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„Mehr Himmel im Norden“ - handfest-online.de

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08 Porträt<br />

<strong>„Mehr</strong><br />

<strong>H<strong>im</strong>mel</strong> <strong>im</strong><br />

<strong>Nor<strong>de</strong>n“</strong><br />

Maren Kuchta ist ständig auf <strong>de</strong>r Suche nach<br />

Leuten und Gesichtern. Die selbstständige<br />

Modisten-Meisterin entwirft und fertigt Hüte,<br />

Mützen und Kappen. Die erfolgreiche<br />

Globetrotterin lebt heute in Glückstadt in <strong>de</strong>r<br />

Nähe <strong>de</strong>r Weltstadt Hamburg und stellt ihre<br />

eigenen Hutkreationen in ganz Deutschland<br />

aus. <strong>handfest</strong>-Redakteur Dieter Müller hat<br />

sich mit ihr unterhalten.<br />

<strong>handfest</strong>: Karlsruhe, Stuttgart, Luxemburg, Aachen, Hamburg -<br />

du bist viel rumgekommen: Wo fühlst du dich zu Hause?<br />

Maren Kuchta: Da, wo ich jetzt wohne: Glückstadt - wie <strong>de</strong>r Name<br />

schon sagt! Ich wohne direkt am Hafen, Blick auf die Elbe. Die Nähe<br />

zu Hamburg tut mir gut. Denn ich muss viel mitkriegen, muss<br />

schnüffeln - nach Materialien, Leuten, Gesichtern, Lä<strong>de</strong>n.<br />

Was ist <strong>de</strong>r Unterschied zwischen <strong>de</strong>m Sü<strong>de</strong>n, wo du geboren<br />

bist, und <strong>de</strong>m Nor<strong>de</strong>n, wo du jetzt lebst?<br />

Im Nor<strong>de</strong>n ist alles weiter: mehr Luft, mehr Winter, mehr Sonne,<br />

mehr <strong>H<strong>im</strong>mel</strong>. Im Sü<strong>de</strong>n fin<strong>de</strong> ich es zwar landschaftlich niedlich,<br />

aber alles ist so furchtbar zersie<strong>de</strong>lt. Dagegen kannst du <strong>im</strong> Nor<strong>de</strong>n<br />

kilometerweit fahren und alles, was du siehst, ist <strong>H<strong>im</strong>mel</strong> - und<br />

Natur.<br />

Wo holst du dir I<strong>de</strong>en für neue Hüte? Blätterst du zum Beispiel<br />

oft in Mo<strong>de</strong>zeitschriften?<br />

Klar. Ich orientiere mich an <strong>de</strong>r aktuellen Mo<strong>de</strong>, beobachte <strong>de</strong>n<br />

Trend. Aber ich nehme nur das auf, was mir gefällt - das meiste<br />

fin<strong>de</strong> ich eher albern. Mich interessieren mehr die Menschen und<br />

<strong>de</strong>ren Gesichter – <strong>de</strong>nn ich will einen persönlichen Stil schaffen.<br />

Trägst du eigentlich selbst Hut?<br />

Ich trage, was ich gut fin<strong>de</strong>. Eine Schildmütze und eine Kappe aus<br />

Strohborten sind meine <strong>de</strong>rzeitigen Favoriten.<br />

Was braucht man, um eine gute Modistin zu sein?<br />

Zuerst Phantasie. Es geht aber nicht darum, etwas noch<br />

Verrückteres zu machen, son<strong>de</strong>rn darum, etwas für <strong>de</strong>n Menschen<br />

zu entwerfen. Einfühlungsvermögen und Menschenkenntnis sind<br />

wichtige Eigenschaften. Denn Menschen und Gesichter verwan<strong>de</strong>ln<br />

sich, wenn sie Hut tragen. Außer<strong>de</strong>m muss eine gute Modistin fleißig<br />

sein.<br />

„Glückstadt – wie <strong>de</strong>r Name schon sagt“:<br />

Maren Kuchta (27) ist in Karlsruhe geboren,<br />

hat in Stuttgart Modistin gelernt und ihre<br />

bei<strong>de</strong>n Titel „Betriebsassistentin <strong>im</strong><br />

Handwerk“ sowie „Meister“ draufgesetzt, in<br />

Luxemburg gearbeitet und in Aachen studiert.<br />

1997 hat sie <strong>de</strong>n Titel „Beste Modistin<br />

Deutschlands“ gewonnen – heute ist sie<br />

selbstständig.<br />

Informationen:<br />

Maren Kuchta, Telefon 04124/609212


Wie ein Hut entsteht<br />

Das Ausgangsmaterial, beispielsweise Filz,<br />

wird durch Wasserdampf weich und mo<strong>de</strong>llierbar<br />

gemacht. Danach wird <strong>de</strong>r Filz über eine<br />

Form aus Holz o<strong>de</strong>r Kunststoff gezogen und<br />

In Stuttgart hast du Modistin gelernt – wie hast du <strong>de</strong>n passen<strong>de</strong>n<br />

Ausbildungsbetrieb gefun<strong>de</strong>n?<br />

Schon vor <strong>de</strong>m Abitur habe ich die Innungen gelöchert, um an<br />

Betriebe heranzukommen, die Modisten ausbil<strong>de</strong>n. Einer davon war<br />

„Pfaff Damenhüte“ in Stuttgart-Vaihingen, ein alteingesessener<br />

Familienbetrieb, <strong>de</strong>r heute lei<strong>de</strong>r nicht mehr existiert. Dort habe<br />

ich mich sehr wohl gefühlt und viel gelernt bei Barbara Mouratidi<br />

und Marga Kolb, zwei Meisterinnen mit großen Herzen. Ich durfte<br />

bei ihnen viel ausprobieren, und sie haben mich dabei unterstützt.<br />

Wolltest du <strong>de</strong>shalb Modistin wer<strong>de</strong>n?<br />

Ja, <strong>de</strong>n Beruf wollte ich unbedingt lernen. Warum, weiß ich bis<br />

heute nicht so genau. Vielleicht, weil ich oft <strong>im</strong> Theater war und<br />

mich als Kind schon <strong>im</strong>mer gerne verklei<strong>de</strong>t habe, also <strong>im</strong>mer was<br />

mit Hüten zu tun hatte.<br />

Nach <strong>de</strong>iner Ausbildung hast du eine Stelle in Luxemburg<br />

angenommen – warum so weit weg?<br />

Ich wollte einfach etwas ganz Neues. Ich habe in Trier gewohnt und<br />

in Luxemburg-Stadt gearbeitet. Ich war zwar pro Tag insgesamt drei<br />

Stun<strong>de</strong>n unterwegs – das war nervig, aber auch schön, <strong>de</strong>nn ich<br />

habe viele interessante Leute kennen gelernt.<br />

Was war an<strong>de</strong>rs in Luxemburg?<br />

Der Stil dort ist stärker auf Feste ausgerichtet. Man trägt schon mal<br />

eine rosafarbene Pracht auf <strong>de</strong>m Kopf - Schauteile, die ich in<br />

Deutschland so nicht machen wür<strong>de</strong>. Auch sprachlich war das eine<br />

Herausfor<strong>de</strong>rung: Im La<strong>de</strong>n habe ich mal französisch, dann wie<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utsch gesprochen. Alles war internationaler und irgendwann gar<br />

nicht mehr fremd.<br />

Wieso bist du nicht da geblieben?<br />

Weil mein Chef von mir eine Entscheidung verlangte, die mich für<br />

min<strong>de</strong>stens drei Jahre an <strong>de</strong>n Betrieb gebun<strong>de</strong>n hätte. Aber das war<br />

eine Zeitspanne, für die ich mich nicht festlegen wollte – das war<br />

mir zu weit weg. Also habe ich entschie<strong>de</strong>n: Ich mache noch mal<br />

etwas ganz an<strong>de</strong>res.<br />

Hast du <strong>de</strong>n Schritt bereut?<br />

Nein. Überhaupt nicht. Denn nun bin ich selbstständig...<br />

getrocknet. Der Rand wird in <strong>de</strong>r Hand mo<strong>de</strong>lliert.<br />

Nun besitzt <strong>de</strong>r Hut bereits seine endgültige<br />

Form. Die Oberfläche wird gebürstet,<br />

aufgeraut o<strong>de</strong>r glänzend gemacht. An<strong>de</strong>rs<br />

wer<strong>de</strong>n weichere Materialien wie Stoff, Le<strong>de</strong>r<br />

o<strong>de</strong>r Pelz behan<strong>de</strong>lt. Sie wer<strong>de</strong>n nach einem<br />

Muster zugeschnitten.<br />

Die vielfältigsten Garnituren sind <strong>de</strong>nkbar:<br />

<strong>de</strong>r Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.<br />

...und kannst über <strong>de</strong>ine Zeit selbst best<strong>im</strong>men.<br />

Nicht ganz. Denn in gewisser Weise bin auch ich fremdbest<strong>im</strong>mt,<br />

weil die Saison nun mal <strong>im</strong> Herbst und Winter verläuft.<br />

Klingt nach sehr viel Arbeit - hast du in <strong>de</strong>r Saison auch mal<br />

ein Wochenen<strong>de</strong> frei?<br />

Von September bis Dezember kaum, das ist Saison, während dieser<br />

Zeit bin ich an je<strong>de</strong>m Wochenen<strong>de</strong> unterwegs. Aber ab Januar freue<br />

ich mich auf je<strong>de</strong>n Freitag, an <strong>de</strong>m ich nicht alle meine Hüte einpacken<br />

muss, um zu einer Ausstellung zu fahren.<br />

Wie lange hat es gedauert, bis du selbstständig warst?<br />

Das kam ja eher so über mich, ich habe interessehalber einfach mal<br />

einen ganzen Tag lang nur rumtelefoniert. Nichts an<strong>de</strong>res. Ich habe<br />

alle Adressen angezapft, von <strong>de</strong>nen ich mir was erhoffte – und<br />

nachher war mein Terminkalen<strong>de</strong>r voll. Ich war plötzlich ausgebucht<br />

– unglaublich.<br />

Welchen Zauberspruch hast du <strong>de</strong>nn am Telefon erzählt?<br />

Ich hab’ nach Ausstellungsmöglichkeiten gefragt – und alle haben<br />

sehr positiv reagiert. Ich hatte plötzlich Ausstellungen in<br />

Hamburg, Kiel, Flensburg, Jülich, Frankfurt – über Nacht war ich<br />

selbstständig.<br />

Entwirfst du Luxus- o<strong>de</strong>r Gebrauchsgegenstän<strong>de</strong>?<br />

Bei<strong>de</strong>s. Ein Hut ist ein praktisches Kleidungsstück. Er schützt vor<br />

Sonnenstich und Umwelteinflüssen aller Art. Und wenn man weiß,<br />

dass 90% <strong>de</strong>r Körperwärme über <strong>de</strong>n Kopf verloren geht, wird klar:<br />

Ein Hut bietet viele Vorteile.<br />

Das hört sich alles so an, als hättest du <strong>de</strong>in Hobby zum Beruf<br />

gemacht.<br />

Nein, Hobby war es nie - es war <strong>im</strong>mer mein Beruf. Aber trotz<strong>de</strong>m:<br />

Ich habe einen Beruf, <strong>de</strong>r mir total viel Spaß bringt und seinen<br />

Charme auch <strong>im</strong> Alltag nicht verliert.<br />

INFOS<br />

Bun<strong>de</strong>sinnungsverband für das Modistenhandwerk<br />

Klosterstraße 73-75 | 40211 Düsseldorf | Telefon: 0211/3670739<br />

karola.schroe<strong>de</strong>rs@kh-duesseldorf.<strong>de</strong> | www.das-starke-handwerk.<strong>de</strong><br />

09


10 Porträt<br />

„Ich habe<br />

einen<br />

Beruf, <strong>de</strong>r<br />

mir total<br />

viel Spaß<br />

bringt und<br />

seinen<br />

Charme<br />

auch<br />

<strong>im</strong> Alltag<br />

nicht<br />

verliert.“<br />

Maren Kuchta (27), Modistin<br />

Modisten<br />

... entwerfen, fertigen und än<strong>de</strong>rn Hüte, Mützen Kappen,<br />

Brautgestecke, Brautschleier aus Kunstblumen, Fe<strong>de</strong>rn und an<strong>de</strong>ren<br />

Materialien<br />

... bügeln, nähen, kleben und sticken<br />

... verarbeiten Filz, Stroh, Pelz, Le<strong>de</strong>r und Stoffe<br />

... beraten Kun<strong>de</strong>n<br />

... arbeiten mit Dampfapparat, Nähmaschine, Na<strong>de</strong>l und Fa<strong>de</strong>n,<br />

Hutweiter, Trockenapparat, Bügeleisen und Schere<br />

... wählen Schnittmuster für Hüte, Mützen, Kappen aus<br />

... nehmen Aufträge entgegen<br />

... vere<strong>de</strong>ln Oberflächen durch Appretieren, Aufrauhen o<strong>de</strong>r<br />

Lystrieren (Glanzbürsten)<br />

... arbeiten als Hutfachverkäufer, als Theatermodisten in<br />

Kostümabteilungen <strong>de</strong>r Theater- und Fernsehanstalten<br />

... besitzen Fortbildungsmöglichkeiten zum Modisten-Meister,<br />

Fachkaufmann für Handwerkswirtschaft, Betriebswirt <strong>im</strong><br />

Handwerk o<strong>de</strong>r Bekleidungstechniker

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