde er von hugo ludwig, der das Geschäft<br />
<strong>als</strong> leiter übernahm, <strong>als</strong> es Anfang 1963 zum<br />
Antiquitätengeschäftssektor der ›modernen<br />
kunst‹ gelangte.<br />
1954 war in der stalinallee (seit 1960 in diesem<br />
teil Karl-marx-Allee 78-84) die zu der Zeit<br />
größte Buchhandlung im Ostteil der stadt in<br />
zwei etagen eröffnet worden. das Antiquariat<br />
in dem haus, hinter der Kunstbuchabteilung im<br />
zweiten stock gelegen, sollte den Ausgangspunkt<br />
für das Zentralantiquariat bilden, das <strong>als</strong><br />
teil der Berliner Buchhandelsgesellschaft 1960<br />
gebildet wurde und <strong>des</strong>sen Zentrale in der rungestraße<br />
war. nicht vergessen werden darf die<br />
deutsche Bücherstube, die in der ersten etage<br />
eine Antiquariatsabteilung hatte, die ilse von<br />
Kamptz leitete. 11<br />
erwin Kohlmann 12 hatte schon die Genehmigung<br />
<strong>des</strong> Vorstands der ndPd, dieses Antiquariat<br />
<strong>als</strong> Zweigstelle seines naumburger unternehmens<br />
zu führen. das scheiterte aber am Veto<br />
von ilse von Kamptz, die einen entsprechenden<br />
Vertrag besaß. 13 Auch nach dem Weggang von<br />
ilse von Kamptz ende 1962 waren hin und wie-<br />
der in der <strong>deutschen</strong> Bücherstube Kartons aufgestellt,<br />
die Beachtliches enthielten. Vor der<br />
universitätsbibliothek in der clara-Zetkinstraße<br />
(jetzt wieder dorotheenstraße) stand ein<br />
älteres ehepaar mit einem Bücherkarren. ich erinnere<br />
mich der herder-Ausgabe von Bernhard<br />
suphan zu einem moderaten Preis, die ich versäumt<br />
habe zu erwerben. regen Zuspruchs, nahe<br />
dem Bahnhof friedrichstraße, erfreute sich<br />
bis August 1961 ein Bücherwagen, wohl der<br />
Berliner Buchhandelsgesellschaft, wo viele Bücher<br />
zu niedrigpreisen zu erwerben waren.<br />
einen besonderen status hatte unter den<br />
ddr-Antiquaren erich c. l. Zintl. er kaufte<br />
sowohl in Berlin <strong>als</strong> auch in leipzig in den staatlichen<br />
Antiquariaten und schlug kräftig auf.<br />
neue literatur erwarb er häufig mit einem Kollegenrabatt<br />
im stets gut sortierten Buchgeschäft<br />
<strong>des</strong> Kulturbunds in der Otto-nuschke-straße 2,<br />
den nach ilse von Kamptz marianne Voss (1926–<br />
2009) bis zur vereinigungsbedingten liquidation<br />
leitete. in seinem laden in der friedrichstraße<br />
konnte Zintl warten. es kamen nicht wenige<br />
Kunden aus dem Westen, die über höhere ddrmarkbeträge<br />
verfügten, die sie so immer noch<br />
günstig anlegen konnten. er kaufte auch, zahlte<br />
immer bar, sowohl auf den Auktionen in Berlin<br />
<strong>als</strong> auch in leipzig stets jeweils für circa 40.000<br />
bis 50.000 mark. Zum ende der ddr rief er<br />
mich einmal an, hatte einige Bedenken, da er<br />
von einem Vertreter der Kunst & Antiquitäten<br />
Gmbh aufgesucht worden war. seine lageretage<br />
in der Albrechtstraße, die er mir zeigte,<br />
barg aber wenig. einiges auf den Auktionen erworbene<br />
stand noch original verpackt.<br />
im laufe der Jahre entstanden Antiquariatsläden<br />
der Berliner Buchhandelsgesellschaft in<br />
der münzstraße, dann Weinmeisterstraße, 14 in<br />
der chausseestraße, nach der inhaftierung <strong>des</strong><br />
leiters wegen großer Kassenfehlbeträge, in der<br />
friedrichstraße. um 1963 gab es auch Geschäfte<br />
in der frankfurter Allee und in Weißensee. 1966<br />
wurde das linden-Antiquariat eröffnet, im rücken<br />
der Komischen Oper, geleitet von Gerhard<br />
Beinlich (1927–2002), 15 der seit 1954 im Antiquariat<br />
der Karl-marx-Buchhandlung tätig ge-
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchhandel<br />
wesen war. Auch dem staatlichen Antiquitätenhandel<br />
war 1967/68 ein Geschäft in der neuen<br />
ladenpassage angeboten, von der damaligen<br />
leitung aber abgelehnt worden. schräg gegenüber<br />
in einer <strong>als</strong> Autosalon konzipierten fläche<br />
zog 1981 die Galerie Berlin (nun Galerie unter<br />
den linden) aus dem Würfelbau der Karl-marx-<br />
Allee 45 ein. dort war Anfang 1963 die ›moderne<br />
kunst‹ gegründet worden, der erste große<br />
staatliche Kunsthandel mit Geschäften in der<br />
ddr, der 1967 in liquidation ging. 16 das linden-Antiquariat<br />
zog zum April 1988 in die<br />
friedrichstraße 165, ecke Behrenstraße.<br />
um die mitte der 1960er Jahre wurde das ohnehin<br />
für eine stadt wie Berlin geringe netz der<br />
Antiquariate leicht erweitert, indem aus einer<br />
althergebrachten Buchhandlung mit Antiquariatsabteilung<br />
(in Berlin-Pankow, schönholzer<br />
straße 1), die aus Altersgründen aufgegeben<br />
wurde, ein Antiquariat der Berliner Buchhandelsgesellschaft<br />
wurde. so bestanden ende der<br />
1980er Jahre insgesamt vier Antiquariatsladengeschäfte<br />
der Buchhandelsgesellschaft; zusätzlich<br />
gab es die möglichkeit, in der rungestraße,<br />
von wo aus die Kataloge versandt wurden, etwas<br />
zu erwerben. 1986 entschloss sich die Buchhandelsgesellschaft,<br />
erstm<strong>als</strong> am Alexanderplatz einen<br />
Antiquariatsmarkt zu veranstalten, der regen<br />
Zulauf hatte.<br />
nur von wenigen menschen beachtet, verfügte<br />
rudolf Ziegler, der das ›sonnenhaus‹, einen<br />
Werkladen mit katholischer Buchhandlung<br />
in der Oranienburger straße 1 in Berlin-mitte<br />
führte, seit den 1930er Jahren über die erlaubnis,<br />
<strong>als</strong> Antiquar tätig zu sein. Jedenfalls waren<br />
hier einige hefte <strong>des</strong> ›Ziegelbrenner‹ von ret<br />
marut und die ›neuere Plastik‹ von Alfred<br />
Kuhn zu finden, den er für seinen tischnachbarn,<br />
den Amerikanisten Georg Kartzke, mit<br />
einer freundlichen Widmung versehen hatte.<br />
das ›sonnenhaus‹ wurde von der tochter heidrun<br />
Klinkmann weitergeführt und befindet<br />
sich seit einigen Jahren in den heckmann-höfen<br />
zwischen der Oranienburger und der Auguststraße.<br />
1983 hat es in Berlin im Bereich <strong>des</strong><br />
Volksbuchhandels 13 läden mit An- und Ver-<br />
kauf antiquarischer Bücher gegeben. fünf davon<br />
waren auf literatur seit 1945 begrenzt.<br />
Antiquariate in Leipzig<br />
Kunsthandlungen und Antiquariate befanden<br />
sich <strong>als</strong> ladengeschäfte in den 1950er und 60er<br />
Jahren in relativ großer Zahl im Zentrum der<br />
stadt. die franz-mehring-Buchhandlung, gegründet<br />
am 18. August 1945, lange die größte<br />
Buchhandlung im Gebiet der ddr, führte auch<br />
ein Antiquariat. 17 Von dort kamen Kataloge, die<br />
zur Bestellung einluden, erarbeitet von Walter<br />
Kappert (gest. Juni 1957). 18 franz Otto Genth in<br />
der Grimmaischen straße, um die ecke gelegen,<br />
hatte sowohl ein sortiment <strong>als</strong> auch einige Antiquariatsabteilungen.<br />
Antiquarisches war in den<br />
schaufenstern zu sehen; ich erinnere mich der<br />
sophien-Ausgabe der Werke Goethes, die um<br />
1960 für circa 980 mark zu haben war.<br />
ein besonders rühriger Antiquar war Karl<br />
markert (1883–1965), 19 der noch vor dem ersten<br />
31
Buchhandel<br />
32<br />
Weltkrieg in england erfahrungen gesammelt<br />
hatte und 1956 die leitung der leipziger Gruppe<br />
der Pirckheimer-Gesellschaft übernahm. in<br />
den 1960er Jahren verdrängte ihn rudolf Vogel<br />
(1912–1998), leiter <strong>des</strong> Zentralantiquariats der<br />
ddr, der aus frankfurt an der Oder gekommen<br />
war, aus diesem ehrenamt. die listen von<br />
Karl markert waren eine freude. seine tochter<br />
führte das Antiquariat weiter. Goedecke zu besuchen<br />
gehörte allemal zu meinen freuden in<br />
leipzig. der alte Goedecke gewährte stets zehn<br />
Prozent rabatt. unter seinem sohn, der wohl,<br />
wie ich hörte, die fürsprache von Bruno Kaiser<br />
erhalten hatte, wurde das Geschäft in der Karlliebknecht-straße<br />
geschlossen. nach den Gesetzen<br />
der ddr war er in seinem Gewerbe<br />
straffällig geworden. die verbliebene Ware wurde<br />
vom Zentralantiquariat abgeholt. in leipzig<br />
soll es vorgekommen sein, dass ein Antiquitätengeschäft,<br />
in dem auch Bücher gehandelt<br />
wurden, über nacht ausgeräumt und die mitarbeiter<br />
inhaftiert wurden, weil transaktionen mit<br />
leuten aus dem Westen stattgefunden hatten.<br />
Zu den rührigsten Buch- und Kunsthändlern<br />
nach dem Krieg zählte Kurt engewald. Bei ihm<br />
fanden auch Ausstellungen in dem langgezogenen<br />
barocken Bau statt. eines tages wurde<br />
das haus abgerissen, und der Buchhändler und<br />
Antiquar führte noch im hohen Alter an der<br />
thomaskirche sein Geschäft alleine fort. Auch<br />
dort konnte es sein, dass einem unerwartet aufgrund<br />
eines Gesprächs ein Büchlein zufiel. Gegenüber<br />
der nikolaikirche befand sich das große<br />
Geschäft <strong>des</strong> Zentralantiquariats. in der zweiten<br />
hälfte der 1960er Jahre wurde ehem<strong>als</strong> Genth,<br />
aus Altersgründen aufgegeben, um die ecke in<br />
der Grimmaischen straße gelegen, dem imperiums<br />
<strong>des</strong> Zentralantiquariats hinzugefügt, das separat<br />
noch das leipziger Antiquariat (Abt. Bibliophilie)<br />
in der Grimmaischen straße 2–4<br />
führte. ich erinnere mich an fromund hoy<br />
(1941–2007), 20 der ziemlich lange dort tätig war,<br />
bevor er wegen einer geringen inventurdifferenz<br />
einen unglücklichen Wanderweg antrat. Als er<br />
erster leiter der Brecht-Buchhandlung in der<br />
chausseestraße in Berlin wurde, war zuvor auch<br />
von der einrichtung eines Antiquariats im Keller<br />
die rede.<br />
Dresden und weitere Orte<br />
in dresden war die situation für die Antiquitäten-<br />
und Kunsthändler etwas schwieriger <strong>als</strong><br />
in leipzig, weil im februar 1945 in der innenstadt<br />
alles zerstört worden war. so hatten mitte<br />
der 1960er Jahre einige der besseren händler<br />
nur in ihren Wohnungen oder auf etagen ihre<br />
Verkaufsräume. das dresdener Antiquariat war<br />
ende der 1950er Jahre unter der leitung von<br />
Arthur nestler (1896–1997) 21 in einer holzbaracke<br />
untergebracht. in der nazizeit hatte er die<br />
Buchhandlung ›Wilhelm nestler – Alle literatur<br />
für Wehrmacht und luftfahrt‹ zu einem<br />
treffpunkt illegal wirkender mitglieder der<br />
KPd gemacht. er leitete das dresdener Antiquariat<br />
von 1955 bis 1971, bevor es in einen laden<br />
in der Bautzner straße 27 ziehen konnte.<br />
Benachbart, in der hausnummer 23, war der<br />
VeB dresdner An- und Verkauf in der ersten
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchhandel<br />
etage untergebracht, der Gebrauchtwaren, Antiquitäten,<br />
Bilder und Grafik führte und am export<br />
beteiligt war. nachdem die firma nova<br />
(horst und frank Kempe), die in der straße der<br />
Befreiung einen repräsentativen laden hatte<br />
einrichten können, diesen 1974 aufgrund von<br />
repressalien und <strong>des</strong> Wegzugs nach münchen<br />
hatte aufgeben müssen, etablierte sich dort der<br />
VeB dresdner An- und Verkauf. in den späten<br />
1960er Jahren hatte er in einem neubau in der<br />
Prager straße einen großen laden eröffnet, der<br />
nur kurzlebig war.<br />
für dresden war die Kunstausstellung Kühl<br />
über Jahrzehnte eine gefragte Anschrift. das familienunternehmen<br />
beteiligte sich nicht am export,<br />
ebenso wie einige bessere Antiquitätenhändler<br />
in dresden. für interessenten und Käufer<br />
von Bildern und Grafik war Johannes Kühl<br />
(1922–1996), der das unternehmen 1965 von<br />
seinem Vater hatte übernehmen können, ein<br />
wichtiger Partner und ratgeber. 22 ein kleines<br />
Antiquariat in laubegast war das von Karl ullrich<br />
(1897–1969), 23 das nach seinem tod von der<br />
Witwe nicht weitergeführt werden durfte. lohnend<br />
war ein Besuch bei dienemann nachf.<br />
Gmbh, geführt von Georg leukroth (1899–<br />
1999), 24 nahe dem neustädtischen Bahnhof, auf<br />
einer etage im hochparterre, erreichbar über<br />
eine kleine treppe vom hof aus. Bei ihm konnte<br />
man in den 1980er Jahren auf tischen in einem<br />
nebenraum auch neueingänge in Augenschein<br />
nehmen. Bei dem einen oder anderen stück war<br />
zu hören, dass er auch etwas brauche, wenn er<br />
<strong>als</strong> rentner nach dem Westen fahre. Aber schon<br />
Jahre zuvor hatte er großzügig Kredit gewährt<br />
oder einem auch einmal ein Büchlein geschenkt.<br />
Auf das dresdner Kunstantiquariat franz<br />
meyer, in dem Karl Gustav Joachim meyer<br />
(1900–1981) nach 1945 die Geschäfte führte und<br />
seit 1949 in der Wohnung Kaitzer straße 57 tätig<br />
war, hat Werner schmidt aufgrund der großzügigen<br />
schenkung von hildegard und Joachim<br />
meyer aus deren privaten Beständen aufmerksam<br />
gemacht. 25 einen guten ruf genoss carl Adlers<br />
Buchhandlung in dresden, die von hans-<br />
Georg Kühnel (1927–1994) geführt wurde. 26<br />
Auch in der christlichen Buchhandlung c.<br />
l. ungelenk, auf dem Plauenschen ring 7, die<br />
manfred Artur fellisch (geb. 1947) gehörte, der<br />
bei leukroth volontiert hatte, waren Buchhandlung<br />
und Antiquariat zu finden. Karl enax<br />
(1906–?) war in radebeul bei Gottfried sauermann<br />
(geb. 1942) beschäftigt, der seiner Buchhandlung<br />
nach der Wende eine Vinothek hinzufügte.<br />
eine ganze reihe Antiquare und Buchhändler<br />
waren mitglied in der Pirckheimer-Gesellschaft.<br />
Zu ihnen zählte auch rudolf<br />
Kretschmar (1908–1976) 27 in Bautzen, <strong>des</strong>sen<br />
tochter reingard (geb. 1953) sein Geschäft weiterführte.<br />
Von Zeit zu Zeit kamen Angebotslisten von<br />
Otto tappert von der Ascherslebener Bücherstube,<br />
tie 14, am Johannisturm, die nicht allzu<br />
umfangreich waren, aber gute Kunstliteratur<br />
enthielten. Zu schwalbe in <strong>des</strong>sau zu schauen,<br />
war günstig. Von der Kunsthandlung Giese, inhaber<br />
erwin mahler (geb. 1928), in magdeburg<br />
in der leiterstraße, war es nicht weit zu holtermann,<br />
wo stets Antiquarisches anzusehen war.<br />
Von der evangelischen Buchhandlung max<br />
müller in Karl-marx-stadt wurden viele Kataloge<br />
versandt, zum einen für neuerscheinungen,<br />
besonders zur Weihnachtszeit, aber auch Antiquariatskataloge,<br />
die sich ob ihres inhalts sehen<br />
lassen konnten. 28<br />
sein Antiquariat in cottbus gab Walter<br />
drangosch (1899–1985) 29 1960 zugunsten <strong>des</strong><br />
Bezirksantiquariats cottbus auf, das er dann leitete.<br />
1979 wurde er ehrenbürger von cottbus.<br />
erhalten hatte sich eine lange geübte Praxis<br />
einer Gemeinsamkeit von Buchhandlung, Antiquariat<br />
und Kunsthandlung, wie sie in der <strong>deutschen</strong><br />
Bücherstube in Berlin geübt wurde, aber<br />
auch in naumburg und in Weimar. erwin Kohlmann<br />
(1920–2001), renommierter sammler von<br />
spielkarten und Vorsitzender der Antiquare im<br />
Börsenverein <strong>des</strong> <strong>deutschen</strong> Buchhandels in<br />
leipzig, hatte die firma mit Buchhandlung, Antiquariat<br />
und Antiquitäten um 1950 übernommen.<br />
Zu Katharina Becker in Weimar musste man<br />
stets schauen, zumal die Atmosphäre zum<br />
33
Buchhandel<br />
34<br />
schmökern einlud. ein schaufenster mit Antiquarischem,<br />
neue Bücher am eingang, Ansichtskarten,<br />
ein Karton mit Antiquarischem gegenüber,<br />
Antiquitäten im schaufenster, Antiquariat<br />
im zweiten raum. dort waren der jung verstorbene<br />
herr frommhold, ein Bruder <strong>des</strong> Autors<br />
und Verlegers erhard frommhold, und renate<br />
müller-Krumbach tätig, Autorin <strong>des</strong> Buches zur<br />
cranach-Presse. nach ihrem Ausscheiden aus<br />
den staatlichen Kunstsammlungen Weimar, <strong>als</strong><br />
dort Gerhard Pommeranz-liedtke direktor geworden<br />
war, fand sie hier unterschlupf. hatte<br />
nicht gerade Giovanni (hans) mardersteig vorbeigeschaut<br />
oder wurde erwartet, der einst von<br />
Weimar nach Verona aufgebrochen war? Zuvor<br />
hatte sich meist ein Blick in die hoffmann’sche<br />
Buchhandlung (Wilh. hoffmanns Buch- und<br />
Kunsthandlung) gelohnt, die schon zur Goethezeit<br />
bestand, zwei, drei Bretter mit oft überraschender<br />
Kunstliteratur. Gegenüber, quasi benachbart<br />
dem schillerhaus, Wasmunds Buch-<br />
und Kunsthandlung, die allerhand antiquarische<br />
literatur führte, aber nicht sehr kundenfreundlich<br />
war. ende der 1970er Jahre ging der Besitzer<br />
mit seiner tochter nach Bayern. das hervorragend<br />
gelegene eckgeschäft beherbergte dann das<br />
staatliche Weimarer Antiquariat. der Pirckheimer-freund<br />
und sänger rainer schulze (geb.<br />
1946) in Wernigerode führte in der altehrwürdigen<br />
Jüttners Buchhandlung auch ein Antiquariat,<br />
30 das, wie er selbst mitteilt, auch zur fundgrube<br />
<strong>des</strong> magdeburger Antiquariats wurde.<br />
hermann rhein (1906–1993) in Wismar, der<br />
1936 die hinstorffsche hofbuchhandlung in der<br />
lübschenstraße gekauft hatte, die nach seinem<br />
Ausscheiden 1973 <strong>als</strong> hermann rhein nachf.<br />
firmierte, 31 war ebenso wie erwin Kohlmann in<br />
naumburg ende der 1950er Jahre eine staatliche<br />
Beteiligung für seine Buchhandlung und Antiquariat<br />
eingegangen, die vorübergehend ein sicheres<br />
einkommen garantierte. Bei heinz niemann<br />
(1906–?) in halberstadt, einem Gebrauchtwaren-<br />
und Antiquitätenhändler, waren<br />
öfter Bücher zu finden, darunter eine Gutsbibliothek,<br />
Bücher, die zwischen 1800 und 1850 erschienen,<br />
einheitlich in blauem Karton gebun-<br />
den. das magdeburger Antiquariat hielt hier<br />
auch einkehr.<br />
ein Ausflug lohnte sich zu einer Buchhandlung<br />
in quedlinburg, die Antiquarisches vorrätig<br />
hatte, aus dem nachlass <strong>des</strong> Kunsthistorikers<br />
hans spitzmann. in Ahrenshoop ist an die Bunte<br />
stube zu erinnern, die von fritz Wegscheider<br />
32 geleitet wurde und in der in den späten<br />
1980er Jahren nicht wenige Veröffentlichungen<br />
deutscher bibliophiler Gesellschaften antiquarisch<br />
zu finden waren. in Potsdam gab es eine<br />
christliche Buchhandlung, die ihre antiquarischen<br />
Bestände wohl überwiegend aus Pfarrernachlässen<br />
speiste.<br />
Zu den Jahrestreffen der Pirckheimer-Gesellschaft<br />
in Berlin, Gera, halle, leipzig und rostock<br />
waren staatliche Antiquariate jeweils mit<br />
einem ausgesuchten Angebot dabei, allen voran<br />
Gerhard Beinlich aus Berlin, der auch keine mühe<br />
scheute, nach frankfurt an der Oder, tabarz<br />
und Wolgast zu kommen. Zu den Berliner<br />
Abenden brachte Beinlich oft aus dem linden-<br />
Antiquariat eine Aktentasche mit Pretiosen mit,<br />
die er zum Kauf auslegte. in Karl-marx-stadt<br />
(1978) öffneten sowohl das staatliche Geschäft<br />
im rosenhof <strong>als</strong> auch Gottfried müller.<br />
in den 1980er Jahren reiste theo Pinkus<br />
(1909–1991) aus Zürich mit staatlicher einwilligung<br />
durch die ddr, um Bücher seiner Gebiete<br />
von Privatpersonen gegen forumschecks zu erwerben,<br />
eine von erich honecker eingeführte<br />
notwährung zum Kauf von Waren in den intershops.<br />
ein rentner, der in den Westen fuhr,<br />
konnte nur d-mark gebrauchen. <strong>des</strong>halb zahlte<br />
Pinkus bei Protest auch in d-mark.<br />
Zwar nur <strong>als</strong> Auswahl bezeichnet, liegt mir<br />
eine liste vom 19. september 1989 vor, die das<br />
mitglied der Pirckheimer-Gesellschaft, norbert<br />
Köppe (zu jener Zeit Berlin, jetzt hannover),<br />
erstellt hat, in der 104 Anschriften notiert sind,<br />
von Altenburg bis Zwickau, von denen ein gutes<br />
drittel moderne Antiquariate sind. es hätten<br />
sich weitere hinzufügen lassen, was aber aufgrund<br />
der veränderten Verhältnisse (die Begleitzeilen<br />
sind vom 28. Januar 1990) auch auf dem<br />
Buch- und Antiquariatsmarkt keinen sinn mehr
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchhandel<br />
ergab. Welchem schicksal Antiquariate, Antiquarinnen<br />
und Antiquare aus der ddr entgegengingen,<br />
das wäre ein neues Kapitel.<br />
Auktionen in der DDR<br />
Am 6. dezember 1975 fand im Klub der intelligenz<br />
Gottfried Wilhelm leibniz in der elsterstraße<br />
35 in leipzig die erste Buch- und Grafikauktion<br />
<strong>des</strong> Zentralantiquariats der ddr statt,<br />
zu der direktor Vogel und Bereichsleiter Wend<br />
eingeladen hatten. der Katalog umfasste 110<br />
Positionen Bücher, neun Blätter dekorativer<br />
Grafik, 47 Blätter alter Grafik und circa 140<br />
Blätter Grafik <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts. 33<br />
für die zweite Auktion, die in leipzig ein<br />
Jahr später, am 5. dezember 1976 stattfand, luden<br />
der neue direktor Jürgen schebera und Bereichsleiter<br />
Johannes Wend ein, bis zum 5. Oktober<br />
1976 »geeignete Bücher und Blätter aus<br />
ihrer sammlung uns zu diesem Zwecke zu übergeben«.<br />
1977 kam das Zentralantiquariat erstm<strong>als</strong><br />
nach Berlin, ins tiP (theater im Palast).<br />
Künftig sollten alle Auktionen <strong>des</strong> Zentralantiquariats<br />
für Bücher und Grafik in Berlin stattfinden.<br />
die drei <strong>als</strong> ›tiP-Auktion für junge leu-<br />
te‹ deklarierten Versteigerungen von 1978 bis<br />
1980 wurden wohl nicht fortgeführt, weil nicht<br />
zu verhindern war, dass die wahren Käufer daneben<br />
saßen. insgesamt gab es bis 1980 vier<br />
Auktionen für Bücher und Grafik im theater<br />
im Palast. Von der siebten Buch- und Grafikauktion<br />
an (die beiden leipziger Auktionen<br />
und die vier tiP-Auktionen wurden zusammengezogen<br />
und numerisch fortgeführt) bis zur 16.<br />
(und letzten) Buch- und Grafikauktion am 26.<br />
november 1989 fanden im Kino- und Vortragssaal<br />
im museum für deutsche Geschichte (unter<br />
den linden 2) statt. Ab der 7. Buch- und<br />
Grafikauktion (1981) erschienen die Kataloge<br />
für Buch und Grafik getrennt (mit Ausnahme<br />
der 8. Buch- und Grafikauktion).<br />
Bieter waren sowohl Privatpersonen <strong>als</strong> auch<br />
institutionen. Auktionator Johannes Wend<br />
(1937–1993) wurde von Gerhard Beinlich und<br />
seinen Kolleginnen assistiert. nach einer der<br />
letzten Auktionen sah ich jüngere leute, die einen<br />
großen Bargeldbetrag aus einer Aktentasche<br />
kippten. die Zahl der Ausreisenden war gewachsen,<br />
aus Verkäufen erzieltes Geld sollte<br />
vermutlich gewinnbringend angelegt werden.<br />
seit 1972 konnten Bun<strong>des</strong>bürger mit dem<br />
Auto einreisen und sich auch im weiteren umkreis<br />
bewegen, was vordem nicht gestattet worden<br />
war. es wurde die möglichkeit genutzt, Antiquitäten<br />
und Antiquarisches zu erwerben. das<br />
hatte zur folge, dass aufgrund der steigenden<br />
nachfrage die Preise stiegen. die Auktionen<br />
hoben das Preisniveau. die Versteigerungen von<br />
Büchern und Grafik wurden in der Zeitschrift<br />
›marginalien‹ von Anfang an kritisch besprochen.<br />
der leitung <strong>des</strong> Zentralantiquariats der<br />
ddr gefiel das gar nicht. Am liebsten hätten sie<br />
den Autor »wegen Geschäftsschädigung« vor<br />
Gericht gebracht. in einer Aussprache mit dem<br />
Vorstand der Pirckheimer-Gesellschaft bekräftigten<br />
Bruno Kaiser und der redakteur der Zeitschrift,<br />
lothar lang, ihren standpunkt in einem<br />
Plädoyer, unterstützt von dem Altphilologen<br />
Wolfgang Kirsch, dam<strong>als</strong> Vorsitzender der Bezirksgruppe<br />
halle. ein Brief <strong>des</strong> großen Bibliophilen<br />
und Verlegers der Jahre um 1930 in Ber-<br />
35
Buchhandel<br />
36<br />
lin, Abraham horodisch aus Amsterdam, vom<br />
11. mai 1979 an leo Piotracha drückte »Bewunderung«<br />
aus, da der Bücherfreund in seiner<br />
»60jährigen [sic] bibliophilen Praxis immer nur<br />
Auktionsberichten begegnet, die sich damit begnügt<br />
haben, erzielte spitzenpreise zu verzeichnen,<br />
gelegentlich auch namen von Käufern zu<br />
melden. einer Kritik der Katalogbeschreibungen,<br />
so wie sie sie durchaus zurecht geübt<br />
haben, kann ich mich nicht erinnern, und systematischer<br />
hinweise auf Bibliographien und<br />
Werkverzeichnisse schon gar nicht.« 34 Zu den<br />
Versteigerungen für Jugendliche wünschte horodisch,<br />
dass sie aufhörten.<br />
Zu erwähnen wären die Auktionen der Galerie<br />
oben, der Genossenschaft bildender Künstler<br />
in Karl-marx-stadt (chemnitz). Begonnen haben<br />
Pirckheimer-freunde (uli eichhorn, Wolfgang<br />
neubert) mit Auktionen in Karl-marxstadt,<br />
35 deren dritte bereits am 5. februar 1983<br />
im Pablo-neruda-Klub stattfand. unter der redaktion<br />
von uli eichhorn umfasste sie 157 Positionen.<br />
die Galerie oben führte die Auktionen<br />
erfolgreich weiter. Zu dem Jahrestreffen der<br />
Pirckheimer-Gesellschaft in Karl-marx-stadt<br />
(1978) fanden eine Auktion auf schloss Augustusburg<br />
mit material aus dem Bezirksantiquariat<br />
Karl-marx-stadt und dem Antiquariat der<br />
evangelischen Buchhandlung max müller (Katalog<br />
der Buch- und Grafikauktion mit 61 Positionen)<br />
und in cottbus (1984) aus den einlieferungen<br />
der mitglieder (maschinenschriftlich<br />
vervielfältigte liste) und in leipzig 1989 statt.<br />
die letzte von der Galerie oben geführte Auktion<br />
fand am 26. mai 1990 statt. der staatliche<br />
Kunsthandel der ddr, ein monopolunternehmen<br />
unter seinem Generaldirektor horst Weiß,<br />
zog nach und nach alle Auktionen für bildende<br />
Kunst und Grafik an sich. dazu gehörten auch<br />
die dresdner Auktionen, die Werner schmidt<br />
vom Kupferstich-Kabinett begonnen hatte, und<br />
die Auktionen der Galerie am Prater in Berlin,<br />
geleitet von Joachim Pohl.<br />
Von der schwierigen bis katastrophalen Wirtschaftslage<br />
in der ddr wussten wenige menschen.<br />
die Gründung der Kunst & Antiquitäten<br />
Gmbh 1973, die nach der Wende erst mit dem<br />
Bereich Kommerzielle Koordinierung <strong>des</strong><br />
staatssekretärs Alexander schalck-Golodkowski<br />
in Verbindung gebracht wurde, erweiterte<br />
ihren umsatz mit dem eintritt von Johannes<br />
Wend, bisher spezialist für Auktionen <strong>des</strong><br />
Zentralantiquariats, indem nun Bücher und<br />
Grafik in das exportgeschäft verstärkt einbezogen<br />
wurden. hilfreich waren dafür nicht allein<br />
die fachkenntnisse <strong>des</strong> neuen Kollegen, aufgrund<br />
seiner langen erfahrungen kannte er die<br />
sammler, die erfolgversprechen<strong>des</strong> besaßen. Zu<br />
ihnen gehörte Karl Koehler, 36 ein schon betagter<br />
metallurge, der, wie er erzählte, seine erste Grafik<br />
1917 auf einer Auktion erworben hatte. unmittelbar<br />
nach seinem tod wurden die erben<br />
zur Kasse gebeten. es blieb für sie nach den<br />
schätzungen von Johannes Wend nichts übrig. 37<br />
dabei hatte sich Koehler durchaus mit exponaten<br />
an Ausstellungen beteiligt, was steuerfreiheit<br />
versprach.<br />
Für Auskünfte und Gespräche danke ich Ingrid Blankenburger,<br />
Sibylle Böhme, Bernhard Stübner, Hanna<br />
Tzschacksch, Heinz Wegehaupt und Wolfgang Wehlitz<br />
(sämtlich Berlin); Manfred Artur Fellisch (Radebeul),<br />
Werner Kohlert (Dresden), Peter Minkewitz und Ronald<br />
Paris (Rangsdorf). Danken möchte ich auch meiner Frau<br />
Brigitte für ihre unendliche Geduld und Hilfe bei der<br />
Fertigstellung <strong>des</strong> Textes.<br />
Anmerkungen<br />
1 Bruno Kaiser: der Kampf um das Antiquariat.<br />
in: marginalien 51. heft (1973) s. 84–86. in der<br />
Korrespondenz Bruno Kaisers, die in der handschriftenabteilung<br />
der staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrt<br />
wird, befindet sich die Kopie eines Briefes<br />
vom 23. märz 1973 an roland Bauer, mitglied <strong>des</strong> ZK<br />
der sed, mitglied der Kulturkommission <strong>des</strong> ZK<br />
und mitglied der stadtverordnetenversammlung von<br />
Berlin.<br />
2 hermann Weber: der Antiquar Georg Pinzke –<br />
schicksal eines vergessenen Kommunisten. in: die<br />
Vitrine. fachblatt für linke Bibliomanie. heft 2. märz<br />
2003, s. 4–11.<br />
3 Bertolt Brecht berichtet unter dem 12. november 1948<br />
im »Arbeitsjournal 1938–1955«. hrsg. von Werner<br />
hecht. Berlin und Weimar 1977, s. 459: »am bahnhof<br />
friedrichstraße ist eine buchhandlung mit alten büchern.<br />
sie gehört einem kommunisten. ich wähle eine<br />
goetheausgabe, und er weigert sich, mich bezahlen zu<br />
lassen.«
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Buchhandel<br />
4 hartmut Pätzke: der »Graphik-Verlag dr. heinrich<br />
mock« in Altenburg (1945–1949), Weimar und erfurt<br />
(1949–1953). in: AdA nf 3 (2005) s. 199–205.<br />
5 eberhard roters: Galerie ferdinand möller. Berlin<br />
1984.<br />
6 monika heffels: c. G. Boerner Kataloge. in: heinz<br />
ladendorf (hrsg.): festschrift dr. h. c. eduard trautscholdt<br />
zum siebzigsten Geburtstag am 13. Januar<br />
1963. hamburg 1965, s. 203–226.<br />
7 Brockhaus/Antiquarium 1856 bis 2006. ein Blick in<br />
die Geschichte zum 150-jährigen Jubiläum. Kornwestheim<br />
2006.<br />
8 theodor Pinkus: neudruck und Bibliophilie. in:<br />
marginalien 24. heft (1966) s. 22–26.<br />
9 hartmut Pätzke: erich c. l. Zintl 1.3.1911 – 2.4.1998.<br />
in: AdA 7/1998, A 547–549.<br />
10 Godula Buchholz: Karl Buchholz. Buch- und Kunsthändler<br />
im 20. Jahrhundert. sein leben und seine<br />
Buchhandlungen und Galerien: Berlin, new York,<br />
Bukarest, lissabon, madrid, Bogotà. Köln 2005.<br />
11 hartmut Pätzke: ilse von Kamptz (1909–2000),<br />
Buchhändlerin, Antiquarin und Galeristin. in: AdA<br />
nf 8 (2010) s. 69–73.<br />
12 Was sechzigjährige von einander halten. Wolfram<br />
Körner über erwin Kohlmann. in: marginalien 79.<br />
heft (1980) s. 87.<br />
13 Brief erwin Kohlmann an Bruno Kaiser vom 29.<br />
April 1961; nachlass Bruno Kaiser, handschriftenabteilung<br />
der staatsbibliothek zu Berlin, haus Potsdamer<br />
straße.<br />
14 (hartmut Pätzke) unter: nachrichten für den Bücher-<br />
und Graphikfreund. in: marginalien 110. heft<br />
1988, s. 81.<br />
15 hartmut Pätzke: Gerhard Beinlich. in: marginalien<br />
108. heft 1987, s. 74 f.; ders.: Gerhard Beinlich 65<br />
Jahre. in: marginalien 120. heft 1993, s. 97; ders.:<br />
Gerhard Beinlich 70 Jahre alt. in: marginalien 147.<br />
heft (1997) s. 103; ders.: Zum tod von Gerhard<br />
Beinlich. in: AdA 5/2002, A 299 f.<br />
16 modernde Kunst. eine nicht im Auftrage <strong>des</strong> ministeriums<br />
für Kultur geschaffene Bilder-Geschichte<br />
von Peter dittrich. in: eulenspiegel, Januar 1968, s. 5.<br />
17 Bücher für leipzig. festschrift zum 50jährigen Bestehen<br />
der Buchhandlung »franz-mehring-haus«<br />
leipzig. redaktion: thomas Biskupek. leipzig 1995.<br />
18 Bruno Kaiser: Zum Gedenken. in: marginalien 2.<br />
heft (1957) s. 15 f.<br />
19 Karl markert: erinnerungen und Betrachtungen eines<br />
Antiquars. in: marginalien 4. heft (1959) s. 23–28.<br />
20 herbert Kästner: der Antiquar fromund hoy. in:<br />
marginalien 192. heft (2008) s. 92 f.<br />
21 Victor Klemperer: und alles ist schwankend. tagebücher<br />
Juni bis dezember 1945. hrsg. von Günter Jäckel<br />
unter der mitarbeit von hadwig Klemperer. 3.<br />
Aufl. Berlin 1995; ders.: so sitze ich denn zwischen<br />
allen stühlen. tagebücher 1945–1949. hrsg. von Walter<br />
nowojski unter der mitarbeit von christian löser.<br />
3. Aufl. Berlin 1999; frank hermann: Vom Kaiserreich<br />
zur republik. der Buchhändler Arthur<br />
nestler wurde 100. in: AdA 9/1996, A 407 f.; hartmut<br />
Pätzke: dresden. 100 Jahre alt wurde Arthur<br />
nestler. in: marginalien 143. heft (1996) s. 82; ders.:<br />
erinnerung an Arthur nestler. in: marginalien 147.<br />
heft (1997) s. 63–65.<br />
22 hans-ulrich lehmann: Zeichnungen in der Kunst<br />
der ddr, Katalog, Kupferstich-Kabinett der staatlichen<br />
Kunstsammlungen dresden 1974, zu Johannes<br />
Kühl s. 130 f.; Kunsthändler künstlerisch tätig, Katalog,<br />
Galerie nierendorf. Berlin 1987; ingrid Wenzkat:<br />
65 Jahre Galerie Kühl, dresden, in: marginalien<br />
einhundertsiebzehntes heft 1990, s. 56–61; die<br />
Kunstausstellung Kühl. Johannes Kühl im Gespräch<br />
mit Peter nüske. in: eckhart Gillen und rainer<br />
haarmann (hrsg.): Kunst in der ddr, Kiepenheuer<br />
& Witsch 1990, s. 331–334.<br />
23 Karl ullrich: erinnerungen an Kindheitserlebnisse<br />
mit Büchern. in: marginalien 24. heft (1966) s. 34–<br />
46; horst Kunze: Karl ullrich, Antiquar. in: marginalien<br />
37. heft (1970) s. 56–59.<br />
24 Werner Kohlert: dem Antiquar Georg leukroth<br />
zum 100. Geburtstag. in: AdA 2/1999, A 118 f.<br />
25 Werner schmidt: 100 Werke aus der schenkung hildegard<br />
und Joachim meyer. erwerbungen 41. Kupferstich-Kabinett<br />
der staatlichen Kunstsammlungen<br />
dresden (1982).<br />
26 hans-Georg Kühnel: Aus meinem leben und Wirken<br />
<strong>als</strong> Buchhändler (Privatdruck); [lothar lang]:<br />
dresden. hans-Georg Kühnel. in: marginalien 136.<br />
heft (1994) s. 115.<br />
27 rudolf Kretschmar 30.03.1908–13.11.1976. in: marginalien<br />
65. heft (1977) s. 50.<br />
28 michael schädlich: das Antiquariat der evangelischen<br />
Buchhandlung max müller in chemnitz/<br />
Karl-marx-stadt. in: marginalien 190. heft (2008) s.<br />
56–58.<br />
29 reinhard seidler: ein senior der cottbuser sammler.<br />
in: marginalien 77. heft (1980) s. 14–19; hkk: Walter<br />
drangosch. in: lausitzer rundschau, 13. Januar<br />
2010.<br />
30 rainer schulze: Aus der chronik der (allzeit) privaten<br />
Jüttners Buchhandlung Wernigerode. in: leipziger<br />
Jahrbuch zur Buchgeschichte 12 (2003) s. 337–<br />
345.<br />
31 Johannes lischke: Wismar. in memoriam hermann<br />
rhein. in: marginalien 133. heft (1994) s. 108 f.<br />
32 detlef hamer: 60 Jahre Bunte stube Ahrenshoop.<br />
Geburtstagsgruß an ein traditionsreiches Kunstunternehmen.<br />
in: marginalien 87. heft (1982) s. 45–50.<br />
33 leo Piotracha: Auktionen. Berlin/leipzig. Zwei<br />
Auktionen für Graphik und Bücher und ihre ergebnisse.<br />
i. Kleine sommerauktion der Galerie Arkade<br />
am 24.6.1975 in Berlin und Auktion nr. 1 <strong>des</strong><br />
Zentralantiquariats der ddr am 6. dezember 1975<br />
in leipzig. in: marginalien 62. heft (1976) s. 75–80.<br />
34 der Brief befindet sich im Besitz <strong>des</strong> Adressaten.<br />
35 Wolfgang neubert: [Zur Zweiten Buchauktion im<br />
Karl-marx-städter Klub »Pablo neruda« am 3.<br />
April 1982]. in: marginalien 87. heft (1982) s. 61 f.<br />
36 lithographien. sammlung dr. Karl Koehler. in:<br />
Günter Blutke: Obskure Geschäfte mit Kunst und<br />
Antiquitäten. ein Kriminalreport. 2., veränderte<br />
Auflage. Berlin 1994, s. 81–86.<br />
37 Zur rolle von Johannes Wend bei Wertschätzungen<br />
von Kulturgut siehe auch Bernt ture von zur mühlen:<br />
der Ausverkauf der stadtarchivbibliotheken in<br />
Altenburg und döbeln. in: AdA 12/1990, A 509–<br />
512.<br />
37
Buchhandel<br />
Nach-<br />
bemerkung<br />
Björn Biester<br />
Auswahlbibliografie<br />
(chronologisch<br />
geordnet):<br />
38<br />
die vorstehend veröffentlichten Anmerkungen von hartmut Pätzke (geb. 1938<br />
Berlin-friedenau) zum Antiquariatsbuchhandel und Auktionswesen in der <strong>deutschen</strong><br />
demokratischen republik bieten gewiss keinen vollständigen oder historisch<br />
abgeklärten überblick über ein schwieriges terrain, jedoch Bausteine zur<br />
einordnung einzelner firmen und ihrer inhaber aus einer innen- und sammler-<br />
Perspektive über mehrere Jahrzehnte. Viele dinge lassen sich auf andere Weise<br />
wohl kaum noch erschließen, ganz sicher nicht etwa durch Akten oder die leipziger<br />
Ausgabe <strong>des</strong> ›<strong>Börsenblatt</strong>s‹. Auch Adressbücher sind nur begrenzt hilfreich,<br />
da deren einträge oft nicht einmal verraten, ob und in welchem umfang eine sortimentsbuchhandlung<br />
auch antiquarisch tätig gewesen ist. mehr <strong>als</strong> 20 Jahre nach<br />
dem untergang der ddr scheint es ein dringen<strong>des</strong> Anliegen, dieses Verfahren der<br />
materialgewinnung, das heißt Äußerungen von Zeitzeugen zu sammeln und dokumentieren,<br />
zu intensivieren. mitteilungen dieser Art sind bislang rar, nachträge<br />
und ergänzungen <strong>des</strong>halb sehr willkommen.<br />
1 erste Auktion im Zentralantiquariat leipzig.<br />
in: AdA 12/1975, A 402.<br />
2 stula, hans: eindrücke von der internationalen<br />
Buchkunst-Ausstellung in leipzig und ddr-<br />
Antiquariaten. in: AdA 8/1977, A 306–308.<br />
3 Werner, h. G.: Anmerkungen zum Antiquariats -<br />
buchhandel in der ddr. in: AdA 4/1978, A 130–132.<br />
4 Bielschowsky, ludwig: Buch- und Graphikauktion<br />
in Ost-Berlin. in: AdA 11/1980, A 503 f.<br />
5 schebera, Jürgen: Geschätzter Partner in der Welt.<br />
Kundendienst (Postkarte genügt) und exaktheit<br />
werden in leipzig großgeschrieben (Buchwesen in<br />
der ddr 27: das Zentralantiquariat). in: Börsen -<br />
blatt für den <strong>deutschen</strong> Buchhandel (frankfurt)<br />
nr. 60, 18. Juli 1980. s. 1736 f.<br />
6 ludwig, erich: Zentralantiquariat der ddr:<br />
7. Buch- und Grafikauktion. in: AdA 11/1981,<br />
A 478–482.<br />
7 ludwig, erich: Zentralantiquariat der ddr:<br />
8. Buch- und Grafikauktion. in: AdA 1/1982,<br />
A 28–31.<br />
8 ludwig, erich: Zentralantiquariat der ddr:<br />
9. Buch- und Grafikauktion mit Versteigerung<br />
einer frans-masereel-sammlung. in: AdA 1/1983,<br />
A 28–32.<br />
9 ludwig, erich: Zentralantiquariat der ddr:<br />
10. Buch- und Grafikauktion. in: AdA 2/1984,<br />
A 66–69.<br />
10 Beinlich, Gerhard: meine marginalien. in: AdA<br />
8/1990, A 344 f.<br />
11 hiersemann, Gerd: Beschlagnahme <strong>als</strong> Grundstock.<br />
in: AdA 9/1990, A 403. [Aneignung der hierse-<br />
mann-handbibliothek durch das Zentralantiquariat.]<br />
12 Kazimirek, helmut: Gegendarstellung. in: AdA<br />
11/1990, A 484 f. [Zum Beitrag von Gerd hierse-<br />
mann in AdA 9/1990.]<br />
13 Zur mühlen, Bernt ture von: Anmerkungen zum<br />
Antiquariatsbuchhandel in der <strong>deutschen</strong> demo-<br />
kratischen republik. in: AdA 6/1990, A 239–241.<br />
14 Zur mühlen, Bernt ture von: das leipziger Zentral -<br />
antiquariat. in: AdA 7/1990, A 302 f.<br />
15 hiersemann, Gerd: Alte Bücher <strong>als</strong> devisen-quelle.<br />
in: frankfurter Allgemeine Zeitung nr. 114, 17. mai<br />
1996, s. 10 (Briefe an die herausgeber).<br />
16 Karla, heidi: eine Anordnung für den Antiquariats-<br />
buchhandel in der ddr (1960) – Vorgeschichte,<br />
inhalt, Auswirkungen. in: leipziger Jahrbuch zur<br />
Buchgeschichte 6 (1996) s. 383 – 403.<br />
17 Alfred eberlein an der universitätsbibliothek<br />
rostock 1954–1971. Zusammengestellt von Werner<br />
müller und hanno lietz. rostock 1997.<br />
18 Karla, heidi: der handel mit antiquarischen<br />
Büchern aus der ddr in die Brd. in: das loch in<br />
der mauer. der innerdeutsche literaturaustausch.<br />
hrsg. von mark lehmstedt und siegfried lokatis.<br />
Wiesbaden 1997, s. 109–120.<br />
19 Karla, heidi: Antiquariatsbuchhandel in der sBZ/<br />
ddr 1945–1962. in: AdA 10/1997, A 529–542.<br />
20 sangmeister, dirk: ein Akt der grossen Kulturbar-<br />
barei. die systematische Zerschlagung historischer<br />
Buchbestände in der ddr. in: neue Zürcher<br />
Zeitung nr. 86, 15. April 2002, s. 23; Online:<br />
www.nzz.ch/2002/04/15/fe/article81cWs.html<br />
21 Biester, Björn: deutsch-deutsche Büchergeschäfte<br />
1945 bis 1989. Anmerkungen zur rolle <strong>des</strong> Antiqua-<br />
riatsbuchhandels. in: 95. deutscher Bibliothekartag<br />
in dresden 2006. netzwerk Bibliothek. hrsg. von<br />
daniela lülfing. frankfurt am main 2007, s. 249–257.<br />
22 naake, Bernd: Zentralantiquariat leipzig Gmbh<br />
1959–2009. in: Zentralantiquariat leipzig Gmbh.<br />
15. leipziger Antiquariatsmesse 12.–15. märz 2009.<br />
Verzeichnis der ausgestellten Bücher. leipzig 2009.<br />
[Vorwort.]<br />
23 diag, sarah: staatlich bedingte dekadenz <strong>des</strong> leip-<br />
ziger Antiquariatsbuchhandels. eine Betrachtung für<br />
die Zeit der sBZ und ddr. unveröffentlichte mA-<br />
Arbeit, universität leipzig, institut für Kommunika-<br />
tions- und medienwissenschaft, 2011. 117 s., Anhang.<br />
[Gutachter: Prof. dr. siegfried lokatis und Pd dr.<br />
habil. thomas Keiderling.]
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 literatur<br />
Karl Klaus Walther<br />
Von der neuen Leselust<br />
ins Leseland – einige<br />
Erinnerungen<br />
Vorsatz<br />
Bevor ich zu einem intensiven leser wurde,<br />
mussten mir meine eltern an einem anstrengenden<br />
nachmittag beibringen, dass die buchstabierte<br />
Buchstabenfolge m – a – m – a ein<br />
ganzes Worte bedeutete. Als ich das begriffen<br />
hatte, war ein tor geöffnet. in den Büchern, die<br />
ich geschenkt bekam, und in Vaters Bücherschrank<br />
fand ich die erste nahrung für meine<br />
leselust. Blicke ich auf meine lektüren zurück,<br />
so falle ich vermutlich durch elternhaus, studium,<br />
Beruf und glückliche umstände durch<br />
das raster der statistischen erhebungen, aus<br />
denen sich die selbstdarstellung der DDR <strong>als</strong><br />
»leseland« ableitet. Als ich aus einem eher trivialen<br />
Anlass begann, episoden, die ich selbst erlebt<br />
oder aus glaubwürdiger erster hand er-<br />
fahren hatte, niederzuschreiben, fügten sich<br />
nach und nach manche erinnerungsfragmente,<br />
manches vermeintlich disparate, zu einem<br />
muster, das neue Zusammenhänge erkennbar<br />
machte. daraus ergibt sich diese sicht auf<br />
Bücher, Buchhändler und Bibliotheken.<br />
Aus Vaters Bücherschrank<br />
mein Vater war Buchhändler gewesen und besaß<br />
eine umfangreiche Bibliothek, in der zwar<br />
keine große Goethe-Ausgabe in leder und<br />
Goldschnitt zu finden war, dafür aber Balzac,<br />
stendhal, dickens, 1001 nacht, stefan Zweig,<br />
hermann hesse, B. traven, zum teil in den<br />
schönen Ausgaben der Zeit zwischen 1910 und<br />
1930. der von John heartfield gestaltete um -<br />
schlag zu John reeds Bericht über die russische<br />
revolution, ›10 tage, die die Welt erschütterten‹,<br />
beeindruckte mich zusammen mit den fotos<br />
mehr <strong>als</strong> der inhalt. da mein Vater die Bücher<br />
gelegentlich umstellte, verschwand das Buch<br />
nach Kriegsende zeitweilig in der zweiten reihe<br />
– heute frage ich mich, ob dahinter nicht doch<br />
mehr <strong>als</strong> der Zufall der ordnenden hand steckte.<br />
hier fand ich neben den schullektüren auch<br />
Gedichtsammlungen wie der ›der deutsche<br />
spielmann‹ und die romane und erzählungen<br />
James fenimore coopers, friedrich Ger-<br />
stäckers, charles se<strong>als</strong>fields, die mich mehr faszinierten<br />
<strong>als</strong> Karl may. die schöne, reich kommentierte<br />
faust-Ausgabe von Georg Witkowski<br />
half mir gegen die deutungen der frisch ausgebildeten<br />
deutschlehrer, nach denen Goethe im<br />
zweiten teil schon die Großbauten <strong>des</strong> Kommunismus<br />
vorausgeahnt haben soll.<br />
in einem der unteren regale, teilweise verdeckt<br />
von anderen Büchern, lagen ungebunden<br />
hefte <strong>des</strong> ›tagebuch‹ und der ›Weltbühne‹ aus<br />
der Zeit vor 1933. in deren roten heften fand<br />
ich neben den frechen Versen tucholskys und<br />
seiner Zeitgenossen auch manche Artikel zu ereignissen,<br />
über die in der schule nicht gesprochen<br />
wurde. Als wir im russisch-unterricht<br />
majakowski behandelten und uns erzählt wurde,<br />
dass er 1928 gestorben sei, setzte ich die lehrerin,<br />
die in der sowjetunion überzeugt und ausgebildet<br />
worden war, mit der frage nach majakowskis<br />
selbstmord, von dem ich in der ›Weltbühne‹<br />
gelesen hatte, in Verlegenheit – vielleicht<br />
hörte sie aber auch zum erstem mal davon.<br />
Zur Bibliothek meines Vaters gehörte auch<br />
die Ausgabe von meyers lexikon von 1906 mit<br />
dem schönen Jugendstilrücken, die mit ihrem<br />
inhalt, der exaktheit und schönheit ihrer Abbildungen<br />
auch später noch eine zuverlässige informationsquelle<br />
für mich darstellte. trotzdem<br />
gehörte diese Ausgabe wie auch andere ältere<br />
lexikonausgaben zu den titeln, die am Anfang<br />
der fünfziger Jahre vielfach aus den stadt- und<br />
schulbibliotheken ausgesondert wurden. diese<br />
lücke konnte erst seit den sechziger Jahren<br />
durch meyers neues lexikon aus dem VeB<br />
Bibliographisches institut leipzig wenigstens<br />
annähernd geschlossen werden.<br />
39
literatur<br />
40<br />
Neue Leselust<br />
einfache nachrichtenblätter, dünne Zeitungen<br />
und Zeitschriften waren in den ersten nachkriegsjahren<br />
knapp und wurden den händlern<br />
aus den händen gerissen – die Verlautbarungen<br />
der Behörden, aber auch das Wissen von dem,<br />
was vorging und was sich auf jeden einzelnen<br />
auswirken konnte wie auch die ersten offenen<br />
Berichte über die ereignisse der zurückliegenden<br />
Jahre gehörten zur überlebensstrategie<br />
dieser Zeit.<br />
meine heimatstadt cottbus lag rund 100 Kilo-<br />
meter von Berlin entfernt. die direkte straßenverbindung<br />
führte in die südöstlichen, jetzt zu<br />
Westberlin gehörenden teile der stadt. Auch der<br />
Görlitzer Bahnhof war noch Ausgangs- und<br />
endpunkt der Züge nach und von cottbus und<br />
lag ebenso wie der Anhalter und der Potsdamer<br />
Bahnhof in den Westsektoren. dieser umstand<br />
erleichterte es vermutlich, dass bis zur Währungsreform<br />
Zeitungen, Zeitschriften und Bücher<br />
aus Westberlin und den Westzonen nach<br />
cottbus gelangten – wenn es schwierigkeiten<br />
beim Vertrieb gab, so lag das nicht selten an den<br />
allgemeinen umständen: Papierknappheit,<br />
transportprobleme, aber auch Zensureingriffe<br />
der Besatzungsmacht und der neuen <strong>deutschen</strong><br />
Behörden. so kamen die ›neue Zeitung‹ aus<br />
münchen sowie Westberliner Zeitungen wie<br />
›tagesspiegel‹, ›telegraf‹, ›Kurier‹, ›die Welt‹ bis<br />
zur Währungsreform zum Verkauf. über einen<br />
befreundeten Buchhändler abonnierte mein<br />
Vater die in der Britischen Besatzungszone erscheinende<br />
monatszeitschrift ›Blick in die Welt‹<br />
sowie die ›neue Auslese‹, die durch Auszüge<br />
aus Zeitschriften <strong>des</strong> in- und Auslan<strong>des</strong> einen<br />
überblick über aktuelle entwicklungen auf<br />
allen Wissensgebieten gab. mit der Währungsreform<br />
endete der legale Bezug von westlichen<br />
Periodika und Büchern.<br />
eine zunächst weniger unkontrollierte quelle<br />
waren Zeitungen und Zeitschriften der westlichen<br />
kommunistischen Parteien, die über die<br />
Postzeitungsliste im Abonnement oder am Kiosk<br />
erhältlich waren. Blätter aus Österreich waren<br />
sprachlich leichter zugänglich, daher auch<br />
schwerer im freien Verkauf zu erhalten. die<br />
sonntagsausgabe der humanité, ›humanité<br />
dimanche‹ oder die von louis Aragon<br />
begründeten ›les lettres françaises‹ enthielten<br />
dagegen auch informationen, die in ddr-Veröffentlichungen<br />
nicht zu finden waren. durch<br />
eine erhebliche Anhebung der Abonnementspreise<br />
wurde Privatpersonen seit dem ende der<br />
fünfziger Jahre der Bezug erschwert. Aber das<br />
war wohl Absicht.<br />
die lektüre aus Vaters Bücherschrank wurde<br />
durch neuere titel ergänzt. so las ich, teilweise<br />
<strong>als</strong> fortsetzungsromane, Arnold Zweigs ›Beil<br />
von Wandsbek‹ und hans falladas ›Jeder stirbt<br />
für sich allein‹, ein roman, der jüngst seine literarische<br />
Wiederentdeckung erlebte. es waren<br />
die ersten Versuche, die zurückliegenden Jahre<br />
literarisch zu gestalten. ungewohnt war der realismus<br />
in erwin strittmatters ›der Ochsenkutscher‹,<br />
der <strong>als</strong> fortsetzungsroman in der ›märkischen<br />
Volksstimme‹ erschien und die gängigen<br />
seichten fortsetzungsromane an dieser stelle ersetzte.<br />
er rief auch unter uns schülern diskussionen<br />
hervor, doch ahnte keiner, dass der Autor<br />
am Anfang einer bemerkenswerten Karriere<br />
stand. theodor Pliviers ›stalingrad‹ und heinz<br />
reins ›finale Berlin‹ gehörten ebenfalls zu den<br />
neuen Büchern.<br />
im deutschunterricht lernten wir zwar nicht<br />
mehr schillers ›Glocke‹ auswendig, doch fontanes<br />
›John maynard‹, Börries von münchhausens<br />
›Bauernaufstand‹ oder ludwig uhlands<br />
›die rache‹ mit den in der damaligen Zeit beziehungsreichen<br />
Zeilen ›der Knecht hat erstochen<br />
den edlen herrn / der Knecht wäre selber ein<br />
ritter gern‹ gehörten noch zum lese- und lernstoff.<br />
Zum beliebten lesestoff gehörten die romane<br />
Arnold Zweigs. ›der streit um den sergeanten<br />
Grischa‹ war 1953 eines der themen für<br />
deutschaufsatz im Abitur. War mir Aufsät-<br />
ze schreiben nicht zuletzt wegen der themen<br />
über den fünfjahrplan, Kritik und selbstkritik,<br />
freundschaft zur sowjetunion usw. eher unsympathisch,<br />
so schrieb ich jetzt, in der Klausur,
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 literatur<br />
zügig und ohne stocken. Vielleicht hatten mir<br />
bisher nur die richtigen themen gefehlt.<br />
ein Klassenkamerad war in der stadtbücherei<br />
auf hermann Kasacks ›stadt hinter dem<br />
strom‹ gestoßen. Kasack, der in den ersten<br />
nachkriegsjahren noch in Potsdam lebte, hatte<br />
den roman bei seinem Arbeitgeber Peter suhrkamp<br />
erscheinen lassen. Vor der Währungs-<br />
reform war er noch an eine reihe von Bibliotheken<br />
in der sowjetischen Besatzungszone ausgeliefert<br />
worden. Jetzt, am Anfang der fünfziger<br />
Jahre, <strong>als</strong> ›Westtitel‹ aus den Beständen der öffentlichen<br />
Bibliotheken ausgesondert wurden,<br />
sollte auch in cottbus der titel aus dem Bestand<br />
entfernt werden. ich war vermutlich einer der<br />
letzten, der ihn dort auslieh. es wurde eines der<br />
Bücher, die ich mehrm<strong>als</strong> gelesen habe, und Jahre<br />
später habe ich die erstausgabe in einem Antiquariat<br />
erworben.<br />
Auch eine Empfehlung.<br />
noch in der Oberschulzeit 1952/53 kamen mir<br />
die traktate gegen den formalismus in Kunst<br />
und literatur, über westliche dekadenz usw.<br />
aus der feder shdanows 1 , n. Orlows 2 , hans<br />
lauters 3 , Joachim G. Böckhs 4 und anderer in die<br />
hände. Begierig sog ich die namen der schriftsteller,<br />
Künstler und Komponisten auf, die <strong>als</strong><br />
dekadent, formalistisch, reaktionär und was derartige<br />
Worte mehr waren, beschimpft wurden.<br />
es war eine ruhmvolle liste, auf der in bunter<br />
und undifferenzierter Abfolge sartre, Joyce,<br />
tennessee Williams, hindemith, Orff, Kandinsky,<br />
strawinsky, Paul Klee, Alban Berg und andere<br />
Vertreter der moderne zu finden waren.<br />
die studienzeit in Berlin zwischen 1953 und<br />
1958 bot die Gelegenheit, in Bibliotheken und<br />
Buchhandlungen, in Konzerten und theateraufführungen,<br />
in museen und Galerien diese Werke<br />
kennenzulernen – ich sah, hörte und las vieles,<br />
was über den rahmen <strong>des</strong> studiums der Anglistik<br />
und Bibliothekswissenschaft hinausging.<br />
Auch wenn manches inzwischen vergessen ist,<br />
so bleibt die erinnerung an eine Zeit, in der Berlin<br />
zwar politisch und wirtschaftlich geteilt war,<br />
der ›Wettkampf der systeme‹ aber für den, der<br />
›Grenzgänge‹ nicht scheute, eine fülle prägender<br />
kultureller eindrücke in allen teilen der<br />
stadt bot. theater, Kinos, museen boten für den<br />
Besucher aus dem Osten mitunter erhebliche<br />
ermäßigungen – wie teuer der eintritt dann<br />
wurde, hing vom täglich schwankenden Wechselkurs<br />
Ostmark/Westmark ab, wobei sich allerdings<br />
erich loests romantitel ›die Westmark<br />
fällt weiter‹ (1952) nicht bewahrheitete.<br />
***<br />
Als student war ich Benutzer der <strong>deutschen</strong><br />
staatsbibliothek und der universitätsbibliothek<br />
Berlin. im unterschied zur <strong>deutschen</strong> staatsbibliothek<br />
hatte sie keine großen Bestandsverluste<br />
erlitten, doch war das Gebäude noch von<br />
den Kriegsfolgen gezeichnet. Professor dr. Willi<br />
Göber, direktor der universitätsbibliothek bis<br />
zu seinem frühen tode im sommer 1961, hatte<br />
daher im treppenhaus <strong>des</strong> Gebäu<strong>des</strong> einen lenin<br />
zugeschriebenen satz hängen: »der Zustand<br />
der Bibliotheken ist der index der Kultur eines<br />
lan<strong>des</strong>.« der satz verschwand zwar unter seinen<br />
nachfolgern, die mitglieder der SED waren,<br />
doch der Zustand <strong>des</strong> Gebäu<strong>des</strong> blieb bis zur<br />
Wende unverändert.<br />
die wichtigste quelle war aber die Bibliothek<br />
›meines‹ instituts, <strong>des</strong> englisch-Amerikanischen<br />
instituts der humboldt-universität.<br />
neben den großen Werk- und textausgaben der<br />
kanonisierten Autoren fanden sich hier dank der<br />
großzügigen spenden der engländer und Amerikaner<br />
in der nachkriegszeit zahlreiche moderne<br />
Autoren. darunter waren auch frühe Ausgaben<br />
der dichter der dreißiger Jahre wie W. h.<br />
Auden, day lewis, louis macneice oder edith<br />
sitwell, deren Werke und deren politisches<br />
engagement zu dieser Zeit in deutschland nur<br />
wenigen bekannt waren.<br />
Leseland DDR – oder<br />
Schwierigkeiten beim Lesen<br />
Als ich während meines studiums erich Kästners<br />
›fabian‹ in der uB Berlin bestellte, erhielt<br />
ich den leihschein zurück mit dem Vermerk<br />
41
literatur<br />
42<br />
»schrank 9«. die Bibliothekarin bedeutete mir,<br />
dass ich mich beim leiter der Benutzungsabteilung<br />
melden müsste. nach einigem hin und<br />
her erhielt ich das Buch für eine Woche ausgeliehen,<br />
es schien noch immer in dem schrank zu<br />
stehen, in den man es in den dreißiger Jahren<br />
gestellt hatte.<br />
Ähnlich erging es mir mit einem roman<br />
sartres – da ich an einem donnerstag vorsprach,<br />
konnte ich nach einigem Verhandeln das Buch<br />
bis montagfrüh nach hause mitnehmen.<br />
War es bei sartre zu dieser Zeit der name, so<br />
stand Kästners ›fabian‹ im ruf, ein unmoralisches<br />
Buch zu sein. und auch später fürchtete<br />
man noch um die moral der jüngeren leser, wie<br />
es sich um 1960 in der universitäts- und lan<strong>des</strong>bibliothek<br />
in halle ereignete. der insel-<br />
Verlag leipzig hatte den freizügigen erotischen<br />
roman King Ping meh aus dem alten china neu<br />
herausgebracht. Als ihn eine jüngere unverheiratete<br />
Kollegin entleihen wollte, zögerte der für<br />
die Ausleihe zuständige Abteilungsleiter, ihr das<br />
Buch auszuleihen. es kam zu einer heftigen<br />
diskussion an der Wandzeitung, wobei sich das<br />
Gros der mitarbeiter für die uneingeschränkte<br />
lektüre <strong>des</strong> Buches aussprach.<br />
***<br />
eine Bibliotheksmitarbeiterin aus einer Kleinstadt<br />
im harzvorland kam nach der mittagspause<br />
mit einer vollen einkaufstasche zum Weiterbildungskurs<br />
zurück. Voller stolz erzählte sie,<br />
dass sie in einer halleschen Buchhandlung die<br />
reclamhefte für die Klasse ihres sohnes bekommen<br />
hatte. es waren texte von Goethe und<br />
schiller, die zur schullektüre gehörten, die aber<br />
die örtliche Buchhandlung nicht beschaffen<br />
konnte.<br />
***<br />
»du bis doch in einer Bibliothek und kennst<br />
Buchhändler. Kannst du uns nicht mal einen<br />
duden besorgen?« diesen Wunsch von Bekannten<br />
konnte ich leider nicht erfüllen, denn es<br />
gab den duden nur dann zu kaufen, wenn eine<br />
neue Auflage erschienen war.<br />
nach der Wende lag im cottbuser Antiquariat<br />
ein stapel der letzten, bereits überarbeiteten<br />
und modernisierten Ausgabe <strong>des</strong> leipziger dudens<br />
zu einem stark reduzierten Preis, ohne dass<br />
ihn jemand kaufte. der Antiquar: »die leute<br />
jammern, dass sie kein Geld haben, aber sie kaufen<br />
den teuren west<strong>deutschen</strong> duden.«<br />
***<br />
Jeden donnerstagnachmittag bildete sich vor<br />
dem Zeitungskiosk eine schlange, um ein exemplar<br />
der ›Wochenpost‹ zu bekommen. die<br />
Zeitung war begehrt, doch da die Auflage nicht<br />
erhöht wurde, konnten neue Abonnements erst<br />
abgeschlossen werden, wenn ein Abonnent<br />
starb. Als einem älteren ehepaar der Weg zum<br />
Zeitungskiosk und das schlangestehen bei Wind<br />
und Wetter zu beschwerlich wurden, versuchten<br />
sie ein Abonnement zu erhalten. dazu mussten<br />
sie bei einem dienststellenleiter <strong>des</strong> Postzeitungsvertriebes<br />
vorsprechen und ihm ihr Anliegen<br />
vortragen. sie bekamen ein Abonnement,<br />
das erst endete, <strong>als</strong> die Zeitung nach der Wende<br />
ihr erscheinen einstellte.<br />
***<br />
solshenizyn zu Gast. eine Kollegin raunte mir<br />
zu, dass ihr Bruder abgehauen sei. Jetzt befürchtete<br />
sie eine haussuchung und fragte mich, ob<br />
ich drei Bände solshenizyn bei mir unterbringen<br />
könnte. Gesagt, getan, und so las ich die drei<br />
Bände, zu denen auch ›der erste Kreis der<br />
hölle‹ gehörte, bevor ich sie ihr nach einigen<br />
Wochen wieder zurückgab.<br />
Buchhandlungen und Buchhändler<br />
in der neustädter straße in cottbus, in der<br />
nähe <strong>des</strong> Altmarkts, befand sich die Buchhandlung<br />
von Georg ikier. sie bestand aus einem hohen<br />
ladenraum mit regalen, die bis an die<br />
decke reichten und zum teil verglast waren. An<br />
der stirnseite, vor der tür, die zum hinteren<br />
raum führte, befand sich ein hohes stehpult mit<br />
regal, fast eine Barrikade. hier lagen in mappen<br />
vorsortiert die Zeitungen und Zeitschriften, die<br />
die Kunden persönlich abholten – in der nachkriegszeit<br />
ein üblicher Vorgang.
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 literatur<br />
das hinterzimmer war eine mischung von<br />
lager und Wohnküche, hier wurde auch gekocht,<br />
ein sofa lud in der stillen Geschäftszeit<br />
zur entspannung ein – hinter dieser spitzweghaft<br />
anmutenden Atmosphäre verbarg sich aber<br />
auch die karge existenz eines Buchhändlers.<br />
der inhaber stammte aus dem Posenschen,<br />
war eine hagere Gestalt mit einem martialisch<br />
gezwirbelten schnurrbart, wie er seinem charakter<br />
und seinen mitunter sehr freimütig geäußerten<br />
meinungen entsprach. und da er aus<br />
seinem herzen keine mördergrube machte,<br />
verkaufte er unter umständen auch nichts an<br />
Kunden, die ihm unsympathisch waren.<br />
Von ihm erhielt ich ein kleines Bändchen<br />
aus dem druckhaus tempelhof mit dem titel<br />
›erzähler von drüben‹. es vereinte Autoren aus<br />
den usA, Großbritannien, frankreich und der<br />
sowjetunion, die dem <strong>deutschen</strong> leser zu dieser<br />
Zeit meist noch unbekannt waren. Aus dieser<br />
sammlung ist mir wegen ihrer raffinierten literarischen<br />
technik die erzählung ›ein Zwischenfall<br />
an der Owl creek Bridge‹ von Ambrose<br />
Bierce bis heute in erinnerung geblieben.<br />
***<br />
das cottbuser Antiquariat <strong>des</strong> Volksbuchhandels<br />
befand sich in den in den achtziger Jahren in<br />
der belebten Karl-liebknecht-straße. nach der<br />
Wende erlebte es einen besonderen schub. Während<br />
in anderen Bezirken zu dieser Zeit ein<br />
großer teil der lagerbestände <strong>des</strong> Volksbuchhandels<br />
auf der müllkippe landete oder nur<br />
dank einzelner initiativen davor bewahrt wurde,<br />
verkaufte der Antiquar diese Bestände zu reduzierten<br />
Preisen. es waren nicht nur die ladenhüter<br />
vergangener Zeiten oder die auf<br />
schlechtestem Papier gedruckten taschenbücher<br />
der achtziger Jahre, sondern auch die sogenannte<br />
Bückware: liebevoll gestaltete Kinderbücher,<br />
nach denen meine Kolleginnen und Kollegen<br />
immer eifrig gesucht hatten, sorgfältig edierte<br />
Klassikerausgaben, handbücher, nachschlagewerke<br />
und viele titel, die auch der neuen freiheit<br />
der Verleger in der ddr zu danken waren.<br />
Als das haus saniert wurde, zog das Antiquarat<br />
aus, ein anderes Geschäft übernahm den laden.<br />
***<br />
in den fünfziger Jahren befanden sich am Kurfürstendamm<br />
in Berlin noch eine reihe namhafter<br />
Buchhandlungen und Galerien. unter ihnen<br />
nahm die Buchhandlung von marga schöller<br />
an der Kreuzung uhlandstraße einen besonderen<br />
Platz ein. der laden bestand aus zwei<br />
teilen links und rechts von einer toreinfahrt,<br />
die <strong>als</strong> solche nicht mehr benutzt wurde, weil<br />
der rest <strong>des</strong> hauses dem Krieg zum Opfer gefallen<br />
war. in den Auslagen der toreinfahrt fanden<br />
sich die neuerscheinungen oder anderweitig<br />
bemerkenswerte Bücher, rezensionen aus<br />
tageszeitungen klebten an den scheiben. der<br />
rechte teil <strong>des</strong> Geschäftes war ein muss für jeden<br />
Anglisten. in langen regalen standen hier<br />
die preiswerten englischen und amerikanischen<br />
taschenbücher, vor allem aus der großen reihe<br />
der Penguin Books. mitunter bekamen wir in<br />
den seminaren den tipp, falls wir eine tante<br />
oder einen Onkel im Westen hätten, dann sollten<br />
wir uns doch diese literaturgeschichte oder jenes<br />
Wörterbuch besorgen, die preiswert und<br />
wirklich gut wären. Wir verstanden den Wink,<br />
denn es waren meistens titel, die trotz <strong>des</strong><br />
Wechselkurses auch für den schmalen Geldbeutel<br />
eines studenten aus dem Osten noch erschwinglich<br />
waren, und gingen zu frau schöller.<br />
***<br />
Als ich im herbst 1958 nach halle kam, hatte<br />
von den großen privaten Buchhandlungen nur<br />
die Buchhandlung neubert am hansering die<br />
schließungs- und Beschlagnahmeaktionen der<br />
zurückliegenden monate überlebt. der inhaber,<br />
ein älterer hagerer herr, betrieb sie mit zwei<br />
oder drei ebenfalls älteren mitarbeiterinnen in<br />
den großen räumen, deren regale jetzt fast leer<br />
waren. Kunsthandel und die früher üblichen lesungen<br />
gab es nicht mehr, und die neuerscheinungen<br />
vermochten die vielen regale nicht zu<br />
füllen. der Buchhändler konnte nicht immer<br />
alle Bestellungen realisieren und musste bei<br />
knapper Zuteilung begehrter titel versuchen,<br />
alle Kunden zu bedenken. eines tages hatte er<br />
zwei Bücher für mich zurückgelegt, doch konnte<br />
er mir nur eins verkaufen und stellte mich vor<br />
43
Antiquariat<br />
44<br />
die Wahl zwischen einem Band erzählungen<br />
heinrich Bölls in der insel-Bücherei oder dem<br />
›Glasperlenspiel‹ hermann hesses.<br />
nachsatz. dem »leseland« mit seiner begrenzten,<br />
oft an den tatsächlichen interessen<br />
vorbeigehenden und daher überschaubaren titelproduktion<br />
folgte keine weitverbreitete neue<br />
leselust wie in den Jahren nach 1945. Aus der<br />
erinnerung an leselust und lektüreerlebnisse<br />
sind diese Aufzeichnungen entstanden.<br />
Anmerkungen<br />
1 Andrej A. Ždanow: über Kunst und Wissenschaft.<br />
1.–50. tsd. Berlin: dietz 1951. eine Westberliner<br />
›Kulturgruppe A. shdanow‹ fühlte sich 1972 bemüßigt,<br />
dieses traktat erneut aufzulegen.<br />
2 hinter diesem Pseudonym verbarg sich ein hochrangiger<br />
und einflussreicher Kulturoffizier der sowjetischen<br />
militäradministration in deutschland<br />
(smAd).<br />
3 hans lauter: der Kampf gegen den formalismus in<br />
Kunst und literatur, für eine fortschrittliche deutsche<br />
Kultur. referat, diskussion u. entschließung von d.<br />
5. tagung d. Zentralkomitees d. sozialistischen einheitspartei<br />
deutschlands vom 15.–17. märz 1951.<br />
Berlin: dietz, 1951.<br />
4 Joachim G. Boeckh: literaturfibel. eine erste Anleitung<br />
zur Beschäftigung mit theorie und Praxis der<br />
dichtung. Berlin: henschel, 1952.<br />
Auch Antiquare haben<br />
Witwen. Zwanzig Jahre<br />
Bekanntschaft mit Emma<br />
Rosen<br />
mit Aufmerksamkeit habe ich den Artikel von<br />
carl-ernst Kohlhauer über den Antiquar Gerd<br />
rosen gelesen (AdA 5/2011). das urteil, das der<br />
Autor fällt, kann man in einem satz zusammenfassen:<br />
Gerd rosen war ein genialer Antiquar,<br />
aber gleichzeitig ein eitler Geck und ein mit geringen<br />
skrupeln ausgestatteter Bibliomane. meine<br />
persönliche meinung ist damit nicht identisch,<br />
hätte man aber dieses urteil in Gegenwart<br />
seiner Witwe emma rosen geäußert, wäre<br />
einem das sicher schlecht bekommen. Kritik, die<br />
an derbheit und Offenheit kaum etwas zu wünschen<br />
übrig ließ, betrachtete sie <strong>als</strong> ihr persönliches<br />
Privileg. sie muss mit einer großen hassliebe<br />
an ihrem ehemann gehangen haben. doch<br />
Gemach, ein wenig chronologie muss schon<br />
beachtet werden.<br />
Gerd rosen habe ich persönlich nicht mehr<br />
kennengelernt. seiner Witwe wurde ich 1968<br />
oder 1969 vorgestellt von meinem damaligen<br />
seniorpartner Wolfgang Bran<strong>des</strong>, den ich auf<br />
einer einkaufsreise nach Berlin begleitete. er<br />
hatte mir emma rosen (im folgenden stets e. r.)<br />
<strong>als</strong> eine alte dame geschildert, die nicht sehr viel<br />
auf ihr Äußeres gab. umso erstaunter war ich,<br />
<strong>als</strong> e. r. uns am flughafen abholte, dam<strong>als</strong> noch<br />
tempelhof. sie fuhr ein bemerkenswertes Auto:<br />
einen merce<strong>des</strong> sportwagen 190 sl, traum vieler<br />
Oldtimer-fans. sie fuhr mit uns in die von<br />
Kohlhauer geschilderte Wohnung in der landhausstraße,<br />
die allerdings nur noch reste <strong>des</strong> allgemeinen<br />
Antiquariatslagers enthielt, weil das<br />
meiste schon veräußert war. Wenig später überwarf<br />
sich e. r. mit Wolfgang Bran<strong>des</strong>. Auf eine<br />
unstimmigkeit reagierte er in einer für mich unverständlichen<br />
Weise, die mir persönlich für<br />
mein zukünftiges handeln im Auktionswesen<br />
eine lehre war. er wies e. r. darauf hin, das angeblich<br />
fehlende Kollwitz-Blatt könne von<br />
ihrem älteren sohn gestohlen worden sein, der ja<br />
einschlägig bekannt sei. Wenn dies auch den tatsachen<br />
entsprach, so war dies doch das wohl<br />
dümmste Argument, um es e. r. entgegenzuhalten.<br />
Als ich mich wenig später in mainz selbständig<br />
machte, fiel es mir nicht ganz leicht, mich<br />
mit e. r. in Verbindung zu setzen und sie zu<br />
fragen, ob sie das gestörte Verhältnis mit Bran<strong>des</strong><br />
nicht auf andere Weise mit mir erneuern wolle.<br />
sie war am telefon sehr freundlich zu mir und<br />
lud mich ein, sie zu besuchen. das tat ich auch,<br />
und in den nächsten zwanzig Jahren war ein Besuch<br />
bei ihr stets schlusspunkt meiner halbjährlichen<br />
einkaufsreisen nach Berlin.<br />
der Besuch vollzog sich immer auf die<br />
gleiche Weise. Am samstagmorgen um 11 uhr<br />
ging ich in ihre Wohnung am Kurfürstendamm
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Antiquariat<br />
und wurde freundlich empfangen. ein stapel<br />
mit einlieferungsgut war bereits vorbereitet,<br />
gemeinsam fertigten wir eine liste an. Zu meiner<br />
freude waren beim ersten Besuch die restbestände<br />
in der landhausstraße inzwischen in<br />
toto veräußert worden, an den Berliner Kollegen<br />
theodor hennig (1928–2002), wenn ich<br />
mich recht erinnere. und so hatte ich das Vergnügen,<br />
nicht mehr mittelware, sondern immer<br />
ein stapelchen schönster reformationsdrucke<br />
eingeliefert zu bekommen. es war erstaunlich,<br />
wie diese alte dame, die von Büchern nun wirklich<br />
nichts verstand, jeweils eine gleiche Zusammenstellung<br />
brachte. Zwei oder drei schriften<br />
waren wenig wert oder inkomplett, die große<br />
menge waren ausgezeichnete reformationsdrucke<br />
und stets befand sich ein spitzenstück<br />
darunter. so konnte ich im laufe der Jahre aus<br />
ihrem Besitz zwei Bücher versteigern, die für<br />
mich zu den bedeutendsten texten gehörten, die<br />
in vierzig Jahren durch meine hände gingen.<br />
das war einmal die einzige Buchausgabe von<br />
martin luthers thesen aus dem Jahr 1517 (Auktion<br />
33/1985, taxe 20.000 dm, Zuschlag 52.000<br />
dm) und zum anderen der urdruck der Bauernartikel<br />
von 1525 (Auktion 31/1984, taxe 10.000<br />
dm/ Zuschlag 20.000 dm). es war mir natürlich<br />
bekannt, dass ein weit größerer teil der<br />
rosen’schen Bücher nach münchen zur Auktion<br />
gingen. Aber ich habe nie versucht, mehr zu erbitten.<br />
Bei e. r. richtete man sich einfach nach<br />
ihren Vorstellungen, und damit bin ich bestens<br />
gefahren. die geschäftliche seite war in der<br />
regel innerhalb von 30 bis 60 minuten erledigt.<br />
dann begann der gemütliche teil; in e. r.’s<br />
großem Wohnzimmer, das direkt auf den Kurfürstendamm<br />
hinausging, befand sich ein erker.<br />
in diesem war gerade Platz für zwei Personen<br />
und einen frühstückstisch. er war stets reich<br />
mit delikatessen bestückt, dazu trank man tee.<br />
dieses köstliche frühstück war jeweils begleitet<br />
von einer recht einseitigen unterhaltung:<br />
e. r. berichtete aus ihrem leben und dem ihres<br />
mannes, sie berichtete über ihre Kinder und den<br />
stand ihres gegenwärtigen Verhältnisses zu ihnen<br />
und erzählte viele interessante dinge aus der<br />
Vergangenheit. Auch eine reihe von episoden,<br />
die Kohlhauer anspricht, wurden mir immer<br />
wieder geschildert, natürlich aus dem Blickwinkel<br />
von e. r., zum Beispiel der Zweikampf mit<br />
schirm und Baguette.<br />
Von der Kriegs- und gar Vorkriegszeit war<br />
kaum die rede. lediglich der zeitweise umzug<br />
nach Wien, um für das Antiquariat von h. P.<br />
Kraus (von e. r. stets »hans Petter« genannt)<br />
zu arbeiten, fand gelegentlich erwähnung. Während<br />
<strong>des</strong> Zweiten Weltkriegs konnte rosen,<br />
protestantisch getauft, <strong>als</strong> ›halbjude‹ (nach den<br />
nürnberger rassegesetzen) mit sondergenehmigung<br />
in Berlin seinen Beruf ausüben, weil eine<br />
bibliophil stark engagierte nazigröße, ich<br />
meine, es war der ›reichsjugendführer‹ Baldur<br />
von schirach, seine schützende hand über ihn<br />
hielt. erst ganz am ende <strong>des</strong> Krieges, <strong>als</strong> die<br />
Kämpfe um Berlin schon begonnen hatten,<br />
scheint sich das Blatt gewendet zu haben. es ist<br />
bekannt, dass Greifkommandos der Gestapo<br />
oder ss in diesen tagen durch die hauptstadt<br />
zogen und <strong>des</strong>erteure oder andere ›Volksverräter‹<br />
ohne viel feder lesens liquidierten. ein solches<br />
rollkommando stand eines tages vor rosens<br />
Wohnungstür. das ehepaar hatte die männer<br />
wohl schon bemerkt, jedenfalls stieg rosen<br />
aus dem fenster, klammerte sich an einem spalier<br />
fest und entging so, nachdem die männer die<br />
Wohnung durchsucht hatten und wieder gegangen<br />
waren, der Verhaftung und schlimmerem.<br />
Von rosens tätigkeit <strong>als</strong> Galerist nach dem<br />
Kriege war kaum die rede, außer, dass er <strong>als</strong><br />
erster händler von den Besatzungsmächten eine<br />
handelslizenz erhielt, dam<strong>als</strong> wohl mehr wert<br />
<strong>als</strong> Gold und silber.<br />
Als Gerd rosen im dezember 1961 verstorben<br />
war, stand e. r. vor der Aufgabe, ein Geschäft<br />
weiterzuführen, von dem sie keine Ahnung<br />
hatte. noch zwei Auktionen wurden nach<br />
rosens tod durchgeführt, danach hat e. r. die<br />
firma liquidiert.<br />
e. r. legte größten Wert darauf, ein geordnetes,<br />
sauberes haus zu hinterlassen. Geschickt<br />
verstand sie es, die Verbindlichkeiten der firma<br />
dadurch zu decken, dass sie dem Kollegen ernst<br />
45
Antiquariat<br />
46<br />
hauswedell die handbibliothek der firma zur<br />
Versteigerung übergab. einen teil muss er aber<br />
vorher gegen einen hohen Barbetrag erworben<br />
haben (hierzu vergleiche die entsprechende<br />
stelle bei Kohlhauer). im Zuge dieser Abwicklung<br />
kam es zu streitigkeiten zwischen hauswedell<br />
und e. r. Angeblich hatte der hamburger<br />
Auktionator einige wertvolle Bücher oder<br />
Kunstblätter verschwinden lassen, was er natürlich<br />
bestritt. es kam zum Gerichtsprozess, der<br />
von e. r. verloren wurde. diese niederlage<br />
konnte e. r. nie verwinden. sie verfolgte hauswedell<br />
auch nach <strong>des</strong>sen tod lange noch mit<br />
drastischen Äußerungen, deren Wortlaut ich<br />
dem leser ersparen möchte. in solchen situationen<br />
konnte e. r. einfach kein frem<strong>des</strong> urteil<br />
akzeptieren, wo sie sich im recht glaubte, da<br />
war sie es auch.<br />
Bemerkenswert war das Verhältnis von e. r.<br />
zu ihren Kindern. sie hatte eine tochter, die<br />
nach einer, wie man hörte, wilden Jugend eine<br />
gute Partie machte und einen der leitenden Beamten<br />
entweder der Berliner V erkehrsbetriebe<br />
oder der stromversorgung heiratete. diese<br />
tochter habe ich einmal kurz kennengelernt,<br />
und sie befand sich mit ihrer mutter in bestem<br />
einvernehmen.<br />
schwieriger war der fall mit ihrem älteren<br />
sohn. dieser war vor vielen Jahren in ihre münchener<br />
Zweitwohnung eingebrochen, wo sie eine<br />
Anzahl besonders wertvoller stücke aufbewahrte.<br />
der sohn hat sich eine reihe von Büchern<br />
angeeignet und diese veräußert. inwieweit<br />
der Kollege heinz Wünschmann in die<br />
Angelegenheit verwickelt war, wie Kohlhauer<br />
es schildert, weiß ich nicht. Was e. r. mir erzählte,<br />
war, dass sie die meisten Bücher, <strong>als</strong> die<br />
sache ruchbar wurde, wiederbekam und ihr<br />
dabei ganz besonders der münchner Kollege<br />
helmuth domizlaff geholfen habe. Alle Kollegen,<br />
die von diesen Büchern gekauft hatten,<br />
gaben sie zurück. Wie die finanzielle regelung<br />
erfolgte, ist mir unbekannt. das Besondere an<br />
diesem Vorfall ist nur die tatsache, dass ein<br />
schwedischer Kollege (ich meine, sein name sei<br />
sandberg gewesen) sich auch bereit erklärte, das<br />
betreffende Buch, das sich in seinem Besitz befand,<br />
zurückzugeben, allerdings unter der<br />
Voraussetzung, dass e. r. ihren sohn anzeigte.<br />
das kam für e. r. natürlich nicht in frage. Zur<br />
Zeit unserer Bekanntschaft war das Verhältnis<br />
zu diesem sohn wieder normalisiert; er betrieb<br />
in düsseldorf einen handel mit Ost asiatika.<br />
dann gab es noch einen zweiten sohn, der<br />
Gerd hieß wie sein Vater und wohl ein nachkömmling<br />
war. er dürfte wohl Anfang der<br />
1950er Jahre geboren sein. Wie sich anlässlich<br />
eines telefonats herausstellte, war Kohlhauer<br />
die existenz dieses sohnes nicht bekannt. dafür<br />
hörte ich umso häufiger von ihm. der junge<br />
mann wurde mir auch einmal persönlich vorgestellt.<br />
er sah seinem Vater ziemlich ähnlich<br />
und war darum vermutlich auch eine mischung<br />
aus Augapfel und Alptraum für seine mutter.<br />
Kein Besuch von ihr verging, ohne dass mir<br />
eingehende schilderungen zukamen. die hälfte<br />
der Zeit befand sich Gerd jun. im Zustand<br />
<strong>des</strong> enterbtseins, die andere hälfte erbrachte<br />
im Gespräch Berichte über große summen, die<br />
ihm seine mutter immer wieder auf sein Bitten<br />
hin zur Verfügung stellte. diese Gelder verwendete<br />
er zur investition in zweifelhafte Geschäfte,<br />
die je<strong>des</strong> mal in einer Katastrophe endeten.<br />
der junge mann scheint meister darin<br />
gewesen zu sein, sich die f<strong>als</strong>chen Partner zu<br />
suchen.<br />
für seine mutter ergab sich daraus, dass sie<br />
große teile ihrer erheblichen jährlichen einnahmen<br />
aus Auktionsverkäufen auf diese Weise<br />
wieder verlor. sie selbst führte jedenfalls ein<br />
eher bescheidenes dasein, allerdings in einer<br />
schönen und hervorragend gelegenen Wohnung<br />
im Berliner Westend. ihren sportwagen hat sie<br />
schon bald verkauft, nachdem ich mit ihr bekannt<br />
geworden war. sie wollte wegen ihres<br />
Alters einfach nicht mehr selber am steuer<br />
sitzen.<br />
meinen letzten Besuch stattete ich e. r. 1988<br />
oder 1989 ab, <strong>als</strong> sie mich um rat beim Verkauf<br />
eines teuren Bil<strong>des</strong> bat. Beim letzten gemeinsamen<br />
frühstück wies sie mich auf das große,<br />
dunkle Bücherregal hin, dass an einer Kopfwand
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Katalogbesprechungen<br />
<strong>des</strong> Wohnzimmers aufgestellt war. dieses regal<br />
hatte einmal die sammlung ferdinand Baron<br />
von neufforge und noch zahlreiche andere Pretiosen<br />
beherbergt. nun war es leer. man musste<br />
an das nietzsche-Zitat denken »…und in den<br />
öden fensterhöhlen wohnt das Grauen«, die<br />
»öden fensterhöhlen« waren nur durch »leere<br />
Bücherfächer« zu ersetzen. e. r. fühlte wohl<br />
Ähnliches.<br />
e. r. war immer ängstlich und furchtsam gewesen.<br />
einen unbekannten hätte sie niem<strong>als</strong> in<br />
ihre Wohnung gelassen, um das regal zu entfernen.<br />
Also fragte sie mich nach jemand Vertrauenswürdigem,<br />
der das regal abbauen und abtransportieren<br />
könne. mir fiel einer meiner<br />
Volontäre ein, der sich gerade selbständig<br />
gemacht hatte und einen laden einrichtete.<br />
mein letzter Kontakt mit e. r. war ihr telefonanruf,<br />
in dem sie sich für die reibungslose<br />
Abwicklung <strong>des</strong> regalabbaus bedankte und<br />
meinen ex-Volontär <strong>als</strong> wohlerzogen und hilfreich<br />
lobte. Wenig später, 1992, ist e. r. verstorben.<br />
ich denke noch oft an einen grundanständigen,<br />
interessanten menschen mit ganz besonderem<br />
humor. möge sie in frieden ruhen.<br />
Godebert M. Reiss<br />
Jürgen Voersters legendäre<br />
E. T. A. Hoffmann-Sammlung<br />
J. Voerster Antiquariat für musik und deutsche<br />
literatur (relenbergstraße 20, 70174 stuttgart /<br />
tel. 0711/297186, fax 0711/2294267, e-mail: mail@<br />
antiquariat-voerster.de, www.antiquariat-voerster.de).<br />
Katalog 37: e. t. A. hoffmann (576 nrn.)<br />
der stuttgarter Antiquar Jürgen Voerster publizierte<br />
1967 das heute noch nützliche nachschlagewerk<br />
›160 Jahre e. t. A. hoffmann-forschung‹,<br />
<strong>des</strong>sen inhalt sich hauptsächlich aus<br />
seiner eigenen hoffmann-sammlung zusammensetzte<br />
(vgl. die kritische rezension von<br />
elmar hertrich in AdA 1967, s. 1629 – 1631).<br />
nach Voersters tod haben seine Geschäftsnachfolger<br />
nun einen opulenten und abbil-<br />
dungsreichen hoffmann-Katalog veröffentlicht,<br />
der ebenfalls <strong>als</strong> referenzwerk dienen wird. darin<br />
findet man nicht nur Autographe und Werke<br />
hoffmanns in erstausgaben und erstdrucken,<br />
sondern auch zahlreiche titel zu hoffmanns literarischer,<br />
musikalischer sowie medizinischpsychologischer<br />
lektüre. ein Personenregister<br />
erleichtert die suche nach weniger bekannten<br />
namen.<br />
schon monate vor der Veröffentlichung wurde<br />
es der staatsbibliothek Bamberg mit ihrem<br />
sammelschwerpunkt e. t. A. hoffmann gestattet,<br />
einige Zeichnungen und Briefe hoffmanns<br />
zur Vervollständigung ihrer sammlung zu erwerben,<br />
die nun bedauerlicherweise nicht mehr<br />
im gedruckten Katalog auftauchen.<br />
Zu den herausragenden, nicht vorab verkauften<br />
Objekten unter hoffmanns handschriften<br />
gehören zweifelsohne ein exemplar der faksimilierten<br />
to<strong>des</strong>anzeige für seinen verblichenen<br />
Kater murr sowie ein Brief von Zacharias<br />
Werner an hoffmann vom 7. Januar 1808. Angeboten<br />
werden ferner Briefe von chamisso<br />
und fouqué sowie ein Brief <strong>des</strong> direktors <strong>des</strong><br />
preußischen Polizeiministeriums von Kamptz<br />
aus der Zeit der demagogenverfolgung, der<br />
nicht nur historiker interessieren sollte. Weniger<br />
bekannt dürften zwei Briefe von thomas<br />
mann an seinen Kollegen Paul remer aus dem<br />
Jahr 1904 sein; remer versuchte vergeblich den<br />
Autor der ›Buddenbrooks‹ zu animieren, eine<br />
monografie über e. t. A. hoffmann zu verfassen.<br />
neben den zahlreich angebotenen erstdrucken<br />
hoffmannscher texte, vorrangig aus der<br />
To<strong>des</strong>anzeige <strong>des</strong><br />
Katers Murr<br />
(1821), Nr. 3<br />
47
Katalogbesprechungen<br />
48<br />
›Allgemeinen musikalischen Zeitung‹ sowie aus<br />
den Almanachen und taschenbüchern seiner<br />
Zeit, finden sich raritäten wie hoffmanns gedruckter<br />
erstling ›schreiben eines Klostergeistlichen<br />
an seinen freund in der hauptstadt‹ aus<br />
dem Jahr 1803. Auch eine sehr selten im handel<br />
auftauchende Kostbarkeit unter den hoffmannschen<br />
erstausgaben findet sich im vorliegenden<br />
Angebot: die zweibändigen ›Kinder-mährchen‹<br />
von contessa, fouqué und hoffmann, die in<br />
den Jahren 1816/17 in der Berliner re<strong>als</strong>chulbuchhandlung<br />
erschienen; das exemplar enthält<br />
auch die von hoffmann kolorierten radierungen<br />
und lithografien sowie die illustrierten<br />
Originalumschläge. ebenfalls selten dürfte die<br />
Vorzugsausgabe <strong>des</strong> von hoffmann übersetzten<br />
textbuches zu Gasparo spontinis Oper ›Olimpia‹<br />
im erstdruck von 1821 sein, die aus dem Besitz<br />
<strong>des</strong> bibliophilen sammlers hans fürstenberg<br />
stammt. unter hoffmanns zahlreichen<br />
Kompositionen findet sich hier auch die seltene<br />
erstausgabe seiner ›sechs italienischen duettinen<br />
für sopran und tenor‹ aus dem Jahr 1819 im<br />
Angebot. ebenfalls in erstausgaben angeboten<br />
werden lieblingsbücher hoffmanns wie heinrich<br />
von Kleists ›das Käthchen von heilbronn‹<br />
oder ludwig tiecks ›Phantasus‹. eine weitere<br />
rarität bildet die einflussreiche Kupferstichsammlung<br />
›Balli di sfessiania‹ von Jacques callot,<br />
die hoffmann zu seinen ›fantasiestücken‹<br />
und vor allem zu seinem capriccio ›Prinzessin<br />
Brambilla‹ anregte. in der Abteilung ›hoffmanns<br />
medizinische und psychologische lektüre‹<br />
findet der liebhaber oder forscher wichtige<br />
erstausgaben von mesmer, reil, Pinel, G. h.<br />
schubert, Wiegleb oder auch swammerdams<br />
›Bibel der natur‹ von 1752, die hoffmanns<br />
märchen ›meister floh‹ beeinflusste.<br />
den Autoren dieses vorzüglichen e. t. A.<br />
hoffmann-Antiquariatskatalogs sei an dieser<br />
stelle ein großes lob gespendet, denn die aufwendigen<br />
und ausführlichen Begleittexte zu den<br />
angebotenen Objekten, die sich auf aktuellem<br />
stand der forschung befinden, sorgen für anregende<br />
lektüre.<br />
Jörg Petzel<br />
Briefe aus dem Exil<br />
Antiquariat michael lehr (niedstraße 24, 12159<br />
Berlin, tel. 030/50598615, lehr@antiquariat-lehr.de).<br />
Katalog 100: Briefe aus dem exil. 30 Antworten von<br />
exilanten auf fragen von Arnim Borski. mit einem<br />
Vorwort von Günter Kunert und einem nachwort<br />
von Arnim Borski. hrsg. mit Anmerkungen und<br />
einem bio-bibliographischen Anhang von michael<br />
lehr unter mitarbeit von heike Ploew. 254 s.,<br />
schutzgebühr 20 euro<br />
das etikett einer <strong>deutschen</strong> Buchhandlung in<br />
Baku, unter dem umschlag eines romans versteckt,<br />
eine Widmung auf dem titel, ein name<br />
mit Jahreszahl – in der Welt <strong>des</strong> Antiquariats<br />
braucht es nicht viel, um auf kleinstem raum<br />
eine große Geschichte zu erzählen. Oft kommt<br />
dabei eine Geschichte mit tragischem unterton<br />
zum Vorschein, die irgendwo im unbekannten<br />
endet, manchmal führt sie nach vielen umwegen<br />
jedoch an ein Ziel und damit ans licht.<br />
michael lehr macht in seinem jüngsten – dem<br />
einhundertsten – Katalog viele Wege sichtbar,<br />
denn er widmet sich darin einer der schmerzhaftesten<br />
erfahrungen <strong>des</strong> vorigen Jahrhunderts:<br />
dem schicksal der von den <strong>deutschen</strong> während<br />
der ns-Zeit ins Ausland Getriebenen, der Verjagten,<br />
die nur durch flucht ihr leben retten<br />
konnten.
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Katalognotizen<br />
im dezember 1982 schreibt der Journalist<br />
Arnim Borski – er ist von Berlin nach nordfriesland<br />
gezogen, um dort ein Antiquariat zu<br />
betreiben – einen rundbrief an 48 emigrierte<br />
schriftsteller. sein Anliegen: sie mögen ihm<br />
doch ihre erfahrungen im exil mitteilen, die unverbrüchlichen<br />
erinnerungen an das land ihrer<br />
Jugend nennen und ihm eine leseempfehlung<br />
geben, um »jene Zeit und den Weg, den sie gegangen<br />
sind, besser zu verstehen«. der auf den<br />
ersten Blick etwas unbeholfene Versuch eines<br />
nachgeborenen, diejenigen zum sprechen zu<br />
bringen, die aus eigenem erleben berichten können,<br />
ergibt schließlich dreißig Antworten. in das<br />
dorf nahe der dänischen Grenze trudeln mehr<br />
oder weniger umfangreiche Briefe ein – aus Orten<br />
in israel, ecuador, den usA und dem europäischen<br />
Ausland.<br />
im Januar 2010 starb Arnim Borski. Aus<br />
seinem nachlass kommen nun die Briefe geschlossen<br />
zum Verkauf. michael lehrs Katalog<br />
dokumentiert sie akribisch und gibt damit jenen<br />
emigranten eine stimme, die gleichsam in der<br />
zweiten reihe standen und noch stehen, die fast<br />
vergessen sind. Geläufigere namen wie Anna<br />
maria Jokl, hans Keilson, stephan lackner und<br />
curt riess sind zwar darunter, doch begegnet<br />
man meistens weithin unbekannten, so zum<br />
Beispiel dem 1935 geflohenen Antiquar und<br />
P ublizisten eugen Brehm, <strong>des</strong>sen lebenslanges<br />
heimweh in einem einzigen satz gerinnt:<br />
» neben meinem schreibtisch hängt je<strong>des</strong> Jahr<br />
der schwaben-Kalender.« Oder frieda hebel,<br />
die von ihren »vielgesammelten Bitterkeiten«<br />
spricht.<br />
die erfahrung <strong>des</strong> exils wird mit diesem<br />
Buch der Geschichte und Geschichten in vielen<br />
tonlagen lebendig: emotional und sachlich,<br />
voller Optimismus und resignativ, offenherzig<br />
und schüchtern, hin und wieder auch etwas geschwätzig<br />
und eitel. ein umfangreicher bio-<br />
bibliografischer Anhang sowie biografische<br />
Anmerkungen zu Briefstellen ergänzen die<br />
dokumentation, eine bewundernswerte fleißarbeit,<br />
auch wenn so mancher Biografie die<br />
sprachlichen Anleihen bei Wikipedia anzu-<br />
merken sind. der Aufbau <strong>des</strong> Buches mag<br />
disparat sein (außer den Briefen nebst Anhang<br />
und einem kleinen Angebot von Büchern enthält<br />
es auch einen teil ›Anzeigen und Beiträge‹ mit<br />
Artikeln über geplante editionen, selbstdarstellungen<br />
literarischer Organisationen u. ä.), dennoch<br />
hat hier ein über den Verkaufszweck<br />
hinausreichen<strong>des</strong> interesse ein veritables lesebuch<br />
geschaffen. das ›museum <strong>des</strong> exils‹, das<br />
herta müller in einem offenen Brief an die<br />
Bun<strong>des</strong>kanzlerin im Juni 2011 forderte, wird<br />
wohl für lange Zeit der fromme Wunsch einer<br />
nobelpreisträgerin bleiben, die das schicksal<br />
der emigranten aus eigener erfahrung kennt.<br />
›Briefe aus dem exil‹ ist ein Werk, das für die<br />
chancen <strong>des</strong> Antiquariatsbuchhandels <strong>als</strong> geschichtsbewahrende<br />
institution spricht. es<br />
sollte <strong>des</strong>halb auch <strong>als</strong> station auf dem langen<br />
Weg gesehen werden, dem leben der vielen bis<br />
heute verfolgten Autoren und Künstler einen<br />
zentralen Ort zu geben: <strong>des</strong> forschens, der Anschauung<br />
und der bleibenden erinnerung.<br />
Stephan Schurr<br />
Neue Listen und Kataloge<br />
Knut Ahnert, Berlin nr. 95: 2011/2012 (2.594 nrn.)<br />
Frank Albrecht, Schriesheim das 20. Jahrhundert 175:<br />
sekundärliteratur und neueingänge (498 nrn.); das 20.<br />
Jahrhundert 177: Belletristik (374 nrn.)<br />
Frank Albrecht, Schriesheim – Eberhard Köstler,<br />
Tutzing Gemeinschaftskatalog: das 20. Jahrhundert<br />
176: Widmungsexemplare (296 nrn.) – nr. 93: Widmungsexemplare.<br />
Gewidmete und signierte Bücher (225<br />
nrn.)<br />
Peter Bierl, Eurasburg nr. 143: Antiquariatskatalog<br />
Winter 2011 (1.210 nrn.)<br />
Herbert Blank, Stuttgart stuttgarter Antiquariatsmesse<br />
2012: literatur <strong>des</strong> 18.–20. Jahrhunderts (137<br />
nrn.)<br />
Bojara & Bojara-Kellinghaus, Osnabrück nr. 123<br />
(5.089 nrn.)<br />
Brockhaus / Antiquarium, Kornwestheim Bücher<br />
über alle länder der erde. 150 ausgewählte Bücher<br />
carpe diem Monika Grevers, Bocholt nr. 7: Zwischen<br />
den Jahren (480 nrn.)<br />
49
Katalognotizen<br />
50<br />
Den Hertog Bolland Rare Books, Houten nr. 3<br />
(24 nrn.)<br />
Eckert & Kaun, Bremen nr. 10: Winter 2011/12<br />
(1.297 nrn.)<br />
Engel & Co., Stuttgart nr. 187: schöne, alte, seltene<br />
und wertvolle Bücher aus allen Gebieten (438 nrn.)<br />
Michael Eschmann, Griesheim liste: chirurgie (115<br />
nrn.); liste: Porträts und Graphik (79 nrn.)<br />
Joseph Fach, Frankfurt am Main liste: die Brüder<br />
ferdinand und franz Kobell (27 nrn.)<br />
Fons Blavus Hans-Günter Bilger, Renningen<br />
liste Januar 2012<br />
A. Gerits & Son, Diemen nr. 116 (222 nrn.)<br />
Göttinger Antiquariat Erich Groß (Inh. Angelika<br />
Groß), Göttingen u 2012: Klassische Altertumswissenschaft<br />
(9.113 nrn.)<br />
Gerhard Gruber, Heilbronn nr. 176: schöne und wertvolle<br />
Bücher der Wissenschaftsgeschichte (253 nrn.)<br />
Harteveld Rare Books Ltd., Fribourg nr. 227: choix<br />
de 110 livres & gravures<br />
Haufe & Lutz, Karlsruhe – Martin Klaußner, Fürth<br />
Gemeinschaftskatalog: literatur, illustrierte Bücher und<br />
Philosophie von der Antike bis ins 20. Jahrhundert;<br />
Architektur, Buchwesen, Kunst und Photographie;<br />
Kinder- und Jugendbücher; Varia (Geschichte, musik,<br />
naturwissenschaften u. a.) (884 nrn.)<br />
J. J. Heckenhauer, Tübingen messe-liste zur stuttgarter<br />
Antiquariatsmesse 2012 (100 nrn.)<br />
Katja Hildebrandt, Haiger liste 84: Alte landkarten,<br />
stadtansichten von deutschland, dekorative Graphik,<br />
Berufe, technik und Varia (1.575 nrn.)<br />
Wilhelm Hohmann, Stuttgart nr. 80: Wirtschaftsgeschichte<br />
(584 nrn.)<br />
Hans Jauker, Wien nr. 161: Austriaca. Geschichte,<br />
Kultur, Wissenschaft. Bücher und Periodica (917 nrn.)<br />
Peter Kiefer, Pforzheim Kommissionskatalog 3<br />
(9.793 nrn.)<br />
Martin Klaußner, Fürth liste literatur(186 nrn.)<br />
A. Klittich-Pfankuch, Braunschweig Buchauswahl<br />
zum Jahresbeginn 2012 mit messeangebot stuttgart<br />
(218 nrn.)<br />
Meinhard Knigge, Hamburg liste stuttgarter Antiquariatsmesse<br />
2012 (133 nrn.)<br />
Eberhard Köstler, Tutzing nr. 91: elf! elf! elf!<br />
Autographen und Bücher zum 11. november 2011<br />
(100 nrn.); nr. 92: Zwischen den Jahren. Autographen<br />
und Bücher zum Jahreswechsel (110 nrn.); nr. 96:<br />
eisenbahn-spiel. Autographen, Widmungen, signaturen<br />
und Bücher zur stuttgarter Antiquariatsmesse 2012<br />
(285 nrn.)<br />
Rainer Kurz, Oberaudorf – Uwe Turszynski,<br />
München doppelkatalog iii: Varia (488 u. 45 nrn.;<br />
572 nrn.)<br />
Jürgen Lässig, Berlin liste 17: literatur – Kunst und<br />
Gesellschaft (316 nrn.)<br />
August Laube, Zürich Alte meister, Graphik, moderne<br />
Graphik, Alte drucke, Zeichnungen, helvetica (32<br />
nrn.)<br />
Manuel Lehnherr, Basel nr. 1: Kunst, fotografie, Varia<br />
(100 nrn.)<br />
Libelle mit H&B, Basel neue folge 13 (20 nrn.)<br />
Marlborough Rare Books, London nr. 218: recent<br />
Acquisitions (180 nrn.)<br />
von Matt, Stans nr. 268: Jubiläumskatalog »175 Jahre<br />
Antiquariat von matt« (756 nrn.)<br />
Hans K. Matussek & Sohn, Nettetal nr. 104: literatur<br />
november 2011 (178 nrn.)<br />
Johannes Müller, Salzburg nr. 53: Alte drucke vor<br />
1700 (190 nrn.)<br />
MykoLibri Christian Volbracht, Hamburg nr. 85<br />
(304 nrn.)<br />
Daniel Osthoff, Würzburg neueingänge liste »Zwischen<br />
den Jahren« 2011/2012 (134 nrn.); neueingänge<br />
Klassische Philologie (185 nrn.)<br />
Bernard Quaritch Ltd., London nr. 1412: Art &<br />
Architecture (86 nrn.)<br />
Dietrich und Brigitte Schaper, Hamburg Alte Bücher<br />
von 1621–1898, Buchkunst, Kunst, fotografie, literatur<br />
u. a. (195 nrn.)<br />
Musikantiquariat Hans Schneider, Tutzing – nr. 459:<br />
récréations musicales. noten, Bücher, sammelstücke<br />
(554 nrn.); nr. 460: neujahrskonzert mit noten,<br />
Büchern, sammelstücken (250 nrn.)<br />
Stefan Schuelke Fine Books, Köln dieter roth. Künstlerbücher,<br />
Beiträge und Kataloge<br />
Susanne Schulz-F<strong>als</strong>ter, London – Michael Banzhaf,<br />
Tübingen Gemeinschaftskatalog: typography and Printing<br />
(71 nrn.)<br />
Franz Siegle, Mühlhausen/Kraichgau liste: eine<br />
Auswahl schöner Werke aus unserem lager und neuerwerbungen<br />
(86 nrn.); liste: Zur Geschichte der Augenheilkunde<br />
(107 nrn.); diabetes mellitus. eine Volkskrankheit<br />
(51 nrn.)<br />
Steinkopf, Stuttgart nr. 338: theologie (2.155 nrn.)<br />
Nikolaus Struck, Berlin nr. 177: stadtansichten und<br />
landkarten (4.819 nrn.); nr. 178: deutschland. Alte<br />
stadtansichten und land karten (3.952 nrn.)<br />
Inge Utzt, Stuttgart nr. 93: Wie soll ein junges frauenzimmer<br />
sich würdig bilden. Bücher von, für und über<br />
frauen (199 nrn.)<br />
VICO, Frankfurt am Main nr. 114: Verbrechen und<br />
strafe. Aus der Bibliothek von Prof. dr. reinhard von<br />
hippel und anderen quellen (656 nrn.); nr. 115/1 und<br />
115/2: exeunte anno mmXi (65 bzw. 115 nrn.)<br />
J. Voerster Antiquariat für Musik und Deutsche<br />
Literatur, Stuttgart nr. 37: e. t. A. hoffmann (576<br />
nrn.)<br />
Robert Wölfle, München – Peter Bierl, Eurasburg<br />
Gemeinschaftskatalog: raritäten & Preziosen. Bleibende<br />
Werte im Wandel der Zeit (80 nrn.)
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 rezensionen<br />
The Kelmscott Chaucer<br />
William s. Peterson und sylvia holten Peterson:<br />
the Kelmscott chaucer. A census. new castle,<br />
delaware: Oak Knoll Press, 2011. XVi, 272 s., Abb.,<br />
geb., 95 us-dollar, isBn 978-1-58456-289-4<br />
die im Juni 1896, wenige monate vor William<br />
morris’ tod, in <strong>des</strong>sen Kelmscott Press erschienene<br />
Gesamtausgabe der Werke Geoffrey chaucers<br />
mit 87 holzstichen nach entwürfen von<br />
edward Burne-Jones zählt ohne Zweifel zu den<br />
monumenten <strong>des</strong> Privatpressendrucks. um es<br />
vorweg zu nehmen: die Bearbeiter hatten nicht<br />
die Absicht, den zahlreichen studien, die sich<br />
mit der entstehungsgeschichte von chaucers<br />
›Works‹ befassen, eine weitere hinzu zu fügen.<br />
es ging den Autoren vielmehr darum, möglichst<br />
viele exemplare <strong>des</strong> Kelmscott chaucer nachzuweisen<br />
und ausführlich zu beschreiben; ein Zensus<br />
eben, der bislang nur herausragenden Werken<br />
der druckgeschichte vom Kaliber einer<br />
Gutenberg-Bibel oder shakespeares first folio<br />
zuteilwurde.<br />
sydney c. cockerell gibt in seiner 1898 erschienenen<br />
Bibliografie der Kelmscott Press die<br />
Auflagenhöhe <strong>des</strong> chaucer mit 425 exemplaren<br />
auf Papier und 13 auf Pergament an. Petersons<br />
weisen 281 exemplare auf Papier und 15 (!) auf<br />
Pergament nach, davon sieben Papierausgaben<br />
in <strong>deutschen</strong> Bibliotheken, wobei der von ignatz<br />
Wiemeler für Karl Klingspor in schweinsleder<br />
gebundene foliant im Offenbacher Klingspormuseum<br />
besondere erwähnung verdient. Wie<br />
zu erwarten war, befinden sich die meisten<br />
exemplare in englischen und amerikanischen<br />
sammlungen, allein unglaubliche je vier in<br />
cambridge, Oxford, Austin, Princeton und<br />
Berkeley, sogar fünf in Yale.<br />
Was das vorliegende Werk über die bibliografische<br />
statistik hinaus zu einem überaus<br />
unterhaltsam zu lesenden Werk macht, ist die<br />
akribische erforschung der Provenienzen und<br />
sammlerbiografien. das diktum, dass Bücher<br />
ihre schicksale haben, bestätigt sich auch hier:<br />
»Provenance has proven to be not a dull, technical<br />
term, but a window into the fascinating hu-<br />
man stories that lie behind nearly every copy of<br />
the chaucer.«<br />
und faszinierend sind die ›stories‹ hinter den<br />
Büchern in der tat, zum Beispiel wie lawrence<br />
von Arabiens exemplar in den Besitz der<br />
queen’s university library (Kingston, Kanada)<br />
gelangte oder wie der irische schriftsteller W. B.<br />
Yeats von 26 freunden zu seinem 40. Geburtstag<br />
einen chaucer geschenkt bekam, den er zeitlebens<br />
auf einem bemalten lesepult zwischen<br />
zwei Kerzenständern <strong>als</strong> morris-schrein aufbewahrte.<br />
Yeats’ exemplar befindet sich seit 2002,<br />
man wird das <strong>als</strong> adäquaten Aufbewahrungsort<br />
empfinden, in der irischen nationalbibliothek<br />
in dublin. Besonders die sammlungsgeschichte<br />
der 15 Pergamentexemplare <strong>als</strong> ›most <strong>des</strong>irable<br />
objects‹ liest sich wie ein ›Who’s who‹ der großen,<br />
vorwiegend amerikanischen sammler<br />
(nebst einer sammlerin) <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts: J.<br />
P. morgan. estelle doheny, lessing J. rosenwald,<br />
Paul Getty und William randolph hearst.<br />
Viele exemplare wurden von bekannten Buchbindern<br />
gebunden, denen 24 farbtafeln und ein<br />
Kapitel mit Kurzbiografien gewidmet sind. neben<br />
dem erwähnten ignatz Wiemeler und den<br />
bereits bei erscheinen bestellbaren Vorzugs-<br />
einbänden von J. J. leighton und der doves<br />
Bindery erscheint ein ledereinband Kurt londenbergs<br />
für einen schweizer Privatsammler<br />
besonders bemerkenswert.<br />
ein weiteres Kapitel befasst sich mit im<br />
moment nicht lokalisierbaren exemplaren <strong>des</strong><br />
›chaucer‹, für das annähernd 800 Auktions- und<br />
Antiquariatskataloge ausgewertet wurden. man<br />
darf gespannt sein, was aufgrund der detektivischen<br />
Vorarbeiten der Petersons noch ans<br />
licht kommen wird. Zumin<strong>des</strong>t konnten seit<br />
erscheinen <strong>des</strong> Buches vier weitere exemplare<br />
nachgewiesen werden (nachzulesen im Onlinesupplement<br />
unter www.kelmscottchaucer.<br />
wordpress.com). für die Provenienzforschung<br />
von großer Bedeutung sind die erstm<strong>als</strong> publizierten<br />
rechnungsbücher <strong>des</strong> Antiquars Bernard<br />
quaritch, der einen teil <strong>des</strong> Vertriebs übernahm,<br />
und die über 800 Anschriften umfassende<br />
Adressdatei der Kelmscott Press, in der auch<br />
51
ezensionen<br />
52<br />
einige Kunden aus dem <strong>deutschen</strong> sprachraum<br />
zu finden sind, zum Beispiel die Antiquariate<br />
Joseph Baer in frankfurt am main und r. friedländer<br />
in Berlin.<br />
mit ›the Kelmscott chaucer. A census‹ liegt<br />
eine Publikation vor, die sowohl <strong>als</strong> buchhistorisches<br />
lesebuch wie auch <strong>als</strong> wissenschaftliches<br />
Grundlagenwerk verwendet werden kann und<br />
insbesondere für die handbibliothek von Pressendrucksammlern<br />
zu empfehlen ist. Jedoch sollen<br />
auch einige wenige, aber gravierende mängel<br />
nicht verschwiegen werden: die zahlreichen<br />
rechtschreibfehler in <strong>deutschen</strong> texten und der<br />
zu nah an den mittelfalz reichende satzspiegel.<br />
Gerade bei einem Buch zu diesem thema hätte<br />
man sich eine bessere typografische Gestaltung<br />
gewünscht. um abschließend William morris zu<br />
zitieren: »[ein f<strong>als</strong>ch platzierter satzspiegel] ist<br />
so dumm, <strong>als</strong> würde sich ein mann seinen mantel<br />
hinten zuknöpfen oder eine dame ihren hut<br />
verkehrt herum aufsetzen …«<br />
Hans Eckert<br />
Bibliotheken und<br />
Sammlungen im Exil<br />
exilforschung. ein internationales Jahrbuch.<br />
hrsg. im Auftrag der Gesellschaft für exilforschung<br />
von claus-dieter Krohn und lutz Winckler.<br />
Bd. 29/2011: Bibliotheken und sammlungen im exil.<br />
münchen: edition text + kritik im richard Boorberg<br />
Verlag, 2011. iX, 262 s., Abb., brosch., 32 euro,<br />
isBn 978-3-86916-143-3<br />
das vorliegende Jahrbuch (Bd. 29/2011), <strong>des</strong>sen<br />
inhalt auf eine tagung im marbacher <strong>deutschen</strong><br />
literaturarchiv im frühjahr 2011 zurückgeht,<br />
enthält unter anderem einen instruktiven Aufsatz<br />
von thomas richter über ›die Bibliothek<br />
harry Graf Kesslers. möglichkeiten und Grenzen<br />
einer rekonstruktion‹ (s. 42 – 68). Als ein<br />
zentrales dokument der spurensuche erweist<br />
sich hierbei für richter der wohl 1935 ausgegebene<br />
Verkaufskatalog 112 <strong>des</strong> Antiquariats Georg<br />
ecke (1892 – 1955) in Berlin, der unter dem<br />
titel ›Aus der Bibliothek harry Graf Kessler‹<br />
einen wertvollen teil der Kessler‹schen Bücher-<br />
sammlung enthält, mutmaßlich aus seiner Berliner<br />
Bibliothek. mehrere hundert Bücher aus<br />
Kesslers Besitz befinden sich heute außerdem in<br />
der herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar.<br />
einen zweiten Katalog Georg eckes (›Aus<br />
der Bücherei von harry Graf Kessler‹, 178 nrn.)<br />
weist roland folter in ›deutsche dichter- und<br />
Germanistenbibliotheken. eine kritische Bibliographie<br />
ihrer Kataloge‹ nach.<br />
Weitere Aufsätze <strong>des</strong> Jahrbuchs behandeln<br />
unter anderem Walter mehring, Alfred mombert,<br />
die Warburg-Bibliothek und raymond<br />
Klibansky, das heikle thema ns-raubgut in der<br />
erwerbungspolitik der Preußischen staatsbibliothek<br />
nach 1933, österreichische Büchersammler<br />
und ihre schicksale sowie die private Bibliothek<br />
von lion feuchtwanger.<br />
Björn Biester<br />
Verlagslizenzierungen in der<br />
Sowjetischen Besatzungszone<br />
(1945–1949)<br />
Bettina Jütte: Verlagslizenzierungen in der sowjetischen<br />
Besatzungszone (1945–1949). Berlin – new<br />
York: de Gruyter, 2010 (Archiv für Geschichte <strong>des</strong><br />
Buchwesens, studien 8). 390 s., Abb., geb., 119,95<br />
euro, isBn 978-3-11-023011-6<br />
die lizenzierungsprinzipien der vier Besatzungsmächte<br />
beschäftigten die forschung seit<br />
den 1960er Jahren. die Befunde begründeten in<br />
den lehrbüchern über medien in deutschland<br />
die unterschiedlichen strukturen der Presse-<br />
systeme in der Bun<strong>des</strong>republik deutschland<br />
und in der <strong>deutschen</strong> demokratischen republik<br />
(ddr). das Verlagswesen fand – gegenüber<br />
Zeitung und Zeitschrift, rundfunk, nachrichtenagentur<br />
und film – weniger Beachtung. untersuchungen<br />
über Verlage, oft (aber nicht nur)<br />
einzeldarstellungen von Buchverlagen, nehmen<br />
seit der Öffnung der ddr-Archive nach der Vereinigung<br />
zu. Bettina Jüttes buchwissenschaftliche<br />
dissertation an der universität mainz aus<br />
dem Jahr 2007 markiert die schnittstelle: sie<br />
verfolgt das ehrgeizige Ziel, eine »erste eigen-
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 rezensionen<br />
ständige wissenschaftliche Arbeit über die<br />
Verlags-lizenzierungen in der sowjetischen Besatzungszone<br />
deutschlands« vorzulegen, <strong>als</strong>o<br />
eine Gesamtdarstellung. sie rekonstruiert die<br />
ent-stehungsbedingungen, entwicklungen und<br />
Auswirkungen der lizenzierungspolitik der<br />
sowjetischen militäradministration (smAd).<br />
Arbeitsweise und einfluss der neu geschaffenen<br />
<strong>deutschen</strong> Verwaltungsorgane werden berücksichtigt.<br />
die Publikation zeichnet sich durch<br />
umfangreiches quellenstudium aus.<br />
Gesetzgebung, strukturen und funktionen<br />
der smAd werden demgegenüber im Wesentlichen<br />
aus deutschsprachigen editionen der sowjetischen<br />
quellen und aus den Analysen <strong>des</strong><br />
Zeithistorikers Jan foitzik erschlossen. letztere<br />
dürfen aus heutiger sicht <strong>als</strong> Vorstudien zum<br />
2001 vereinbarten und 2009 veröffentlichten<br />
deutsch-russischen Kooperationsprojekt ›smAd-<br />
handbuch‹ bezeichnet werden, an dem foitzik<br />
maßgeblichen Anteil hat. 1<br />
im einzelnen behandelt Jütte erstens die institutionen,<br />
zweitens die Verfahren entlang den<br />
hinreichend bekannten gesetzlichen Bestimmungen<br />
zur literatursäuberung und lizenzie-<br />
rung und drittens die Organisationsformen der<br />
Verlage, die eine lizenz erhielten. Zumal nicht<br />
nur die smAd-Zentrale in Berlin, sondern auch<br />
die Verwaltungen der sowjetischen militäradministration<br />
in den ländern sachsen, mecklenburg-Vorpommern<br />
und thüringen beziehunsweise<br />
in den Provinzen, später ländern, mark<br />
Brandenburg und sachsen-Anhalt betrachtet<br />
wurden, gelingt der nachweis unterschiedlicher<br />
handlungsbedingungen und -spielräume. unklarheiten<br />
in den Zuständigkeiten hätten in<br />
Kenntnis <strong>des</strong> smAd-handbuchs, das über verschiedene<br />
Zeitpunkte hinweg Organisationspläne<br />
und, soweit zugänglich, das Personalarchiv<br />
der smAd auswertet, zwar nicht ausgeräumt,<br />
aber sicherer dargestellt werden können.<br />
im hinblick auf den – zunächst uneinheitlichen<br />
– administrativen Auf- und Ausbau und<br />
auf das tätigkeitsfeld der <strong>deutschen</strong> Behörden<br />
(dazu gehört der mitte 1946 in Anbindung an<br />
die deutsche Verwaltung für Volksbildung eingerichtete<br />
Kulturelle Beirat für das Verlagswesen)<br />
verfolgt Jütte von Anfang an die Annahme,<br />
die mitarbeiter der <strong>deutschen</strong> Verwaltungen<br />
hätten auf zentraler und regionaler ebene die<br />
wesentlichen Arbeiten geleistet, während sich<br />
die zuständigen institutionen der sowjetischen<br />
Besatzungsmacht in der regel an deren Vorschlägen<br />
und entscheidungen orientierten. die<br />
quellenanalyse stützt diese these nicht durchweg<br />
(vgl. s. 37 f.: lizenzvergabe; s. 49: Annullierung<br />
vereinbarter Papierzuteilungen; s. 119<br />
ff.: Genehmigung von Verordnungen deutscher<br />
Verwaltungen usw.), wohl aber weitgehend. Als<br />
hindernisse gelten Personalmangel und Arbeitsüberlastung,Verständigungsschwierigkeiten,<br />
Koordinierungsprobleme und widersprüchliche<br />
Auffassungen. um die Anzahl der<br />
lizenzen für Privatverlage niedrig zu halten,<br />
wurden in der fachwelt regionale Zusammenschlüsse<br />
und überregionale Kooperationsmodelle<br />
diskutiert und realisiert.<br />
die Perspektive der betroffenen Verlage erhellt<br />
eine (1996 schon einmal vorgetragene und<br />
1997 veröffentlichte) fallstudie <strong>des</strong> in Jena alteingesessenen<br />
Gustav fischer Verlags. 2 die Ge-<br />
53
ezensionen | Allgemeines<br />
54<br />
schichte dieses Verlags von der Wiederaufnahme<br />
der Verlagstätigkeit nach dem ende <strong>des</strong> Zweiten<br />
Weltkriegs bis zur übersiedlung der Verlegerfamilie<br />
nach stuttgart, 1953, einschließlich enteignung<br />
und ›Verstaatlichung‹ <strong>des</strong> unternehmens<br />
unmittelbar danach, spiegelt am Beispiel eindrucksvoll,<br />
was die gesamte untersuchung vermittelt:<br />
die Vergabe von lizenzen orientierte<br />
sich nicht an einem von der sowjetischen militäradministration<br />
vorgegebenen einheitlichen Konzept.<br />
Wie schon andernorts beobachtet, haben<br />
wir es mit einer episode zu tun, in der variable<br />
entscheidungen und Problemlösungen möglich<br />
schienen – bis der erste Zweijahresplan (1948)<br />
und deutlicher das Programm der sozialistischen<br />
einheitspartei deutschlands zum ›Aufbau <strong>des</strong><br />
sozialismus‹ (1952) klare Verhältnisse schufen.<br />
inzwischen hatte die (provisorische) regierung<br />
der ddr die Verwaltungsfunktionen übernommen,<br />
die vorher die smAd ausübte.<br />
die Autorin unterzieht sich <strong>des</strong> Weiteren der<br />
mühe, auf der Grundlage ihrer quellen ein detailliertes<br />
und verlässliches Verzeichnis der in<br />
der sowjetischen Besatzungszone lizenzierten<br />
Verlage zusammenzustellen. dieses ersetzt nach<br />
einem halben Jahrhundert die lückenhaften und<br />
unzuverlässigen Angaben <strong>des</strong> bei de Gruyter<br />
verlegten ›handbuch der lizenzen deutscher<br />
Verlage‹, stand märz 1947 3 , und <strong>des</strong> ›lizenzenhandbuch<br />
deutscher Verlage‹, stand märz<br />
1949 4 . das Verzeichnis registriert jeweils den<br />
namen <strong>des</strong> Verlags, die lizenznummer und die<br />
quellenhinweise. ursprünglich aus der untersuchung<br />
ausgeklammert, erfasst es sinnvoller<br />
Weise auch die Zeitungsverlage der Parteien und<br />
Organisationen, die mit der Zulassung gleichsam<br />
automatisch die ersten lizenzen erhielten.<br />
die einmal alphabetisch und einmal chronologisch<br />
geordneten listen erscheinen <strong>als</strong> eigenständiges<br />
Kapitel im fortlaufenden Bericht. dem<br />
im Klappentext <strong>des</strong> Buches beanspruchten<br />
›handbuchcharakter‹ hätte es jedoch keinen<br />
Abbruch getan, hätte man die listen wie üblich<br />
im Anhang platziert. dort finden sich neben<br />
dem quellen- und literaturverzeichnis Kurzbiografien<br />
der handelnden Personen, doku-<br />
mente zum Gustav fischer Verlag, ein institutionen-<br />
und sachregister, ein Ortsverzeichnis, ein<br />
Personenregister. der Band enthält zahlreiche<br />
faksimiles und einige grafische darstellungen.<br />
das nicht gänzlich geklärte selbstverständnis<br />
der Buchwissenschaft umfasst die Beschäftigung<br />
mit ökonomischen fragen, was hier unter den<br />
stichworten Papierknappheit, Papierzuteilung<br />
und Papierbedarf am rande geschieht. leider<br />
fehlt dieser verdienstvollen studie eine weitergehende,<br />
systematische darstellung der wirtschaftlichen<br />
Zusammenhänge <strong>des</strong> Verlagswesens<br />
in der sBZ. sie bleibt so ein <strong>des</strong>iderat.<br />
Barbara Baerns<br />
Es handelt sich um die leicht gekürzte Fassung einer am<br />
29. September 2011 in dem Fachforum H-Soz-u-Kult<br />
veröffentlichten Besprechung (http://hsozkult.geschichte.<br />
hu-berlin.de/rezensionen/2011-3-202).<br />
Anmerkungen<br />
1 horst möller/Aleksandr O. tschubarjan (hrsg.):<br />
smAd-handbuch. die sowjetische militäradministration<br />
in deutschland 1945–1949. münchen 2009.<br />
im Auftrag der Gemeinsamen Kommission zur erforschung<br />
der neuesten Geschichte der deutsch-russischen<br />
Beziehungen. Bearbeiter: Jan foitzik und tatjana<br />
W. Zarewskaja-djakina. redaktion: Jan foitzik.<br />
2 Bettina Jütte: das Problem der »zweigleisigen« Verlage<br />
<strong>als</strong> folge der lizenzierungspolitik in der sBZ am<br />
Beispiel <strong>des</strong> Gustav fischer Verlags (1945–1953). in:<br />
mark lehmstedt / siegfried lokatis (hrsg.): das<br />
loch in der mauer. der innerdeutsche literaturaustausch.<br />
Wiesbaden 1997, s. 185–197.<br />
3 Wilhelm seidel (hrsg.): handbuch der lizenzen<br />
deutscher Verlage. Zeitungen, Zeitschriften, Buchverlage.<br />
Berlin 1947.<br />
4 ders. (hrsg.): lizenzen-handbuch deutscher Verlage<br />
1949. Zeitungen, Zeitschriften, Buchverlage. Berlin<br />
1949.<br />
Nachrichten<br />
Historische Kommission <strong>des</strong> Börsenvereins<br />
in der Geschäftsstelle der historischen Kommission<br />
<strong>des</strong> Börsenvereins <strong>des</strong> <strong>deutschen</strong> Buchhandels<br />
in frankfurt am main gibt es einen<br />
Wechsel: monika estermann, die die Geschäftsstelle<br />
seit 1982 betreut hat, beendete ihre tätig-
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Allgemeines<br />
keit zum Jahresende 2011. Zum 1. Januar 2012<br />
hat Björn Biester die federführung übernommen.<br />
die Geschäftsstelle ist unter anderem Anlaufstelle<br />
für die mitglieder der Kommission<br />
und externe Anfragen. Zu den Aufgaben gehört<br />
ferner die Geschäftsführung der horst Kliemann<br />
stiftung für Geschichte <strong>des</strong> Buchwesens.<br />
Antiquariate in Berlin 2012<br />
das vom lan<strong>des</strong>verband Berlin-Brandenburg<br />
<strong>des</strong> Börsenvereins <strong>des</strong> <strong>deutschen</strong> Buchhandels<br />
herausgegebene Berliner Antiquariatsverzeichnis<br />
liegt in einer aktualisierten Ausgabe vor. das<br />
Verzeichnis ist kostenlos in den 74 aufgeführten<br />
Antiquariaten erhältlich; es kann zudem gegen<br />
einsendung von fünf 55 cent-Briefmarken bei<br />
der Geschäftsstelle <strong>des</strong> lan<strong>des</strong>verbands bestellt<br />
werden (lützowstraße 33, 10785 Berlin, tel. 030/<br />
263918-0, fax 030/26391818, verband@<br />
berlinerbuchhandel.de). ein Pdf steht unter<br />
www. berlinerbuchhandel.de zur Verfügung.<br />
Detlef Gerd Stechern im GIAQ-Vorstand<br />
Auf der hauptversammlung der Genossenschaft<br />
der internet-Antiquare (GiAq) im november<br />
2011 in Berlin wurde detlef Gerd stechern<br />
(Antiquariat halkyone, hamburg) in den<br />
Vorstand gewählt. stechern nimmt in diesem<br />
Gremium den Platz von marc daniel Kretzer<br />
(Kirchhain) ein. Als Vorstandsmitglieder bestätigt<br />
wurden hermann Wiedenroth (Bargfeld)<br />
und Peter rudolf (Berlin).<br />
18. Antiquaria-Preis an Clemens-Tobias Lange<br />
clemens-tobias lange hat im Januar 2012 den<br />
mit 6.500 euro dotierten 18. Antiquaria-Preis<br />
für Buchkultur erhalten. clemens-tobias lange,<br />
1960 in Berlin geboren, gründete 1988 mit<br />
dem Kauf einer alten setzergasse die ctl-Presse<br />
in hamburg.<br />
Stiftung Buchkunst: neue Geschäftsführerin<br />
Alexandra sender, seit 2003 in der Verlagsbranche<br />
tätig, übernimmt zum 1. märz 2012 <strong>als</strong><br />
nachfolgerin von uta schneider die Geschäftsführung<br />
der stiftung Buchkunst in frankfurt am<br />
main. uta schneider wird sich künftig wieder<br />
eigenen künstlerischen und typografischen Projekten<br />
widmen, wie in AdA 6/2011 gemeldet.<br />
Schriftenverzeichnis Hartmut Walravens<br />
Zum 65. Geburtstag von hartmut Walravens,<br />
langjährigem Beiträger dieser Zeitschrift, hat der<br />
simon Verlag für Bibliothekswissen ein schriftenverzeichnis<br />
mit mehr <strong>als</strong> 1.100 nummern<br />
vorgelegt (hartmut Walravens: rückblick auf<br />
ein leben für die Wissenschaft. Asien – Osteuropa<br />
– Bibliographie – Bibliothek – Geschichte –<br />
Kunst und literatur. Berlin 2011, 223 s., brosch.,<br />
18 euro, isBn 978-3-940862-27-3).<br />
Aree Greul: neuer Himalaya-Katalog<br />
über die Versandbuchhandlung Aree Greul<br />
(Am Goldsteinpark 28, 60529 frankfurt am<br />
main, tel. 069/6661817, fax 069/6661817,<br />
greulalpin@t-online.de, www.mountain-bookshop.de)<br />
ist ab sofort (und exklusiv) die neue<br />
Ausgabe <strong>des</strong> ›catalogue of the himalayan<br />
literature‹ von Yoshimi Yakushi lieferbar (4.<br />
Ausgabe 2011, 1.275 s., 420 euro inkl. mwst.,<br />
Versand innerhalb deutschlands frei, Vorauszahlung).<br />
die lieferzeit beträgt circa zwei monate.<br />
Katalogsammlung Knupfer in Frankfurt<br />
Karl-heinz Knupfer, seit 1989 geschäftsführender<br />
Gesellschafter <strong>des</strong> Kölner Auktionshauses<br />
Venator & hanstein und unter anderem Vorstandsmitglied<br />
der maximilian-Gesellschaft e. V.<br />
für alte und neue Buchkunst, hat im Januar 2012<br />
seine sammlung von <strong>deutschen</strong> Antiquariatskatalogen<br />
an Archiv und Bibliothek <strong>des</strong> Börsenvereins<br />
in der <strong>deutschen</strong> nationalbibliothek in<br />
frankfurt am main übereignet. Knupfers wertvolle<br />
sammlung ergänzt die dort bereits vorhandenen<br />
Katalogbestände (siehe hermann staub:<br />
die Antiquariats- und Auktionskatalogesammlung<br />
<strong>des</strong> Börsenvereins – Versuch einer<br />
Bestandsaufnahme. in: AdA nf 6, 2008, s. 30–<br />
37; vgl. ders: das historische Archiv <strong>des</strong> Börsenvereins<br />
– ein Branchenarchiv? in: AdA nf 8,<br />
2010, s. 213–226). ein Bericht folgt.<br />
55
Allgemeines<br />
56<br />
Universal Short Title Catalogue im Netz<br />
der universal short title catalogue (ustc) ist<br />
seit november 2011 online (www.ustc.ac.uk).<br />
es handelt sich um ein Projekt der university of<br />
st Andrews und <strong>des</strong> university college dublin.<br />
erfasst werden »approximately 355,000 editions<br />
and around 1.5 million surviving copies, located<br />
in over 5,000 libraries worldwide« (vor 1601 erschienen).<br />
eine fortsetzung bis 1650 ist geplant.<br />
Neues Blog: Notabilia<br />
unter dem namen ›notabilia‹ ist im herbst<br />
2011 ein neues Biblio-Blog gestartet (http://<br />
blogs.princeton.edu/notabilia/). untertitel: »An<br />
in-progress registry of provenance, bindings,<br />
annotations, and other evidence for book history<br />
from the rare book collections at Princeton«.<br />
Carl Schmitts Bibliothek<br />
martin tielke hat einen Aufsatz über ›die Bibliothek<br />
carl schmitts‹ veröffentlicht (in: schmittiana.<br />
Beiträge zu leben und Werk carl<br />
schmitts. hrsg. von der carl-schmitt-Gesellschaft.<br />
n. f. Bd. 1. Berlin: duncker & humblot,<br />
2011, s. 257–332), der auch den Verkauf eines<br />
teilbestands an das frankfurter Antiquariat<br />
rolf Kerst im Jahr 1954 thematisiert.<br />
Jahrestreffen der Pirckheimer-Gesellschaft<br />
das Jahrestreffen der Pirckheimer-Gesellschaft<br />
findet vom 7. bis 9. september 2012 in ingolstadt<br />
statt. Anmeldungen werden bis ende April<br />
erbeten (ernst reif, Anzengruberstraße 4, 85084<br />
reichertshofen; Pirckheimer-Gesellschaft e. V.,<br />
Postfach 640114, 10047 Berlin, tel. 030/8122972).<br />
Franz Georg Kaltwasser †<br />
franz Georg Kaltwasser, ehemaliger direktor<br />
der Bayerischen staatsbibliothek in münchen,<br />
ist am 18. november 2011 im Alter von 84 Jahren<br />
gestorben. Kaltwasser, seit den 1960er Jahren<br />
Beiträger dieser Zeitschrift, trat 1954 in den<br />
Bibliotheksdienst ein und leitete von 1958 bis<br />
1961 die lan<strong>des</strong>bibliothek coburg, bevor er<br />
nach münchen wechselte (dort 1972 ernennung<br />
zum direktor).<br />
Firmen/Personalien<br />
Eckert & Kaun: Umzug<br />
das Antiquariat eckert & Kaun ist innerhalb<br />
Bremens umgezogen. neue Anschrift: Plantage 13,<br />
28215 Bremen, tel. 0421/72204, info@eckertkaun.de,<br />
www.eckert-kaun.de. der laden im<br />
richtweg 4 bleibt bestehen.<br />
Dr. Jörn Günther: neuer Standort Basel<br />
dr. Jörn Günther hat seit Januar 2012 einen neuen<br />
standort in der Altstadt von Basel bezogen:<br />
dr. Jörn Günther Antiquariat, spalenberg 55,<br />
Postfach 410, 4051 Basel, tel. 0041/61/2757575,<br />
fax 0041/61/2757576, info@guenther-rare<br />
books.com, www.guenther-rarebooks.com).<br />
Kataloge und andere Post sollen künftig an diese<br />
Adresse geschickt werden. Besucher werden um<br />
Anmeldung gebeten. die dr. Jörn Günther rare<br />
Books AG behält ihren sitz in stalden.<br />
Hans Hammerstein †<br />
Am 29. dezember 2011 ist der münchener Antiquar<br />
hans hammerstein im Alter von 78 Jahren<br />
verstorben. hans hammerstein, geboren am 24.<br />
Juli 1933, gründete sein <strong>als</strong> familienbetrieb geführtes<br />
Antiquariat in der türkenstraße 37<br />
(maxvorstadt) im Jahr 1968. die schwerpunkte<br />
<strong>des</strong> Angebots liegen bei Zeitschriften wie »simplicissimus«<br />
und »Jugend« sowie bei Kunst und<br />
literatur der 19. und 20. Jahrhunderts. eine<br />
charakterisierung <strong>des</strong> Antiquars bietet carlheinz<br />
schellenberg in ›streifzüge in folio –<br />
münchens Antiquariate aus persönlicher sicht‹<br />
(AdA 8/1972, A 331 f.): »Bleiben sie auf der<br />
türkenstraße, und versuchen sie ihr Glück bei<br />
hammerstein. Vormittags ist der laden geschlossen,<br />
und nachmittags hängt oft der trügerische<br />
Zettel ›Komme gleich‹ an der tür. hans<br />
hammerstein ist kein Antiquar, aber die Bücher<br />
sind sein leben, kein Geschäftsmann, aber nur<br />
Geld kann ihn in den laden locken, den seine<br />
frau geduldig hütet. nur mit langmut können<br />
sie bei hammerstein kaufen, denn er hat die<br />
unpünktlichkeit zur regel gemacht und zur
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 Allgemeines<br />
tugend erniedrigt. Wenn sie ihn vor die flinte,<br />
das heißt vor die Brieftasche bekommen, lassen<br />
sie sich weder von seinen bayrischen trachten<br />
und redensarten noch von seinem Knoblauchatem<br />
schrecken. Wenn sie ihn zum lachen<br />
bringen, haben sie gewonnen, und er rückt heraus,<br />
was er hat, und beschafft ihnen, was er<br />
nicht hat. Alte Bücher interessieren ihn nicht,<br />
aber er hat moderne luxusdrucke von schönster<br />
erhaltung, erotika, moderne Graphik und seit<br />
letztem eine Kollektion von frühen Ansichtskarten,<br />
die sensationell ist. das sind nicht die<br />
üblichen Kitschkarten – die hat er auch die menge<br />
und in teilweise hinreißenden exemplaren –,<br />
es sind herrliche Karten der ›Wiener Werkstätte‹<br />
von allen Künstlern der damaligen Zeit:<br />
Kokoschka, mela Köhler und fritzi löw. er hat<br />
auch die drei berühmten Bergkarikaturen von<br />
nolde, die mit hansen signiert sind.«<br />
Werner Greve 1952–2011<br />
Als ich Werner Greve mitte der 1990er Jahre<br />
kennenlernte, war ich noch teilhaber in einem<br />
Berliner Auktionshaus. er begann seine tätigkeit<br />
<strong>als</strong> Antiquar im Geschäft eines der anderen<br />
teilhaber, nachdem er seinen Beruf <strong>als</strong> lehrer an<br />
einer neuköllner Grundschule an den nagel gehängt<br />
hatte. über die Zeit <strong>als</strong> lehrer sprach er<br />
wenig, aber der neuanfang muss eine erlösung<br />
für ihn gewesen sein. innerhalb kürzester Zeit<br />
hatte er sich in das neue metier eingearbeitet<br />
und lernte die niederungen und höhen <strong>des</strong> allgemeinen<br />
Antiquariats kennen. und nebenher<br />
baute er sich ein eigenes Antiquariat mit dem<br />
schwerpunkt musik auf, ein spezialgebiet, in<br />
dem er unbestreitbar eine Koryphäe war, was<br />
auch seine Kataloge bewiesen. einer der höhepunkte<br />
war im Jahr 2000 sein Katalog zum thema<br />
tanz, in dem er eine umfassende sammlung<br />
zu diesem thema anbieten konnte, die mehr<br />
oder weniger alle wichtigen Werke enthielt.<br />
Als ich zum Jahr 2000 das Auktionshaus verließ,<br />
wurde Werner mein nachfolger und ich<br />
muss neidlos anerkennen, dass er meine Arbeit<br />
besser fortsetzte, <strong>als</strong> ich es je gekonnt hätte. Von<br />
Anfang an stieg er mit größter energie in das<br />
Geschäft ein, denn er erkannte, dass der erfolg<br />
eines Auktionshauses von der Akquise abhängig<br />
ist. dieser Arbeit widmete er sich mit voller<br />
Kraft, teils bis zum rand der erschöpfung. Wieder<br />
und wieder telefonierte er den Büchern hinterher<br />
und fuhr kreuz und quer durch das land.<br />
so machte das Auktionshaus mit ihm und durch<br />
ihn einen großen schritt nach vorn und stieg in<br />
die spitzengruppe der <strong>deutschen</strong> Auktionshäuser<br />
auf, was bei anderen häusern durchaus unruhe<br />
auszulösen schien. Wenn Werner etwas anpackte,<br />
machte er es mit aller energie und konnte<br />
dabei hart sein – gegen sich und andere. Auch<br />
im messegeschehen ist eine Veränderung auf ihn<br />
zurückzuführen. über viele Jahre war es üblich,<br />
zur messeeröffnung so genannte läufer an den<br />
start zu schicken, um die ersehnten oder möglicherweise<br />
zu billigen Objekte zu erkämpfen.<br />
Bei Werner wurde das so straff organisiert, dass<br />
es beinahe kriegerischen charakter angenommen<br />
hatte. das resultat war, dass heute nicht<br />
mehr gelaufen, sondern gelost wird.<br />
Obwohl Werner seine ellbogen zu benutzen<br />
wusste, war er keineswegs skrupellos, das Geschäft<br />
rechtfertigte nicht je<strong>des</strong> mittel. nur mit<br />
Angebern und Bluffern hatte er kein mitleid,<br />
lieber wurde im Kreise der mitarbeiter auch oft<br />
und herzhaft gelacht, denn er war sich im Klaren,<br />
dass ihm andere den rücken freihalten<br />
mussten. und dazu führte Werner im hintergrund<br />
noch das eigene, überaus renommierte<br />
musikantiquariat. spurlos gingen die Jahre aber<br />
an ihm nicht vorbei, manchmal schien er wie eine<br />
Kerze, die an beiden enden brennt. es<br />
zeigten sich erschöpfungszustände, herzbeschwerden,<br />
unruhe. Vielleicht war das Auktionshaus<br />
für ihn auch ein durchlauferhitzer, und<br />
er trat seinen Anteil 2005 ab.<br />
die Zeit nach dem stress im Auktionshaus<br />
wollte er ruhiger angehen und sich mehr den<br />
Annehmlichkeiten <strong>des</strong> lebens widmen, so <strong>als</strong><br />
ob er geahnt hätte, dass ihm nicht mehr viel Zeit<br />
bliebe. sein Antiquariat führe er nun von zu<br />
hause, dies aber nicht weniger ambitioniert.<br />
57
Allgemeines | impressum<br />
58<br />
nebenbei baute er sich einen neuen Absatzmarkt<br />
über ebay auf. Auch dort gehörte er zu<br />
den wenigen wirklich erfolgreichen Anbietern,<br />
und es hat seinem renommee in keiner Weise<br />
geschadet. stolz war er, <strong>als</strong> er ein repräsentatives<br />
Geschenk für eine amerikanische Außenministerin<br />
vermitteln konnte und auch das Geschenk<br />
für den Papst bei seinem Besuch wurde über ihn<br />
organisiert. Größere Ankäufe organisierte er oft<br />
zusammen mit Kollegen, um sein Geschäft nicht<br />
mit Objekten außerhalb seines spezialgebiets zu<br />
belasten. ein fairer Partner war er immer, ihm<br />
konnte man die Bewertung auch von seltenen<br />
musiktiteln vorbehaltlos überlassen.<br />
dann aber zeigte sich, dass die Ärzte seine<br />
erschöpfung nicht richtig diagnostiziert hatten.<br />
es war keine herz-, sondern eine seltene Autoimmunschwäche,<br />
die ihm die lebenskraft<br />
raubte. Zuletzt war er mehrm<strong>als</strong> in der Woche<br />
zur dialyse im Krankenhaus, wollte kaum noch<br />
unter menschen sein und wurde aufopferungsvoll<br />
von seiner familie gepflegt; eine notwendige<br />
nierentransplantation war nicht möglich.<br />
und trotz alledem machte er noch weiter Kataloge<br />
und betrieb sein Geschäft – hoffnungsvoll,<br />
dass es doch noch einmal besser werden könnte.<br />
er war noch auf der Beerdigung eines väterlichen<br />
mentors und förderers aus der stiftung<br />
Preußischer Kulturbesitz, dann verstarb er am 9.<br />
dezember 2011 in Berlin, 59 Jahre alt.<br />
und so haben wir mit Werner Greve einen<br />
großartigen Kollegen verloren, der wie wenige<br />
erfolgreich und integer war. das Antiquariat<br />
wird nicht weitergeführt, es verschwindet. spurlos<br />
sicher nicht, es bleiben ja gedruckte Kataloge<br />
<strong>als</strong> dokumentation geleisteter Arbeit.<br />
Herbert Meinke<br />
Aus dem Inhalt der<br />
kommenden Hefte:<br />
● die huths. Bibliophilie <strong>als</strong> familien geschichte<br />
(carsten scholz)<br />
● ein exlibris <strong>als</strong> Kunstwerk – eine spur im<br />
leben harry Graf Kesslers. (sabine müller-<br />
Wirth)<br />
● der Verein der <strong>deutschen</strong> Antiquariats-<br />
und export-Buchhändler e. V. (1918–1942)<br />
(torsten sander)<br />
● fredy und darbi. Zum 100. Geburtstag von<br />
Anthony Buckeridge (martin hollender)<br />
Das nächste Heft von ›Aus dem Antiquariat‹<br />
erscheint am 27. April 2012.<br />
issn 0343-186X<br />
›Aus dem Antiquariat. Zeitschrift für<br />
Antiquare und Büchersammler.‹<br />
Begründet 1948. erscheint fünfmal im<br />
Jahr (doppelnummer im Juni).<br />
›Aus dem Antiquariat‹ wird auch an alle mitglieder der<br />
maximilian-Gesellschaft e. V. für alte und neue Buchkunst<br />
verteilt.<br />
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft Antiquariat im<br />
Börsenverein <strong>des</strong> <strong>deutschen</strong> Buchhandels e. V.<br />
Verlag: mVB marketing- und Verlagsservice <strong>des</strong> Buchhandels<br />
Gmbh, Braubachstraße 16, 60311 frankfurt am<br />
main<br />
Geschäftsführung: ronald schild<br />
Verlagsleitung: dr. torsten casimir<br />
Redaktion: dr. Björn Biester (verantwortlich),<br />
tel. 069/1306-469, fax -394, b.biester@mvb-online.de<br />
Kalender: marion hanke, hamburg,<br />
mail@hanke-altedrucke.de<br />
Layout: carolin Kastner, Offenbach am main,<br />
www.carolinkastner.de<br />
Druck: Pr rachfahl druck Gmbh, lärchenstraße 3,<br />
61118 Bad Vilbel<br />
Bezugsbedingungen (www.mvb-online.de/ada):<br />
Preis pro Jahr eur 109 (Ausland zzgl. Porto). Auszubildende<br />
und studierende eur 32. für <strong>Börsenblatt</strong>-<br />
Bezieher eur 69 (Ausland zzgl. Porto) – einzelheft:<br />
eur 22,50<br />
Manuskripte: für unverlangt eingesandte manuskripte<br />
kann keine Gewähr übernommen werden. der redaktion<br />
bleibt vorbehalten, Beiträge zu kürzen oder zu überarbeiten.<br />
– leserzuschriften sind der redaktion willkommen,<br />
sie behält sich jedoch vor, sie gekürzt wiederzugeben.
Aus dem Antiquariat nf 10 (2012) nr. 1 termine<br />
Messen<br />
10. Salon Europeen du Livre Ancien |<br />
3. und 4. März 2012<br />
Koifhus-Ancienne douane, colmar, www.<strong>als</strong>atica.eu<br />
Edinburgh Book Fair | 9. und 10. März 2012<br />
radisson Blu hotel, royal mile,<br />
www.edinburghbookfair.org<br />
18. Leipziger Antiquariatsmesse | 15. bis 18. März 2012<br />
leipziger Buchmesse, neues messegelände (halle 3)<br />
www.abooks.de, www.leipziger-buchmesse.de<br />
XXIII Mostra del Libro Antico | 16. bis 18 März 2012<br />
Palazzo della Permanente, mailand,<br />
www.mostradellibroantico.it<br />
TEFAF Maastricht | 16. bis 25. März 2012<br />
mecc, forum 100, www.tefaf.com<br />
Kyoto International Antiquarian Book Fair |<br />
23. bis 25. März 2012<br />
miyako messe (Kyoto international exhibition hall),<br />
www.abaj.gr.jp<br />
52. New York International Antiquarian Book Fair |<br />
12. bis 15. April 2012<br />
the Park Avenue Armory,<br />
www.abaa.org, www.sanfordsmith.com<br />
Salon International du Livre Ancien |<br />
27. bis 29. April 2012<br />
Grand Palais, Paris, www.salondulivreancienparis.fr<br />
Barcelona International Antiquarian Book Fair |<br />
10. bis 12. Mai 2012<br />
casa Batlló, www.barcelonabookfair.com<br />
3. Berliner Antiquariatstag | 20. Mai 2012<br />
hotel ellington, nürnberger straße 50–55,<br />
www.abooks.de<br />
55. London Antiquarian Book Fair |<br />
24. bis 26. Mai 2012<br />
national hall at Olympia, www.olympiabookfair.com<br />
Auktionen<br />
Falk + Falk | 10. März 2012<br />
Bücher, Grafik, Gemälde – falk + falk, Zürich,<br />
www.falkbooks.ch<br />
Dorotheum | 12. März 2012<br />
Bücher und dekorative Grafik – dorotheum, Wien,<br />
www.dorotheum.com<br />
Sächsisches Auktionshaus | 17. März 2012<br />
Bücher und Kunst – sächsisches Auktionshaus &<br />
Antiquariat, leipzig, www.antiquariat-wend.de<br />
Venator & Hanstein | 23. und 24. März 2012<br />
Bücher, Autographen, Grafik – Venator &<br />
hanstein, Köln, www.venator-hanstein.de<br />
Jeschke van Vliet | 24. März 2012<br />
Alexandre dumas-sondersammlung – Jeschke van<br />
Vliet, Berlin, www.jvv-berlin.de<br />
Koller | 30. und 31. März 2012<br />
Alte Grafik und Zeichnungen; Bücher und Autographen<br />
– Koller, Zürich, www.kollerauktionen.ch<br />
Koller | 2. April 2012<br />
sammlung nessi (wissenschaftliche instrumente,<br />
Gerätschaften und Bücher) – Koller, Zürich,<br />
www.kollerauktionen.ch<br />
Kiefer | 20. und 21. April 2012<br />
Bücher und Grafik – Peter Kiefer, Pforzheim,<br />
www.kiefer.de<br />
Bassenge | 18. bis 21. April 2012<br />
Bücher, Grafik, Autographen; historische Plakate;<br />
sonderkatalog emil rudolf Weiss – Galerie Bassenge,<br />
Berlin, www.bassenge.com<br />
Reiss & Sohn | 2. bis 5. Mai 2012<br />
Bücher, handschriften; Geographie, reisen, Atlanten,<br />
landkarten, stadtansichen; Alte und neue Kunst –<br />
reiss & sohn, Königstein i. ts., www.reiss-sohn.de<br />
Hartung & Hartung | 7. bis 9. Mai 2012<br />
manuskripte, Bücher, Autographen, Grafik –<br />
hartung & hartung, münchen,<br />
www.hartung-hartung.com<br />
Zisska & Schauer | 9. bis 11. Mai 2012<br />
Bücher, handschriften, Autographen, stadt ansichten<br />
und dekorative Grafik – Zisska & s chauer, münchen,<br />
www.zisska.de<br />
Schramm | 12. Mai 2012<br />
Bücher, Autographen, Grafik und Kunst – schramm,<br />
Kiel, www.antiquariat-schramm.de<br />
Winterberg | 12. Mai 2012<br />
Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Grafik –<br />
Winterberg Kunst, heidelberg,<br />
www.winterberg-kunst.de<br />
Jeschke van Vliet | 18. Mai 2012<br />
Bücher – Jeschke van Vliet, Berlin, www.jvv-berlin.de<br />
Hesse | 19. Mai 2012<br />
Bücher, Autographen, Grafik – christian hesse,<br />
hamburg, www.hesse-auktionen.de<br />
Ketterer | 21. und 22. Mai 2012<br />
Bücher, manuskripte, Autographen, Grafik,<br />
maritime und norddeutsche Kunst – Ketterer Kunst,<br />
hamburg, www.kettererkunst.de<br />
Hauswedell & Nolte | 22. und 23. Mai 2012<br />
Bücher und Autographen – hauswedell & nolte,<br />
hamburg, www.hauswedell-nolte.de<br />
Hauff und Auvermann | 30. Mai bis 2. Juni 2012<br />
Bücher, Autographen, Grafik,<br />
www.buchauktionen-berlin.de<br />
Schneider-Henn | 14. und 15. Juni 2012<br />
Kunstliteratur, Kunst, fotografie – dietrich<br />
schneider-henn, münchen, www.schneider-henn.de<br />
Galerie Kornfeld | 14. und 15. Juni 2012<br />
Kunst; Grafik und handzeichnungen alter meister<br />
vom 15. bis 18. Jahrhundert – Galerie Kornfeld, Bern,<br />
www.kornfeld.ch<br />
59
termine<br />
60<br />
Klittich-Pfankuch | 21. und 23. Juni 2012<br />
landkarten, Künstlergrafik, Orts- und lan<strong>des</strong>kunde,<br />
wertvolle Bücher, schach u. a. – Klittich-Pfankuch,<br />
Braunschweig, www.klittich-pfankuch.de<br />
Ausstellungen<br />
Aschaffenburg<br />
reiselust und sinnesfreude – corinth –<br />
liebermann – slevogt (bis 9. April 2012).<br />
Kunsthalle Jesuitenkirche<br />
Augsburg<br />
Kann der mensch durch erziehung verbessert<br />
werden? französische erziehungsschriften <strong>des</strong><br />
18. Jahrhunderts (bis 31. märz). Zentralbibliothek<br />
Bamberg<br />
sprache unterwegs. Verständigung auf reisen<br />
1500–1800 (bis 3. märz 2012). staatsbibliothek<br />
Bergisch Gladbach<br />
Guck mal! Bilderbücher vom struwwelpeter bis<br />
zum Grüffelo (bis 12. August 2012).<br />
lVr-industriemuseum<br />
Berlin<br />
100 Jahre max frisch (bis 11. märz 2012).<br />
Akademie der Künste<br />
Walt disneys große Zeichner – Gottfredson,<br />
t aliaferro, Barks (bis 11. märz 2012). schloss Britz<br />
Chemnitz<br />
Otto dix in chemnitz (bis 15. April 2012).<br />
Kunstsammlungen – museum Gunzenhauser<br />
Cologny (Genf)<br />
c. G. Jung. le rouge et le noir (bis 25. märz 2012).<br />
fondation martin Bodmer<br />
Frankfurt am Main<br />
tomi ungerer – satyricon. das satirisch-komische<br />
Werk (bis 18. märz 2012). caricatura museum<br />
Kreise der Poesie. handschriften von friedrich<br />
schlegel aus der sammlung lieber (bis 4. märz<br />
2012). Goethe-haus<br />
tierhelden im Kinderbuch. eine tierische Zeitreise<br />
(bis 25. märz 2012). struwwelpeter museum<br />
Hamburg<br />
architectura. Werke zur Architektur aus den sammlungen<br />
der christian-Albrechts-universität Kiel<br />
(bis 11. märz 2012). staatsbibliothek<br />
Heidelberg<br />
Kunst auf Papier. druckgraphik von Albrecht dürer<br />
bis max ernst (bis 22. April 2012).<br />
Kurpfälzisches museum<br />
Götterbilder und Götzendiener in der frühen<br />
neuzeit – europas Blick auf fremde religionen<br />
(29. februar bis 25. november 2012).<br />
universitätsbibliothek<br />
Köln<br />
die entfesselte Antike. Aby Warburg und die<br />
Geburt der Pathosformel (2. märz bis 28. mai 2012).<br />
Wallraf-richartz-museum<br />
Artisten der linie. hendrick Goltzius und die Kunst<br />
der Graphik um 1600 (16. märz bis 10. Juni 2012).<br />
Wallraf-richartz-museum<br />
Leipzig<br />
ns-raubgut in der universitätsbibliothek leipzig<br />
(bis 18. märz 2012). universitätsbibliothek<br />
Mainz<br />
Arbeitsprobe ii (bis 6. April 2012).<br />
Gutenberg-museum (druckladen)<br />
moving types – lettern in Bewegung<br />
(bis 22. April 2012). Gutenberg-museum<br />
On-tYPe: texte zur typografie (bis 6. mai 2012).<br />
Gutenberg-museum<br />
München<br />
Vom ABc bis zur Apokalypse – leben, Glauben<br />
und sterben in spätmittelalterlichen Blockbüchern<br />
(17. februar bis 6. mai 2012). Bayerische staatsbibliothek<br />
Offenbach am Main<br />
Virulent. Aufrühren in Wort und Bezeichnung.<br />
hartmut Andryczuk (24. februar bis 8. April 2012).<br />
Klingspor museum<br />
märchenhaft: rotkäppchen und andere ungeheuer -<br />
lichkeiten (24. februar bis 8. April 2012).<br />
Klingspor museum<br />
St. Gallen<br />
der heilige Gallus 612 | 2012. leben – legende<br />
– Kult (bis 11. november 2012). stiftsbibliothek<br />
Stuttgart<br />
tobias mayer 1723-1762. mathematiker, Kartograph<br />
und Astronom der Aufklärungszeit (29. februar bis<br />
14. April 2012). Württembergische lan<strong>des</strong>bibliothek<br />
das Augsburger Geschlechterbuch – Wappenpracht<br />
und figurenkunst (3. märz bis 24. Juni 2012). staatsgalerie<br />
Troisdorf<br />
das Janosch-universum. Janosch zum 80. Geburtstag<br />
(bis 4. märz 2012). Burg Wissem Bilderbuchmuseum<br />
Weimar<br />
reise in die Bücherwelt. drucke der herzogin<br />
Anna Amalia Bibliothek aus sieben Jahrhunderten<br />
(bis 11. märz 2012). herzogin Anna Amalia<br />
Bibliothek<br />
Wien<br />
lesespuren – spurenlesen oder Wie kommt die<br />
handschrift ins Buch? (bis. 29. februar 2012).<br />
Wienbibliothek im rathaus<br />
Wolfenbüttel<br />
»verklingend und ewig« – tausend Jahre musikgedächtnis<br />
800–1800 (bis 26. februar 2012).<br />
herzog August Bibliothek<br />
Wolfsburg<br />
henri cartier-Bresson. die Geometrie <strong>des</strong> Augenblicks<br />
»landschaften« (bis 13. mai 2012).<br />
Kunstmuseum
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antiquariat<br />
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Telefon: +49 (0)69 1306-550<br />
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