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12 Vi 10 - Московская Немецкая Газета - MDZ-Moskau

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w w w . m d z - m o s k a u . e u<br />

Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />

UNABHÄNGIGE ZEITUNG FÜR POLITIK, WIRTSCHAFT UND KULTUR • GEGRÜNDET 1870<br />

Gute ReGie<br />

Die Bilanz des russischen<br />

Filmjahres 2011 kann sich<br />

sehen lassen. Wir<br />

<strong>10</strong><br />

stellen<br />

unsere Favoriten vor.<br />

„Gauner und Diebe, gebt uns die Wahlen zurück“,<br />

heißt es auf dem Spruchband an der Luschkow-<br />

Brücke. Im Hintergrund: die Kreml-Türme.<br />

Hände hoch und für<br />

faire Wahlen gestimmt:<br />

Mit solchen Flyern<br />

wurde für die Proteste<br />

am <strong>10</strong>. Dezember<br />

geworben.<br />

Schlechte ReGie<br />

Weitgehend unbeachtet von<br />

der Öffentlichkeit, ist Kabardino-Balkarien<br />

zur Unruheprovinz<br />

geworden.<br />

Die Qual der Wahl<br />

Bei den Parlamentswahlen vom 4. Dezember<br />

hatten viele Russen nach eigener Auffassung<br />

keine Wahl. Die trafen sie in den<br />

Tagen danach: Landesweit gingen Tausende<br />

auf die Straße, die meisten am <strong>10</strong>. Dezember<br />

bei einer denkwürdigen Kundgebung in<br />

<strong>Moskau</strong>. Auf dem Bolotnaja-Platz in Sichtweite<br />

des Kremls versammelten sich mehr als<br />

40 000 Menschen, um für faire Wahlen zu<br />

demonstrieren. Es war<br />

die größte Protestak tion<br />

seit 1991. 02,03<br />

Удивительная<br />

история<br />

Вторая мировая<br />

глазами историка Бориса<br />

Ковалева<br />

<strong>12</strong> <strong>Vi</strong><br />

„Hört auf zu lügen und zu stehlen“, fordert dieser<br />

Demonstrant.<br />

A u s g a b e v o m 1 5 . D e z e m b e r b i s 1 8 . J a n u a r<br />

Tino Künzel (8)


02<br />

impressum<br />

Herausgeber<br />

Olga Martens,<br />

Heinrich Martens<br />

redaktion<br />

Lena Steinmetz<br />

Redaktionsleiterin<br />

Dr. Olga Silantjewa<br />

Stellv. Chefredakteurin<br />

Tino Künzel<br />

(Titelseite, Blickpunkt, Feuilleton)<br />

Kathrin Aldenhoff (ifa-Redakteurin)<br />

(Feuilleton, Russland-Deutschland,<br />

Gesellschaft)<br />

Jochen Stappenbeck<br />

(Wirtschaft, Netzwelten, Freizeit)<br />

Korrektur<br />

Marina Lischtschinskaja ,<br />

Alexander Paissow<br />

Computersatz<br />

Andrej Morenko<br />

Designentwurf: Hans Winkler<br />

mDZ-Online<br />

(www.mdz-moskau.eu)<br />

Tino Künzel<br />

„maWi Group“<br />

Geschäftsführende<br />

Gesellschafterin<br />

Olga Martens<br />

Anzeigen<br />

Tel.: (499) 245 6757<br />

werbung@martens.ru<br />

Vertrieb<br />

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Fax: (499) 766 4876<br />

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Verlagsvertretung Deutschland<br />

Liudmila Urnysheva (Vertrieb)<br />

reklama@martens.ru<br />

BLICKPUNKT<br />

Adresse<br />

Russland, 119435 <strong>Moskau</strong>,<br />

Deutsch-Russisches Haus,<br />

Ul. Malaja Pirogowskaja 5, Office 54.<br />

Tel.: (495) 937 6544<br />

Fax: (499) 766 4876<br />

E-Mail: redaktion@martens.ru<br />

Ein Redakteur wir d durch das In stitut<br />

für Aus lands be zie hun gen e.V. aus<br />

Mit teln des Aus wär ti gen Am tes der<br />

Bun des re pub lik Deutsch land ge fördert.<br />

Die Redaktion übernimmt keine<br />

Haftung für den Inhalt der veröffentlichten<br />

Anzeigen.<br />

Namentlich gekennzeichnete Artikel<br />

geben nicht unbedingt die Meinung<br />

der Redaktion wieder.<br />

Nachdruck nur mit Quellenangabe<br />

möglich.<br />

Registriert bei Roskompetschat.<br />

Registriernummer 017576<br />

Redaktionsschluss:<br />

14. Dezember 2011.<br />

Gedruckt in der Druckerei<br />

„Krasnaja Swesda“.<br />

Auflage 25 000 Expl.<br />

Номер заказа 5406<br />

<strong>Газета</strong> в розницу<br />

не распространяется.<br />

Выпуск издания осуществлен<br />

при финансовой поддержке<br />

Федерального агентства по печати<br />

и массовым коммуникациям.<br />

<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />

Fragen zu den Wahlprotesten<br />

Alle durften ihren Unmut zum Ausdruck bringen, einige aber nur heimlich<br />

3Wurde bei den Wahlen betrogen<br />

und wenn ja – in welchem Ausmaß?<br />

Der Stimmenanteil für „Einiges<br />

Russland“ liegt am unteren Ende<br />

der Prognosen von Wahlforschern,<br />

darunter auch vom renommierten<br />

unabhängigen Lewada-Zentrum.<br />

<strong>Vi</strong>ele Kommentatoren sprechen<br />

deshalb von der fairsten aller<br />

unfairen Wahlen in Russland.<br />

Kritiker behaupten jedoch, der<br />

Kreml habe lediglich ein noch<br />

weitaus schlechteres Ergebnis<br />

soweit geschönt, wie es öffentlich<br />

einigermaßen vertretbar gewesen<br />

sei. Als Beweis für diese These<br />

dokumentieren sie vor allem im<br />

internet zahlreiche Manipulationen<br />

und Manipulationsversuche,<br />

die sich durch ihre Schamlosigkeit<br />

auszeichnen. Obwohl den<br />

Verantwortlichen klar gewesen<br />

sein muss, dass der Schwindel<br />

auffliegt, meinten sie offenbar,<br />

nichts befürchten zu müssen. So<br />

wurden in <strong>Moskau</strong> gleich mehrere<br />

Protokolle von Wahllokalen nach<br />

der Auszählung und der Ausgabe<br />

von Kopien an die Wahlbeobachter<br />

über Nacht zu Gunsten<br />

von „Einiges Russland“ korrigiert.<br />

Bezeichnend auch, dass in den<br />

acht Stadtbezirken, in denen fälschungssichere<br />

elektronische<br />

Urnen zum Einsatz kamen, die<br />

Regierungspartei nur zwischen<br />

25,7 und 41,2 Prozent der Stimmen<br />

erreichte, während offiziell<br />

für <strong>Moskau</strong> 46,6 Prozent vermeldet<br />

wurden. Dmitrij Peskow, Sprecher<br />

von Wladimir Putin, redet die Zahl<br />

der „angeblichen Verstöße“ klein.<br />

Sie beträfen höchstens 0,5 Prozent<br />

aller Stimmen, sagte er, und<br />

hätten damit keinen Einfluss auf<br />

das Gesamtergebnis, selbst wenn<br />

sich die Vorwürfe bewahrheiten<br />

sollten. Ex-Finanzminister Alexej<br />

Kudrin glaubt dagegen, dass eine<br />

Neuauszählung in „wahrscheinlich<br />

Hunderten von Wahllokalen“<br />

geboten sei. im Radiosender „Echo<br />

Moskwy“ forderte er zudem Wahlleiter<br />

Wladimir Tschurow zum<br />

Rücktritt auf.<br />

Wie viele menschen nahmen an der<br />

Massendemo am <strong>10</strong>. Dezember in<br />

moskau teil?<br />

Da darauf noch oft Bezug genommen<br />

werden wird, möchte man es<br />

gern genau wissen. Die Angaben<br />

reichen jedoch von 25 000 (Polizei)<br />

bis <strong>10</strong>0 000 (Veranstalter). Eine<br />

derart große Differenz erklärt sich<br />

offenbar aus der interessenlage<br />

beider Seiten, die davon ausgegangen<br />

zu sein scheinen, dass das<br />

auch den Medien klar ist und sie<br />

die Unter- beziehungsweise Übertreibung<br />

von selbst relativieren.<br />

Die Protestaktion stellt gerade<br />

wegen ihrer Teilnehmerzahl ein<br />

Novum dar. Doch wären <strong>10</strong>0 000<br />

Menschen – das entspricht der<br />

Einwohnerzahl einer deutschen<br />

Großstadt wie Cottbus oder<br />

Koblenz – auf einer Fläche von<br />

600 mal 90 Metern unterzubringen?<br />

Wohl kaum. So groß ist aber<br />

der Bolotnaja-Platz. Wie Luftaufnahmen<br />

zeigen, war er nicht ganz<br />

zur Hälfte gefüllt. Doch weil sich<br />

die Menschen auch auf der Luschkow-Brücke<br />

und am gegenüberliegenden<br />

Ufer drängten, könnte<br />

man insgesamt 50 Prozent der<br />

54 000 Quadratmeter Fläche veranschlagen,<br />

also 27 000 Quadratmeter.<br />

Experten berechnen Menschenmengen<br />

nach dem Faktor 1<br />

bis 1,5 pro Quadratmeter. Da die<br />

Protestler speziell vor der Bühne<br />

dicht an dicht standen, ist hier der<br />

Maximalwert sinnvoll. Das ergibt<br />

summa summarum eine Teilnehmerzahl<br />

von 40 500. Wegen des<br />

Kommens und Gehens im Verlaufe<br />

mehrerer Stunden sollte jedoch<br />

von einigen Tausend Menschen<br />

mehr ausgegangen werden.<br />

Wer waren die Teilnehmer?<br />

Menschen aller Altersgruppen,<br />

die meisten vermutlich überhaupt<br />

nicht gesellschaftlich organisiert.<br />

Vertreter unterschiedlichster<br />

Bewegungen, von den Liberalen<br />

über die Kommunisten bis zu<br />

den Nationalisten. Aktivisten der<br />

Homosexuellen-Szene wollten<br />

ein Transparent für faire Wahl-<br />

Die zehn Regionen mit dem höchsten Stimmenanteil für „Einiges<br />

Russland“ (in Prozent):<br />

Tschetschenien (99,5), Mordwinien (91,6), Dagestan (91,4),<br />

inguschetien (91,0), Karatschajewo-Tscherkessien (89,8), Tuwa<br />

(85,3), Kabardino-Balkarien (85,3), Tatarstan (77,9), Jamal-Nenzen-<br />

Autonomiebezirk (71,7), Baschkortostan (70,5). Freie Willensbekundung<br />

vorausgesetzt, wird die Regierungspolitik demnach besonders<br />

in den Nationalrepubliken im Kaukasus und anderswo geschätzt.<br />

20. bis 22. August<br />

1991<br />

Politischer Protest in <strong>Moskau</strong>:<br />

Die größten Aktionen der letzten 20 Jahre<br />

Großdemonstrationen gegen die Reformgegner aus dem so genannten<br />

„Notstandskomitee“, das nach der Macht im Lande trachtet. Auf<br />

dem Platz vor dem „Weißen Haus“ – dem heutigen Regierungssitz,<br />

damals Sitz des Obersten Sowjets Russlands – kommen am 20. August<br />

1991 mehr als <strong>10</strong>0 000 Menschen zusammen.<br />

3. Oktober 1993 Das Parlament verweigert sich Präsident Boris Jelzin und mobilisiert<br />

einige Zehntausend Anhänger auf dem Oktoberplatz, die dann die<br />

Absperrung durch OMON-Sonderpolizei durchbrechen.<br />

31. März 2001 Massenveranstaltung gegen die De-facto-Verstaatlichung des bis<br />

dahin unabhängigen Fernsehsenders NTW auf dem Puschkinplatz. Die<br />

Teilnehmerzahl wird vom Staatsfernsehen mit 2 000 und von den Veranstaltern<br />

mit 20 000 beziffert.<br />

16. Dezember 2006,<br />

14. April, 11. Juni,<br />

24. November 2007<br />

„Märsche der Nichteinverstandenen“, organisiert von der außerparlamentarischen<br />

Opposition. Es handelt sich um genehmigte Kundgebungen<br />

ohne Genehmigung für Märsche. Zwischen 1 000 und 6 000<br />

Teilnehmer.<br />

22. August 20<strong>10</strong>: Konzert auf dem Puschkinplatz gegen den Autobahnbau durch den<br />

Chimki-Wald. Nach unterschiedlichen Quellen zwischen 2 000 und<br />

5 000 Teilnehmer.<br />

31. Oktober 20<strong>10</strong> Erste genehmigte Aktion der „Strategie 31“ auf dem Triumphplatz. Es<br />

kommen nach Polizeiangaben 800 Menschen, die Veranstalter sprechen<br />

von 3 000 – mehr als je davor und danach.<br />

5. Dezember 2011 Bei einer genehmigten Kundgebung nach den Dumawahlen bei der<br />

Metrostation Tschistyje Prudy fordern nach Schätzungen von Journalisten<br />

5 000 bis 7 000 Menschen freie Wahlen.<br />

6. Dezember 2011 Die Polizei löst auf dem Triumphplatz eine nicht genehmigte Veranstaltung<br />

gegen Wahlbetrug auf, an der zwischen 2 000 und 5 000<br />

Menschen teilnahmen.<br />

<strong>10</strong>. Dezember 2011 Eine Demonstration auf dem Bolotnaja-Platz richtet sich gegen Wahlbetrug.<br />

Den Aufruf unterstützen vor Ort schätzungsweise 40 000 bis<br />

50 000 Menschen.<br />

en und eine Regenbogen-Fahne<br />

entfalten, die ihnen aber von den<br />

Nationalisten entrissen wurden.<br />

Der gemeinsame Protest war<br />

ganz offenbar nicht aus sozialer<br />

Not geboren. Eher ist das Gegenteil<br />

der Fall: Gerade weil viele<br />

Russen inzwischen der größten<br />

materiellen Sorgen ledig sind,<br />

richten sie ihr Augenmerk immer<br />

mehr auf die staatsbürgerliche<br />

Bevormundung. Wirtschaftlich<br />

den aufrechten Gang geübt zu<br />

haben, um dann in zivilgesellschaftlichen<br />

Dingen nicht mitreden<br />

zu dürfen, erscheint ihnen<br />

zunehmend absurder. Alexej<br />

Wenediktow, Chefredakteur des<br />

Radiosenders „Echo Moskwy“,<br />

sprach deshalb davon, es habe<br />

sich „nicht um eine politische,<br />

sondern eine ethische Demonstration“<br />

gehandelt.<br />

Zusammengestellt von<br />

Tino Künzel.<br />

Die zehn Regionen mit dem niedrigsten Stimmenanteil für „Einiges<br />

Russland“ (in Prozent):<br />

Gebiet Jaroslawl (29,0), Gebiet Archangelsk (31,8), Gebiet Murmansk<br />

(32,0), Karelien (32,3), <strong>Moskau</strong>er Umland (32,4), Gebiet Swerdlowsk/<br />

Jekaterinburg (32,7), Stadt St. Petersburg (33,0), Gebiet Wologda (33,4),<br />

Meeresrandbezirk/Wladiwostok (33,4), St. Petersburger Umland<br />

(33,7). Die politisch unzufriedensten Russen leben vor allem in der<br />

Mitte und im Norden von Russlands europäischem Teil.<br />

Tino Künzel


<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />

Russland ist nicht Ägypten<br />

Die Demonstranten haben etwas zu verlieren, sagt Alexander Archangelskij<br />

Was bedeuten die proteste in<br />

moskau und anderswo? Die mDZ<br />

sprach dazu mit dem namhaften<br />

Literaturhistoriker, publizisten<br />

und Fernsehmoderator Alexander<br />

Archangelskij.<br />

Herr Archangelskij, warum erreicht<br />

der unmut gerade jetzt ein sichtbares<br />

Ausmaß?<br />

Nehmen wir meine Studenten:<br />

Früher sind sie nie zu Wahlen<br />

gegangen. Sie haben sich nicht für<br />

Politik interessiert, sondern Geld<br />

verdient und ihr eigenes Leben<br />

aufgebaut. Das Besondere an den<br />

Parlamentswahlen war, dass viel<br />

mehr junge Menschen, Erstwähler<br />

und die Mittelschicht ihre Stimme<br />

abgegeben haben.<br />

Aus welchem Grund?<br />

Sie haben eine Verbindung zwischen<br />

der Politik und ihrem Leben<br />

hergestellt. Das ist eine wichtige<br />

Entwicklung.<br />

Wie erklären sie sich das?<br />

Russlands politisches internet<br />

war schon immer sehr aktiv, seine<br />

Reichweite aber relativ begrenzt.<br />

Es gab zwei Gruppen von Menschen:<br />

Die erste Gruppe bezog<br />

ihre informationen aus dem staatlichen<br />

Fernsehen, ging zur Wahl<br />

und stimmte für die Regierenden.<br />

Die zweite Gruppe nutzte als<br />

informationsquelle hauptsächlich<br />

das internet, ging nicht zu den<br />

Wahlen und schimpfte wiederum<br />

im internet auf die Machthaber.<br />

Beide Gruppen kamen nicht<br />

zusammen.<br />

Das Verbot der Demonstration<br />

begründeten die Behörden damit,<br />

dass zur gleichen Zeit und am<br />

gleichen Ort angeblich eine Massenveranstaltung<br />

zum „Tag des<br />

Volksschaffens“ geplant sei. Alexej<br />

Kostylew, Chefredakteur des Südbüros<br />

der informationsagentur<br />

„FederalPress“, sieht darin allerdings<br />

nur einen weiteren Versuch,<br />

die Aktionen der Opposition zu<br />

behindern, wo immer es geht.<br />

Der <strong>MDZ</strong> sagte der Journalist:<br />

„in letzter Zeit hat es in der Welt<br />

schon eine ganze Reihe von farbigen<br />

Revolutionen gegeben, die<br />

und das hat sich nun verändert?<br />

Ja, aus der virtuellen Welt hat<br />

sich eine Tür in die reale Welt<br />

geöffnet. Menschen, die sich<br />

vorher nur in Foren artikuliert<br />

hatten, sind zu den diesjährigen<br />

Wahlen gegangen. Als dann die<br />

ersten Wahlergebnisse feststanden<br />

und Fälschungsvorwürfe aufkamen,<br />

haben sie auf der Straße<br />

protestiert.<br />

sehen sie parallelen zu den Aufständen<br />

in Ägypten, die ebenfalls<br />

größtenteils über soziale Netzwerke<br />

organisiert wurden?<br />

Das muss man trennen. Die<br />

Demonstranten in Ägypten waren<br />

Zum Beispiel Krasnodar<br />

Eine Demo durfte nicht überall eine Demo sein<br />

Am <strong>10</strong>. Dezember wurde landesweit in vielen Städten für freie Wahlen<br />

demonstriert, wenn auch in kleinerem rahmen als in moskau. meist<br />

waren die Kundgebungen genehmigt, allerdings gab es Ausnahmen.<br />

in der provinzhauptstadt Krasnodar im süden russlands erklärten die<br />

Teilnehmer den menschenauflauf deshalb kurzerhand zu einer Bürgersprechstunde.<br />

Die polizei griff zunächst nicht ein, ging aber später<br />

gegen Journalisten vor.<br />

Nicht genehmigt, aber friedlich:<br />

Demonstranten und Polizei verband<br />

in Krasnodar ein unausgesprochener<br />

Nichtangriffspakt. Die Presse kam nicht<br />

so glimpflich davon.<br />

Swetlana Berilo<br />

Die Umweltaktivistin Jewgenija Tschirikowa (Mitte) gehört zu den Köpfen der<br />

Protestbewegung. Links der Blogger Oleg Kosyrew.<br />

Von swetlana Berilo<br />

in gewisser Hinsicht den Amerikanern<br />

in die Hände gespielt haben<br />

oder sogar von ihnen unterstützt<br />

wurden. Unsere Machthaber wollen<br />

ein ähnliches Szenario in Russland<br />

verhindern.“<br />

Die freie Meinungsäußerung zu<br />

unterdrücken, könne jedoch den<br />

gegenteiligen Effekt erzeugen und<br />

die Handlungen der Opposition<br />

radikalisieren. Mit Verboten und<br />

Gewalt riskierten die Behörden<br />

nur eine soziale und politische<br />

Explosion, so Kostylew.<br />

Als sich die Teilnehmer der<br />

nicht genehmigten Kundgebung<br />

auf einer Straße in der Krasnodarer<br />

innenstadt einfanden, wurden<br />

sie von der Polizei und der<br />

Sondereinheit OON eingekesselt.<br />

Die Absperrung war weder nach<br />

innen noch nach außen durchlässig.<br />

Doch die Organisatoren<br />

fanden einen kreativen Weg, den<br />

Ring zu durchbrechen: Anwesende<br />

Abgeordnete deklarierten<br />

die Protestaktion über Megaphon<br />

kurzerhand zu einer öffentlichen<br />

Sprechstunde. Die Polizei, mit<br />

etwa 1 000 Beamten vor Ort, war<br />

damit verpflichtet, alle interessierten<br />

Bürger vorzulassen. ihr<br />

blieb nichts übrig, als sich zurückzuziehen.<br />

An der Demonstration nahmen<br />

ungefähr 2 000 Menschen teil.<br />

vorwiegend Menschen mit guter<br />

Ausbildung und Zugang zum<br />

internet, aber ohne Arbeit. in<br />

Russland haben die jungen Leute<br />

Arbeit, zumindest in den Großstädten.<br />

Sie sind in jeder Beziehung<br />

integriert in das moderne<br />

Leben. Die Ägypter hatten nichts<br />

zu verlieren. Von den Russen<br />

kann man das nicht behaupten.<br />

Das sind also ganz andere Verhältnisse.<br />

Was bei uns stattfindet,<br />

ist keine Revolution nach ägyptischem<br />

Muster.<br />

Das interview führte<br />

ina schönhals.<br />

Auf dem „Haus des Buches“ verfolgten<br />

rund <strong>10</strong>0 Journalisten das<br />

Geschehen. Beobachter merkten<br />

an, dass die Zahl der Schaulustigen<br />

größer war als der harte<br />

Kern der Demonstranten. Augenzeugen<br />

bescheinigten der Polizei,<br />

sich äußerst zuvorkommend und<br />

korrekt verhalten zu haben. Es<br />

gab aber auch keinerlei Grund für<br />

ein hartes Eingreifen. Die Protestler<br />

machten einen dermaßen entspannten<br />

Eindruck, als seien sie<br />

gekommen, um sich unter Freunden<br />

auszutauschen.<br />

Ohne Zwischenfälle endete die<br />

Veranstaltung aber trotzdem<br />

nicht. Als die Teilnehmer bereits<br />

nach Hause zu gehen begannen<br />

und Journalisten fotografierten,<br />

wie auch die Sonderpolizei ihre<br />

Bereitschaftswagen bestieg, wurden<br />

die Medienvertreter plötzlich<br />

festgenommen. Unter den etwa<br />

zehn Journalisten, die in Autos<br />

gezerrt wurden, war auch Andrej<br />

Koschik von „FederalPress“.<br />

Obwohl deutlich sichtbar als Pressemitarbeiter<br />

ausgewiesen, wurde<br />

Koschik aufgefordert, seine Tasche<br />

zu leeren. Die Sonderpolizisten<br />

löschten sämtliche Fotos aus dem<br />

Fotoapparat und dem Telefon des<br />

Journalisten, desweiteren SMS-<br />

Mitteilungen, das Adressbuch des<br />

Telefons und Tonaufzeichnungen.<br />

Als der Wagen sich bereits in<br />

Richtung eines Polizeireviers in<br />

Bewegung gesetzt hatte, gelang es<br />

anderen Journalisten und Dumaabgeordneten,<br />

die Freilassung der<br />

Festgenommenen zu erreichen.<br />

Koschik hat inzwischen bei den<br />

zuständigen Behörden gegen die<br />

Willkür Beschwerde eingereicht.<br />

Tino Künzel<br />

Manchmal muss geradezu der<br />

Eindruck entstehen, es gebe<br />

sie gar nicht – die Wähler von<br />

„Einiges Russland“. Oder sie<br />

seien gekauft, genötigt, nicht<br />

ganz bei Trost. Andere Motivationen<br />

schließt die Rhetorik der<br />

Opposition so gut wie aus. Aber<br />

ist damit der typische Wähler<br />

einer Partei beschrieben, die<br />

selbst ihre schärfsten Kritiker<br />

„fälschungsbereinigt“ irgendwo<br />

zwischen 20 und 40 Prozent<br />

vermuten? Das macht 13 bis 26<br />

Millionen Stimmen.<br />

Er habe die Regierungspartei<br />

gewählt, auch wenn ihm vieles<br />

an ihr missfalle, sagte der <strong>MDZ</strong><br />

ein Russe aus dem Uralvorland.<br />

Der Mittdreißiger ist im sozialen<br />

Bereich tätig. Mit der Entwicklung,<br />

die das Land genommen<br />

habe, sei er „im Großen<br />

und Ganzen zufrieden“, denn:<br />

„Es geht voran. Der Lebensstandard<br />

wächst. Und in meiner<br />

Kleinstadt wird viel gebaut.<br />

Wir haben eine neue Sporthalle<br />

bekommen, eine Eislaufhalle,<br />

neue Kinderspielplätze. in<br />

Kürze wird schon wieder eine<br />

Sporthalle eröffnet. Dann fehlt<br />

uns nur noch eine Schwimmhalle.“<br />

Ärgerlich sei jedoch, dass<br />

„Einiges Russland“ in der Öffentlichkeit<br />

jedes derartige Bauprojekt<br />

als eigene Leistung herausstelle.<br />

„Dabei ist es gar nicht<br />

ihr Geld. Unsere Sporthalle zum<br />

Beispiel hat Gasprom finanziert<br />

im Rahmen eines eigenen Programms<br />

für den Nachwuchssport.<br />

Andererseits sitzen an<br />

den Schaltstellen in den Verwaltungen<br />

überall Leute von<br />

,Einiges Russland‘, so dass Amt<br />

und Partei schwer auseinander<br />

zu halten sind.“<br />

BLICKPUNKT<br />

03<br />

Warum ich „Einiges Russland“ gewählt habe<br />

Mich freut, was ich gesehen habe.<br />

Das sind konstruktive, durchdachte<br />

Ansprüche an die Politik.<br />

Ansprüche von Leuten, die Eigentum<br />

haben, von der kreativen Klasse.<br />

Und das ist echt eine Wucht.<br />

Fernsehmoderatorin Tina Kandelaki in<br />

ihrem Twitter nach der Demo auf dem<br />

Bolotnaja-platz.<br />

Das waren Bürger des Landes Russland,<br />

denen nicht alles egal ist.<br />

Und die sagen: Hey, seid so gut<br />

und nehmt uns für voll. Wir sind<br />

das Volk, das euch angeheuert hat,<br />

damit ihr die Staatsgeschäfte lenkt.<br />

Wir zahlen euch dafür, dass ihr<br />

ehrlich seid, fleißig und verantwortungsvoll.<br />

Wenn ihr betrügt, könnt<br />

ihr verschwinden.<br />

Der einflussreiche Blogger rustem Agadamow<br />

(„drugoi“) im Livejournal.<br />

Die anderen Parteien, sagt<br />

der Mann, seien für ihn erst<br />

recht nicht wählbar gewesen. im<br />

Gegensatz zu den Vertretern von<br />

„Einiges Russland“ kenne man<br />

auch deren Kandidaten kaum.<br />

„Wenn Michail Prochorow angetreten<br />

wäre, dann hätte ich für<br />

seine Partei gestimmt. Er ist ein<br />

kluger Kopf, hat interessante<br />

ideen und setzt sie auch um.“<br />

Prochorow, Präsident der<br />

Onexim-Finanzgruppe, ist einer<br />

der erfolgreichsten russischen<br />

Unternehmer. Er steht auch dem<br />

nationalen Biathlon-Verband<br />

vor und ist Besitzer des Basketball-Klubs<br />

New Jersey Nets.<br />

Prochorow hat Russlands erstes<br />

Elektro-Auto, das Jo-Mobil,<br />

herausgebracht. Seine Stiftung<br />

fördert Kultur- und Bildungsinitiativen.<br />

Jetzt hat der Milliardär, der<br />

bereits drei Monate Vorsitzender<br />

der Partei „Rechte Sache“<br />

war, bevor er dem Kreml offenbar<br />

zu übermütig wurde, seine<br />

Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen<br />

im März 20<strong>12</strong><br />

angekündigt. Um gegen Wladimir<br />

Putin antreten zu können,<br />

muss er jedoch bis spätestens<br />

18. Januar zwei Millionen<br />

Unterschriften sammeln. So<br />

sieht es die Wahlgesetzgebung<br />

vor. Dem von Putin geschaffenen<br />

System prophezeite der<br />

46-Jährige zuletzt in seinem<br />

Blog den Zusammenbruch,<br />

wenn es sich nicht ändere. Zu<br />

„Einiges Russland“ schrieb er<br />

aber auch, dass die Partei sich<br />

mit ihrem Wahlprogramm<br />

wohltuend vom Populismus<br />

der anderen abgehoben habe<br />

und im Vergleich zu denen ein<br />

Muster an „Zurückhaltung und<br />

Konservatismus“ sei. tk<br />

„Wir sind das Volk“<br />

Stimmen zu den Wahlen und der Resonanz darauf<br />

„Das Schweigen der Lämmer ist<br />

zu Ende.“<br />

Aufschrift eines plakats auf dem<br />

Bolotnaja-platz.<br />

Die kaputte Fantasie mickriger<br />

Persönchen, die an unserer Ehrlichkeit<br />

zweifeln, interessiert mich<br />

wenig.<br />

Wahlkommissions-Leiter Wladimir<br />

Tschurow im Wochenjournal „itogi“.<br />

„Einiges Russland“ hat exakt das<br />

bekommen, was es gegenwärtig<br />

wert ist, nicht mehr und nicht<br />

weniger. Insofern waren das faire,<br />

gerechte, demokratische Wahlen.<br />

präsident Dmitrij medwedew, spitzenkandidat<br />

von „einiges russland“,<br />

vor Anhängern.<br />

Zusammengestellt<br />

von Tino Künzel.


04<br />

WIRTSCHAFT<br />

Recht<br />

KurZ u n d KNApp<br />

Änderungen im<br />

Monopolrecht<br />

Präsident Medwedew hat das Basisgesetz<br />

des „Dritten Antimonopolpaketes“<br />

unterzeichnet. Es präzisiert die<br />

Regelungen für die Einstufung von<br />

Preisen als Monopolpreise, insbesondere<br />

die Unmöglichkeit, die sich auf<br />

Basis des Börsenhandels gebildeten<br />

Preise als Monopolpreise einzustufen.<br />

Das Gesetz kürzt die Liste der Verbote<br />

von Absprachen und koordinierter<br />

Handlungen von Wirtschaftssubjekten<br />

und damit die Grundlagen für<br />

die Einstufung als Kartell.<br />

Neu ist die Ausweitung der Rechte<br />

und die Gewährung zusätzlicher<br />

Befugnisse für den russischen Antimonopoldienst.<br />

Nun kann die Kartellbehörde<br />

staatliche Ausschreibungen,<br />

die unter Verletzung von Vorschriften<br />

durchgeführt wurden, aussetzen.<br />

investitionspartnerschaft<br />

Seine Unterschrift setzte Dmitrij Medwedew<br />

auch unter ein Gesetzespaket,<br />

das eine neue Form der gemeinsamen<br />

Tätigkeit in den zivilrechtlichen Verkehr<br />

einbringt: die Investitionspartnerschaft.<br />

Die wesentliche Komponente<br />

des Gesetzespakets ist das<br />

Föderale Gesetz „Über die Investitionspartnerschaften“<br />

(im Folgenden<br />

„Gesetz“), das bereits zum 1. Januar<br />

20<strong>12</strong> in Kraft tritt.<br />

Die Investitionspartnerschaft ist eine<br />

neue Form des Vertragsverhältnisses<br />

zur Ausübung gemeinsamer Investitionstätigkeit<br />

ohne Gründung einer<br />

juristischen Person. Die Gestaltung<br />

der Investitionspartnerschaft wird an<br />

eine der am weitesten verbreiteten<br />

und für die Investoren annehmbarsten<br />

Formen kollektiver Investitionstätigkeit<br />

in der Risikokapitalbranche im<br />

Ausland angenähert: die limited partnership.<br />

Durch das Gesetz soll Kapital<br />

zur Finanzierung innovativer Projekte<br />

in Russland gewonnen werden.<br />

Gericht für geistiges<br />

Eigentum<br />

Bis zum 1. Februar 2013 soll ein<br />

Gericht für geistiges Eigentum<br />

geschaffen werden. Das Gericht<br />

wird ein spezialisiertes Arbitragegericht<br />

sein, das entsprechende<br />

Streitigkeiten in erster Instanz und<br />

in Kassationsinstanz verhandelt.<br />

In die Zuständigkeit des Gerichts<br />

sollen Fälle der Anfechtung von<br />

normativrechtlichen Akten föderaler<br />

Exekutivbehörden fallen, die<br />

die Rechte und rechtmäßigen Interessen<br />

des Antragstellers im Bereich<br />

des Schutzes von geistigem Eigentum<br />

und Individualisierungsmitteln<br />

berühren. In die Zuständigkeit des<br />

geplanten Gerichts fallen außerdem<br />

Streitigkeiten im Bereich der Gewährung<br />

oder Beendigung des Schutzes<br />

geistigen Eigentums – mit Ausnahme<br />

von Urheberrechten und gemischten<br />

Rechten sowie Mikrochip-Plänen.<br />

Die genannten Rechtssachen werden<br />

vom Gericht unabhängig davon<br />

verhandelt, ob die Parteien der<br />

Rechtsverhältnisse, aus denen die<br />

Streitigkeit entstand, Unternehmen,<br />

Einzelunternehmer oder natürliche<br />

Personen sind.<br />

Dieser Infodienst wird unterstützt von<br />

Wirtschaftsprüfer, Steuerberater,<br />

Rechtsanwälte<br />

Elektrosawodskaja Uliza 27,<br />

Gebäude 2, <strong>10</strong>7023 <strong>Moskau</strong><br />

Tel.: +7 495 933 51 20 / 20 55<br />

www.roedl.com/ru<br />

Den Spieß umdrehen<br />

Ohne Utopien wäre die Realität<br />

nur halb so interessant: Ab<br />

2020 will die russische Regierung<br />

den Gemüse-Bedarf der Bevölkerung<br />

komplett aus einheimischem<br />

Anbau befriedigen. Gegenüber<br />

13,5 Millionen Tonnen, die derzeit<br />

produziert werden, müssten<br />

dann etwa 40 Millionen Tonnen<br />

geerntet werden. Derweilen<br />

nimmt der import rasant zu und<br />

dürfte mit dem WTO-Beitritt erst<br />

richtig an Fahrt gewinnen. Es ist<br />

ein Wettrennen mit der Zeit. Zur<br />

Realisierung der Regierungspläne<br />

sind besonders zwei Faktoren<br />

von herausragender Bedeutung:<br />

Erstens muss die Gewächshausproduktion<br />

angekurbelt werden.<br />

Die Anlagen, die derzeit in Betrieb<br />

sind, wurden zu 70 Prozent vor<br />

über 35 Jahren errichtet, berichtet<br />

die stellvertretende Vorsitzende<br />

der Assoziation „Russlands<br />

Gewächshäuser“, Tatjana Kulik,<br />

gegenüber dem Wirtschaftsjournal<br />

„Dengi“. Ein staatliches Programm<br />

zum Bau neuer Gewächshäuser<br />

werde seit längerem versprochen,<br />

stehe aber noch aus.<br />

Zweitens muss der Verbrauchergeschmack<br />

auf frische und<br />

gute, aber nicht überteuerte<br />

Ware sensibilisiert und bedient<br />

werden. Frisch und ökologisch<br />

unbedenklich kann nur einheimischer<br />

Anbau sein, der im idealfall<br />

direkt von der Scholle auf<br />

den Teller kommt, vom Bauer<br />

zum Verbraucher. Die meisten<br />

Verbraucher können „lebendige“,<br />

geschmacksintensive von faden<br />

Lebensmitteln, die einen langen<br />

Weg und viele Bearbeitungsverfahren<br />

hinter sich haben, immer<br />

noch unterscheiden. „Der Trend,<br />

nach Lebensmitteln aus erster<br />

Hand zu suchen, war für uns das<br />

Wirtschaft braucht Freiheit<br />

michael Harms<br />

Vorstandsvorsitzender AHK<br />

Unter Ludwig Erhard wurde<br />

der Begriff der sozialen Marktwirtschaft<br />

erst in den deutschen<br />

Sprachgebrauch und dann als wirtschaftliche<br />

Doktrin eingeführt.<br />

im Wesentlichen meint dieses<br />

Wirtschaftssystem, die Gewährung<br />

der maximalen Freiheit aller<br />

Marktteilnehmer zu schützen und<br />

Von Jochen stappenbeck<br />

Startsignal für das Experiment,<br />

das nun schon zwei Jahre dauert<br />

und sehr erfolgreich ist. Wir<br />

beziehen unser Gemüse direkt<br />

aus dem Gebiet Susdal“, erläutert<br />

Wladislaw Jegorow, Vorsitzender<br />

des Direktoriums der <strong>Moskau</strong>er<br />

Lebensmittelkette ABK, gegenüber<br />

der <strong>MDZ</strong>. Das Unternehmen<br />

wurde 1992 gegründet und<br />

betreibt heute 38 Geschäfte in<br />

<strong>Moskau</strong>. Mit 1 <strong>10</strong>0 Mitarbeitern,<br />

einem eigenen Logistikzentrum<br />

und einem Jahresumsatz von<br />

umgerechnet 75 Millionen Euro<br />

lässt es sich dem Mittelstand<br />

zuordnen.<br />

ABK führt bei den einzelnen<br />

Gemüseanbauern Direktkontrolle<br />

auf dem Feld durch und schafft<br />

die Ware mit eigenen Transportmitteln<br />

nach <strong>Moskau</strong>. Der kommerzielle<br />

Vorteil ist die Umgehung<br />

des Großhandels. Dadurch<br />

wird die Ware auf einem niedrigen<br />

Preisniveau gehalten. in<br />

diesem Jahr sind in den ABK-<br />

Läden die Verkaufszahlen von<br />

Gurken um das Dreifache gegenüber<br />

dem letzten Jahr gestiegen,<br />

so Maxim Sigatschow, Manager<br />

für den Gemüseankauf. Für das<br />

nächste Jahr wird eine weitere<br />

Verdoppelung der Gemüsemenge<br />

angestrebt, das wären 800 Tonnen<br />

gegenüber 400 Tonnen im Jahr<br />

2011. Letztlich gewinnen alle von<br />

dieser Lösung: Die Verbraucher<br />

kommen an unbedenkliche Ware<br />

und die Bauern profitieren von<br />

der Abnahmegarantie und dem<br />

Anreiz, ihre Produktion zu steigern.<br />

Früher mussten sie direkt zu<br />

den Märkten fahren. „Besonders<br />

wichtig bei der Arbeit in den Regionen<br />

sind die guten Beziehungen<br />

zu den Bauern, das Eingehen auf<br />

die Besonderheiten, die saisonalen<br />

für sozialen Ausgleich innerhalb der<br />

Gesellschaft zu sorgen. Dadurch<br />

wird fairer Wettbewerb garantiert<br />

und die besten Anbieter haben die<br />

größten Chancen, am Markt zu<br />

bestehen. Kartelle, Preisabsprachen<br />

zu Ungunsten des Verbrauchers<br />

und Monopole sollen weitgehend<br />

ausgeschlossen sein. Die bis heute<br />

einmalige Wettbewerbsfähigkeit der<br />

deutschen Wirtschaft, insbesondere<br />

des Mittelstandes, beweist die Richtigkeit<br />

dieser idee.<br />

Am <strong>10</strong>. Dezember versammelten<br />

sich Zehntausende Russen explizit,<br />

um gegen die Art und Weise<br />

der Durchführung der Wahlen zur<br />

Staatsduma zu protestieren. implizit<br />

forderten sie aber auch mehr Liberalität,<br />

mehr Transparenz und mehr<br />

Wettbewerb im politischen und<br />

damit auch im Wirtschaftssystem.<br />

Die zu neuem Leben erwachte<br />

Zivilgesellschaft forderte keinen<br />

radikalen Umbruch, keine revolutionäre<br />

ideen oder drastische Maßnahmen.<br />

Die Russen wollen mehr<br />

<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />

Russland will beim Gemüsekonsum autark werden – eine Einzelhandelskette macht es vor<br />

Den Anschluss an den Weltmarkt hat russland in vielen Branchen verloren,<br />

was in den kommenden Jahren mit einer immer größeren importzunahme<br />

schmerzlich zu spüren sein wird. Was für hochtechnologische<br />

produkte verständlich sein mag, ist für Nutzpflanzen, die ohne besonderes<br />

Know-how in den Böden des größten Flächenlandes der Welt<br />

wachsen können, indes ein Rätsel. 60 Prozent des Obst- und Gemüseverbrauchs<br />

werden durch den import gedeckt. Ansätze zur Lösung dieses<br />

rätsels bieten initiativen wie die einer moskauer einzelhandelskette, die<br />

Verbraucher und erzeuger enger zueinander führt.<br />

Ob importiert oder einheimisch: Gemüse ist gut für die Phantasie. Der Fotograf<br />

Carl Warner beweist es in seiner „food art".<br />

Verhältnisse“, erklärt Sigatschow.<br />

Um Vertrauen aufzubauen und<br />

gute Geschäftsbeziehungen zu<br />

pflegen, stehe ab und zu gemeinsames<br />

Pilzesammeln an. Probleme<br />

gab es zunächst mitunter in<br />

Finanzangelegenheiten. „Wir zahlen<br />

rechtzeitig. Eben vertragskonform,<br />

völlig normal. Aber wer das<br />

in Russland macht, erzeugt den<br />

Anschein, besonders reich zu sein.<br />

Das bringt Druck in die Preisverhandlungen“,<br />

sagt Jegorow. insgesamt<br />

werde aber Zuverlässigkeit<br />

geschätzt und auch die Fähigkeit,<br />

hart in den eigenen Positionen zu<br />

sein, was die Qualitätsanforderungen<br />

betrifft.<br />

Das Angebot will ABK stetig<br />

erweitern. „Bislang wurde stillschweigend<br />

hingenommen, dass<br />

zum Beispiel Blumenkohl importiert<br />

wird, heute kommt er aus<br />

Susdal und ist halb so teuer.<br />

Warum er überhaupt importiert<br />

werden muss, ist absurd. Blumenkohl<br />

wächst genauso gut in<br />

der russischen Erde wie in neuseeländischer.“<br />

Und die langen<br />

Winter in Russland? Die Gegend<br />

um Susdal hat eine recht lange<br />

natürliche Anbauzeit. Vom 3.<br />

Juni bis 6. September dauert zum<br />

Beispiel die Gurkenernte, das ist<br />

ein Monat länger als in anderen<br />

Regionen. Die Herausforderung<br />

bestehe darin, die unbehandelten<br />

Teilhabe, den Aufbruch des zwar<br />

stabilen, aber verkrusteten Systems,<br />

den Rückzug des Staates und seiner<br />

Beamten aus der Wirtschaft und<br />

eine Wahl zwischen wirklichen<br />

Alternativen. im Grunde genommen<br />

sind es die ideen der sozialen<br />

Marktwirtschaft, der Wunsch nach<br />

unternehmerischer Freiheit, nach<br />

individueller Entfaltung und nach<br />

dem freien Spiel der Kräfte.<br />

Dass die Demonstrationen friedlich<br />

verlaufen sind, könnte ein erstes<br />

Zeichen von gegenseitigem Respekt<br />

sein. Wenn es gelingt, innerhalb<br />

der bestehenden Ordnung mehr<br />

Pluralität zu etablieren, in einen<br />

Diskurs einzutreten, der allen Fraktionen<br />

die Möglichkeit gibt, am<br />

Meinungsbildungsprozess teilzuhaben,<br />

und die Wirtschaft von ihren<br />

Fesseln befreit wird, dann wird die<br />

Evolution Russlands gelingen. Die<br />

Wirtschaft hat sich immer dort am<br />

besten entwickelt, wo die Marktbeschränkungen<br />

auf ein Minimum<br />

reduziert wurden. Mehr Freiheit<br />

Produkte schnell zu verkaufen, da<br />

es bislang noch keine Lager gibt.<br />

Den entscheidenden Schritt vom<br />

Experiment zu einem stabilen<br />

Geschäft erwartet Jegorow deshalb<br />

vom Aufbau einer infrastruktur<br />

zur Aufbewahrung des Gemüses<br />

und seiner Erstverarbeitung. Das<br />

soll in unmittelbarer Nähe von<br />

Susdal geschehen. Der Boden im<br />

<strong>Moskau</strong>er Gebiet sei erstens viel<br />

zu teuer, zweitens würden sich<br />

außerhalb der <strong>Moskau</strong>er Einflusssphäre<br />

die Unternehmer nicht wie<br />

Bittsteller fühlen, sondern würden<br />

als Partner anerkannt, von denen<br />

neue Arbeitsplätze und Steuern<br />

erwartet werden, so Jegorow. Die<br />

Zusammenführung von Produktion<br />

und Vertrieb wird wahrscheinlich<br />

noch weiter gehen:<br />

„Die erworbenen Flächen erlauben<br />

eigene Produktion. Uns ist<br />

zwar die Verarbeitung näher, der<br />

Verkauf, die Arbeit mit der Handelsmarke,<br />

andererseits gibt es<br />

jetzt viele arbeitslose Agronomen<br />

auf dem Markt, die beschäftigt<br />

werden können.“ Die großen landwirtschaftlichen<br />

Betriebe entlassen<br />

Fachleute und die Kleinbauern<br />

vertrauen auf ihre eigenen<br />

Kräfte. „Es wäre schade, das nicht<br />

zu nutzen, was uns aus der Vergangenheit<br />

mitgegeben wurde: die<br />

Kenntnisse und Erfahrungen von<br />

Spezialisten“, resümiert Jegorow.<br />

in den Entscheidungen würde auch<br />

mehr Vertrauen bedeuten, Vertrauen<br />

der Russen in ihr eigenes Land,<br />

Vertrauen der Anleger in russische<br />

Werte, Vertrauen der investoren in<br />

einen Markt, der langfristig attraktiv<br />

ist. Wenn diese Veränderung<br />

gelingt, dann würden die bisher eher<br />

postulierten als gelebten Grundsätze<br />

der russischen Wirtschaftspolitik<br />

wesentlich einfacher umzusetzen<br />

sein: Modernisierung, Diversifizierung,<br />

mehr Wettbewerb. Und mit<br />

dem Beitritt zur WTO ist auch der<br />

Weg aus und nach Russland einfacher.<br />

Wir betrachten die derzeitige<br />

Entwicklung als große Möglichkeit.<br />

Wirtschaft braucht Freiheit und<br />

freie Märkte.<br />

in diesem Sinn wünsche ich ihnen<br />

ein gesegnetes Weihnachtsfest und<br />

ein gesundes und erfolgreiches Jahr<br />

20<strong>12</strong>.<br />

ihr<br />

Michael Harms<br />

wikimedia.com


<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />

Niedrigere Einfuhrzölle auf<br />

Nahrungsmittel und weniger Subventionen<br />

für die Landwirtschaft:<br />

Russland hat im Zuge der Beitrittsverhandlungen<br />

zur Welthandelsorganisation<br />

eine Reihe von<br />

Zugeständnissen im Agrarbereich<br />

gemacht. Die durchschnittlichen<br />

Agrarzölle werden sogar noch<br />

unter denen der EU liegen. Davon<br />

profitieren künftig auch deutsche<br />

Exporteure von Lebensmitteln.<br />

Noch wichtiger ist die Neuerung,<br />

dass Russland europäische Veterinär-<br />

und Pflanzenschutzstandards<br />

übernimmt.<br />

Bei landwirtschaftlichen Er zeugnissen<br />

werden die gebundenen<br />

Durchschnittszolltarife auf im portprodukte<br />

von 15,6 auf 11,3 Prozent<br />

sinken, schreibt das Wirtschaftsjournal<br />

Expert. Deutsche Experten<br />

rechnen künftig mit einem durchschnittlichen<br />

Zollsatz von 11,5<br />

Prozent. Das ist zwar höher als der<br />

russische Durchschnittszoll auf<br />

industriewaren, aber niedriger als<br />

die importzölle der EU auf Agrarerzeugnisse.<br />

Für etwa ein Drittel aller Agrarprodukte<br />

gelten die neuen Zölle<br />

Von Jochen stappenbeck<br />

Olga Usskowa ist eine der erfolgreichsten<br />

weiblichen Führungskräfte in der russischen<br />

iT-Branche. Neben dem Unternehmen<br />

Cognitive Technologies leitet sie die Assoziation<br />

NAiRiT, die 2006 im Rahmen eines<br />

Präsidentenprogrammes gegründet wurde.<br />

Bei einer Pressekonferenz anlässlich der<br />

Präsentation des Jahresberichts über den<br />

innovationssektor und die iT-Branche in<br />

Russland äußerte sich Usskowa zum Rating<br />

der korruptesten Organisationen und Fonds,<br />

die innovative Projekte verwalten. Es wurden<br />

im Laufe von drei Monaten in 40 russischen<br />

Regionen 2 500 führende Branchenexperten<br />

gebeten, aus ihrer Praxis und nach ihrem<br />

Dafürhalten die bestechlichsten Organisationen<br />

zu nennen. Durch ihre häufigste Nennung<br />

und negativste Bewertung erhielten<br />

die für die Nanotechnologie zuständige<br />

Staatsholding Rosnano sowie das Wirtschaftsministerium<br />

die Höchstnote „maximal“.<br />

Auf die zweite Stufe „sehr hoch“<br />

kamen die Ministerien für Bildung und<br />

Wissenschaft, Kommunikation, industrieund<br />

Handel sowie die föderale Agentur für<br />

die Angelegenheiten der Jugend. Auf nur<br />

noch „hoch“ kamen die Russischen Fonds für<br />

Venture-Kapital und Grundlagenforschung<br />

sowie der Skolkowo-Fonds. Gegenüber dem<br />

Nachrichtenportal Cnews.ru teilte Olga<br />

Usskowa mit, dass sie mit den einzelnen<br />

Plätzen nicht ganz einverstanden ist. Die<br />

Von Bernd Hones (gtai)<br />

gleich ab WTO-Beitritt, für ein<br />

weiteres <strong>Vi</strong>ertel drei Jahre später.<br />

Für andere Produkte, wie<br />

etwa Rind- und Schweinefleisch,<br />

wurden Quoten festgeschrieben,<br />

innerhalb derer ein niedrigerer<br />

Zolltarif gilt als bei Überschreitung<br />

der Quote.<br />

So sinken zwar die Quoten für<br />

Schweinefleisch von 500 000 auf<br />

430 000 Tonnen pro Jahr, aber<br />

dafür verschwinden die Zölle auf<br />

das im Rahmen dieser Quote eingeführte<br />

Fleisch. Zum heutigen<br />

Zeitpunkt betragen sie noch 15<br />

Prozent. Ab 2020 sollen dann<br />

selbst die Quoten entfallen und<br />

durch einen einheitlichen Zollsatz<br />

von 25 Prozent auf Schweinefleisch<br />

ersetzt werden.<br />

Außerdem fallen die Zollsätze<br />

auf lebende Schweine von 40<br />

auf fünf Prozent. Das dürfte dem<br />

import von Masttieren an die<br />

russische Schlachtbank neuen<br />

Aufwind geben. Experten rechnen<br />

damit, dass künftig wieder<br />

über eine Million lebender Mastschweine<br />

nach Russland geliefert<br />

werden – pro Jahr. Zumindest<br />

wurden 2009 vor Einführung<br />

von Wassilij Jakimenko, dem ehemaligen<br />

„Naschi“-Chef, geführte Jugendagentur sei in<br />

der Bestechlichkeit nicht einmal durch das<br />

Bildungs- und Wissenschaftsministerium<br />

zu übertreffen. Auf die Frage von Cnews.ru<br />

schätzte Usskowa die korruptionsbedingten<br />

Verluste im iT-Bereich, der rund ein <strong>Vi</strong>ertel<br />

aller Zuwendungen aus den föderalen und<br />

regionalen Budgets bekommt, auf derzeit 60<br />

bis 65 Prozent. Das seien rund fünf bis zehn<br />

Prozent weniger als 20<strong>10</strong>, aber noch vier<br />

Mal mehr als in den 90er Jahren. in Zahlen<br />

ausgedrückt wanderten damit 2011 von<br />

umgerechnet 7,5 Milliarden Euro für die iT-<br />

Branche 4,5 Milliarden Euro in die Taschen<br />

der Beamten und ihrer Komplizen.<br />

Usskowa führte weitere ermutigende Zeichen<br />

auf: erstens den Anstieg der juristischen<br />

Kompetenz unter den Entwicklern<br />

der innovationsprogramme, die sich unter<br />

anderem in der gestiegenen Anzahl registrierter<br />

Patente ausdrücke. Zweitens sei<br />

die in sozialer und wirtschaftlicher Effizienz<br />

gemessene Qualität der innovationsprogramme<br />

mittlerweile sehr hoch. Nur<br />

noch Japan und israel würden es besser<br />

machen. Deutschland nimmt den vierten<br />

Platz ein. Die Ausrichtung mit dem stärksten<br />

Vorwärtsdrang nehmen nach NAiRiT<br />

die Technologien der virtuellen Realität<br />

ein, insbesondere Software für Roboter<br />

und Biotechnologie. Zu den größten Flops<br />

in der innovationssphäre zählen neben der<br />

Raumfahrt die Projekte für die Produktion<br />

der energiesparenden Lampen. Die stärksten<br />

Kürzungen musste 2011 der Umweltschutz<br />

hinnehmen: Die investitionen sanken von<br />

sieben auf vier Prozent des Gesamtvolumens.<br />

Von den durch Cnews.ru um Stellungnahme<br />

gebetenen Organisationen der<br />

Top Ten des Korruptionsratings antwortete<br />

nur Rosnano: Den Ergebnissen ermangele es<br />

jeglicher Grundlage, zumal die Methode der<br />

Umfrage nicht wissenschaftlich sei.<br />

des 40 Prozent-Zolltarifs so viele<br />

Tiere importiert.<br />

Einer der wichtigsten Verhandlungsgegenstände<br />

waren die staatlichen<br />

Subventionen für die Landwirtschaft.<br />

Bislang galten diese als<br />

wenig transparent. Familien- und<br />

Genossenschaftsbetriebe klagten<br />

darüber, dass nicht sie, sondern<br />

überwiegend Holdingstrukturen<br />

in den Genuss von vergünstigten<br />

Krediten kämen. Jenen Strukturen<br />

standen und stehen auffallend<br />

häufig Duma-Abgeordnete vor. in<br />

den Jahren 20<strong>12</strong> und 2013 darf<br />

die Russische Föderation jeweils<br />

nur noch neun Milliarden US-<br />

Dollar an Unterstützungen anbieten,<br />

zum Jahr 2018 sollen es dann<br />

4,4 Milliarden US-Dollar sein,<br />

berichtete das Wirtschaftsjournal<br />

Expert.<br />

Auch die Veterinär- und Pflanzenschutzbestimmungen<br />

sowie<br />

die technischen Handelsbeschränkungen<br />

müssen künftig den WTO-<br />

Bestimmungen angepasst werden.<br />

Für viele deutsche Betriebe ist<br />

das ein zentraler Punkt. Denn in<br />

der Vergangenheit hat Russland<br />

deutsches Fleisch schon dann<br />

von der Einfuhr ausgeschlossen,<br />

wenn darin nur geringste Rückstände<br />

von Antibiotika gefunden<br />

wurden. „Russland muss diese<br />

Nulltoleranz jetzt aufheben und<br />

an die EU-Normen mit wissenschaftlich<br />

begründeten Höchstmengen<br />

anpassen“, so Axel Stockmann,<br />

Leiter des Referates für<br />

Ernährung, Landwirtschaft und<br />

Verbraucherschutz an der Deut-<br />

schen Botschaft in <strong>Moskau</strong>. Das<br />

fordern deutsche Betriebe schon<br />

seit geraumer Zeit. „Zuletzt wurde<br />

mit zweierlei Maß gemessen“, sagt<br />

der Landwirtschafts- und Veterinärexperte.<br />

„importe wurden<br />

meistens strenger kontrolliert als<br />

einheimische Produkte.“<br />

Trotz der zahlreichen Vorteile<br />

für den deutschen Lebensmittelexport<br />

sind deutsche Agrarexperten<br />

vorsichtig, denn auch als WTO-<br />

Mitglied kann Russland weiterhin<br />

versuchen, die heimische Landwirtschaft<br />

zu schützen. Etwa unter<br />

dem Vorwand, damit für die tierische<br />

und menschliche Gesundheit<br />

zu sorgen. Allerdings müssen<br />

jene Anträge sehr gut begründet<br />

sein.<br />

Russische Agrarbetriebe stehen<br />

der Welthandelsorganisation mit<br />

gemischten Gefühlen gegenüber.<br />

Auf Selbstversorger und Kleinbauern,<br />

die immer noch fast die<br />

Hälfte aller Agrarprodukte produzieren,<br />

dürften sich die Änderungen<br />

kaum auswirken. Auf mittelgroße<br />

Betriebe und Genossen-<br />

WIRTSCHAFT<br />

„Zuletzt wurde mit zweierlei Maß gemessen“<br />

Sinkende Einfuhrzölle auf landwirtschaftliche Erzeugnisse beflügeln Importphantasien<br />

mitte Dezember wird auf der WTO-ministerkonferenz über den Beitritt<br />

russlands abgestimmt. Alle Welt erwartet eine positive entscheidung.<br />

Denn russland hat bei seinen Beitrittsverhandlungen zur WTO etliche<br />

Zugeständnisse gemacht. Das ergebnis kann sich sehen lassen – insbesondere<br />

aus sicht deutscher exporteure von landwirtschaftlichen<br />

erzeugnissen. Zölle auf einem deutlich niedrigeren Niveau werden bindend<br />

vorgeschrieben, handelsverzerrende subventionen abgebaut oder<br />

zumindest begrenzt, Veterinär- und pflanzenschutzbestimmungen neu<br />

geregelt.<br />

Nur noch „sehr hoch“<br />

Korruptionsverluste in der IT-Branche betragen 60 Prozent<br />

mitte Dezember stellte die Nationale Assoziation<br />

für innovationen und die entwicklung<br />

der informationstechnologien (NAiriT) ihre<br />

Analyse des IT-Sektors im Jahr 2011 vor.<br />

Die ergebnisse zeugen von einer Abschwächung<br />

des allgemeinen Korruptionsniveaus<br />

von „maximal“ auf „sehr hoch“. in der<br />

Qualität der innovativen projekte dagegen<br />

überflügelt russland mit dem weltweit dritten<br />

platz bereits Deutschland.<br />

05<br />

schaften zwischen <strong>10</strong>0 und 5 000<br />

Hektar dürften die Auswirkungen<br />

unterschiedlich sein. Bei den meisten<br />

sind die üppigen Staatshilfen<br />

ohnehin nie angekommen. Überleben<br />

werden jene Einheiten, die<br />

betriebswirtschaftlich rentabel<br />

aufgestellt sind. Dasselbe gilt auch<br />

für große Holdingstrukturen. Die<br />

russische Regierung muss die<br />

Unterstützung für diese Konzerne<br />

drosseln. Und durch die sinkenden<br />

importzölle steigt der Wettbewerbsdruck.<br />

Besonders schwer<br />

wird es für jene Firmen, die zuletzt<br />

in die Schweinemast und Rinderzucht<br />

investiert haben und dabei<br />

auf ihre Quasi-Monopolstellung<br />

und satte staatliche Hilfen gesetzt<br />

haben. Leichter haben es Geflügelzüchter.<br />

Die Übergangsfristen<br />

betragen bis zu acht Jahre.<br />

Natürlich gibt es auch russische<br />

Unternehmen, die massiv vom<br />

Freihandel profitieren. Das sind vor<br />

allem Produzenten von Ölsaaten,<br />

Pflanzenöl oder Getreide. Für sie<br />

öffnen sich neue Exportmärkte<br />

und Absatzchancen.<br />

Gebundener durchschnittlicher Zolltarif vor und<br />

nach dem russischen WTO-Beitritt<br />

Ware Zolltarif heute<br />

(in Prozent)<br />

Werden Sie fündig!<br />

Hier finden Sie die<br />

aktuelle Ausgabe<br />

der <strong>MDZ</strong>:<br />

Zolltarif ab WTO-<br />

Beitritt (in Prozent)<br />

Milchprodukte 19,8 14,9<br />

Getreide 15,1 <strong>10</strong>,0<br />

Ölsaaten, Fette,<br />

Öle<br />

9,0 7,1<br />

Zucker, in US$/t 243 223<br />

Deutsch-Russisches Haus <strong>Moskau</strong>, ul. Malaja<br />

Pirogowskaja, 5; Deutsche Botschaft <strong>Moskau</strong>, ul.<br />

Mosfilmowskaja, 56; Goethe-Institut, Leninskij<br />

Prospekt, 95a; Deutsche Wohnsiedlung Wernadskogo,<br />

Prospekt Wernadskogo, <strong>10</strong>3; Deutsches Historisches<br />

Institut, Nachimowskij Prospekt, 51/52;<br />

Deutsch-Russische Auslandshandelskammer, 1.<br />

Kasatschij Per., 7; LLC German Centre for Industry<br />

and Trade, Prospekt Andropova, 18, Korpus, 6;<br />

Fluglinie Aeroflot, Flughafen Scheremetjewo, 2<br />

Hotels<br />

National, Mochowaja, 15/1; Metropol, Teatralnyj<br />

Per., 1/4; President Hotel, Bolschaja Jakimanka,<br />

24; Renaissance Hotel, Olim piskij Prospekt,<br />

18/1; Radisson Slawjanskaja, Bereschkowskaja<br />

Nab., 2; Art Hotel, 3. Peschtschanaja ul., 2;<br />

Swiss-Hotel Krasnyje Cholmy, Kosmodamianskaja<br />

Nab., 52; Baltschug-Kempinski, ul. Baltschug 1;<br />

Marriott Aurora, Petrowka, 11/20; Marriott Grand,<br />

Twerskaja, 26; Korston Hotel, Kossygina, 15; Holiday<br />

Inn, ul. Lesnaja, 15; Sheraton Palace Hotel,<br />

1. Twerskaja-Jamskaja, 19; Aquamarine Hotel,<br />

Oserkowskaja, 26; Renaissance Moscow Monarch<br />

Centre Hotel, Leningradskij Prospekt, 31a, Gebäude<br />

1; Savoy Hotel, ul. Roshdestwenka, 3/6,<br />

Gebäude, 1; Hilton Moscow Leningradskaja Hotel,<br />

ul. Kalanchewskaja, 21/40; Pekin, ul. Bolschaja<br />

Sadowaja, 5; Katerina City, Schluessowaja Nab., 6;<br />

Katerina Park, Kirowogradskaja, 11; East-West Hotel,<br />

Twerskoj Bulvar, 14; Lotte Hotel Moscow, Nowinskij<br />

Bulvar, 8, Gebäude 2; Golden Apple Hotel,<br />

ul. Malaja Dmitrowka, 11; Kassada-Plaza Hotel,<br />

ul. Mnewniki, 3, Gebäude 2; Borodino Business-<br />

Hotel, ul. Russakowskaja, 13, Gebäude 5; Kadaschewskaja,<br />

Kadaschewskaja Nab., 26; Mamaison<br />

All-Suites Spa Hotel Pokrovka Moscow, ul. Pokrowka<br />

40/2<br />

Business-Zentren<br />

Business-Center, Oserkowskaja nab., 50/1; Dukat<br />

Plaza 2, Gascheka, 7; Olimpique Plaza, Prospekt<br />

Mira, 33/1; Legion, Bolschaja Ordynka, 40; Proton,<br />

Nowozawodskaja ul., 22; World Trade Center,<br />

Krasnopresnenskaja Nab., <strong>12</strong>; Business Center na<br />

Mochowoj, Mochowaja, 4/7, Gebäude 2; Business<br />

Center na Serebrjakowa, Pr. Serebrjakowa, 6;<br />

Business-Center, Nikitskij Per., 5; Business-Center,<br />

ul. Bachrushina, 32/1<br />

Cafés, Restaurants<br />

Coffee Bean, Ul. Pjatnitskaja, 5, Ul. Pokrowka, 18/3;<br />

ul. Sretenka, 22/1; Restaurant Deutsches Eck, Prospekt<br />

Wernadskogo, <strong>10</strong>3; Restaurant WIRT, Plotnikow<br />

per., 19; Restaurant Maximilian’s, ul. Novyi<br />

Arbat, 15<br />

CSV Export


06<br />

gESELLSCHAFT<br />

Fernsehen aus der Schokofabrik<br />

Der TV-Sender „Doschd“ wird zum Epizentrum der Proteste<br />

Jahrelang hat der Kreml das Fernsehen kontrolliert und zur propaganda<br />

genutzt. Jetzt gibt es plötzlich einen Fernsehsender, der alles anders<br />

macht: Liveschaltungen von den Demonstrationen, Diskussionen mit<br />

Oppositionellen, offene Kritik am system putin. Dafür muss „TV Doschd“<br />

mit Hacker-Attacken kämpfen – und mit der staatlichen medienaufsichtsbehörde.<br />

Es ist einer dieser aufregenden<br />

Tage nach den Parlamentswahlen<br />

in Russland. Wer am Mittag den<br />

Sender „Doschd“ einschaltet, sieht<br />

einige junge Menschen in Jeans<br />

und T-Shirts um eine leuchtende<br />

Säule stehen. Es ist die Redaktionssitzung<br />

des Senders, live<br />

übertragen, wie fast alles auf dem<br />

Kanal. An die Säule hat jemand<br />

mit großen schwarzen Buchstaben<br />

„FSB“ geschrieben, man diskutiert<br />

über die Versuche des Geheimdienstes,<br />

oppositionelle Gruppen<br />

im sozialen Netzwerk „vkontakte“<br />

zu löschen. Weiter unten steht<br />

„Tschurow“, jemand erzählt einen<br />

Witz über den obersten russischen<br />

Wahlleiter, dann streicht er das „w“,<br />

aus „r“ wird ein „d“, nun steht dort<br />

„Tschudo“, das Wunder. Gelächter<br />

allerseits.<br />

Renat Dawletgildejew setzt sich<br />

an den weißen Tisch in der Mitte<br />

des Studios, an dem jeden Abend<br />

ohne jegliche Tabus diskutiert<br />

wird. Der Chefproduzent des Senders<br />

ist 26 Jahre alt und damit<br />

in etwa Durchschnitt hier: Telekanal<br />

Doschd, übersetzt „Regen“,<br />

ist jung, unkonventionell und<br />

politisch. Und erlebt gerade seine<br />

Sternstunde. „Seit Beginn der Proteste<br />

hat sich unsere Zuschauerzahl<br />

verfünffacht“, erzählt Dawletgildejew.<br />

Eine Million Menschen<br />

sahen in dieser Woche tagtäglich<br />

das, was allen anderen Sendern<br />

verboten ist: Liveschaltungen von<br />

den Demonstrationen, Oppositionelle,<br />

die über den Untergang des<br />

Systems Putin diskutieren, <strong>Vi</strong>deos<br />

von Wahlfälschungen.<br />

Da ist etwa dieses <strong>Vi</strong>deo, das<br />

im internet schnell die Runde<br />

machte: Der Filmende lässt sich<br />

zuerst in einem Auto instruieren<br />

und fährt dann von Wahllokal<br />

zu Wahllokal, um mehrfach für<br />

„Einiges Russland“ abzustimmen.<br />

Wie abgemacht, geht er immer<br />

nur zu „Tisch 1 oder 2“, wo eine<br />

eingeweihte Person sitzt, die ihm<br />

ohne Probleme einen Wahlzettel<br />

aushändigt, obwohl er nicht in der<br />

Liste steht. Fünf Minuten und 42<br />

Von moritz Gathmann (n-ost)<br />

Sekunden dauert der Film, und<br />

der Sender strahlt ihn am Montag<br />

nach der Wahl in voller Länge<br />

aus. So populär wurde das <strong>Vi</strong>deo,<br />

dass sogar der oberste Wahlleiter<br />

Wladimir Tschurow sich zum<br />

Kommentar genötigt sah: Alles<br />

Fälschung, ließ er mitteilen, aufgenommen<br />

in Wohnungen. „Wir<br />

wissen aber genau, dass das <strong>Vi</strong>deo<br />

echt ist, weil wir den Autor kennen“,<br />

sagt Dawletgildejew.<br />

Moderator und Chefproduzent Renat Dawletgildejew<br />

25 Millionen Haushalte sind<br />

über Kabel und Satellit „potentielle“<br />

Zuschauer, informiert der<br />

Sender. Die Ergebnisse der ersten<br />

Zuschauerumfrage werden in den<br />

nächsten Wochen bekanntgegeben.<br />

ihre Heimat haben die 250<br />

Mitarbeiter im „Roten Oktober“,<br />

einer ehemaligen Schokoladenfabrik<br />

aus rotem Backstein am Ufer<br />

des Flusses Moskwa, die vor einigen<br />

Jahren in eine Kultur-, Party-<br />

und Medienfabrik umgewandelt<br />

wurde. Keinen Kilometer vom<br />

Kreml entfernt ist ein place-to-be<br />

für alle <strong>Moskau</strong>er unter 40 entstanden,<br />

die cool, unkonventionell,<br />

europäisch sein wollen, die mit<br />

iPads am Mittagstisch sitzen und<br />

sich über Facebook verabreden, die<br />

mindestens Englisch sprechen und<br />

wissen, wie es in der Welt aussieht,<br />

die Spaß haben wollen, aber politisch<br />

interessiert sind. Von solchen<br />

Menschen wird „Doschd“ gemacht,<br />

und diese Menschen sind auch die<br />

Zielgruppe.<br />

Aber wie kann dieser Sender<br />

existieren im System Putin, das<br />

in den letzten Jahren zwar Zeitungen<br />

und Radiosendern gewisse<br />

Freiheiten ließ, aber die Fernsehkanäle<br />

zu Propagandawerkzeugen<br />

degradierte? Zum einen ist da die<br />

finanzielle Unterstützung, aber<br />

wichtiger noch die Chuzpe von<br />

Natalja Sindejewa. Die 40 Jahre<br />

alte Powerfrau machte seit Mitte<br />

der 90er Jahre Radio „Silver Rain“<br />

zum Sender für die wachsende,<br />

selbstbewusste Mittelschicht.<br />

2002 gründete sie für ebendiese<br />

Schicht die Zeitschrift „Bolschoi<br />

Gorod“. Und im April 20<strong>10</strong> war<br />

die Zeit gekommen für den Sender<br />

„Doschd“.<br />

in der <strong>Moskau</strong>er Journalistenszene<br />

beobachtete man das Unterfangen<br />

wohlwollend, aber ungläubig.<br />

Würde der Kreml dem Sender eine<br />

unabhängige politische Berichterstattung<br />

gewähren? Schnell<br />

machte der Kanal Schlagzeilen: Die<br />

Zuschauer konnten von Anfang<br />

an live zusehen, wie der Sender<br />

„gebaut“ wurde. Seitdem ist Aufrichtigkeit<br />

der große Trumpf des<br />

Senders, zwei Drittel der Zeit wird<br />

live gesendet. Am Samstagabend,<br />

nach der Demo, ist Sindejewa auf<br />

dem Bildschirm zu sehen: Da steht<br />

sie, mit verschränkten Armen, im<br />

schwarzen Kleid vor weißem Hintergrund,<br />

und nimmt ihre Journa-<br />

listen in Schutz, spricht über das<br />

Adrenalin in den letzten Tagen,<br />

das manchmal dazu führe, dass die<br />

Journalisten zu weit gingen in ihrer<br />

Berichterstattung.<br />

Es gab da diesen für viele überraschenden<br />

Besuch bei TV Doschd<br />

im Frühjahr 20<strong>10</strong>, Dmitrij Medwedew<br />

ließ sich durchs Studio führen,<br />

jener Präsident, der gerne von<br />

Modernisierung und Demokratie<br />

sprach, der Ausspruch „Freiheit ist<br />

besser als Unfreiheit“ stammt von<br />

ihm. Aber jener Medwedew hat<br />

sich im September selbst abgeschrieben,<br />

als er bekanntgab, dass<br />

nun wieder Wladimir Putin für<br />

das Präsidentenamt kandidieren<br />

wird. „Damit hat er eingestanden,<br />

dass er nie über irgendetwas entschieden<br />

hat“, sagt Journalist Dawletgildejew.<br />

Aus ihm spricht die<br />

Enttäuschung einer Generation.<br />

Dass Medwedews Worte nichts<br />

bedeuten, hat der Sender in der<br />

letzten Woche zu spüren bekommen:<br />

Seitdem muss sich „Doschd“<br />

gegen Hacker-Attacken wehren,<br />

am Mittwoch forderte die Medienaufsichtsbehörde<br />

die Aufnahmen<br />

der letzten Tage zur „Überprüfung“<br />

an. Dawletgildejew weiß, was<br />

das bedeutet: „Sie können uns eine<br />

Warnung aussprechen, und nach<br />

der zweiten Warnung wird uns<br />

die Lizenz entzogen.“ Als i-Tüpfelchen<br />

löschte Medwedew am<br />

vergangenen Mittwoch sein Abo<br />

von „Doschd“ auf Twitter. Auf der<br />

internetseite hat der Sender seitdem<br />

tausende Unterstützer-Kommentare<br />

erhalten. „Haltet durch,<br />

ihr seid das letzte Bollwerk der<br />

Medien“, steht da unter anderem.<br />

<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />

Doschd TV, n-ost<br />

P<br />

LANeT<br />

mOsKAu<br />

Von<br />

Verena Lammert<br />

Neulich auf einer Vernissage in<br />

<strong>Moskau</strong>: Die nationale und internationale<br />

Presse wurde geladen,<br />

um zu fotografieren, interviews<br />

mit den Kuratoren zu führen und<br />

bei einem Glas Sekt auf die Eröffnung<br />

der Ausstellung anzustoßen.<br />

im Foyer des Museums schick<br />

gekleidete Menschen, so dass man<br />

verschämt auf die eigenen einfachen,<br />

flachen und vom Regen<br />

durchnässten Stiefel blickte. Die<br />

erste Runde durch die Ausstellung<br />

war absolviert, die Masse der Journalisten<br />

platzierte sich in der Nähe<br />

der Bühne und wartete auf die<br />

Eröffnungsrede. Doch bald stellte<br />

sich heraus, dass etwas viel Wichtigeres<br />

geschehen würde.<br />

Die Häppchen wurden aufgetischt:<br />

Lachsröllchen, Sushi mit<br />

Kaviar und kleine Löffelchen mit<br />

Schafskäse und Rucola in Honig.<br />

Ein Augenschmaus – wenn man<br />

ihn denn zu sehen bekommen<br />

hätte. Sobald ein Kellner mit dem<br />

Leckereien-Tablett durch die<br />

Türen trat, war er umzingelt. Flink<br />

grabschende Finger, weit geöffnete<br />

Münder, die gierig einen Happen<br />

nach dem anderen herunter<br />

schlangen. Die berühmte Schlacht<br />

am kalten Büffet ist vermutlich<br />

nichts gewesen gegen die Szenen,<br />

die sich hier abspielten. ich gebe<br />

zu, die Eröffnung zog sich in die<br />

Länge, das Mittagessen lag ein paar<br />

Stunden zurück und auch mein<br />

Magen grummelte. Aber ohne Ellbogeneinsatz<br />

keine Chance.<br />

Besonders auffällig: eine Dame<br />

um die 50, im roten Kleid. Direkt<br />

neben der Tür zur Küche hatte sie<br />

sich positioniert. in der Wartezeit<br />

kippte sie ein Glas Rotwein runter.<br />

ihre rote Gesichtsfarbe und die glasigen<br />

Augen ließen vermuten, dass<br />

das heute nicht ihr erstes Getränk<br />

war. Aber nun ran an das nächste<br />

Häppchen. Mindestens zehn hatte<br />

sie schon abgegriffen. ihr größter<br />

Konkurrent: ein alter, etwas<br />

gebrechlicher Mann. Elegant sah<br />

er aus in seinem schwarzen Anzug,<br />

aber nur im ersten Moment. Fettige<br />

graue Haare, ausgelatsche<br />

Echte Freunde<br />

Mehr als 2 000 Teilnehmer machten beim diesjährigen<br />

Wettbewerb „Freunde der deutschen<br />

Sprache“ mit. Aus mehr als zehn Regionen reisten<br />

die Sieger an, um im Deutsch-Russischen<br />

Haus in <strong>Moskau</strong> ihre Preise entgegenzunehmen.<br />

Sie hatten die Jury mit ihren Projekten<br />

zu deutscher und russischer Kultur, Literatur<br />

oder Geschichte überzeugt. Sofia Orlowa freut<br />

sich, dass sie gewonnen hat und erzählt, dass<br />

ihre Deutschlehrerin Nina Satschkina sie überzeugte,<br />

bei dem Wettbewerb mitzumachen.<br />

Und Sofia war gleich so begeistert, dass sie<br />

keine Zeit verstreichen ließ: „Ich habe das<br />

alles in einer Nacht gemacht. <strong>Vi</strong>elleicht war<br />

das Inspiration, ich wusste ganz genau, was<br />

ich machen will.“ Die Geschichte von der<br />

Russlanddeutschen, die sie in ihrem Projekt<br />

beschreibt, ist wahr. Die Protagonistin ist<br />

Sofias Gastmutter aus Deutschland, bei der<br />

die Schülerin drei Monate lang gelebt hat.<br />

Die Preise überreichten der Präsident und<br />

die stellvertretende Vorsitzende des Internationalen<br />

Verbands der deutschen Kultur,<br />

Heinrich und Olga Martens, der Präsident des<br />

Deutsch-Russischen Hauses, Torsten Brezina,<br />

und der Botschaftsrat des Präsidenten, Andrej<br />

Rotermeil. Der Wettbewerb ist ein deutschrussisches<br />

Gemeinschaftsprojekt, sowohl das<br />

Bundesinnenministerium als auch das Ministerium<br />

für Regionalentwicklung der Russischen<br />

Föderation fördern den Wettbewerb. Es gab<br />

Projekte zu unterschiedlichen Themen, es<br />

wurden <strong>Vi</strong>deoinstallationen, Theaterstücke,<br />

Bilder und Übersetzungen eingereicht. Die<br />

Arbeiten seien so kreativ gewesen, dass es den<br />

Juroren schwer gefallen sei, die Sieger zu küren,<br />

erklärten die Organisatoren. Beispielsweise<br />

wurde ein Film vorgestellt, in dem eine junge<br />

Künstlerin unter anderem das Brandenburger<br />

Turnschuhe und schwarze Ränder<br />

unter den Fingernägeln machten<br />

mich stutzig. Auf den zweiten<br />

Blick könnte er auch einer der<br />

Opas sein, die mich morgens auf<br />

der Straße um ein paar Rubel für<br />

das Trolleybus-Ticket anschnorren.<br />

Seltsame Kollegen hab ich da,<br />

dachte ich mir, und ließ ihnen mit<br />

knurrendem Magen den Vortritt.<br />

Am nächsten Tag erzähle ich<br />

meiner russischen Kollegin davon.<br />

Sie lacht nur und sagt: „Ahja die<br />

Сhaljawschtschiki. Die sind überall<br />

in <strong>Moskau</strong>.“ Sie klärt mich auf:<br />

chaljawa heißt gratis. Die Chaljawschtschiki<br />

sind die russische<br />

robustere Form der deutschen<br />

Schnäppchenjäger. Die Lady im<br />

roten Kleid und der alte Mann im<br />

schwarzen Anzug – stadtbekannte<br />

Essenserschleicher? ich frage<br />

meine russischen Freunde und<br />

tatsächlich: Jeder kannte die Chaljawschtschiki.<br />

Nicht unbedingt ein<br />

<strong>Moskau</strong>er Phänomen, aber in der<br />

großen Stadt haben sie leichtes<br />

Spiel. Hier vergeht kein Tag ohne<br />

Empfänge, Eröffnungen und Präsentationen.<br />

Und die Chaljawschtschiki kennen<br />

die Tricks: Sie kommen ohne<br />

Jacke, mit einem halbvollen Glas<br />

in der Hand. Dann sieht es so aus,<br />

als wären sie schon drin gewesen,<br />

und der Türsteher kontrolliert<br />

nicht mehr. Beliebt sind auch fremde<br />

<strong>Vi</strong>sitenkarten oder abgelaufene<br />

Presseausweise als Eintrittskarte.<br />

im hektischen Getümmel scheint<br />

das zu funktionieren. Manch ein<br />

Chaljawschtschik, so wird mir<br />

berichtet, hat es schon auf fremde<br />

Hochzeiten geschafft. Unmöglich,<br />

diese Russen, denke ich. Aber da<br />

fällt mir eine Geschichte meiner<br />

italienischen Mitbewohner ein. Sie<br />

waren am Wochenende auf einer<br />

Party: tolles Essen, viele Getränke –<br />

alles umsonst. Auf der Suche nach<br />

einer Bar in <strong>Moskau</strong> sind sie auf der<br />

Geburtstagsparty einer fremden<br />

Frau gelandet. Ganz ohne Tricks.<br />

Nur mit einem Lächeln und viel<br />

Hunger. Sie haben schnell gelernt,<br />

leben erst seit einem Monat in<br />

der Stadt, sind aber jetzt schon<br />

echte Chaljawschtschiki. Und ich<br />

denke mir: <strong>Vi</strong>elleicht überlebt der<br />

ein oder andere Chaljawschtschik<br />

nur dank der großen russischen<br />

Gastfreundschaft.<br />

Tor und das Portrait von Beethoven mit ihren<br />

Händen in Sand gezeichnet und gefilmt<br />

hatte. Einige Teilnehmer waren mehrmals<br />

nominiert. So auch der Club Jugendlicht mit<br />

seiner Projekteleiterin Tatjana Subbotina aus<br />

Tschita. Tatjana hat den dritten Platz erobert,<br />

ihre Jugendliche einen speziellen Preis der<br />

Organisatoren. Das Projekt sei nicht leicht<br />

zu realisieren gewesen, erzählt Tatjana. Die<br />

Jugendlichen aus Tschita probten ihr Stück<br />

ein halbes Jahr, immer wieder versuchten sie,<br />

ihr Projekt weiter zu verbessern. „Es ist sehr<br />

wichtig für uns, dass wir gewonnen haben.<br />

Ich hoffe, dass wir unsere Inszenierung auch<br />

in <strong>Moskau</strong> zeigen können.” Zu gewinnen gab<br />

es unter anderem Stipendien an den Sprachzentren<br />

des Goethe-Instituts, die Teilnahme an<br />

Seminaren in Deutschland und verschiedene<br />

Sachpreise. Svetlana Gaus zum Beispiel, aus<br />

dem Gebiet Omsk, gewann in der Kategorie<br />

„Das virtuelle Museum der Russlanddeutschen”<br />

und ist zum Lehrerseminar nach Deutschland<br />

eingeladen worden. Auch Sofia zählt zu den<br />

Glücklichen, die eine Reise gewonnen haben.<br />

Nach der Zeremonie kommen viele Teilnehmer<br />

zu ihr und gratulieren ihr, dass sie die<br />

Möglichkeit hat, ins Ausland zu fahren, um<br />

Deutsch zu lernen. Dass die Teilnahme an dem<br />

Wettbewerb „Freunde der deutschen Sprache”<br />

mehr ist, als nur ein Projekt, da stimmten alle<br />

Teilnehmer zu. Und manche der Teilnehmer<br />

planen schon ihre Zukunft mit der deutschen<br />

Sprache, wie zum Beispiel Wladimir Leschnew<br />

aus Wolgograd: „Ich übersetze sehr gerne,<br />

obwohl das viel Zeit in Anspruch nimmt.<br />

Und ich weiß schon jetzt, dass mein zukünftiger<br />

Beruf mit Deutsch zu tun haben wird.”<br />

swetlana Andrejewa


<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />

Starke Marke<br />

Eine Website bringt ausschließlich positive Nachrichten über Russland<br />

seit einem Jahr sammelt der programmierer roman Kowrigin aus rostow<br />

tagaus tagein die erfreulichsten ereignisse aus patriotischer sicht und<br />

stellt sie auf seine Webpage sdelanounas.ru (Bei uns gemacht). Vor<br />

allem werden ökonomische Fakten beleuchtet, aber auch andere gesellschaftlich<br />

relevante kommen zur Geltung.<br />

Wir haben etwas, worauf wir stolz<br />

sein können. Diese Erkenntnis ist die<br />

Unterzeile der Website „Sdelano u<br />

nas“. Es existiert auch eine englische<br />

Version: Made in Russia. Wer die<br />

Website studiert, kann nicht umhin,<br />

ihrem Ersteller beizupflichten. Denn<br />

allein die Reichhaltigkeit, Aktualität<br />

und Nutzerfreundlichkeit der<br />

Site ist ein Grund, die patriotische<br />

Brust ein wenig schwellen zu lassen.<br />

Roman Kowrigin, Programmierer<br />

aus Rostow, lässt nichts unversucht,<br />

aus dem Strom der Nachrichten<br />

über die wirtschaftliche Entwicklung<br />

Russlands die erbaulichsten<br />

Fakten herauszunehmen und sie<br />

darzustellen. in einem interview<br />

mit der Wochenzeitung „Argu-<br />

Von Lew Wladimirow<br />

menty i fakty“ nimmt er zur Vermutung<br />

Stellung, die jeden User<br />

zunächst befällt: Solch eine Liebe<br />

zur Heimat muss doch von den<br />

Regierenden honoriert werden, die<br />

in diesem Projekt wiederum eine<br />

nette Werbung für ihre „selbstlosen“<br />

Bemühungen sehen? Mittel für die<br />

Entwicklung der Seite bekomme<br />

er von dankbaren Lesern. „Der<br />

eine spendet mal <strong>10</strong>0 Rubel, der<br />

andere mal <strong>10</strong>0 Dollar.“ So kamen<br />

in einem Jahr knapp über <strong>10</strong>00<br />

Euro zusammen. Alle Ausgaben<br />

und Einnahmen seien transparent.<br />

„Ein halbes Jahr lang habe ich alles<br />

selbst gemacht, jetzt habe ich zwei<br />

Freiwillige, die mir kostenlos unter<br />

die Arme greifen, zum Beispiel<br />

Täglich werden die Nachrichten auf der Russlandkarte nach Branchen sortiert<br />

angezeigt.<br />

offensichtliche Reklame herausfiltern.“<br />

Über seine Motive äußert<br />

sich Kowrigin so: „ich wollte ein<br />

anderes Land zeigen, über das<br />

wenig geredet wird. Denn es ist<br />

doch gelogen, dass wir nichts können<br />

und nichts machen. Allein im<br />

letzten Sommer, so haben die Leser<br />

der Seite gezählt, sind mehr als <strong>10</strong>0<br />

neue Produktionsstandorte eröffnet<br />

worden. Aber mit der Politik habe<br />

ich nichts am Hut.“<br />

Auch der neue Superjet findet<br />

seine Erwähnung auf der Website.<br />

Auf die Frage, ob es bei dem hohen<br />

Grad an Verflechtung in- und ausländischer<br />

Produktkomponenten<br />

und des internationalen Wissenstransfers<br />

möglich sei, überhaupt<br />

von einem „Made in Russia“ zu<br />

sprechen, entgegnet der Programmierer:<br />

„Für den Superjet kann<br />

ich bürgen, ich habe diese Frage<br />

genau studiert. 54 Prozent der<br />

Bauteile sind importiert, hierin<br />

unterscheidet sich das Flugzeug<br />

wenig von ausländischen, aber die<br />

Konstruktion, die innovative Seite,<br />

die gehört uns! Alle Probeflüge<br />

wurden durch unsere Spezialisten<br />

durchgeführt.“<br />

Das Wir-Gefühl erstreckt sich bei<br />

Kowrigin auch auf den südwestlichen<br />

Nachbarn: Auf der „Made<br />

in Russia“-Seite findet sich der Link<br />

„Made in Ukraine“ – mit demselben<br />

Aufbau auf Russisch und Ukrainisch.<br />

Schon fühlen sich Andere<br />

zu ähnlichen Projekten inspiriert.<br />

NETzWELTEN<br />

Jeder registrierte Leser kann eine gute Nachricht (mit Foto) anbieten.<br />

Dank der Vernetzung mit anderen Webseiten und Blogs hat sdelanounas.ru bereits rund 400 Autoren.<br />

07<br />

Kowrigin berichtet von Kollegen,<br />

die eine Seite erstellen wollen, die<br />

sich ganz auf das Negative konzentrieren<br />

soll – allerdings im Westen.<br />

„Einige Freunde von mir leben im<br />

Westen. Es stellte sich heraus, dass<br />

sich ihr Lebensniveau, ihre Einkünfte<br />

und ihre soziale Geborgenheit in<br />

nichts von meiner Situation unterscheiden.“<br />

Anstatt auszuwandern,<br />

rät Kowrigin, außerhalb der Stadt<br />

Land zu kaufen und es wohnbar zu<br />

machen, wie er es derzeit vorhat.<br />

Gönnen Sie sich eine Pause!<br />

Der Hektik entfliehen – mit der <strong>MDZ</strong>


08<br />

RUSSLAND - DEUTSCHLAND<br />

Mitten im Wald, in der Nähe einer kleinen<br />

Stadt namens Welikij Ustjug, liegt sein<br />

Schloss. Hier im äußersten Nordosten der<br />

Oblast Wologda wohnt Väterchen Frost<br />

mit seiner Enkelin Snegurotschka. Eigentlich<br />

war das Väterchen mal russisches Märchenmaterial:<br />

Man kannte ihn aus Erzählungen<br />

und Sagen als den Herrn über<br />

Winter und Kälte. Er war gefürchtet, weil<br />

er diejenigen, die ihm in die Quere kamen,<br />

mit vor Kälte erstarren ließ. Doch nach<br />

der Oktoberrevolution 1917 wurde er von<br />

den Kommunisten zur russischen Weihnachtsfigur<br />

umfunktioniert, als Geschenkebringer<br />

mit Enkelin an seiner Seite, weil<br />

man das orthodoxe Weihnachtsfest durch<br />

eine atheistische Feier ersetzen wollte.<br />

Das erklärt auch, warum Väterchen Frost<br />

und Snegurotschka die Geschenke am 31.<br />

Dezember bringen, dem neuen russischen<br />

Festtermin, und nicht am Tag des orthodoxen<br />

Weihnachtsfestes, dem 7. Januar.<br />

Traditionell trägt Väterchen Frost einen<br />

langen blauen Mantel, eine schneeweiße<br />

Uschanka auf dem Kopf und in der Hand<br />

einen Eisstab. Berührt jemand anderes den<br />

Stab außer Väterchen Frost und seiner<br />

Enkelin, so wird derjenige zu Eis, so heißt<br />

es in vielen Geschichten. Heute kommt<br />

Väterchen Frost oft in modischem Rot<br />

daher, mit einer Zipfelmütze. Das Blau,<br />

das ursprünglich für Frost und Kälte<br />

stand, wird vom Rot verdrängt. Schuld<br />

Von Verena Lammert<br />

ist höchstwahrscheinlich der Weihnachtsmann,<br />

entsprungen aus einem Werbefilmchen<br />

von Coca Cola. „Der Ded Moros<br />

sieht eigentlich genau gleich aus wie der<br />

Weihnachtsmann. Da gibt es keinen Unterschied,<br />

außer dass der Weihnachtsmann<br />

aus der Werbung kommt“, weiß Andrej<br />

Samarskij. Der Neunjährige aus <strong>Moskau</strong> ist<br />

eines der glücklichen Kinder in Russland,<br />

die gleich dreimal Geschenke erhalten.<br />

Westliche Einflüsse spielen in russischen<br />

Familien eine immer größere Rolle: Andrej<br />

geht außerdem auf die Deutsche Schule<br />

und deshalb feiert er den Heiligen Abend<br />

am 24. Dezember wie in Deutschland mit<br />

Geschenken, das russische Nowyj God am<br />

31. Dezember und das orthodoxe Weihnachten<br />

Roschdestwo am 7. Januar. „Aber<br />

die besten Geschenke gibt es am Nowij<br />

God“, versichert Andrej. „Das ist in Russland<br />

das Hauptfest.“<br />

Wer so viele Geschenke bekommt,<br />

braucht auch keinen Wunschzettel mehr zu<br />

schreiben. Ein Brief weniger, der an Väterchen<br />

Frost nach Welikij Ustjug geschickt<br />

wird. in Deutschland trudelt die Wunsch-<br />

Post in Engelskirchen im Bergischen Land<br />

ein, denn hier wohnt das Christkind. Es<br />

hat außerdem noch ein paar zusätzliche<br />

Briefkästen in Himmelstadt, Himmelpfort<br />

und Himmelsthür. Aber wohin schicken<br />

deutsche Kinder ihre Post, wenn sie an den<br />

Weihnachtsmann schreiben wollen? Der<br />

<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />

Drei Schimmel und das Christkind<br />

Deutsche und russische Weihnachtstraditionen haben es schwer gegen den amerikanischen Weihnachtsmann<br />

Wer bringt zum Fest die Geschenke: das Christkind oder der Weihnachtsmann? Diese Frage<br />

stellen sich in diesen Tagen wieder die Kinder auf Deutschlands schulhöfen. Für all diejenigen,<br />

die die eltern noch nicht als heimliche Geschenkebringer entlarvt haben, ist das<br />

eine Glaubensfrage. Aber auch in russland kommen immer mehr Kinder in einen Konflikt:<br />

Väterchen Frost (Ded moros) oder der Weihnachtsmann?<br />

Dreißig Tage lang wollten wir<br />

durch Russland reisen. Von<br />

Westen bis Osten alles erleben.<br />

Dreißig Tage lang waren wir in<br />

Russland, doch leider sahen wir<br />

nicht alles, was wir uns vorgenommen<br />

hatten. Dafür erlebten<br />

wir, was sicher nicht jeder Russlandreisende<br />

von sich behaupten<br />

kann. Abgelaufene <strong>Vi</strong>sa und<br />

ein achttägiges Ringen mit den<br />

Behörden. Wir sahen sechs Städte<br />

und trafen viele Menschen,<br />

darunter auch einige Staatsbedienstete.<br />

Wir wurden in<br />

St.Petersburg von pittoresker<br />

Pracht empfangen und nach<br />

irkutsk verabschiedeten wir uns<br />

vom Baikalsee durch ein schmutziges<br />

Zugfenster. Was bleibt von<br />

diesem Monat?<br />

Das erste, was wir von Russland<br />

sahen, war der Prunk<br />

St.Petersburgs. Die Stadt stellte<br />

sich uns in ihrer ganzen zaristischen<br />

Herrlichkeit dar. Wir<br />

verbrachten eine Woche mit<br />

offenen Mündern, liefen uns die<br />

Füße wund und konnten doch<br />

nicht genug bekommen. Diese<br />

Stadt zog uns in ihren Bann<br />

und rief uns hinterher, dass wir<br />

nach so kurzer Zeit doch nur<br />

die Oberfläche gesehen hätten.<br />

Dann kamen wir nach <strong>Moskau</strong><br />

und zogen die Schultern hoch.<br />

Nicht nur wegen des kalten<br />

Windes oder des ersten Schnees,<br />

als Vorboten des russischen Winters,<br />

sondern auch wegen der<br />

Atmosphäre. <strong>Moskau</strong> präsentierte<br />

sich uns auf den ersten<br />

Blick in grauen, monolithischen<br />

Betonblocks. Kreml, Roter Platz<br />

und GUM waren zu Gänze von<br />

Gerüsten verhüllt, und auch die<br />

prachtvollen Metrostationen vermochten<br />

es nicht, das graue Bild<br />

aufzuhellen. Unter diesem ersten<br />

Eindruck stehend, waren wir<br />

froh, <strong>Moskau</strong> verlassen zu können.<br />

Zugegeben mit gemischten<br />

Gefühlen, denn wir waren sicher,<br />

dass dies nicht alles gewesen sein<br />

konnte.<br />

Unser Plan sah vor, in Etappen<br />

in Richtung Mongolei zu fahren.<br />

immer wieder zu halten, um uns<br />

Wladimir und Susdal, Nischni<br />

Nowgorod und Kasan, Jekaterinburg<br />

und Tomsk, Nowosibirsk,<br />

Krasnojarsk und den Baikalsee<br />

anzusehen. Doch in Kazan angekommen,<br />

wurden unsere Pläne<br />

von der Realität durchkreuzt.<br />

Unsere abgelaufenen <strong>Vi</strong>sa zwangen<br />

uns zu einer Rückkehr nach<br />

<strong>Moskau</strong>. Es schien so, als wollte<br />

uns die Kapitale nicht eher entlassen,<br />

bis wir einen zweiten<br />

Blick auf sie geworfen hatten,<br />

um ihre andere Seite zu erkunden.<br />

Es waren acht Tage, die wir<br />

einerseits in Bangen und Hoffen<br />

verbrachten, wartend auf unsere<br />

Ausreisegenehmigung. Andererseits<br />

hatten wir Zeit genug, um<br />

nun auch hier Staunenswertes zu<br />

finden.<br />

Die Gerüste rund um den Roten<br />

Platz waren verschwunden, das<br />

Areal zeigte sich in seiner ganzen<br />

hat keine eigene Adresse. Dafür aber der<br />

Nikolaus. Wer sich direkt an den Heiligen<br />

Nikolaus wenden will, sollte seinen Brief<br />

nach St. Nikolaus ins Saarland schicken.<br />

Genau genommen gibt es also in<br />

Deutschland sogar drei Geschenkeverteiler:<br />

Christkind, Nikolaus und Weihnachtsmann.<br />

Auch hier findet ein gesellschaftlicher<br />

Wandel statt, wie die Kulturwissenschaftlerin<br />

Dagmar Hänel aus Bonn<br />

beobachtet hat: „Wir haben in Deutschland<br />

schon seit ein paar Jahren die Verdrängung<br />

des traditionellen Nikolauses<br />

durch den amerikanischen Weihnachtsmann.<br />

Der Nikolaus als Heiligenfigur, dargestellt<br />

im Bischofsornat, taucht immer<br />

seltener auf. Selbst am 6. Dezember, dem<br />

Nikolaustag, sind es immer häufiger Weihnachtsmänner<br />

im rot-weißen Winteranzug<br />

und mit Zipfelmütze, die den Kindern<br />

die Geschenke bringen.“ Der Weihnachtsmann<br />

tauchte 1931 zum ersten Mal in der<br />

Coca-Cola-Werbung auf, damit begann<br />

seine weltweite Erfolgsgeschichte, die<br />

seine Kollegen Nikolaus und Christkind<br />

nicht nur in Deutschland in Bedrängnis<br />

bringt. in Österreich ging es in diesem<br />

Jahr sogar soweit, dass Christkind und<br />

Weihnachtsmann sich in dem Werbefilm<br />

eines Mobilfunkanbieters die Köpfe einschlugen.<br />

Doch Eltern beschwerten sich,<br />

die Werbung wurde vom Markt genommen.<br />

Die etwas friedlichere Lösung für<br />

alle, die auf das Christkind nicht verzichten<br />

wollen: Der Weihnachtsmann nimmt<br />

es als seine Begleitung mit; ein Weihnachtspaar,<br />

fast so wie Väterchen Frost<br />

und seine Enkelin.<br />

Die Gründe für diesen Glaubens-Wandel:<br />

„Tendenzen der Säkularisierung sowie eine<br />

Pracht. Ebenso das nächtliche<br />

Panorama entlang der Moskwa:<br />

der Kreml und die Christ-Erlöser-Kathedrale<br />

golden leuchtend<br />

und die kleinen Gassen, in denen<br />

auch nachts das Leben bunt ist.<br />

im Anschluss daran erlebten wir<br />

den ismailowo-Markt an einem<br />

sonnigen Sonntagnachmittag.<br />

Wir sahen nun, was <strong>Moskau</strong><br />

wirklich ausmacht: die Kontraste<br />

von mittelalterlicher Historie,<br />

Jahrzehnten kommunistischer<br />

Herrschaft und dem Aufbruch<br />

in die Moderne. Große Bauten<br />

aus vielerlei Epochen und dazwischen<br />

das Kleine, das Leben.<br />

Auch <strong>Moskau</strong> ist schön, diese<br />

Schönheit ist nicht so vordergründig<br />

wie in St. Petersburg,<br />

abseits des Roten Platzes versteckt<br />

sie sich ein wenig, aber<br />

sie ist da. Als wir dies gelernt<br />

hatten, hatte auch der Föderale<br />

Migrations Service ein Einsehen,<br />

erteilte uns das Transitvisum und<br />

ließ uns ziehen.<br />

Wir revidierten unseren ersten<br />

Eindruck und konnten nun unsere<br />

Fahrt gen Osten antreten, in<br />

dem Wissen, dieser Metropole<br />

nicht Unrecht getan zu haben.<br />

Apropos Kontraste: Wir fanden<br />

sie nicht nur in <strong>Moskau</strong>, sondern<br />

auch andernorts. War doch<br />

etwa Susdal, zwei Wochen zuvor,<br />

unserem Bild des ursprünglichen<br />

Russlands näher als alles, was<br />

wir sonst noch sehen sollten.<br />

Aus <strong>Moskau</strong> kommend, war dies<br />

sicherlich der größte Kontrast<br />

zwischen Urbanität und ländlichem<br />

idyll. Übertroffen nur<br />

von der endlosen Weite der sibirischen<br />

Steppe. Auch wenn wir<br />

diese nur durch das Zugfenster<br />

Väterchen Frost und seine Enkelin.<br />

30 Tage Russland und ein Haufen Ärger<br />

Das Fazit zweier deutscher Weltenbummler. Und warum sie Russland am Ende doch lieben lernten.<br />

um aus ihrer Weltreise eine echte Herausforderung zu machen, haben<br />

zwei deutsche Journalisten beschlossen, auf ihrem Weg kein Flugzeug zu<br />

besteigen. ihre reise hat Jochen müller (35) und peer Bergholter (36)<br />

auch durch russland geführt. Für die mDZ berichteten die beiden von<br />

ihren reiseerlebnissen. inzwischen in China, ziehen sie ein Fazit.<br />

Von Jochen müller und peer Bergholter<br />

Auch <strong>Moskau</strong> mit all seinen Kontrasten lernten wir am Ende doch noch lieben.<br />

Müller/Bergholter<br />

zunehmende, durch US-amerikanische<br />

Kultur dominierte Globalisierung“, sagt die<br />

Kulturwissenschaftlerin. Warten wir ab, ob<br />

irgendwann auch Väterchen Frost mit dem<br />

Rentierschlitten durch den Schornstein<br />

gerumpelt kommt, statt mit seiner Troika,<br />

einem Schlitten, gezogen von drei Schimmeln,<br />

geruhsam vorzufahren; an seiner<br />

Seite das Christkind mit großen Geschenkpaketen.<br />

Aber egal von wem die Geschenke<br />

nun kommen: Hauptsache ist doch, dass<br />

drin ist, was man sich wünscht.<br />

bestaunen durften, bekamen wir<br />

doch ein Gefühl für die Naturschönheiten<br />

und die Dimensionen<br />

in diesem Land.<br />

Doch um ehrlich zu sein, was<br />

uns am meisten an Russland<br />

beeindruckt hat, waren seine Einwohner.<br />

Ob in den Städten oder<br />

den Zügen, nie zuvor begegneten<br />

uns Menschen mit einer solchen<br />

Offenheit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft<br />

und Großzügigkeit.<br />

Menschen, die gesellig sind, die<br />

Fremde zu Freunden machen.<br />

Wir fanden Obdach in der Not,<br />

schlossen Freundschaften in<br />

wenigen Stunden Zugfahrt, wir<br />

erzählten uns Geschichten, ohne<br />

ein Wort Russisch zu sprechen.<br />

Wir trafen gestrandete Seemänner,<br />

aufstrebende Fotografinnen,<br />

arbeitsuchende Glücksritter und<br />

reisende Handwerker. Und eines<br />

war allen gemein: ihre unvergleichlich<br />

herzliche und einnehmende<br />

Art.<br />

Und wie die Leute, so das Land:<br />

einnehmend. Wollte uns <strong>Moskau</strong><br />

nicht mit einem vorschnellen<br />

Urteil entlassen, so verhält es sich<br />

ebenso mit dem gesamten Land.<br />

Wir durften die Schönheit der<br />

Städte und des Landes bis zum<br />

Baikalsee erleben – durch das<br />

Zugfenster, zum Appetit machen.<br />

Doch genau so hat es Russland<br />

geschafft, uns in seinen Bann<br />

zu ziehen. Es hat Lust auf mehr<br />

gemacht. Eines Tages kehren wir<br />

zurück, um all das mit ausreichend<br />

Zeit zu sehen und zu erleben,<br />

was uns dieses Mal versagt<br />

blieb. Und eines ist sicher: Wir<br />

werden Mütterchen Russland<br />

Folge leisten und wiederkommen.<br />

Eines Tages, im Sommer.


w w w . m d z - m o s k a u . e u<br />

№ 24 (319) Декабрь 2011<br />

НЕЗАВИСИМАЯ ГАЗЕТА О ПОЛИТИКЕ, ЭКОНОМИКЕ И КУЛЬТУРЕ • ОСНОВАНА В 1870 ГОДУ<br />

ГЕРМАНИЯ: ГЕРМАНСКИЙ БУНДЕСВЕР ПРЕОБРАЗОВЫВАЕТСЯ В ПРОФЕССИОНАЛЬНУЮ АРМИЮ –<br />

С 1 ИЮЛЯ ВСТУПИЛ В СИЛУ ЗАКОН ОБ ОТМЕНЕ ВОИНСКОЙ ПОВИННОСТИ • ВСЛЕД ЗА ГЕРМАНИЕЙ<br />

ПОРАЖЕНИЕ В СТРОИТЕЛЬСТВЕ МУЛЬТИКУЛЬТУРНОЙ МОДЕЛИ ПРИЗНАЕТ ВЕЛИКОБРИТАНИЯ<br />

• ЖЕНСКАЯ ДОЛЯ – ОБСУЖДАЕТСЯ ВВЕДЕНИЕ КВОТЫ ДЛЯ ЖЕНЩИН НА РУКОВОДЯЩИХ ПОСТАХ •<br />

ОТ ОБОРОНЫ ДО САМООБОРОНЫ – КАРЛ-ТЕОДОР ФОН И ЦУ ГУТТЕНБЕРГ, МИНИСТР ОБОРОНЫ<br />

ФРГ, УШЕЛ В ОТСТАВКУ ИЗ-ЗА ОБВИНЕНИЙ В ПЛАГИАТЕ ПРИ НАПИСАНИИ ДИССЕРТАЦИИ<br />

• ПАРТИЯ МЕРКЕЛЬ ПРОИГРАЛА ВЫБОРЫ В ГАМБУРГЕ, БЕРЛИНЕ, БРЕМЕНЕ, МЕКЛЕНБУРГЕ-ПЕРЕДНЕЙ<br />

ПОМЕРАНИИ, БАДЕН-ВЮРТЕМБЕРГЕ, РАЙНЛАНД-ПФАЛЬЦЕ – ЛИШЬ В САКСЕН-АНГАЛЬТЕ ХДС<br />

СМОГЛА ПОБЕДИТЬ НА ЗЕМЕЛЬНЫХ ВЫБОРАХ • МЕНЯЕТСЯ ПОЛИТИЧЕСКИЙ ЛАНДШАФТ – ЗЕЛЕНЫЕ<br />

ПРИХОДЯТ К ВЛАСТИ В НЕКОТОРЫХ ЗЕМЛЯХ • В БРЕМЕНЕ СНИЗИЛИ ИЗБИРАТЕЛЬНЫЙ ВОЗРАСТ •<br />

УВЕЛИЧИЛОСЬ ПОСОБИЕ ПО БЕЗРАБОТИЦЕ – НА 5 ЕВРО • В БЕРЛИНЕ УМЕР САМЫЙ ИЗВЕСТНЫЙ<br />

БЕЛЫЙ МЕДВЕДЬ ПЛАНЕТЫ КНУТ • ПРЕМИЯ ЛЕЙПЦИГСКОЙ КНИЖНОЙ ЯРМАРКИ ПРИСУЖДЕНА В<br />

ЭТОМ ГОДУ ЗА ПЕРЕВОД «ВОЙНЫ И МИРА» ЛЬВА ТОЛСТОГО • У МЕРКЕЛЬ НОВЫЙ ЗАМЕСТИТЕЛЬ –<br />

УРОЖЕНЕЦ ВЬЕТНАМА • С 1 МАЯ НЕМЕЦКИЙ РЫНОК ТРУДА СТАЛ ДОСТУПЕН ДЛЯ ГРАЖДАН СТРАН<br />

ВОСТОЧНОЙ, ЦЕНТРАЛЬНОЙ И ЮЖНОЙ ЕВРОПЫ, ВСТУПИВШИХ В ЕВРОПЕЙСКИЙ СОЮЗ В 2004<br />

ГОДУ • В ДЮССЕЛЬДОРФЕ ПРОШЕЛ 56-Й КОНКУРС «ЕВРОВИДЕНИЕ» – ПОБЕДИТЕЛЕМ КОНКУРСА<br />

СТАЛ ДУЭТ ИЗ АЗЕРБАЙДЖАНА «ЭЛЛА И НИККИ» • НЕМЕЦКИЕ БУКОВЫЕ ЛЕСА ВКЛЮЧЕНЫ<br />

В СПИСОК ВСЕМИРНОГО НАСЛЕДИЯ ЮНЕСКО • МЮНХЕН ПРОИГРАЛ ПРАВО ПРОВЕДЕНИЯ<br />

ЗИМНЕЙ ОЛИМПИАДЫ 2018 ГОДА ПХЁНЧАНУ • ГЕРМАНИИ ВЫПАДАЕТ РОЛЬ СПАСИТЕЛЯ ЕДИНОЙ<br />

ЕВРОПЕЙСКОЙ ВАЛЮТЫ • ПРИНЯТ ЗАКОН О ПРИЗНАНИИ ИНОСТРАННЫХ ДИПЛОМОВ • РОССИЯ<br />

– ГЕРМАНИЯ: ЧИСЛО НЕМЕЦКИХ ПРЕДПРИЯТИЙ В РОССИИ ВЫРОСЛО ПОЧТИ ДО 6<strong>10</strong>0 • ВЕСНА<br />

ПОПОЛНИЛА СПИСОК РОССИЙСКО- ГЕРМАНСКИХ ГОРОДОВ-<br />

ПОБРАТИМОВ – В РОТЕНБУРГЕ-НА- ТАУБЕРЕ ПРОШЛА КОНФЕРЕНЦИЯ<br />

2011<br />

ГОРОДОВ-ПАРТНЕРОВ ДВУХ СТРАН • ОТКРЫТ РОССИЙСКО-ГЕРМАНСКИЙ<br />

в заголовках МНг<br />

ГОД НАУКИ, ОБРАЗОВАНИЯ И ИННОВАЦИЙ • СТАРТОВАЛА<br />

ВСЕРОССИЙСКАЯ ОБРАЗОВАТЕЛЬНАЯ ИНИЦИАТИВА «УЧИ НЕМЕЦКИЙ!» • РЕЗУЛЬТАТЫ ЕГЭ ПО<br />

НЕМЕЦКОМУ ЯЗЫКУ ВПЕРВЫЕ ЗА ПОСЛЕДНИЕ НЕСКОЛЬКО ЛЕТ УЛУЧШИЛИСЬ • ВЛАДИМИРУ ПУТИНУ<br />

УДАЛОСЬ ПОБЫТЬ ЛАУРЕАТОМ НЕМЕЦКОЙ ПРЕМИИ «КВАДРИГА» РОВНО НЕДЕЛЮ • ОТКРЫТА ПЕРВАЯ<br />

ВЕТКА ГАЗОПРОВОДА «СЕВЕРНЫЙ ПОТОК» • РОССИЙСКИЙ РЕЖИССЕР АЛЕКСАНДР СОКУРОВ<br />

ПОЛУЧАЕТ ВЫСШУЮ НАГРАДУ КИНОФЕСТИВАЛЯ В ВЕНЕЦИИ ЗА «НЕМЕЦКИЙ» ФИЛЬМ «ФАУСТ»<br />

• НЕМЦЫ РОССИИ: В ЯНВАРЕ В ЯРОСЛАВЛЕ ОТКРЫЛАСЬ ВЫСТАВКА КАРТИН АДАМА ШМИДТА,<br />

ПРИУРОЧЕННАЯ К 90-ЛЕТИЮ ХУДОЖНИКА • В ИЮЛЕ АДАМ ШМИДТ УШЕЛ ИЗ ЖИЗНИ • КОНФЕРЕНЦИЯ<br />

МЕЖДУНАРОДНОГО СОЮЗА НЕМЕЦКОЙ КУЛЬТУРЫ ВЫБРАЛА НОВОЕ ПРАВЛЕНИЕ – ПРЕДСЕДАТЕЛЕМ<br />

МСНК ОСТАЛСЯ ГЕНРИХ МАРТЕНС • 2011 ГОД БЫЛ ОБЪЯВЛЕН ГОДОМ СОЦИАЛЬНОЙ РАБОТЫ В<br />

МСНК • СДЕЛАН ПЕРВЫЙ ШАГ К СОЗДАНИЮ ЭКОНОМИЧЕСКОЙ БАЗЫ ВОЗРОЖДЕНИЯ РОССИЙСКИХ<br />

НЕМЦЕВ • В РОССИЙСКО-НЕМЕЦКОМ ДОМЕ В МОСКВЕ ПРОИСХОДИТ КУЛЬТУРНАЯ РЕВОЛЮЦИЯ •<br />

РАСКОЛ В ЛЮТЕРАНСКОЙ ЦЕРКВИ В МОСКВЕ • В ТОМСКЕ СОСТОЯЛИСЬ ОЧЕРЕДНОЕ ЗАСЕДАНИЕ<br />

МЕЖПРАВИТЕЛЬСТВЕННОЙ РОССИЙСКО-ГЕРМАНСКОЙ КОМИССИИ ПО ПРОБЛЕМАМ РОССИЙСКИХ<br />

НЕМЦЕВ И ПЕРВЫЙ КУЛЬТУРНО-ОБРАЗОВАТЕЛЬНЫЙ ФОРУМ РОССИЙСКИХ НЕМЦЕВ СИБИРИ •<br />

МЕЖДУНАРОДНЫЙ СОЮЗ НЕМЕЦКОЙ КУЛЬТУРЫ ОТМЕТИЛ СВОЕ 20-ЛЕТИЕ • ВНОВЬ ОТКРЫЛСЯ<br />

ЕДИНСТВЕННЫЙ В ГЕРМАНИИ МУЗЕЙ РОССИЙСКИХ НЕМЦЕВ • В ЭНГЕЛЬСЕ ОТКРЫТ ПАМЯТНИК<br />

РОССИЙСКИМ НЕМЦЕВ–ЖЕРТВАМ РЕПРЕССИЙ В СССР • БЫЛА ЛИ ДЕПОРТАЦИЯ? – НА НАУЧНОЙ<br />

КОНФЕРЕНЦИИ В САРАТОВЕ УЧЕНЫЕ ОБСУДИЛИ ИСТОКИ И ПОСЛЕДСТВИЯ ПЕРЕСЕЛЕНИЯ НЕМЦЕВ В<br />

1941 ГОДУ • БУНДЕСТАГ ОБЛЕГЧИЛ ВОССОЕДИНЕНИЕ СЕМЕЙ ПОЗДНИХ ПЕРЕСЕЛЕНЦЕВ<br />

немцы<br />

Удивляют<br />

В Германии вводят голубую карту<br />

для привлечения иностранных<br />

специалистов<br />

немцы<br />

Удивляются<br />

Реакция немецких СМИ<br />

на выборы в российский<br />

парламент<br />

Удивительная<br />

история<br />

Вторая мировая<br />

глазами историка<br />

Бориса Ковалева<br />

ii iii <strong>Vi</strong>


ii<br />

Г е р М а н и я<br />

Голубая карта счастья<br />

Кабинет министров подписал<br />

законопроект, согласно которому<br />

планка годового дохода<br />

иностранных специалистов,<br />

необходимая для разрешения<br />

на пребывание в Германии,<br />

снизится с 66-ти до 48 тысяч<br />

евро в год, а для недавних<br />

выпускников вузов – и вовсе<br />

до 44 тысяч. Представителям<br />

некоторых профессий, например,<br />

инженерам и врачам,<br />

нехватка которых ощущается<br />

в ФРГ особенно сильно, будет<br />

достаточно зарабатывать<br />

33 тысячи евро в год. Таким<br />

образом, возможность работы<br />

и проживания в ФРГ откроется<br />

для гораздо большего числа<br />

квалифицированных кадров. К<br />

слову, к концу сентября 2011<br />

года лишь 661 специалисту<br />

удалось преодолеть непомерно<br />

высокую планку (из них<br />

149 человек живут и работают<br />

в Германии начиная с этого<br />

года).<br />

Правительство ожидает выдачи<br />

около 3 500 новых видов<br />

на жительство в год вследс-<br />

В финал конкурса «Лучший<br />

международный вуз 2011»,<br />

который прошел в Берлине,<br />

попали пять немецких вузов:<br />

веймарский университет<br />

Баухаус, Высшая школа Бремена,<br />

Технический университет<br />

Котбуса, гёттингенский Университет<br />

им. Георга Августа и<br />

Саарский университет. Все они<br />

доказывали свою открытость<br />

миру, презентуя в немецкой<br />

столице свои достижения и<br />

проекты в области международного<br />

обучения международному<br />

жюри, состоявшему<br />

из преподавателей и руководителей<br />

вузов.<br />

Университет Баухаус – преемник<br />

знаменитой одноименной<br />

школы архитектуры и дизайна,<br />

основанной в 1919 году в<br />

Веймаре. Ее принципом стало<br />

объединение ремесла и искусства,<br />

а манифестом – интеграция<br />

искусства в массовое<br />

производство. Среди первых<br />

преподавателей Баухауза были<br />

ведущие художники-авангардисты<br />

– Вальтер Гропиус,<br />

Пауль Клее, Василий Кандинский.<br />

В 1933 году под давлением<br />

властей школу закрыли. После<br />

объединения Германии интерес<br />

Екатерина Келлер<br />

твие введения голубой карты<br />

по упрощенной схеме – то<br />

есть, без обязательной на сей<br />

раз проверки федерального<br />

агент ства по трудоустройству,<br />

не имеется ли подходящих<br />

кандидатов на вакантное<br />

место внутри ЕС. Таким образом,<br />

сама процедура станет<br />

для специалистов куда менее<br />

бюрократической, чем сейчас.<br />

Кроме того, предполагается,<br />

что в Германии сможет остаться<br />

часть обучавшихся здесь<br />

иностранных студентов, которые<br />

уже сейчас имеют в запасе<br />

год после окончания учебы,<br />

чтобы осмотреться в поисках<br />

места работы. А со следующего<br />

года они смогут работать без<br />

временных ограничений, которые<br />

ныне составляют 90 дней<br />

в год.<br />

Федеральный министр экономики<br />

Филип Рёслер (СвДП)<br />

назвал нововведение «квантовым<br />

прыжком в миграционной<br />

политике». Его партия<br />

уже давно предлагала снижение<br />

планки годового дохода в<br />

Арина Попова<br />

к идеям Баухауса возрос, и веймарской<br />

Высшей школе архитектуры,<br />

пришедшей на смену<br />

Баухаусу в 40-х годах, было<br />

возвращено историческое имя.<br />

Сегодня Университет Баухаус<br />

следует принципам отцовоснователей<br />

школы, соединяя<br />

искусство с современными<br />

технологиями. На выбор студентам<br />

предоставлено более<br />

30-ти учебных дисциплин –<br />

от архитектуры, веб-дизайна<br />

и визуальной коммуникации<br />

до строительно-инженерного<br />

дела, технологии производства,<br />

экологии и менеджмента.<br />

Одна из самых влиятельных<br />

высших школ архитектуры и<br />

дизайна завоевала свой титул<br />

лучшего международного вуза<br />

благодаря мощной интернациональной<br />

ориентации учебного<br />

процесса. На иностранных<br />

языках здесь читается почти<br />

половина курсов, что и привлекает<br />

в тюрингский вуз<br />

иностранцев: из 4 000 студентов<br />

каждый седьмой приехал<br />

из-за рубежа, а из преподавателей<br />

– почти каждый десятый.<br />

Учиться за границу по обмену<br />

из стен Университета Баухаус<br />

отправляются 60% немецких<br />

качестве поддержки отечественной<br />

экономике, однако со<br />

стороны ХСС до недавнего<br />

времени наблюдалось противостояние.<br />

Даже и теперь смягчение<br />

условий, необходимых<br />

для пребывания на территории<br />

Германии, уравновешивается<br />

ограничением, на котором<br />

настояли христианские социал-демократы:<br />

бессрочный вид<br />

на жительство работающие на<br />

немецких предприятиях иностранцы<br />

могут получить лишь<br />

через два года. Более того,<br />

специалист, ставший безработным<br />

в течение первых трех<br />

студентов. Дополнительными<br />

аргументами в пользу веймарского<br />

вуза стали приверженность<br />

новым форматам международной<br />

коммуникации, а<br />

также креативность и художественная<br />

выразительность<br />

в использовании прогрессивных<br />

медийных технологий.<br />

«Международная ориентация<br />

уже давно является не приятной<br />

мелочью, а центральным<br />

элементом в стратегическом<br />

планировании вузов», – говорит<br />

член жюри конкурса,<br />

вице-президент Германской<br />

службы академических обменов<br />

(DAAD) Макс Хубер. По<br />

его словам, путь Университета<br />

<strong>Московская</strong> немецкая газета № 24 (319) Декабрь 2011<br />

Германия продолжает развивать схему привлечения квалифицированных кадров<br />

<strong>Немецкая</strong> экономика давно страдает от нехватки специалистов в<br />

целом ряде отраслей. До сих пор существующие в ФРГ законы<br />

затрудняли въезд в страну зарубежных специалистов. Однако<br />

отныне дело должно пойти чуть бойчее: 7 декабря федеральное<br />

правительство поддержало введение так называемой голубой<br />

карты (Blue card), которая, по аналогии с американской зеленой,<br />

облегчит пребывание в Германии высококвалифицированным<br />

специалистам из стран, не входящих в ЕС.<br />

Мировая слава Баухауса!<br />

С помощью голубой карты в Германии надеются восполнить нехватку<br />

специалистов, в том числе и в медицине.<br />

лет пребывания в Германии,<br />

теряет свое право находиться<br />

в стране.<br />

Зеленым условия такого урегулирования<br />

представляются<br />

недостаточно привлекательными.<br />

Спикер фракции по<br />

во просам рынка труда Бригитте<br />

Потмер уверена, что выстраивание<br />

зависимости между<br />

возможностью потери работы<br />

и необходимостью покинуть<br />

страну «противоречит одному<br />

из столпов миграционного<br />

права».<br />

Глава Федерального объединения<br />

торгово-промышленных<br />

Веймарский университет признан «лучшим международным вузом 2011»<br />

За титул «Лучший международный вуз 2011» боролись 28 немецких<br />

высших школ с интернациональной направленностью обучения.<br />

В этом году звания самого открытого для иностранных студентов<br />

вуза удостоился университет в Тюрингии. Премия «За<br />

международное измерение в образовании», которая ежегодно<br />

присуждается Союзом учредителей фондов развития науки в Германии<br />

и Германской службой академических обменов (DAAD),<br />

составила в этом году 50 000 евро.<br />

Flickr/Stadtkatze<br />

В тюрингском вузе<br />

иностранцем является<br />

каждый седьмой<br />

студент и почти<br />

каждый десятый<br />

преподаватель.<br />

Баухаус может служить примером<br />

для многих немецких<br />

вузов.<br />

Интересно, что первым международным<br />

партнером веймарского<br />

Университета когдато<br />

стал Московский государственный<br />

строительный университет,<br />

с которым до сих пор<br />

поддерживаются тесные связи.<br />

Равно как и с Москов ским<br />

архитектурным и Московским<br />

автомобильно-дорожным институтами.<br />

Над задачей интернационализации<br />

обучения в Веймаре<br />

работает сплоченная команда<br />

студентов и преподавателей.<br />

Так, например, недавно студен-<br />

BVMed<br />

палат Германии (DiHK) Мартин<br />

Ванслебен также считает<br />

подобную меру предосторожности<br />

не только излишней, но<br />

и в корне неверной и предостерегает<br />

политиков от введения<br />

новых ограничений, которые<br />

– вместо явного сигнала приветствия<br />

– не могут не оставить<br />

у приглашенных специалистов<br />

негативного привкуса.<br />

Союз немецких работодателей<br />

(BDA) надеется на скорейшее<br />

претворение законопроекта в<br />

жизнь и поддерживает Ванслебена<br />

в его заботе о чув ствах<br />

мигрантов. Учреждениям,<br />

ответственным за проведение<br />

реформы, предстоит выработать<br />

«настоящую приветственную<br />

культуру для зарубежных<br />

специалистов», чтобы продемонстрировать,<br />

насколько их<br />

здесь действительно ждут. В<br />

конце концов, на сегодняшний<br />

день в ФРГ остро не хватает<br />

около 70 тысяч математиков,<br />

информатиков, ученых-естественников<br />

и техников.<br />

Прежде чем законопроект<br />

станет законом, его должны<br />

подписать бундестаг и бундесрат,<br />

и вступить в силу он<br />

сможет предположительно не<br />

раньше середины будущего<br />

года. К слову говоря, Германия<br />

и так запоздала с этим решением:<br />

соответствующее урегулирование<br />

на уровне ЕС было<br />

принято еще в 2009 году.<br />

ты самостоятельно разработали<br />

концепцию медийной кампании<br />

по созданию собственного<br />

международного офиса. «Нам<br />

удалось вдохновить этой идеей<br />

большую команду», – с гордостью<br />

рассказывает ректор университета<br />

Карл Бойке. Сообща<br />

в университете работали и над<br />

подготовкой к участию в конкурсе<br />

на звание лучшего международного<br />

вуза. «Были задействованы<br />

все – от студентов до<br />

ректора. Только непосредственно<br />

над составлением заявки<br />

работали больше 70 человек»,<br />

– говорит глава отдела международных<br />

связей Университета<br />

Баухаус Муриэль Хельбиг.<br />

В Веймаре считают, что интернационализация<br />

процесса обучения<br />

– не самоцель, а требование<br />

времени. Муриэль Хельбиг<br />

уверена, что национальные<br />

границы для науки – это<br />

нелепость, и так формулирует<br />

стратегию развития вуза: «Мы<br />

хотим здесь, в Веймаре, создать<br />

по-настоящему интернациональную<br />

среду. Даже если студенты<br />

после окончания учебы<br />

останутся в Германии, они<br />

должны получить возможность<br />

выучить языки, вступать в контакт<br />

с иностранными учеными,<br />

участвовать в международных<br />

проектах. Наша цель – стать<br />

на <strong>10</strong>0% международным университетом,<br />

и всю призовую<br />

сумму я бы потратила на развитие<br />

дальнейших международных<br />

проектов», – подчеркивает<br />

Муриэль Хельбиг.


<strong>Московская</strong> немецкая газета 24 (319) Декабрь 2011<br />

Русские «Будденброки» на старте<br />

Семейные предприятия России и Германии налаживают связи<br />

Семья – ячейка общества, говаривал Фридрих Энгельс. Как оказалось,<br />

семья еще и основа экономического процветания и стабильности<br />

государства за счет семейного предпринимательства, которое<br />

имеет богатые традиции в Европе. Российских семейных<br />

предприятий в списке «старших», имеющих за плечами несколько<br />

поколений семейного управления, пока не значится.<br />

Из-под пера великих писателей<br />

Томаса Манна, Джона Голсуорси<br />

вышли мировые шедевры<br />

о становлении и развитии<br />

предпринимательских династий,<br />

которыми зачитывались<br />

не только в Европе, но и в России.<br />

Эти романы – семейные<br />

хроники позволяют не только<br />

проследить жизнь нескольких<br />

поколений, но и извлечь уроки<br />

ведения бизнеса.<br />

В Германии 95% предприятий<br />

– семейные. Они и составляют<br />

основу экономической мощи<br />

и стабильности страны, обеспечивая<br />

70% рабочих мест в<br />

стране. Немецкие семейные<br />

предприятия – это, как правило,<br />

малые и средние фирмы,<br />

которые живут жизнью своего<br />

города, ежедневно общаются с<br />

жителями, знают настроения<br />

и предпочтения своих покупателей<br />

и служат своеобразным<br />

барометром благополучия<br />

населения.<br />

Имея такой богатый опыт<br />

семейного предпринимательства,<br />

в Германии действуют<br />

и специальные объединения,<br />

которые защищают политические<br />

интересы, предоставляют<br />

дискуссионные площадки по<br />

обмену опытом для предприятий<br />

малого и среднего бизнеса,<br />

проводят исследования в<br />

сфере организации семейного<br />

Ни один из немецких телеканалов<br />

не показал каких-либо<br />

специальных трансляций из<br />

России ни о ходе голосования,<br />

ни о его первых результатах<br />

или прогнозах. Но в регулярных<br />

выпусках новостей о парламентских<br />

выборах в России<br />

зрителям, разумеется, рассказали.<br />

Однако по старинке тенденциозно:<br />

репортажи только<br />

о негативных событиях, аналитика<br />

только в критическом<br />

тоне, и ни слова о позитивных<br />

переменах в огромном хозяйстве<br />

восточного соседа.<br />

По каналу n-TV 6 декабря<br />

целый день примерно каждые<br />

полчаса крутили видеоролик<br />

о вмешательстве полиции в<br />

драку между участниками различных<br />

политических движений<br />

в Москве. Душераздирающее<br />

зрелище: полицейские<br />

в защитных шлемах и масках<br />

теснят от проезжей части распаленных<br />

граждан, лица которых<br />

искажены ненавистью<br />

друг к другу. Люди молотят<br />

Ольга Видигер<br />

бизнеса. Одно из таких объединений<br />

– Фонд семейных<br />

предприятий.<br />

Председатель фонда Брун-<br />

Хаген Хеннеркес, заметив<br />

высокую заинтересованность<br />

в развитии совместных бизнес-проектов<br />

в России, заручился<br />

поддержкой российского<br />

посольства в Берлине<br />

и инициировал в конце 2011<br />

года первую встречу семейных<br />

предприятий из России и<br />

Германии. Задача оказалась не<br />

из легких. Россию представляли<br />

российские акулы бизнеса<br />

«Северсталь», «Норильский<br />

никель», в то время, как<br />

немецкие представители были<br />

действительно из сферы малого<br />

и среднего бизнеса.<br />

Однако это не помешало<br />

активным дискуссиям на<br />

темы ведения бизнеса в России<br />

и Германии. Немецких<br />

семейных предприятий, освоивших<br />

пространство России и<br />

имеющих партнеров в нашей<br />

стране гораздо больше, чем<br />

русских, тем более семейных,<br />

в Германии. Но и те «первые<br />

ласточки», пробившиеся на<br />

рынок Германии, сетовали на<br />

то, что русского бизнесмена<br />

в Германии никто не ждет,<br />

тогда как немецкому в России,<br />

по словам Юрия Яворского<br />

из Нижнего Новгорода,<br />

Маргарита Гоголева<br />

друг друга кулаками, плюются,<br />

ругаются, а затем объединяются<br />

против полицейских и кидаются<br />

в них камнями.<br />

За кадром звучит комментарий:<br />

«После парламентских<br />

выборов в России произо шли<br />

акции протеста с массовым<br />

насилием в отношении оппозиции.<br />

Полиция арестовала<br />

более 500 человек в Москве<br />

и Санкт-Петербурге. Среди<br />

задержанных – бывший вицепремьер<br />

Борис Немцов, оппозиционный<br />

политик Сергей<br />

Митрохин из либеральной<br />

партии «Яблоко», журналисты<br />

и правозащитники. Кремлевский<br />

лидер Дмитрий Медведев<br />

резко отвергает критику из-за<br />

рубежа».<br />

На следующий день вышеназванный<br />

канал подкрепил кадры<br />

уличных беспорядков высказыванием<br />

о том, что России<br />

не суждено дождаться честных<br />

демократических выборов.<br />

Цитата принадлежит Михаилу<br />

Горбачеву, к которому до<br />

Брун-Хаген Хеннеркес (слева) заинтересован в развитии сотрудничества<br />

между семейными предприятиями России и Германии.<br />

«красную дорожку» под ноги<br />

стелют.<br />

Предпринимательская деятельность<br />

в России еще весьма молода,<br />

но даже за 20 лет своего<br />

сих пор с пиететом относится<br />

подавляющее большинство<br />

немцев. Если учесть, что n-TV<br />

смотрят не только приватные<br />

зрители, а по умолчанию включают<br />

в фойе многих гостиниц,<br />

сберкасс и крупных офисов<br />

Германии, можно прикинуть,<br />

какая многомиллионная аудитория<br />

бюргеров увидела негативную<br />

картинку и не получила<br />

целостного представления о<br />

происходящем в России.<br />

Не изменил тенденциозности<br />

и канал ARD, где сюжеты из<br />

России до и после голосования<br />

снабжены заголовками заведомо<br />

негативного содержания:<br />

«Выборы в Госдуму: ОБСЕ и<br />

Совет Европы призывают правительство<br />

воздержаться против<br />

мошенничества», «Игра,<br />

в которой могут участвовать<br />

лишь несколько игроков»,<br />

«Путин – супермен», «У партии<br />

Кремля нет альтернативы»,<br />

«Тысячи русских протестуют<br />

против хода выборов» и т.д.<br />

Российским лидерам достается<br />

от журналистов медиа-концерна<br />

ARD по любому поводу.<br />

Кристина Нагель из радиослужбы<br />

WDR иронизирует по<br />

поводу того, что партия «Единая<br />

Россия» набрала большинство<br />

голосов. А в репортаже<br />

московского корреспондента<br />

службы «Новостей» Ины<br />

р о с с и я – Г е р М а н и я<br />

существования семейные предприятия<br />

успели занять в секторе<br />

малого и среднего бизнеса одну<br />

треть ниши. И только сейчас в<br />

нашей стране наступает первая<br />

«В России происходит что-то удивительное»<br />

Что пишут немецкие СМИ о выборах в российский парламент<br />

У неискушенного читателя, слушателя и телезрителя, который<br />

взялся бы судить о ходе проведения выборов в Госдуму России<br />

шестого созыва только на основании материалов СМИ Германии,<br />

могло бы сложиться мнение, что в крупных российских городах<br />

поголовно все граждане стали оппозиционерами, круглые сутки<br />

лишь возмущаются и митингуют, а работают только полиция и<br />

спецподразделения МВД – дубинками налево и направо.<br />

Рук, например, особый акцент<br />

делается на том, что на избирательном<br />

участке в Гагаринском<br />

районе Москвы, где голосовал<br />

Владимир Путин, «Единая<br />

Россия» заняла лишь второе<br />

место, уступив коммунистам.<br />

Гамбургский еженедельник<br />

«Der Spiegel» в рубрике «Политика»<br />

(подрубрика «Зарубежье»)<br />

добросовестно разъясняет<br />

все тонкости системы<br />

парламентского управления в<br />

России в целом. Популярный<br />

журнал считает, что на думских<br />

выборах в России были<br />

два проигравших: президент<br />

Медведев и премьер Путин.<br />

Ведь потеря 14% голосов в масштабах<br />

России – это провал.<br />

Но голые факты не приносят<br />

дохода, поэтому «зеркальные»<br />

охотники за сенсацией<br />

постоянно выискивают что-то<br />

жареное. То ехидно заметят,<br />

что «Единая Россия» «уверенно<br />

набирает 80–90% голосов<br />

в психиатрических лечебницах»,<br />

то восторженно прокомментируют<br />

кустарный видеоклип<br />

со вставками матерщины<br />

и неприличных сцен «Наш<br />

дурдом голосует за Путина»,<br />

ставший интернет-хитом для<br />

специфической части российского<br />

электората.<br />

Крупнейший еженедельник<br />

«Die Welt» не скрывает вос-<br />

Stiftung Familienunternehmen<br />

iii<br />

смена поколения и возникает<br />

вопрос преемственности в<br />

семейном бизнесе, тогда как<br />

тридцать самых «старших»<br />

семейных предприятий в мире, в<br />

том числе и немецких, сменяют<br />

уже седьмое поколение и ведут<br />

свой семейный бизнес уже более<br />

двухсот лет.<br />

«Если у тебя в России ничего<br />

не получилось, значит, ты<br />

выбрал плохого партнера для<br />

ведения бизнеса», – считает<br />

Герд Ленга, генеральный<br />

управляющий группы КНАУФ<br />

СНГ, немецкого семейного<br />

предприятия, известного россиянам<br />

с середины 90-х годов.<br />

По словам Хеннеркеса, именно<br />

это и является задачей Фонда<br />

семейных предприятий: передать<br />

немецкий опыт ведения<br />

семейного бизнеса, где речь<br />

идет не только о заработке<br />

денег, но и о традиции социальной<br />

ответственности бизнеса,<br />

и способствовать созданию<br />

совместных российско-германских<br />

предприятий путем<br />

обеспечения добросовестных<br />

контактов с партнерами.<br />

торга по поводу акций протеста<br />

в России. Майкл Штюрмер и<br />

Томас Фитцхум, авторы обзора<br />

с красноречивым названием<br />

«В России происходит что-то<br />

удивительное» радуются, что<br />

«несмотря на холод и снег по<br />

всей России прокатились крупнейшие<br />

с начала 90-х антиправительственные<br />

акции протестов,<br />

на которые вышли до<br />

<strong>10</strong>0 000 человек. В столице, как<br />

и в других городах, протестующие<br />

обвиняли правительство<br />

в вопиющем мошенничестве<br />

на парламентских выборах<br />

4 декабря и требовали новых<br />

выборов». В редакционной статье<br />

«Die Welt» задается вопросом,<br />

который, по-видимому, и<br />

является ключом к разгадке<br />

общего настроения немецкой<br />

прессы: «А насколько вообще<br />

выгодно Германии усиление<br />

партий, программа которых не<br />

содержит никаких элементов<br />

либерализма в экономике?» О<br />

каком либерализме идет речь<br />

в данном контексте, не уточняется.<br />

Не понятно, почему журналисты<br />

вышеупомянутых СМИ<br />

еще не могут отойти от прежних<br />

стереотипов, почему они<br />

не хотят видеть позитивного<br />

развития добрососедских<br />

отношений между Германией<br />

и Россией?


iV<br />

н е М ц ы р о с с и и<br />

Трудармия: как это было?<br />

Готовится к изданию альбом воспоминаний трудармейцев<br />

Близится 70-я годовщина со дня выхода постановления<br />

Государственного комитета обороны № 1<strong>12</strong>3<br />

сс «О порядке использования немцев-переселенцев<br />

призывного возраста от 17-ти до 50 лет», с которого<br />

начался массовый призыв немцев в трудовую армию.<br />

Это секретное постановление от <strong>10</strong> января 1942<br />

года предписывало передать в распоряжение НКВД<br />

45 тыс. чел. для лесозаготовок, 35 тыс. чел. для строительства<br />

двух заводов на Урале, а также наркомату<br />

путей сообщения – 40 тыс. чел. для строительства<br />

железных дорог. Постановлением ГКО № 2383 от<br />

7 октября 1942 года «О дополнительной мобилизации<br />

немцев для народного хозяйства СССР» была проведена<br />

крупнейшая мобилизация советских немцев: ей<br />

впервые подлежали женщины (в возрасте от 16-ти<br />

до 45 лет, кроме беременных и имевших детей до<br />

трехлетнего возраста); для мужчин увеличено число<br />

призывных возрастов (от 15-ти до 55 лет).<br />

В год 70-летия массовой мобилизации немцев в<br />

трудовую армию Международный союз немецкой<br />

культуры при поддержке Министерства внутренних<br />

дел Германии готовит к печати и издает альбом<br />

воспоминаний участников «трудового фронта». В<br />

«В ноябре 1942 года Легостаевский<br />

военкомат мобилизовал<br />

меня в трудармию. На<br />

знакомой уже нам станции<br />

Евсино нас, 16–17-летних<br />

парней, снова погрузили в<br />

«телячьи» вагоны с нарами<br />

и повезли неведомо куда.<br />

По пути следования прицепили<br />

еще несколько вагонов<br />

с немцами-новобранцами,<br />

в одном из них находились<br />

девушки и женщины. В Омске<br />

нас в первый и последний раз<br />

накормили горячей пищей. С<br />

этой станции мы ехали уже<br />

в сопровождении вооруженного<br />

конвоя. Рано утром 7 декабря<br />

наш эшелон оставили на<br />

запасном пути маленькой<br />

станции Баская. С этого дня<br />

в моей жизни начался новый<br />

отсчет времени…<br />

Я никогда не забуду ту высокую<br />

смертность среди трудармейцев<br />

в 1943 году и первой<br />

половине 1944 года. Каждое<br />

утро из бараков выносили<br />

одного-двух покойников. Их<br />

клали на ручные сани, везли<br />

в ближайший лес, разгребали<br />

снег и старые листья и укладывали<br />

мертвых, засыпая<br />

откинутым снегом: копать<br />

мерзлую землю сил ни у кого<br />

не было.<br />

Особенно запомнился мне<br />

январь 1943 года. 15 января<br />

мороз достиг –53 градусов.<br />

Следующие два дня всем<br />

строителям разрешили<br />

остаться дома. К полудню<br />

18 января чуть потеплело<br />

до –49, и тогда какой-то<br />

начальник приказал всех<br />

вывести из барака на очистку<br />

железнодорожного пути<br />

вблизи шахты № 62. Вышли<br />

более 300 человек. Многие,<br />

не выдержав пурги и мороза,<br />

сбежали часа через два.<br />

К утру пути снова замело.<br />

Зато каждый третий, вернувшийся<br />

со снегоуборки,<br />

обморозил руки или ноги. В<br />

медпункте бинтов и мази<br />

на всех не оказалось. Раны<br />

начали гноиться, от этого<br />

в бараке более месяца стояла<br />

ужасная вонь. Но самое<br />

печальное в этой истории –<br />

работники медсанчасти не<br />

имели права освободить от<br />

работы даже сильно обмороженных.<br />

А на работу они<br />

не в силах были ходить, и<br />

их немедленно лишали пайки<br />

хлеба и горячего питания.<br />

Это было для ослабленных<br />

людей равносильно смерти. В<br />

итоге чьего-то головотяпства<br />

из-за двух часов бесполезной<br />

работы на свирепом<br />

морозе мы потеряли навсегда<br />

более сорока товарищей.»<br />

Из воспоминаний Вилли<br />

Гебеля, родившегося в 1925<br />

году в селе Кеппенталь Автономной<br />

республики немцев<br />

Поволжья. Был мобилизован<br />

в трудармию и попал на Гремячинское<br />

угольное месторождение.<br />

«18 декабря 1942 года я была мобилизована в трудовую армию.<br />

На лесозаготовках в тайге, в Свердловской области я проработала<br />

до октября 1946 года. Потом меня перевезли в город Челябинск на<br />

строительство металлургического комбината»…<br />

Из воспоминаний Ольги Фридриховны Гартман, уроженки села Норка<br />

Бальцерского кантона Республики немцев Поволжья.<br />

него войдут научно-популярные статьи о трудармии,<br />

документы, воспоминания очевидцев, выдержки из<br />

писем 70-летней давности, стихи и песни, отрывки<br />

из пьес, репродукции картин – все то, что сохранит<br />

для ныне живущих и последующих поколений<br />

память о трагических для российских немцев<br />

событиях военных лет. Альбом призван запечатлеть<br />

подвиг немецкого народа, ковавшего в тяжелейших<br />

условиях тыла Победу.<br />

Для того чтобы собрать этот материал МСНК объявляет<br />

о проведении акции. Мы ищем:<br />

• Воспоминания трудармейцев о годах в трудовой<br />

армии.<br />

• Выдержки из писем тех лет.<br />

• Литературные произведения о трудармии.<br />

• Зарисовки и репродукции картин на тему «Трудовая<br />

армия».<br />

• Фотографии трудармейцев, сделанные в военные<br />

годы и в наши дни.<br />

• Рассказы представителей послевоенных поколений<br />

российских немцев, прежде всего молодежи, о<br />

том, что они знают о пребывании их (пра-)бабушек<br />

и (пра-)дедушек на «трудовом фронте», о том, что<br />

Иван Иванович Лаут<br />

(1924–1988), уроженец<br />

г. Бальцера Республики<br />

немцев Поволжья,<br />

осенью 1941 года был<br />

эвакуирован из Москвы<br />

в Казахстан. Уже оттуда<br />

он был мобилизован в<br />

трудармию и попал в<br />

Челябметаллургстрой.<br />

«Когда началась депортация,<br />

мне <strong>12</strong> лет было. Мы<br />

жили в селе Розенфельлд<br />

Мариентальского кантона<br />

Республики немцев Поволжья.<br />

В январе 1942 г. отца в<br />

трудармию забрали, в декабре<br />

1943-го – меня с мачехой.<br />

Осталась там одна только ее<br />

дочь с дочкой, ей было месяцев<br />

11. Нас увезли в Караганду, п.<br />

Новый, в открытые шахты,<br />

а в конце марта – на Дальний<br />

Восток. 15 апреля мы перешли<br />

Амур. В августе снова<br />

по этапу – по непроходимой<br />

местности через лес.<br />

Перед этим у нас забрали все.<br />

Сказали: «Положим в камеру<br />

хранения, когда дойдете, привезем».<br />

А выдали кирки, лопаты,<br />

топоры, пилы, ломы – все<br />

на себе несли. Мы спрашивали:<br />

«Товарищ начальник, скоро<br />

будет наша колонна?» А он:<br />

«Скоро, скоро». А когда мы на<br />

месте остановились, дерево<br />

обтесанное стоит, колышек,<br />

и на нем написано «1-я колонна».<br />

Ничего не было. И вот мы<br />

три месяца под открытым<br />

небом. Есть нечего, врач нас<br />

крапивой поддерживал. Только<br />

иногда на вьюках сухой<br />

паек привезут, дадут. Мы<br />

тогда шалаши из хвои делали.<br />

А в конце сентября палатки<br />

уже сбросили. Установили их,<br />

<strong>Московская</strong> немецкая газета № 24 (319) Декабрь 2011<br />

для них значит этот период в жизни немецкого<br />

народа.<br />

Памятный альбом выйдет на русском и немецком<br />

языках и станет продолжением проекта 2011 года<br />

«„Выселить с треском!“ Очевидцы и исследователи о<br />

трагедии российских немцев».<br />

Работы просим присылать до 1 марта по электронной<br />

почте (osilanteva@martens.ru) или обыкновенной<br />

почтой на адрес: 119435, Москва, Малая Пироговская,<br />

5. МСНК, Ольге Силантьевой. Желательно<br />

указывать номер телефона для оперативной связи.<br />

Просим не присылать отксерокопированные фотографии,<br />

краткие биографии и материалы, не касающиеся<br />

обозначенной тематики. Воспоминания публикуются<br />

в альбоме с фотографиями, поэтому очень<br />

просим найти возможность и прислать в отсканированном<br />

виде по электронной почте фотографии<br />

высокого разрешения. Если у вас возникли вопросы –<br />

пишите, мы готовы проконсультировать. Все герои<br />

очерков и авторы получат авторские экземпляры.<br />

Авторы опубликованных работ получат небольшие<br />

гонорары (от 500 рублей в зависимости от текста,<br />

количества присланных материалов).<br />

из жердей сделали<br />

нары. Старались<br />

побольше ветвей<br />

собрать, постелей<br />

же не было: мы, как<br />

свиньи, в солому<br />

зароемся и лежим. А<br />

потом печки сбросили.<br />

Мы их топили<br />

днем и ночью. И<br />

работали день и<br />

ночь.<br />

Мы молодые были,<br />

по 15–16 лет. Норма<br />

на одного рабочего<br />

была 20 кв. м.<br />

Я должна была с<br />

этих 20 кв. м. снять<br />

растительный слой,<br />

выкорчевать дерево,<br />

если оно попалось,<br />

распилить его,<br />

сложить, сделать<br />

дорогу и откос.<br />

Несколько раз было<br />

так, что нас не кормили<br />

по 3–4 дня, правда, сделали<br />

пекарню. Начальник был,<br />

как сейчас помню, Решетков<br />

Василий Васильевич, пожилой<br />

уже, как он над нами издевался!<br />

Мы ему говорим: «Василь<br />

Василич, но люди ведь уже не<br />

могут, как мы будем работать?»<br />

А он: «Саботажники,<br />

фашисты…»<br />

К концу войны от 300 человек<br />

осталось нас <strong>12</strong>0. Пона-<br />

добилась дорога для войны<br />

с японцами, и нас спасали<br />

черемшой, стали лучше кормить,<br />

относиться лучше...<br />

А после окончания войны<br />

нам объявили, что мы теперь<br />

не трудармейцы, а спецпереселенцы.»<br />

Из воспоминаний Эллы Петровны<br />

Ягодки (Бауэр), г. Барнаул,<br />

Алтайский край.


<strong>Московская</strong> немецкая газета 24 (319) Декабрь 2011<br />

Немецкий – это классно!<br />

В Москве отметили самых лучших друзей немецкого языка<br />

В Российско-немецком доме в Москве <strong>10</strong> декабря состоялось торжественное<br />

награждение победителей Второго всероссийского<br />

конкурса «Друзья немецкого языка». Лучшие получили не только<br />

ценные призы, но и возможность продолжить изучение немецкого<br />

языка как в России, так и в Германии.<br />

Более тысячи человек из<br />

всех регионов России приняли<br />

участие в конкурсе любителей<br />

немецкого языка. Конкурс<br />

стал очередным совместным<br />

российско-германским проектом,<br />

который Международный<br />

союз немецкой культуры<br />

провел при поддержке Министерства<br />

регионального развития<br />

Российской Федерации и<br />

Министерства внутренних дел<br />

Германии.<br />

Цель конкурса заключалась<br />

в популяризации немецкого<br />

языка в России. «Мы изначально<br />

понимали, что прово-<br />

Год 2011 для университета<br />

– 80-й, юбилейный. Созданный<br />

всего двумя годами позже<br />

основания Московской области,<br />

тогда еще областной педагогический<br />

институт должен был<br />

обеспечить кадрами область,<br />

с чем достойно справился. И<br />

сегодня университет является<br />

ключевым образовательным<br />

учреждением подготовки специалистов<br />

для Московской<br />

области и при этом активно<br />

развивает новые направления,<br />

смело внедряясь в сферу международного<br />

сотрудничества.<br />

Обычно к юбилеям готовят<br />

как большие отчеты, так<br />

и запуски новых программ и<br />

проектов. Для МГОУ таких<br />

проектов в 2011 году было два,<br />

и оба связаны с немецким языком.<br />

Первый – создание Ассоциации<br />

учителей немецкого<br />

языка Московской области,<br />

второй – создание в университете<br />

регионального центра<br />

немецкого языка.<br />

А еще годом ранее был запущен<br />

пилотный проект по этнокультурному<br />

образованию<br />

российских немцев. В 2011<br />

году набор российских немцев<br />

на факультет психологии был<br />

продолжен, а к сотрудничеству<br />

в этой программе присоединились<br />

Пятигорский лингвистический<br />

университет и Омский<br />

государственный университет<br />

им. Достоевского, с которыми<br />

МГОУ сотрудничает в рамках<br />

созданного консорциума вузов<br />

для реализации программ, связанных<br />

с поддержкой одного<br />

из народов России – российских<br />

немцев.<br />

«Со специалистами МГОУ<br />

приятно работать, – отмечает<br />

куратор программы от Международного<br />

союза немецкой<br />

культуры Наталья Хречкова.<br />

Анна Захарова<br />

дить конкурс только для российских<br />

немцев не интересно,<br />

– рассказывает первый заместитель<br />

председателя МСНК<br />

Ольга Мартенс. – Интересно<br />

его осуществлять для всей<br />

страны. Для нас было главным,<br />

чтобы о немецком языке говорили<br />

в России как об одном<br />

из ведущих языков мирового<br />

общения».<br />

На церемонию награждения<br />

в Москву съехались взрослые<br />

и юные участники со всей<br />

страны. Чтобы занять почетные<br />

места, конкурсантам пришлось<br />

немало потрудиться.<br />

Ольга Видигер<br />

– Высокий профессионализм<br />

сочетается с высокой мобильностью,<br />

умением адаптировать<br />

учебные программы к практической<br />

деятельности общественных<br />

организаций сообщества<br />

российских немцев».<br />

Университет активно развивает<br />

партнерство с европейскими<br />

вузами, в числе которых<br />

Потсдамский университет,<br />

Мюнхенский институт иностранных<br />

языков и переводчиков.<br />

Павел Хроменков, молодой,<br />

энергичный ректор МГОУ, считает,<br />

что к открытию новых<br />

проектов, связанных с популяризацией<br />

немецкого языка, привело<br />

долгосрочное и надежное<br />

сотрудничество университета<br />

с различными представительствами<br />

образовательных учреждений,<br />

фондов, предприятий<br />

федеральной земли Бавария.<br />

Партнеры принимают самое<br />

активное участие в поддержке<br />

университета. Так, например,<br />

президент Фонда им. Ханса<br />

Зайделя, г-н Ханс Цеетмайр,<br />

в прошлом министр образования<br />

и вице-премьер земли<br />

Бавария, бывая один раз в году<br />

в представительстве фонда в<br />

Москве, обязательно посещает<br />

МГОУ, и не просто с дружеским<br />

визитом, а с лекцией<br />

для студентов. Лекция идет на<br />

немецком языке и посвящена<br />

различным аспектам взаимовлияния<br />

языка и различных<br />

профессиональных сфер коммуникации.<br />

Так, во время своего последнего<br />

визита Ханс Цеетмайр<br />

беседовал со студентами о<br />

языке политики. По окончании<br />

лекции президент фонда,<br />

отвечая на вопросы студентов,<br />

отметил высокий интерес со<br />

стороны университета к раз-<br />

Ведь на суд жюри было представлено<br />

свыше 2000 конкурсных<br />

работ в шести различных<br />

номинациях. «Мы очень<br />

старались стать участниками<br />

и победителями этого конкурса»,<br />

– рассказывает Татьяна<br />

Воронкова, преподаватель<br />

немецкого языка гимназии<br />

№133 из Самары. Татьяна объясняет:<br />

«Российские немцы<br />

внесли большой вклад в развитие<br />

нашего города. Поэтому<br />

мы решили проводить<br />

экскурсии по местам самарских<br />

немцев для немецких и<br />

русских детей на двух языках.<br />

Программы этих экскурсий<br />

мы и отправили на конкурс<br />

«Друзья немецкого языка».<br />

Видимо, старались не зря –<br />

жюри присудило нам первое<br />

место в конкурсе методических<br />

разработок».<br />

витию сотрудничества с Германией.<br />

Именно этот интерес дает<br />

немецким партнерам импульсы<br />

Около 50-ти человек были<br />

приглашены в Москву на<br />

недель ную встречу для лауреатов<br />

и победителей конкурса.<br />

Друзей немецкого языка<br />

ожидало множество приятных<br />

сюрпризов. Одним из них стал<br />

мастер-класс немецкого мультипликатора<br />

Артура Клозе,<br />

который поделился с конкурсантами<br />

секретами анимации.<br />

Кроме того, в программу<br />

встречи вошло и изучение<br />

немецкого языка. «Я рад,<br />

что получил возможность не<br />

только побывать в Москве,<br />

но и узнать много нового о<br />

немецком языке на занятиях<br />

у Елены Зейферт», – рассказывает<br />

15-летний Владимир<br />

Лежнёв из Волгограда, занявший<br />

второе место в номинации<br />

«Юный переводчик». С<br />

благодарностью вспоминает<br />

«Поступил в МОПИ – так не вопи!»<br />

Фраза из заголовка красовалась на плакате в столовой Московского<br />

государственного областного университета (МГОУ) в далекие<br />

советские годы, когда университет еще назывался Московским<br />

областным педагогическим институтом им. Н.К. Крупской. Бывшие<br />

студенты и сегодня с теплотой вспоминают этот плакат и то серьезное,<br />

фундаментальное образование, которое дал им институт.<br />

Сегодня университет МГОУ – классическое учебное заведение,<br />

уделяющее большое внимание развитию российско-германских<br />

отношений в сфере образования.<br />

р о с с и я – Г е р М а н и я<br />

Образование – один из основных курсов российско-германского сотрудничества<br />

Павел Хроменков, ректор МГОУ, и Ханс Цеетмайр, президент Фонда им.<br />

Ханса Зайделя.<br />

для усиленной поддержки университета.<br />

Так, например, для<br />

поддержки молодых ученых<br />

объявляется новый набор абитуриентов на<br />

обучение по проГраММе «аванГарД» в 20<strong>12</strong> ГоДу<br />

Уважаемые абитуриенты!<br />

Если вы:<br />

• собираетесь в 20<strong>12</strong> году поступать в высшее учебное заведение;<br />

• являетесь активистом молодежного движения российских немцев в<br />

своем регионе;<br />

• посещаете центры встреч российских немцев;<br />

• собираетесь связать свою судьбу с развитием культуры и сохранением<br />

национальной идентичности россий ских немцев,<br />

то информация, которую мы предлагаем, именно для вас.<br />

Hanns-Seidel-Stiftung<br />

V<br />

Татьяна Воронкова занятия<br />

профессора кафедры лингводидактики<br />

Московского государственноголингвистического<br />

университета Галины Валентиновны<br />

Перфиловой: «Когда<br />

варишься в собственном соку,<br />

всегда хочется чего-то нового,<br />

и это новое, занимательное и<br />

познавательное давала нам на<br />

своих уроках эта прекрасная<br />

женщина».<br />

А вот для <strong>12</strong>-летней Нины<br />

Захаровой из Самары, победившей<br />

в номинации «Юный<br />

художник», уроки немецкого<br />

языка оказались самыми<br />

сложными: «Приходилось<br />

очень много воспринимать<br />

и запоминать, но было очень<br />

интересно». Главное, чтобы<br />

этот интерес развивался. Ведь<br />

немецкий – это действительно<br />

классно!<br />

Фонд им. Ханса Зайделя дополнительно<br />

выделяет пять стипендий<br />

для научных стажировок<br />

аспирантов МГОУ. Поддержку<br />

фонд обещает и в вопросах<br />

оснащения регионального центра<br />

немецкого языка. Цеетмайр<br />

подчеркивает: «Важно быть в<br />

таком сотрудничестве не опекуном,<br />

а партнером, предлагать<br />

помощь для самопомощи<br />

и понимать, что богатые традиции<br />

языка и культуры, которые<br />

есть у наших народов, очень<br />

тесно переплетены как в историческом,<br />

так и в современном<br />

контексте. И наша задача,<br />

выстраивая личные контакты<br />

и развивая партнерство, сохранять<br />

модус вивенди, служить<br />

взаимопониманию и знать, что<br />

мир в Европе зависит от понимания<br />

наших двух народов».<br />

Международный союз немецкой культуры (МСНК) объявляет набор абитуриентов на обучение в вузах<br />

Москвы, Пятигорска и Омска в рамках комплексной программы этнокультурного образования российских<br />

немцев в следующие вузы:<br />

Московский государственный областной университет (МГОУ)<br />

Факультет психологии; специальность – социальная работа.<br />

Пятигорский государственный лингвистический университет (ПГЛУ)<br />

Факультет: Институт германских языков международного маркетинга и инноватики; специальности: лингвистика,<br />

преподавание немецкого языка.<br />

Омский государственный университет им. Ф.М. Достоевского (ОмГУ)<br />

Факультет культуры и искусства, исторический факультет; специальности: история, основы режиссуры, основы<br />

кино-, фото-, видеотворчества, основы социокультурной деятельности, теория музыки, сольное пение, дирижирование,<br />

основы актерского мастерства и др.<br />

Продолжительность обучения: 4 академических года.<br />

Форма обучения очная.<br />

Подробную информацию о вступительных испытаниях в вузах смотрите на их сайтах: http://www.mgou.ru,<br />

http://www.pglu.ru, http://www.omsu.ru<br />

За подробной информацией по обучению обращайтесь к руководителю проектов программы «Авангард»<br />

Наталье Хречковой по телефону в Москве +7 (495) 937-65-44.<br />

Заявки принимаются до 20 июня 20<strong>12</strong> года по электронной почте info@ivdk.ru или по факсу +7 (499) 766-48-76.<br />

Контактное лицо – Дарья Шелаева.<br />

Желаем вам успеха в предстоящих экзаменах и надеемся на дальнейшее сотрудничество!!!


<strong>Vi</strong><br />

и с т о р и я и к у л ь т у р а<br />

Противоречивая, долгое<br />

время бывшая почти табуированной<br />

тема оккупации во<br />

время Великой Отечественной<br />

войны собрала в Новгородской<br />

областной библиотеке полный<br />

зал. Послушать известного новгородского<br />

историка, вот уже<br />

четверть века исследующего<br />

тему Второй мировой войны,<br />

пришли историки, студенты,<br />

ветераны и дети войны. В<br />

600-страничном исследовании<br />

описаны реалии ежедневного<br />

существования на оккупированной<br />

нацистскими войсками<br />

территории советской России<br />

и взаимоотношения советских<br />

граждан с оккупантами. Опираясь<br />

на архивы УФСБ и воспоминания<br />

очевидцев, автор<br />

представил панораму реальной<br />

жизни и мотивы поведения<br />

людей в условиях оккупации,<br />

описывая как истоки массового<br />

героизма, так и причины<br />

сотрудничества с оккупантами<br />

и предательства. Ковалев<br />

проанализировал ситуацию на<br />

всей территории РСФСР в границах<br />

того времени, включая<br />

Крым.<br />

Борис Ковалев рассказал, что<br />

стремился осмыслить страницы<br />

истории через судьбу рядового<br />

человека – женщины,<br />

которая хочет любить и быть<br />

Едва ли в Германии найдется<br />

такое второе место, как горная<br />

область Харц, где было<br />

бы столько легенд и преданий,<br />

связанных с нечистой силой.<br />

До сих пор в ночь с 30 апреля<br />

на 1 мая на горе Брокен празднуют<br />

Вальпургиевую ночь. Из<br />

глубины веков пришло поверье,<br />

что в эту особую ночь ведьмы<br />

устраивают на горе свой шабаш.<br />

Веселится нечисть не только<br />

ради удовольствия – колдуньи<br />

«вытанцовывают» снег, ускоряя<br />

Арина Попова<br />

любимой, ребенка, мечтающего<br />

ходить в школу и есть досыта,<br />

старика, который хоть и<br />

пожил, но не хочет умирать. По<br />

словам новгородского историка,<br />

десятки миллионов людей,<br />

вынужденных выживать в экстремальных<br />

условиях, в чем-то<br />

оказались преданными своим<br />

государством, обвинявшем их<br />

в измене родине. «Я написал<br />

о тех, кто внес вклад в победу,<br />

встав в ряды антинацистского<br />

сопротивления, и о тех,<br />

кто уничтожал своих сограждан<br />

в отрядах карателей или<br />

содействовал оккупационному<br />

режиму, служа старостами,<br />

журналистами; а были и такие,<br />

которые просто занимались<br />

бизнесом», – сказал автор.<br />

Под какие проценты можно<br />

было положить деньги в немецкий<br />

банк в Орле в 1942 году или<br />

что преподавали школьникам<br />

в 1943-м, какие задачи нацисты<br />

ставили перед советской кустарной<br />

промышленностью, и<br />

что печаталось на страницах<br />

коллаборационистской прессы<br />

– такие факты впервые предстают<br />

перед широкой читательской<br />

аудиторией, поражая<br />

воображение. Например, в<br />

Великих Луках нацисты захотели<br />

открыть публичный дом и<br />

пригласили для этого еврейку,<br />

Рольф Майзингер<br />

тем самым приход весны. Событие<br />

это настолько популярное,<br />

что желающие в нем поучаствовать<br />

съезжаются буквально со<br />

всего мира. Толпы ряженых устраивают<br />

шествие к месту ведьминых<br />

танцев (Hexentanzplatz).<br />

Где под дикий шум и грохот<br />

сжигают соломенных кукол.<br />

В 1921 году в городке Тале,<br />

расположенном неподалеку<br />

от Брокена, вышла, пожалуй,<br />

самая замечательная серия банкнот,<br />

посвященных этой теме.<br />

содержавшую притон в Одессе.<br />

Приехавшие из Берлина чинуши,<br />

узнав о ее национальности,<br />

расстреляли женщину.<br />

А самого профессора Ковалева,<br />

за долгие годы работы<br />

в архивах, по собственному<br />

признанию, почти переставшего<br />

удивляться ужасающим<br />

фактам, все же поразила история<br />

«орловского рикши» –<br />

<strong>12</strong>-летнего мальчика, который<br />

кормил всю семью, перевозя<br />

на своей тележке чемоданы. А<br />

однажды за две буханки хлеба<br />

он повез двух немецких солдат,<br />

боясь не того, что надорвется,<br />

а что тележка развалится.<br />

Этот рассказ Ковалев услышал<br />

в Орле от 80-летнего старика<br />

– того самого бывшего «орловского<br />

рикши».<br />

Например, лицевую часть банкноты<br />

в 25 пфеннигов украшают<br />

пляшущие ведьмы, а ее оборотную<br />

сторону – здание гостиницы<br />

Hexentanzplatz. На банкноте в<br />

50 пфеннигов изображена скачущая<br />

на метле старая колдунья<br />

и леший, у которого одна нога<br />

человеческая. Не обошлось и без<br />

главного бога языческого пантеона<br />

древних немцев – Водана. Его<br />

изображение и двух верных ему<br />

слуг-воронов расположилось на<br />

банкноте в 5 пфеннигов.<br />

В Харце существует поверье:<br />

если хочешь увидеть летящую на<br />

шабаш ведьму, нужно забраться<br />

под лежащий на ее пути плуг. Но<br />

сидеть нужно тихо-тихо, иначе<br />

зыркающая по сторонам прислужница<br />

сатаны обязательно<br />

тебя заметит. А тогда уж пеняй<br />

на себя! Унесет с собой на шабаш,<br />

где до рассвета над тобой будут<br />

<strong>Московская</strong> немецкая газета № 24 (319) Декабрь 2011<br />

История Второй мировой без купюр<br />

В Великом Новгороде прошла презентация книги историка Бориса Ковалева<br />

В начале декабря в Новгородской областной научной библиотеке<br />

доктор исторических наук, профессор Новгородского университета<br />

Борис Ковалев презентовал свою книгу «Повседневная жизнь:<br />

население России в период нацистской оккупации». Книга вышла в<br />

этом году в издательстве «Молодая гвардия» тиражом 4000 экземпляров<br />

в серии «Живая история».<br />

Ведьмины деньги<br />

История <strong>12</strong>-летнего «орловского рикши» – одна из многих на страницах<br />

книги Ковалева.<br />

Детям в книге посвящена<br />

отдельная глава. «Страх» –<br />

вот слово, которое чаще всего<br />

встречается в детских воспоминаниях:<br />

«Было страшно, когда<br />

отец приходил домой и срочно<br />

отправлял старших сестер по<br />

дворам, где были дети старше<br />

шестнадцати лет, чтобы предупредить<br />

об облавах, которые<br />

периодически устраивали<br />

немцы и полицаи с целью угона<br />

молодежи в Германию. Страх,<br />

что нас выгонят зимой из сарая,<br />

где жила наша семья, так как<br />

дом занимали немецкие солдаты,<br />

страх, что отца расстреляют<br />

за связь с партизанами».<br />

А глава с провокационным<br />

названием «Любовь за морковь»<br />

повествует о женских<br />

судьбах на оккупированной<br />

Старинные немецкие банкноты – кладезь немецкой истории и фольклора<br />

Деньги – универсальная энциклопедия, которая постоянно находится<br />

у нас под рукой. Универсальная потому, что едва ли существует<br />

тема, которая не была бы отображена на деньгах мира. На них<br />

запечатлены величайшие достижения науки и техники, отклики<br />

знаменитых и малоизвестных исторических событий. Но и это еще<br />

не все! Ибо банкноты в полной мере отображают и миры незримые,<br />

и наши душевные переживания, и неискоренимую любовь<br />

человека к таинственному и мистическому.<br />

потешаться черти. Именно такая<br />

богомерзская баба, выискивающая<br />

очередную жертву, и изображена<br />

на выпуске Лейхтенбурга.<br />

К северу от Брокена, практически<br />

у подножия горы, расположился<br />

живописный городок<br />

Ильзенбург. На его бумажных<br />

денежных знаках, датированных<br />

1 июня 1921г., появляются<br />

уже другие персонажи местного<br />

фольклора: гномы и великаны.<br />

На двух <strong>10</strong>-пфенниговых банкнотах<br />

изображен Гюбих – король<br />

горных коротышек, которого<br />

нетрудно узнать по волшебному<br />

жезлу. А купюру в 50 пфеннигов<br />

украшают великаны, которые<br />

держат в руках вырванную с<br />

корнями ель. Очень интересным<br />

изображением может похвастать<br />

купюра в 25 пфеннигов. Здесь и<br />

прыгающий перед кипящим котлом<br />

чертенок, и вылетающая из<br />

На одной из брокенских банкнот колдуньи «вытанцовывают» снег, на другой – ведьма летит на шабаш, а на третьей – грозно смотрит король гномов Гюбих.<br />

территории. Комсомолка Оля<br />

из Орла просилась на фронт,<br />

но в военкомате ей предложили<br />

стать разведчицей. Она<br />

быстро вошла в немецкую<br />

офицерскую среду, ходила к<br />

тайнику в условные дни и не<br />

находила там никаких заданий,<br />

лишь свои донесения... В отчаянии<br />

Ольга безуспешно пыталась<br />

бежать из города. А после<br />

освобождения Орла посыпались<br />

доносы о предательском<br />

поведении «девки Ольги».<br />

Военный трибунал приговорил<br />

девушку к двадцати пяти годам<br />

лагерей «за сотрудничество с<br />

гитлеровскими оккупантами».<br />

В качестве документов времени<br />

предстают перед читателями<br />

и копии коллаборационистских<br />

газет, пестрящих объявлениями:<br />

«Возобновляю врачебную<br />

практику», «В артель требуются<br />

плотники». А в одной из смоленских<br />

газет можно увидеть<br />

обращение – «Разыскивается<br />

8-летний Эдуард Хиль», написанное<br />

матерью будущего знаменитого<br />

певца.<br />

«Моральное осуждение тех,<br />

кто совершил неблаговидные<br />

поступки, безусловно, должно<br />

быть, – резюмирует автор<br />

книги. – Но самое главное, я<br />

пишу об этом в заключительной<br />

главе, – о тех, кто правдами<br />

и неправдами пытался<br />

сохранить жизнь себе и близким,<br />

мы должны говорить с<br />

горечью и со словами из Священного<br />

Писания: «Не судите<br />

– да не судимы будете». Может<br />

быть, их суд над собой был<br />

гораздо страшнее и строже»...<br />

печной трубы молодая ведьма, и<br />

заглядывающая в совиное гнездо<br />

колдунья.<br />

Глядя на эти, ни на что не<br />

похожие денежные знаки, поражаешься<br />

воображению не только<br />

тех талантливых художников,<br />

кто приложил к их эскизам свою<br />

руку. Но и в большой степени той<br />

необузданной народной фантазии,<br />

породившей удивительные<br />

образы. И вовсе не важно, сыграли<br />

ли свою роль в возникновении<br />

этих банкнот скрытые в каждом<br />

человеке первобытные страхи<br />

перед лицом дикой природы.<br />

Главное, что благодаря немецким<br />

банкнотам, мы имеем прекрасную<br />

возможность насладиться<br />

красотой и изяществом крайне<br />

редких для бумажных денег<br />

сюжетов. А, кроме того, еще и<br />

окунуться в таинственный мир<br />

харцевских легенд и сказок.


<strong>Московская</strong> немецкая газета 24 (319) Декабрь 2011<br />

Немцы простились со своей<br />

«Кассандрой»<br />

Первого декабря ушла из жизни 82-летняя писательница<br />

Криста Вольф<br />

Классик послевоенной литературы Криста Вольф долгие годы<br />

была летописцем и символом эпохи ГДР. Почти полвека в разных<br />

странах ее книгами зачитывались, их обсуждали и экранизировали.<br />

Вольф награждена многими престижными литературными<br />

премиями. Немцы на востоке и на западе страны называли писательницу<br />

«моральной инстанцией ГДР». В 20<strong>10</strong> году вышел ее<br />

по следний роман «Город ангелов».<br />

Криста появилась на свет в<br />

1929 году в семье владельцев<br />

небольшой продуктовой лавки<br />

Герты и Отто Иленфельда в<br />

прусском городке Ландсбергна-Варте,<br />

который после войны<br />

отошел Польше. После бегства<br />

от советских войск в 1945<br />

году семья осела в Мекленбурге.<br />

В 1949 году 20-летняя<br />

Криста Вольф стала студенткой<br />

факультета германистики<br />

университета Йены и вступила<br />

в Социалистическую единую<br />

партию Германии. Членом партии,<br />

как и членом правления<br />

Союза писателей ГДР, Вольф<br />

была полвека – до 1989 года.<br />

Оставаясь до конца верной<br />

режиму, Вольф тем не менее<br />

всегда наблюдала и описывала<br />

реалии ГДР с критического<br />

расстояния.<br />

Литературным дебютом<br />

писа тель ницы стала повесть<br />

«<strong>Московская</strong> новелла», написанная<br />

ею после второй поездки<br />

в Москву и опубликованная<br />

в 1961 году. Историей любви<br />

немецкой девушки и русского<br />

офицера зачитывались в<br />

Восточной Германии, а вскоре<br />

однофамилец писательницы<br />

режиссер Конрад Вольф, живший<br />

тогда в СССР, экранизировал<br />

ее. Но советская цензура<br />

картину не пропустила, что<br />

Криста Вольф, убежденный<br />

член СЕПГ, восприняла очень<br />

болезненно, назвав политбюро<br />

«коллективным инквизитором».<br />

Признание молодой писательнице<br />

принес опубликованный<br />

в 1963 году роман «Расколотое<br />

Арина Попова<br />

небо», который почти сразу же<br />

был экранизирован. Это произведение,<br />

в котором речь идет<br />

о проблематике разделенной<br />

Германии, а действие происходит<br />

во время строительства<br />

Берлинской стены, принесло<br />

Вольф премию имени Генриха<br />

Манна и известность в Советском<br />

Союзе.<br />

Главным детищем Кристы<br />

Вольф литературные критики<br />

считают написанную в 1983<br />

году повесть «Кассандра».<br />

В ней автор, по собственному<br />

признанию, исследовала<br />

проблему философии власти.<br />

Интересно, что впервые роман<br />

был опубликован в Советском<br />

Союзе на страницах журнала<br />

«Иностранная литература»,<br />

членом международного совета<br />

редакции которого писательница<br />

являлась много лет.<br />

Впервые бурные дебаты<br />

во круг имени Кристы Вольф<br />

разгорелись в 1989 году, после<br />

выхода в свет ее рассказа «Что<br />

остается», написанного еще в<br />

1979 году. Образ самой Вольф<br />

легко угадывается в главной<br />

героине-писательнице, которая,<br />

находясь под постоянным<br />

наблюдением службы безопасности<br />

ГДР, пытается вырваться<br />

из-под контроля и отчаянно<br />

ищет причины краха общества<br />

ГДР. Полемика вспыхнула<br />

во круг вопроса, почему Вольф<br />

так поздно опубликовала свой<br />

рассказ, и можно ли считать ее<br />

борцом сопротивления, если<br />

ей не хватило мужества опубликовать<br />

рассказ на Западе до<br />

падения Берлинской стены. В<br />

защиту коллеги тогда выступили<br />

Вольф Бирман и Гюнтер<br />

Грасс, напомнив, что еще в 1968<br />

году в романе «Размышления о<br />

Кристе Т.» она ставила под сомнение<br />

прогрессивность модели<br />

государства ГДР. А также апеллировали<br />

к тому, что если бы<br />

она открыто выступила против<br />

режима, то попросту лишилась<br />

бы гражданства и вместе с ним<br />

возможности писать.<br />

Спустя год, в 1990 году, Вольф<br />

выступила против объединения<br />

Германии, что стало предметом<br />

многочисленных бурных<br />

споров. Масла в огонь добавили<br />

найденные документы о<br />

том, что с 1959-го по 1962 год<br />

Вольф работала на «Штази» и<br />

написала для восточногерманской<br />

разведки три отчета. И<br />

хотя в них она положительно<br />

охарактеризовала интересовавших<br />

спецслужбу людей, и<br />

вплоть до объединения Германии<br />

за самой писательницей<br />

следили агенты внутренней<br />

разведки, в начале 1990-х на<br />

Вольф обрушилась волна критики.<br />

И в 1992-м, получив стипендию<br />

Центра Джетти, она на<br />

семь лет уехала в США. Через<br />

год вышел ее роман «Медея»,<br />

который был благодушно принят<br />

читателями. Как и «Кассандра»,<br />

он повествует о мифической<br />

женщине, дерзнувшей<br />

вмешаться в общественную<br />

жизнь мужчин.<br />

Первого декабря Криста<br />

Вольф на 83-м году жизни<br />

скончалась в Берлине. «В<br />

лице Кристы Вольф Германия<br />

теряет одну из своих самых<br />

значительных писательниц, –<br />

отметил в своем соболезновании<br />

председатель бундестага<br />

Норберт Ламмерт. – Ее книги<br />

– это выдающиеся свидетельства<br />

послевоенного времени,<br />

впечатляющие и после падения<br />

Стены не меньше, чем во времена<br />

разделенной Германии».<br />

и с т о р и я и к у л ь т у р а<br />

русский Гейне<br />

В Дюссельдорфе напомнили о<br />

немецком Пушкине<br />

Выставка объединила около<br />

трехсот экспонатов из Государственного<br />

музея А.С.Пушкина<br />

и института имени Генриха<br />

Гейне. В экспозиции первые<br />

издания произведений Гейне,<br />

портретные изображения,<br />

иллюстрации к книгам из берлинской<br />

Государственной библиотеки<br />

Фонда прусского культурного<br />

наследия. «Немецкий<br />

институт и российский музей<br />

свято хранят наследие двух<br />

классиков – А.С.Пушкина и<br />

Г.Гейне. Из всех великих национальных<br />

литератур, немецкая<br />

и русская шли и идут вместе»,<br />

– рассказывает Евгений Богатырев,<br />

директор Государственного<br />

музея А.С. Пушкина.<br />

Ни в одной стране мира за<br />

пределами Германии Генрих<br />

Гейне не популярен так, как<br />

в России. Именно в России, в<br />

1827 году было обнародовано<br />

первое стихотворение Гейне. А<br />

сегодня уже более 4500 стихотворений<br />

великого немецкого<br />

поэта опубликовано в переводе<br />

на русский язык.<br />

В Германии до сих пор не<br />

могут решить вопрос – ставить<br />

ли памятник Генриху Гейне.<br />

Зато в России памятники писателю<br />

давно возведены. Первый<br />

был сооружен в 1918 году в<br />

Петербурге, второй – немного<br />

позже в Москве. Правда, оба<br />

памятника вскоре бесследно<br />

пропали, и сегодня представлены<br />

лишь в виде большой<br />

фотографии.<br />

Среди экспонатов выставки<br />

привлекает внимание одна<br />

загадочная надпись на обоях,<br />

которые покрывали стену в<br />

подвале Ипатьевского дома в<br />

Екатеринбурге, где в 1918 году<br />

<strong>Vi</strong>i<br />

В институте имени Генриха Гейне (Heinrich-Heine-Institut) в Дюссельдорфе<br />

открылась выставка «Русский Гейне», приуроченная к<br />

13 декабря – 214 дню рождения великого немецкого поэта, прозаика<br />

и публициста – Генриха Гейне. Основные экспонаты выставки<br />

подготовлены и привезены в родной город поэта из Москвы Государственным<br />

музеем А.С.Пушкина, многолетним партнером Дюссельдорфского<br />

института.<br />

Григорий Крошин<br />

была расстреляна семья Романовых<br />

вместе с их слугами.<br />

Надпись гласит: «Belsatzar war<br />

in selbiger Nacht / Von seinen<br />

Feinden umgebracht» (Бельзатцар<br />

был в ту же ночь/ убит<br />

своими врагами). «Нам очень<br />

важно разгадать, кто именно<br />

написал текст Гейне на обоях<br />

Ипатьевского дома в Екатеринбурге»,<br />

– говорит Евгений<br />

Богатыреев.<br />

На выставке приведены документальные<br />

подтверждения<br />

того, что В.И.Ленин высоко<br />

ценил Генриха Гейне, как «великую<br />

предтечу революции». А<br />

И.В.Сталин постепенно превратил<br />

немецкого поэта в фигуру<br />

советской революционной пропаганды,<br />

которая в 30-е годы<br />

XX столетия использовалась<br />

как инструмент борьбы против<br />

германского фашизма.<br />

Среди экспонатов немецкому<br />

посетителю представлены<br />

десятки рукописей, в том числе<br />

письма брата Генриха Гейне,<br />

Максимилиана, который служил<br />

с 1829 года хирургом в<br />

русской Имперской армии.<br />

Например, в одном из писем<br />

Генриху в 1830 году Максимилиан<br />

сообщает: «В России есть<br />

поэт Пушкин, необычно похожий<br />

на тебя. Его произведения<br />

прекрасно написаны и совершенно<br />

оригинальны».<br />

В декабре и январе для посетителей<br />

выставки «Русский<br />

Гейне» запланирована обширная<br />

программа с участием<br />

литературоведов, ученых,<br />

историков и музыкальных<br />

критиков – экскурсии, лекции,<br />

концерты и дискуссии, рассказывающие<br />

об отношении к<br />

Гейне в России.


<strong>Vi</strong>ii<br />

Die ersten deutschen<br />

Kolonisten<br />

Es war einmal vor 250 Jahren. in Russland<br />

gab es viel fruchtbares Land. Aber<br />

es lebten hier zu wenig Menschen, die<br />

das Land bearbeiten konnten. Die Zarin<br />

Katharina die Zweite hatte im Jahre<br />

1763 eine idee. Sie schrieb ein Manifest.<br />

Das Manifest war eine Einladung an<br />

Ausländer, die nach Russland kommen<br />

wollten.<br />

Katharina ii. versprach den Ausländern<br />

(ein Stück) Land. Sie brauchten keine<br />

Steuern zu zahlen. Sie durften ihre Religion<br />

behalten.<br />

н е М е ц к и й я з ы к<br />

Deutsch mit Deutschfreunden<br />

Im Laufe dieses Jahres führte der Internationale Verband der deutschen Kultur (IVDK) mit Unterstützung des<br />

Bundesministeriums des Innern der Bundesrepublik Deutschland und des Ministeriums für Regionalentwicklung<br />

der Russischen Föderation den zweiten Gesamtrussischen Wettbewerb „Freunde der deutschen Sprache“<br />

durch. Beim Wettbewerb – dem deutsch-russischen Gemeinschaftsprojekt – gingen insgesamt mehr als<br />

2.000 Beiträge ein. Eine der sieben ausgeschriebenen Wettbewerbskategorien hieß „Über die Deutschen Russlands<br />

im Deutschunterricht“. Aus ganz Russland sandten die Deutschlehrer und Deutschlehrerinnen ihre Beiträge<br />

ein: mit Vorschlägen, wie man das Thema „Deutsche Russlands“ im Deutschunterricht behandeln kann.<br />

Hier präsentieren wir Euch einen kleinen Auszug aus dem Wettbewerbsbeitrag von Nadeschda Mischarina,<br />

Deutschlehrerin an der Schule mit erweitertem Deutschunterricht Nr. 21 in Syktywkar (Republik Komi). Nadeschda<br />

unterrichtet bereits seit 28 Jahren Deutsch. Diese Sprache sei für sie „sowohl der Beruf als auch die Berufung<br />

sowie auch das Mittel zur Selbstverwirklichung“.<br />

Aufgaben<br />

1. Beantworte folgende Fragen.<br />

a) An wen schrieb die Zarin Katharina ii. ein Manifest?<br />

b) Wann schrieb Katharina ii. dieses Manifest?<br />

c) Aus welchen Regionen kamen die ersten Deutschen<br />

nach Russland?<br />

d) Was war die erste Station in Russland für die Deutschen?<br />

2. löse das Kreuzworträtsel. Wie lautet das lösungswort?<br />

a) im 18. Jahrhundert kostete dieses <strong>Vi</strong>eh sieben Rubel.<br />

b) Die erste deutsche Kolonie Nischnjaja Dobrinka<br />

wurde an diesem mächtigen Strom gegründet.<br />

c) Mit diesem Wort kann man Rubel, Euro, Dollar oder<br />

Frank bezeichnen.<br />

d) in dieser Stadt an der Wolga bekamen deutsche<br />

Familien 150 Rubel als Unterstützung.<br />

e) So viel Geld kostete die Kuh.<br />

f) Dieses Wort bedeutet eine Gruppe von Verwandten,<br />

die zusammen wohnen, z.B. Eltern und Kinder.<br />

g) Dieser Begriff steht auch für die Fahrt, die Tour, die<br />

Wanderung.<br />

Damals war Deutschland kein großes<br />

Land. Es gab viele kleine oder große Fürstentümer.<br />

Die Fürsten führten oft Krieg.<br />

<strong>Vi</strong>elen Deutschen gefiel das nicht. Sie<br />

wollten ruhig leben.<br />

Die Ausländer hörten von dem Manifest<br />

der russischen Zarin und gingen<br />

nach Russland. Die ersten Deutschen<br />

aus dem Rheinland, aus Hessen und<br />

Sachsen fuhren mit dem Schiff über die<br />

Ostsee nach Sankt Petersburg. Von dort<br />

fuhren sie mit Pferdewagen weiter. Die<br />

Reise dauerte ein ganzes Jahr! Und sie<br />

war nicht einfach, das könnt ihr euch<br />

vorstellen.<br />

<strong>Московская</strong> немецкая газета № 24 (319) Декабрь 2011<br />

Die kürzeste Reise hatten die Deutschen,<br />

die in den Kolonien in der Nähe<br />

von Sankt Petersburg blieben. Die anderen<br />

fuhren weiter – an die Wolga. Am<br />

29. Juni 1764 wurde die erste Kolonie an<br />

der Wolga gegründet. Sie hieß Nischnjaja<br />

Dobrinka. Jede Familie baute ein Haus.<br />

in Saratow bekam jede Familie als Unterstützung<br />

150 Rubel. Das war viel Geld.<br />

Eine Kuh kostete nämlich sieben Rubel.<br />

Als die Deutschen nach Russland kamen,<br />

wunderten sie sich über viele Dinge: Der<br />

Winter war sehr kalt, es lag viel Schnee.<br />

Die russischen Bauern schliefen auf dem<br />

Ofen. in manchen russischen Bauern-<br />

Адрес редакции: 119 435, Москва, ул. Малая Пироговская, д. 5, оф. 54. E-mail: redaktion@martens.ru Тел.: +7 (495) 937 65 44, +7 ( 495) 246 94 48.<br />

Отпечатано в типографии: ОАО «Издательский дом «Красная Звезда», <strong>12</strong>3007, Москва, Хорошевское ш., 38.<br />

häusern gab es keine Schornsteine. Die<br />

Fenster waren ohne Glas.<br />

Die deutschen Dörfer sahen anders<br />

aus als die russischen. Bald gab es viele<br />

Bäume in der Steppe an der Wolga.<br />

Deutsche Bauern achteten darauf, dass<br />

ihr Dorf sauber war. Alle deutschen<br />

Kinder gingen zur Schule. Die Schüler,<br />

klein und groß, saßen in einer Klasse.<br />

Der Pfarrer war gleichzeitig auch der<br />

Lehrer. Sie hatten keine Lehrbücher –<br />

lesen und schreiben lernten sie mit der<br />

Bibel. Physik oder Chemie als Schulfächer<br />

gab es damals noch nicht, aber die<br />

Schüler lernten rechnen.<br />

3. Welche der genannten eigenschaften treffen am<br />

ehesten auf die Deutschen und welche auf die Russen<br />

zu. Besprich es in der Gruppe mit anderen teilnehmern:<br />

Wie kannst du argumentieren?<br />

Ordnungssinn Organisationstalent<br />

Faulheit Religiosität<br />

Rückständigkeit Chaos<br />

Herzlichkeit Sauberkeit<br />

Pünktlichkeit Geselligkeit<br />

Zusammengestellt von Nadeschda Mischarina<br />

Lösungen<br />

1. a) An Ausländer; b) 1763; c) Rheinland, Hessen und<br />

Sachsen; d) Sankt Petersburg<br />

2. a) (die) Kuh; b) (die) Wolga; c) (das) Geld; d) Saratow; e)<br />

sieben; f) (die) Familie; g) (die) Reise


<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />

Das leben nach dem tod<br />

Lokomotive Jaroslawl feiert mit einem rauschenden Sieg seine Wiederauferstehung<br />

es soll, es muss weitergehen. Lokomotive Jaroslawl, der vielleicht<br />

beliebteste eishockeyclub des Landes, hatte vor drei monaten seine<br />

gesamte mannschaft bei einem Flugzeugabsturz verloren. Jetzt wurde<br />

der spielbetrieb wieder aufgenommen, eine Liga tiefer und mit jungen<br />

Talenten. Die Halle war wie immer ausverkauft, das staatsfernsehen übertrug<br />

live. Der Neuanfang glich einer Wiederauferstehung: Lokomotive<br />

ließ dem Tabellenführer der zweiten Liga keine Chance.<br />

Nach dem Flugzeugunglück vom<br />

7. September 2011 hatte sich die<br />

„Arena 2000“ in einen Ort der<br />

Trauer und des Gedenkens verwandelt.<br />

96 Tage später wird hier<br />

wieder Eishockey gespielt. Rund<br />

9 000 Fans sind in die Halle am<br />

Stadtrand von Jaroslawl gekommen.<br />

Bevor das Spiel zwischen<br />

Lokomotive und Neftjanik Almetjewsk<br />

beginnt, gehen die Lichter<br />

aus. Minutenlang zeigen die<br />

Anzeigetafeln unter dem Dach der<br />

Arena die Gesichter jener Spieler,<br />

die bei der Flugzeugkatastrophe<br />

ums Leben kamen. Die Zuschauer<br />

erweisen den Toten mit minutenlangen<br />

Ovationen die Ehre und<br />

begrüßen jene, die da unten auf<br />

dem Eis stehen, in roten Trikots,<br />

kaum einer von ihnen älter als 20<br />

Jahre.<br />

Nach oben blickt auch der Spieler<br />

mit der Nummer 61, und niemand<br />

weiß, was dem 20-jährigen Maxim<br />

Wenn iris Gleichmann durch die<br />

Straßen von Lwiw läuft, ist ihr<br />

Architektenherz hin- und hergerissen.<br />

„Sehen Sie diesen Straßenzug?<br />

An den Häusern findet man<br />

auf <strong>10</strong>0 Metern allein 25 verschiedene<br />

Balkons aus mindestens vier<br />

Epochen. So etwas ist einzigartig<br />

in Europa.“ Doch die Freude über<br />

die nahezu vollkommen erhaltene<br />

Altstadt wird oft getrübt, denn<br />

an jeder Ecke offenbaren sich die<br />

massiven Probleme, unter denen<br />

Lwiw leidet.<br />

Der historische Kern der ukrainischen<br />

Stadt Lwiw (Lemberg)<br />

unweit der polnischen Grenze ist<br />

seit 1998 Unesco-Weltkulturerbe.<br />

Der Titel ist prestigeträchtig und<br />

lockt Touristen an. Doch er bringt<br />

auch Auflagen mit sich. Hier setzt<br />

die Architektin iris Gleichmann<br />

an, die im Auftrag der Gesellschaft<br />

für internationale Zusammenarbeit<br />

(GiZ) gekommen ist. Es gilt,<br />

die ursprüngliche Bausubstanz<br />

so weit wie möglich zu erhalten.<br />

in kleinen Schritten werden Fenster,<br />

Türen, Balkons und Treppenaufgänge<br />

aufwändig restauriert.<br />

Aber zur Arbeit gehöre auch, ein<br />

Bewusstsein bei den Hauseigentümern<br />

zu schaffen, „dass ihnen<br />

ein Schatz gehört und dass es<br />

sich lohnt, diesen zu erhalten“, so<br />

die ukrainische Historikerin Sofia<br />

Dyak. Sie unterstützt die GiZ bei<br />

ihrer Arbeit vor Ort.<br />

Nach dem Zusammenbruch des<br />

Kommunismus wurde den meisten<br />

Mietern ihre Wohnung einfach<br />

überschrieben. Mit dieser Verantwortung<br />

seien viele überfordert,<br />

auch finanziell, meint Dyak. Um<br />

Von moritz Gathmann (n-ost)<br />

Sjusjakin in diesen Minuten durch<br />

den Kopf geht: Er war erst am<br />

Vorabend der Tragödie vom<br />

Trainer in die Jugendmannschaft<br />

zurückbeordert worden. „ich habe<br />

meine zweite Familie verloren“,<br />

hat er nach dem Unglück gesagt.<br />

Sjusjakin ist jetzt Kapitän dieses<br />

blutjungen Teams, zusammengewürfelt<br />

aus der eigenen Jugendmannschaft<br />

und Jugendspielern<br />

anderer Teams der Profiliga KHL.<br />

immerhin drei Jugendnationalspieler<br />

hat die Mannschaft, die<br />

nun hart daran arbeiten muss,<br />

an die Erfolge des Clubs anzuknüpfen,<br />

der zuletzt jedes Jahr<br />

ein Meisteranwärter war. 1997,<br />

2002 und 2003 holte er den Titel.<br />

Vergangene Saison gab es Bronze<br />

in der KHL.<br />

Als der Vorverkauf für das Spiel<br />

begann, waren die Tickets nach<br />

nur vier Stunden ausverkauft.<br />

Und das Team enttäuscht seine<br />

Von elisabeth Lehmann (n-ost)<br />

einen kleinen Anreiz zu schaffen,<br />

bezuschussen die GiZ und<br />

die Stadt Lwiw die Sanierungsarbeiten<br />

zur Hälfte. Meist scheitern<br />

einfache instandsetzungen aber<br />

an unklaren Besitzverhältnissen<br />

oder dem hohen Anteil an leer<br />

stehenden Wohnungen.<br />

Die ukrainische Bauwirtschaft<br />

wurde von der internationalen<br />

Finanzkrise stark getroffen und<br />

brach im Jahr 2009 schließlich<br />

um fast 50 Prozent ein. Die Wohnungspreise<br />

fielen in der Folge<br />

drastisch. <strong>Vi</strong>ele Eigentümer halten<br />

ihre leer stehenden Wohnungen<br />

daher zurück und warten auf<br />

bessere Zeiten. Die ungenutzten<br />

Gebäude verfallen.<br />

Die Fußball-Europameisterschaft,<br />

die im kommenden Jahr in Polen<br />

und der Ukraine stattfindet, stellt<br />

die nächste große Herausforderung<br />

dar. Lwiw ist einer von vier Austragungsorten<br />

in der Ukraine. Doch<br />

es mangelt an infrastruktur und<br />

Hotels. „Oft ist es so, dass ein investor<br />

kommt, viel Geld bietet und<br />

die Stadt schnelle Entscheidungen<br />

trifft, die nicht durchdacht sind“,<br />

beklagt Beraterin Dyak. So ein Fall<br />

sei das <strong>Vi</strong>er-Sterne-Hotel, das derzeit<br />

an der Fedorowa-Straße entsteht.<br />

Seit dem Sommer läuft die<br />

jüdische Gemeinde Sturm gegen<br />

den Bau, weil er nah an die Ruinen<br />

der im Zweiten Weltkrieg zerstörten<br />

Synagoge „Goldene Rose“<br />

heranreicht. Auch iris Gleichmann<br />

findet das EM-Hotel „vollkommen<br />

überdimensioniert, wie so vieles in<br />

dieser Stadt“.<br />

Die Stadtverwaltung beschwichtigt.<br />

Serhiy Kiral, Chef des städ-<br />

Anhänger nicht: Nach 14 Minuten<br />

ist es an diesem Montagabend<br />

eben jener Maxim Sjusjakin, der<br />

mit seinem Pass das erste Tor<br />

in der neueren Geschichte von<br />

Lokomotive vorbereitet: Durch<br />

die Halle dröhnt das Tuten eines<br />

Zuges – Tradition in Jaroslawl. 5:1<br />

besiegt das blutjunge Team am<br />

Ende den Tabellenführer Almetjewsk.<br />

tischen Außenhandels- und<br />

investmentbüros, bittet, das endgültige<br />

Ergebnis abzuwarten: „Bei<br />

vielen Gebäuden ist es viel zu<br />

früh, um zu beurteilen, ob sie sich<br />

ins Stadtbild einfügen. Das kann<br />

man erst sagen, wenn die Fassade<br />

fertig ist.“ Beim Hotel-Bau in<br />

der Fedorowa-Straße sei er sich<br />

sicher, dass er die Gegend aufwerte.<br />

„Außerdem“, sagt Kiral, „brauchen<br />

wir dringend Hotels der oberen<br />

Kategorie in der Stadt“.<br />

Lwiws Bürgermeister Andrjy<br />

Sadovjy argumentiert ähnlich.<br />

Die UEFA fordert eine bestimmte<br />

Anzahl von Betten im <strong>Vi</strong>er- und<br />

Fünf-Sterne-Bereich. Ohne investoren<br />

von außen könne Lwiw<br />

diese Vorgaben nicht erfüllen.<br />

Die Aufregung um die Fedorowa-<br />

Straße kann Sadovjy nicht nachvollziehen:<br />

„Die Synagoge ist nur<br />

noch eine Ruine. Die Überreste<br />

wurden konserviert und werden<br />

durch das Hotel nicht angetastet.“<br />

Seit dem Sommer herrscht Stillstand<br />

auf der Baustelle, denn die<br />

jüdische Gemeinde hat einen<br />

Baustopp erwirkt. „Das ist in der<br />

Tat eine schmerzhafte Maßnahme<br />

für den investor. Er hat bereits<br />

mehrere Millionen Griwna, wenn<br />

nicht sogar Dollar, in das Projekt<br />

gesteckt“, sagt Stadtfunktionär<br />

Kiral. Detaillierte Angaben zum<br />

Geldgeber will er allerdings nicht<br />

machen, man sei um Diskretion<br />

bemüht. Nur so viel: Die Firma<br />

heiße Ukrainian investment Company.<br />

Sie arbeite im Auftrag der<br />

Hotelkette Sheraton.<br />

Noch habe sich der investor<br />

durch die zahlreichen Proteste<br />

nicht abschrecken lassen. Er will<br />

das Projekt fertig stellen. Doch<br />

für die Stadtverwaltung ist das<br />

gesamte Unterfangen trotzdem<br />

eine Niederlage. Denn bis zur<br />

EURO 20<strong>12</strong> wird der Bau nun<br />

ganz sicher nicht fertig.<br />

Doch wie der Club in der WHL,<br />

der zweiten Liga des russischen<br />

Eishockeys, abschneidet, spielt<br />

eigentlich keine Rolle: Die Führung<br />

der KHL hat Lokomotive<br />

bereits zugesichert, in der Saison<br />

20<strong>12</strong>/2013 in jedem Fall wieder in<br />

der höchsten Spielklasse antreten<br />

zu dürfen.<br />

in die „Arena 2000“ ist damit drei<br />

Monate nach dem Flugzeugab-<br />

Michelle Diesel steht im grünen<br />

Dirndl am Zapfhahn der Berufsschule<br />

von Lwiw. Um sie herum<br />

haben sich ukrainische Gastwirte<br />

versammelt und beobachten, wie<br />

die Wirtin aus Österreich Bier<br />

zapft. „ich halte das Glas im Winkel<br />

von 45 Grad, mache es nicht<br />

ganz voll und stelle es kurz ab. Die<br />

Schaumkrone kommt erst später“,<br />

erklärt Diesel.<br />

Eigentlich unterrichtet Michelle<br />

Diesel an der Landesberufsschule<br />

Salzburg. in der Ukraine gibt sie nun<br />

Nachhilfe in Sachen Servicementalität.<br />

Lwiw ist ein Austragungsort<br />

der bevorstehenden Fußball-EM.<br />

Durchgeführt werden die Schulungen<br />

von der Deutschen Gesellschaft<br />

für internationale Zusammenarbeit<br />

(GiZ). „Wenn man hier<br />

in die Kneipe geht, bekommt man<br />

entweder warmes Bier oder das Glas<br />

ist nicht voll. Auch die Wartezeit ist<br />

zu lang“, erläutert Mathias Brandt,<br />

Marketing-Experte der GiZ. „Verzögerungen<br />

oder schlechte Bedienung<br />

könnten bei den Fans zu Aggressionen<br />

führen. Deswegen werden die<br />

Servicekräfte von uns geschult.“<br />

Die Qualität der Bedienung ist<br />

dabei noch das geringste Problem<br />

vor der EURO 20<strong>12</strong>. Erst<br />

Ende Oktober wurde die Arena<br />

Lwiw als letztes von insgesamt<br />

vier ukrainischen EM-Stadien<br />

eingeweiht. Mit 35 000 Sitzplätzen<br />

ist sie das kleinste Stadion<br />

der Europameisterschaft. Doch es<br />

werden Monate vergehen, bis alles<br />

fertig ist: Derzeit schweben über<br />

der Arena noch die Baukräne, um<br />

die fehlenden Stücke am Dach zu<br />

montieren. Bei der Eröffnungsfeier<br />

störten lose Kabel und Bauschutt<br />

SPoRT<br />

09<br />

sturz wieder Leben eingekehrt.<br />

Am <strong>10</strong>. September waren hier<br />

die Särge von 14 verunglückten<br />

Spielern und Vereinsmitarbeitern<br />

aufgebahrt worden. Über <strong>10</strong>0 000<br />

Menschen nahmen Abschied.<br />

Am Nachmittag des 7. September<br />

wollte das Team zu seinem<br />

ersten Saisonspiel nach Minsk<br />

fliegen, doch die Maschine, eine<br />

Jak-42, gewann kaum an Höhe,<br />

geriet ins Trudeln und stürzte<br />

ab. Die Untersuchung durch das<br />

„Zwischenstaatliche Luftfahrtkomitee“<br />

(MAK) widerlegte erste<br />

Annahmen, dass technische Probleme<br />

des 17 Jahre alten Flugzeuges<br />

zu der Katastrophe geführt<br />

hätten. Grund sei vielmehr ein<br />

Pilotenfehler gewesen: Entweder<br />

der Pilot selbst oder der Co-Pilot<br />

hätten während des Starts vermutlich<br />

unbewusst mehrfach die<br />

Bremse betätigt.<br />

Unter den 44 Opfern war damals<br />

auch der 25-jährige deutsche Nationalspieler<br />

Robert Dietrich, der<br />

erst kurz zuvor von den Adlern<br />

Mannheim nach Jaroslawl gewechselt<br />

war. Der Deutsche Eishockeybund<br />

(DEB) erklärte daraufhin,<br />

dass Dietrichs Rückennummer<br />

20 nicht mehr vergeben werden<br />

solle.<br />

Das bedrohte Juwel Crashkurs in EM<br />

Am EM-Standort Lwiw ist die Altbausubstanz in Gefahr Auch das Bierzapfen will gelernt sein<br />

Die EM 20<strong>12</strong> beginnt für die deutsche Auswahl am 9. Juni im ukrainischen<br />

Lwiw (Lemberg) mit dem Gruppenspiel gegen portugal. Lwiw hat<br />

eine der schönsten innenstädte europas, aber auch massive probleme,<br />

dieses historische erbe zu erhalten. investoren pflastern Lücken in der<br />

Altstadt mit überdimensionierten prestigebauten zu. Die Vorbereitungen<br />

auf die em verschärfen die situation noch.<br />

Die „Arena 2000“. Hier will Lokomotive Jaroslawl ein weiteres Kapitel seiner<br />

Erfolgsgeschichte schreiben.<br />

Tino Künzel<br />

rund ein halbes Jahr vor der Fußball-europameisterschaft wird im<br />

em-Land ukraine noch gebaut. Lose Kabel, Bauschutt, Feldwege statt<br />

straßen und ein halbfertiges stadion in Lwiw (Lemberg) lassen österreichische<br />

und deutsche mitorganisatoren schwarz sehen. Doch die<br />

ukrainer bleiben gelassen.<br />

Von monika stefanek (n-ost)<br />

die Gäste. Als Zufahrt zum Stadion<br />

dienen Feldwege. „Man muss<br />

schon gestehen, dass die Arbeiten<br />

sich verzögert haben. Wir werden<br />

es aber schaffen. Schließlich<br />

haben wir keine andere Wahl“,<br />

sagt Wolodimir Onischtschuk,<br />

Projektleiter der Arena Lwiw.<br />

Neben der fehlenden infrastruktur<br />

rund um das Stadion gibt es<br />

allerdings Probleme, die sich bis<br />

zum ersten Anpfiff am 8. Juni 20<strong>12</strong><br />

nicht lösen lassen. Bis jetzt ist<br />

unklar, wo die Fußballfans übernachten<br />

sollen. Für GiZ-Manager<br />

Mathias Brandt ist die Lage katastrophal.<br />

„Auf <strong>10</strong>00 Einwohner<br />

kommen in der Ukraine knapp<br />

zwei Hotelbetten. in Polen, das<br />

mit der Ukraine die EM organisiert,<br />

sind es 24 und zum Beispiel<br />

in italien sogar 35.“<br />

in Lwiw dagegen bewertet man<br />

die Vorbereitungen zur EM positiv.<br />

Noch im Mai 20<strong>10</strong> war das Stadion<br />

erst zu zehn Prozent fertig gestellt.<br />

Riesige finanzielle Mittel und Arbeit<br />

rund um die Uhr brachten die<br />

investition voran. Allerdings sind<br />

dadurch enorme Kosten entstanden.<br />

Statt der ursprünglich veranschlagten<br />

90 Millionen wird die Arena<br />

nun wohl insgesamt 220 Millionen<br />

Euro kosten.<br />

Die Einwohner von Lwiw sind<br />

allerdings überzeugt, dass diese<br />

Maßnahmen sich lohnen. „Solche<br />

Entwicklungschancen wie jetzt werden<br />

wir nie mehr haben“, meint<br />

Andrij Kardasz, Direktor einer<br />

Bildungseinrichtung. „ich glaube,<br />

es wird alles gut funktionieren.<br />

Bei uns wurde schon immer alles<br />

in der letzten Minute gemacht. So<br />

ist unsere Mentalität.“


<strong>10</strong><br />

FEUILLEToN<br />

Großes Kino<br />

Welche russischen Filme der <strong>MDZ</strong>-Redaktion in diesem Jahr besonders gefallen haben<br />

Die Mannschaft ist der Star<br />

Film: Wykrutassy (выкрутасы)<br />

Genre: Familienkino<br />

Tags: Straßenkinder, Hochzeit, Schmuggelware, Bahnhof, Abführmittel<br />

im fiktiven Städtchen Paltschiki<br />

(das in Wahrheit Ejsk heißt und<br />

am Asowschen Meer liegt) treibt<br />

eine Kinderbande ihr Unwesen.<br />

Die elternlosen Gören verdienen<br />

sich ihren Lebensunterhalt, indem<br />

sie am Strand Wertgegenstände<br />

abräumen, Verkehrsunfälle imitieren<br />

und Melonen mitgehen lassen.<br />

Durch Zufall für ein Nachwuchs-<br />

Fußballturnier rekrutiert, kommt<br />

ihnen dieses „Training“ zugute.<br />

Werberegisseur Lewan Gabriadse<br />

versammelt in seinem ersten Spielfilm<br />

noch weiteres illustres Personal,<br />

allen voran den etwas schusseligen,<br />

etwas einfältigen, aber<br />

liebenswürdigen Russischlehrer<br />

Kolotilow, die <strong>Moskau</strong>er Schönheit<br />

Nadja, den Schnösel Danja<br />

als ihren Freund, Trainer Chlobustin,<br />

dem für den Turniersieg jedes<br />

Mittel recht ist, die eifersüchtige<br />

Direktorin Alla Andrejewna und<br />

den Parlamentsabgeordneten Dreikopfitsch.<br />

Die feine Schauspielerriege<br />

dürfte vor allem dem Ruf von<br />

Produzent Timur Bekmambetow<br />

(„Wächter der Nacht“, „Wächter<br />

des Tages“) gefolgt sein. Es ist ein<br />

großes Vergnügen, Konstantin<br />

Chabenskij, dem Kostja Lukaschin<br />

aus dem Kassenschlager „ironie des<br />

Schicksals. Fortsetzung“ und Weißenführer<br />

Alexander Koltschak<br />

aus „Admiral“, Hollywood-Star<br />

Milla Jovovich („Resident Evil“),<br />

Allzweck-Waffe Sergej Garmasch,<br />

Altmeister Wladimir Menschow<br />

und TV-Ulknudel iwan Urgant,<br />

Das Auto quält sich aus der Tiefgarage herauf, es<br />

läuft klassische Musik: Wladimir (Andrej Smirnow)<br />

ist auf dem Weg ins Fitnessstudio. Zuvor gab es einen<br />

Streit am Küchentisch: Jelena, gespielt von Nadeschda<br />

Markina, bittet ihren Mann um Geld für ihren<br />

Sohn aus erster Ehe. Der arbeitet nicht, erwartet mit<br />

seiner Frau aber bereits das dritte Kind. Wladimir<br />

weigert sich, ihr das Geld zu geben.<br />

Regisseur Andrej Swjaginzew versteht es meisterhaft,<br />

Spannung aufzubauen. Spätestens ab dem<br />

Moment, wo der alternde Wladimir vom Laufband<br />

begehrliche Blicke auf eine junge Schönheit wirft,<br />

ahnt der Zuschauer, dass etwas passieren wird. Aber<br />

er muss sich in Geduld üben, bis es endlich so weit<br />

ist und Wladimir im Schwimmbad einen Herzinfarkt<br />

erleidet. Er wird ins Krankenhaus eingeliefert und<br />

für Jelena eröffnet sich die Möglichkeit, ihrem Sohn<br />

und dessen Familie doch noch zu helfen.<br />

der 2009 den Eurovision Song<br />

Contest in Russland moderierte,<br />

bei der Arbeit zuzusehen.<br />

Milla Jovovich, die in Kiew geboren<br />

wurde, gab letztlich dem Werben<br />

Bekmambetows nach und ließ<br />

sich zum ersten Mal für einen russischen<br />

Film engagieren. Um ihre<br />

Rolle auch selbst einsprechen zu<br />

können, ohne die Zuschauer mit<br />

amerikanischem Akzent zu irritieren,<br />

las sie den Text vor jeder<br />

Szene dutzendfach vor, bis er saß.<br />

Behilflich war dabei auch Millas<br />

Mutter Galina Loginowa. Sie spielt<br />

in dem Film – ihre Mutter.<br />

„Wykrutassy“, im deutschen Verleih<br />

unter dem Titel „Lucky Trouble“<br />

erschienen, ist ein grundsympathisches<br />

Märchen von Verlierern,<br />

die zu Gewinnern werden. Von den<br />

Schwachen, die über die Starken<br />

triumphieren. Von unfreiwilligen<br />

Helden und freiwilligen Bösewichten.<br />

Optisch wird dabei bisweilen<br />

dick aufgetragen. <strong>Moskau</strong> darf<br />

<strong>Moskau</strong> sein, doch Paltschiki trägt<br />

ästhetisch eher karikaturistische<br />

Züge, irgendwo zwischen Pionierlager<br />

und Ghettoromantik. Aber<br />

diese Überzeichnung hat Methode.<br />

Genauso, wie die flott erzählte<br />

Komödie dankenswerterweise auf<br />

den erhobenen Zeigefinger verzichtet.<br />

Das i-Tüpfelchen sind die<br />

herrlich animierten Fußballszenen.<br />

Zwischen den Strafräumen macht<br />

„Wykrutassy“ so schnell keiner<br />

etwas vor.<br />

Tino Künzel<br />

Familienbande<br />

Film: Jelena (елена)<br />

Genre: Drama<br />

Tags: Altern, Würde, Potenzmittel, Blut, Wasser, Vorstadtkriminalität<br />

kinopoisk.ru<br />

<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />

Keine Liebe in Zeiten der Revolution<br />

Film: Es war einmal eine Frau (Жила-была одна баба)<br />

Genre: Historiendrama<br />

Tags: Hochzeit, Provinz, Alkoholdestillation, Durchhaltekraft, Untergang<br />

Der Titel des Films von Andreij Smirnow klingt<br />

märchenhaft. Doch der Film selbst hat kaum etwas<br />

von einem Märchen. So realistisch und bestürzend<br />

ist diese epische Erzählung über das Leben einer<br />

russischen Bäuerin in den Jahren von 1909 bis 1921.<br />

Smirnows Heldin Warwara durchlebt ihr Schicksal<br />

vor dem Hintergrund der großen Ereignisse der russischen<br />

Geschichte: der erste Weltkrieg, die Oktoberrevolution,<br />

der Bürgerkrieg genauso wie der Bauernaufstand<br />

von Tambow. Aber im Unterschied zu anderen<br />

historischen Filmen steht bei diesem Meisterwerk<br />

nicht die Geschichte selbst im Mittelpunkt; deren<br />

Wendepunkte markieren nur die Veränderungen im<br />

Leben eines Menschen, einer einfachen Frau, die auf<br />

der Suche nach Liebe ist und die ihr doch verweigert<br />

bleibt.<br />

Warwara (Darija Ekamasowa), die Hauptheldin, der<br />

jeder heldenhafte Zug fehlt, ist keine besondere Persönlichkeit,<br />

sie ist keine Märtyrerin oder Heilige,<br />

keine große Denkerin. Mit viel Willenskraft kämpft<br />

sie sich durch die Schrecken und Greuel dieser harten<br />

Zeiten, in denen beinahe kein Raum für die Liebe ist.<br />

Sie erlebt unendliche und willkürliche Gewalt von<br />

allen Seiten, egal unter welchem Regime sich Russland<br />

befindet: im Zarismus, unter den Weißgardisten<br />

sowie unter den kommunistischen Roten. Aber auch<br />

Film: Generation „P“ (Generation „пи“)<br />

Genre: Komödie, Drama, Fantasy<br />

Tags: Erfrischungsgetränke, Heuschrecken, Verlierer, Kapitalismus<br />

Es gab einmal eine junge Generation in Russland,<br />

welche die Ära Pepsi begründete, damals, in der<br />

Sowjetunion. Das war die Zeit, wo allen alles klar<br />

war und die Gegenwart eine helle Zukunft versprach.<br />

Dann ging es plötzlich schnell: Nach der Wende rollte<br />

sich die schöne Perspektive der kommunistischen<br />

Ewigkeit zu einem winzigen Punkt zusammen. Niemand<br />

hatte bemerkt, dass sich das Land von einem<br />

sozialistischen Giganten zu einer Bananenrepublik<br />

verwandelt hatte. in der allgemeinen Euphorie machte<br />

sich statt strahlender Zukunftsillusionen eine nüchterne<br />

Gegenwart unauffällig breit.<br />

Zufällig oder geplant, aber der Film „Generation<br />

P“ des Regisseurs <strong>Vi</strong>ktor Ginsburg kam genau im 20.<br />

„Todesjahr“ der Sowjetunion in die Kinos. Das Drehbuch<br />

wurde nach dem gleichnamigen Roman von<br />

<strong>Vi</strong>ktor Pelewin verfasst. Der Film schildert die Übergangsphase<br />

vom sozialistischen ins kapitalistische<br />

Regime. Die robusten Sowjetschuhe werden von Adidasturnschuhen<br />

mit chinesischer Herkunft verdrängt,<br />

am Straßenrand wird das Kamasutra verkauft und<br />

aus träumerischen Poeten werden pragmatische Werbeautoren.<br />

So geht es dem Protagonisten Babylen<br />

Mit einfachen aber einprägsamen Bildern erzählt<br />

Swjaginzew von Liebe, bedingungsloser Loyalität<br />

und Familien, die auf simple und zugleich schreckliche<br />

Weise unperfekt sind. Jeder Charakter im Film<br />

scheint verdorben, einzig allein Jelena verkörpert<br />

den guten Menschen, selbst als sie in ihrer Liebe zur<br />

Familie bis zum Äußersten geht.<br />

Der Film, der in Cannes mit dem Preis „Un certain<br />

regard“ ausgezeichnet wurde, zeigt schonunglos die<br />

Unterschiede zwischen den sozialen Schichten im<br />

Moloch <strong>Moskau</strong>, in nüchtern dargestellten Alltagssituationen<br />

enttarnt der Regisseur seine Charaktere,<br />

ihre Gewissenlosigkeit, ihr materielles Denken, ihre<br />

Abgestumpftheit – und zwar sowohl am oberen<br />

als auch am unteren Rand der Gesellschaft. Der<br />

Zuschauer bleibt geschockt aber fasziniert zurück.<br />

Kathrin Aldenhoff<br />

Neustart in den Kapitalismus<br />

von den Männern in ihrem Leben erfährt sie fast nur<br />

Gewalt. Der Zuschauer empfindet kaum Sympathie<br />

für eine Seite, er hat nur Mitleid mit Warwara. Die<br />

Bäuerin leidet im Film, sie wird geschlagen und vergewaltigt<br />

und verliert auch noch den einen Mann, den<br />

sie wirklich liebt und der ihre Liebe erwidert.<br />

„Es war einmal eine Frau“ ist aber keine Schwarzmalerei.<br />

Es ist ein tragischer Film, der dem Zuschauer<br />

viel abverlangt; vor allem auch gute Nerven über mehr<br />

als zwei Stunden hinweg. Aber der Grundgedanke<br />

des Filmes bleibt positiv: Warwara steht dafür, dass<br />

es mehr gute als schlechte Menschen gibt. Dieser<br />

Gedanke muss die Quelle ihrer Stärke sein.<br />

Auch der Glaube an Gott und der Wille Gottes sind<br />

ein Thema. Sacharows Epos zitiert die Legende um<br />

Kitesch, eine versunkene Stadt in der Oblast Nischnij<br />

Nowgorod. Die Stadt soll in den Fluten versunken<br />

sein, um die gottesfürchtigen Einwohner vor den<br />

angreifenden Tartaren zu schützen. Oder ist es – wie<br />

in der biblischen Geschichte um Sodom und Gomorra<br />

– eine Strafe Gottes, dass das Dorf der Heldin<br />

hinweggespült wird, für die Sünden seiner Einwohner?<br />

in jedem Fall geht in diesem Film das bäuerliche<br />

Russland vor unseren Augen zugrunde.<br />

Alisa iwanitzkaja<br />

Tatarsky. Mit seinem Diplom als Literaturwissenschaftler<br />

arbeitet er zuerst in einem Kiosk, bis er<br />

durch einen Bekannten in die aufkommende Werbeindustrie<br />

hineinrutscht. Der Markt der sowjetischen<br />

Waren ist leer, am Horizont sind bereits die Konturen<br />

der westlichen Markenwelt zu sehen. Die Werbebranche<br />

scheint eine Goldgrube zu sein. Coca-Cola<br />

verdrängt das sowjetische „Pepsi“; die blaue Farbe<br />

des berühmten Logos wird ausgetauscht gegen den<br />

geschwungenen weißen Schriftzug auf rotem Grund.<br />

„Sprite“ wird im Bewusstsein des Normalverbrauchers<br />

mit dem Heiligtum der russischen Seele – mit<br />

Birken und Birkensaft verbunden. Und anstelle der<br />

Zigarettenmarke „Jawa“ tritt „Parlament“.<br />

Es geht hier aber um viel mehr als nur um das Entstehen<br />

einer Konsumgesellschaft. Der Film schafft es,<br />

in zwei Stunden die Linien der 20-jährigen Entwicklung<br />

unseres neugeborenen Landes aufzuzeigen. Er ist<br />

aber weder altmodisch noch modern: Es ist ein Film<br />

über die Vergangenheit und die Zukunft gleichzeitig.<br />

Es ist ein Film für und über uns.<br />

Katja Gubernatorowa<br />

kinopoisk.ru


Jan Lieske<br />

11<br />

<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011 FEUILLEToN<br />

„Meine Filme sind unheimlich naiv“<br />

Noch vor dem Kinostart in Deutschland zeigte der Regisseur Hans Weingartner seinen neuen Film in <strong>Moskau</strong><br />

Zur premiere seines Filmes „Die summe meiner einzelnen Teile“ beim Deutschen Filmfestival,<br />

kam der österreichische regisseur („Die fetten Jahre sind vorbei“) nach moskau. Der neue<br />

Film setzt sich mit der heutigen Leistungsgesellschaft auseinander. Das geordnete Leben<br />

des erfolgreichen mathematiker martin bricht zusammen, er wird in die psychatrie eingewiesen.<br />

Nach der entlassung trifft er einen geheimnisvollen kleinen Jungen, der nur<br />

russisch spricht. Gemeinsam flüchten sie in den Wald und bauen sich, fern von den<br />

Zwängen der Zivilisation, ein neues Leben auf. Die mDZ sprach mit Hans Weingartner über<br />

die Vorzüge eines naturwissenschaftlichen studiums, seinen neuen Film, der ab Februar in<br />

den deutschen Kinos zu sehen ist, und sein Verhältnis zu russland.<br />

herr Weingartner, Sie haben Physik,<br />

Gehirnforschung und Neurowissenschaften<br />

studiert. Beeinflusst und hilft<br />

ihnen das beim Schreiben der Drehbücher?<br />

Es beeinflusst mich auf jeden Fall. Erstens<br />

bei meinen Themen und zweitens bei meiner<br />

Arbeit. Durch dieses Studium habe ich<br />

Zugang zu bestimmten Themen, gerade im<br />

psychologischen Bereich. Und es hilft mir<br />

bei der Arbeit mit den Schausspielern.<br />

inwiefern?<br />

indem ich ihnen manchmal die Figur besser<br />

erklären kann: Warum die Figuren fühlen,<br />

was sie fühlen. Es hilft mir natürlich<br />

auch beim Schreiben meiner Drehbücher.<br />

Es hilft mir, Charaktere zu entwickeln.<br />

Woher plötzlich ihr Sinneswandel?<br />

Naturwissenschaften und Film sind<br />

ziemlich unterschiedliche themenbereiche.<br />

ich habe mich schon immer für Filme interessiert<br />

und habe als Jugendlicher meine<br />

ersten kleinen <strong>Vi</strong>deofilme gedreht. Als ich<br />

dann mit dem Neurowissenschaftsstudium<br />

fertig war, hatte ich die Wahl, direkt in die<br />

Forschung zu gehen. Da war aber auch die<br />

Leidenschaft für den Film sehr groß. Also<br />

beschloss ich zu schauen, was diese Leidenschaft<br />

genau ist und warum es mich dahin<br />

zieht. Und somit habe ich das Filmstudium<br />

in Köln begonnen, das eigentlich nur zwei<br />

Jahre gedauert hat. Es hat aber so viel Spaß<br />

gemacht, diese Zeit war ein sehr intensives<br />

Leben und Erleben. Somit bin ich zu dem<br />

Schluss gekommen, dass es das Feld ist, auf<br />

dem ich mich betätigen sollte und auf dem<br />

ich meine Erfüllung finden kann.<br />

in ihrem aktuellen Film „Die Summe<br />

meiner einzelnen teile“ ist der Mathematiker<br />

Martin überfordert von der<br />

modernen Gesellschaft und scheitert an<br />

dieser. Meinen Sie, die heutige Gesellschaft<br />

hat das grundlegende Problem,<br />

dass sie zu überlastet ist?<br />

Wenn man sich anschaut, wie rasant<br />

Árbeitete schon als Kanuführer in Kanada und Skilehrer in Österreich: Hans Weingartner.<br />

die Zahl der psychischen Erkrankungen<br />

zunimmt und wie extrem der Konsum von<br />

Psychopharmaka ansteigt – seit den letzten<br />

zehn Jahren hat sich das verdoppelt. inzwischen<br />

werden eine Milliarde Tagesdosen<br />

Antidepressiva in Deutschland verschrieben.<br />

Es gibt also immer mehr Anzeichen<br />

dafür, dass die Menschen überfordert sind<br />

durch die Geschwindigkeit des modernen<br />

Lebens, und dass dieser so genannte<br />

globale Wettbewerb immer mehr an den<br />

Nerven der Menschen zerrt. Aber niemand<br />

muss sich als Versager fühlen, weil er den<br />

Anforderungen der Leistungsgesellschaft<br />

nicht entspricht.<br />

ist Martin an der Bösartigkeit der<br />

Gesellschaft gescheitert?<br />

Die Gesellschaft ist nicht böse. Aber was<br />

hat ihn in diese Krise getrieben? Es ist<br />

seine Sensibilität, er denkt zu viel nach,<br />

er nimmt sich alles zu sehr zu Herzen,<br />

was andere Menschen von ihm wollen. Er<br />

hatte diese unglückliche Kindheit auf dem<br />

Land, und er will als erwachsener Mensch<br />

beweisen, dass er liebt, dass er erfolgreich<br />

sein kann, dass er etwas erreichen kann,<br />

und dass er es wert ist, geliebt zu werden.<br />

Und das ist das, was die meisten Menschen<br />

ihr Leben lang tun. Auf der Suche danach,<br />

geliebt zu werden, strampeln sie sich ab<br />

und haben diese wahnsinnige Angst vor<br />

dem Verlassen werden und die Angst, nicht<br />

akzeptiert zu werden. Martins Geschichte<br />

ist ja eigentlich eine Geschichte der Selbstbefreiung.<br />

Was möchten Sie mit ihrem Film erreichen?<br />

ich würde mich freuen, wenn die Leute<br />

nach dem Film das Gefühl verspüren, dass<br />

sie ihr Leben ändern können, wenn sie wollen.<br />

Dass man der eigene Chef im Leben ist<br />

und man selbst bestimmt, wie und wo man<br />

lebt. Es gibt immer, egal wie alt du bist,<br />

die Möglichkeit, dein Leben zu verändern.<br />

Wichtig ist, dass du es nicht alleine machst,<br />

dass du dir einen Freund suchst, der dich<br />

dabei unterstützt. Und vielleicht ist es auch<br />

gut, wenn man sein gewohntes Leben verlässt.<br />

Diese Minuten muss man aufbringen<br />

und den ersten Schritt tun. Die meisten<br />

Menschen gehen zum Arzt und lassen sich<br />

Pillen verschreiben und machen so weiter<br />

wie bisher. Das stellt der Film in Frage.<br />

im Film ist die Rede vom inneren Kind.<br />

Was genau meinen Sie damit?<br />

Damit meine ich, dass <strong>Vi</strong>ktor dieses<br />

innere Kind präsentiert – Martins inneres<br />

Kind. Wir haben es alle in uns, wir sind<br />

nicht nur der Mensch, der wir gerade sind,<br />

sondern wir tragen auch die Persönlich-<br />

Volle häuser für Wyssozkij<br />

Ein Spielfilm über den Sowjetbarden elektrisiert die Russen<br />

Er war die ehrliche Haut in den verlogenen<br />

Breschnew-Jahren: Wladimir Wyssozkij, Liedermacher,<br />

Schauspieler, subversive Antwort auf die<br />

Worthülsen der Propaganda. Keiner hat den Russen<br />

der letzten und vorletzten Sowjetgeneration so<br />

sehr aus der Seele gesprochen. Jetzt ist er zurück<br />

– im Kino.<br />

Es kommt selten vor, dass ein russischer Film in<br />

Russland zum Kassenschlager wird. Und wenn,<br />

dann handelt es sich in der Regel um Leinwand-<br />

Adaptionen aus dem Bauchladen der erfolgreichen<br />

Comedy-Club-Produktionen des Fernsehsenders<br />

TNT. Nun ist mit „Wyssozkij. Danke, dass du lebst“<br />

jedoch Anfang Dezember ein Drama angelaufen,<br />

das die Zuschauer stellenweise auch zum Lachen<br />

bringt, noch mehr allerdings erschüttert. Und das<br />

die Kinos fast schon im Handstreich erobert hat.<br />

Seine Produktionskosten von rund zwölf Millionen<br />

US-Dollar holte der Film praktisch schon am<br />

ersten Wochenende wieder reingeholt. Seitdem<br />

steht er mit großem Abstand auf Platz eins der<br />

Kinocharts in Russland.<br />

Russische Medien berichten, „Wyssozkij“ habe<br />

einen nie erlebten Besucherandrang ausgelöst.<br />

<strong>Vi</strong>ele Vorstellungen waren in den ersten Tagen<br />

ausverkauft, und das teilweise schon lange vor der<br />

Vorstellung. in <strong>Moskau</strong> wurde der Film gleichzeitig<br />

in 56 Kinos gezeigt.<br />

Das Drehbuch zu „Wyssozkij“ stammt von Wyssozkijs<br />

Sohn Nikita. Produziert hat den Film der erste<br />

Kanal des Staatsfernsehens. im Mittelpunkt steht<br />

eine Konzertreise des Barden 1979 nach Usbekistan<br />

– ein Jahr vor seinem Tod mit nur 42 Jahren.<br />

Schon damals klappte Wyssozkij zusammen, konnte<br />

allerdings wiederbelebt werden.<br />

Als der Sänger im Sommer 1980 starb, vermutlich<br />

an den Nebenwirkungen von Alkohol und Medikamenten,<br />

hatte er mehr als 1 000 Konzerte hinter<br />

sich. Den Sowjetmedien war die Nachricht, wenn<br />

überhaupt, nur eine Notiz wert, zumal während<br />

der Olympischen Spiele von <strong>Moskau</strong>. Wer bereits<br />

Karten für den Auftritt des Künstlers erworben<br />

hatte, der gab sie nicht zurück, sondern hütete sie<br />

wie einen Schatz.<br />

Noch im vergangenen Jahr wählten die Russen bei<br />

einer Umfrage nach ihren „idolen des 20. Jahrhunderts“<br />

Wladimir Wyssozkij auf Platz zwei – gleich<br />

hinter Jurij Gagarin.<br />

tk<br />

keiten aus den früheren Lebensphasen in<br />

uns. immer wenn man sich verrannt hat im<br />

Leben, im Dickicht des Lebens, dann hilft<br />

es, wenn man zurückschaut und die Person<br />

befragt, die man früher einmal gewesen<br />

ist. Dadurch erkennt man, wie man sich<br />

entwickelt hat, was einem früher wichtig<br />

war, was einem heute wichtig ist. Daraus<br />

kann man die richtigen Schlüsse ziehen.<br />

Das ist eine anerkannte Therapieform in<br />

der modernen Psychotherapie.<br />

Sie haben eine besondere Beziehung<br />

zu Russland, sind gerne hier. Was gefällt<br />

ihnen an diesem land und seinen Bürgern<br />

so sehr?<br />

Was mir persönlich auffällt bei meinen<br />

russischen Freunden, oder wenn ich<br />

in <strong>Moskau</strong> bin, ist, dass die Leute das<br />

Leben in vollen Zügen leben und nicht viel<br />

kalkulieren. Sie planen nicht so sehr die<br />

Zukunft. ich habe das Gefühl, sie stürzen<br />

sich einfach ins Leben. Sie springen rein<br />

und leben nicht mit Netz und doppeltem<br />

Boden, so wie das häufiger in Österreich<br />

oder Deutschland der Fall ist. Diese Unbedingtheit<br />

finde ich faszinierend.<br />

ihre Filme kommen sehr gut beim russschen<br />

Publikum an.<br />

Das hängt, glaube ich, auch damit zusammen,<br />

dass meine Filme unheimlich naiv<br />

sind. Dass sie Behauptungen aufstellen<br />

wie „Du kannst dein Leben verändern“,<br />

„Du kannst die Welt verändern“, „Alles ist<br />

möglich“. in Deutschland gibt es immer<br />

eine kritische Distanz zu diesen Träumen,<br />

während die Russen immer voll mitgehen<br />

und sagen: „ich träume gerne.“ Da gibt<br />

es anscheinend eine Art Verbindung. Es<br />

kann ja kein Zufall sein, dass Dostojewskij<br />

lange Zeit mein Lieblings-Schriftsteller<br />

war. Er hat auch immer naive Helden,<br />

die durchs Leben taumeln und gar nicht<br />

so richtig wissen, wie ihnen geschieht,<br />

die aber immer große ideen haben. Seine<br />

Helden sind eine Mischung aus Naivität<br />

und Begeisterungsfähigkeit, das hat eine<br />

Unmittelbarkeit und da ist ein kindliches<br />

Staunen dabei. Das liegt mir irgendwie<br />

nahe.<br />

ihr nächstes Filmprojekt planen Sie in<br />

Russland.<br />

Ja, das stimmt, aber das ist bisher nur<br />

eine mündliche Vereinbarung. ich hoffe,<br />

dass ich ab März oder April 20<strong>12</strong> mit den<br />

Dreharbeiten beginnen kann. Es ist ein<br />

ganz tolles Projekt, das in <strong>Moskau</strong> gedreht<br />

werden soll. Hoffentlich klappt alles.<br />

Das interview führte<br />

ina schönhals.<br />

kinopoisk.ru


<strong>12</strong><br />

Asparuch Schamajew kaufte sich<br />

drei T-Shirts und ein Paar Schuhe.<br />

Es war ein Samstag im August<br />

20<strong>10</strong>, zwei Tage noch bis zum<br />

neuen Semester. Er sprach mit seiner<br />

Mutter ein wenig über die Uni,<br />

über das Leben. Ein Leben, wie<br />

es sich in Naltschik, am Fuße des<br />

Elbrus, dieses höchsten Berges des<br />

Kaukasus, seit Jahren abspielt. Vor<br />

drei Tagen hatte es einen Sondereinsatz<br />

des Geheimdienstes gegeben,<br />

in der Sacharow-Straße, mitten<br />

in der Stadt. Eine Schießerei,<br />

das Fernsehen meldete am Abend:<br />

„Alle fünf Kämpfer sind zerstört<br />

worden.“ Kämpfer, das sagen sie<br />

immer, die Menschen in den Nachrichten,<br />

die Politiker, die Polizisten.<br />

„Bojewiki“ nennen sie sie, oft auch<br />

islamisten. Für Asparuch Schamajew<br />

waren sie Freunde, drei von<br />

ihnen.<br />

An einem Montag, es war bereits<br />

September, zog der 19-Jährige<br />

eines der neuen T-Shirts an und<br />

die Tür hinter sich zu. Er ging – in<br />

den Wald, die Berge. Asparuch<br />

Schamajew ist jetzt ein gesuchter<br />

Terrorist. Und davon, so vermel-<br />

RUSSLANDS REgIoNEN<br />

Von inna Hartwich<br />

den die Behörden, scheint es in<br />

Kabardino-Balkarien immer mehr<br />

zu geben.<br />

Kabardino-Balkarien ist ein kleiner<br />

Landstrich voller Berge, im<br />

Norden das russische Verwaltungsgebiet<br />

Stawropol, im Süden<br />

Georgien. Der See Tambukan,<br />

reich an Salzen und Mineralien,<br />

die die umliegenden Kurkliniken<br />

einsetzen, bildet eine natürliche<br />

Grenze zur Autonomen Republik<br />

im Nordkaukasus. in roten<br />

Buchstaben steht auf einer weißen<br />

Betonwand nur wenige Meter von<br />

der Landstraße weg: „Kabardino-<br />

Balkarien“. Kontrollposten häufen<br />

sich, stark bewaffnete Männer,<br />

Polizisten, Spezialeinheiten, laufen<br />

davor auf und ab, niemand<br />

weiß, wann sie ein Auto anhalten,<br />

welche Papiere sie verlangen können.<br />

Für Touristen ist Kabardino-<br />

Balkarien Sperrgebiet, der russische<br />

Geheimdienst FSB erteilt<br />

keine Einreisegenehmigungen,<br />

hat die so genannte „konterterroristische<br />

Operation“ übers Land<br />

verhängt. Es ist unruhig geworden<br />

im scheinbar ruhigen Bergland.<br />

Vor wenigen Monaten erst war ein<br />

Bus mit Ausflüglern beschossen<br />

worden. Drei Tote. Schnell waren<br />

die Täter ausgemacht: Rebellen aus<br />

dem Wald. islamisten. Terroristen.<br />

Wahhabiten. Gesucht wie Asparuch<br />

Schamajew.<br />

Für seine Mutter Raissa bleibt<br />

er ihr Sohn, das einzige Kind. Ein<br />

totes Kind, obwohl es noch lebt.<br />

„Er kommt nie mehr zurück, ich<br />

weiß es“, sagt sie, wischt sich die<br />

Tränen weg. „Entweder wird er<br />

noch im Wald erschossen, oder er<br />

wird im Knast zugrunde gerichtet.“<br />

Raissa Schamajewa stellt sich<br />

Fragen, Tausende davon. Sie spürt<br />

die Schuld, ihr Nichtwissen. Die<br />

Hilflosigkeit. Muslimin ist sie. Ein<br />

Kopftuch trägt sie nicht, hat sie nie<br />

gemacht. Sie kennt kaum Gebete,<br />

fastet nicht im Ramadan. ihr Sohn<br />

sei da strenger gewesen. „Er hat<br />

nach dem Koran gelebt.“ irgendwann<br />

habe er die Frage gestellt:<br />

„Wolltet ihr, Oma und du, euch<br />

nie rächen für all das, was euch<br />

die Gottlosen angetan haben?“<br />

Sie stutzte ein wenig, sagte nichts.<br />

Rache? Nein, es sei der Lauf der<br />

Geschichte.<br />

Die Oma, ihre Mutter, kam als<br />

Tochter eines „Volksfeindes“ zur<br />

Welt, damals in Kasachstan. im<br />

Zweiten Weltkrieg bezichtigte Stalin<br />

viele Nordkaukasier der Kollaboration<br />

mit den Deutschen. Auf<br />

seinen Befehl hin wurden Tausende<br />

Tschetschenen, inguschen, Balkaren,<br />

Kabardiner und andere Völker<br />

nach Zentralasien deportiert.<br />

1957 von Nikita Chruschtschow<br />

rehabilitiert, durften sie erst 1967<br />

in ihre Herkunftsorte zurückkehren.<br />

Nun ist Raissa Schamajewa die<br />

Mutter eines „Volksfeindes“, der<br />

gejagt wird, weil er an mehreren<br />

Morden beteiligt gewesen sein soll.<br />

Es bleiben ihr nur Anfragen bei der<br />

Polizei, auch wenn Ermittler ihr<br />

mitteilen: „Wenn ich ihren Sohn<br />

in die Finger bekomme, reiße ich<br />

ihn in Stücke“. Es bleiben Befragungen<br />

– und ein stiller Protest vor<br />

der Staatsanwaltschaft. Mit anderen<br />

Frauen, deren Söhne in die<br />

Berge gezogen sind, deren Söhne<br />

im Untersuchungsgefängnis sitzen.<br />

Jeden Mittwoch stehen sie da, ein<br />

stummer Schrei.<br />

Nach einem Anschlag auf ein<br />

Wasserkraftwerk und den getöteten<br />

Touristen sind die Hausdurchsuchungen<br />

wieder häufiger<br />

geworden. Kontrollen vor allem<br />

bei gläubigen Muslimen. „Die<br />

Überprüfungen laufen teils grundlos<br />

ab, es werden keine Protokolle<br />

erstellt, so dass später irgendetwas<br />

nachzuweisen wäre“, sagt Walerij<br />

Hataschukow. Er leitet das Menschenrechtszentrum<br />

in Naltschik,<br />

das einzige in der ganzen Republik.<br />

„Die Jugendlichen werden festgenommen,<br />

sie werden verhört.“<br />

Auch von Folter ist die Rede. „Man<br />

versucht, die Gewalt einzustampfen,<br />

mit Repressionen.“ Doch der<br />

Konflikt ist da, er verschärfe sich<br />

noch weiter, wenn nicht untersucht<br />

werde, wie es dazu kommt,<br />

meint Hataschukow. Das habe<br />

man bereits einmal versäumt.<br />

Am 13. Oktober 2005 stand Naltschik<br />

unter Beschuss. Bis zu 200<br />

Kämpfer hatten den Flughafen<br />

und den Sitz des Geheimdienstes<br />

gestürmt, Polizeistationen angegriffen,<br />

sich in Souvenirläden verschanzt.<br />

24 Sicherheitskräfte und<br />

zwölf Zivilisten kamen ums Leben,<br />

Russlands Offizielle verwiesen<br />

stolz auf 91 getötete islamisten.<br />

„Danach gab es aber keine Ana-<br />

<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />

Ein Landstrich, der sich selbst auslöscht<br />

Im einst ruhigen Kabardino-Balkarien verschärft sich die Lage. <strong>Moskau</strong> setzt weiter auf alte Eliten und Waffen.<br />

Naltschik ist eine schmucke, kleine Kurstadt im Nordkaukasus. Frische<br />

Luft, schneebedeckte Berggipfel drumherum. eine aufgeräumte, ordentliche<br />

Oberfläche. Darunter tobt der Krieg, sicherheitsleute gegen<br />

Gotteskrieger. Die vermeintlich Gottlosen gegen die vermeintlichen<br />

Terroristen. ein ganzer Landstrich löscht sich selbst aus – und die<br />

mächtigen aus moskau schauen zu, können den sich verschärfenden<br />

Konflikt in Kabardino-Balkarien nicht stoppen.<br />

Kabardino-Balkarien<br />

In der Republik, die etwa halb so groß ist wie Hessen, leben rund 900 000<br />

Menschen. 55 Prozent davon sind Kabardiner, etwa 25 Prozent Russen,<br />

zehn Prozent Balkaren, zehn restliche Prozent stellen rund 20 weitere<br />

Nationalitäten und Ethnien dar. Seit einigen Jahren sind die Zahlen<br />

rückläufig, die Menschen wandern ab.<br />

Der berühmteste Punkt der Republik ist der Elbrus, mit seinen 5 642 Metern<br />

der höchste Berg des Kaukasus.<br />

Die Kabardiner gehören zusammen mit den Tscherkessen und den Adygen<br />

zu einer ethnischen Gruppe und sind so genannte Ureinwohner des<br />

Nordkaukasus. Im 16. Jahrhundert standen sie unter dem Schutz des<br />

russischen Zaren Iwan, dem Schrecklichen. Im 18. Jahrhundert wandten<br />

sie sich den Türken zu. In sowjetischer Zeit wurden sie zusammen mit den<br />

Balkaren zunächst in einen Autonomen Kreis, später unter Stalin in einer<br />

Autonomen Republik zusammengepfercht.<br />

Die Balkaren sind ein turksprachiges Volk, kulturell und sprachlich<br />

eher den Karatschaiern ähnlich. Die Karatschaier aber mussten einen<br />

Zusammenschluss mit den Tscherkessen bilden – in Karatschai-<br />

Tscherkessien.<br />

Kabardino-Balkarien ist ein Prototyp der Vernachlässigung des<br />

Nordkaukasus durch den Kreml. Zwar sind mehr als zwei Drittel des<br />

Haushalts Fördergelder aus <strong>Moskau</strong>. Das Durchschnittseinkommen liegt<br />

aber bei der Hälfte des russischen Wertes. Tuberkulose breitet sich aus. Es<br />

regieren Klanwirtschaft, Korruption und Massenarmut.<br />

An der Spitze der Republik steht der 54-jährige Arsen Kanokow.<br />

Der Kabardiner ist seit 2005 im Amt. Zuvor war er 20 Jahre lang als<br />

Geschäftsmann in <strong>Moskau</strong> tätig, wo er mehrere Einkaufszentren besaß.<br />

Die russische Wirtschaftszeitschrift „Finans“ führte Kanokow in diesem Jahr<br />

in ihrer Liste der reichsten Menschen in Russland auf Platz 179. Damit ist<br />

er der reichste unter den Präsidenten der russischen Republiken. Seinen<br />

Besitz schätzte das Blatt auf rund 18 Milliarden Rubel (etwa 417 Millionen<br />

Euro). 2008 lag sein Vermögen noch bei umgerechnet <strong>10</strong>6 Millionen Euro.<br />

Der Präsident verwaltet das Land nach kaukasischer Klan-Tradition. Zu<br />

den ersten Amtshandlungen Kanokows gehörte das Besetzen wichtiger<br />

Regierungsposten mit Familienmitgliedern.<br />

Fast jede Woche sterben in Kabardino-Balkarien Menschen, Vertreter der<br />

Staatsmacht und so genannte Gotteskrieger. Der Kreml setzt weiter auf<br />

die alte, diskreditierte Elite und die Waffe als alleinige Friedensbringer.<br />

Vergebens.<br />

inn<br />

Raissa Schamajewa (links) mit anderen Müttern aus Naltschik: Ihre Söhne oder<br />

Ehemänner sind gesuchte Terroristen, kämpfen in den Bergen oder sitzen im<br />

Gefängnis. Rechts im Bild: ihre Anwältin Larissa Dorogowa.<br />

lysen, nur Massenverhaftungen“,<br />

sagt Hataschukow und fordert eine<br />

öffentliche Debatte. „Wie gelingt<br />

es den Dschihadisten, die Jugend<br />

anzusprechen? Wir müssen deren<br />

Motive erlernen. Die Mächtigen<br />

aber sind mit der eigenen Bereicherung<br />

beschäftigt und der Entsendung<br />

von noch mehr Sicherheitspersonal,<br />

das Tag für Tag in<br />

die Luft fliegt.“<br />

Nur unweit vom Präsidentenpalast,<br />

einem tempelartigen Prachtbau<br />

mit korinthischen Säulen, steht<br />

auf einem Verkehrsschild „Ruhe ist<br />

wichtiger“. Wichtiger als was, steht<br />

da nicht. Auf einem Plakat in der<br />

Nähe des Abchasien-Platzes lobt<br />

der Präsident Arsen Kanokow die<br />

Völkerfreundschaft. „Die Zukunft<br />

Kabardino-Balkariens liegt in der<br />

Einheit und Brüderlichkeit von<br />

Völkern der Republik“, lächelt er<br />

ein zufriedenes Lächeln. inzwischen<br />

ist nahezu ganz Kabardino-<br />

Balkarien in seinem Besitz.<br />

„Dieser Spruch ist so eine Heuchelei“,<br />

schimpft Dalchat Bajdanow.<br />

Der 65-Jährige brachte einst<br />

Kindern Biologie bei, war später<br />

Leiter vom Elbrus-Nationalpark<br />

– bis er Kritik an den Behörden<br />

äußerte, Drohungen bekam und<br />

seinen Stuhl räumte. Bajdanow ist<br />

Balkare, ein Nachfahre von Urbulgaren,<br />

die im 6. Jahrhundert in<br />

den Nordkaukasus kamen. Ein<br />

grauhaariger Mann mit Brille, der<br />

in den Ältestenrat in Naltschik<br />

gewählt wurde, nach balkarischen<br />

Traditionen eine Respektperson.<br />

Er ist ein Mann klarer Worte,<br />

auch wenn er leise und bedächtig<br />

spricht. „Kanokow ist von <strong>Moskau</strong><br />

eingesetzt. ihm geht es darum, vor<br />

dem Kreml zu bestehen, nicht vor<br />

seinem Volk.“ Um Völker schere<br />

sich der Präsident ohnehin nicht,<br />

er schüre Hass, sagt Bajdanow.<br />

„Beinahe ist ihm das auch gelungen.<br />

Die Balkaren machten für ihr<br />

Leid die Kabardiner verantwortlich,<br />

die Kabardiner die Balkaren.<br />

Bis wir uns eines Tages zusammensetzten<br />

und merkten: Wir wollen<br />

ja dasselbe – eine Regierung,<br />

die den Bürgern Freiheiten gibt,<br />

die sich um ihre Jugend und ihre<br />

Alten sorgt. Eine Regierung, die<br />

nicht auf Korruption und Unterdrückung<br />

Andersdenkender setzt.“<br />

Für solche Sätze ist er als Extremist<br />

bezeichnet worden, als Nationalist,<br />

wurde zusammengeschlagen und<br />

beschimpft.<br />

„So will man sich der kritischen<br />

Stimmen entledigen“, sagt ibragim<br />

Jaganow. Zu kabardinischen Liebesliedern<br />

lenkt er seinen Wagen<br />

quer durch die Dörfer der Republik.<br />

Die Berge liegen noch im<br />

Nebel, Hirten auf den Pferden<br />

treiben Dutzende Kühe die Straße<br />

entlang, Kinder überspringen die<br />

Pfützen, um in die Schule zu kommen.<br />

Jaganow hat sich mit Aktivisten<br />

verabredet. Flugblätter will<br />

er verteilen, zur Demo aufrufen.<br />

immerhin eine genehmigte. Freie<br />

Wahlen fordert er und niedrigere<br />

Preise für Gas. „Liebe Mitbürger,<br />

Sie haben nicht nur Pflichten, sondern<br />

auch Rechte“, steht da fett<br />

am unteren Rand. Jaganow war<br />

früher Milizionär, vier Jahre hat<br />

er es als Beamter ausgehalten, „die<br />

Menschen waren nichts für mich“.<br />

Nun züchtet er Pferde, Kabardiner,<br />

robuste Bergtiere, ausdauerstark,<br />

trittsicher. Und er kämpft – für die<br />

Rechte der Kabardiner, der Menschen,<br />

die seit Jahrtausenden hier<br />

im Kaukausus leben. Lautstark, die<br />

Freunde schimpften manchmal, er<br />

solle leiser reden, er sei schließlich<br />

unter Menschen, nicht unter<br />

Tieren. Es gelingt ihm nicht. „Wir<br />

müssen unsere Geschichte erlernen,<br />

müssen wissen, wer wir sind“,<br />

sagt er tief und laut.<br />

Kabardino-Balkarien gehört wie<br />

alle anderen nordkaukasischen<br />

Republiken zu Russland, die Menschen<br />

sprechen Russisch, sie besitzen<br />

russische Pässe. Doch Kabardino-Balkarien<br />

ist auch Kabardino-<br />

Balkarien, mit eigenen Sprachen,<br />

Traditionen, eigener Geschichte.<br />

Auch wenn darüber nicht oft, und<br />

schon gar nicht offen, gesprochen<br />

wird. im Hauptbuchladen von Naltschik<br />

gibt es kein einziges Buch<br />

über die Republik, die Verkäuferin<br />

erklärt, so etwas würde sich im<br />

gesamten Gebiet nicht finden. in<br />

zwei Regalen stapeln sich Wörterbücher<br />

und Lernsoftware zu Englisch<br />

und italienisch, Nachschlagewerke<br />

zu Kabardinisch oder Balkarisch<br />

gibt es nicht. „Wie soll da die<br />

Jugend erfahren, worauf sich unsere<br />

Republik gründet?“, fragt ibragim<br />

Jaganow. Diese Jugend bleibt<br />

meist arbeitslos, fährt nach <strong>Moskau</strong>,<br />

wo niemand auf sie wartet.<br />

Oder sie geht in den Wald, zieht in<br />

den Kampf für einen vermeintlich<br />

besseren Staat, im Namen Allahs.<br />

„Sie sind Seeleninvaliden“, sagt<br />

Dalchat Bajdanow. „Verbrecher,<br />

die von Verbrechern dazu gemacht<br />

werden. Vom Staat“, sagt ibragim<br />

Jaganow.<br />

Raissa Schamajewa steht derweil<br />

weiter vor der Staatsanwaltschaft<br />

in Naltschik. im Schrank ihres<br />

Sohnes warten noch zwei neue<br />

T-Shirts auf ihn.<br />

Inna Hartwich


13<br />

<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011 RUSSLANDS NACHBARN<br />

Oligarch fordert den Präsidenten heraus<br />

Der Milliardär Iwanischwili will die nächsten Wahlen in Georgien gewinnen. Die Regierung Saakaschwili reagiert nervös.<br />

Georgien steht Kopf. Bis vor kurzem hätte niemand gedacht, dass sich<br />

in den nächsten Jahren an der spitze des Landes etwas ändern würde.<br />

Doch dann betrat unerwartet ein mann das politische parkett, über<br />

den sich die menschen bislang nur von Bewunderung und erstaunen<br />

geprägte Geschichten zu erzählen wussten.<br />

Nun richten sie ihre Augen auf<br />

die Residenz des Oligarchen über<br />

der Altstadt von Tiflis. So entrückt<br />

und erhaben der Gebäudekomplex<br />

aus Glas und Aluminium<br />

auf dem Felsen steht, so abgeschottet<br />

lebte dessen Hausherr in<br />

den vergangenen zehn Jahren in<br />

Georgien. Bekannt war lediglich,<br />

dass er in den 90er Jahren ein<br />

Vermögen in Russland gemacht<br />

hatte. 5,5 Milliarden Dollar soll<br />

es laut Forbes-Liste betragen.<br />

Was ihn von anderen Oligarchen<br />

unterschied: Gerüchte<br />

besagten, dass er die Menschen<br />

in seinem Heimatbezirk Satschchere<br />

fernab der Hauptstadt mit<br />

Strom und Gas versorge, ihnen<br />

die Krankenversicherung zahle<br />

und Häuser bauen lasse. Darüber<br />

hinaus finanziere er Künstler in<br />

Tiflis, die Oper, Theater und Kirchenbauten<br />

in der Hauptstadt.<br />

Der Name des wohltätigen Milliardärs:<br />

Bidsina iwanischwili.<br />

Anfang Oktober platzte mitten<br />

hinein in die politische Lethargie<br />

eine Pressemeldung. iwanischwili<br />

verkündete, er wolle den seit bald<br />

acht Jahren regierenden Präsidenten<br />

Michail Saakaschwili und<br />

seine Regierungspartei bei den<br />

Parlamentswahlen im nächsten<br />

Jahr besiegen. Dies erhitzte die<br />

Gemüter im ganzen Land. Denn<br />

in den vergangenen Jahren wuchs<br />

die Unzufriedenheit mit Saakaschwili.<br />

Zwar ist die Alltagskorruption<br />

inzwischen beseitigt,<br />

nicht aber die sozialen Probleme.<br />

Und die Führung um Saakaschwili<br />

neigt dazu, mehr und mehr<br />

Macht in ihren Händen zu konzentrieren.<br />

Doch ist der Milliardär iwanischwili<br />

eine Alternative? Ein Besuch<br />

in seiner Heimatregion Satschchere<br />

bestätigt zunächst einmal<br />

die Gerüchte. in iwanischwilis<br />

Heimatdorf Djorwila stehen fast<br />

ausschließlich neue Häuser. Auch<br />

Von silvia stöber (n-ost)<br />

in der Umgebung glänzen zahlreiche<br />

frisch gedeckte Dächer.<br />

Wie viele andere zählt der Arzt<br />

Tamas Samcharadse auf, wofür<br />

der Oligarch Geld gibt: „Rentner,<br />

alleinstehende Mütter und<br />

kinderreiche Familien erhalten<br />

einen Zuschuss zu den staatlichen<br />

Leistungen.“ Auch Lehrer<br />

und Ärzte wie er bekämen<br />

zusätzlich zum Gehalt Geld und<br />

ja, alle Bewohner des Bezirkes<br />

Satschchere seien umsonst krankenversichert.<br />

Aber was plant iwanischwili,<br />

sollte er tatsächlich an die<br />

Macht kommen? Antwort gibt<br />

der bescheiden und freundlich<br />

auftretende Geschäftsmann bei<br />

einem interview in seiner Residenz.<br />

„Hilfe für Bedürftige ist<br />

wichtig“, sagt er mit Blick auf<br />

die Spenden in seiner Heimatregion.<br />

Wichtiger sei es jedoch,<br />

den Menschen Arbeit und damit<br />

Verantwortung zu geben. „Die<br />

demokratischen institutionen<br />

müssen gestärkt werden. Vor<br />

allem die Justiz und die Massenmedien<br />

müssen unabhängig werden.“<br />

Außerdem dürfe der Staat<br />

nicht die Wirtschaft kontrollieren,<br />

wie die Regierung Saakaschwilis<br />

es tue. Dem Präsidenten<br />

wirft er vor, ihn und seine Leute<br />

provozieren zu wollen. iwanischwili<br />

beteuert aber: „Wir wollen<br />

nur durch Wahlen an die Macht<br />

kommen.“<br />

Doch im Moment hat er kaum<br />

politische Rechte. Kurz nach<br />

seiner Ankündigung entzog die<br />

Regierung iwanischwili den Pass,<br />

weil er nach der georgischen<br />

auch die französische Staatsbürgerschaft<br />

angenommen hatte.<br />

Zudem beschlagnahmten die<br />

Behörden einen Geldtransporter<br />

seiner Bank mit Bargeld in Millionenhöhe.<br />

Die regierungsnahen<br />

Medien stellen den Oligarchen<br />

als Gehilfen <strong>Moskau</strong>s dar. Dage-<br />

Minsker Kopfstände<br />

Weißrussland-Kolumne von Alexandra Romanowa<br />

ich begegnete dem Journalisten<br />

auf der Straße, mitten im Zentrum<br />

von Minsk. Und habe ihn<br />

gleich erkannt, denn er berichtete<br />

20<strong>10</strong> über die Wahlkampagne in<br />

Weißrussland und schrieb auch<br />

danach noch Reportagen darüber,<br />

wie die Hoffnung auf freie Wahlen<br />

die Weißrussen veränderte.<br />

Er ist einer der wenigen Vertreter<br />

der unabhängigen Presse in<br />

Weißrussland. ich kann mich an<br />

seinen funkelnden Blick erinnern,<br />

als er damals im <strong>Vi</strong>deoblog seines<br />

Mediums die Zuschauer davon<br />

überzeugte, dass sie noch immer<br />

die Chance hätten, das Land zu<br />

ändern. Das war genau vor einem<br />

Jahr, vor den Neuwahlen von<br />

Lukaschenko für die vierte Amtszeit,<br />

vor all den Demonstrationen<br />

und den lokalen Finanzkrisen.<br />

Als ich ihn vor Kurzem auf der<br />

Straße traf, war er nicht mehr<br />

derselbe. Ein erloschener Blick,<br />

gesenkte Schultern. Er sah aus,<br />

als ob er mit jedem Einzelnen<br />

der oppositionellen Kandidaten<br />

im Gefängnis gesessen und mit<br />

allen Rentnern gehungert habe,<br />

damit ihre weißrussischen Rubel<br />

über die Sommermonate reichen,<br />

als die Preise um 60 Prozent<br />

und die Renten aber nur um<br />

13 Prozent gestiegen sind.<br />

in diesem Jahr ist Weißrussland<br />

zum ersten Mal im so genannten<br />

Elendsindex verzeichnet, der in<br />

den 70er Jahren vom Amerikaner<br />

Arthur Okun erfunden wurde.<br />

Um ihn auszurechnen, werden<br />

inflationsrate und Arbeitslosenquote<br />

summiert. Weißrussland<br />

hat in diesem Jahr die Ukraine<br />

Der georgische Oligarch und Politiker Bidsina Iwanischwili in seiner Residenz bei Tiflis.<br />

gen spricht, dass iwanischwili<br />

westlich orientierte Oppositionspolitiker<br />

wie den Ex-UN-Botschafter<br />

irakli Alasania zu Partnern<br />

wählte. Beide betonen, dass<br />

sich Georgien weiter Europa und<br />

der NATO annähern soll, aber<br />

auch, dass nach dem Krieg 2008<br />

die Beziehungen zum nördlichen<br />

Nachbarn Russland verbessert<br />

werden müssen.<br />

Eine Partei darf iwanischwili<br />

ohne georgische Staatsbürgerschaft<br />

nicht gründen. Dafür bildete<br />

er am Sonntag die politische<br />

Bewegung „Georgischer Traum“<br />

mit prominenten Aktivisten und<br />

Künstlern, von denen er viele in<br />

den vergangenen Jahren unterstützt<br />

hatte. Tausende kamen zu<br />

dem Ereignis in der Philharmonie<br />

in Tiflis. Zwei Anfang Dezember<br />

veröffentlichte Umfragen zeigen,<br />

dass iwanischwili bei Wahlen ein<br />

ernsthafter Gegner für Saakaschwilis<br />

Partei sein könnte.<br />

Außerdem stellte sich das hoch<br />

angesehene Oberhaupt der orthodoxen<br />

Kirche in Georgien, ilia ii.,<br />

an iwanischwilis Seite. in einer<br />

Sonntagspredigt vor wenigen<br />

verdrängt und belegt den ersten<br />

Platz der traurigen Liste. Geht<br />

es nach der Meinung der Experten,<br />

leben in meiner Heimat die<br />

unglücklichsten Menschen. Aber<br />

vor einem knappen Jahr sah noch<br />

alles anders aus.<br />

Damals waren wir alle euphorisch,<br />

wir lebten mit der Hoffnung<br />

auf Veränderungen – fieberten<br />

demokratischen Wahlen<br />

entgegen, nach denen wir Weißrussen<br />

in einem anderen, einem<br />

neuen Land aufwachen würden.<br />

Aber daraus ist nichts geworden.<br />

Menschen, die gestern unsere<br />

Helden waren, sehen heute<br />

bleich und erschöpft aus. Künstler,<br />

unabhängige Journalisten,<br />

Oppositionspolitiker. Sie haben<br />

den einen Kampf verloren und<br />

wissen nicht, ob es die Chance<br />

Wochen forderte er, der Milliardär<br />

müsse die georgische Staatsbürgerschaft<br />

wiederbekommen.<br />

Was iwanischwili bewirken kann<br />

auf einen zweiten geben wird.<br />

Die offizielle weißrussische Presse<br />

verhöhnt satt und zufrieden<br />

die gescheiterte Revolution des<br />

Schweigens in Weißrussland.<br />

Zur Belehrung der Aufmüpfigen<br />

wird in den Medien darüber<br />

diskutiert, dass die Menschen<br />

in Lybien sogar nach dem Tod<br />

von Gaddafi noch auf den Straßen<br />

protestierten, weil sie nichts<br />

anderes könnten als zu rebellieren.<br />

Und solche Menschen gibt es<br />

auch in Weißrussland. Aber nach<br />

dem gescheiterten Versuch, alles<br />

zu ändern, müssen sie ein neues<br />

Leben beginnen. Die Mehrheitsgesellschaft<br />

tut so, als ob nichts<br />

passiert wäre: Keiner hat verloren,<br />

dieses berauschende Gefühl<br />

von Freiheit hat es nie gegeben.<br />

und will, ist offen. Sicher ist:<br />

Schon jetzt hat er den Menschen<br />

aufgezeigt, dass es Alternativen<br />

zu Saakaschwili geben kann.<br />

Georgien und russland<br />

Lange herrschte Eiszeit zwischen Georgien und Russland. Die beiden abtrünnigen<br />

georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien sind von Russland<br />

und einigen international unbedeutenden Ländern offiziell als unabhängig anerkannt;<br />

Georgien selbst, aber auch die USA und die EU sehen die beiden Grenzgebiete<br />

weiterhin als georgisches Teritorium an. In den Gebieten sind russische<br />

Truppen stationiert, die Regierung unter Saakaschwili hat keine Kontrolle über<br />

die Grenzen. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind nicht erst seit<br />

dem Fünftagekrieg im August 2008 schlecht. Schon nach der Unabhängigkeit<br />

Georgiens 1991 unterstützte Russ land Unabhängigkeitsbestrebungen in dem<br />

jungen Staat und nimmt so bis heute Einfluss auf die Innenpolitik des Landes.<br />

Im Herbst 2006 wurden in der georgischen Hauptstadt Tiflis vier russische<br />

Offiziere wegen Spionageverdachts verhaftet. Daraufhin verteuerte Russland die<br />

Preise für Öl- und Gasexporte nach Georgien und erließ ein Importverbot für<br />

bestimmte georgische Produkte.<br />

Bei den Verhandlungen Russlands mit der Welthandelsorganisation WTO<br />

spielte Georgien lange Zeit eine Schlüsselrolle: Das Land blockierte mit seinem<br />

Veto bis Ende Oktober den Beitritt. Anfang November unterzeichneten Vertreter<br />

der beiden Staaten nach Vermittlungen der Schweiz schließlich einen Vertrag<br />

über den Warenverkehr, auf dessen Grundlage Georgien dem Beitritt Russlands<br />

zur WTO zustimmt.<br />

Seit der Präsidentenwahl Ende November in Südossetien gibt es Unruhen, da<br />

das Oberste Gericht den Sieg der kremlkritischen Kandidatin Alla Dschiojewa<br />

annuliert hatte.<br />

kal<br />

Genauso wenig, wie die nachfolgende<br />

Lebensmittelkrise und die<br />

Bomben in der Metro.<br />

Der Ausdruck „Demokratie“ ist<br />

in diesem Land offiziell zu einem<br />

Schimpfwort geworden. Wenn<br />

im weißrussischen Fernsehen<br />

Unmoralisches zu sehen ist –<br />

seien das Aufstände, Drogenverkäufer<br />

oder ein Teenager, der<br />

seine Großmutter zerschnitten<br />

hat – teilt der Moderator mit:<br />

„Das ist genau das, wozu ihre<br />

vielgerühmte Demokratie führen<br />

kann.“<br />

Alexandra romanowa (28) ist<br />

Journalistin und lebt in minsk.<br />

sie schreibt für russische<br />

medien und in ihrem Blog unter<br />

sasharomanova.livejournal.com.<br />

Temo Bardzimashvili


14<br />

FREIzEIT<br />

5Highlights<br />

Der Dreispänner hatte in Russland<br />

zunächst wenig mit Ausflugsidylle<br />

zu tun. Wenn von drei<br />

Pferden zwei schlapp machen,<br />

kommt vielleicht das Dritte<br />

Von Natalia Gubko<br />

durch und bringt die Kutsche<br />

oder den Schlitten noch ans<br />

Ziel. Zum Symbol Russlands<br />

wurde die Troika spätestens mit<br />

der literarischen Ausgestaltung<br />

durch Nikolaj Gogol. Die Troika<br />

Russ land drängt unaufhaltsam<br />

der Zukunft entgegen, launisch<br />

und schwer zu zügeln, mal aufbrausend,<br />

mal phlegmatisch, mal<br />

leichten, mal schweren Schrittes.<br />

Die <strong>Moskau</strong>er Regierung investiert<br />

derzeit in ihre öffentlichen<br />

Parks. Die Attraktionen sollen<br />

zudem erschwinglich bleiben.<br />

im Moment stehen die Rosse<br />

bereit und warten auf den ersten<br />

<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />

WO und WAS in MOSKAU<br />

KINO RESTAURANT BüHNE KONzERT MUSEUM<br />

Schnee<br />

von morgen<br />

Zwischen dem europäischen und<br />

russischen Weihnachtfest lockt das<br />

Theater „Schule der dramatischen<br />

Kunst“ Kinder im Alter von 6 bis<br />

9 mit dem Stück „Das Geheimnis<br />

des verschwundenen Schnees“.<br />

Die jungen Erfinder, Detektive und<br />

Forscher werden dabei nicht nur<br />

ein Gefühl des Wunders erfahren,<br />

sondern auch den Stolz, ein<br />

Erwachsenen-Theater besucht<br />

zu haben. Spiele, Tricks, lustige<br />

Witze und echter Schnee: Die märchenhafte<br />

Geschichte spiegelt alle<br />

Facetten unseres Lebens wider.<br />

Und am Ende gelingt es weder<br />

Monstern noch Wetteranomalien,<br />

das Wunder einer fröhlichen Silvesterfeier<br />

zu sabotieren.<br />

24. Dezember – 6.<br />

Januar, <strong>12</strong> und 16 Uhr<br />

Theater „schule der dramatischen<br />

Kunst“<br />

Ul. Sretenka 19/27<br />

m. sucharewskaja<br />

Tel.: (495) 632 9344<br />

www.sdart.ru<br />

Zirkus<br />

im Museum<br />

Zirkus bedeutet Phantasie,<br />

Tricks, Farbenpracht, Risiko und<br />

Abenteuer. Dieses Thema hat<br />

seit Jahrzehnten viele Künstler<br />

angesprochen. im 19. Jahrhundert<br />

war es fast schon eine Modekrankheit:<br />

Francisco Goya, Edgar<br />

Degas, Auguste Renoir, Henri de<br />

Toulouse-Lautrec, Henri Matisse<br />

und Salvador Dalí ließen sich von<br />

dieser Kunst faszinieren. in der<br />

Galerie „Tschechow-Häuschen“<br />

sind es aber die Künstler des 20.<br />

Jahrhunderts, die dem Publikum<br />

präsentiert werden. Zusammen<br />

mit einer thematischen Zirkus-<br />

Ausstellung gibt es Aufführungen<br />

von Clowns, Zauberkünstlern,<br />

Akrobaten und Tieren.<br />

16. Dezember –<br />

1. März<br />

polina Lobatschewskaja-Galerie<br />

Ausstellungshalle Tschechow-<br />

Häuschen<br />

Ul. Malaja Dmitrowka 29/4<br />

m. majakowskaja<br />

Tel.: (495) 694 2819<br />

www.plgallery.ru<br />

Honig<br />

und Weihrauch<br />

Weihnachtsmärkte in Russland<br />

sind mit der Lupe zu suchen.<br />

An den kleinen Märkten bei<br />

verschiedenen Metro-Stationen<br />

kommt zudem selten richtige<br />

Feststimmung auf. Das Highlight<br />

wird in der letzten Dezemberwoche<br />

im Ausstellungszentrum<br />

WWZ stattfinden: der orthodoxe<br />

Weihnachtsmarkt „Weihnachtsgabe“.<br />

Der Markt zählt etwa<br />

500 Teilnehmer: Kirchen, Klöster,<br />

Bauernhöfe und kirchliche<br />

Wohngemeinschaften bieten<br />

dem Publikum sowohl kulinarische<br />

Spezialitäten aus verschiedenen<br />

Klosterwirtschaften als<br />

auch Bücher, ikonen, Kirchengegenstände<br />

und Geschenke an –<br />

und eine deftige Klostermahlzeit<br />

im Marktcafé.<br />

22.– 29. Dezember<br />

Ausstellungszentrum WWZ<br />

Pavillon 69<br />

m. WDNCh<br />

www.pokrov-expo.ru<br />

Schnaufen im Schnee<br />

In drei <strong>Moskau</strong>er Parks traben Troikas – bei entsprechender Witterung<br />

russischer geht es nicht: eingemummt in einen dicken mantel und eine<br />

Wolldecke durch das schneegestöber rasen. in diesem Winter lassen<br />

sich Troika-schlittenfahrten in den städtischen parks pokrowskojestreschnewo<br />

(m. schtschukinskaja), Zarizyno und Troparewo (m. Tjoplyj<br />

stan) unternehmen.<br />

xrest.ru<br />

Kurz<br />

und bündig<br />

Früher konnten es sich die Menschen<br />

noch leisten, dicke Folianten<br />

zu lesen. Twitter, Sms, <strong>Vi</strong>deoclips<br />

und Werbespots: Heute wird alles<br />

auf Kompaktformat reduziert.<br />

Diese Tendenzen spiegeln sich auch<br />

in der Filmkunst wider, indem das<br />

Genre der Kurzfilme immer populärer<br />

wird. in der zweiten Dezemberhälfte<br />

findet das fünfte Festival<br />

der Debüt-Kurzfilme statt. Die auf<br />

dem Programm stehenden Filme<br />

wurden auf diversen Kinofestivals<br />

ausgezeichnet. Von den Filmen,<br />

die nicht am Wettbewerb teilnehmen,<br />

sind zu empfehlen: „Spanien.<br />

<strong>Vi</strong>er Provinzen“, die Auswahl von<br />

Frauenfilmen des brasilianischen<br />

Femina-Festivals „Best of Femina“,<br />

die Kurzfilme über das Weltall<br />

„Sound in Space“ und das Projekt<br />

„Nicht-Film Territorien. Südossetien“.<br />

15.-19. Dezember<br />

Kino Chudoschestwennyj<br />

Arbatskaja ploschtschad<br />

m. Arbatskaja<br />

Tel.: (495) 691 9624<br />

debutes2011.msff.ru<br />

bleibenden Schnee. Für die letzten<br />

drei Tage des Jahres werden<br />

Troikafahrten allen Parkbesuchern<br />

kostenlos angeboten. So<br />

etwas sollte nicht verpasst werden,<br />

empfiehlt der Direktor des<br />

Reitersportzentrums Matador,<br />

Sergej Nikulin, den <strong>MDZ</strong>-Lesern.<br />

in privaten Reitzentren würde es<br />

bis zu 1 000 Euro kosten, einen<br />

Pferdeschlitten mit Kutscher zu<br />

mieten.<br />

Troika-Romantik wird auch<br />

außerhalb von <strong>Moskau</strong> garantiert:<br />

im Gebiet Kaluga, bei der Stadt<br />

Borowsk (Bahnstation Balabanowo),<br />

knappe drei Fahrtstunden<br />

von der Hauptstadt entfernt, gibt<br />

es das kulturtouristische Zentrum<br />

Etnomir. Jeder Besucher<br />

kann hier einen Blick auf die<br />

Kulturen verschiedener Länder<br />

werfen. Jedes Land wird durch<br />

einen so genannten Ethnohof<br />

dargestellt, in dem sich typische<br />

Häuser, Museen, Restaurants und<br />

Geschäfte aneinander reihen. im<br />

Ethnohof des Hohen Nordens<br />

spannen die Hofbetreuer nicht<br />

Pferde, sondern Hunde vor ihre<br />

Schlitten, damit sich die Besucher<br />

ins Leben der nördlichen<br />

Völker hineinversetzen können.<br />

Wenn diese Pferde Englisch könnten,<br />

würde ihr Motto sein: Three is company,<br />

two is none.<br />

Von Katja Gubernatorowa<br />

Fliegende<br />

Laternen<br />

Der „Klub der Anzünder der<br />

Himmelslaternen“ möchte eine<br />

romantische Alternative zum<br />

teuren und ohrenbetäubenden<br />

Feuerwerk populär machen. Zu<br />

schönen Anlässen werden massenhaft<br />

Papierlaternen mit kleinen<br />

Lämpchen in den Abendhimmel<br />

steigen gelassen. in der sternenarmen<br />

Winterszeit ist das auch für<br />

die Psyche angenehm. Am ersten<br />

Weihnachtsfeiertag werden in der<br />

Nähe des Kolomenskoje-Parks an<br />

der Moskwa unzählige fliegende<br />

Lichter aufsteigen. Die Aktion<br />

fängt um 19 Uhr mit einer Show<br />

an. Es empfiehlt sich, etwas früher<br />

zu kommen, um sich eine<br />

Laterne zu kaufen und eine kurze<br />

Anweisung zu bekommen. Bitte<br />

eine Thermosflasche und ein Feuerzeug<br />

mitbringen.<br />

25. Dezember,<br />

18 - 20 Uhr<br />

park „Nagatinskaja pojma“<br />

Projektirujemyj Projesd Nr. 4062,<br />

1 Geb. 2<br />

m. Kolomenskaja<br />

www.ofonaret.ru<br />

Guten Rutsch!<br />

DIE KREML-EISBAHN LOCKT<br />

MIT „SOWJETISCHEN“ PREISEN<br />

Ob die Aktion eine spontane<br />

Maßnahme zur Wiedergutmachung<br />

beim<br />

Volk nach dem Imageverlust<br />

des Kreml im Zuge<br />

der Parlamentswahlen ist<br />

oder nicht – den Eislauffans<br />

kann es egal sein: Bis<br />

zum 30. Dezember lässt<br />

sich auf dem Roten Platz<br />

während der Werktage am<br />

Vormittag für zehn Rubel<br />

und am Abend für 50 Rubel<br />

Schlittschuh laufen. Eine<br />

Séance dauert zwei Stunden.<br />

Am Wochenende sind<br />

es entsprechend 50 und<br />

<strong>10</strong>0 Rubel – immer noch<br />

weit unter den normalen<br />

Preisen von 350 und 500<br />

Rubel, die bislang dem Massenandrang<br />

einen gewissen<br />

Einhalt geboten haben.<br />

<strong>Vi</strong>elleicht bauen die Organisatoren<br />

auf die Menge<br />

der schlittschuhlosen Mitbürger:<br />

Denn wer gerade<br />

keine Kufen zur Hand hat,<br />

kann sie gerne ausleihen –<br />

gegen den Normal tarif von<br />

250 Rubel.


<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />

„Symbiose zweier Genies“<br />

Mozarts „Idomeneo“ erklingt in der Version von Richard Strauss<br />

Die musik aus der Oper „idomeneo“ von Wolfgang Amadeus mozart<br />

ist in russland zwar selten, aber doch hin und wieder zu vernehmen<br />

– etwa im mariinskij-Theater in st. petersburg oder diesjährig auf der<br />

Opernbühne bei den sommernachtskonzerten in Archangelskoje bei<br />

moskau. mozarts „idomeneo“ in der Version von richard strauss, die<br />

ende November am moskauer Boris-pokrowskij-musiktheater präsentiert<br />

wurde, ist in russland dagegen eine erstaufführung.<br />

inspiriert wurde die ungewöhnliche<br />

Premiere von der<br />

Musikkoryphäe Gennadij Roschdestwenskij,<br />

dem früheren Dirigenten<br />

des Bolschoi-Theaters<br />

und zahlreicher weiterer etablierter<br />

Sinfonieorchester rund<br />

um die Welt. Berühmt wurde er<br />

vor allem als interpret moderner<br />

und wenig gespielter klassischer<br />

Musik. „Warum sollte ich mich<br />

für bekannte Werke entscheiden?“<br />

Diese Frage ist sein Motto. Ebenso<br />

eigenwillig erklärt Roschdestwenskij<br />

sein persönliches inte-<br />

Von Tatjana Dattschenko<br />

resse an der Oper „idomeneo“<br />

damit, dass Richard Strauss das<br />

Mozartsche Frühwerk just im<br />

Geburtstagsjahr des Dirigenten<br />

– 1931 – für die Wiener Staatsoper<br />

völlig neu bearbeitete. Und<br />

das geschah genau 150 Jahre nach<br />

der Uraufführung von Mozarts<br />

Oper 1781. Roschdestwenskij hält<br />

die „Mozart-Strauss-Variante“ für<br />

„eine Symbiose zweier Genies“.<br />

Für die „opera seria“ wählte<br />

Mozart ein Sujet aus der Antike:<br />

Der kretische König idomeneus<br />

muss nach der Rückkehr vom trojanischen<br />

Krieg seinen eigenen<br />

Sohn opfern. Dem Hauptregisseur<br />

des Pokrowskij-Kammertheaters<br />

Michail Kisljarow, der die Regie<br />

bei „idomeneo“ übernahm, lag der<br />

Gedanke, „wie der weltweite, allumfassende<br />

Hass der Menschen<br />

untereinander überwunden werden<br />

kann“, besonders am Herzen.<br />

Auf der kleinen Szene muss sich<br />

die künstlerische Fantasie eher in<br />

Grenzen halten. Darum werden<br />

die Bühnenbilder vor schwarzem<br />

Hintergrund mit größter Effizienz<br />

ausgenutzt.<br />

Die Premiere von „idomeneo“<br />

leitet die Pokrowskij-Festspiele<br />

ein, die dem <strong>10</strong>0-jährigen<br />

Das durch den Chor repräsentierte Volk zeigt sich vom Vorhaben der Opfertat entsetzt.<br />

Geburtstag von Boris Pokrowskij<br />

gewidmet sind. Am 23. Januar<br />

20<strong>12</strong> – an seinem Geburtstag –<br />

wird der hervorragende Opernregisseur<br />

und Theatergründer<br />

mit einem Gala-Konzert geehrt.<br />

Gesungen wird „idomeneo“ auf<br />

Russisch. Für die erste Darbietung<br />

in Russland wurde extra eine neue<br />

Übersetzung angefertigt. Das ist<br />

im Sinne Pokrowskijs, der wollte,<br />

dass die Opern dem Publikum<br />

verständlich seien. Auf Deutsch<br />

werden im Zuge der Festspiele<br />

die prächtige „Zauberflöte“ und<br />

Albert Lortzings „Zar und Zimmermann“<br />

– mit russischen<br />

Sprechdialogen – gesungen.<br />

„idomeneo“ versucht, ohne<br />

Skandale und splitternackte Mädchen<br />

auf der Bühne – wie unlängst<br />

bei der Premiere von „Ruslan und<br />

Ludmila“ am neueröffneten Bolschoi<br />

geschehen – das Publikum<br />

FREIzEIT<br />

15<br />

durch grandiose Musik ins Theater<br />

zu locken. Wenn Maestro<br />

Roschdestwenskij am Dirigentenpult<br />

agiert, stehen die Chancen<br />

dafür sehr gut.<br />

„idomeneo“<br />

Boris-pokrowskij-musiktheater<br />

Ul. Nikolskaja 17<br />

Tel. (495) 606 7008<br />

m. ploschtschad rewoljuzii<br />

www.opera-pokrovsky.ru<br />

Michail Maisel (2)


16<br />

<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011

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