Rechenschwäche / Dyskalkulie Symptome, Diagnose und ... - ZTR
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<strong>Rechenschwäche</strong> / <strong>Dyskalkulie</strong><br />
<strong>Symptome</strong>, <strong>Diagnose</strong> <strong>und</strong><br />
Therapieansätze<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
Zentrum zur Therapie der <strong>Rechenschwäche</strong><br />
Potsdam<br />
1
Inhalt<br />
1 Beobachtungen <strong>und</strong> Auffälligkeiten<br />
2 Was ist eine <strong>Rechenschwäche</strong>? Was ist Rechnen?<br />
3 <strong>Diagnose</strong> von <strong>Rechenschwäche</strong>/<strong>Dyskalkulie</strong><br />
4 Hilfe bei <strong>Rechenschwäche</strong>n<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
2
Tobias (8 Jahre, Klasse 2)<br />
„Welche Rechengeschichte passt zur Aufgabe 2 + 14?“<br />
„Die Zwei trifft eine Vierzehn <strong>und</strong> sie gehen zusammen spielen.“<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
Beobachtungen<br />
3
Eva-Maria<br />
(10 Jahre, Klasse 3)<br />
„Male ein Bild,<br />
das die Aufgabe<br />
3 + 4 erklärt.“<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
Beobachtungen<br />
4
Dr. Jörg Kwapis<br />
Beobachtungen<br />
5
Dr. Jörg Kwapis<br />
Beobachtungen<br />
6
Auffälligkeiten beim Rechnen:<br />
• Zahlen, Rechenaufgaben <strong>und</strong> scheinbar offensichtliche logische<br />
Zusammenhänge sind nicht verstanden; Rechenoperationen werden<br />
verwechselt; abwegige Ergebnisse werden nicht bemerkt;<br />
Sachaufgaben <strong>und</strong> Platzhalteraufgaben werden nicht gelöst.<br />
• Rechenaufgaben können nur durch Zählen, Raten, schriftliches<br />
Rechnen oder andere schematische Vorgehensweisen gelöst werden.<br />
• Das Rechnen <strong>und</strong> dessen Üben werden abgelehnt. Jede<br />
Rechenübung führt zu Auseinandersetzungen zwischen Eltern <strong>und</strong><br />
Kind. Die Kinder/Jugendlichen halten sich für dumm <strong>und</strong> zweifeln an<br />
sich.<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
<strong>Symptome</strong><br />
7
Was ist <strong>Rechenschwäche</strong>?<br />
• Rechenschwachen fehlen elementare Einsichten in die kardinalen<br />
Zahlbedeutungen, in den Aufbau unseres Zahlsystems <strong>und</strong> in die<br />
Logik der Rechenoperationen.<br />
• Die elementaren Wissensmängel verhindern den Aufbau<br />
tragfähiger Gr<strong>und</strong>lagen zum Verständnis des weiteren<br />
mathematischen Lernstoffes.<br />
• Es werden Rechenaufgaben trotz mangelndem Wissen über<br />
Ersatzformen des Rechnens gelöst.<br />
• Es droht die Entwicklung sek<strong>und</strong>ärer, psychischer <strong>Symptome</strong> sowie<br />
negativer, sozial-integrativer Auswirkungen.<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
<strong>Rechenschwäche</strong><br />
8
Rechnen basiert auf dem<br />
• Wissen um die kardinalen Zahlbedeutungen<br />
• Verständnis der Ganze-Teile-Beziehung, der Zahlrelationen <strong>und</strong> der<br />
Zahlzerlegungen<br />
• Wissen um die Zahlenordnungssysteme:<br />
Seriation um eins, dekadisches Bündelungssystem<br />
• Verständnis der Logik der Rechenoperationen <strong>und</strong> ihres<br />
Zusammenhanges<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
Was ist Rechnen?<br />
9
Kardinale Zahlidentität<br />
Eins Zwei Drei Vier Fünf Zahlwort<br />
1 2 3 4 5 Zahlsymbol<br />
X □<br />
□<br />
X<br />
�<br />
X<br />
1 1 + 1 1 + 1 + 1 1 + 1 + 1 + 1 1 + 1 + 1 + 1 + 1<br />
1 ٠ 1 2 ٠ 1 3 ٠ 1 4 ٠ 1 5 ٠ 1<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
�<br />
●<br />
�<br />
X<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
Anzahl<br />
Abstraktion<br />
Zusammenfassung<br />
einer bestimmten<br />
Anzahl von Einsen<br />
10
Logische Konsequenz: Seriation um eins<br />
– 1<br />
– 1<br />
+ 1<br />
1 2 3 4 5<br />
– 2<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
Kardinale Zahlbeziehungen<br />
+ 2<br />
+ 1<br />
11
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
Sechs ist mehr als vier.<br />
Vier ist weniger als sechs.<br />
Sechs ist zwei mehr als vier.<br />
Vier ist zwei weniger als sechs.<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
Kardinale Zahldifferenz<br />
Anzahl- <strong>und</strong> Zahlvergleich<br />
4 <strong>und</strong> 6<br />
6 = (4 ٠ 1) + (2 ٠ 1)<br />
6 = 4 + 2<br />
4 = (6 ٠ 1) – (2 ٠ 1)<br />
4 = 6 – 2<br />
2 = (6 ٠ 1) – (4 ٠ 1)<br />
2 = 6 – 4<br />
12
4 + 2 = 6 – 2 =<br />
X X X X X X<br />
(4 ٠ 1) + (2 ٠ 1)<br />
4 + 2 =<br />
2 + 2 + 2<br />
=<br />
٠ 100<br />
٠ 10 ٠ 10<br />
H Z E<br />
1 1 1<br />
100 10 1<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
X X X X X X<br />
(6 ٠ 1) – (2 ٠ 1)<br />
6 – 2 =<br />
6 – – –<br />
6 : 3 =<br />
Arithmetik<br />
3 ٠ 2 = 3 ٠ + = 6<br />
13
Dr. Jörg Kwapis<br />
Kardinaler Zahlbegriff<br />
Ohne kardinales Verständnis der Zahlen <strong>und</strong> der<br />
Rechenoperationen ist kein Rechnen möglich!<br />
14
Kompensationsmethoden des Rechnens<br />
Mit welchen Techniken ersetzen Rechenschwache<br />
das mangelnde Verständnis der kardinalen Logik?<br />
1. Begriffsloses Auswendiglernen<br />
2. Zählen<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
15
„Doppelte Buchführung“<br />
7 + 8 = 8/1., 9/2., …, 15/8.<br />
Zählregeln<br />
C + D =<br />
= C D E F<br />
A. B. C. D.<br />
= D E F G<br />
Kompensationsmethoden des Rechnens<br />
E, G, P?<br />
A. B. C. D.<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
16
1. + „immer vorwärts, niemals rückwärts“<br />
2. bei + „immer eins danach beginnen“ � 3 + 4 = 4, 5, 6, 7<br />
3. – „immer rückwärts, niemals vorwärts“<br />
4. bei – „immer eins davor beginnen“ � 7 – 4 = 6, 5, 4, 3<br />
5. bei – „geht auch vorwärts“ � 11 – 9 � 9 + � = 11<br />
� 10, 11 � 2<br />
6. bei + „geht auch rückwärts“ � 4 + � = 10<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
� 10 – 4 = 9, 8, 7, 6<br />
Zählregeln<br />
17
Kompensationsmethoden des Rechnens<br />
Mit welchen Techniken ersetzen Rechenschwache<br />
das mangelnde Verständnis der kardinalen Logik?<br />
1. Begriffsloses Auswendiglernen<br />
2. Zählen<br />
3. Begriffslose Algorithmik<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
18
21 – 19 =<br />
C.<br />
21<br />
– 19<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
„Verkehrsregeln“ des Rechnens<br />
A. 20 – 10 1 – 9 ? 9 – 1 = 8; 10 + 8 = 18<br />
B. 20 – 10 1 – 9 ? „n.l.“ oder<br />
9 – 1 = 8; 10 – 8 = 2<br />
9 + � = 11 „es fehlen 2, schreibe 2, merke 1“<br />
1 + 1 = 2; 2 + � = 2 „ es fehlen 0, schreibe 0“<br />
19
Fragestellung:<br />
Liegen tragfähige Verständnisgr<strong>und</strong>lagen in der elementaren<br />
Mathematik vor, um den darauf aufbauenden Lernstoff zu verstehen?<br />
Ergebnis:<br />
Mangelnde Gr<strong>und</strong>lagen für weiteres mathematisches Lernen liegen<br />
vor:<br />
� bei 22 % der Schüler/-innen (Mitte Klasse 2)<br />
� bei 40 % der Schüler/-innen (Mitte Klasse 3)<br />
Ergebnisse dokumentiert in Jansen, P.: Basiskurs Mathematik, 2005<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
Empirische Untersuchungen<br />
Untersuchung des mathematischen Lernstandes<br />
bei 2.157 Kindern (Peter Jansen, NRW 2005)<br />
20
Gr<strong>und</strong>schule Kl. 4 (Sachsen-Anhalt)<br />
Gemeinsame Studie mit Universität Jena<br />
Hauptschule Kl. 7 (Berlin)<br />
Gesamtschule Kl. 9 (Brandenburg)<br />
Sek<strong>und</strong>arschule Kl. 7/8 (Sachsen-Anhalt)<br />
Gymnasium Kl. 8/9 (Berlin, Brandenburg)<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
Empirische Untersuchungen<br />
Eigene Feldstudien zur Prävalenz von <strong>Rechenschwäche</strong><br />
27 – 30 %<br />
40 – 58 %<br />
33 %<br />
< 5 %<br />
21
Weitere Bef<strong>und</strong>e<br />
PISA 2006:<br />
förderungsbedürftige Defizite im<br />
mathematischen Bereich bei Fähigkeiten<br />
auf Gr<strong>und</strong>schulniveau<br />
davon Gr<strong>und</strong>schulniveau nicht erreicht von<br />
Englische Untersuchung:<br />
Arbeitslosenquote von Menschen mit<br />
Minderleistung im Rechnen<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
Empirische Untersuchungen<br />
19,8 %<br />
7,3 %<br />
48 %<br />
22
Ursachen von <strong>Rechenschwäche</strong>n:<br />
• fehlende Wissensvoraussetzungen bezüglich Mengen, Zahlen <strong>und</strong><br />
elementarer Begriffe (Krajewski-Studie)<br />
• mangelnde Berücksichtigung des individuellen Lernstandes bei<br />
Schuleingang <strong>und</strong> beim weiteren mathematischen Lernen<br />
• didaktogene Ursachen (Primat von Verfahrenstechnik vor<br />
Verständnis)<br />
• begünstigt durch Komorbiditäten (HNO-Erkrankungen mit<br />
Hörminderung; Epilepsien; PKU; AD(H)S; Frühgeburten)<br />
• begünstigt durch individuelle <strong>und</strong> soziale Faktoren<br />
• ungeklärt ist der Einfluss von neuropsychologischen Voraussetzungen,<br />
derzeit lassen sich keine spezifischen Verursachungen für <strong>Dyskalkulie</strong>n<br />
hirnfunktionell feststellen<br />
Dr. Jörg Kwapis<br />
<strong>Rechenschwäche</strong>/<strong>Dyskalkulie</strong><br />
23
<strong>Dyskalkulie</strong> bedeutet eine chronische Hilflosigkeit in<br />
Alltag, Schule <strong>und</strong> Beruf durch<br />
• eine mangelnde Souveränität im Umgang mit Geld <strong>und</strong> Zeit sowie in<br />
einer zahlengeprägten Alltagskultur,<br />
• ein häufiges Scheitern von Schul- <strong>und</strong> Berufskarrieren,<br />
• (drohende) psycho-pathologische Entwicklungen,<br />
• eine (drohende) Beeinträchtigung der sozialen <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />
Integration.<br />
Jörg Kwapis<br />
Auswirkungen<br />
24
Kritik quantitativer Verfahren<br />
Methodik bei quantitativen Rechentestverfahren<br />
Es wird die Häufigkeit richtiger <strong>und</strong> falscher Lösungen bei<br />
standardisierten Aufgabensätzen erfasst.<br />
Die Lösungshäufigkeit wird an Normgrößen skaliert. Es werden<br />
Prozentrangwerte vergeben.<br />
Es wird die Abweichung von den Normwerten bestimmt. Es wird die<br />
mathematische Kompetenz/Inkompetenz je nach Abweichungsgrad<br />
von der Norm bestimmt.<br />
Daraus wird das Vorliegen von <strong>Dyskalkulie</strong> abgeleitet.<br />
Jörg Kwapis<br />
25
Auswirkungen<br />
Jörg Kwapis<br />
Kritik quantitativer Verfahren<br />
Quantitative Rechentestverfahren sind fehleranfällig <strong>und</strong> im<br />
inhaltlichen Anspruch bescheiden.<br />
Sie leisten nicht mehr als die schulische Leistungsbenotung.<br />
Bei quantitativen Testverfahren erfolgt keine Analyse, welche<br />
mathematischen Inhalte unverstanden sind.<br />
Quantitative Testverfahren geben keine Hinweise für eine gezielte<br />
mathematische Förderung.<br />
26
Ziele <strong>und</strong> Methoden<br />
Jörg Kwapis<br />
Qualitative Testverfahren<br />
1. Analyse des mathematischen Bewusstseins durch Vergleich des<br />
subjektiven Denkens mit der objektiven Sachlogik<br />
2. „Lautes Denken“ zu den Rechenwegen<br />
3. Verhaltensbeobachtung von Mimik, Gestik <strong>und</strong> Körpersprache<br />
4. Beobachtung des konkreten Handelns im Umgang mit<br />
mathematisch strukturierten Veranschaulichungsmitteln<br />
Differenzierte Profilierung des mathematischen Lernstandes<br />
27
Untersuchungsebenen des Jenaer Rechentests<br />
• Gesamtkompetenz gemäß Lehrplan/Klassenstufe<br />
� Vollständiges Verständnis für den gesamten bisherigen<br />
schulischen Lernstoff<br />
• <strong>Dyskalkulie</strong><br />
� Mangelndes kardinales Zahlverständnis<br />
• Individuelle Lernstandsanalyse<br />
Jörg Kwapis<br />
Jenaer Rechentest<br />
� Individuelle Aufschlüsselung des Verständnisses auf allen Ebenen<br />
des zahlenmathematischen Abstraktionsprozesses<br />
28
<strong>Dyskalkulie</strong>therapie heißt<br />
• auf der Gr<strong>und</strong>lage einer detaillierten mathematischen<br />
Lernstandsanalyse,<br />
• einen systematischen Neuaufbau des mathematischen Verständnisses<br />
ab der ermittelten Bruchstelle<br />
• in einem einzeltherapeutischen Setting<br />
• durch qualifiziertes Personal zu leisten.<br />
„Rechnen lernt man durch Rechnen.“ (Gerster)<br />
Jörg Kwapis<br />
Hilfe<br />
29
www.ztr-rechenschwaeche.de<br />
kontakt@ztr-rechenschwaeche.de<br />
Telefon <strong>ZTR</strong> Potsdam 0331 550 77 67<br />
Zentrum zur Therapie der <strong>Rechenschwäche</strong><br />
30