Beilager und Bettleite im Ostseeraum - Fibri
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1<br />
<strong>Beilager</strong> <strong>und</strong> <strong>Bettleite</strong> <strong>im</strong> <strong>Ostseeraum</strong> (13. bis 19. Jahrh<strong>und</strong>ert). Eine<br />
vergleichende Studie zum Wandel von Recht <strong>und</strong> Brauchtum der<br />
Eheschließung<br />
von<br />
Jörg Wettlaufer, Kiel<br />
I.<br />
Wir wolln euch nun laßen allein,<br />
wolt bey einander schlaffen fein.<br />
Gott der wird euch mit Gnad bewarn,<br />
Laßn euch nichts trawrigs widerfarn. 1<br />
Wenn man Beschreibungen von Eheschließungen <strong>im</strong> Spätmittelalter <strong>und</strong> der frühen Neuzeit<br />
aufmerksam liest, findet man besonders in Texten aus dem 15. <strong>und</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>im</strong>mer<br />
wieder Hinweise auf rechtliche Bräuche, die zur Begründung einer legit<strong>im</strong>en Ehe in dieser<br />
Zeit für notwendig erachtet wurden. 2 Vergleicht man nun eine größere Zahl dieser Quellen<br />
miteinander, stellt sich der Ablauf der Eheschließung als ein komplexes <strong>und</strong> regional<br />
unterschiedliches Muster von kirchlichen <strong>und</strong> weltlichen Rechtshandlungen dar, das sich<br />
nicht allein aus der kirchlichen Ehelehre erschließen läßt. Die Kirche versuchte mit Erfolg seit<br />
dem frühen Mittelalter, <strong>im</strong>mer stärkeren Einfluß auf das Ehe- <strong>und</strong> Eheschließungsrecht zu<br />
erlangen. Im Allgemeinen liest man zu dieser Problematik heute, daß die kirchliche<br />
Rechtsanschauung die weltliche <strong>im</strong> Laufe des Mittelalters verdrängt habe. 3 Dieser<br />
Verdrängungsprozeß, der vielleicht länger gedauert hat <strong>und</strong> weniger vollständig gewesen ist<br />
als der erste Blick verrät, scheint mir einer näheren Betrachtung wert zu sein. 4 Ich habe dafür<br />
den Rechtsbrauch der <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> des öffentlichen <strong>Beilager</strong>s gewählt, 5 weil man an dieser<br />
1 Tobiascomödie des G. Rollenhagen aus dem Jahre 1576 / Magdeburg, 2. Akt, 2. Szene, Zeile 1697-1700.<br />
2 Obwohl der Schwerpunkt dieser Untersuchung auf dem genannten Zeitraum liegt, werden die<br />
Entwicklungslinien der zu betrachtenden Rechtsbräuche z. T. bis in heidnische Zeit zurückverfolgt oder bis zum<br />
Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts in die Betrachtung miteinbezogen. Dieses Vorgehen erschien mir notwendig, um den<br />
sich wandelnden Charakter des Eheschließungsrechts <strong>im</strong> Kontext der gesamten Rechtsentwicklung zu<br />
verdeutlichen.<br />
3 Vgl. GAUDEMET 1987 S. 137 ff., der von einer exklusiven Autorität der Kirche in Eheangelegenheiten ab dem<br />
11. Jahrh<strong>und</strong>ert bis zur Enstehung der modernen Staaten <strong>im</strong> Westen ausgeht.<br />
4 Über die Gr<strong>und</strong>lagen der Wandlung des Eheschließungsrechts <strong>im</strong> Spätmittelalter veröffentlichte vor kurzem<br />
der Rechtshistoriker K. Michaelis eine Abhandlung über das abendländische Eherecht <strong>im</strong> Übergang vom späten<br />
Mittelalter zur Neuzeit. Michaelis gelangt in seinen Forschungen zu einer differenzierten Auffassung über den<br />
Einfluß des kirchlichen Eherechts <strong>im</strong> Spätmittelalter: "Es ist nicht zu bezweifeln, daß das kanonische Eherecht<br />
das weltliche verdrängt hat, aber nur in begrenztem Ausmaße, weil seine ihm innewohnenden Geltungsgrenzen<br />
früher oder später <strong>im</strong>mer wieder Bedeutung gewonnen haben." MICHAELIS 1989, S.108. Er regte zudem zwei<br />
Dissertationen zu diesem Thema an: Vgl. SCHWARZ 1959 <strong>und</strong> KUSCHFELDT 1987.<br />
5 Für das eigentliche Begleiten der Brautleute zum <strong>Beilager</strong> ist auch die Bezeichnungen <strong>Bettleite</strong> <strong>im</strong> deutschen<br />
Sprachgebrauch üblich. Als öffentliches oder rituelles <strong>Beilager</strong> bezeichne ich die Sitte, bei der sich das Paar in<br />
das Bett legte <strong>und</strong> über sie eine Decke geschlagen wurde. Unter Bettsetzung möchte ich ein feierliches
2<br />
eindringlichen Schlußzeremonie der Eheschließung erkennen kann, wie sich weltliches <strong>und</strong><br />
kirchliches Eheschließungsrecht in dem genannten Zeitraum gegenseitig beeinflussen <strong>und</strong><br />
welche außerordentliche Bedeutung dem öffentlichen <strong>Beilager</strong> lange Zeit für das eheliche<br />
Güterrecht zugemessen wurde. Bezeichnend für diese konkurrierende Rechtsformen sind auch<br />
unterschiedliche Rechtsstile. Das aus den Volksrechten herrührende symbolische,<br />
formgeb<strong>und</strong>ene Recht wurde von dem kanonischen Recht der Eheschließung, wie es<br />
schließlich auf dem Konzil von Trient vereinheitlicht wurde, überlagert <strong>und</strong> rationalisiert. So<br />
tritt uns am Ende des Mittelalters unter anderem in deutschen <strong>und</strong> skandinavischen Quellen<br />
eine von der Hochzeitsnacht getrennte, symbolisch abstrakte Rechtsform des <strong>Beilager</strong>s<br />
entgegen, die zwar wahrscheinlich nur einen Übergangszustand bedeutete, aber doch,<br />
zumindest in einigen Gebieten, typisch für die Praxis der Eheschließung vermögender<br />
sozialer Gruppen <strong>im</strong> 15. <strong>und</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert gewesen zu sein scheint.<br />
Ich möchte einige Bemerkungen zum heutigen Forschungsstand über den Ursprung <strong>und</strong> die<br />
Funktion dieses Rechtsbrauchs voranstellen <strong>und</strong> anschließend Quellen aus dem <strong>Ostseeraum</strong> in<br />
ein Modell der Transition des abendländischen Eherechts einfügen, das vor kurzem vor allem<br />
durch den Göttinger Rechtshistoriker Karl Michaelis <strong>und</strong> seine Schüler vertreten worden ist<br />
<strong>und</strong> meiner Meinung nach den fruchtbarsten Ansatz zum Verständnis des<br />
Eheschließungsrechts dieser Zeit bietet. 6 Im Vordergr<strong>und</strong> steht die Untersuchung der<br />
Verbreitung der <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> des <strong>Beilager</strong>s als Rechtshandlungen sowohl in chronologischer<br />
als auch geographischer Hinsicht. Bei der Quelleninterpretation finden vor allem<br />
rechtshistorische Aspekte Beachtung, allerdings wird auch häufiger auf die rechtlichvolksk<strong>und</strong>liche<br />
Brauchtumsforschung zurückgegriffen, wie sie z. B. von Dieter Dünninger<br />
1967 formuliert wurde. 7 Es werden in diesem Zusammenhang auch die<br />
zivilisationstheoretischen Studien von Michael Schröter zu berücksichtigen sein. 8<br />
Abschließend soll eine Skizze der Entwicklung von <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> rituellem <strong>Beilager</strong> <strong>im</strong><br />
<strong>Ostseeraum</strong> entworfen werden, in der vor allem die Frage nach der Funktion des<br />
symbolischen <strong>Beilager</strong>s <strong>und</strong> nach dem Gr<strong>und</strong> der Abschwächung <strong>und</strong> dem Verschwinden<br />
dieser Rechtsbräuche in der Neuzeit thematisiert werden soll. 9<br />
ritualisiertes Sitzen auf dem Bett mit umstehenden Zeugen verstehen. Das „nach Hause führen“ der Braut wird<br />
dementsprechend als He<strong>im</strong>leite oder He<strong>im</strong>führung bezeichnet <strong>und</strong> steht in enger chronologischer Beziehung<br />
zum <strong>Beilager</strong>.<br />
6<br />
MICHAELIS 1989, SCHWARZ 1959 <strong>und</strong> KUSCHFELDT 1987.<br />
7<br />
DÜNNINGER 1967, S. 1 ff.<br />
8<br />
SCHRÖTER 1990, 1991.<br />
9<br />
Dabei muß eine gewisse Sonderstellung des <strong>Ostseeraum</strong>s <strong>im</strong> Vergleich zu anderen Teilen des christlichen<br />
Europas beachtet werden. Zum einen fehlt dort die Wirkung der tridentinischen Reformen auf die<br />
Eheschließungsform, da Skandinavien in dem genannten Zeitraum schon reformiert war. Schweden nahm 1527<br />
die lutherische Lehre an, Dänemark folgte zehn Jahre später. Ebenso wurde Preußen 1525 lutherisch <strong>und</strong><br />
Pommern ca. eine Dekade später. Zum anderen bietet aber die späte Christianisierung einiger Gebiete die<br />
Chance, die Einwirkung des vorchristlichen, indogermanischen Eheschließungsbrauchtums auf die Entwicklung<br />
der Eheschließung in christlicher Zeit besonders gut greifen zu können. So hat sich z.B. die Brautübergabe in<br />
Schweden aufgr<strong>und</strong> der späten Christianisierung länger erhalten als in der südgermanischen Rechtsauffassung.<br />
CARLSSON 1965, S. 257. Pommern <strong>und</strong> die südliche Ostseeküste wurden erst bis ca. 1300 christianisiert. Das<br />
Baltikum sogar erst nach 1300.
3<br />
Der Übergang von der vorchristlichen zur christlichen Eheschließung <strong>im</strong><br />
<strong>Ostseeraum</strong>. 10<br />
Die heidnisch- germanische Eheschließung bei einer Munt- Ehe wird in der Rechtsgeschichte<br />
heute als ein komplexer Vorgang gesehen, der sich aus mehreren, rechtlich wesentlichen<br />
Teilakten zusammengesetzt hat; nämlich aus dem Sippenvertrag bzw. Verlobung, der<br />
förmlichen Übergabe der Braut 11 , der feierlichen He<strong>im</strong>führung oder Brautfahrt 12 , dem<br />
<strong>Beilager</strong> <strong>und</strong> schließlich der Morgengabe. 13 Zu den genannten Eheschließungsakten traten<br />
weitere Bräuche hinzu, die einen gewohnheitsrechtlichen Charakter hatten: der Zug des<br />
Bräutigams zum Brauthaus, das Trauungsbier <strong>und</strong> das Trinken anläßlich des Brautlaufs. 14<br />
He<strong>im</strong>führung <strong>und</strong> <strong>Beilager</strong> hatte in der Abfolge der Rechtshandlungen einen wichtigen<br />
Stellenwert. 15 Sie mußten bezeugbar sein, denn lange Zeit konnte nur die Öffentlichkeit der<br />
Sippe eine Garantiefunktion für die güterrechtlichen Konsequenzen bei der Eheschließung<br />
übernehmen. 16 Der Frau stand <strong>im</strong> altschwedischen Recht nach dem <strong>Beilager</strong> der dritte Teil<br />
10 Es kann an dieser Stelle nicht der Versuch unternommen werden, die gesamte Entwicklung des<br />
Eheschließungsrechts von der heidnischen Zeit bis in die Neuzeit für die verschiedenen Länder des <strong>Ostseeraum</strong>s<br />
nachzuverfolgen. Vielmehr soll <strong>im</strong> folgenden der sich unter dem Einfluß der Kirche wandelnde rechtliche<br />
Stellenwert <strong>und</strong> Charakter des öffentlichen <strong>Beilager</strong>s anhand bisher schon vorliegender Forschungsergebnisse in<br />
Beziehung zu verschiedenen andern Teilen des Eheschließungsvorgangs gesetzt werden. Vgl. hierzu<br />
zusammenfassend für die heidnische Eheschließung SCHULZE 1986, S. 480 ff. In vielen, z.T. entscheidenden<br />
Punkten ist diese Entwicklung jedoch noch nicht abschließend geklärt.<br />
11 Vgl. CARLSSON 1965 S. 255 mit einer Übersetzung des Uplandslagen (1296) <strong>und</strong> Magnus 1567, S. 378: [...]<br />
alsdann presentiert der Vatter sein Tochter dem Werber mit solchen Worten / Ich gib dir hiemit mein Tochter zu<br />
ehren / zu deinem Ehelichen Weib / auff mitten des Schlaffbeths / zu Thüren <strong>und</strong> schüsseln / zu allem dritten Gelt<br />
zu besitzen in fahrenden <strong>und</strong> ligenden Gütern / <strong>und</strong> zu aller gerechtigkeit [...] als Beweis der langen Tradition<br />
der Übergabeformel.<br />
12 CARLSSON 1965, S. 256.<br />
13 DÜNNINGER 1967, S. 299. SCHULZE 1986, S. 495 ff. CARLSSON 1965, S. 254 f. Dieser Ablauf gilt vor allem<br />
für die sog. Munt- Ehe oder dotierte Ehe, die als das Gr<strong>und</strong>modell einer rechten Ehe (matr<strong>im</strong>onium legit<strong>im</strong>um)<br />
von der Kirche angesehen wurde. Neuere Forschungen haben gezeigt, daß die sog. Friedelehe, die von Herbert<br />
Meyer noch als freie Ehe zwischen zwei gleichberechtigten Partnern gesehen wurde, in Wirklichkeit <strong>im</strong>mer eine<br />
minderrechtliche Verbindung eines freien Mannes mit einer meist sozial weniger gut gestellten Frau darstellte.<br />
Es ist festzustellen, daß diese minderrechtlichen Formen der germanischen Eheauffassung (Friedelehe) durch<br />
kirchlichen Einfluß zu Gunsten der Munt- Ehe <strong>im</strong> Laufe des Frühmittelalters zurückgedrängt wurden. Siehe<br />
EBEL 1993, S. 117 f. 172 f. Vgl. MEYER 1927. Für den Hinweis auf die Arbeit von E. Ebel <strong>und</strong> weitere<br />
wertvolle Anregungen danke ich meinem akad. Lehrer Prof. W. Paravicini, Paris.<br />
14 Vgl. FREISEN 1898, S. 148 Anm. 20 mit Verweis auf v. Amira; Nordgermanisches Obligationenrecht, 1882,<br />
Bd. 1, S. 534 ff. sowie zum Brautlauf HAGEMANN 1965, S. 185 ff.<br />
15 Man kann sagen, daß sich zumindest für den <strong>Ostseeraum</strong> die Auffassung L. Carlssons über die ursprünglich<br />
rechtliche Bedeutung des <strong>Beilager</strong>s auch schon zu heidnischer Zeit in der Forschung durchgesetzt zu haben<br />
scheint. Vgl. hierzu die Diskussion zwischen L. CARLSSON (1951 ff.) <strong>und</strong> R. HEMMER (1952 ff.) Siehe<br />
gr<strong>und</strong>legend auch FREISEN 1888, S. 103 ff. u. RODECK 1910, S. 37 ff. Vgl. Anm. 23.<br />
16 Vgl. SCHWARZ 1958, S. 8 <strong>und</strong> MICHAELIS 1989, S. 100 f. Bei der Beschreibung einer familienöffentlich<br />
geprägten Eheschließung in Moskau <strong>im</strong> 17. Jahrh<strong>und</strong>ert erfahren wir von Adam Olearius interessante<br />
Einzelheiten über die Abfolge von He<strong>im</strong>führung <strong>und</strong> <strong>Beilager</strong> <strong>und</strong> die Bedeutung der Sippenöffentlichkeit:<br />
Wann sie ins Hochzeit Haus kommen / welches bey dem Bräutigam ist / setzen sich die Gäste nebenst dem<br />
Bräutigam zu Tische / essen / trincken <strong>und</strong> machen sich lustig. Die Braut aber wird also bald abgekleidet bis<br />
aufs Hembde <strong>und</strong> ins bette geleget. Wann der Bräutigam angefangen zu essen / wird er auff <strong>und</strong> zur Braut<br />
gefordert. Vor ihme her gehen sechs oder acht Knaben mit brennenden Fackeln. Wann die Braut die Ankunft<br />
des Bräutigams vern<strong>im</strong>mpt / steht sie wieder auf / hängt einen mit Zobeln gefutterten Pelz um sich / <strong>und</strong><br />
empfängt ihren liebsten mit Haupt neigen; Die Knaben stecken die brennenden Fackeln in die obgedachte<br />
Weizen <strong>und</strong> Gersten Tonnen / bekommen jeglicher ein paar Zobeln / <strong>und</strong> gehen darvon. Der Bräutigam setzt<br />
sich mit der Braut / so er alsdann mit offenen Angesichte zum ersten mahle siehet / an einen gedeckten Tisch. Es
4<br />
des Vermögens ihres Mannes als Erbe zu, wenn dieser verstarb. 17 Daher vertreten einige<br />
Forscher die Auffassung, daß es sich bei der „k<strong>und</strong>baren Aufnahme des häuslichen <strong>und</strong><br />
geschlechtlichen Zusammenlebens durch He<strong>im</strong>führung der Braut <strong>und</strong> <strong>Beilager</strong>“ um die<br />
eigentlich konstitutiven Rechtshandlungen für die Eheschließung nach germanischem Recht<br />
gehandelt habe. 18<br />
Gerade an die Munt- Ehe, an die sich die kirchliche Ehevorstellung anlehnte, waren also auch<br />
finanzielle Transaktionen geknüpft. 19 Im Hochmittelalter traten hier einige entscheidende<br />
Veränderungen ein. Als zentrale Gabe der Familie der Brautseite stieg die Bedeutung der<br />
Mitgift an <strong>und</strong> bekam vielfach die Bedeutung einer vorzeitigen Auszahlung eines Erbteils. 20<br />
Jedenfalls konnte die Mitgift <strong>im</strong> Spätmittelalter vor allem in den höheren gesellschaftlichen<br />
Kreisen beachtliche Ausmaße annehmen. 21 Der Bräutigam oder dessen Familie leistete eine<br />
dem entsprechende Widerlegung. Diese Transaktionen wurden aber erst rechtsgültig, wenn<br />
die Ehe durch das <strong>Beilager</strong> vollzogen war. 22<br />
Die Forschung hat sich schon früh mit der Beeinflussung des ursprünglich weltlichen<br />
germanischen Eheschließungsrechts durch die Kirche beschäftigt. 23 Aber nur wenige haben<br />
wird ihnen Speise fürgetragen / <strong>und</strong> unter andern ein gebraten Hun / dasselbe reist der Bräutigam von einander<br />
/ wirft einen Flügel oder Bein / welches am ersten abgeht / über sich zurück / vom anern geneußt er. Nach<br />
gehaltener Mahlzeit welche nicht gar lange wäret / gehet er mit der Braut zu Bette / <strong>und</strong> bleibt niemand als ein<br />
alter Diener vor der Cammer auf- <strong>und</strong> ab spazierend; Mitlerweile wird von beyden Parteyen / Eltern <strong>und</strong><br />
Fre<strong>und</strong>en / allerhand Gaukeley <strong>und</strong> Zauberey / den neuen Eheleuten dadurch glücklichen Ehestand zu erwecken<br />
/ getrieben. Der Diener so für der Cammer Wache hält / muß bisweilen fragen / ob die Sache vertragen? Ruft<br />
der Bräutigam ja / so wird alsobald den Trompetern <strong>und</strong> Heerpaukern / welche in Bereitschaft gestanden / <strong>und</strong><br />
die Knöppeljmmer empor gehoben / angesaget / die lassen sich dann lustig hören. Darauf ist also bald eine<br />
Badestube angeheizet / in welcher nach etlichen St<strong>und</strong>en die Braut <strong>und</strong> der Bräutigam / jeglicher absonderlich /<br />
baden muß / da werden sie mit Wasser / Meeth <strong>und</strong> Wein abgewaschen / darauff wird der Bräutigam von seiner<br />
jungen Frawen mit einem Badehemde / so am Halskragen mit Perlen gesticket / <strong>und</strong> einem ganz neuen<br />
köstlichen Kleide beschenket. OLEARIUS 1663, S. 214 f. Die öffentliche Einbindung des Brautpaares <strong>und</strong> des<br />
ersten Beischlafs in das Festgeschehen zeugen von einer sehr ursprünglichen Sicht der Eheschließung, die<br />
eingebettet ist in die Familienöffentlichkeit der beiden „Parteien“. Desweiteren wird geschildert, daß die<br />
Hochzeit an den nächsten zwei Tagen mit Festgelagen etc. weitergeführt wird. Zur Speisung der Brautleute in<br />
der Schlafkammer vgl. FABER 1974, 178 f.<br />
17 Vgl. Västgötalagen Kap. 9 § 2 unten S. 16.<br />
18 SCHULZE 1986, S. 495 mit Verw. auf KÖSTLER 1943, S. 133; Vgl. FREISEN 1888, S. 113 ff. u. RODECK 1910,<br />
S. 38 f.<br />
19 Vgl. für Südeuropa HUGHES 1985, 13 ff. Dem Muntanwalt, meist dem Vater der Braut, wurde ursprünglich<br />
ein Brautpreis von dem zukünftigen Schwiegersohn übergeben. Dieser Brautpreis wurde bei der Übergabe<br />
gezahlt, die Frau daraufhin an den Bräutigam übergeben. Im Laufe des frühen Mittelalters erhielt die Frau einen<br />
<strong>im</strong>mer größeren Teil dieses Preises selber (SCHULZE 1986, S. 487). Zur gleichen Zeit trat nun <strong>im</strong> Gegensatz zu<br />
der abnehmenden Bedeutung des Brautpreises ein Geschenk des Vaters an die Braut, die Mitgift, in den<br />
Vordergr<strong>und</strong>. Es handelte sich dabei jedoch nicht um einen rechtlich notwendigen Bestandteil der<br />
Eheschließung (HUGHES 1985, S. 25).<br />
20 Vgl. SCHULZE 1871, S. 103 ff; FABER 1974, S. 221; HUGHES 1985, S. 33.<br />
21 Vgl. SPIEß 1993, S. 138 f.<br />
22 Der Zeitpunkt der Zahlung dieser Mitgift an den Bräutigam, der ursprünglich vor dem <strong>Beilager</strong> gelegen hatte,<br />
verschob sich schließlich mancherorts <strong>im</strong> 15. Jahrh<strong>und</strong>ert von einer Vorausleistung der Brauteltern zu einer<br />
Zahlung nach erfolgter Konsummation der Ehe, also erst, nachdem die Ehe vollzogen <strong>und</strong> damit auch nach<br />
allgemein anerkanntem Recht unauflöslich geworden war. Dies muß wohl als eine Vorsichtsmaßnahme der<br />
Familie der Braut interpretiert werden. Vgl. KLAPISCH-ZUBER 1982, S. 34.<br />
23 So wird z. B. die Frage, ob das germanische das kirchliche oder das kirchliche das germanische Recht in der<br />
Frage der copula Bewertung beeinflußt habe, seit dem Streit zwischen FRIEDBERG (1865) <strong>und</strong> SOHM (1875)<br />
diskutiert. HERWEGEN machte 1913 auf die Beeinflussung der römischen Liturgie durch die germanische
5<br />
die Frage nach der tatsächlichen Durchsetzung kirchlicher Normen in der<br />
Eheschließungspraxis aufgegriffen. Einer der ersten war der Paderborner Kirchenhistoriker<br />
Joseph Freisen, der mit seiner Untersuchung der nordischen katholischen Ritualbüchern schon<br />
bald zu dem Ergebnis kam, daß das Eheschließungsrecht in den skandinavischen Ländern „in<br />
katholischer Zeit eine weltliche Sache geblieben“ sei. 24 Die Beifügungen der Kirche zur<br />
Eheschließung waren zuerst nur additiver Art. Dies galt zunächst auch für das<br />
Zusammengeben der Eheleute vor der Kirche <strong>und</strong> den nachfolgenden Brautsegen in der<br />
Kirche. Die kirchliche Trauung war ursprünglich eine kirchliche Genehmigung des<br />
Ehewillens zu einer den kirchlichen Forderungen entsprechenden Ehe. 25 Die benedictio in<br />
thalamo war dementsprechend die Segnung des Brautpaares nach dem Abschluß der<br />
Rechtshandlungen der Eheschließung. 26<br />
Die Kirche versuchte schließlich auch Einfluß auf die güterrechtliche Komponente der<br />
Eheschließung zu nehmen. Indem sie präjudizierend die Legit<strong>im</strong>ität einer Ehe feststellen<br />
konnte, meinte sie damit schon gleichzeitig über das eheliche Güterrecht entschieden zu<br />
haben. Ein Beispiel für einen solchen Versuch der kirchlichen Einmischung ist der <strong>im</strong> corpus<br />
iuris canonici überlieferte Streit zwischen König Heinrich II. <strong>und</strong> Papst Alexander III., in dem<br />
Alexander eine Anweisung in einem Erbrechtsstreit erließ, die auf Protest Heinrichs II.<br />
dahingehend verändert wurde, daß die Bischöfe nur mit der Feststellung eines matr<strong>im</strong>onium<br />
legit<strong>im</strong>um beauftragt wurden <strong>und</strong> die eigentliche Erbrechtsentscheidung in weltlicher Hand<br />
beließ. 27 Anders aber als in der Frage des Ehekonsenses <strong>und</strong> der Ehehindernisse ist es der<br />
Kirche hierin nicht gelungen, die richterliche Oberhoheit zu erlangen. 28 An die<br />
Rechtssymbolik aufmerksam. In der neueren Forschung sieht man das <strong>Beilager</strong> ebenfalls wieder stärker als<br />
ursprünglich germanischen Rechtsbrauch. Vgl. RUMMEL 1987, S. 75 f. <strong>und</strong> SCHNELL 1983, S. 181 f.<br />
24 "Zwar gelang es der Kirche schon früh, alle Ehesachen vor ihre Gerichte zu ziehen, das Eheschließungsrecht<br />
dagegen ist in katholischer Zeit stets eine weltliche Sache geblieben, die Tätigkeit der Kirche beschränkte sich<br />
hier nur auf die Segnung der bereits außerkirchlich geschlossenen Ehe. Es besteht somit ein enger<br />
Zusammenhang zwischen dem nordischen kirchlichen <strong>und</strong> weltlichen Recht. Deshalb ist dies Kirchenrecht eines<br />
der wichtigsten Quellen zur Erforschung des dortigen germanischen Rechts." FREISEN 1909, S. 138 f. Diese<br />
Erkenntnis erlaubte ihm, für Aussagen über das <strong>im</strong> Prinzip weltlich geprägte Eheschließungsrecht auch originär<br />
kirchliche Quellen zu benutzen. Die lang dauernde Wirksamkeit des weltlichen Eheschließungsrechts spiegelt<br />
sich in den von Freisen herausgegebenen katholischen Ritualbüchern. Aus den Ritualbüchern der nordischen<br />
Kirche, dem schwedischen Manuale Lincopense (1525), des Breviarium Scarense (1498) <strong>und</strong> des finnischen<br />
Manuale Aboense (1522) <strong>und</strong> ihrem Vergleich mit anderen europäischen Ritualhandbüchern gelang Freisen die<br />
Rekonstruktion des vorreformatorischen Eheschließungsrituals <strong>und</strong> damit des ursprünglich nordgermanischen<br />
Eheschließungsrechts. Er konnte eine starke Beeinflussung der nordischen Ritualbücher durch den englischen<br />
Ritus von Sarum (Salisbury Liturgie) nachweisen. FREISEN 1909, S. 143 f.<br />
25 Vgl. BIERLING 1881, S. 303.<br />
26 Für den Stellenwert des <strong>Beilager</strong>s für die Eheschließung ist es von besonderem Interesse, daß die benedictio in<br />
thalamo die älteste Form der gallischen Eheeinsegnung ist. Vgl. RITZER 1962, S. 203 ff. Im Manuale<br />
Sarisburiense (1506) findet sich ebenfalls eine solche Benediktion: „nocte vero sequenti, cum sponsus et sponsa<br />
ad lectum pervenerint, accedat sacerdos et benedicat thalamum dicens etc. Zuerst wird die Brautkammer<br />
benediziert, dann das Ehebett <strong>und</strong> nachdem dasselbe von den Eheleuten bestiegen, erfolgt die benedictio über<br />
beide“. FREISEN 1909, S. 146. Vgl. unten S.17 die Beschreibung von Olaus Magnus über die benedictio thalami<br />
in Schweden <strong>im</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
27 KUSCHFELDT 1990, S. 6 Anm. 11.<br />
28 KUSCHFELDT 1990, S. 6. Vgl. auch MICHAELIS 1989, S.108: "Es ist nicht zu bezweifeln, daß das kanonische<br />
Eherecht das weltliche verdrängt hat, aber nur in begrenztem Ausmaße, weil seine ihm innewohnenden<br />
Geltungsgrenzen früher oder später <strong>im</strong>mer wieder Bedeutung gewonnen haben." Deutlicher wird dieser
6<br />
Vollzugshandlung des <strong>Beilager</strong>s blieben auch weiterhin die güterrechtlichen Folgen der<br />
Eheschließung geb<strong>und</strong>en. In dieser Hinsicht konnte es aus weltlicher Perspektive von Vorteil<br />
sein, eine unabhängige Rechtshandlung für die güterrechtlichen Belange der Ehe zu<br />
bewahren.<br />
Zweifellos gewann die Kirche jedoch eine <strong>im</strong>mer stärkere Autorität über die Eheschließung,<br />
vor allem was die Bereiche der Ehehindernisse <strong>und</strong> der Rechtshandlungen betrifft. Über die<br />
entscheidende Frage der Form der Eheschließung ergab sich <strong>im</strong> 12. Jahrh<strong>und</strong>ert ein Streit<br />
unter den Juristen, ob der copula carnalis oder dem nudus consensus eine konstitutive<br />
Bedeutung für die Ehe zugemessen werden müsse. 29 Die Kirche stellte sich schließlich auf<br />
die Seite des Konsensgedankens, der durch die Aufnahme einer Entscheidung Alexanders III.<br />
aus dem Jahre 1170 in die Dekretaliensammlung Gregors IX. 1234 Eingang in das Corpus<br />
iuris canonici fand. 30 Das hatte langfristige Folgen für die Frage der Mitbest<strong>im</strong>mung der<br />
Eltern bei der Eheschließung ihrer Kinder <strong>und</strong> natürlich auch für die Rechtshandlungen der<br />
Familienöffentlichkeit. 31 Die Bedeutung des <strong>Beilager</strong>s für die Eheschließung wurde damit<br />
zurückgedrängt <strong>und</strong> dem Konsens der Eheleute nachgeordnet.<br />
Die Konsensehe breitete sich wahrscheinlich Hand in Hand mit den neuen kirchlichen Lehren<br />
durch soziale <strong>und</strong> wirtschaftliche Veränderungen <strong>im</strong> Hochmittelalter aus, da eine <strong>im</strong>mer<br />
größere Zahl von Personen aus ihren Sippenverbänden herausgelöst wurde <strong>und</strong> die<br />
sippenöffentliche Eheschließung für sie, zumal wenn es nicht um die Übertragung von Gütern<br />
ging, nicht möglich war oder aber ihre Funktion verloren hatte. 32 Dieser langfristige Prozeß<br />
aufgr<strong>und</strong> tiefgreifender sozialer <strong>und</strong> ökonomischer Wandlungen führte unter der steigenden<br />
Einflußnahme der Kirche zu einer veränderten Auffassung der Ehe an sich, so daß etwa seit<br />
dem 13. Jahrh<strong>und</strong>ert für den mitteleuropäischen Bereich von einem „christlichen Ehemodell“<br />
gesprochen werden kann. 33 Ein wichtiger Bestandteil dieser Ehemodells wurde die Forderung<br />
der Kirche nach Publizität durch eine obligatorische Bestellung des Aufgebots vor der<br />
Eheschließung. Diese Öffentlichkeit der Eheschließung <strong>und</strong> ihrer einzelnen Akte erschien <strong>im</strong><br />
Spätmittelalter das einzige Mittel zur Eindämmung der klandestinen Eheschließung, die die<br />
Kirche durch ihre Ehelehre mit der absoluten Betonung des Konsensgedankens erst<br />
ermöglicht hatte. 34<br />
Verdrängungsprozeß, wenn man die Auflösung der Einheit des ehelichen Personenrechts <strong>und</strong> des ehelichen<br />
Güterrechts hinzuzieht. Im ursprünglichen weltlichen Eheschließungsrecht bilden beide Rechtsformen eine<br />
Einheit, die sich schließlich unter dem Druck der Kirche aufzulösen begann.<br />
29<br />
Vgl. MIKAT 1971, Sp. 819 ff; SCHNELL 1983, S. 202 ff; WEIGAND 1993, S. 141 ff.<br />
30<br />
MICHAELIS 1989, S. 104 f. Nach dieser Entscheidung „macht ein früherer, auch formloser <strong>und</strong> nicht durch<br />
Kopula vollzogener Konsens, eine spätere selbst öffentlich geschlossene <strong>und</strong> vollzogene Ehe ungültig.“ Vgl.<br />
FABER 1974, S. 16.<br />
31<br />
Zu den Durchsetzungschancen der Brautleute bei einer gegen den Willen der Eltern geschlossenen Ehe vgl.<br />
OPITZ 1993, S. 290.<br />
32<br />
MICHAELIS 1989, S. 128.<br />
33<br />
OPITZ 1993, S. 289. Das Einsetzen der kirchlichen Einflusses ist, wie viele andere Kulturerscheinungen auch,<br />
in Frankreich sehr viel früher als in Deutschland zu beobachten. Dort beginnt das kirchliche Mitspracherecht<br />
bereits <strong>im</strong> 11. Jahrh<strong>und</strong>ert. FABER 1974, S. 145.<br />
34<br />
MICHAELIS 1989, S. 104 f.
7<br />
Schließlich übte die Kirche <strong>im</strong> Spätmittelalter einen stark moralisierenden <strong>und</strong><br />
disziplinierenden Einfluß auf die Form der Eheschließung aus. Der Hochzeitstag sollte mit<br />
einer gewissen Würde <strong>und</strong> Feierlichkeit begangen werden. 35 Dem Brautpaar wurde seine<br />
besondere Verantwortung vor Gott gepredigt. Um eine ordentliche <strong>und</strong> vor allem<br />
standesgemäße Hochzeit sorgten sich auch die Stadträte <strong>im</strong> Spätmittelalter. Mit ihren<br />
Hochzeits- <strong>und</strong> Luxusordnungen beteiligten sich die Städte eifrig an der<br />
Sozialdisziplinierung, die <strong>im</strong> folgenden noch eingehender behandelt wird. 36<br />
Als Ausgangsthese zum Verständnis der Bedeutung der öffentlichen <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> <strong>Beilager</strong>s<br />
<strong>im</strong> Übergang vom weltlichen zum kirchlichen Eheschließungsrecht wird der folgende<br />
Gedankengang an den Quellen zu überprüfen sein: Der kontinuierliche Zwang zur<br />
Öffentlichkeit der Eheschließungsakte <strong>und</strong> die zunehmende, von kirchlicher Seite forcierte<br />
Solennität sowie <strong>und</strong> die Kontinuität der Bedeutung des <strong>Beilager</strong>s für die Eheschließung in<br />
der Frage des Güterrechts führten <strong>im</strong> Verlauf des 15. Jahrh<strong>und</strong>erts nicht nur in Deutschland<br />
<strong>und</strong> den skandinavischen Ländern zu einer partiellen Vorverlegung <strong>und</strong> Formalisierung dieses<br />
Rechtsaktes <strong>im</strong> Ablauf der Hochzeit. Mit der verstärkten Forderung nach Feierlichkeit der<br />
Eheschließung kam eine abendliche <strong>Bettleite</strong> mit einer vorhergehenden Hochzeitsfeier in<br />
ihrer ganzen familiären Ausgelassenheit gerade für die oberen sozialen Schichten kaum noch<br />
in Betracht. Der kirchliche Einfluß auf die Eheschließung mit den beiden Hauptforderungen<br />
des Konsenses der Brautleute vor Zeugen <strong>und</strong> der Solennität der Rechtsakte machte sich<br />
zuerst bei fürstlichen Hochzeiten bemerkbar. In den niederen Ständen wehrte man sich<br />
dagegen besonders hartnäckig gegen Eingriffe in den familiär geprägten Akt der<br />
Eheschließung. 37<br />
Bevor zur Überprüfung dieses Modells einige Quellen aus dem <strong>Ostseeraum</strong> besprochen<br />
werden, möchte ich zuerst versuchen, den Ursprung <strong>und</strong> die Entwicklung des öffentlichen<br />
<strong>Beilager</strong>s als symbolische Rechtshandlung einerseits <strong>und</strong> als Einleitung zum Vollzug der Ehe<br />
mit der copula carnalis andererseits in seinen wichtigsten Momenten nachzuzeichnen.<br />
35 TURLAN 1957, S. 482 Anm. 12 betont den Widerstand der Bevölkerung <strong>im</strong> Gewohnheitsrecht gegen die<br />
intellektualisierende Umformung der Ehe durch die Kirche. „Cela entre bien dans les préoccupations de l’Eglise<br />
à cette époque, lorsqu’elle prend toutes sortes de mesures pour assurer à la célébration à la conclusion du<br />
mariage la dignité, le sérieux, qu’un tel acte requiert, il n’est que de lire les status synodaux pour s’en rendre<br />
compte. Mais cela explique aussi la persistance de l’<strong>im</strong>portance attachée par le peuple à la copula: dans la<br />
mesure où la formation du mariage s’intellectualise, les résistances populaires s’accroissent, le concret restant<br />
plus accessible que l’abstrait.“<br />
36 Vgl. unten S. 26 ff.<br />
37 FABER 1974, S. 145. Dies ist auch deutlich in der von MAGNUS 1567, S. 377 ff. vorgenommen Aufteilung in<br />
adelige Hochzeiten (mit kirchlicher Trauung <strong>und</strong> Ringtausch) <strong>und</strong> Hochzeiten der anderen Stände (mit<br />
Brautübergabe durch den Vater <strong>und</strong> einer nur als „priesterliche Weihung“ bezeichnete Segnung in der Kirche)<br />
zu erkennen. Vgl. TURLAN 1957, S. 485.
8<br />
Die Rechtshandlung des öffentlichen <strong>Beilager</strong>s - Thesen zum Ursprung <strong>und</strong> zur<br />
Entwicklung<br />
Der Ursprung der Rechtsbedeutung des öffentlichen <strong>Beilager</strong>s in der europäischen Geschichte<br />
wird allgemein auf indogermanische Wurzeln zurückgeführt. 38 In Indien war das Besteigen<br />
des „torus“ ein feierlicher Teil des Hochzeitsrituals, dem die weltlichen <strong>und</strong> geistlichen<br />
Hochzeitsgäste beiwohnten. In den von germanischen Rechtsbräuchen geprägten Gegenden<br />
Europas hat sich erstaunlich lange die Vorstellung erhalten, daß das Ehegeschäft erst dann<br />
abgeschlossen <strong>und</strong> besiegelt sei, wenn eine Decke Mann <strong>und</strong> Frau „beschlägt“ oder das Bett<br />
öffentlich beschritten worden war. 39 Die Brautführer <strong>und</strong> die Eltern <strong>und</strong> Verwandte sowie<br />
einige Fre<strong>und</strong>e waren Zeugen dieses Rituals. In einer ähnlichen Form wurde die Braut bei den<br />
Preußen <strong>und</strong> Litauern dem Bräutigam übergeben - sie wurde zum Bräutigam in das Bett<br />
geworfen. Alle diese Bräuche weisen deutlich auf die Funktion des <strong>Beilager</strong>s hin: Der Beginn<br />
des Ehelebens, symbolisiert durch eheliches <strong>Beilager</strong> <strong>und</strong> eheliche Umarmung, soll vor<br />
Zeugen deutlich markiert sein <strong>und</strong> damit bezeugbar werden. Das Beschlagen mit einer<br />
gemeinsamen Decke - vor allem nach nordgermanischem Recht - soll den öffentlich<br />
sanktionierten Beginn der ehelichen Bettgemeinschaft symbolisieren. Es stellt die intendierte<br />
Int<strong>im</strong>ität zwischen den künftigen Eheleuten unter eine „öffentliche“ Kontrolle. Daraus wird<br />
deutlich, daß das <strong>Beilager</strong> das Sinnbild des ehelichen Lebens überhaupt war. 40<br />
Lizzie Carlsson hat in ihren umfangreichen Arbeiten zur Geschichte der Eheschließung <strong>und</strong><br />
auch besonders der <strong>Bettleite</strong> in den nordgermanischen Quellen eine Auffassung des <strong>Beilager</strong>s<br />
herausarbeiten können, die <strong>im</strong> Widerspruch zur gängigen Theorie der Bedeutung dieses<br />
Rechtsaktes steht:<br />
Daß das <strong>Beilager</strong> nach nordgermanischen Quellen nur eine symbolische Handlung war,<br />
die nicht copula carnalis voraussetzte, muß noch einmal betont werden. Aus deutschen<br />
Stadtrechten [...] geht hervor, daß das Verhältnis auf dem Kontinent dasselbe war. Gregors<br />
(von Tours / Anm. d. Verf.) Erzählung bestätigt, daß die symbolische Ausgestaltung des<br />
Aktes unter den germanischen Völkern die ursprüngliche war. Nach Gregor wurde ja das<br />
Brautpaar in ein gemeinsames Bett gelegt, eine körperliche Vereinigung kam indessen nicht<br />
zustande. In der modernen deutschen Literatur findet man nicht selten, daß das <strong>Beilager</strong> als<br />
38<br />
CARLSSON 1960, S. 311; BILDER-LEXIKON DER EROTIK 1928, Teil 1/1 S. 137. Dagegen HEMMER 1958, S. 298<br />
ff. <strong>und</strong> WÜHRER 1957, S. 231 ff.<br />
39<br />
FREISEN 1888, S. 114 f. betont in Anlehnung an LEHMANN (1882), daß die einzelnen nordgermanischen<br />
Volksrechte in der Frage der Rechtsakte bei der Hochzeit nicht übereinst<strong>im</strong>men. Die meisten schwedischen<br />
Rechte betonen das <strong>Beilager</strong> als Zeitpunkt des Erwerbs des M<strong>und</strong>iums. Immer lassen sie das Güterrecht erst mit<br />
dem <strong>Beilager</strong> beginnen. Das norwegisch isländische Recht kannte dagegen die Spaltung der Hochzeit in mehrere<br />
Teilakte nicht, sondern hier war nur das förmlich <strong>und</strong> öffentlich vollzogene <strong>Beilager</strong> von Bedeutung. Im<br />
Vergleich zu den südgermanischen Rechten kam Freisen zu dem Schluß, daß bei den nordgermanischen<br />
Volksrechten mehr die Ehe als Geschlechtsgemeinschaft <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong> stehe, während bei den<br />
südgermanischen Rechten das Gewaltverhältnis (m<strong>und</strong>ium) betont werde. Dies widerspricht aber z. T. den<br />
Ergebnissen Richard Schröders in seinem <strong>im</strong>mer noch gr<strong>und</strong>legenden Werk über die Geschichte des ehelichen<br />
Güterrechts in Deutschland, der auch für die süddeutschen Quellen eine Übereinst<strong>im</strong>mung dahingehend<br />
feststellt, daß sie die Rechtswirkungen der Ehe erst mit dem <strong>Beilager</strong> beginnen ließen. Vgl. SCHRÖDER 1863, S.<br />
97.<br />
40<br />
Darauf deutet auch die häufig bezeugte Wendung „eheliche Werke“ hin, die für den Beischlaf verwandt<br />
wurde. Vgl. z.B. das Zitat aus der würtembergischen protestantischen Eheordnung aus dem Jahre 1537 unten S.<br />
19.
9<br />
Rechtsakt ohne irgendwelche Beweisführung mit der copula carnalis identifiziert wird;<br />
daraus wird dann der Schluß gezogen, daß das <strong>Beilager</strong> aus dem kanonischen Recht<br />
entstanden <strong>und</strong> nicht germanischen Ursprungs sei. 41<br />
Weitere Unterstützung der Sichtweise Carlssons bietet eine mecklenburgische Streitschrift<br />
gegen Königin Margarete aus dem Jahre 1394. Dort findet sich eine Beschreibung der<br />
Eheschließung des schwedisch-norwegischen Königs Håkon Magnusson mit dieser<br />
mecklenburgischen Prinzessin <strong>im</strong> Jahre 1363, die damals <strong>im</strong> Alter von zehn Jahren das<br />
<strong>Beilager</strong> mit dem König hielt. Carlsson schließt u. a. hieraus, daß es sich ursprünglich be<strong>im</strong><br />
indogermanischen <strong>Beilager</strong> um einen Akt mit symbolischer Qualität gehandelt haben müsse,<br />
der die copula carnalis nicht mit einschloß. 42 Beispiele aus literarischen Quellen lassen sich<br />
anschließen. In der Lebensbeschreibung der hl. Elisabeth von Thüringen (Anfang 14.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert) wird die Hochzeit der gerade vierjährige Elisabeth mit dem jungen Landgrafen<br />
Ludwig IV. mit einer <strong>Bettleite</strong> beschlossen. Dies geschah, „damit sie ,ir e mit truwen halden’<br />
mögen“. 43<br />
Tatsächlich wird der rechtlich relevante Kern des rituellen <strong>Beilager</strong>s nach weltlichem Recht<br />
nicht in dem Vollzug des Geschlechtsverkehrs, sondern in der öffentlichen <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong><br />
Bettsetzung gelegen haben, auch wenn der eheliche Beischlaf den sinnhaften Hintergr<strong>und</strong> der<br />
Zeremonie darstellte <strong>und</strong> in früherer Zeit regelhaft dem rituellen <strong>Beilager</strong> direkt nachfolgte.<br />
Eine solche Handlung ist aus ihrer int<strong>im</strong>en Natur heraus nicht öffentlich bezeugbar <strong>und</strong> bei<br />
der Notwendigkeit eines Beweises auch schwer zu belegen. 44 Rechtskraft hatte dagegen das<br />
öffentliche <strong>Beilager</strong> des Ehepaares, also das bezeugbare Faktum, daß Braut <strong>und</strong> Bräutigam<br />
zusammen auf einem Bett <strong>und</strong> unter einer Decke lagen <strong>und</strong> so die Bereitschaft zur<br />
Bettgemeinschaft bek<strong>und</strong>eten. Im folgenden wird mit Freisen, Köstler <strong>und</strong> Carlsson davon<br />
ausgegangen, daß die <strong>Beilager</strong>zeremonie an sich Rechtskraft besaß. 45<br />
41<br />
CARLSSON 1960, S. 320. Frankenchronik des Gregor von Tours (I:47): „Adveniente vero die, celebrata<br />
sollemnitate nuptiarum, in uno strato ex more locantur“. Es wird an dieser Stelle von Gregor allerdings nur<br />
gesagt, daß Braut <strong>und</strong> Bräutigam nach der Sitte am Hochzeitstag auf ein Lager gelegt werden. Vgl. DIES. 1965,<br />
S. 260 f.: „Das <strong>Beilager</strong> war nach dem Landschaftsrecht (gemeint sind die Schwedischen Landschaftsrechte /<br />
Anm. des Verfassers) nur eine symbolische Handlung: Copula carnalis, die nach kirchlicher Auffassung für eine<br />
richtige Ehe notwendig war, wird nicht vorausgesetzt. Nach den allgemeinen Landrechten <strong>und</strong> dem Stadtrecht<br />
trat jedoch die Vorm<strong>und</strong>schaft über die Braut erst dann ein, wenn die Neuvermählten eine Nacht zusammen<br />
verbracht hatten. Obwohl der Volksbrauch dadurch seine Verankerung <strong>im</strong> geschriebenen Recht verloren hatte,<br />
lebte er dennoch in seiner symbolischen Form durch die Jahrh<strong>und</strong>erte fort. [...] Daß die symbolische Form des<br />
<strong>Beilager</strong>s das Ursprüngliche war, geht unter anderem aus dem ältesten bekannten Beleg des Rechtsaktes hervor,<br />
der in der Frankenchronik des Gregor von Tours erwähnt wird.„<br />
42<br />
CARLSSON 1965, S. 167. Ebenso FREISEN 1909, S. 150.<br />
43<br />
FABER 1974, S. 25.<br />
44<br />
Vgl. KÖSTLER 1943, S. 131 f: “Nicht auf den Beischlaf kommt es m. E. - <strong>im</strong> Gegensatz zum kirchlichen Recht<br />
- an, das schon darum nicht, weil er zu wenig ehebest<strong>im</strong>mt ist <strong>und</strong> sich der Öffentlichkeit entzieht, Rechtsakte<br />
aber gerade stets der K<strong>und</strong>barkeit bedurften, sondern auf den äußeren Tatbestand, auf eine Rechtsförmlichkeit,<br />
die aber nicht um der Form willen, sondern als sinnhafter Ausdruck des Ehewillens in Betracht kamen.“ Eine<br />
zur Schau Stellung des Bettlakens nach der Hochzeitsnacht als Beweis für die Jungfräulichkeit der Braut ist m.<br />
W. in Nord- <strong>und</strong> Mitteleuropa nicht üblich gewesen. Dergleichen Sitten finden sich aber z.B. auf dem Balkan,<br />
bei den Kurden <strong>und</strong> in einigen anderen Kulturen.<br />
45<br />
Vgl. FREISEN 1888, S. 117 f. Diese Auffassung ist aber keineswegs unumstritten. Vgl. SCHRÖTER 1990, S.<br />
126: „Sehr wesentliche mit der Eheschließung verknüpfte Rechte (vor allem güterrechtlicher Art) datieren erst<br />
vom Moment der Aufnahme der sexuellen Gemeinschaft an [...] Solange dies der Fall ist, hat sich die
10<br />
Vor der eigentlichen Verdrängung des weltlichen Eherechts versuchte die Kirche frühzeitig<br />
einzelne Elemente des Eheschließungsrechts durch ihre Beteiligung umzuformen. Auch das<br />
<strong>Beilager</strong> zog sie in den Kreis ihrer Mitwirkung, ohne jedoch zuerst einen eindeutigen<br />
Standpunkt zur Notwendigkeit dieser Handlung für die Eheschließung zu besitzen. 46 So<br />
forderte Hinkmar von Re<strong>im</strong>s den Beischlaf offiziell als Vollzug der Ehe. 47 Gratian sah um<br />
1140 in der Ehe einen mehrgliedrigen Akt, bei der die öffentlich vorgenommene Einigung der<br />
Eheleute das matr<strong>im</strong>onium initiatum hervorbringe, daß jedoch erst durch die copula carnalis<br />
zu einem vollständigen matr<strong>im</strong>onium consumatum werde. 48 Das öffentliche <strong>Beilager</strong> als<br />
Einleitung der Hochzeitsnacht, das durch seine güterrechtlichen Konsequenzen <strong>im</strong>mer schon<br />
als entscheidende Rechtshandlung bei der Eheschließung angesehen wurde, erhielt in<br />
christlicher, monogamer Perspektive als copula carnalis die Bedeutung einer<br />
unwiderruflichen Handlung 49 , welches es vorher nicht besessen hatte. Schließlich kam es zu<br />
dem schon genannten Streit, ob der aus dem römischen Recht stammende nudus consensus<br />
oder die copula carnalis ehebegründend seien. 50 Die Betonung des Konsensgedankens <strong>und</strong><br />
des Ehegelöbnisses von kirchlicher Seite führte zu einer Zurückdrängung der copula carnalis<br />
als rechtsnotwendiges Element in der Praxis der Eheschließung. 51 Auch wenn sich somit kein<br />
durchgängiger Standpunkt der Kirche zur Bewertung der copula carnalis ausmachen läßt,<br />
scheint die Entwicklung in der rechtlichen Perspektive mehr auf eine Nebenrolle in der<br />
kirchlichen Anschauung, vor allem seit dem Spätmittelalter, hinzudeuten. Allgemein<br />
durchgesetzt zu haben scheint sich nur die Auffassung Gratians, daß eine nicht- vollzogene<br />
Ehe leichter aufzulösen sei als eine vollzogene. 52<br />
Der Dualismus zwischen ursprünglich weltlicher Eheschließung (mit dem <strong>Beilager</strong> als<br />
entscheidenden Akt der Eheschließung <strong>und</strong> des ehelichen Güterrechts) <strong>und</strong> der kirchlichen<br />
Benediktion als kirchliche Bekräftigung des Eheb<strong>und</strong>es durchzieht als Gr<strong>und</strong>modell das<br />
christliche Mittelalter. 53 Der Kirchgang fand „sehr häufig, ja, wie es scheint, in der alten Zeit<br />
regelmäßig am Tage nach Vollzug der Ehe durch das <strong>Beilager</strong> statt“. 54 Das Ehegelöbnis war<br />
Vorstellung einer Rechtshandlung noch nicht gegenüber dem faktischen Geschehen verselbstständigt.“ <strong>und</strong><br />
SCHRÖTER 1991, S. 363: „Erst von der sexuellen Vereinigung ab datieren entscheidende juristische Wirkungen<br />
einer Ehe [...]“ Ebenso FRENSDORFF 1918, S. 11, der jedoch <strong>im</strong> folgenden zumindest darauf hinweist, daß die<br />
Frage durchaus strittig ist.<br />
46 FREISEN 1909, S. 150. BRINGÉUS 1987, S. 152 f. Die kirchliche Benediktion des Ehebettes war keine<br />
notwendige Handlung der Eheschließung, zeugt aber gleichzeitig von dem Bemühen der Kirche, auch diesen<br />
Akt feierlich zu gestalten. Vgl. FABER 1974, S. 174.<br />
47 FREISEN 1888, S. 30 ff.<br />
48 MICHAELIS 1989, S. 103.<br />
49 Vgl. SCHRÖTER 1991, S. 362. Für die Kirche wurde die Ehe nach der copula carnalis unauflöslich, da sie als<br />
Abbild der unauflöslichen Verbindung Christi mit der Kirche selber unauflöslich sei. Vgl. CONRAD 1951, S.<br />
302.<br />
50 Vgl. oben S. 6.<br />
51 MICHAELIS 1989, S. 103 f.<br />
52 Vgl. WIEGAND 1993, S. 303 ff.<br />
53 Zur Frage der rechtlich konstitutiven Bedeutung der Benediktion siehe MIKAT 1978, S. 41 ff. der sie<br />
zutreffend als ursprünglich nicht notwendig für eine Eheschließung charakterisiert.<br />
54 SOHM 1875, S. 159. Vgl. auch RICHTER (1848), S. 281 <strong>und</strong> SPIEß 1993, S. 118 ff <strong>und</strong> S. 129 Anm. 432. Spieß<br />
n<strong>im</strong>mt an, daß der stärkere Charakter der geistlichen Mitwirkung be<strong>im</strong> Ehegelöbnis durchaus auch <strong>im</strong> Interesse<br />
der Familienordnung liegen konnte. Siehe auch UHLHORN 1962, S. 91: „Eine Hochzeit wurde damals (16./17
11<br />
zuerst ein vom Ehesegen getrennter Akt sippenöffentlichen Ursprungs, der <strong>im</strong> Familienkreis<br />
vorgenommen wurde <strong>und</strong> auch in Luthers Ehebüchlein (1530) noch vor der Kirchentür<br />
stattfinden sollte. 55 Es konnte prinzipiell aber auch zuhause mit großem zeitlichem Abstand<br />
zum <strong>Beilager</strong> vorgenommen werden. Ehegelöbnis <strong>und</strong> Benediktion der Ehe rückten aber <strong>im</strong><br />
Laufe des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>im</strong>mer stärker zusammen. 56 Karl-Heinz Spieß stellt in seiner<br />
umfangreichen Arbeit zu Familie <strong>und</strong> Verwandtschaft <strong>im</strong> deutschen Hochadel des<br />
Spätmittelalters zurecht fest, daß über die Abfolge von Kirchgang <strong>und</strong> <strong>Beilager</strong> in der<br />
Forschung Unklarheit besteht. Vor allem aufgr<strong>und</strong> der Uneinheitlichkeit der Quellenaussage<br />
ließ sich bisher kein einheitliches Modell formulieren. Spieß versucht diese unterschiedliche<br />
Handhabung der Abfolge durch die Vorstellung zweier verschiedener Verlaufsmodelle<br />
aufzulösen, wobei er einen mehr traditionell geprägten Ablauf mit <strong>Beilager</strong> <strong>und</strong> darauf<br />
folgendem Kirchgang zum einen <strong>und</strong> ein vom kirchlichen Einfluß geprägtes Modell mit dem<br />
Erfragen des Konsenses in die Kirche zum anderen vorschlägt. 57 Dazwischen lag in dem<br />
letzteren Fall das öffentliche <strong>Beilager</strong> als eigentlicher Abschluß des weltlichen Teils der<br />
Eheschließung. Ein Beispiel für das erstere Modell ist die Beschreibung der Eheschließung<br />
des bayrischen Ritters Michel von Ehenhe<strong>im</strong> vom 7. August 1502:<br />
[...] zu nacht han ich Michael von Ehenhe<strong>im</strong> ritter mit Margaretha geboren von Kollen<br />
elichen beigeschlafen zu Kitzingen, <strong>und</strong> morgens frue mit ir zu Kirchen gangen mit meinen<br />
Herrn <strong>und</strong> gueten fre<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> aldo hochzeit gehapt in Arnolts von Ehenhe<strong>im</strong>s haus. 58<br />
Die beiden Elemente, die für den Autor dieser Familienchronik die eigentliche Eheschließung<br />
darstellen, sind zum Ersten der eheliche Beischlaf <strong>und</strong> zum Zweiten der nachfolgende<br />
Kirchgang am nächsten Morgen. Dabei wird dann eine Segnung der Ehe durch den Pfarrer<br />
vorgenommen worden sein. 59<br />
Öffentliche <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> copula carnalis stellen sich in dieser Perspektive als zwar eng<br />
verb<strong>und</strong>ene, aber in den beiden konkurrierenden Rechtssystemen durchaus genuin<br />
verschiedene Momente dar, die einerseits aus weltlicher, andererseits aus kirchlicher<br />
Tradition eine rechtliche Qualität besaßen. Mit dem Beschreiten des Ehebettes begannen nach<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert / Anm. d. Verf.) in drei Abschnitten gefeiert. Zunächst fand als legit<strong>im</strong>e Vollziehung der Ehe das<br />
feierliche <strong>Beilager</strong> statt. Meist am anderen Tage wurde der geistliche Segen <strong>im</strong> Kirchgang eingeholt. Als dritte<br />
Fest folgte dann einige Tage, oft auch beträchtlich später die He<strong>im</strong>führung der Braut auf das Schloß des jungen<br />
Eheherrn.“<br />
55 Vgl. für den <strong>Ostseeraum</strong> vor der Reformation auch FREISEN 1909, S. 149, der in allen katholischen nordischen<br />
Ritualhandbüchern ebenfalls eine kirchliche Handlung vor der Kirchentür feststellen konnte.<br />
56 SCHWARZ 1958, S. 68 f. Zu dieser Konzentration der entscheidenden Handlungen auf einen Tag in der<br />
Toskana <strong>im</strong> 15. Jahrh<strong>und</strong>ert vgl. auch KLAPISCH-ZUBER 1982, S. 35.<br />
57 SPIEß, 1993 S. 128 ff. Der Verlauf der Hochzeit wurde auch von dem Ort der eigentlichen<br />
Hochzeitsfeierlichkeiten beeinflußt. Wenn die Hochzeit am früheren Wohnsitz der Braut durchgeführt wurde,<br />
erfolgte die feierliche He<strong>im</strong>führung erst nach der Hochzeit (DERS., S. 121). Wurde die Hochzeit am Wohnsitz<br />
des Bräutigams begangen, kam es zur Sequenz He<strong>im</strong>führung, Kirchgang, <strong>Beilager</strong> <strong>und</strong> Festgelage (DERS., S.<br />
124). Schließlich konnte die Hochzeit ausnahmsweise auch an einem neutralen, gut erreichbaren Ort gehalten<br />
werden. Die He<strong>im</strong>führung wurde in diesem Fall zu einer Zuführung der Braut zum Bräutigam (DERS., S. 126 f.).<br />
58 MEYER 1891, S. 38.<br />
59 Das eheliche Konsensgespräch wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Es war zu dieser Zeit auch<br />
häufig noch ein weltlicher Akt, <strong>und</strong> der Priester nahm eine weltliche Funktion ein, wenn er die Eheleute, z. B.<br />
vor der Kirchentür, zusammengab. Dies änderte sich in Norddeutschland erst <strong>im</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert. Vgl. hierzu<br />
SCHWARZ 1959, S. 33.
12<br />
traditionell weltlicher Rechtsauffassung die güterrechtlichen Folgen der Ehe, mit der copula<br />
carnalis wurde die Ehe nach der kirchlichen Auffassung unauflöslich. Mit steigendem<br />
Einfluß der Kirche auf die weltliche Eheschließung (Ehegelöbnis <strong>und</strong> Einsegnung durch den<br />
Priester in der Kirche) <strong>und</strong> der schon früh bezeugten Benediktion der Eheleute <strong>im</strong> Bett<br />
rückten kirchliche <strong>und</strong> weltliche Auffassung des <strong>Beilager</strong>s zusammen <strong>und</strong> verschmolzen<br />
schließlich <strong>im</strong> Handlungsablauf zu einem einzigen Komplex. Das <strong>Beilager</strong> wurde<br />
sakramentalisiert. 60 Diese Entwicklung erklärt meiner Auffassung nach die von Carlsson<br />
beobachtete Gleichsetzung von öffentlichem <strong>Beilager</strong> <strong>und</strong> copula carnalis in der deutschen<br />
Forschung. 61 Tatsächlich war die öffentliche Bettsetzung seit alters her traditionell die<br />
Einleitung zur nachfolgenden copula carnalis der Hochzeitsnacht. Aufgr<strong>und</strong> ihres<br />
ursprünglichen <strong>und</strong> eigentlichen symbolischen Gehalts als Rechtshandlung konnte sie aber<br />
prinzipiell auch getrennt von der eigentlichen Hochzeitsnacht stattfinden.<br />
Es gibt für Deutschland <strong>und</strong> die skandinavischen Länder eine Reihe von Hinweisen auf ein<br />
vorgerücktes symbolisches <strong>Beilager</strong> aus dem späteren Mittelalter, die sich meiner Auffassung<br />
nach am Besten als Umformung dieses Rechtsaktes durch die Betonung einer feierlichen<br />
Öffentlichkeit <strong>und</strong> des sakramentalen Charakters der Ehe als Voraussetzung für ein<br />
matr<strong>im</strong>onium legit<strong>im</strong>um in kirchlicher Sicht verstehen lassen. Ich meine damit die Zeugnisse<br />
über ein symbolisches <strong>Beilager</strong>, das von der copula carnalis deutlich getrennt ist <strong>und</strong> die uns<br />
mit unzweifelhafter Deutlichkeit in den Quellen zuerst Mitte des 15. Jahrh<strong>und</strong>erts entgegen<br />
treten. In dem von Aeneas Silvius, dem späteren Papst Pius II., überlieferten Bericht von der<br />
Heirat Kaiser Friedrich III. mit Eleonore von Portugal in Neapel 1452, wird dieser Vorgang<br />
genau beschrieben: Nachdem die Decke über das Paar <strong>im</strong> Bett beschlagen ist, stehen beide<br />
wieder auf <strong>und</strong> erst am nächsten Abend wird der concubitus ex nudis vollzogen. Von dem<br />
Berichterstatter wird dies ausdrücklich als consuetudo Teutonica beschrieben <strong>und</strong> somit eine<br />
von dem nach kanonischem Rechtsverständnis üblichen Vollzug deutlich unterschieden. So<br />
fügt der Jurist Johann Gottlieb Heineccius <strong>im</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert bei der Wiedergabe des<br />
Berichts zur Erklärung an, daß bei den Germanen diejenigen als Eheleute angesehen wurden,<br />
die gemeinsam ein Bett beschritten hatten, <strong>und</strong> nicht diejenigen, die körperliche Vereinigung<br />
gehabt hatten (gemeint ist hier die copula carnalis). 62<br />
60 Vgl. JEROUSCHEK 1991, S. 282 f.<br />
61 Vgl. CARLSSON 1960, S. 320 (siehe auch Zitat oben S. 8.).<br />
62 Dieser Vorgang wurde auch schon von Johann G. Heineccius (1681-1741), einem der bedeutendsten<br />
deutschen Juristen dieser Zeit, zitiert <strong>und</strong> in den Zusammenhang mit den rechtlichen Folgen des <strong>Beilager</strong>s<br />
gestellt: "Multo clarius en<strong>im</strong> de eo ritu, qui diutiss<strong>im</strong>e in Germania viguit, loquitur Anaeas Silvius, dum de<br />
Fridrici III. Imperatoris nuptiis <strong>im</strong>aginariis cum Eleonora Lusitanica ita scribit: "Iussit igitur Caesar Teutonicum<br />
more Stratum adparari, iacentique sibi Leonoram in ulnas complexusque dari, ac praesente Rege, cunctisque<br />
proceribus adstantibus superduci culcitram. Neque aliud actum est, nisi datum osculum. Erant autem ambo<br />
vestiti, moxque inde surrexerunt. Sicque consuetudo Teutonicum se habet, quum principes iunguntur." Scilicet<br />
apud Germanos coniuges videbantur, non qui corpora communicaverant, sed qui e<strong>und</strong>em lectum conscenderant.<br />
Huc sane facit textus Iuris Prov. Saxonici (lib. I. Art. XLV.): Er ist ihr Vorm<strong>und</strong> <strong>und</strong> sie ist seine Genossin, <strong>und</strong><br />
tritt in sein Recht, wann si in sein Bett tritt. Eodem pertinet Speculator Suevus (Cap. CCCXX.) Sie muß sein<br />
Ehegenoß seyn, wann sie an sein Bett gat. Et denique leges feudales teklenburgicae apud illustrem Ludewigium<br />
(Reliqu. MSC. Tom. II. p. 304) Da zwey aus denen Lehenleuten zur Ehe schreiten, <strong>und</strong> die erste Nacht
13<br />
Eine geographisch differenzierte Beschreibung dieses Formalaktes gab zu Beginn des 18.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts J. L. Stein in seiner Arbeit über das Lübische Recht:<br />
Es ist an unterschiedlichen Orten Teutschlands <strong>im</strong> Gebrauch, daß bey den Hochzeiten ein<br />
Concubitus Symbolicus adornieret wird, so setzt Coccejus [...], daß unter dem Sächsischen<br />
Adel ein Bräutigam mit seiner Braut auf ein gemachtes Bette sich niederlassen, <strong>im</strong><br />
Dithmarschen die neuen Eheleute sich gar darauf niederlegen <strong>und</strong> an den Orten, da<br />
Lübisches Recht gilt, wie auch in Lübeck selbst eine alte Gewohnheit sey, daß die Braut dem<br />
Bräutigam, dernebst den Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Anverwandten schon in der Brautkammer beym<br />
aufgeputzten Brautbette ihrer wartet von zweyen Dames geführet <strong>und</strong> zu Umarmung<br />
übergeben wird, nächst dem wird ihr dann der Brautkranz abgenommen <strong>und</strong> gehen alsdann<br />
beide junge Eheleute wieder zu den Hochzeitsgästen. 63<br />
An der Seite ist zu dem oben zitierten Text angemerkt: „An den Orten, da ein Concubitus<br />
Symbolicus adorniret wird, finden nachher, wenn selbiger vorgenommen ist, schon alle auch<br />
ex statutis, vel consuetudine herrührende Effectus einer vollzogenen Ehe statt.“ Diese<br />
Anmerkung legt nahe, daß das symbolische <strong>Beilager</strong> als vollgültiger Ersatz des rituellen<br />
<strong>Beilager</strong>s mit direkt anschließendem Vollzug der Ehe interpretiert wurde <strong>und</strong> die Frau sich<br />
rechtlich durch diesen Akt von der Braut zur Ehefrau verwandelte. 64 Daß diese Sicht aber<br />
dennoch <strong>im</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert nicht überall verbreitet war, zeigen die folgenden Bemerkungen<br />
Steins zur Rechtslage, wenn die Ehefrau plötzlich, nach der Bettsetzung oder dem<br />
symbolischen <strong>Beilager</strong>, krank werde <strong>und</strong> die copula carnalis vor ihrem Tod nicht mehr<br />
wirklich vollzogen werden konnte. Er vertritt die Auffassung, daß ein symbolisches <strong>Beilager</strong><br />
auch in diesem Fall den Vollzug der Ehe bedeute, da mit der Formalisierung der<br />
Rechtshandlung des <strong>Beilager</strong>s ursprünglich unzweifelhaft der Vollzug selbst gemeint<br />
gewesen sei. 65 Die Thematisierung dieser Frage zeigt aber schon, daß hier <strong>im</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
ein Moment der Unsicherheit bestand.<br />
Das Zitat verrät ebenfalls, wie schon oben angedeutet, daß es „an unterschiedlichen Orten“ in<br />
Deutschland zur gleichen Zeit ähnliche, aber nicht identische Zeremonien der <strong>Bettleite</strong><br />
gegeben hat. Während in Sachsen nur noch eine Bettsetzung üblich gewesen zu sein scheint,<br />
beygelegen sind, so ist die Leibzucht aller des Mannes Güter der Frauen. Unde formula: Die Decke ist<br />
beschlagen. " HEINECCIUS (1773), Bd. 2.2, S. 149. Vgl. SCHRÖTER 1991, S. 370.<br />
63 STEIN (1738), S. 163 f. Vgl. ADLER 1955, S. 101.<br />
64 Damit war zumeist ein Wechsel der Haartracht verb<strong>und</strong>en. Das lose, offene Haar der Jungfrau wurde<br />
hochgeb<strong>und</strong>en zum Dutt. Die Betonung der Wirkung der symbolischen Handlung als rechtsbegründend<br />
unterstützt auch die Auffassung Köstlers <strong>und</strong> Carlssons, die ja die Rechtswirkung des <strong>Beilager</strong>s gegenüber dem<br />
Beischlaf betonen. Vgl. oben Anm. 44.<br />
65 „Hier ist nun die Frage, ob ein solcher Concubitus Symbolicus dazu vor genugsam zu schätzen, daß die Ehe<br />
gänzlich vollenzogen zu achten, <strong>und</strong> nach selbigem schon alle Effectus producire, auch die ex Statuis et<br />
Consuetudinibus Germ. herrühren? Es könte sich zutragen, daß die junge Frau nachhero schon am Hochzeits<br />
Tage krank würde, <strong>und</strong> weil solche Krankheit <strong>im</strong>mer mehr <strong>und</strong> mehr zugenommen, bis die junge Frau endlich<br />
gar gestorben, die jungen Eheleut sonst überall nicht beysammen geschlafen hätten, quaer. Ob der Mann könte<br />
portionem statutariam von der Verlassenschaft seiner verstorbenen Frauen praetendiren? Ich halte allerdings,<br />
daß es geschehen mag. Denn da unsere Rechte zur gänzlichen Vollziehung der Ehe den Beyschlaff erfordern; (§<br />
120) dieser Ritus aber solchen vorstellen, so leuchtet daraus klar <strong>und</strong> deutlich hervor, das diejenigen, so solche<br />
Gebräuche eingeführet, die Intention gehabt haben, daß selbige den ult<strong>im</strong>um actum consummationis des<br />
gethanen Ehe Gelübdes haben vorstellen, <strong>und</strong> nachhin die Ehe vor gantz vollenzogen, <strong>und</strong> die alle Effectus einer<br />
vollzogenen Ehe hätte, gehalten werden sollen, denn es ist leicht zu praesumieren, daß solche remarquables ritus<br />
ohne die geringste Würckung solten angeordnet worden seyn.“ STEIN 1738, S. 164 f. Dieser Auffassung hing<br />
man auch an manchen Orten <strong>im</strong> 15. Jahrh<strong>und</strong>ert an. Vgl. unten Anm. 121.
14<br />
legen sich in Dithmarschen die jungen Eheleute „gar darauf“ <strong>und</strong> in den Gebieten lübischen<br />
Rechts wird die Braut dem Bräutigam schließlich sogar zur Umarmung übergeben. Stein stellt<br />
hier eine Rangfolge in der Stärke des Rechtshandlung auf, die mit dem Grad der<br />
symbolischen Abstraktion korreliert. 66<br />
Etwa gleichzeitig mit Stein schrieb Julius B. von Rohr eine „Einführung in die Ceremoniel-<br />
Wissenschaft der Privat Personen“, die weiteren Einblick in die Sichtweise des frühen 18.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts zu <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> <strong>Beilager</strong> in Deutschland gibt. Der rechtliche Charakter ist in<br />
seiner Perspektive in den Hintergr<strong>und</strong> getreten <strong>und</strong> der Aberglaube, der sich mit dem rituellen<br />
<strong>Beilager</strong> verbindet, stört den geregelten Ablauf des Hochzeitstanzes. Die öffentliche <strong>Bettleite</strong><br />
hat hier ihren Platz am Ende der Hochzeitsfeier, nach dem Hochzeitsmahl <strong>und</strong> den Tänzen.<br />
„§ 36. Den unordentlichen Wesen, das bey den Hochzeitlichen Dantzen vorgehet, ist<br />
meines Erachtens auch folgendes mit beyzuzehlen, so an einigen Orten <strong>im</strong> Gebrauch, wenn<br />
nemlich die beyden Braut-Führer, die Braut mitten aus dem Dantze nehmen, <strong>und</strong> solche in<br />
Begleitung der sämmtlichen Hochzeits-Gäste zu ihrem Bräutigam in die Kammer führen, als<br />
welcher sich eine weile vorher zu Bette verfügt, <strong>und</strong> sie mit ihrem ganzen Brautschmuck zu<br />
ihm ins Bette legen. Die so genandte Braut- oder Tiezsch-Mutter aber n<strong>im</strong>mt einen großen<br />
Aufläuffer, oder so genandten Propheten-Kuchen, schlägt denselben auf der Braut Bette mit<br />
der Hand in Stücken, als wolte sie gleichsam den Stab über die Jungfer brechen. Da greifft<br />
ein jeder von denen um das Bette stehenden zu, <strong>und</strong> wenn einer etwas davon bekommt, so<br />
soll dieses nach einer albern Tradition, wenn die Braut noch eine veritable Jungfer ist, vor<br />
das Fieber, die Coliquen <strong>und</strong> das Zahnweh gut seyn. Ist diß geschehen, so gehet jederman<br />
aus dem Gemach, <strong>und</strong> läßt Braut <strong>und</strong> Bräutigam allein. Dieses ist mehr unter denen von<br />
bürgerlichen Stande <strong>im</strong> Gebrauch, als denen Adelichen.“ 67<br />
Interessant in unserem Zusammenhang ist die Erwähnung, daß die abendliche <strong>Bettleite</strong> mehr<br />
<strong>im</strong> Bürgertum als <strong>im</strong> Adel verbreitet sei. Ebenso zeigt die Stelle, daß eine symbolisches<br />
<strong>Beilager</strong> keineswegs in der Neuzeit zur Regel geworden ist. Über die Rechtswirksamkeit des<br />
Rituals erfahren wir aus solchen Quellen natürlich wenig, aber wir wissen, daß manche<br />
Stadtrechte bis in das 18. Jahrh<strong>und</strong>ert hinein das eheliche Güterrecht erst mit dem <strong>Beilager</strong><br />
beginnen ließen. 68 Es scheint sich jedoch in dem Zitat schon eine Wandlung des Brauchs von<br />
der Rechtshandlung zu einem Volksbrauch, zu einem Abschiedsritual, anzukündigen, das<br />
nunmehr aus reiner Tradition begangen wurde <strong>und</strong> an sich funktionslos war. 69<br />
66 Für das lange Fortwirken der weltlichen Rechtsvorstellungen <strong>im</strong> Eheschließungsrecht spricht auch die<br />
Sichtweise einer juristischen Dissertation aus dem späten 17. Jahrh<strong>und</strong>ert über den Rechtsanspruch auf die<br />
Ehegüter vor dem Vollzug der Ehe. Dort findet sich zur Frage der Notwendigkeit der Bettbeschreitung<br />
folgendes: „ [...] Unsere Verordnete aber haltens dafür / daß der Oerter / da Sachsen-Recht gehalten / das<br />
Beylager oder das Bettbeschreiten erfolgen muß / wann dasselbige geschehen / <strong>und</strong> eines stirbet / so soll alsdenn<br />
dem überbleibenden das folgen / was die Ehestiftung / Statut, Gewonheit oder das Recht ihm giebet.„ JAKOBS<br />
1679, Kap. 43. Der deutliche Verweis auf das sächsische Recht legt die Vermutung nahe, daß sich die<br />
Rechtsauffassung in der Frage der Bedeutung des <strong>Beilager</strong>s für das Ehegüterrecht regional unterschied <strong>und</strong> so<br />
die Gr<strong>und</strong>lage für abweichende Rechtsauffassungen in verschiedenen Gegenden gelegt wurden.<br />
67 ROHR 1728 Bd. 1, S. 618 f.<br />
68 Zudem erfahren wir auch nicht, an welchem Ort die beschriebene Sitte beobachtet wurde. Aus dem bisher<br />
Gesagten ist aber schon deutlich geworden, daß es erhebliche geographische Unterschiede in der Ausgestaltung<br />
des <strong>Beilager</strong>s gab. Vgl. SCHRÖTER 1991, S. 372 ff.<br />
69 Die Braut behält bei der von Rohr beschriebenen Bettlegung ihren gesamten Hochzeitsschmuck. Diese<br />
Beobachtung ist für die Frage des Zeitpunkts der Int<strong>im</strong>isierung der Hochzeitsnacht von Bedeutung, die<br />
besonders in dem Aufsatz von SCHRÖTER (1991) thematisiert wird. Vgl. dazu unten S. 31 ff. Bemerkenswert ist<br />
der Hinweis auf die stärkere Verbreitung <strong>im</strong> Bürgertum <strong>im</strong> Vergleich zum Adel in dieser Zeit. Dies scheint der
15<br />
Über die <strong>Bettleite</strong> in Schweden zu Anfang des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts sind wir durch einen Aufsatz<br />
von Angela R<strong>und</strong>quist gut informiert. Sie konnte für Eheschließungen der „upper classes“<br />
feststellen, daß ein öffentliches Geleit des Brautpaares, allerdings nach Geschlechtern<br />
getrennt, zu Anfang des Jahrh<strong>und</strong>erts durchaus noch üblich war. Die Männer begleiteten den<br />
Bräutigam <strong>und</strong> die Frauen halfen der Braut be<strong>im</strong> Garderobewechsel <strong>im</strong> Schlafz<strong>im</strong>mer. Die<br />
rechtliche <strong>und</strong> symbolische Funktion der <strong>Bettleite</strong> war aber nicht mehr das ausschlaggebende<br />
Moment. R<strong>und</strong>quist stellt für das 19. Jahrh<strong>und</strong>ert eine Transition des Rituals in eine<br />
Abschiedszeremonie fest. Am Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>ert fand dann die endgültige<br />
Privatisierung der Hochzeitsnacht statt. Eine <strong>Bettleite</strong> wird nicht mehr erwähnt, <strong>und</strong> die<br />
Hochzeitsnacht wurde zu einer int<strong>im</strong>en Angelegenheit zwischen Braut <strong>und</strong> Bräutigam, die aus<br />
der Öffentlichkeit der Hochzeitsfeier isoliert wurde. 70<br />
II.<br />
Quellen zur rechtlichen Bedeutung des <strong>Beilager</strong>s <strong>im</strong> <strong>Ostseeraum</strong> vor der<br />
Reformation.<br />
Die thesenartige Darstellung von Ursprung <strong>und</strong> Entwicklung der Rechtskraft des <strong>Beilager</strong>s<br />
soll in dem nun folgenden Kapitel anhand einiger Quellen aus dem <strong>Ostseeraum</strong> überprüft <strong>und</strong><br />
konkretisiert werden. 71 Die Bedeutung des <strong>Beilager</strong>s für das eheliche Güterrecht kann man<br />
besonders deutlich aus den mittelalterlichen schwedischen Landschaftsrechten erkennen.<br />
Lizzie Carlsson hat in ihren Arbeiten zum Alter <strong>und</strong> Ursprung des <strong>Beilager</strong>s vor allem die<br />
mittelalterlichen skandinavischen <strong>und</strong> deutschen Quellen befragt <strong>und</strong> gelangte anhand dieser<br />
zu dem Schluß, daß es sich bei dem <strong>Beilager</strong> als Rechtshandlung um eine alte germanische<br />
Einrichtung handle, die schon in heidnischer Zeit rechtskonstituierende Bedeutung gehabt<br />
habe. 72<br />
In dem ältesten der schwedischen Landschaftsrechte, dem Västgötarecht, das um 1220 verfaßt<br />
worden ist, kommt ihrer Auffassung nach der christliche Einfluß auf das Eherecht nur<br />
schwach zum Vorschein. Das <strong>Beilager</strong> sei zu dieser Zeit schon eine fest ausgebildete<br />
Aussage Steins, daß vor allem die Adeligen ein symbolisches <strong>Beilager</strong> <strong>im</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert noch gepflegt haben,<br />
zu widersprechen. Es ist allerdings zu beachten, daß von Rohr in diesem Zusammenhang von einer abendlichen<br />
<strong>Bettleite</strong> spricht. Möglicherweise ist auch nur der Brauch einer Kuchenspeise <strong>und</strong> der assoziierte Aberglaube<br />
gemeint.<br />
70 Ein deutlicher Hinweis für die Öffentlichkeit des ersten <strong>Beilager</strong> noch in der Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts ist<br />
auch die damals übliche Ausschmückung des Hochzeitsbetts, von der R<strong>und</strong>quist berichtet: „The marriage bed as<br />
a subject of objective and public scrutiny emphasized that the sexual consummation of the marriage was not a<br />
private, joyous act. The bed was decorated like an altar suggesting sacral solemnity rather than carnal<br />
copulation. The bridal cover was an ornament still possessing some of the original symbolic weight.“<br />
RUNDQUIST 1987, S. 92.<br />
71 Die Quellen der einzelnen Länder des <strong>Ostseeraum</strong>s zur Entwicklung der rechtlichen Bedeutung des ehelichen<br />
<strong>Beilager</strong>s können in dieser Untersuchung nicht einmal annähernd vollständig behandelt werden. Die meisten<br />
Quellen stehen mir aus Norddeutschland <strong>und</strong> Pommern zur Verfügung. Diese Gewichtung ist aber eine Folge<br />
der Zugänglichkeit von Informationen <strong>und</strong> nicht die Widerspiegelung von tatsächlichen Verteilungsquantitäten.<br />
72 CARLSSON 1965, S. 266 f.
16<br />
Rechtshandlung mit weitgehenden Konsequenzen gewesen. Im 9. Kapitels des Buchs über die<br />
Ehe des Västgötarechts tritt die güterrechtliche Bedeutung des <strong>Beilager</strong>s klar hervor:<br />
§ 2: So muß man die Frau in die Ehe geben: Sobald sie (die Eheleute/ Anm. d. Verf.) in<br />
das gleiche Bett <strong>und</strong> unter die gleiche Decke gekommen sind, hat sie Anspruch auf einen<br />
dritten Teil and der Wirtschaft <strong>und</strong> drei Mark zur Morgengabe von seinem Vermögen". 73<br />
Ebenso verhält es sich mit den ältesten norwegisch-isländischen Gesetzen <strong>und</strong> den<br />
altisländischen Sagas, denen Aufgebot <strong>und</strong> Trauung völlig unbekannt sind, während sie die<br />
güterrechtlichen Wirkungen der Ehe an das <strong>Beilager</strong> knüpfen. 74 Das Ostgötarecht aus der Zeit<br />
um 1390 spricht ebenso deutlich über die Bedeutung des <strong>Beilager</strong>s für das eheliche<br />
Güterrecht. In der Vorrede des 7. Kapitels des Abschnitts über die Ehe findet sich folgende<br />
Best<strong>im</strong>mung:<br />
Nachdem sie getraut worden sind <strong>und</strong> beide offen zusammen ins Bett gehen - ob sie<br />
verheiratet sind oder nicht - da hat sie alles Recht ihm gegenüber erlangt, <strong>und</strong> er hat für sie<br />
sowohl zu haften als zu klagen. [...] Gesetzt, sie stirbt, ehe sie zusammen ins Bett kamen, da<br />
soll er nichts von ihrem Gut erhalten, mögen sie auch getraut sein. 75<br />
Nur das Västmannarecht zeigt den kirchlichen Einfluß auf die Eheschließung in Schweden.<br />
Dort wird die Trauung in ihrer Rechtswirkung mit dem <strong>Beilager</strong> gleichgesetzt. 76 Genaueres<br />
über die Zeremonie dieses öffentlichen <strong>Beilager</strong>s erfahren wir aus diesen Quellen jedoch<br />
nicht, sie wurde von den Verfassern als bekannt vorausgesetzt. Zusammenfassend läßt sich<br />
festhalten, daß schwedische Landschaftsrechte die güterrechtlichen Folgen der Ehe deutlich<br />
mit dem gemeinsamen <strong>Beilager</strong> beginnen lassen.<br />
Die norddeutschen Städte erließen vor allem <strong>im</strong> 14. <strong>und</strong> 15. Jahrh<strong>und</strong>ert viele Hochzeits- <strong>und</strong><br />
Luxusordnungen, die den Ablauf der Hochzeiten für unterschiedlich vermögende Bürger<br />
regelten. In der Lübecker Hochzeitsordnung aus dem frühen 14. Jahrh<strong>und</strong>ert findet sich keine<br />
Erwähnung der <strong>Bettleite</strong>. 77 Die sehr viel ausführlichere Hochzeitsordnung aus der Mitte des<br />
15. Jahrh<strong>und</strong>erts erwähnt das <strong>Beilager</strong> in einem engen Zusammenhang mit der He<strong>im</strong>führung<br />
(treck) der Braut durch den Bräutigam. 78<br />
Aus dem 16. Jahrh<strong>und</strong>ert berichtet Olaus Magnus, Erzbischof zu Uppsala in Schweden, in<br />
seinen „Historien der Mitternächtigen Länder“ über den Ablauf einer typischen Hochzeit <strong>im</strong><br />
vorreformatorischen Schweden. Bei seiner Beschreibung der Eheschließung des „gemeinen<br />
Volcks“ führt er die seiner Auffassung nach wichtigsten Stationen der Eheschließung vor <strong>und</strong><br />
vergleicht diese mit den Sitten <strong>im</strong> Baltikum <strong>und</strong> in Rußland. 79 Zu Beginn steht das feierliche<br />
73 Vgl. LEHMANN 1882, S. 87 f., BEAUCHET 1894, S. 198 f.<br />
74 LEHMANN 1882, S. 80 ff.<br />
75 STRAUCH 1971, S. 115. Vgl. LEHMANN 1882, S. 88.<br />
76 CARLSSON 1965, S. 260.<br />
77 Vgl. BEHN 1833, S. 78 f.<br />
78 Vortmer wan de brudegam trecket <strong>und</strong>e to bedde gan schal So en schal he nyne torticen hebben, yd en zy<br />
twisschen sunte Mertens daghe <strong>und</strong>e vastelavende, <strong>und</strong>e torticen moghen veer wesen <strong>und</strong> nicht mer, <strong>und</strong> wen de<br />
brudegam <strong>und</strong>e de brud to bedde sint so schal dar edder in anderen husen des avendes nyne sammelinghe<br />
dantze edder ienigerhande kost wesen van der hochtyd wegen. BEHN 1833, S. 89<br />
79 Dieser Vergleich fällt für die genannten Gebiete äußerst negativ aus. Was sitten <strong>und</strong> gebreüch die<br />
Moschowyten / Reüssen / Littawer / Liffländer / <strong>und</strong> sonderlich die Curländer (welche Völcker nahend an die<br />
Mitternächtigen stossen) bey iren Hochzeiten haben / will ich mit kürtze entdecken / dieweil sie kein ordentlich
17<br />
Versprechen der Übergabe der Tochter an den Bräutigam durch deren Vater vor Zeugen. Die<br />
Braut selber scheint kein Mitspracherecht zu haben. Nach derartiger Bekräftigung des<br />
„Ehegemächts“ werde nicht lange mit der Hochzeit gewartet <strong>und</strong> die Braut vor den Altar<br />
geführt, wo der Ehekonsens, diesmal von der Braut direkt erfragt wird, ein Ring vom Priester<br />
angesteckt <strong>und</strong> die Hochzeit eingesegnet wird. Olaus Magnus fügt <strong>im</strong> Anschluß an diese<br />
Beschreibung noch hinzu: „so seind alle vorgelossne Ceremonien schon bestätigt“. 80 Dies<br />
weist meiner Meinung nach darauf hin, daß diese Sichtweise neu ist <strong>und</strong> den fortschreitenden<br />
Einfluß der Kirche auf die Eheschließungspraxis dokumentiert. In welcher Weise<br />
unterschiedliche Rechtsstile <strong>im</strong> Volksbrauch miteinander vermischt werden, zeigt das<br />
folgende, Magnus offensichtlich peinliche Verfahren, die Trauungshandlung von weltlicher<br />
Seite mit symbolischen Handlungen zu bestätigen:<br />
Will hieneben das auch nicht verschweigen / das die Ummbständer / weil man der Braut<br />
den Ring ansteckt / einander mit feüsten pleüwen / das sie auf solch weiß den Actum<br />
bekrefftigen / gleich wie breüchlich ist <strong>im</strong> Sacrament <strong>und</strong> Firmung / das man dem / so diß<br />
Sacrament entfahet / ein backenstreich gibt / <strong>und</strong> so einer zum Ritter geschlagen wirt / damit<br />
er solches eingedenck sey. 81<br />
Ein „pleüwen“ oder „raufen“ des Bräutigams durch männlichen Hochzeitsgäste ist übrigens<br />
auch aus Deutschland bekannt <strong>und</strong> wird als Abschiedsritual der Dorfjugend interpretiert. 82<br />
<strong>Beilager</strong> <strong>und</strong> <strong>Bettleite</strong> sind jedoch nicht gänzlich beiseite gedrängt. Bezeichnenderweise erst<br />
<strong>im</strong> nächsten Kapitel unter der Überschrift „Von erbarkeit der Ehelichen Pflicht“ berichtet<br />
Magnus von der damals üblichen Zeremonie der Bettsetzung:<br />
Nachmals helt man andere Ceremoney mehr / so man die Braut schlaffen legt / dann der<br />
Pfarrherr / oder ein anderer Kirchendiener / singt das Lobgesang von dem Heyligen Geist /<br />
Veni creator spiritus etc. mit anrueffung der Göttlichen Hülf / das er den neuwen Ehleüten<br />
alles glück <strong>und</strong> heil von oben herab verleihen werde. Darnach ist auch der brauch / das man<br />
den zweien Ehegemaheln / so bey einander auff dem Beth sitzen / etliche gute Richt fürtregt /<br />
das sie eine kleine weil mit den umbstehenden essen / Endtlichen so nehmen sie urlaub von<br />
den Freünden / <strong>und</strong> legen sich an ir rhu. Nachfolgenden tag verbirgt die Braut ir Haar [...] 83<br />
Interessant für unseren Zusammenhang ist hier die Erwähnung der benedictio thalami <strong>und</strong> der<br />
öffentlichen Bettsetzung als Teil des Hochzeitsbrauchtums. 84 Für die chronologische<br />
Auswertung ist von besonderer Bedeutung, daß die Eheleute nur auf dem Bett zu sitzen<br />
scheinen, während die Hochzeitsgäste um sie herum stehen <strong>und</strong> alle zusammen eine Stärkung<br />
Ehegemächt halten / sondern ihre Weyber nur mit gewalt nehmen / <strong>und</strong> hinweg führen. Dann zu gleicherweiß<br />
als die Römischen gesatz <strong>und</strong> der Fürsten gutbeduncken wöllen / das diß allein ordentliche rechtmäßige<br />
Hochzeiten sein / so zuovor das Ehegemächt beschehen, <strong>und</strong> man der he<strong>im</strong>steür halber überein konnten.<br />
MAGNUS 1567, S. 379. Die für Magnus archaische Sitte des Brautraubs, wie er sie ausführlich <strong>im</strong> folgenden<br />
beschreibt, ist auch Gelegenheit zu der oben zitierten Bemerkung über den Gr<strong>und</strong> der vertragsartigen<br />
Eheschließung in der eigenen Kultur. Die Betonung der Verhandlung über die Höhe der He<strong>im</strong>steuer erlaubt<br />
einen Blick auf die zu dieser Zeit wohl nicht nur in Schweden geltenden Präferenzen bei der Eheschließung.<br />
80<br />
MAGNUS 1567, S. 378 f.<br />
81<br />
MAGNUS 1567, S. 379. In diesen Zusammenhang der Vermischung unterschiedlicher Rechtsstile steht auch<br />
die Sitte, daß der Bräutigam der Braut nach der Trauung auf den Fuß tritt, um so die „Inbesitznahme“ zu<br />
versinnbildlichen. Vgl. VON SCHRÖDER 1888, S. 79 ff.; SOHM 1875, S. 65.<br />
82<br />
FABER 1974, S. 146 f. Vgl. HERWEGEN 1913, S. 319 ff.<br />
83<br />
MAGNUS 1567, S. 380 f.<br />
84<br />
Vgl. FRANZ 1909, S. 176 ff.
18<br />
einnehmen. 85 Das <strong>Beilager</strong> findet dann nach dem Auszug der Gäste aus dem Schlafgemach<br />
statt. Daß es sich dabei um die wirkliche copula carnalis handelt, wird aus der Änderung der<br />
Haartracht der Frau deutlich. 86 Das Beschlagen der Decke über dem Paar <strong>im</strong> Bett, wird von<br />
Magnus nicht erwähnt. 87 Für die Bezeugung des rechtmäßigen ehelichen <strong>Beilager</strong>s wird hier<br />
die <strong>Bettleite</strong> für genügend erachtet. In dem folgenden Kapitel findet sich eine Textstelle, die<br />
die rechtliche Bedeutung des Ehevollzugs verdeutlicht. 88<br />
Die schwedischen Landschaftsrechte lassen in der <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> Bettsetzung nur eine<br />
symbolische Rechtshandlung erkennen. Die copula carnalis wird nicht gefordert. Bei<br />
Abendhochzeiten in Lübeck in der Mitte des 15. Jahrh<strong>und</strong>erts wurde die <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> das<br />
rituelle <strong>Beilager</strong> <strong>im</strong> engen Anschluß an die He<strong>im</strong>führung durchgeführt. Die schwedische<br />
Quelle aus dem 16. Jahrh<strong>und</strong>ert äußert sich nicht präzise über den Zeitpunkt der <strong>Bettleite</strong>,<br />
aber man kann aus dem Kontext auf eine abendliche <strong>Bettleite</strong> schließen. In allen Quellen wird<br />
dem <strong>Beilager</strong> noch eine rechtliche Bedeutung für das eheliche Güterrecht zugeschrieben, auch<br />
wenn die Eheschließung in späterer Zeit schon nach dem Ehegelöbnis <strong>und</strong> dem Ringtausch<br />
als rechtskräftig angesehen wurde.<br />
Änderungen <strong>im</strong> reformatorischen Eherecht?<br />
Die Reformation hat nach Auffassung der meisten Forscher bezüglich der <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> der<br />
öffentlichen Bettbeschreitung <strong>im</strong> skandinavischen Raum zu keinen Veränderungen geführt. 89<br />
Erst in einem evangelischen Ritualhandbuch aus dem Jahre 1693 findet sich eine wesentliche<br />
Veränderung gegenüber der ursprünglichen katholischen Benediktion, da die Segnung des<br />
Ehebetts nun direkt nach dem Gottesdienst erfolgen sollte. 90 Auch in der Eheschließung zu<br />
reformatorischer Zeit hatten <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> <strong>Beilager</strong> ihren Platz <strong>im</strong> Ablauf der Eheschließung.<br />
Voraussetzung für diese positive Bewertung des <strong>Beilager</strong>s als Vollzugshandlung der<br />
Eheschließung war die rechtmäßige, zuvor vollzogene Trauung. Die Polizei- <strong>und</strong><br />
Eheordnungen der frühen Neuzeit versuchten den vorehelichen Geschlechtsverkehr auch<br />
85 Eine stärkende Suppe vor dem <strong>Beilager</strong> ist aus vielen Gegenden bezeugt. Vgl. VON SCHRÖDER 1888, S. 84,<br />
262. Möglicherweise soll dieses Mahl der Brautleute, die sich anschicken die Bettgemeinschaft halten, die<br />
Tischgemeinschaft symbolisieren. Vgl. FABER S. 178 f.<br />
86 Vgl. FABER 1974, S. 183 f.<br />
87 Magnus erwähnt ein solches Ritual auch nicht in dem vorangehenden Kapitel über die Hochzeiten der<br />
Edelleute. Hier hebt er vor allem hervor, daß die Ehen auf der Gr<strong>und</strong>lage der kirchlichen Trauungsformel in<br />
Anwesenheit des Priesters <strong>und</strong> vor der Kirche geschlossen würde. MAGNUS 1567, S. 377.<br />
88 So begibt sich zu zeiten / das die Braut so von dem Breütigam nach der Hochzeit oder hinschweren auß ires<br />
Vatters Hauß wirt hingeführt / <strong>und</strong>erwegen stirbt / ehe sie zu ihres gemahels gewarsame kompt / wo das<br />
geschiet / so führt man den todten Leib widerumb he<strong>im</strong> in ihres Vatters Hauß / <strong>und</strong> wirt die leich eben da<br />
zubereit / da die Hochzeit war / oder das hinschweren / Dergleichen geschieht auch wo der Mann stirbt. So aber<br />
nach geschehener beywohnung (Hervorhebung des Verf.) der Mann mit todt abgeht / so muß das Weyb mit rhat<br />
der nechsten Freündt der Kinder pflegen / dieweil sie in der Witwenschafft ist. MAGNUS 1567, S. 381.<br />
89 Die ersten protestantischen Ritualbücher schlossen sich nach Freisen noch eng an den katholischen Ritus an.<br />
Langfristig wurden allerdings das alte germanische Recht verdrängt <strong>und</strong> die Eheschließung auch hier zu einer<br />
rein kirchlichen Handlung umgestaltet. Vgl. FREISEN 1909, S. 153 f.<br />
90 CARLSSON 1965, S. 158, 262. Demgegenüber legt Freisen dar, daß <strong>im</strong> gesamten Eheschließungsrecht<br />
erhebliche Veränderungen zu verzeichnen sind: Schon Mitte des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts wurde durch die dänische <strong>und</strong><br />
damit gleichlautende Schleswig- Holsteinische Kirchenverordnung die Trauung in der Kirche verbindlich.<br />
FREISEN 1909, S. 155 ff.
19<br />
zwischen schon verlobten Paaren zu unterbinden <strong>und</strong> schränkten eine solche Freizügigkeit<br />
ein. 91 In der württembergischen protestantischen Eheordnung aus dem Jahre 1537 findet sich<br />
ein Artikel, der diesen Problembereich thematisiert:<br />
Zum sechsten, so werden wir glauplich bericht, das biß anher, etlich vil personen, nach<br />
beschehener Verlobung, <strong>und</strong> doch zuvor, Ee, <strong>und</strong> dieselbige an der Cantzel verkünidigt, <strong>und</strong><br />
vor der christlichen gemein (wie gebreuchlich) befestiget worden, die Eelichen werk mit<br />
einander gepflegen. Darauß vil irrungen, <strong>und</strong> onrats evolgt, darab wir dann nit ein gerings<br />
ongnedigs mißfallen empfangen, darumb solch leichtvertig, ergerlich, <strong>und</strong> unerber leben<br />
züverhüten, So ist unser will, meynung unnd bevelhe, daß unsere <strong>und</strong>erthonen, sich sollichs<br />
onzeitlichen, onordenlichen <strong>und</strong> ongebürlichen beischlaffens, vor dem Kirchgang bei<br />
vermeidung unser straff, enthaltend [...] 92<br />
Der Wille zur „sittlichen Verbesserung“ der Bürger ist deutlich spürbar. In dieser Beziehung<br />
mag die Reformation tatsächlich auf das <strong>Beilager</strong> gewirkt haben, indem sie strengere sittliche<br />
Normen an die zukünftigen Eheleute heran trug. Dieser Einfluß der Reforamtion änderte aber<br />
nichts an der Bedeutung, die der <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> dem öffentlichen rituellen <strong>Beilager</strong> bei der<br />
Eheschließung auch in reformatorischer Zeit in Teilen Norddeutschlands unverändert<br />
beigemessen wurde. Dies läßt sich auch an der Beobachtung ablesen, daß bei einem<br />
Rechtsstreit, in dem die Rechtmäßigkeit einer Eheschließung von Bedeutung war, lange Zeit<br />
die Zeugen der öffentlichen <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> Trauung <strong>und</strong> nicht der trauende oder segnende<br />
Geistliche zur Rechtmäßigkeit der Eheschließung befragt wurden. Für das Ritzenbüttler Amt,<br />
einem kleinen Ort westlich von Bremen bei Lemwerder, konnte Erich Drägert feststellen, daß<br />
erstmals 1623 ein Geistlicher als Zeuge für die rechtmäßige Eheschließung gehört wurde.<br />
Demgegenüber kann er einige Quellen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts anführen,<br />
die Laien als Zeugen ausweisen <strong>und</strong> in prägnanten Formeln die Bedeutung des <strong>Beilager</strong>s nach<br />
erfolgter Trauung durch den Pfarrer für die Rechtmäßigkeit <strong>und</strong> den Rechtsstand der Kinder<br />
belegen: Die Zeugen erklären z.B. das sie mede zu den christlichen Kirchgange brutlachen<br />
<strong>und</strong> ehelichen bylager gewesen. Bezüglich der ehelichen Abstammung einer Person geben sie<br />
zu Protokoll, daß der fragliche in ehelicher bositzung <strong>und</strong> beywonung nach vorflissung<br />
gebuerlicher Zeit [...] echt <strong>und</strong> recht geboren. 93 In einer anderer Aussage wurde von den<br />
91 Vgl. hierzu STUTZ 1933, S. 320, Anm. 3 <strong>und</strong> Stefan BREIT; "Leichtfertigkeit" <strong>und</strong> ländliche Gesellschaft.<br />
Voreheliche Sexualität in der frühen Neuzeit, München 1991. Auch MAGNUS 1567, S. 380 wendet sich gegen<br />
die Freizügigkeit in der Verlobungszeit.<br />
92 RICHTER (1848) Bd. 1, S. 281. Vgl. auch HEMPEL 1980, S. 224 f. mit einem Zitat aus dem Entwurf für einer<br />
Polizeiordnung für das Herzogtum Sachsen-Lauenburg aus dem Jahre 1591: Domit auch der Unzucht, die unter<br />
dem Scheine der Ehe zugehet, geweret, soll in unserm Furstenthumb der Concubinatus durchaus, was Standes<br />
die Personen sein mochten, ausdrucklich verbotten sein, oder aber wan es bef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> sie drumb zu Rede<br />
gesetzt, ihre Concubinen entweder innerhalb Monatsfrist zu eheligen oder zu vorlassen oder aber in Weigerung<br />
deßen unser Furstenthumb zu reumen schuldich sein. Aldieweil auch sich etwa zutregt, das Braudt <strong>und</strong><br />
Breutigamb, wen sie verlobet, fur dem christlichen Kirchgang <strong>und</strong> der Hochzeit sich fleischlich erkennen, so<br />
ordenen wir, wo die Personen von Adel, das sie ihres Standes gemeß Goldt, Perlen noch Seidengewande an<br />
ihrem Leibe zur Kleidung nicht tragen <strong>und</strong> sich aller erlichen Versamblung 3 Jahr lanck enthalten sollen, ihrem<br />
Ehrenstande sonsten unabbruchlich. Geschehe aber solchs unter Burgers- oder geringers Stands Personen,<br />
sollen sie nach ihres Standes Gelegenheit kein Seidengewandt noch Hochfarben antragen, sondern sich<br />
schwartz kleiden <strong>und</strong> 3 Jahr lang aller erlichen Gesellschaft sich enthalten, auch wo ihre Schuldt vermercket<br />
wirdt, mit hochzeitlichem Gepreng zur Kirchen zu gehen nicht verstattet werden, domit zwischen ordentlichen<br />
<strong>und</strong> he<strong>im</strong>blichen <strong>Beilager</strong>n ein Unterscheidt sei.<br />
93 DRÄGERT 1962, S. 52
20<br />
Zeugen ebenso versichert: das sy beide mit jn dusses Peter Hanen seiner beiden ehelichen<br />
<strong>und</strong> ehrlichen eltern christlichem Kirchgange <strong>und</strong> zu den ehelichen beylager gewesen, sy mit<br />
zu dem christlichen ehebette bringen helfen. 94<br />
In der Lübecker Hochzeitsordnung von 1566 waren <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> Bettsetzung ebenfalls ein<br />
selbstverständlicher Bestandteil der Hochzeit. Bei einer Wein-Abendköste z. B. sollte nach<br />
der Mahlzeit <strong>und</strong> dem Tanz der Bräutigam zu Bett gebracht werden <strong>und</strong> den Fr<strong>und</strong>en<br />
afdanckenn [...] wenner dem Brudegam de Brudt yndt bedde geworpen is [...] 95 Dieser<br />
Brauch sei <strong>im</strong> Handwerkerstand Lübecks noch bis in das 17. Jahrh<strong>und</strong>ert beobachtet<br />
worden. 96<br />
Dies sind weiterer Hinweise auf die andauernde rechtliche Bedeutung des <strong>Beilager</strong>s <strong>im</strong> 16.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert. Somit gilt auch für die nachreformatorische Phase insgesamt die Beurteilung<br />
Fröhlichs: „Die entscheidende Rolle bei dem Eheschließungsakte selbst spielt vielmehr die<br />
unter Beobachtung best<strong>im</strong>mter Formen sich vollziehende Verpflanzung des Mädchens in das<br />
Haus des Mannes, die He<strong>im</strong>führung, <strong>und</strong> das - zunächst wirklich <strong>und</strong> dann wohl durch<br />
öffentliche Beschreitung des Ehebettes symbolisch - vollzogene <strong>Beilager</strong>,<br />
die „Bettsetzung“,<br />
mit der erst der Eheschließungsvorgang zum Abschluß gelangt.“ 97<br />
Ein besonders lehrreiches Beispiel für den Ablauf einer fürstlichen Hochzeit <strong>im</strong> 16 Jh. ist die<br />
sogenannte „Torgauer Hochzeit“, die Roderich Schmidt schon 1958 <strong>im</strong> Hinblick auf die<br />
Abfolge der einzelnen Rechtshandlungen genau untersuchte. 98 Die Hochzeit zwischen der<br />
sächsischen Prinzessin Maria <strong>und</strong> Herzog Phillip I. von Pommern-Wolgast <strong>im</strong> Februar 1536<br />
hatte die Eingliederung Pommerns auf die Seite der evangelischen Reichsstände zur Folge.<br />
Sie war deshalb von besonderer politischer Bedeutung <strong>und</strong> Luther selbst nahm die Trauung<br />
vor. Durch den Vergleich verschiedener zeitgenössischer Datierungen der Hochzeit kommt<br />
Schmidt zu einer Reihenfolge der Rechtshandlungen, die mit der He<strong>im</strong>führung begann <strong>und</strong><br />
94<br />
DRÄGERT 1962, S. 53. Dort auch weitere Zitate, die in die gleiche Richtung weisen: „Zeugen können u.U.<br />
später Auskunft darüber geben, daß sie die Neugetrauten „zu dem ehelichen bey lager geführt, sy mit zu dem<br />
chrtistlichen ehebette (haben) bringen helfen“ oder daß sie „mede zu dem christlichen Kirchgange, brautlachen<br />
<strong>und</strong> ehelichem beylager gewesen“ sind. DRÄGERT 1962, S. 51.<br />
95<br />
BEHN 1833, S. 104. Bei einer anderen Hochzeitform, der „Pastein Koste“, also der Pasteten-Hochzeit, wurde<br />
die <strong>Bettleite</strong> ganz ähnlich geregelt: „Wenn nun de Maltidt geschehenn is, schall de Brudegam van denn<br />
Schafferschen tho tein schlegenn upgefordert werdenn, mit sinen hern <strong>und</strong> Fr<strong>und</strong>en nah der Kamer gahnn, unnd<br />
wenn ehme de Brudt tho bedde gebracht is, sollen de geste nah huß gahnn, <strong>und</strong> de Keller geschlaten werden<br />
[...]“. BEHN 1833, S. 101. Als Pasteten-Hochzeiten bezeichnete man diejenigen, bei denen den Gästen Pastete<br />
<strong>und</strong> Wein vorgesetzt werden durfte. Vgl. BEHN 1833, S. 67 Anm. 11.<br />
96<br />
FRENSDORFF 1918, S. 11 mit Verweis auf Hansische Geschichtsblätter 1907, S. 47. Für Ostfriesland spricht J.<br />
C. Stracke von der Bettsetzung als „eine der wichtigsten Zeremonien bei der Trauung“. STRACKE 1978, S. 12.<br />
Sie sei in den verschiedenen Landesteilen unterschiedlich gehandhabt worden. Die letzten Nachrichten über die<br />
Bettsetzung stammen nach Stracke von den ostfriesischen Inseln <strong>und</strong> von Helgoland, <strong>und</strong> zwar aus dem Anfang<br />
des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Ein Bericht aus dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert über das Hochzeitsbrauchtum in der Mitte des 18.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts auf der Insel Sylt erwähnt <strong>Bettleite</strong> oder <strong>Beilager</strong> allerdings überhaupt nicht. HANSEN 1833, S.<br />
413-18. Dies könnte aber seinen<br />
Gr<strong>und</strong> in der einseitigen kirchlichen Sicht des Berichterstatters, des Küsters<br />
Hansen aus Keitum, haben <strong>und</strong> muß als vereinzeltes Zeugnis nicht darauf hindeuten, daß die <strong>Bettleite</strong> dort früher<br />
nicht verbreitet gewesen ist.<br />
97<br />
FRÖLICH 1951, S. 114.<br />
98<br />
SCHMIDT 1958, S. 372 ff.
21<br />
am nächsten Tag mit Aufgebot, Trauung <strong>und</strong> <strong>Beilager</strong> fortgesetzt wurde. 99 Der Abschluß<br />
bestand in der kirchlichen Segnung des Paares am Morgen des dritten Tages. 100 Diese<br />
Abfolge <strong>und</strong> ihre selektive Überlieferung durch die Theologen auf der einen <strong>und</strong> die Juristen<br />
auf der anderen Seite sind bemerkenswert. Vor allem die starke Betonung der<br />
Konsenserklärung der Eheleute <strong>und</strong> die Bedeutung des Vollzugs der copula carnalis sowie<br />
auch die eventuelle He<strong>im</strong>führung sind für ihn ein deutlicher Hinweis auf die unterschiedliche<br />
Bewertung der einzelnen Eheschließungshandlungen aus kirchlicher <strong>und</strong> aus weltlicher<br />
Perspektive. 101<br />
Im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert veränderte sich aber die Bedeutung der kirchlichen Trauungshandlung in<br />
Norddeutschland <strong>und</strong> Pommern <strong>im</strong>mer mehr zu einem konstitutiven Element der<br />
Eheschließung, die nun in der Kirche stattfinden sollte. Die Reformatoren hielten zwar die<br />
kirchliche Einsegnung der Brautleute für angemessen, aber nicht für rechtlich notwendig.<br />
Auch Luther hatte den Brautleuten noch freigestellt, ob sie eine kirchliche Trauung<br />
vornehmen lassen wollten. Nun setzte sich aber allgemein die Überzeugung durch, daß die<br />
herkömmliche kirchliche Trauung rechtlich notwendig sei. Diese Änderung in der<br />
Rechtsauffassung spiegelt sich auch in den Quellen wider: Es wurde best<strong>im</strong>mt, daß „allein<br />
durch die priesterliche Copulation <strong>und</strong> Einsegnung die Ehe vollzogen [wird] <strong>und</strong> ohne<br />
derselben keine eheliche Beiwohnung vor eine rechtmäßige Ehe zu halten“ ist. 102 Die<br />
Sippenöffentlichkeit ging damit, wie Ingeborg Schwarz es formulierte, in der kirchlichen <strong>und</strong><br />
staatlichen Öffentlichkeit des vom Priester vollzogenen Trauaktes auf.<br />
t knüpfte in seinen Vorstellungen hier vielmehr an die<br />
103<br />
Festzuhalten bleibt, daß die Reformation keinen direkten Einfluß auf die Bewertung der<br />
öffentlichen <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> des <strong>Beilager</strong>s als Rechtshandlung mit sich gebracht zu haben<br />
scheint. Das reformatorische Eherech<br />
Sitte in katholischer Zeit nahtlos an.<br />
Die Vorverlegung<br />
<strong>und</strong> Symbolisierung der <strong>Beilager</strong>handlung <strong>im</strong> 15. <strong>und</strong> 16.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
Die seit der Mitte des 15. Jahrh<strong>und</strong>erts quellenmäßig belegbare Form des symbolischen<br />
<strong>Beilager</strong>s ist für den dänischen Hochadel ebenfalls schon zu dieser Zeit bezeugt. Die Hochzeit<br />
99<br />
SCHMIDT 1958, S. 376 schließt aus dem Predigttext Luthers bei der Trauung am 27.2.1536, daß die copula<br />
carnalis vor der kirchlichen Trauung noch nicht vollzogen worden sei <strong>und</strong> erst nach der Trauung, aber vor der<br />
Benediktion am nächsten Tag stattgef<strong>und</strong>en habe. Ohne auf die Argumente für diese Auffassung hier näher<br />
einzugehen zu wollen, könnte man jedoch auch annehmen, daß schon am 26.2. ein symbolisches <strong>Beilager</strong> nach<br />
der von Schmidt angenommenen Übergabe der Braut <strong>und</strong> He<strong>im</strong>führung (für die es scheinbar keine direkten<br />
Hinweise gibt; vgl. SCHMIDT 1958, S. 381) stattgef<strong>und</strong>en hatte <strong>und</strong> deshalb von weltlicher Seite dieses Datum<br />
als eigentlicher Tag der Eheschließung angegeben wurde.<br />
100<br />
Das eine solche Zweiteilung der kirchlichen Handlungen aber nicht überall gleichförmig ausgeprägt war, läßt<br />
sich an einem Satz aus Luthers Traubüchlein erkennen: „Etliche füren die braut zwey mal zu kirchen beide des<br />
abends <strong>und</strong> des morgens, Etliche nur einmal.“ Vgl. SCHMIDT 1958, S. 375. Über den Einfluß Luthers auf das<br />
kirchliche Trauungsritual siehe STEVENSON 1983, S. 126 ff.<br />
101<br />
SCHMIDT 1958, S. 382.<br />
102<br />
SCHWARZ 1958, S. 70 f. Es handelt sich bei dem Zitat um ein Urteil des sächsischen Konsistorium zu Leipzig<br />
aus dem Jahre 1616.<br />
103<br />
SCHWARZ 1958, S. 76.
22<br />
des dän ischen Herzogs <strong>und</strong> nachmaligen Unionskönigs Johannes am 6. September 1478 in<br />
Kopenhagen<br />
mit Christina von Sachsen ist hierfür ein interessantes Beispiel.<br />
Darnach habenn wir uff des königs geschefte unnszer Muhmen zcur zuleget (?) gefurt, hat<br />
die alde koniginne ir allen houptgeschmuck lassen abnehmen unnd unns befelhenn sie in das<br />
bette zusetzenn, dem wir alszo gethann. Darnach alszo unnszere muhme eine gute weyle in<br />
dem bette gesesszenn ist der konig komen vnnd hat lassenn confect vnnd trincken bringen. Ist<br />
Herttzog Johannes der Erwelte bey den die sulch confect <strong>und</strong> trincken trugen in das gemach<br />
geschlichen unnd in blosszer Joppe vnnd hoszenn zu vnnszer muhmen in das bette<br />
gesprungen vnnd hat sie mit armen vmbfangen. Vnnd yn beyden wart das decketuch uber ir<br />
houpt gezcogen vnnd alszo eine kurtze Zceit bey einander gewest vnnd alszo das confect<br />
vnnd trincken gereicht, darnach ist ydermann uszgegangen vssgeslosszenn die konigynn, die<br />
frawen vnnd jungfrawen. 104<br />
Es fällt auf, daß hier nicht, wie in Norddeutschland üblich, die Braut dem Mann ins Bett<br />
gelegt wird, sondern umgekehrt der Bräutigam zur Braut ins Bett springt. 105 Die darauf<br />
folgenden Handlungen sind aber vertraut: die eheliche Umarmung <strong>und</strong> das Beschlagen mit<br />
der Decke. Die Frauen blieben dann in der Schlafkammer zurück. 106 Zur Frage der Int<strong>im</strong>ität<br />
der Situation, die <strong>im</strong> folgenden noch thematisiert werden wird, ist festzuhalten, daß Braut <strong>und</strong><br />
Bräutigam zwar bekleidet, ihres Hochzeitsschmucks jedoch entledigt sind. Dem<br />
Berichterstatter erscheint es <strong>im</strong>merhin bemerkenswert, daß der Bräutigam „in blosszer Joppe<br />
vnnd hoszenn“ zu der Braut in das Bett steigt. Nach der Umarmung <strong>und</strong> dem Beschlagen der<br />
Decke über dem Paar ziehen die Männer wieder aus, nur die Frauen bleiben in der Kammer<br />
zurück. Der rein symbolische Charakter der Zeremonie ist deutlich greifbar.<br />
Auch in dem allegorisch-autobiographischen Prosawerk „Weiskunig“ (ca. 1517), das nach<br />
den Anweisungen Max<strong>im</strong>ilian I. entstand, findet sich die Beschreibung eines symbolischöffentlichen<br />
<strong>Beilager</strong>s eines Königspaares, das in diesem Zusammenhang jedoch sogar<br />
während<br />
der Brautmesse in der Kirche stattfindet:<br />
Nun was bey dem altar berait / ain pet der rainigkait, <strong>und</strong> als der babst seine andech- /<br />
tige gepet gesprochen het, da nam<br />
er den kunig <strong>und</strong> / die kunigin bey iren henden <strong>und</strong> fuert<br />
sy zu demselben / pet, die sich in iren kuniglichen klaidern in rainigkait / daran legten <strong>und</strong><br />
unvermailigt wider davon aufstun- / den; sölichs beschach nur allain zu ainem zaichen des /<br />
heiligen sacraments der ee. 107<br />
Faber verweist bei der Erläuterung der Textstelle aber darauf, daß die Beschreibung kaum als<br />
Beleg dafür dienen könne, daß sämtliche Akte der Eheschließung gewohnheitsmäßig zu<br />
dieser Zeit der kirchlichen Autorität unterstellt worden sein, sondern daß es sich vielmehr um<br />
die Beschreibung einer vorbildlichen Eheschließung eines mit allen Tugenden ausgestatteten<br />
104<br />
CARLSSON 1953, S. 51 Anm. 12 mit Hinweis auf Wittenb. Archiv, Vermählungen fol. 58-59, Dresdener<br />
Staatsarchiv.<br />
105<br />
Vgl. TROELS-LUNDT 1904, S. 200 f. Der Grenzverlauf zwischen Bettsprung des Mannes in Skandinavien <strong>und</strong><br />
dem Beilegen<br />
der Frau in Deutschland hat sich zu Beginn des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts in der Mitte von Südjütland<br />
bef<strong>und</strong>en.<br />
106<br />
Vgl. hierzu BEHN 1833, S. 69: „Nicht zu allen Zeiten war es der Braut erlaubt, an dem Schmause Theil zu<br />
nehmen. Im Anfange des sechzehnten Jahrh<strong>und</strong>erts sahen wir sie allein mit dem Bräutigam in der Brautkammer<br />
speisen <strong>und</strong> auch<br />
dann noch dort zurückbleiben, wenn die Sitte den Bräutigam be<strong>im</strong> Braten zu seinen Gästen<br />
zurückrief.“<br />
107<br />
FABER 1974, S. 174 mit Verweis auf: Weisskunig.<br />
Nach Frühdrucken für den Stuttgarter Galerie-Verein<br />
hrsg. von H. Th. Musper et<br />
al., Bd. I, S. 212.
23<br />
christlichen Herrscherpaares handele. 108 Unter diesem Vorzeichen bekommt die Erklärung<br />
„sölichs beschach nur allain zu ainem zaichen des heiligen sacraments der ee“ einen fast<br />
entschuldigenden Charakter, der über die ursprüngliche Inkompatibilität dieses weltlichen<br />
Brauchs zur christlichen Lehre der Eheschließung hinwegtäuschen möchte. Sie spiegelt aber<br />
auch den tatsächlichen Druck der Kirche auf die weltlichen Rechtshandlungen der<br />
Eheschließung zu dieser Zeit wider, der zu einer Uminterpretation der ursprünglichen<br />
Rechtsbedeutung zu einer christlichen Sakramentshandlung führte. Das <strong>Beilager</strong> war somit<br />
von einer neuen Feierlichkeit <strong>und</strong> Nähe zur kirchlichen Trauung erfüllt.<br />
Beschreibungen von Bettsetzungen finden sich aus dieser Zeit nicht nur <strong>im</strong> Hochadel. In dem<br />
Diarium des Henning Brandis, einem Bürgermeister von Hildeshe<strong>im</strong>, liest man über einen<br />
solchen symbolischen Formalakt anläßlich seiner dritten Hochzeit <strong>im</strong> Jahre 1508:<br />
Tohant darna sette se oer vader mick int bedde <strong>und</strong>e sede: Im namen des vaders, des<br />
sones <strong>und</strong>e des hilligen geistes, <strong>und</strong>e dat juck got gelucke <strong>und</strong>e heil geve. By der halve, dar<br />
ick sat, weren [...], sunst over de gantzen kameren vele vruwen <strong>und</strong>e neine jungkvruwen. Men<br />
gaf uns confect <strong>und</strong>e schenkeden wyn <strong>und</strong>e embeckesch beer. Danach setze man sich wieder<br />
zu Tisch. Die Braut dantzede do vort in den losen haren. 109<br />
Fritz Adlers Forschungen über die Verlobungs- <strong>und</strong> Hochzeitsgebräuche in pommerschen<br />
Städten weisen ebenfalls auf eine weite Verbreitung des symbolischen <strong>Beilager</strong>s <strong>im</strong> 16.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert hin. Nach der He<strong>im</strong>führung wurde sogleich die „besettinge am ehebedde“<br />
durchgeführt. Für Strals<strong>und</strong> finden sich eine Reihe von Best<strong>im</strong>mungen, die von einer <strong>Bettleite</strong><br />
sprechen: In den Statuten der Schifferkompagnie von 1488<br />
ens.<br />
Das öff<br />
h hener vortruwinge,<br />
110 , in den<br />
Tagebuchaufzeichnungen des Strals<strong>und</strong>ischen Bürgermeisters Gentzkow aus den Jahren<br />
1558-67 sowie in der Hochzeitsordnung von 1570 finden sich Beweise für die allgemeine<br />
Verbreitung der Sitte <strong>und</strong> ihrer rechtlichen Bedeutung für den Vollzug des Eheversprech<br />
entliche <strong>Beilager</strong> ist ebenso für Greifswald (1592) bezeugt, wo best<strong>im</strong>mt wurde:<br />
wan de brüdegam <strong>und</strong> Brudt uth der Kerken mit ehren geladenen fründen <strong>und</strong> gesten<br />
gekommen in dem huse, edder wohr die Hochtydt geholden, na gesc e<br />
vor anfange der Mahltyd, de Brudt dem Brüdegam tho Bedde geföret. 111<br />
In dem Hinweis „nach geschehener vortruwinge" zeigt sich deutliche der Einfluß der Kirche,<br />
die das <strong>Beilager</strong> direkt nach der Trauung bevorzugte. Eine ähnliche Wendung findet sich auch<br />
1573 in Stettin: “Umb drey Uhr zu beisetzung Braudt <strong>und</strong> Breutigams dieser Stadt üblichen<br />
108 FABER 1974 S. 174 f.<br />
109 SCHRÖTER 1991, S. 371. Vgl. FRENSDORFF 1918, S. 11. Von einem symbolischen <strong>Beilager</strong> berichtete Brandis<br />
auch <strong>im</strong> Zusammenhang mit seiner ersten Hochzeit 1475 <strong>und</strong> seiner zweiten <strong>im</strong> Jahre 1480. Daß der Vorgang<br />
lediglich symbolisch verstanden wurde, zeigt die Bemerkung, daß die Braut „in den losen haren dantzede“, wie<br />
es nur einer Jungfrau erlaubt war.<br />
110<br />
„eyn schipper este broder nympt ene husfrowe to der ee, so schal he den broderen gheven ene tunne bers;<br />
dar vore schalen ene de broderevolghen to der Karken <strong>und</strong>e wedder to hus <strong>und</strong> helpen ene to bedde bringhen na<br />
wanlyker wise, <strong>und</strong>e der brodere schalen to deme mynsten wesen twyntich edder vyf<strong>und</strong>etwyntich personen.<br />
Unde de ene to bedde bringhen, de schalen de tunne bers utdrinken“. ADLER, 1957, S. 100 mit Verw. auf: Das<br />
Statut der Strals<strong>und</strong>er Schifferkompagnie, hrsg. von R. EBELING, in: Pommersche Jarhrb. Bd. 3 (1902), S. 189.<br />
111<br />
ADLER 1957, S. 101 Anm. 94
24<br />
Brauch nach geschritten.“ 112 . Aus diesen Quellen geht eindeutig hervor, daß das öffentliche<br />
<strong>Beilager</strong> am Tage, direkt nach der Trauung gehalten werden sollte.<br />
Das symbolische <strong>Beilager</strong> war aber nicht nur eine gebräuchliche Förmlichkeit, sondern<br />
konnte auch zu sehr pragmatischen Zwecken eingesetzt werden. Das <strong>Beilager</strong> in<br />
Stellvertretung, in Prokuration, hat <strong>im</strong> 15. <strong>und</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert (<strong>und</strong> scheinbar nur in dieser<br />
Zeit) in der Heiratspolitik der europäischen Fürsten eine gewisse Rolle gespielt. Mit Hilfe<br />
eines symbolischen <strong>Beilager</strong>s, bei dem der Ehemann meist durch einem ihm nahestehenden<br />
Adeligen vertreten wurde, wurden auf höchster sozialer Ebene Ehen vollzogen <strong>und</strong> versucht,<br />
Mitbewerber auszustechen.<br />
Einer der bekanntesten Berichte über eine solche Eheschließung in Prokuration betrifft den<br />
Heiratsversuch des damaligen Königs Max<strong>im</strong>ilian mit Anna von der Bretagne 1490 in<br />
Rennes, der <strong>im</strong> Chronicon Austriacum des Jakob Unrest folgendermaßen überliefert ist: [...]<br />
<strong>und</strong> daselbs beslieff der von Polha<strong>im</strong> die kunigliche prawt, als der fursten gewohnhait ist, das<br />
ire senndpotten die furstliche prawt mit ainem gewapten mann, mit dem rechten arm <strong>und</strong> mit<br />
dem rechten fues plos <strong>und</strong> ain plos swert dazwischen gelegt, beschlafen. Also haben dy allten<br />
fursten gethan <strong>und</strong> ist noch die gewonhait.<br />
lichkeit, weil seit Hinkmar von Re<strong>im</strong>s von kirchlicher Seite die<br />
Auffassung formuliert wurde, daß eine Eheschließung, bei der die copula carnalis eingetreten<br />
113 Es handelt sich um eine Sitte bei der<br />
Eheschließung in Stellvertretung, die unter anderem <strong>im</strong> Hause Habsburg Anwendung fand<br />
<strong>und</strong> ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts zumindest bei den Habsburgern nicht mehr<br />
nachzuweisen ist. 114 Man sollte wohl die Bemerkung Unrests über das Alter dieser<br />
Gewohnheit ernst nehmen, zumal sich die Bemerkung nur auf das Alter der verwandten<br />
Rechtssymbole zu beziehen scheint <strong>und</strong> nicht auf die Sitte des symbolischen <strong>Beilager</strong>s bei der<br />
Eheschließung in Prokuration, die typisch für die Zeit von 1450-1550 gewesen ist. Die<br />
Erwähnung des Eheschwertes als trennende Barriere zwischen der Braut <strong>und</strong> dem Prokurator<br />
in diesem Zusammenhang deutet auch auf die archaische Form des Rituals hin, das als<br />
keusches <strong>Beilager</strong> bezeichnet wurde. 115 Der symbolische Vollzug als solcher diente der<br />
Steigerung der Verbind<br />
war,<br />
unauflöslich sei. 116<br />
112 ADLER 1957, S. 101 Anm. 94. Weitere Quellen, die Adler nicht zitiert, stammen nach seinen Angaben aus<br />
den Jahren 1582, 1603 <strong>und</strong> 1631.<br />
113 GROSSMANN (Hg.) 1957, S. 214. Vgl. WETTLAUFER 1994, S. 250 Anm. 19.<br />
114<br />
VOCELKA 1976, S. 31. Die Sitte war jedoch nicht auf Habsburg beschränkt: „So berührte etwa <strong>im</strong> Jahre 1514<br />
der Marquis<br />
de Rothelin in Stellvertretung Ludwigs XII. von Frankreich dessen Braut, die achtzehnjährige<br />
englische Prinzessin Maria, vor Zeugen mit dem eigens zu diesem Zwecke entblößten Bein.“ Die gleiche<br />
Förmlichkeit begegnet uns bei der Heirat der Erzherzogin Margarete mit Phillip dem Schönen, Herzog von<br />
Savoien 1501. BLUM 1917, S. 399.<br />
115<br />
BILDER-LEXIKON DER EROTIK 1928, Teil 1/1 S. 128. Vgl. zur Bedeutung des Eheschwertes MEYER 1932, S.<br />
276 ff.<br />
116 GAUDEMET 1987, S. 117 f. Vgl. FREISEN S. 30 ff. Ein weiteres Beispiel ist die durch einen Prokurator<br />
geschlossene Ehe von Herzogin Isabella von Burg<strong>und</strong> <strong>und</strong> König Christian II. von Dänemark am 11. Juni 1514<br />
durch den Bischof von Cambray in Brüssel: „Endlich wurde die Braut in das Brautz<strong>im</strong>mer geführt <strong>und</strong> man<br />
legte sie auf das Brautbett; darauf holten die vornehmsten gegenwärtigen Herrn den Bräutigam (Mogens Gjøe),<br />
machten eine kleine Öffnung in seine Kleider <strong>und</strong> brachten ihn in das Brautz<strong>im</strong>mer, wo er in ihrer Gegenwart<br />
sich an der Seite der Braut niederlegte. Die naive Zeit fand nichts Anstößiges an solchem Auftritt, der durch alte<br />
Sitte <strong>und</strong> Gebrauch eingeführt war. Darauf führten die Herrn ihn zum Saal zurück <strong>und</strong> damit war der festliche
25<br />
Ganz <strong>im</strong> Zeichen von barocker Festlichkeit stand die öffentliche Bettsetzung Karl X. Gustavs<br />
mit Hedwig Eleonora von Holstein-Gottorf <strong>im</strong> Reichssaal zu Stockholm 1654, also fast<br />
zweih<strong>und</strong>ert Jahre später. Es wäre kaum ein solcher Aufwand mit diesem <strong>Beilager</strong> getrieben<br />
worden, wenn es sich nicht um eine politisch bedeutende Heirat gehandelt hätte, deren<br />
Rechtmäßigkeit <strong>und</strong> güterrechtliche Wirkung über jeden Zweifel erhaben sein mußte.<br />
Tatsächlich scheint sich die Sitte des symbolischen <strong>Beilager</strong>s gerade bei fürstlichen<br />
Eheschließungen besonders lange gehalten zu haben. 117<br />
Es bleibt bezüglich der Frage des symbolischen <strong>Beilager</strong>s in der zweiten Hälfte des 15.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts somit festhalten, daß es sich um eine <strong>im</strong> Ursprung auf ältere Zeiten<br />
zurückweisende Rechtssitte handelt, die in Kontinuität weitergeführt worden ist, aber erst <strong>im</strong><br />
15. Jahrh<strong>und</strong>ert einen rein symbolischen Charakter annahm. Die Gründe für diese<br />
Abstrahierung scheinen vor allem in dem <strong>im</strong>mer stärker werdenden kirchlichen Einfluß<br />
begründet zu sein. Die von dieser Seite formulierte Forderung nach Öffentlichkeit <strong>und</strong><br />
Feierlichkeit der Eheschließung führten zu einer Entkopplung des öffentlichen <strong>Beilager</strong>s von<br />
der Hochzeitsnacht. <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> <strong>Beilager</strong> wurden aber weiterhin als rechtsnotwendig für die<br />
güterrechtlichen Folgen der Ehe angesehen. Ein Formalakt wie das symbolische <strong>Beilager</strong> war<br />
aber auch ein pragmatisches Instrument zum Vollzug einer Ehe, ohne dem Zwang ausgesetzt<br />
zu sein, den Beischlaf unter einer öffentlichen Kontrolle zu vollziehen. 118 Er tritt uns zuerst<br />
be<strong>im</strong> Hochadel entgegen, wo es sich vor allem um politische Heiraten handelte, bei denen<br />
eine affectio maritalis nicht unbedingt gegeben war, dafür die transferierten Vermögenswerte<br />
aber umso bedeutender sein konnten. 119<br />
Das abendländische Eherecht dieser Zeit zeichnete eine gewisse Rechtsunsicherheit in Bezug<br />
auf den Gegensatzt zwischen Konsens <strong>und</strong> Öffentlichkeitsforderung aus. Dem konnte eine<br />
Vorverlegung des <strong>Beilager</strong>s entgegentreten. Diese Vorverlegung, direkt <strong>im</strong> Anschluß an die<br />
kirchliche Trauung, erforderte eine stärkere Betonung des Formalen in der Ausgestaltung der<br />
Handlung. Es erschien den Beteiligten offensichtlich in der zweiten Hälfte des 15.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts in dieser Situation nicht mehr adäquat, die Ehe direkt zu vollziehen, sondern es<br />
wurde nach Formen gesucht, die an die Stelle dieses Vollzugs treten konnten. 120 Die<br />
Tag geschlossen.“ FREISEN 1909, S. 150 Anm. 22 mit Zitat aus: ALLEN, De tre nordiske Rigers historie,<br />
Kjøpenhavn 1865, Bd. 2, S. 122. Die Z<strong>im</strong>mersche Chronik hat ebenfalls eine Beschreibung des <strong>Beilager</strong>s in<br />
Prokuration des Pfalzgrafen Ludwig IV. <strong>und</strong> Margarethe von Savoyen, der Tochter des letzten Gegenpapstes<br />
Felix V. (1439-1449): Es ward dozumal ain halbe hochzeit zu Jenf gehalten <strong>und</strong> lag graf Philips von<br />
Catzenelenbogen bei, von seins herren wegen, wie<br />
dann <strong>und</strong>er den fursten <strong>und</strong> hochen Pottentaten in sollichen<br />
fellen die gewonhait. DIE CHRONIK DER GRAFEN VON ZIMMERN 1972, Bd. III, S. 52 / 16. Vgl. zur Bedeutung der<br />
Chronik für die Rechtsgeschichte BADER 1942.<br />
117<br />
Heineccius weiß zu berichten:<br />
„Solebat en<strong>im</strong> apud Germanos medii aevi concubitus praecedere epulum<br />
nuptiare, uti etiamnum fieri solet inter<br />
nobiles.“ HEINECCIUS 1773, Bd. 2.2. S. 266.<br />
118<br />
Vgl. SCHRÖTER 1991, S. 375.<br />
119<br />
Vgl. VOCELKA 1976, S. 21 ff.<br />
120<br />
Dieser Meinung auch FRENSDORFF 1918, S. 12: „Der mos Teutonicus, dem Aeneas Sylvius das vor Zeugen<br />
geschehende <strong>Beilager</strong> K. Friedrichs III. v. J. 1452 zuschreibt, entspricht der Verfeinerung der Sitten, die es nicht<br />
mehr duldet, den int<strong>im</strong>sten Vorgang des Familienlebens den Mißbräuchen der Öffentlichkeit auszusetzen, will<br />
aber zugleich das alte Recht der Öffentlichkeit <strong>und</strong> ihre Vorteile wahren. Im späteren Recht entwickelt sich<br />
daraus der Streit, von welchem Zeitpunkte<br />
ab die vermögensrechtlichen Wirkungen der Ehe zu datieren seien.
26<br />
Bettbeschreitung wurde somit, möglicherweise <strong>im</strong> Rückgriff auf ihren ursprünglichen<br />
rechtlichen Symbolgehalt, an vielen Orten zum vollgültigen Zeichen des Ehevollzugs. 121<br />
Festkultur <strong>und</strong> Sozialdisziplinierung der Eheschließung in der frühen Neuzeit.<br />
In den Forschungen zur Entwicklung des Eheschließungsrechts sind in jüngster Zeit die<br />
sozialdisziplinierenden <strong>und</strong> ordnenden Einflüsse der Obrigkeit wieder stärker ins Blickfeld<br />
geraten. 122 In den westeuropäischen Städten kamen seit dem 13. Jahrh<strong>und</strong>ert Luxus- <strong>und</strong><br />
Hochzeitsordnungen auf, die massiv in die Gestaltung der Feste eingriffen <strong>und</strong> gleichzeitig<br />
Formen neuer Festkultur widerspiegeln. Die älteste Lübecker Hochzeitsordnung unterschied<br />
keine Klassen verschiedener Bürger <strong>und</strong> damit auch keine Hochzeitstypen. In der<br />
Hochzeitsordnung aus dem Jahre 1410 waren nur Abendhochzeiten gestattet. 123 Kurz darauf,<br />
in einer Ordnung aus der ersten Hälfte des 15. Jahrh<strong>und</strong>erts, werden Tages- <strong>und</strong><br />
Abendhochzeiten (aufgeteilt in drei Unterklassen) unterschieden <strong>und</strong> in eine deutliche<br />
Reihenfolge gestellt. Tageshochzeiten waren den besonders vermögenden Bürgern<br />
vorbehalten. Auf ihnen durften in Lübeck über 50 Personen eingeladen <strong>und</strong> mit erlesenen<br />
Speisen <strong>und</strong> Wein bewirtet werden. Es kam somit <strong>im</strong> 15. Jahrh<strong>und</strong>ert in Lübeck zu einer<br />
weitergehenden Differenzierung der Hochzeitstypen mit dem Ziel, unangemessenen Luxus zu<br />
verhindern. 124 In den Hochzeits- <strong>und</strong> Luxusordnungen spiegelt sich in besonderer Weise die<br />
Differenzierung <strong>und</strong> das Repräsentationsverlangen einzelner Gruppen der städtischen<br />
Gesellschaft wider. Wenn man ihnen einen reaktionären Charakter unterstellt (der zumeist der<br />
eigentliche Gr<strong>und</strong> für den Erlaß einer neuen Ordnung ist) so tritt eine ganze Reihe von<br />
Neuerungen <strong>im</strong> 15. Jahrh<strong>und</strong>ert in der Festkultur zutage, die einer Reglementierung durch den<br />
Rat bedurften. Die Feste wurden scheinbar <strong>im</strong>mer üppiger <strong>und</strong> nahmen einen stark<br />
ostentativen Charakter an; der Reichtum wurde zur Schau gestellt. Da auch <strong>im</strong> städtischen<br />
Patriziat bei einer Hochzeit durchaus beachtliche Vermögenswerte transferiert wurden, war<br />
dort das symbolische <strong>Beilager</strong> zum Vollzug der Ehe mit ihren güterrechtlichen D<strong>im</strong>ensionen<br />
lange <strong>im</strong> Gebrauch. Behn ging 1833 davon aus, daß ein symbolisches <strong>Beilager</strong> in Lübeck <strong>im</strong><br />
15. <strong>und</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert die übliche Form des bezeugbaren Ehevollzugs war.<br />
„Bei den Hochzeitsfeierlichkeiten stellt sich die priesterliche Trauung zwar als ein durch<br />
die Religion gebotenes, sonst aber außerwesentliches Requisit dar. Offenbar legte man auch<br />
in Lübeck die Ehe erst dann bürgerliche Wirkung bei, wenn das <strong>Beilager</strong> vollzogen war. [...]<br />
Das <strong>Beilager</strong> wurde in Gegenwart der Verwandten des Bräutigams in soweit vollzogen, daß<br />
sie der Förmlichkeit beiwohnten, wenn die Fre<strong>und</strong>e der Braut diese zum Bräutigam ins Bette<br />
Das Mittelalterliche Recht, wie die weiter unten vorkommenden urk<strong>und</strong>lichen Äußerungen bezeugen <strong>und</strong> die<br />
revid. StR. meinen den realen Vollzug.“<br />
121<br />
Vgl. hierzu auch FISCHER 1782, S. 125; mit einem Zitat aus dem Tübinger Stadtrecht von 1493: „Begibt sich,<br />
daß zwey zu der Ee gryffend, unnd das ein vor unnd ehe sy byschlaffend <strong>und</strong> Inn die ee vor der Kirch gemachet<br />
ist, mit Toud abgat, unnd denn Zwitracht <strong>und</strong> Krieg entstaat um das Gut [...], so solle keins das ander erben.<br />
Sondern soll das abgestorbene Gute seine nächsten Fre<strong>und</strong>en seyen <strong>und</strong> bleiben, <strong>und</strong> dann so hand sie<br />
byschlaffen, wann die Decken den Mann mit der Frauen beschlecht (Hervorh. durch den Verf).“ Vgl. SCHRÖTER<br />
1991, S. 376.<br />
122<br />
Vgl. BULST 1991, 39 ff. mit neuerer Literatur.<br />
123<br />
BEHN 1833, S. 67 Anm 11.<br />
124<br />
BULST 1991, S. 43, 50.
27<br />
legten, Daß von dieser Handlung an die bürgerlichen Wirkungen der Ehe gerechnet,<br />
diesselbe also für vollzogen geachtet wurde, ergibt sich nicht nur daraus, daß nunmehr erst<br />
die Anwesenden ihre Glückwünsche abstatteten, sondern auch daraus, daß nach dem<br />
Aufstehen vom <strong>Beilager</strong> die Morgengabe gegeben wurde, <strong>und</strong> daß die Ordnung von 1612,<br />
wenn sie in die Stelle des <strong>Beilager</strong>s eine bloße Übergabe der Braut einführte, dieser<br />
Handlung ausdrücklich gleiche Wirkung mit jener beilegt.“ 125<br />
Wenn gleich nach dem öffentlichen <strong>Beilager</strong> die Morgengabe vom Bräutigam übergeben<br />
wurde, dann mußte das <strong>Beilager</strong> symbolisch stattfinden <strong>und</strong> nicht den Hochzeitstag<br />
beschließen. Insgesamt scheinen in dieser Zeit die Handlungen der Hochzeit alle auf einen<br />
Tag gedrängt. Die von Behn schon genannte Lübecker Hochzeits- <strong>und</strong> Kleiderordnung aus<br />
dem Jahre 1612 versuchte die Bettsetzung<br />
einzugrenzen <strong>und</strong> den realen Charakter der<br />
Rechtshandlung<br />
weiter abzuschwächen:<br />
Die Niedersetzung <strong>und</strong> Beylegung ins Bette, wird auch als überflüssig <strong>und</strong> <strong>und</strong>ienlich<br />
geachtet; sondern es soll sich der Bräutigam zu Ende des Bettes stellen, allda soll ihm von<br />
denen, so die Braut zu der Copulation geleitet, selbige zugeführet <strong>und</strong> überantwortet<br />
werden, welches hinführo eben so viel, als bishero gewöhnliche Beilegung wirken <strong>und</strong><br />
gelten, <strong>und</strong> derselben gleich geachtet <strong>und</strong> gehalten werden soll, <strong>und</strong> mögen darauf die Herrn<br />
dem Bräutigam <strong>und</strong> der Braut Glück wünschen, abdancken <strong>und</strong> hingehen.“ Und <strong>im</strong><br />
folgenden<br />
11. Artikel heist es: „Wenn dieses also verrichtet, mag sich der Bräutigam mit den<br />
Gästen, so länger Lust haben zu bleiben, frölich machen, <strong>und</strong> wer Lust zu tanzen hat, tanzen<br />
[...]. 126<br />
Adler spricht in diesem Zusammenhang von einem Prozeß der sinnentleerenden<br />
Abschwächung, da sich das Brautpaar spätestens um die Wende vom 16. zum 17. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
nicht mehr in das Bett legte <strong>und</strong> mit der Decke beschlagen wurde, sondern sich nur noch<br />
darauf setzte oder sich davor stellte. Den tieferen Gr<strong>und</strong> für diese Wandlung sieht er in dem<br />
Einfluß des römischen Rechts, das namentlich von dem Juristen Mevius in Pommern<br />
eingeführt worden sei.<br />
ging<br />
haben, allein<br />
9<br />
127 Auch in Schleswig-Holstein schränkte die Hochzeitsordnung des<br />
Herzogs Johann Adolf aus dem Jahre 1615 die Dauer der Hochzeit streng ein: bei zweitägigen<br />
Hochzeiten mußten die Gäste jeweils um neun Uhr abends nach Hause gehen. 128 Noch weiter<br />
die schleswig-holsteinische Polizeiordnung von 1632, wo verordnet wurde:<br />
Bei Sommerzeit sollen die Hochzeiten länger nicht dann biss zehen, <strong>und</strong> bey Winterszeit<br />
bis neun Uhr auf den Abend gehalten <strong>und</strong> hernacher keinen eintziger Trunck erfolget,<br />
sondern Bräutigamb <strong>und</strong> Braut, wann sie an ein andern Orten ihr Nachtlager<br />
mit vier der nächsten Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Verwandten sich dahin begeben, dasselbst aber kein Tanz<br />
gehalten, oder sonst einige Speise, Tranck oder Confect vorgesetzt werden. 12<br />
In Pyritz<br />
(Pommern) best<strong>im</strong>mte die Polizeiordnung (1616) dagegen noch:<br />
125<br />
BEHN 1833, S. 75f. Dagegen findet sich keine Erwähnung der <strong>Bettleite</strong> oder des öffentlichen <strong>Beilager</strong>s in<br />
zwei Hamburger Hochzeitsordnungen aus den Jahren 1583 <strong>und</strong> 1585. Vgl. VOIGT 1889.<br />
126<br />
STEIN 1738, S. 165, Artikel 10, Tit. 5 der Lübecker Hochzeits- <strong>und</strong> Kleiderordnung von 1612.<br />
127<br />
ADLER 1957, S. 102<br />
128<br />
„Damit also die Hochzeit ihre endtschafft haben / <strong>und</strong> der Tanz ehrbarlich gehalten / Zu beyden Tagen / umb<br />
neun Uhr zu Abendt / abgekürzet / da es an oerten nicht ehe gewoehnlich geschicht / Unnd demnach sin jeder in<br />
seine Behausung wiederkeren sol.“ ORDNUNG DES HERZOG JOHANN ADOLF, Schleswig 1615.<br />
129<br />
FREISEN 1899, S. 651. Das probate Mittel gegen klandestine Heiraten mit vollzogenem <strong>Beilager</strong> war die<br />
Enterbung. Diese Sanktion nennt die schleswig-holsteinische Polizeiordnung ausdrücklich. FREISEN 1899, S.<br />
637 § 3.
28<br />
Bräutigam <strong>und</strong>t Braut sollen auch nicht mehr als des Montags <strong>und</strong> also nur einmahl für<br />
ihre Ehe oder Brautbette begleittet <strong>und</strong> geführet werden. Unnd solches sol geschehen, wan<br />
die copulation <strong>und</strong>t andere christliche Ceremonien in der Kirche verrichtet sein, unndt so<br />
bald wieder sie zu Hause komen, das spätliche unndt unzeitige beschwerliche zu Bette<br />
bringen hinfüro hiermit abgeschaffet sein. 130<br />
Dieses letzte Zitat verdeutlicht besonders klar den Wandel des Eheschließungsrechts als<br />
nunmehr kirchlichen Handlungsablauf <strong>im</strong> 16. <strong>und</strong> Anfang des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts. Die Trauung<br />
rückte regelhaft vor das <strong>Beilager</strong>. Das öffentliche <strong>Beilager</strong>, welches der schon erwähnten<br />
interessanten Verdopplung unterlag, wird auf einen Tag festgelegt <strong>und</strong> soll stattfinden „sobald<br />
wieder sie zu Hause komen“. Die abendliche <strong>Bettleite</strong> wird verboten. Eben zu dieser Zeit tritt<br />
neben der Kirche auch die weltliche Obrigkeit mit ihrer Einflußnahme auf die Eheschließung<br />
in Aktion <strong>und</strong> drängt die öffentliche <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> Bettsetzung als rechtskonstituierendes<br />
Element der Hochzeit zurück. 131<br />
Das <strong>Beilager</strong> <strong>im</strong> Baltikum <strong>und</strong> in Finnland<br />
Ein Vergleich des ländlichen Eheschließungsbrauchtums <strong>im</strong> Baltikum <strong>und</strong> in Finnland mit<br />
den oben besprochenen nord- <strong>und</strong> ostdeutschen sowie pommerschen <strong>und</strong> dänischen Quellen<br />
ergibt ein erstaunliches Weiterleben<br />
der öffentlichen <strong>Bettleite</strong> <strong>im</strong> Brauchtum vor allem der<br />
ländlichen Bevölkerung.<br />
m<br />
der<br />
bleiben <strong>und</strong> kleiden<br />
die Braut aus. Letzere n<strong>im</strong>mt ihr die Schuhe ab, erstere die Bröschen <strong>und</strong> macht ihr die<br />
132<br />
Ein gemeinsames Besteigen des Brautbettes in Anwesenheit von Verwandten <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en<br />
findet sich <strong>im</strong> estnischen Brauchtum. Diese Übereinst<strong>im</strong> ung könnte von dem starken<br />
Kontakt mit schwedischem Recht in der Neuzeit herrühren. 133 Rosenplänter schrieb 1818, daß<br />
nur die Mutter des Bräutigams <strong>und</strong> die Brautmutter das junge Paar zu Bett bringen. 134 Von<br />
Insel Oesel ist leider nur <strong>und</strong>atiert folgende Beschreibung einer <strong>Bettleite</strong> überliefert:<br />
„Der Bräutigam legt sich zuerst in Kleidern zu Bette, dann bringt der Bräutigamsvater die<br />
Braut <strong>und</strong> wirft sie auch aufs Bette, zieht ihr mit dem Degen den Schleier ab <strong>und</strong> steckt den<br />
Degen in die Lage zwischen sie, zu einer Schutzwehr gegen den Satan (muß wohl der<br />
Asmodius gemeint sein). Die Brautjungfer <strong>und</strong> des Bräutigams Sajanadu<br />
Haken am Rocke los, dann entfernen sie sich <strong>und</strong> der Vorhang fällt.“ 135<br />
Aus dem Kirchspiel von Kodda findet sich noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
ebenfalls die <strong>Bettleite</strong> in Zeugengegenwart als Abschluß des Trauungstages. Die Braut wurde<br />
130 ADLER 1957, S. 101 Anm. 94.<br />
131 Man kann mit Adler eine Verbreitung der <strong>Bettleite</strong> in Pommern bis in die erste Hälfte des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
hinein annehmen, während sie weiter westlich schon gänzlich abgeschafft werden sollte. ADLER 1955, S. 101<br />
Anm. 94.<br />
132 Schriftliche Rechtsquellen standen mir für das Baltikum <strong>und</strong> Finnland leider nicht zur Verfügung.<br />
133 Es wird wohl nicht notwendig sein auf prähistorische Berührungen von finno-ugrischen <strong>und</strong><br />
indogermanischen Volksgruppen zu rekurrieren, um die Ähnlichkeiten <strong>im</strong> Brauchtum zu erklären, wie es VON<br />
SCHRÖDER in seiner vergleichenden Studie über die Hochzeitsbräuche der Esten 1888 tat.<br />
134 VON SCHRÖDER 1888, S. 220. Vgl. ESTNISCHE VOLKSBRÄUCHE 1991, S. 76.<br />
135 LUCE S. 86, zitiert nach VON SCHRÖDER 1888, S. 167. Die Interpretation des Säbelrituals ist allerdings<br />
fraglich. Wahrscheinlich handelt es sich wohl eher um ein Fruchtbarkeitssymbol. Dafür spricht auch der von<br />
Schröder auf S. 172 berichtete Brauch in Slavonien, wobei ein „Spaßmacher“ nach der Bettbesteigung mit dem<br />
Säbel mehrmals in die Decke stößt <strong>und</strong> dabei die Fruchtbarkeit der Ehe beschwört.
29<br />
vom Bräutigamsvater in das Ehebett zu dem Bräutigam geworfen. Darnach wurde ein Choral<br />
gesungen <strong>und</strong> die gesamte Hochzeitsgesellschaft ging zu Bett. In noch früherer Zeit wurden<br />
Braut <strong>und</strong> Bräutigam für die erste Nacht in den Stall zum Schlafen gelegt, <strong>und</strong> man bereitete<br />
ihnen ein Hühnerfutter. Noch früher habe man das Paar in einen Ehesack gesteckt <strong>und</strong> sie<br />
damit in den Stall auf den Misthaufen zum Schlafen gelegt. Seit 1848 werde das<br />
Hochzeitspaar jedoch in eine Kammer gebracht. 136 Auch Wiedemann berichtet von der<br />
Bettsetzung in Zeugengegenwart. Der Bräutigam lege sich zuerst in das Bett, <strong>und</strong> die von den<br />
Brautjungfern entkleidete Braut werde von dem Brautführer oder einem jungen Mann ihm an<br />
die Seite gelegt. Dann verließ man das Paar, <strong>und</strong> es werde noch ein geistliches Lied<br />
gesungen. 137<br />
Kreutzwald berichtet von der Sitte in der Gegend von Harrien <strong>und</strong> Wieck, daß die<br />
Neuvermählten in der ersten Nacht <strong>im</strong> Schafstall schlafen mußten, während in der Gegend<br />
von Dorpat den jungen Eheleuten erst nach der Geburt des ersten Kindes das Recht auf ein<br />
eigenes Bett zugestanden wurde.<br />
ers abschließt <strong>und</strong> sich später in der Nacht noch einmal<br />
Brautmutter abgeschlossen <strong>und</strong> in der Nacht wird von ihr eine Erk<strong>und</strong>igung nach dem<br />
138 Victor Jungfer nannte 1926 die <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> das <strong>Beilager</strong><br />
den Schlußpunkt der alt-litauischen Hochzeit. 139<br />
Finnland stellt als Überlieferungsgebiet für Hochzeitssitten keine homogene Landschaft dar.<br />
Seit dem 17. Jahrh<strong>und</strong>ert kam es in Westfinnland zu entscheidenden Veränderungen <strong>im</strong><br />
Hochzeitsbrauchtum. In Ostfinnland war noch lange die ursprünglichere <strong>und</strong> von den<br />
Übergangsritualen geprägte Sippenhochzeit üblich - <strong>im</strong> Westen kam es zur Umgestaltung in<br />
den Typ der Dorfhochzeit. Die <strong>Bettleite</strong> ist laut von Schröder sowohl bei den lutherischen als<br />
auch bei den orthodoxen Ostfinnen üblich gewesen. Von einem rituellen <strong>Beilager</strong> fehlt jedoch<br />
jede Spur. Die <strong>Bettleite</strong> spielte sich <strong>im</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert bei den lutherischen Ostfinnen<br />
folgendermaßen ab: „Nach der Mahlzeit wurde gesungen <strong>und</strong> dann fing man an,<br />
Vorbereitungen für die Nacht zu machen. Die Brautmutter kleidete die Braut <strong>und</strong> die Schaffer<br />
den Bräutigam aus. Die Brautmutter ließ den jungen Ehemann nicht eher in`s Bett, bevor er<br />
ihr ein paar Schuhe gab.“ 140 Als Besonderheit kann hier vermerkt werden, daß die<br />
Brautmutter die Tür des Schlafz<strong>im</strong>m<br />
nach dem Befinden des Paares erk<strong>und</strong>igt. Außerdem wurde die <strong>Bettleite</strong> z. T. am zweiten<br />
Abend der Hochzeit wiederholt. 141<br />
Bei den orthodoxen Ostfinnen wird von einer He<strong>im</strong>führung der Braut aus dem Brauthaus zur<br />
Kirche, wo die Trauung stattfand <strong>und</strong> dann weiter zum Haus des Bräutigams berichtet. Nach<br />
dem Tanz wurde das junge Paar zum Bett geleitet. Auch dort wird die Kammer von der<br />
136<br />
VON SCHRÖDER 1888, S. 167.<br />
137<br />
WIEDEMANN S. 318, zitiert nach<br />
VON SCHRÖDER 1888, S. 166 f.<br />
138<br />
VON SCHRÖDER 1888, S. 236.<br />
139<br />
JUNGFER 1926, S. 38: “Das altlitauische Hochzeitsfest ging in sehr eigenthümlicher Weise zuende. Die Braut<br />
wurde von der ausgelassenen Hochzeitsgesellschaft<br />
in den Schlafraum geführt, wo der Bräutigam bereits auf sie<br />
wartete, <strong>und</strong> dort zu ihr ins Bett geworfen.<br />
140<br />
VON SCHRÖDER 1888, S. 241.<br />
141<br />
DERS., S. 169.
30<br />
Befinden des Paares eingeholt. 142 Berichte aus dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert über Hochzeitsitten in<br />
den Kirchspielen Jääskis <strong>und</strong> St. Andrea <strong>und</strong> aus dem westlichen Nyland erwähnen die<br />
<strong>Bettleite</strong> zwar nicht, sprechen jedoch von einer feierlichen He<strong>im</strong>führung der Braut. 143<br />
Ein kurzer Aufsatz Maija-Liisa Heikinmäkis über die finnischen Hochzeitszeremonien<br />
versucht die verschiedenen chronologischen Schichten des Brauchtums zu trennen <strong>und</strong> die<br />
vorchristliche, mittelalterliche <strong>und</strong> neuzeitliche Beeinflussung desselben zu charakterisieren.<br />
Für eine ursprünglich heidnische Sitte hält sie die Übernachtung des Brautpaares in einem<br />
Außengebäude oder einem Schafstall. Aber auch dorthin sollen die Brautleute geleitet worden<br />
sein. Wenn sie von dort zurückkamen wurde die Braut zum Zeichen ihres neuen Standes als<br />
Ehefrau gehaubt. Die wichtigsten christlichen Zusätze zum finnischen Brauchtum waren,<br />
nach Auffassung Heikinmäkis, das Aufgebot, die Trauung <strong>und</strong> das Segnen des<br />
Hochzeitsbettes. An der Westküste breitete sich gleichzeitig die Verlobung nach<br />
germanischem Vorbild aus. Neu sei hierbei die Notwendigkeit von Zeugen gewesen. Auch<br />
die Überreichung der Morgengabe, die sich zuerst in Südwestfinnland durchsetzte, war eine<br />
solche Neuerung, deren Sinn von der Bevölkerung nicht <strong>im</strong>mer verstanden wurde <strong>und</strong> so zu<br />
einem inhaltsleeren Ritual wurde.<br />
ein ursprünglich<br />
en hat, läßt sich aus den mir zu Verfügung stehenden<br />
144<br />
Wenn man kurz bei der Bemerkung verweilt, daß die Notwendigkeit von Zeugen bei der<br />
Verlobung eine Neuerung aus dem indogermanischen Brauchtum gewesen sei, drängt sich die<br />
Frage auf, ob nicht auch die fehlenden Berichte über ein rituelles <strong>Beilager</strong> vor Zeugen darauf<br />
zurückgeführt werden könnten, daß dieser ursprünglich indogermanische Brauch keinen<br />
Eingang in die Hochzeitssitten Finnlands gef<strong>und</strong>en hatte, da weder die Kirche noch das<br />
weltliche Brauchtum diese Sitte für notwendig erachteten. Interessant ist in diesem<br />
Zusammenhang, daß zwar die benedictio thalami in das Hochzeitsbrauchtum aufgenommen<br />
wurde, das <strong>Beilager</strong> vor Zeugen jedoch anscheinend nicht. Dies ist eine weitere Bestätigung<br />
der These Carlssons, daß das öffentliche <strong>Beilager</strong> vor Zeugen<br />
indogermanischer <strong>und</strong> nicht ein kirchlicher Rechtsbrauch gewesen sei. 145<br />
Ein symbolisches <strong>Beilager</strong> läßt sich für das Baltikum <strong>und</strong> Finnland aus den besprochenen<br />
Berichten über ländliches Brauchtum nicht nachweisen. Um so erstaunlicher ist das lange<br />
Anhalten der Tradition der <strong>Bettleite</strong>, auch wenn sich das Ritual <strong>im</strong> Laufe des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
meist in eine Abschiedszeremonie verwandelt haben wird. Welchen Gang die Entwicklung in<br />
den Städten oder <strong>im</strong> Adel genomm<br />
Quellen leider nicht rekonstruieren.<br />
142 DERS., S. 248.<br />
143 DERS., S. 249 ff.<br />
144 HEIKINMÄKI 1982, S. 111.<br />
145 Die schwedischen Quellen sowie literarische Zeugnisse des Hochmittelalters scheinen auf eine Herkunft der<br />
rechtlichen Bedeutung aus dem indogermanischen Brauchtum hinzuweisen. Vgl. SCHNELL 1983, S. 181 f.
31<br />
III.<br />
Int<strong>im</strong>isierung der Hochzeitsnacht? Zur Frage der Funktion des symbolischen<br />
<strong>Beilager</strong>s <strong>im</strong> 15. <strong>und</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
Das symbolische <strong>Beilager</strong> weckte in jüngster Zeit das Interesse des Soziologen Michael<br />
Schröter, der einen Aufsatz zur Int<strong>im</strong>isierung der Hochzeitsnacht geschrieben hat, in dem er<br />
das symbolische <strong>Beilager</strong> als „partielle Trennung einer öffentlich- symbolischen <strong>und</strong> einer<br />
privat- realen Hochzeitsnacht <strong>im</strong> 15./16. Jahrh<strong>und</strong>ert“ 146 versteht <strong>und</strong> als Indikator<br />
zunehmender Schamschwellen in dieser Zeit funktionalisiert. 147 Insgesamt liegt ihm an dem<br />
Nachweis einer Privatisierung <strong>und</strong> Int<strong>im</strong>isierung der Hochzeitsnacht <strong>im</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>im</strong><br />
Sinne der Zivilisationstheorie von Norbert Elias. Wandlungen in der Gestaltung der<br />
Hochzeitsnacht lassen seiner Auffassung nach wie in einem Brennspiegel Veränderungen des<br />
Verhältnisses zur Sexualität (<strong>im</strong> engeren Sinne) erkennen. 148 In seiner differenzierten<br />
Auswertung von hauptsächlich literarischen Quellen beschreibt er die schrittweise<br />
Verdrängung des <strong>Beilager</strong>s aus dem Eheschließungsrecht durch die in den Vordergr<strong>und</strong><br />
rückende kirchliche Trauungshandlung. 149 Seine Hauptthese zur Entstehung des „concubitus<br />
symbolicus“ <strong>im</strong> Spätmittelalter trägt der partiellen Verbreitung dieses Brauches Rechnung;<br />
die symbolische Bettbeschreitung sei „keinesfalls die Norm <strong>und</strong> vielleicht eher eine regionale<br />
Besonderheit oder auf best<strong>im</strong>mte, hochstehende soziale Gruppen beschränkt“ gewesen. 150<br />
Schröter vermutet des weiteren, daß das symbolische <strong>Beilager</strong> seinen Ursprung in den<br />
höchsten gesellschaftlichen Schichten des Spätmittelalters genommen habe <strong>und</strong> sich von dort<br />
„etwa auf Patriziergruppen ausdehnte, die in vieler Hinsicht die Hochzeitsgebräuche des<br />
Adels (z.B. pompöse Aus- <strong>und</strong> Einritte mit livriertem Geleit) nachahmten“. 151<br />
Im Verlauf seiner weiteren Untersuchungen konzentriert sich Schröter auf die Analyse<br />
literarischer Zeugnisse (vor allem Autobiographien) <strong>und</strong> die Änderung von Worthäufigkeiten<br />
146<br />
So die Überschrift eines Kapitels. SCHRÖTER 1991, S. 367.<br />
147<br />
Vgl. DINZELBACHER 1994, S. 83 ff.<br />
148<br />
„Es ist eine Gr<strong>und</strong>these dieser Arbeit, daß die aufgezeigten Wandlungen in der Gestaltung der<br />
Hochzeitsnacht <strong>und</strong> <strong>im</strong> Reden über sie einen Wandel <strong>im</strong> Aufbau der Persönlichkeit <strong>und</strong> speziell der<br />
Verarbeitung genitaler Sexualität <strong>im</strong>plizieren. Hand in Hand, so daß Modell, mit der Entfunktionalisierung des<br />
ersten Geschlechtsverkehrs von Neuvermählten <strong>und</strong> seiner Verdrängung aus der Öffentlichkeit fand ein Schub<br />
der Sexualabwehr statt.“ SCHRÖTER 1991, S. 404. Vgl. DERS. S. 360.<br />
149<br />
In der bisherigen Forschung wird zumeist die Auffassung vertreten, daß sich die öffentliche Beschreitung des<br />
Bettes <strong>im</strong> Spätmittelalter durch alle Schichten <strong>und</strong> an allen Orten in ein symbolisches Ritual verwandelt habe<br />
(z.B. MIKAT 1971, Sp. 814). Schröter hat sich demgegenüber bemüht, die sich in den Quellen widerspiegelnde<br />
unterschiedliche Handhabung der <strong>Bettleite</strong> als rein symbolischen Rechtsbrauch <strong>und</strong> als Einleitung des ehelichen<br />
nächtlichen <strong>Beilager</strong>s zur gleichen Zeit zu berücksichtigen. Dieser heterogene Quellenbef<strong>und</strong> wird durch die<br />
vorliegende Arbeit bestätigt. Vgl. SCHRÖTER 1991, S. 372 <strong>und</strong> oben S. 15 ff. <strong>und</strong> S. 21 ff.<br />
150<br />
Er stützt sich dabei auf die deutlichen Quellenbelege über das stellvertretende <strong>Beilager</strong> <strong>und</strong> die Beschreibung<br />
der Hochzeit Friedrich III. bei Aeneas Silvius.<br />
151<br />
Das Zitat gehört in den folgenden Zusammenhang: „Gut vorstellbar, daß ein abgelöster Vorgang des „mit der<br />
Decke“ beschlagens, unter den besonderen Zwängen der Lage, in eben diesen höchsten Kreisen entstanden ist<br />
<strong>und</strong> daß er sich von dort etwa auf Patriziergruppen ausdehnte, die in vieler Hinsicht die Hochzeitsgebräuche des<br />
Adels (z.B. pompöse Aus <strong>und</strong> Einritte mit livriertem Geleit) nachahmten.“ SCHRÖTER 1991, S. 375.
32<br />
(z.B. der Worte <strong>Beilager</strong> <strong>und</strong> Beischlaf) in diesen Texten. 152 Aus dieser Analyse zieht er dann<br />
u. a. den interessanten Schluß, daß die Hochzeitsnacht in „Adelsgruppen“ des 16.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts weiterhin sehr viel stärker öffentlich gewesen sei als in stadtbürgerlichen<br />
Gruppen, die zu dieser Zeit schon „triebfeindlicher“ gewesen seien. 153<br />
Schröter spricht dabei völlig zutreffend von einem Prozeß, in dessen Verlauf die „soziale<br />
Regulierung des legit<strong>im</strong>en Zusammenkommens von Männern <strong>und</strong> Frauen an Zentralinstanzen<br />
übergeht <strong>und</strong> entsprechend nicht mehr am ganzen, auch physischen Ablauf einer<br />
Eheschließung, sondern mehr <strong>und</strong> mehr an einem verbal- punktuellen Formalakt ansetzt,<br />
[...]“. So werde die Hochzeitsnacht langsam aus dem Licht der Öffentlichkeit verdrängt. 154<br />
Dieser Prozeß scheint aber, selbst wenn man nur Quellen aus Norddeutschland zugr<strong>und</strong>elegt,<br />
nicht auf das 16. Jahrh<strong>und</strong>ert beschränkt gewesen zu sein. 155 Mit der Einengung auf den<br />
Nachweis einer Int<strong>im</strong>isierung der Hochzeitsnacht <strong>im</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert verzichtet Schröter von<br />
vornherein auf einen notwendigen Vergleich mit späteren Zeiträumen. In der vergleichenden<br />
Betrachtung der Quellen <strong>und</strong> des Brauchtums aus dem <strong>Ostseeraum</strong> eröffnen sich in dieser<br />
Hinsicht aber interessante abweichende Perspektiven. Die Öffentlichkeit des <strong>Beilager</strong>s <strong>im</strong><br />
<strong>Ostseeraum</strong> kann an den Quellen bis in das 19. Jahrh<strong>und</strong>ert hinein verfolgt werden. 156 Auch<br />
wenn die angeführten schwedischen Zeugnisse nicht von einer rechtlich motivierten <strong>Bettleite</strong>,<br />
sondern von einem „fare-well“ Ritual berichten, gingen die Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Eltern doch mit in<br />
die Schlafkammer <strong>und</strong> sahen das Paar <strong>im</strong> Schlafgewand. 157 Schröter ist aber zuzust<strong>im</strong>men,<br />
daß sich bei der Frage der Bekleidung der Brautleute bei einem symbolischen <strong>Beilager</strong> vom<br />
15. zum 16. Jahrh<strong>und</strong>ert ein Wandel in Richtung Zunahme der Bekleidungsstücke<br />
152<br />
Schröters Interpretation von „Broutlacht“ als Ausdruck für <strong>Beilager</strong> steht, wie er selber bemerkt, die übliche<br />
Etymologie des Wortes entgegen. Die trotzdem vorgenommene Gleichsetzung mit dem <strong>Beilager</strong> bleibt somit<br />
nicht nachvollziehbar. Vgl. auch DÜNNINGER 1967, S. 227 f.; FABER S. 239 ff.<br />
153<br />
In einem Kapitel mit der Überschrift „Int<strong>im</strong>isierung der Hochzeitsnacht <strong>im</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert“ versucht<br />
Schröter zunächst den Nachweis zu führen, daß Worte wie <strong>Beilager</strong> oder Beischlaf in stadtbürgerlichen<br />
Schichten in den Hintergr<strong>und</strong> treten oder verschwinden. (SCHRÖTER 1991, S. 378 ff.) Mit Verweis auf die<br />
Widersprüche in seinen Quellen versucht er solche zuerst als „soziale <strong>und</strong> individuelle Konflikte um die<br />
Privatisierung der Hochzeitsnacht <strong>im</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert“ zu fassen <strong>und</strong> dann schließlich die seiner These der<br />
zunehmenden Privatisierung strikt entgegenstehenden Bef<strong>und</strong>e aus der Z<strong>im</strong>merschen Chronik <strong>und</strong> den<br />
Denkwürdigkeiten des Herrn von Schweinichen mit einem Kunstgriff dennoch unter einen Nenner zu bringen,<br />
um nicht das Paradigma des Zivilisationsprozesses als determinierenden Faktor aufgeben zu müssen: „Man stößt<br />
hier auf gruppenspezifische Unterschiede zwischen Zivilisationsprozessen innerhalb einer Gesellschaft [...]<br />
Quellenkritisch ist dabei zu lernen, daß man sich hüten muß, nicht einer globalen Entwicklung zuzuschreiben,<br />
was in Wirklichkeit zunächst oder pr<strong>im</strong>är auf einem unterschiedlichen Gruppenbezug der verwendeten Daten<br />
beruht.„ SCHRÖTER 1991, S. 397 f. Seine Feststellung, daß der Ausdruck „<strong>Beilager</strong>“ als terminus technicus in<br />
Hinblick auf fürstliche Hochzeiten <strong>im</strong> 17. Jahrh<strong>und</strong>ert weiterlebt, wird auch durch die Bemerkungen des Juristen<br />
Heineccius (vgl. oben Anm. 117) <strong>und</strong> das öffentliche <strong>Beilager</strong> Karl X. Gustav zu Stockholm 1654 (vgl. oben S.<br />
25) gestützt. Den Gr<strong>und</strong> für die längere Dauer des symbolischen <strong>Beilager</strong>s <strong>im</strong> Adel sehe ich in der dort<br />
gesteigerten Festlichkeit <strong>und</strong> Öffentlichkeit des Aktes unter kirchlichem Einfluß sowie dem stärkeren<br />
Traditionsbewußtsein dieser sozialen Gruppe.<br />
154<br />
SCHRÖTER 1991, S. 370.<br />
155<br />
In die gleiche Richtung deutet auch Schröters eigene Beobachtung der Kontinuität des fürstlichen <strong>Beilager</strong>s<br />
in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> darüber hinaus. DERS., S. 397 ff.<br />
156<br />
Dies ist in so fern von Bedeutung, als Schröter in seinen Forschungen von einer Int<strong>im</strong>isierung der<br />
Hochzeitsnacht <strong>im</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert ausgeht. Vgl. SCHRÖTER 1991, S. 378 ff.<br />
157<br />
Dabei handelte es sich wohlgemerkt um die besser gestellten bürgerlichen Schichten. Vgl. RUNDQUIST 1987,<br />
S. 91 ff.
33<br />
abzuzeichnen scheint. Ob dieser Wandel aber auf einen „Subl<strong>im</strong>ierungsschritt“ oder vielmehr<br />
auf das Zurückdrängen der Rechtshandlung an sich durch den Einfluß der Kirche oder der<br />
Obrigkeit zurückzuführen ist, kann durch diese Beobachtung entgegen seiner Auffassung<br />
wahrscheinlich nicht entschieden werden. Mit Sicherheit kann der Vermutung Schröters, ob<br />
„vielleicht [...] auch das Zudecken des Paares [...] die Assoziation zu dem nackten Vorgang<br />
des sexuellen Zusammenschlafens gestisch verleugnen“ will mit Verweis auf das hohe Alter<br />
der Sitte <strong>im</strong> schwedischen Recht in dieser Funktionalisierung widersprochen werden. 158<br />
Mit der Wandlung der Öffentlichkeit bei der Eheschließung zu Beginn des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
veränderte sich anscheinend das Brauchtum nur zögernd <strong>und</strong> transformierte sich, wo es nicht<br />
von der Obrigkeit gänzlich unterdrückt wurde, in die Form eines Abschiedsrituals. Der von<br />
Schröter thematisierte Prozeß der Int<strong>im</strong>isierung (als Rückzug aus der Öffentlichkeit der<br />
Familie verstanden) scheint sich meiner Auffassung nach vielmehr regional unterschiedlich in<br />
den Städten <strong>im</strong> 18. <strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert zu vollziehen. 159 Zu diesem Zeitpunkt kann man das<br />
Verschwinden des Brauchs der <strong>Bettleite</strong> tatsächlich ohne Mühe mit der Verlegung der<br />
Hochzeitsnacht in die Privatssphäre in Bezug setzen.<br />
Schröters Funktionalisierung des symbolischen <strong>Beilager</strong>s <strong>im</strong> Sinne der Zivilisationstheorie<br />
scheint vor diesem Hintergr<strong>und</strong> fragwürdig. 160 Zu viele Hinweise sprechen meiner<br />
Auffassung nach dafür, daß die Formalisierung des <strong>Beilager</strong>s <strong>im</strong> 15. Jahrh<strong>und</strong>ert eher auf<br />
einen äußeren Druck (nämlich der kirchlichen Vorstellungen von einer ordentlichen<br />
Eheschließung) zurückzuführen sind als auf eine innere Triebfeindlichkeit <strong>und</strong><br />
Sexualunterdrückung, die <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Staatsbildungsprozeß <strong>und</strong> der<br />
Verlängerung der Interdependenzketten steht.<br />
Zusammenfassung<br />
Als Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung möchte ich die folgenden Momente festhalten.<br />
Die neuere Forschung hat überzeugend die Rechtskraft des öffentlichen <strong>Beilager</strong>s auf die<br />
indogermanische Rechtsauffassung zurückgeführt. Die katholische Kirche maß dementgegen<br />
der copula carnalis eine besondere rechtliche Bedeutung für die Unauflöslichkeit der<br />
christlichen Ehe zu <strong>und</strong> bemühte sich mit der Segnung des Ehebettes um eine Integration des<br />
<strong>Beilager</strong>s in den von ihr propagierten Ablauf einer christlichen Eheschließung. Dabei rückte<br />
das <strong>Beilager</strong> gemäß der veränderten Prioritäten regelhaft hinter die Trauung <strong>und</strong> Segnung des<br />
Brautpaares in der Kirche. Obwohl <strong>im</strong> Spätmittelalter die Kirche das Eheschließungsrecht<br />
unter ihren Einfluß gebracht hatte, blieb das eheliche Güterrecht, das von alters her nach<br />
158<br />
Vgl. oben S. 16 (Västgötarecht).<br />
159<br />
Es sei in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Beurteilung der <strong>Bettleite</strong> bei von Rohr <strong>im</strong> 18.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert hingewiesen. Vgl. oben S. 14.<br />
160<br />
Im Laufe seiner Überlegungen bietet Schröter dann eine weitere, sehr viel pragmatischere Antwort auf die<br />
Frage nach der Funktion des symbolischen <strong>Beilager</strong>s an. „Gleichwohl ist es nicht unrealistisch anzunehmen, daß<br />
die Auslagerung des sexuellen Zusammenkommens der Brautleute aus dem Hochzeitsfest, das normalerweise<br />
mit einem gewaltigen Wein <strong>und</strong> Bierkonsum verb<strong>und</strong>en war, den Mann vor einer kränkenden Erfahrung der<br />
Impotenz schützte <strong>und</strong> vielleicht auch die Frau vor einem allzu brutalen Deflorationserlebnis“. SCHRÖTER 1991,<br />
S. 378. Kritisch äußert sich ebenfalls: SPIEß 1991, S. 127 f. Vgl. auch EDER 1994, S. 16.
34<br />
nordgermanischer Rechtsauffassung mit dem <strong>Beilager</strong> begann, an diese formale<br />
Rechtshandlung gekoppelt. Im 15. <strong>und</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert finden wir die Forderungen der Kirche<br />
nach Feierlichkeit <strong>und</strong> Würde der Eheschließung auch auf das <strong>Beilager</strong> übertragen. Die früher<br />
üblicherweise die Hochzeitsnacht einleitende <strong>Bettleite</strong> wurde vorverlegt <strong>und</strong> möglichst nahe<br />
an die kirchliche Trauung herangestellt. Gleichzeitig trat der ursprünglich rechtssymbolische<br />
Charakter der <strong>Bettleite</strong> in den Vordergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> es kam zu einer Gleichsetzung von<br />
Symbolhandlung <strong>und</strong> wirklichem Ehevollzug.<br />
Die Einwirkung der Kirche auf das Eheschließungsrecht in Norddeutschland <strong>und</strong><br />
Skandinavien auf die Bewertung des <strong>Beilager</strong>s erscheint durchaus gleichzeitig in<br />
Deutschland, Dänemark <strong>und</strong> Schweden vor sich gegangen zu sein. Eine verlängerte Dauer der<br />
Rechtsbedeutung kann man demgegenüber in den spät christianisierten Gebieten Pommerns<br />
<strong>und</strong> <strong>im</strong> Baltikum feststellen. Die öffentliche <strong>Bettleite</strong> <strong>und</strong> das <strong>Beilager</strong> haben somit bis in das<br />
18. Jahrh<strong>und</strong>ert hinein regional unterschiedlich eine Bedeutung für das eheliche Güterrecht<br />
bei der Eheschließung besessen. 161 In der Zurückdrängung des <strong>Beilager</strong>s als Rechtsakt durch<br />
Staat <strong>und</strong> Kirche findet zuerst eine Distanzierung vom Ehebett, bzw. dem ehelichen Lager<br />
statt, das <strong>im</strong> ursprünglichen Rechtsritual den Handlungsort abgegeben hatte. 162 Zuletzt wurde<br />
auch das Geleit der Brautleute in die Schlafkammer durch die Hochzeitsgäste als<br />
familienöffentliches Abschiedsritual aufgr<strong>und</strong> der steigenden Individualisierung der<br />
Gesellschaft ungebräuchlich. Damit war das eheliche <strong>Beilager</strong> tatsächlich <strong>im</strong> Sinne Schröters<br />
privatisiert.<br />
Die beschriebenen Veränderungen der Förmlichkeiten bei der Eheschließung sind dabei Teil<br />
der großen Form <strong>und</strong> Stilveränderung des Rechts vom 13. bis 16. Jahrh<strong>und</strong>ert in Europa. 163<br />
Das alte, an Formen <strong>und</strong> Gesten geb<strong>und</strong>ene, Gewohnheitsrecht wurde in dieser Zeitspanne<br />
unter dem Einfluß des römischen <strong>und</strong> kanonischen Rechts abgelöst von einem meist nur noch<br />
an die Schriftform geb<strong>und</strong>enen Rechtsverständnis, das sich <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e bis heute erhalten hat.<br />
Die Förmlichkeiten der Eheschließung machen in diesem Zusammenhang eine<br />
bemerkenswerte Ausnahme. Nicht zufällig hat auch heute das vor dem Standesbeamten <strong>und</strong><br />
den Trauzeugen gegebene Jawort bei der Eheschließung ein rechtliches Gewicht. Gesten <strong>und</strong><br />
161 Die güterrechtlichen Folgen des <strong>Beilager</strong>s finden sich noch <strong>im</strong> Stadtrecht der Stadt Frankfurt aus dem Jahre<br />
1728 sowie anderen Stadtrechten des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts. DENCKE 1972, S. 126. Vgl. auch: DEUTSCHES<br />
RECHTSWÖRTERBUCH (1932-34), Bd. 2, S. 119; dort Hinweis auf: HELLFELD, J.A.; Repertitorium reale<br />
practicum juris privati, Bd. 1, Jena 1753, S. 642 : „wenn [...] Eheleute einander erben wollen, so wird die<br />
Beschreitung des Hochzeits- <strong>und</strong> Ehebettes nach vorhergegangener Trauung erfordert. Der Beischlaf, ohne<br />
diese, ist hier nicht genug.“<br />
162 Der <strong>im</strong> Spätmittelalter bestehenden Formfreiheit, die durch den nudus consensus begünstigt wurde, stellte<br />
sich die katholische Kirche <strong>im</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert auf dem Konzil von Trient entgegen. indem für eine legit<strong>im</strong>e Ehe<br />
die Anwesenheit eines Priesters <strong>und</strong> zweier Zeugen bei der Eheschließung in den katholischen Gebieten<br />
festgeschrieben wurde. Es handelt sich um das Ehedekret „Tametsi“ (Sessio XXIV. vom 11.11.1563, Cap. 1),<br />
daß zuerst jedoch nur für die sog. tridentinischen Orte galt. MIKAT 1971, Sp. 834. Vgl. CONRAD 1951, S. 297 ff.<br />
163 Vgl. hierzu EBEL 1975, S. 22 f. Für den Niedergang des Symbolismus in anderen Bereichen der Kultur siehe<br />
Johann HUIZINGA, Herbst des Mittelalters, <strong>im</strong> 15. Kap. Von einer pragmatisch geprägten Rechtsauffassung des<br />
15. Jahrh<strong>und</strong>erts ist auch Michaelis überzeugt: „Die Rechtsgeschichte schon des späteren Mittelalter <strong>und</strong><br />
besonders der Neuzeit läßt sich zu einem großen Teile als fortschreitende Rationalisierung beschreiben,<br />
Rationalisierung verstanden als Beschränkung des Tatbestandes auf möglichst wenige Merkmale, <strong>und</strong> zwar zum<br />
Zwecke größerer Sicherheit in der Handhabung des Rechts.“ MICHAELIS 1989, S. 103.
35<br />
rituelle Handlungen haben sich <strong>im</strong> Eherecht scheinbar länger bewahrt als in anderen<br />
Bereichen des Rechtslebens: der Austausch der Ringe bei Verlobung <strong>und</strong> Trauung ist eine<br />
solche förmliche Handlung, die allerdings auf das römische Recht zurückweist. In eben<br />
diesen Zusammenhang muß auch das öffentliche <strong>Beilager</strong> verstanden werden. Es handelte<br />
sich um eine Förmlichkeit, ein Symbol, dessen öffentliche Inszenierung lange Zeit<br />
notwendiger Bestandteil einer rechtmäßigen Eheschließung war.
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Wührer, Karl (1957); Zum altschwedischen Eherecht, ZRG. (GA.) Bd. 74, S. 231 ff.<br />
Untertitel der Abbildungen:<br />
Abbildung 1: Einsegnung des Ehebetts <strong>und</strong> des Brautpaares durch einen Bischof. Holzschnitt 15. Jh. (Bringéus 1987, S.<br />
153).<br />
Abbildung 2: He<strong>im</strong>führung der Braut <strong>im</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert in Schweden (Hodne 1985, S. 103)<br />
Abbildung 3: Keusches <strong>Beilager</strong> mit Eheschwert. Deutscher Holzschnitt. (Bilder-Lexikon der Erotik 1928, Beilage XVI)<br />
Abbildung 4: Bettsetzung Karl X Gustavs mit Hedwig Eleonora von Holstein- Gottorf 1654 <strong>im</strong> Reichsaal zu Stockholm<br />
(Bringéus 1987, S. 155).