12 Vi 10 - Московская Немецкая Газета - MDZ-Moskau
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w w w . m d z - m o s k a u . e u<br />
Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />
UNABHÄNGIGE ZEITUNG FÜR POLITIK, WIRTSCHAFT UND KULTUR • GEGRÜNDET 1870<br />
Gute ReGie<br />
Die Bilanz des russischen<br />
Filmjahres 2011 kann sich<br />
sehen lassen. Wir<br />
<strong>10</strong><br />
stellen<br />
unsere Favoriten vor.<br />
„Gauner und Diebe, gebt uns die Wahlen zurück“,<br />
heißt es auf dem Spruchband an der Luschkow-<br />
Brücke. Im Hintergrund: die Kreml-Türme.<br />
Hände hoch und für<br />
faire Wahlen gestimmt:<br />
Mit solchen Flyern<br />
wurde für die Proteste<br />
am <strong>10</strong>. Dezember<br />
geworben.<br />
Schlechte ReGie<br />
Weitgehend unbeachtet von<br />
der Öffentlichkeit, ist Kabardino-Balkarien<br />
zur Unruheprovinz<br />
geworden.<br />
Die Qual der Wahl<br />
Bei den Parlamentswahlen vom 4. Dezember<br />
hatten viele Russen nach eigener Auffassung<br />
keine Wahl. Die trafen sie in den<br />
Tagen danach: Landesweit gingen Tausende<br />
auf die Straße, die meisten am <strong>10</strong>. Dezember<br />
bei einer denkwürdigen Kundgebung in<br />
<strong>Moskau</strong>. Auf dem Bolotnaja-Platz in Sichtweite<br />
des Kremls versammelten sich mehr als<br />
40 000 Menschen, um für faire Wahlen zu<br />
demonstrieren. Es war<br />
die größte Protestak tion<br />
seit 1991. 02,03<br />
Удивительная<br />
история<br />
Вторая мировая<br />
глазами историка Бориса<br />
Ковалева<br />
<strong>12</strong> <strong>Vi</strong><br />
„Hört auf zu lügen und zu stehlen“, fordert dieser<br />
Demonstrant.<br />
A u s g a b e v o m 1 5 . D e z e m b e r b i s 1 8 . J a n u a r<br />
Tino Künzel (8)
02<br />
impressum<br />
Herausgeber<br />
Olga Martens,<br />
Heinrich Martens<br />
redaktion<br />
Lena Steinmetz<br />
Redaktionsleiterin<br />
Dr. Olga Silantjewa<br />
Stellv. Chefredakteurin<br />
Tino Künzel<br />
(Titelseite, Blickpunkt, Feuilleton)<br />
Kathrin Aldenhoff (ifa-Redakteurin)<br />
(Feuilleton, Russland-Deutschland,<br />
Gesellschaft)<br />
Jochen Stappenbeck<br />
(Wirtschaft, Netzwelten, Freizeit)<br />
Korrektur<br />
Marina Lischtschinskaja ,<br />
Alexander Paissow<br />
Computersatz<br />
Andrej Morenko<br />
Designentwurf: Hans Winkler<br />
mDZ-Online<br />
(www.mdz-moskau.eu)<br />
Tino Künzel<br />
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Namentlich gekennzeichnete Artikel<br />
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Redaktionsschluss:<br />
14. Dezember 2011.<br />
Gedruckt in der Druckerei<br />
„Krasnaja Swesda“.<br />
Auflage 25 000 Expl.<br />
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не распространяется.<br />
Выпуск издания осуществлен<br />
при финансовой поддержке<br />
Федерального агентства по печати<br />
и массовым коммуникациям.<br />
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />
Fragen zu den Wahlprotesten<br />
Alle durften ihren Unmut zum Ausdruck bringen, einige aber nur heimlich<br />
3Wurde bei den Wahlen betrogen<br />
und wenn ja – in welchem Ausmaß?<br />
Der Stimmenanteil für „Einiges<br />
Russland“ liegt am unteren Ende<br />
der Prognosen von Wahlforschern,<br />
darunter auch vom renommierten<br />
unabhängigen Lewada-Zentrum.<br />
<strong>Vi</strong>ele Kommentatoren sprechen<br />
deshalb von der fairsten aller<br />
unfairen Wahlen in Russland.<br />
Kritiker behaupten jedoch, der<br />
Kreml habe lediglich ein noch<br />
weitaus schlechteres Ergebnis<br />
soweit geschönt, wie es öffentlich<br />
einigermaßen vertretbar gewesen<br />
sei. Als Beweis für diese These<br />
dokumentieren sie vor allem im<br />
internet zahlreiche Manipulationen<br />
und Manipulationsversuche,<br />
die sich durch ihre Schamlosigkeit<br />
auszeichnen. Obwohl den<br />
Verantwortlichen klar gewesen<br />
sein muss, dass der Schwindel<br />
auffliegt, meinten sie offenbar,<br />
nichts befürchten zu müssen. So<br />
wurden in <strong>Moskau</strong> gleich mehrere<br />
Protokolle von Wahllokalen nach<br />
der Auszählung und der Ausgabe<br />
von Kopien an die Wahlbeobachter<br />
über Nacht zu Gunsten<br />
von „Einiges Russland“ korrigiert.<br />
Bezeichnend auch, dass in den<br />
acht Stadtbezirken, in denen fälschungssichere<br />
elektronische<br />
Urnen zum Einsatz kamen, die<br />
Regierungspartei nur zwischen<br />
25,7 und 41,2 Prozent der Stimmen<br />
erreichte, während offiziell<br />
für <strong>Moskau</strong> 46,6 Prozent vermeldet<br />
wurden. Dmitrij Peskow, Sprecher<br />
von Wladimir Putin, redet die Zahl<br />
der „angeblichen Verstöße“ klein.<br />
Sie beträfen höchstens 0,5 Prozent<br />
aller Stimmen, sagte er, und<br />
hätten damit keinen Einfluss auf<br />
das Gesamtergebnis, selbst wenn<br />
sich die Vorwürfe bewahrheiten<br />
sollten. Ex-Finanzminister Alexej<br />
Kudrin glaubt dagegen, dass eine<br />
Neuauszählung in „wahrscheinlich<br />
Hunderten von Wahllokalen“<br />
geboten sei. im Radiosender „Echo<br />
Moskwy“ forderte er zudem Wahlleiter<br />
Wladimir Tschurow zum<br />
Rücktritt auf.<br />
Wie viele menschen nahmen an der<br />
Massendemo am <strong>10</strong>. Dezember in<br />
moskau teil?<br />
Da darauf noch oft Bezug genommen<br />
werden wird, möchte man es<br />
gern genau wissen. Die Angaben<br />
reichen jedoch von 25 000 (Polizei)<br />
bis <strong>10</strong>0 000 (Veranstalter). Eine<br />
derart große Differenz erklärt sich<br />
offenbar aus der interessenlage<br />
beider Seiten, die davon ausgegangen<br />
zu sein scheinen, dass das<br />
auch den Medien klar ist und sie<br />
die Unter- beziehungsweise Übertreibung<br />
von selbst relativieren.<br />
Die Protestaktion stellt gerade<br />
wegen ihrer Teilnehmerzahl ein<br />
Novum dar. Doch wären <strong>10</strong>0 000<br />
Menschen – das entspricht der<br />
Einwohnerzahl einer deutschen<br />
Großstadt wie Cottbus oder<br />
Koblenz – auf einer Fläche von<br />
600 mal 90 Metern unterzubringen?<br />
Wohl kaum. So groß ist aber<br />
der Bolotnaja-Platz. Wie Luftaufnahmen<br />
zeigen, war er nicht ganz<br />
zur Hälfte gefüllt. Doch weil sich<br />
die Menschen auch auf der Luschkow-Brücke<br />
und am gegenüberliegenden<br />
Ufer drängten, könnte<br />
man insgesamt 50 Prozent der<br />
54 000 Quadratmeter Fläche veranschlagen,<br />
also 27 000 Quadratmeter.<br />
Experten berechnen Menschenmengen<br />
nach dem Faktor 1<br />
bis 1,5 pro Quadratmeter. Da die<br />
Protestler speziell vor der Bühne<br />
dicht an dicht standen, ist hier der<br />
Maximalwert sinnvoll. Das ergibt<br />
summa summarum eine Teilnehmerzahl<br />
von 40 500. Wegen des<br />
Kommens und Gehens im Verlaufe<br />
mehrerer Stunden sollte jedoch<br />
von einigen Tausend Menschen<br />
mehr ausgegangen werden.<br />
Wer waren die Teilnehmer?<br />
Menschen aller Altersgruppen,<br />
die meisten vermutlich überhaupt<br />
nicht gesellschaftlich organisiert.<br />
Vertreter unterschiedlichster<br />
Bewegungen, von den Liberalen<br />
über die Kommunisten bis zu<br />
den Nationalisten. Aktivisten der<br />
Homosexuellen-Szene wollten<br />
ein Transparent für faire Wahl-<br />
Die zehn Regionen mit dem höchsten Stimmenanteil für „Einiges<br />
Russland“ (in Prozent):<br />
Tschetschenien (99,5), Mordwinien (91,6), Dagestan (91,4),<br />
inguschetien (91,0), Karatschajewo-Tscherkessien (89,8), Tuwa<br />
(85,3), Kabardino-Balkarien (85,3), Tatarstan (77,9), Jamal-Nenzen-<br />
Autonomiebezirk (71,7), Baschkortostan (70,5). Freie Willensbekundung<br />
vorausgesetzt, wird die Regierungspolitik demnach besonders<br />
in den Nationalrepubliken im Kaukasus und anderswo geschätzt.<br />
20. bis 22. August<br />
1991<br />
Politischer Protest in <strong>Moskau</strong>:<br />
Die größten Aktionen der letzten 20 Jahre<br />
Großdemonstrationen gegen die Reformgegner aus dem so genannten<br />
„Notstandskomitee“, das nach der Macht im Lande trachtet. Auf<br />
dem Platz vor dem „Weißen Haus“ – dem heutigen Regierungssitz,<br />
damals Sitz des Obersten Sowjets Russlands – kommen am 20. August<br />
1991 mehr als <strong>10</strong>0 000 Menschen zusammen.<br />
3. Oktober 1993 Das Parlament verweigert sich Präsident Boris Jelzin und mobilisiert<br />
einige Zehntausend Anhänger auf dem Oktoberplatz, die dann die<br />
Absperrung durch OMON-Sonderpolizei durchbrechen.<br />
31. März 2001 Massenveranstaltung gegen die De-facto-Verstaatlichung des bis<br />
dahin unabhängigen Fernsehsenders NTW auf dem Puschkinplatz. Die<br />
Teilnehmerzahl wird vom Staatsfernsehen mit 2 000 und von den Veranstaltern<br />
mit 20 000 beziffert.<br />
16. Dezember 2006,<br />
14. April, 11. Juni,<br />
24. November 2007<br />
„Märsche der Nichteinverstandenen“, organisiert von der außerparlamentarischen<br />
Opposition. Es handelt sich um genehmigte Kundgebungen<br />
ohne Genehmigung für Märsche. Zwischen 1 000 und 6 000<br />
Teilnehmer.<br />
22. August 20<strong>10</strong>: Konzert auf dem Puschkinplatz gegen den Autobahnbau durch den<br />
Chimki-Wald. Nach unterschiedlichen Quellen zwischen 2 000 und<br />
5 000 Teilnehmer.<br />
31. Oktober 20<strong>10</strong> Erste genehmigte Aktion der „Strategie 31“ auf dem Triumphplatz. Es<br />
kommen nach Polizeiangaben 800 Menschen, die Veranstalter sprechen<br />
von 3 000 – mehr als je davor und danach.<br />
5. Dezember 2011 Bei einer genehmigten Kundgebung nach den Dumawahlen bei der<br />
Metrostation Tschistyje Prudy fordern nach Schätzungen von Journalisten<br />
5 000 bis 7 000 Menschen freie Wahlen.<br />
6. Dezember 2011 Die Polizei löst auf dem Triumphplatz eine nicht genehmigte Veranstaltung<br />
gegen Wahlbetrug auf, an der zwischen 2 000 und 5 000<br />
Menschen teilnahmen.<br />
<strong>10</strong>. Dezember 2011 Eine Demonstration auf dem Bolotnaja-Platz richtet sich gegen Wahlbetrug.<br />
Den Aufruf unterstützen vor Ort schätzungsweise 40 000 bis<br />
50 000 Menschen.<br />
en und eine Regenbogen-Fahne<br />
entfalten, die ihnen aber von den<br />
Nationalisten entrissen wurden.<br />
Der gemeinsame Protest war<br />
ganz offenbar nicht aus sozialer<br />
Not geboren. Eher ist das Gegenteil<br />
der Fall: Gerade weil viele<br />
Russen inzwischen der größten<br />
materiellen Sorgen ledig sind,<br />
richten sie ihr Augenmerk immer<br />
mehr auf die staatsbürgerliche<br />
Bevormundung. Wirtschaftlich<br />
den aufrechten Gang geübt zu<br />
haben, um dann in zivilgesellschaftlichen<br />
Dingen nicht mitreden<br />
zu dürfen, erscheint ihnen<br />
zunehmend absurder. Alexej<br />
Wenediktow, Chefredakteur des<br />
Radiosenders „Echo Moskwy“,<br />
sprach deshalb davon, es habe<br />
sich „nicht um eine politische,<br />
sondern eine ethische Demonstration“<br />
gehandelt.<br />
Zusammengestellt von<br />
Tino Künzel.<br />
Die zehn Regionen mit dem niedrigsten Stimmenanteil für „Einiges<br />
Russland“ (in Prozent):<br />
Gebiet Jaroslawl (29,0), Gebiet Archangelsk (31,8), Gebiet Murmansk<br />
(32,0), Karelien (32,3), <strong>Moskau</strong>er Umland (32,4), Gebiet Swerdlowsk/<br />
Jekaterinburg (32,7), Stadt St. Petersburg (33,0), Gebiet Wologda (33,4),<br />
Meeresrandbezirk/Wladiwostok (33,4), St. Petersburger Umland<br />
(33,7). Die politisch unzufriedensten Russen leben vor allem in der<br />
Mitte und im Norden von Russlands europäischem Teil.<br />
Tino Künzel
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />
Russland ist nicht Ägypten<br />
Die Demonstranten haben etwas zu verlieren, sagt Alexander Archangelskij<br />
Was bedeuten die proteste in<br />
moskau und anderswo? Die mDZ<br />
sprach dazu mit dem namhaften<br />
Literaturhistoriker, publizisten<br />
und Fernsehmoderator Alexander<br />
Archangelskij.<br />
Herr Archangelskij, warum erreicht<br />
der unmut gerade jetzt ein sichtbares<br />
Ausmaß?<br />
Nehmen wir meine Studenten:<br />
Früher sind sie nie zu Wahlen<br />
gegangen. Sie haben sich nicht für<br />
Politik interessiert, sondern Geld<br />
verdient und ihr eigenes Leben<br />
aufgebaut. Das Besondere an den<br />
Parlamentswahlen war, dass viel<br />
mehr junge Menschen, Erstwähler<br />
und die Mittelschicht ihre Stimme<br />
abgegeben haben.<br />
Aus welchem Grund?<br />
Sie haben eine Verbindung zwischen<br />
der Politik und ihrem Leben<br />
hergestellt. Das ist eine wichtige<br />
Entwicklung.<br />
Wie erklären sie sich das?<br />
Russlands politisches internet<br />
war schon immer sehr aktiv, seine<br />
Reichweite aber relativ begrenzt.<br />
Es gab zwei Gruppen von Menschen:<br />
Die erste Gruppe bezog<br />
ihre informationen aus dem staatlichen<br />
Fernsehen, ging zur Wahl<br />
und stimmte für die Regierenden.<br />
Die zweite Gruppe nutzte als<br />
informationsquelle hauptsächlich<br />
das internet, ging nicht zu den<br />
Wahlen und schimpfte wiederum<br />
im internet auf die Machthaber.<br />
Beide Gruppen kamen nicht<br />
zusammen.<br />
Das Verbot der Demonstration<br />
begründeten die Behörden damit,<br />
dass zur gleichen Zeit und am<br />
gleichen Ort angeblich eine Massenveranstaltung<br />
zum „Tag des<br />
Volksschaffens“ geplant sei. Alexej<br />
Kostylew, Chefredakteur des Südbüros<br />
der informationsagentur<br />
„FederalPress“, sieht darin allerdings<br />
nur einen weiteren Versuch,<br />
die Aktionen der Opposition zu<br />
behindern, wo immer es geht.<br />
Der <strong>MDZ</strong> sagte der Journalist:<br />
„in letzter Zeit hat es in der Welt<br />
schon eine ganze Reihe von farbigen<br />
Revolutionen gegeben, die<br />
und das hat sich nun verändert?<br />
Ja, aus der virtuellen Welt hat<br />
sich eine Tür in die reale Welt<br />
geöffnet. Menschen, die sich<br />
vorher nur in Foren artikuliert<br />
hatten, sind zu den diesjährigen<br />
Wahlen gegangen. Als dann die<br />
ersten Wahlergebnisse feststanden<br />
und Fälschungsvorwürfe aufkamen,<br />
haben sie auf der Straße<br />
protestiert.<br />
sehen sie parallelen zu den Aufständen<br />
in Ägypten, die ebenfalls<br />
größtenteils über soziale Netzwerke<br />
organisiert wurden?<br />
Das muss man trennen. Die<br />
Demonstranten in Ägypten waren<br />
Zum Beispiel Krasnodar<br />
Eine Demo durfte nicht überall eine Demo sein<br />
Am <strong>10</strong>. Dezember wurde landesweit in vielen Städten für freie Wahlen<br />
demonstriert, wenn auch in kleinerem rahmen als in moskau. meist<br />
waren die Kundgebungen genehmigt, allerdings gab es Ausnahmen.<br />
in der provinzhauptstadt Krasnodar im süden russlands erklärten die<br />
Teilnehmer den menschenauflauf deshalb kurzerhand zu einer Bürgersprechstunde.<br />
Die polizei griff zunächst nicht ein, ging aber später<br />
gegen Journalisten vor.<br />
Nicht genehmigt, aber friedlich:<br />
Demonstranten und Polizei verband<br />
in Krasnodar ein unausgesprochener<br />
Nichtangriffspakt. Die Presse kam nicht<br />
so glimpflich davon.<br />
Swetlana Berilo<br />
Die Umweltaktivistin Jewgenija Tschirikowa (Mitte) gehört zu den Köpfen der<br />
Protestbewegung. Links der Blogger Oleg Kosyrew.<br />
Von swetlana Berilo<br />
in gewisser Hinsicht den Amerikanern<br />
in die Hände gespielt haben<br />
oder sogar von ihnen unterstützt<br />
wurden. Unsere Machthaber wollen<br />
ein ähnliches Szenario in Russland<br />
verhindern.“<br />
Die freie Meinungsäußerung zu<br />
unterdrücken, könne jedoch den<br />
gegenteiligen Effekt erzeugen und<br />
die Handlungen der Opposition<br />
radikalisieren. Mit Verboten und<br />
Gewalt riskierten die Behörden<br />
nur eine soziale und politische<br />
Explosion, so Kostylew.<br />
Als sich die Teilnehmer der<br />
nicht genehmigten Kundgebung<br />
auf einer Straße in der Krasnodarer<br />
innenstadt einfanden, wurden<br />
sie von der Polizei und der<br />
Sondereinheit OON eingekesselt.<br />
Die Absperrung war weder nach<br />
innen noch nach außen durchlässig.<br />
Doch die Organisatoren<br />
fanden einen kreativen Weg, den<br />
Ring zu durchbrechen: Anwesende<br />
Abgeordnete deklarierten<br />
die Protestaktion über Megaphon<br />
kurzerhand zu einer öffentlichen<br />
Sprechstunde. Die Polizei, mit<br />
etwa 1 000 Beamten vor Ort, war<br />
damit verpflichtet, alle interessierten<br />
Bürger vorzulassen. ihr<br />
blieb nichts übrig, als sich zurückzuziehen.<br />
An der Demonstration nahmen<br />
ungefähr 2 000 Menschen teil.<br />
vorwiegend Menschen mit guter<br />
Ausbildung und Zugang zum<br />
internet, aber ohne Arbeit. in<br />
Russland haben die jungen Leute<br />
Arbeit, zumindest in den Großstädten.<br />
Sie sind in jeder Beziehung<br />
integriert in das moderne<br />
Leben. Die Ägypter hatten nichts<br />
zu verlieren. Von den Russen<br />
kann man das nicht behaupten.<br />
Das sind also ganz andere Verhältnisse.<br />
Was bei uns stattfindet,<br />
ist keine Revolution nach ägyptischem<br />
Muster.<br />
Das interview führte<br />
ina schönhals.<br />
Auf dem „Haus des Buches“ verfolgten<br />
rund <strong>10</strong>0 Journalisten das<br />
Geschehen. Beobachter merkten<br />
an, dass die Zahl der Schaulustigen<br />
größer war als der harte<br />
Kern der Demonstranten. Augenzeugen<br />
bescheinigten der Polizei,<br />
sich äußerst zuvorkommend und<br />
korrekt verhalten zu haben. Es<br />
gab aber auch keinerlei Grund für<br />
ein hartes Eingreifen. Die Protestler<br />
machten einen dermaßen entspannten<br />
Eindruck, als seien sie<br />
gekommen, um sich unter Freunden<br />
auszutauschen.<br />
Ohne Zwischenfälle endete die<br />
Veranstaltung aber trotzdem<br />
nicht. Als die Teilnehmer bereits<br />
nach Hause zu gehen begannen<br />
und Journalisten fotografierten,<br />
wie auch die Sonderpolizei ihre<br />
Bereitschaftswagen bestieg, wurden<br />
die Medienvertreter plötzlich<br />
festgenommen. Unter den etwa<br />
zehn Journalisten, die in Autos<br />
gezerrt wurden, war auch Andrej<br />
Koschik von „FederalPress“.<br />
Obwohl deutlich sichtbar als Pressemitarbeiter<br />
ausgewiesen, wurde<br />
Koschik aufgefordert, seine Tasche<br />
zu leeren. Die Sonderpolizisten<br />
löschten sämtliche Fotos aus dem<br />
Fotoapparat und dem Telefon des<br />
Journalisten, desweiteren SMS-<br />
Mitteilungen, das Adressbuch des<br />
Telefons und Tonaufzeichnungen.<br />
Als der Wagen sich bereits in<br />
Richtung eines Polizeireviers in<br />
Bewegung gesetzt hatte, gelang es<br />
anderen Journalisten und Dumaabgeordneten,<br />
die Freilassung der<br />
Festgenommenen zu erreichen.<br />
Koschik hat inzwischen bei den<br />
zuständigen Behörden gegen die<br />
Willkür Beschwerde eingereicht.<br />
Tino Künzel<br />
Manchmal muss geradezu der<br />
Eindruck entstehen, es gebe<br />
sie gar nicht – die Wähler von<br />
„Einiges Russland“. Oder sie<br />
seien gekauft, genötigt, nicht<br />
ganz bei Trost. Andere Motivationen<br />
schließt die Rhetorik der<br />
Opposition so gut wie aus. Aber<br />
ist damit der typische Wähler<br />
einer Partei beschrieben, die<br />
selbst ihre schärfsten Kritiker<br />
„fälschungsbereinigt“ irgendwo<br />
zwischen 20 und 40 Prozent<br />
vermuten? Das macht 13 bis 26<br />
Millionen Stimmen.<br />
Er habe die Regierungspartei<br />
gewählt, auch wenn ihm vieles<br />
an ihr missfalle, sagte der <strong>MDZ</strong><br />
ein Russe aus dem Uralvorland.<br />
Der Mittdreißiger ist im sozialen<br />
Bereich tätig. Mit der Entwicklung,<br />
die das Land genommen<br />
habe, sei er „im Großen<br />
und Ganzen zufrieden“, denn:<br />
„Es geht voran. Der Lebensstandard<br />
wächst. Und in meiner<br />
Kleinstadt wird viel gebaut.<br />
Wir haben eine neue Sporthalle<br />
bekommen, eine Eislaufhalle,<br />
neue Kinderspielplätze. in<br />
Kürze wird schon wieder eine<br />
Sporthalle eröffnet. Dann fehlt<br />
uns nur noch eine Schwimmhalle.“<br />
Ärgerlich sei jedoch, dass<br />
„Einiges Russland“ in der Öffentlichkeit<br />
jedes derartige Bauprojekt<br />
als eigene Leistung herausstelle.<br />
„Dabei ist es gar nicht<br />
ihr Geld. Unsere Sporthalle zum<br />
Beispiel hat Gasprom finanziert<br />
im Rahmen eines eigenen Programms<br />
für den Nachwuchssport.<br />
Andererseits sitzen an<br />
den Schaltstellen in den Verwaltungen<br />
überall Leute von<br />
,Einiges Russland‘, so dass Amt<br />
und Partei schwer auseinander<br />
zu halten sind.“<br />
BLICKPUNKT<br />
03<br />
Warum ich „Einiges Russland“ gewählt habe<br />
Mich freut, was ich gesehen habe.<br />
Das sind konstruktive, durchdachte<br />
Ansprüche an die Politik.<br />
Ansprüche von Leuten, die Eigentum<br />
haben, von der kreativen Klasse.<br />
Und das ist echt eine Wucht.<br />
Fernsehmoderatorin Tina Kandelaki in<br />
ihrem Twitter nach der Demo auf dem<br />
Bolotnaja-platz.<br />
Das waren Bürger des Landes Russland,<br />
denen nicht alles egal ist.<br />
Und die sagen: Hey, seid so gut<br />
und nehmt uns für voll. Wir sind<br />
das Volk, das euch angeheuert hat,<br />
damit ihr die Staatsgeschäfte lenkt.<br />
Wir zahlen euch dafür, dass ihr<br />
ehrlich seid, fleißig und verantwortungsvoll.<br />
Wenn ihr betrügt, könnt<br />
ihr verschwinden.<br />
Der einflussreiche Blogger rustem Agadamow<br />
(„drugoi“) im Livejournal.<br />
Die anderen Parteien, sagt<br />
der Mann, seien für ihn erst<br />
recht nicht wählbar gewesen. im<br />
Gegensatz zu den Vertretern von<br />
„Einiges Russland“ kenne man<br />
auch deren Kandidaten kaum.<br />
„Wenn Michail Prochorow angetreten<br />
wäre, dann hätte ich für<br />
seine Partei gestimmt. Er ist ein<br />
kluger Kopf, hat interessante<br />
ideen und setzt sie auch um.“<br />
Prochorow, Präsident der<br />
Onexim-Finanzgruppe, ist einer<br />
der erfolgreichsten russischen<br />
Unternehmer. Er steht auch dem<br />
nationalen Biathlon-Verband<br />
vor und ist Besitzer des Basketball-Klubs<br />
New Jersey Nets.<br />
Prochorow hat Russlands erstes<br />
Elektro-Auto, das Jo-Mobil,<br />
herausgebracht. Seine Stiftung<br />
fördert Kultur- und Bildungsinitiativen.<br />
Jetzt hat der Milliardär, der<br />
bereits drei Monate Vorsitzender<br />
der Partei „Rechte Sache“<br />
war, bevor er dem Kreml offenbar<br />
zu übermütig wurde, seine<br />
Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen<br />
im März 20<strong>12</strong><br />
angekündigt. Um gegen Wladimir<br />
Putin antreten zu können,<br />
muss er jedoch bis spätestens<br />
18. Januar zwei Millionen<br />
Unterschriften sammeln. So<br />
sieht es die Wahlgesetzgebung<br />
vor. Dem von Putin geschaffenen<br />
System prophezeite der<br />
46-Jährige zuletzt in seinem<br />
Blog den Zusammenbruch,<br />
wenn es sich nicht ändere. Zu<br />
„Einiges Russland“ schrieb er<br />
aber auch, dass die Partei sich<br />
mit ihrem Wahlprogramm<br />
wohltuend vom Populismus<br />
der anderen abgehoben habe<br />
und im Vergleich zu denen ein<br />
Muster an „Zurückhaltung und<br />
Konservatismus“ sei. tk<br />
„Wir sind das Volk“<br />
Stimmen zu den Wahlen und der Resonanz darauf<br />
„Das Schweigen der Lämmer ist<br />
zu Ende.“<br />
Aufschrift eines plakats auf dem<br />
Bolotnaja-platz.<br />
Die kaputte Fantasie mickriger<br />
Persönchen, die an unserer Ehrlichkeit<br />
zweifeln, interessiert mich<br />
wenig.<br />
Wahlkommissions-Leiter Wladimir<br />
Tschurow im Wochenjournal „itogi“.<br />
„Einiges Russland“ hat exakt das<br />
bekommen, was es gegenwärtig<br />
wert ist, nicht mehr und nicht<br />
weniger. Insofern waren das faire,<br />
gerechte, demokratische Wahlen.<br />
präsident Dmitrij medwedew, spitzenkandidat<br />
von „einiges russland“,<br />
vor Anhängern.<br />
Zusammengestellt<br />
von Tino Künzel.
04<br />
WIRTSCHAFT<br />
Recht<br />
KurZ u n d KNApp<br />
Änderungen im<br />
Monopolrecht<br />
Präsident Medwedew hat das Basisgesetz<br />
des „Dritten Antimonopolpaketes“<br />
unterzeichnet. Es präzisiert die<br />
Regelungen für die Einstufung von<br />
Preisen als Monopolpreise, insbesondere<br />
die Unmöglichkeit, die sich auf<br />
Basis des Börsenhandels gebildeten<br />
Preise als Monopolpreise einzustufen.<br />
Das Gesetz kürzt die Liste der Verbote<br />
von Absprachen und koordinierter<br />
Handlungen von Wirtschaftssubjekten<br />
und damit die Grundlagen für<br />
die Einstufung als Kartell.<br />
Neu ist die Ausweitung der Rechte<br />
und die Gewährung zusätzlicher<br />
Befugnisse für den russischen Antimonopoldienst.<br />
Nun kann die Kartellbehörde<br />
staatliche Ausschreibungen,<br />
die unter Verletzung von Vorschriften<br />
durchgeführt wurden, aussetzen.<br />
investitionspartnerschaft<br />
Seine Unterschrift setzte Dmitrij Medwedew<br />
auch unter ein Gesetzespaket,<br />
das eine neue Form der gemeinsamen<br />
Tätigkeit in den zivilrechtlichen Verkehr<br />
einbringt: die Investitionspartnerschaft.<br />
Die wesentliche Komponente<br />
des Gesetzespakets ist das<br />
Föderale Gesetz „Über die Investitionspartnerschaften“<br />
(im Folgenden<br />
„Gesetz“), das bereits zum 1. Januar<br />
20<strong>12</strong> in Kraft tritt.<br />
Die Investitionspartnerschaft ist eine<br />
neue Form des Vertragsverhältnisses<br />
zur Ausübung gemeinsamer Investitionstätigkeit<br />
ohne Gründung einer<br />
juristischen Person. Die Gestaltung<br />
der Investitionspartnerschaft wird an<br />
eine der am weitesten verbreiteten<br />
und für die Investoren annehmbarsten<br />
Formen kollektiver Investitionstätigkeit<br />
in der Risikokapitalbranche im<br />
Ausland angenähert: die limited partnership.<br />
Durch das Gesetz soll Kapital<br />
zur Finanzierung innovativer Projekte<br />
in Russland gewonnen werden.<br />
Gericht für geistiges<br />
Eigentum<br />
Bis zum 1. Februar 2013 soll ein<br />
Gericht für geistiges Eigentum<br />
geschaffen werden. Das Gericht<br />
wird ein spezialisiertes Arbitragegericht<br />
sein, das entsprechende<br />
Streitigkeiten in erster Instanz und<br />
in Kassationsinstanz verhandelt.<br />
In die Zuständigkeit des Gerichts<br />
sollen Fälle der Anfechtung von<br />
normativrechtlichen Akten föderaler<br />
Exekutivbehörden fallen, die<br />
die Rechte und rechtmäßigen Interessen<br />
des Antragstellers im Bereich<br />
des Schutzes von geistigem Eigentum<br />
und Individualisierungsmitteln<br />
berühren. In die Zuständigkeit des<br />
geplanten Gerichts fallen außerdem<br />
Streitigkeiten im Bereich der Gewährung<br />
oder Beendigung des Schutzes<br />
geistigen Eigentums – mit Ausnahme<br />
von Urheberrechten und gemischten<br />
Rechten sowie Mikrochip-Plänen.<br />
Die genannten Rechtssachen werden<br />
vom Gericht unabhängig davon<br />
verhandelt, ob die Parteien der<br />
Rechtsverhältnisse, aus denen die<br />
Streitigkeit entstand, Unternehmen,<br />
Einzelunternehmer oder natürliche<br />
Personen sind.<br />
Dieser Infodienst wird unterstützt von<br />
Wirtschaftsprüfer, Steuerberater,<br />
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Elektrosawodskaja Uliza 27,<br />
Gebäude 2, <strong>10</strong>7023 <strong>Moskau</strong><br />
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Den Spieß umdrehen<br />
Ohne Utopien wäre die Realität<br />
nur halb so interessant: Ab<br />
2020 will die russische Regierung<br />
den Gemüse-Bedarf der Bevölkerung<br />
komplett aus einheimischem<br />
Anbau befriedigen. Gegenüber<br />
13,5 Millionen Tonnen, die derzeit<br />
produziert werden, müssten<br />
dann etwa 40 Millionen Tonnen<br />
geerntet werden. Derweilen<br />
nimmt der import rasant zu und<br />
dürfte mit dem WTO-Beitritt erst<br />
richtig an Fahrt gewinnen. Es ist<br />
ein Wettrennen mit der Zeit. Zur<br />
Realisierung der Regierungspläne<br />
sind besonders zwei Faktoren<br />
von herausragender Bedeutung:<br />
Erstens muss die Gewächshausproduktion<br />
angekurbelt werden.<br />
Die Anlagen, die derzeit in Betrieb<br />
sind, wurden zu 70 Prozent vor<br />
über 35 Jahren errichtet, berichtet<br />
die stellvertretende Vorsitzende<br />
der Assoziation „Russlands<br />
Gewächshäuser“, Tatjana Kulik,<br />
gegenüber dem Wirtschaftsjournal<br />
„Dengi“. Ein staatliches Programm<br />
zum Bau neuer Gewächshäuser<br />
werde seit längerem versprochen,<br />
stehe aber noch aus.<br />
Zweitens muss der Verbrauchergeschmack<br />
auf frische und<br />
gute, aber nicht überteuerte<br />
Ware sensibilisiert und bedient<br />
werden. Frisch und ökologisch<br />
unbedenklich kann nur einheimischer<br />
Anbau sein, der im idealfall<br />
direkt von der Scholle auf<br />
den Teller kommt, vom Bauer<br />
zum Verbraucher. Die meisten<br />
Verbraucher können „lebendige“,<br />
geschmacksintensive von faden<br />
Lebensmitteln, die einen langen<br />
Weg und viele Bearbeitungsverfahren<br />
hinter sich haben, immer<br />
noch unterscheiden. „Der Trend,<br />
nach Lebensmitteln aus erster<br />
Hand zu suchen, war für uns das<br />
Wirtschaft braucht Freiheit<br />
michael Harms<br />
Vorstandsvorsitzender AHK<br />
Unter Ludwig Erhard wurde<br />
der Begriff der sozialen Marktwirtschaft<br />
erst in den deutschen<br />
Sprachgebrauch und dann als wirtschaftliche<br />
Doktrin eingeführt.<br />
im Wesentlichen meint dieses<br />
Wirtschaftssystem, die Gewährung<br />
der maximalen Freiheit aller<br />
Marktteilnehmer zu schützen und<br />
Von Jochen stappenbeck<br />
Startsignal für das Experiment,<br />
das nun schon zwei Jahre dauert<br />
und sehr erfolgreich ist. Wir<br />
beziehen unser Gemüse direkt<br />
aus dem Gebiet Susdal“, erläutert<br />
Wladislaw Jegorow, Vorsitzender<br />
des Direktoriums der <strong>Moskau</strong>er<br />
Lebensmittelkette ABK, gegenüber<br />
der <strong>MDZ</strong>. Das Unternehmen<br />
wurde 1992 gegründet und<br />
betreibt heute 38 Geschäfte in<br />
<strong>Moskau</strong>. Mit 1 <strong>10</strong>0 Mitarbeitern,<br />
einem eigenen Logistikzentrum<br />
und einem Jahresumsatz von<br />
umgerechnet 75 Millionen Euro<br />
lässt es sich dem Mittelstand<br />
zuordnen.<br />
ABK führt bei den einzelnen<br />
Gemüseanbauern Direktkontrolle<br />
auf dem Feld durch und schafft<br />
die Ware mit eigenen Transportmitteln<br />
nach <strong>Moskau</strong>. Der kommerzielle<br />
Vorteil ist die Umgehung<br />
des Großhandels. Dadurch<br />
wird die Ware auf einem niedrigen<br />
Preisniveau gehalten. in<br />
diesem Jahr sind in den ABK-<br />
Läden die Verkaufszahlen von<br />
Gurken um das Dreifache gegenüber<br />
dem letzten Jahr gestiegen,<br />
so Maxim Sigatschow, Manager<br />
für den Gemüseankauf. Für das<br />
nächste Jahr wird eine weitere<br />
Verdoppelung der Gemüsemenge<br />
angestrebt, das wären 800 Tonnen<br />
gegenüber 400 Tonnen im Jahr<br />
2011. Letztlich gewinnen alle von<br />
dieser Lösung: Die Verbraucher<br />
kommen an unbedenkliche Ware<br />
und die Bauern profitieren von<br />
der Abnahmegarantie und dem<br />
Anreiz, ihre Produktion zu steigern.<br />
Früher mussten sie direkt zu<br />
den Märkten fahren. „Besonders<br />
wichtig bei der Arbeit in den Regionen<br />
sind die guten Beziehungen<br />
zu den Bauern, das Eingehen auf<br />
die Besonderheiten, die saisonalen<br />
für sozialen Ausgleich innerhalb der<br />
Gesellschaft zu sorgen. Dadurch<br />
wird fairer Wettbewerb garantiert<br />
und die besten Anbieter haben die<br />
größten Chancen, am Markt zu<br />
bestehen. Kartelle, Preisabsprachen<br />
zu Ungunsten des Verbrauchers<br />
und Monopole sollen weitgehend<br />
ausgeschlossen sein. Die bis heute<br />
einmalige Wettbewerbsfähigkeit der<br />
deutschen Wirtschaft, insbesondere<br />
des Mittelstandes, beweist die Richtigkeit<br />
dieser idee.<br />
Am <strong>10</strong>. Dezember versammelten<br />
sich Zehntausende Russen explizit,<br />
um gegen die Art und Weise<br />
der Durchführung der Wahlen zur<br />
Staatsduma zu protestieren. implizit<br />
forderten sie aber auch mehr Liberalität,<br />
mehr Transparenz und mehr<br />
Wettbewerb im politischen und<br />
damit auch im Wirtschaftssystem.<br />
Die zu neuem Leben erwachte<br />
Zivilgesellschaft forderte keinen<br />
radikalen Umbruch, keine revolutionäre<br />
ideen oder drastische Maßnahmen.<br />
Die Russen wollen mehr<br />
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />
Russland will beim Gemüsekonsum autark werden – eine Einzelhandelskette macht es vor<br />
Den Anschluss an den Weltmarkt hat russland in vielen Branchen verloren,<br />
was in den kommenden Jahren mit einer immer größeren importzunahme<br />
schmerzlich zu spüren sein wird. Was für hochtechnologische<br />
produkte verständlich sein mag, ist für Nutzpflanzen, die ohne besonderes<br />
Know-how in den Böden des größten Flächenlandes der Welt<br />
wachsen können, indes ein Rätsel. 60 Prozent des Obst- und Gemüseverbrauchs<br />
werden durch den import gedeckt. Ansätze zur Lösung dieses<br />
rätsels bieten initiativen wie die einer moskauer einzelhandelskette, die<br />
Verbraucher und erzeuger enger zueinander führt.<br />
Ob importiert oder einheimisch: Gemüse ist gut für die Phantasie. Der Fotograf<br />
Carl Warner beweist es in seiner „food art".<br />
Verhältnisse“, erklärt Sigatschow.<br />
Um Vertrauen aufzubauen und<br />
gute Geschäftsbeziehungen zu<br />
pflegen, stehe ab und zu gemeinsames<br />
Pilzesammeln an. Probleme<br />
gab es zunächst mitunter in<br />
Finanzangelegenheiten. „Wir zahlen<br />
rechtzeitig. Eben vertragskonform,<br />
völlig normal. Aber wer das<br />
in Russland macht, erzeugt den<br />
Anschein, besonders reich zu sein.<br />
Das bringt Druck in die Preisverhandlungen“,<br />
sagt Jegorow. insgesamt<br />
werde aber Zuverlässigkeit<br />
geschätzt und auch die Fähigkeit,<br />
hart in den eigenen Positionen zu<br />
sein, was die Qualitätsanforderungen<br />
betrifft.<br />
Das Angebot will ABK stetig<br />
erweitern. „Bislang wurde stillschweigend<br />
hingenommen, dass<br />
zum Beispiel Blumenkohl importiert<br />
wird, heute kommt er aus<br />
Susdal und ist halb so teuer.<br />
Warum er überhaupt importiert<br />
werden muss, ist absurd. Blumenkohl<br />
wächst genauso gut in<br />
der russischen Erde wie in neuseeländischer.“<br />
Und die langen<br />
Winter in Russland? Die Gegend<br />
um Susdal hat eine recht lange<br />
natürliche Anbauzeit. Vom 3.<br />
Juni bis 6. September dauert zum<br />
Beispiel die Gurkenernte, das ist<br />
ein Monat länger als in anderen<br />
Regionen. Die Herausforderung<br />
bestehe darin, die unbehandelten<br />
Teilhabe, den Aufbruch des zwar<br />
stabilen, aber verkrusteten Systems,<br />
den Rückzug des Staates und seiner<br />
Beamten aus der Wirtschaft und<br />
eine Wahl zwischen wirklichen<br />
Alternativen. im Grunde genommen<br />
sind es die ideen der sozialen<br />
Marktwirtschaft, der Wunsch nach<br />
unternehmerischer Freiheit, nach<br />
individueller Entfaltung und nach<br />
dem freien Spiel der Kräfte.<br />
Dass die Demonstrationen friedlich<br />
verlaufen sind, könnte ein erstes<br />
Zeichen von gegenseitigem Respekt<br />
sein. Wenn es gelingt, innerhalb<br />
der bestehenden Ordnung mehr<br />
Pluralität zu etablieren, in einen<br />
Diskurs einzutreten, der allen Fraktionen<br />
die Möglichkeit gibt, am<br />
Meinungsbildungsprozess teilzuhaben,<br />
und die Wirtschaft von ihren<br />
Fesseln befreit wird, dann wird die<br />
Evolution Russlands gelingen. Die<br />
Wirtschaft hat sich immer dort am<br />
besten entwickelt, wo die Marktbeschränkungen<br />
auf ein Minimum<br />
reduziert wurden. Mehr Freiheit<br />
Produkte schnell zu verkaufen, da<br />
es bislang noch keine Lager gibt.<br />
Den entscheidenden Schritt vom<br />
Experiment zu einem stabilen<br />
Geschäft erwartet Jegorow deshalb<br />
vom Aufbau einer infrastruktur<br />
zur Aufbewahrung des Gemüses<br />
und seiner Erstverarbeitung. Das<br />
soll in unmittelbarer Nähe von<br />
Susdal geschehen. Der Boden im<br />
<strong>Moskau</strong>er Gebiet sei erstens viel<br />
zu teuer, zweitens würden sich<br />
außerhalb der <strong>Moskau</strong>er Einflusssphäre<br />
die Unternehmer nicht wie<br />
Bittsteller fühlen, sondern würden<br />
als Partner anerkannt, von denen<br />
neue Arbeitsplätze und Steuern<br />
erwartet werden, so Jegorow. Die<br />
Zusammenführung von Produktion<br />
und Vertrieb wird wahrscheinlich<br />
noch weiter gehen:<br />
„Die erworbenen Flächen erlauben<br />
eigene Produktion. Uns ist<br />
zwar die Verarbeitung näher, der<br />
Verkauf, die Arbeit mit der Handelsmarke,<br />
andererseits gibt es<br />
jetzt viele arbeitslose Agronomen<br />
auf dem Markt, die beschäftigt<br />
werden können.“ Die großen landwirtschaftlichen<br />
Betriebe entlassen<br />
Fachleute und die Kleinbauern<br />
vertrauen auf ihre eigenen<br />
Kräfte. „Es wäre schade, das nicht<br />
zu nutzen, was uns aus der Vergangenheit<br />
mitgegeben wurde: die<br />
Kenntnisse und Erfahrungen von<br />
Spezialisten“, resümiert Jegorow.<br />
in den Entscheidungen würde auch<br />
mehr Vertrauen bedeuten, Vertrauen<br />
der Russen in ihr eigenes Land,<br />
Vertrauen der Anleger in russische<br />
Werte, Vertrauen der investoren in<br />
einen Markt, der langfristig attraktiv<br />
ist. Wenn diese Veränderung<br />
gelingt, dann würden die bisher eher<br />
postulierten als gelebten Grundsätze<br />
der russischen Wirtschaftspolitik<br />
wesentlich einfacher umzusetzen<br />
sein: Modernisierung, Diversifizierung,<br />
mehr Wettbewerb. Und mit<br />
dem Beitritt zur WTO ist auch der<br />
Weg aus und nach Russland einfacher.<br />
Wir betrachten die derzeitige<br />
Entwicklung als große Möglichkeit.<br />
Wirtschaft braucht Freiheit und<br />
freie Märkte.<br />
in diesem Sinn wünsche ich ihnen<br />
ein gesegnetes Weihnachtsfest und<br />
ein gesundes und erfolgreiches Jahr<br />
20<strong>12</strong>.<br />
ihr<br />
Michael Harms<br />
wikimedia.com
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />
Niedrigere Einfuhrzölle auf<br />
Nahrungsmittel und weniger Subventionen<br />
für die Landwirtschaft:<br />
Russland hat im Zuge der Beitrittsverhandlungen<br />
zur Welthandelsorganisation<br />
eine Reihe von<br />
Zugeständnissen im Agrarbereich<br />
gemacht. Die durchschnittlichen<br />
Agrarzölle werden sogar noch<br />
unter denen der EU liegen. Davon<br />
profitieren künftig auch deutsche<br />
Exporteure von Lebensmitteln.<br />
Noch wichtiger ist die Neuerung,<br />
dass Russland europäische Veterinär-<br />
und Pflanzenschutzstandards<br />
übernimmt.<br />
Bei landwirtschaftlichen Er zeugnissen<br />
werden die gebundenen<br />
Durchschnittszolltarife auf im portprodukte<br />
von 15,6 auf 11,3 Prozent<br />
sinken, schreibt das Wirtschaftsjournal<br />
Expert. Deutsche Experten<br />
rechnen künftig mit einem durchschnittlichen<br />
Zollsatz von 11,5<br />
Prozent. Das ist zwar höher als der<br />
russische Durchschnittszoll auf<br />
industriewaren, aber niedriger als<br />
die importzölle der EU auf Agrarerzeugnisse.<br />
Für etwa ein Drittel aller Agrarprodukte<br />
gelten die neuen Zölle<br />
Von Jochen stappenbeck<br />
Olga Usskowa ist eine der erfolgreichsten<br />
weiblichen Führungskräfte in der russischen<br />
iT-Branche. Neben dem Unternehmen<br />
Cognitive Technologies leitet sie die Assoziation<br />
NAiRiT, die 2006 im Rahmen eines<br />
Präsidentenprogrammes gegründet wurde.<br />
Bei einer Pressekonferenz anlässlich der<br />
Präsentation des Jahresberichts über den<br />
innovationssektor und die iT-Branche in<br />
Russland äußerte sich Usskowa zum Rating<br />
der korruptesten Organisationen und Fonds,<br />
die innovative Projekte verwalten. Es wurden<br />
im Laufe von drei Monaten in 40 russischen<br />
Regionen 2 500 führende Branchenexperten<br />
gebeten, aus ihrer Praxis und nach ihrem<br />
Dafürhalten die bestechlichsten Organisationen<br />
zu nennen. Durch ihre häufigste Nennung<br />
und negativste Bewertung erhielten<br />
die für die Nanotechnologie zuständige<br />
Staatsholding Rosnano sowie das Wirtschaftsministerium<br />
die Höchstnote „maximal“.<br />
Auf die zweite Stufe „sehr hoch“<br />
kamen die Ministerien für Bildung und<br />
Wissenschaft, Kommunikation, industrieund<br />
Handel sowie die föderale Agentur für<br />
die Angelegenheiten der Jugend. Auf nur<br />
noch „hoch“ kamen die Russischen Fonds für<br />
Venture-Kapital und Grundlagenforschung<br />
sowie der Skolkowo-Fonds. Gegenüber dem<br />
Nachrichtenportal Cnews.ru teilte Olga<br />
Usskowa mit, dass sie mit den einzelnen<br />
Plätzen nicht ganz einverstanden ist. Die<br />
Von Bernd Hones (gtai)<br />
gleich ab WTO-Beitritt, für ein<br />
weiteres <strong>Vi</strong>ertel drei Jahre später.<br />
Für andere Produkte, wie<br />
etwa Rind- und Schweinefleisch,<br />
wurden Quoten festgeschrieben,<br />
innerhalb derer ein niedrigerer<br />
Zolltarif gilt als bei Überschreitung<br />
der Quote.<br />
So sinken zwar die Quoten für<br />
Schweinefleisch von 500 000 auf<br />
430 000 Tonnen pro Jahr, aber<br />
dafür verschwinden die Zölle auf<br />
das im Rahmen dieser Quote eingeführte<br />
Fleisch. Zum heutigen<br />
Zeitpunkt betragen sie noch 15<br />
Prozent. Ab 2020 sollen dann<br />
selbst die Quoten entfallen und<br />
durch einen einheitlichen Zollsatz<br />
von 25 Prozent auf Schweinefleisch<br />
ersetzt werden.<br />
Außerdem fallen die Zollsätze<br />
auf lebende Schweine von 40<br />
auf fünf Prozent. Das dürfte dem<br />
import von Masttieren an die<br />
russische Schlachtbank neuen<br />
Aufwind geben. Experten rechnen<br />
damit, dass künftig wieder<br />
über eine Million lebender Mastschweine<br />
nach Russland geliefert<br />
werden – pro Jahr. Zumindest<br />
wurden 2009 vor Einführung<br />
von Wassilij Jakimenko, dem ehemaligen<br />
„Naschi“-Chef, geführte Jugendagentur sei in<br />
der Bestechlichkeit nicht einmal durch das<br />
Bildungs- und Wissenschaftsministerium<br />
zu übertreffen. Auf die Frage von Cnews.ru<br />
schätzte Usskowa die korruptionsbedingten<br />
Verluste im iT-Bereich, der rund ein <strong>Vi</strong>ertel<br />
aller Zuwendungen aus den föderalen und<br />
regionalen Budgets bekommt, auf derzeit 60<br />
bis 65 Prozent. Das seien rund fünf bis zehn<br />
Prozent weniger als 20<strong>10</strong>, aber noch vier<br />
Mal mehr als in den 90er Jahren. in Zahlen<br />
ausgedrückt wanderten damit 2011 von<br />
umgerechnet 7,5 Milliarden Euro für die iT-<br />
Branche 4,5 Milliarden Euro in die Taschen<br />
der Beamten und ihrer Komplizen.<br />
Usskowa führte weitere ermutigende Zeichen<br />
auf: erstens den Anstieg der juristischen<br />
Kompetenz unter den Entwicklern<br />
der innovationsprogramme, die sich unter<br />
anderem in der gestiegenen Anzahl registrierter<br />
Patente ausdrücke. Zweitens sei<br />
die in sozialer und wirtschaftlicher Effizienz<br />
gemessene Qualität der innovationsprogramme<br />
mittlerweile sehr hoch. Nur<br />
noch Japan und israel würden es besser<br />
machen. Deutschland nimmt den vierten<br />
Platz ein. Die Ausrichtung mit dem stärksten<br />
Vorwärtsdrang nehmen nach NAiRiT<br />
die Technologien der virtuellen Realität<br />
ein, insbesondere Software für Roboter<br />
und Biotechnologie. Zu den größten Flops<br />
in der innovationssphäre zählen neben der<br />
Raumfahrt die Projekte für die Produktion<br />
der energiesparenden Lampen. Die stärksten<br />
Kürzungen musste 2011 der Umweltschutz<br />
hinnehmen: Die investitionen sanken von<br />
sieben auf vier Prozent des Gesamtvolumens.<br />
Von den durch Cnews.ru um Stellungnahme<br />
gebetenen Organisationen der<br />
Top Ten des Korruptionsratings antwortete<br />
nur Rosnano: Den Ergebnissen ermangele es<br />
jeglicher Grundlage, zumal die Methode der<br />
Umfrage nicht wissenschaftlich sei.<br />
des 40 Prozent-Zolltarifs so viele<br />
Tiere importiert.<br />
Einer der wichtigsten Verhandlungsgegenstände<br />
waren die staatlichen<br />
Subventionen für die Landwirtschaft.<br />
Bislang galten diese als<br />
wenig transparent. Familien- und<br />
Genossenschaftsbetriebe klagten<br />
darüber, dass nicht sie, sondern<br />
überwiegend Holdingstrukturen<br />
in den Genuss von vergünstigten<br />
Krediten kämen. Jenen Strukturen<br />
standen und stehen auffallend<br />
häufig Duma-Abgeordnete vor. in<br />
den Jahren 20<strong>12</strong> und 2013 darf<br />
die Russische Föderation jeweils<br />
nur noch neun Milliarden US-<br />
Dollar an Unterstützungen anbieten,<br />
zum Jahr 2018 sollen es dann<br />
4,4 Milliarden US-Dollar sein,<br />
berichtete das Wirtschaftsjournal<br />
Expert.<br />
Auch die Veterinär- und Pflanzenschutzbestimmungen<br />
sowie<br />
die technischen Handelsbeschränkungen<br />
müssen künftig den WTO-<br />
Bestimmungen angepasst werden.<br />
Für viele deutsche Betriebe ist<br />
das ein zentraler Punkt. Denn in<br />
der Vergangenheit hat Russland<br />
deutsches Fleisch schon dann<br />
von der Einfuhr ausgeschlossen,<br />
wenn darin nur geringste Rückstände<br />
von Antibiotika gefunden<br />
wurden. „Russland muss diese<br />
Nulltoleranz jetzt aufheben und<br />
an die EU-Normen mit wissenschaftlich<br />
begründeten Höchstmengen<br />
anpassen“, so Axel Stockmann,<br />
Leiter des Referates für<br />
Ernährung, Landwirtschaft und<br />
Verbraucherschutz an der Deut-<br />
schen Botschaft in <strong>Moskau</strong>. Das<br />
fordern deutsche Betriebe schon<br />
seit geraumer Zeit. „Zuletzt wurde<br />
mit zweierlei Maß gemessen“, sagt<br />
der Landwirtschafts- und Veterinärexperte.<br />
„importe wurden<br />
meistens strenger kontrolliert als<br />
einheimische Produkte.“<br />
Trotz der zahlreichen Vorteile<br />
für den deutschen Lebensmittelexport<br />
sind deutsche Agrarexperten<br />
vorsichtig, denn auch als WTO-<br />
Mitglied kann Russland weiterhin<br />
versuchen, die heimische Landwirtschaft<br />
zu schützen. Etwa unter<br />
dem Vorwand, damit für die tierische<br />
und menschliche Gesundheit<br />
zu sorgen. Allerdings müssen<br />
jene Anträge sehr gut begründet<br />
sein.<br />
Russische Agrarbetriebe stehen<br />
der Welthandelsorganisation mit<br />
gemischten Gefühlen gegenüber.<br />
Auf Selbstversorger und Kleinbauern,<br />
die immer noch fast die<br />
Hälfte aller Agrarprodukte produzieren,<br />
dürften sich die Änderungen<br />
kaum auswirken. Auf mittelgroße<br />
Betriebe und Genossen-<br />
WIRTSCHAFT<br />
„Zuletzt wurde mit zweierlei Maß gemessen“<br />
Sinkende Einfuhrzölle auf landwirtschaftliche Erzeugnisse beflügeln Importphantasien<br />
mitte Dezember wird auf der WTO-ministerkonferenz über den Beitritt<br />
russlands abgestimmt. Alle Welt erwartet eine positive entscheidung.<br />
Denn russland hat bei seinen Beitrittsverhandlungen zur WTO etliche<br />
Zugeständnisse gemacht. Das ergebnis kann sich sehen lassen – insbesondere<br />
aus sicht deutscher exporteure von landwirtschaftlichen<br />
erzeugnissen. Zölle auf einem deutlich niedrigeren Niveau werden bindend<br />
vorgeschrieben, handelsverzerrende subventionen abgebaut oder<br />
zumindest begrenzt, Veterinär- und pflanzenschutzbestimmungen neu<br />
geregelt.<br />
Nur noch „sehr hoch“<br />
Korruptionsverluste in der IT-Branche betragen 60 Prozent<br />
mitte Dezember stellte die Nationale Assoziation<br />
für innovationen und die entwicklung<br />
der informationstechnologien (NAiriT) ihre<br />
Analyse des IT-Sektors im Jahr 2011 vor.<br />
Die ergebnisse zeugen von einer Abschwächung<br />
des allgemeinen Korruptionsniveaus<br />
von „maximal“ auf „sehr hoch“. in der<br />
Qualität der innovativen projekte dagegen<br />
überflügelt russland mit dem weltweit dritten<br />
platz bereits Deutschland.<br />
05<br />
schaften zwischen <strong>10</strong>0 und 5 000<br />
Hektar dürften die Auswirkungen<br />
unterschiedlich sein. Bei den meisten<br />
sind die üppigen Staatshilfen<br />
ohnehin nie angekommen. Überleben<br />
werden jene Einheiten, die<br />
betriebswirtschaftlich rentabel<br />
aufgestellt sind. Dasselbe gilt auch<br />
für große Holdingstrukturen. Die<br />
russische Regierung muss die<br />
Unterstützung für diese Konzerne<br />
drosseln. Und durch die sinkenden<br />
importzölle steigt der Wettbewerbsdruck.<br />
Besonders schwer<br />
wird es für jene Firmen, die zuletzt<br />
in die Schweinemast und Rinderzucht<br />
investiert haben und dabei<br />
auf ihre Quasi-Monopolstellung<br />
und satte staatliche Hilfen gesetzt<br />
haben. Leichter haben es Geflügelzüchter.<br />
Die Übergangsfristen<br />
betragen bis zu acht Jahre.<br />
Natürlich gibt es auch russische<br />
Unternehmen, die massiv vom<br />
Freihandel profitieren. Das sind vor<br />
allem Produzenten von Ölsaaten,<br />
Pflanzenöl oder Getreide. Für sie<br />
öffnen sich neue Exportmärkte<br />
und Absatzchancen.<br />
Gebundener durchschnittlicher Zolltarif vor und<br />
nach dem russischen WTO-Beitritt<br />
Ware Zolltarif heute<br />
(in Prozent)<br />
Werden Sie fündig!<br />
Hier finden Sie die<br />
aktuelle Ausgabe<br />
der <strong>MDZ</strong>:<br />
Zolltarif ab WTO-<br />
Beitritt (in Prozent)<br />
Milchprodukte 19,8 14,9<br />
Getreide 15,1 <strong>10</strong>,0<br />
Ölsaaten, Fette,<br />
Öle<br />
9,0 7,1<br />
Zucker, in US$/t 243 223<br />
Deutsch-Russisches Haus <strong>Moskau</strong>, ul. Malaja<br />
Pirogowskaja, 5; Deutsche Botschaft <strong>Moskau</strong>, ul.<br />
Mosfilmowskaja, 56; Goethe-Institut, Leninskij<br />
Prospekt, 95a; Deutsche Wohnsiedlung Wernadskogo,<br />
Prospekt Wernadskogo, <strong>10</strong>3; Deutsches Historisches<br />
Institut, Nachimowskij Prospekt, 51/52;<br />
Deutsch-Russische Auslandshandelskammer, 1.<br />
Kasatschij Per., 7; LLC German Centre for Industry<br />
and Trade, Prospekt Andropova, 18, Korpus, 6;<br />
Fluglinie Aeroflot, Flughafen Scheremetjewo, 2<br />
Hotels<br />
National, Mochowaja, 15/1; Metropol, Teatralnyj<br />
Per., 1/4; President Hotel, Bolschaja Jakimanka,<br />
24; Renaissance Hotel, Olim piskij Prospekt,<br />
18/1; Radisson Slawjanskaja, Bereschkowskaja<br />
Nab., 2; Art Hotel, 3. Peschtschanaja ul., 2;<br />
Swiss-Hotel Krasnyje Cholmy, Kosmodamianskaja<br />
Nab., 52; Baltschug-Kempinski, ul. Baltschug 1;<br />
Marriott Aurora, Petrowka, 11/20; Marriott Grand,<br />
Twerskaja, 26; Korston Hotel, Kossygina, 15; Holiday<br />
Inn, ul. Lesnaja, 15; Sheraton Palace Hotel,<br />
1. Twerskaja-Jamskaja, 19; Aquamarine Hotel,<br />
Oserkowskaja, 26; Renaissance Moscow Monarch<br />
Centre Hotel, Leningradskij Prospekt, 31a, Gebäude<br />
1; Savoy Hotel, ul. Roshdestwenka, 3/6,<br />
Gebäude, 1; Hilton Moscow Leningradskaja Hotel,<br />
ul. Kalanchewskaja, 21/40; Pekin, ul. Bolschaja<br />
Sadowaja, 5; Katerina City, Schluessowaja Nab., 6;<br />
Katerina Park, Kirowogradskaja, 11; East-West Hotel,<br />
Twerskoj Bulvar, 14; Lotte Hotel Moscow, Nowinskij<br />
Bulvar, 8, Gebäude 2; Golden Apple Hotel,<br />
ul. Malaja Dmitrowka, 11; Kassada-Plaza Hotel,<br />
ul. Mnewniki, 3, Gebäude 2; Borodino Business-<br />
Hotel, ul. Russakowskaja, 13, Gebäude 5; Kadaschewskaja,<br />
Kadaschewskaja Nab., 26; Mamaison<br />
All-Suites Spa Hotel Pokrovka Moscow, ul. Pokrowka<br />
40/2<br />
Business-Zentren<br />
Business-Center, Oserkowskaja nab., 50/1; Dukat<br />
Plaza 2, Gascheka, 7; Olimpique Plaza, Prospekt<br />
Mira, 33/1; Legion, Bolschaja Ordynka, 40; Proton,<br />
Nowozawodskaja ul., 22; World Trade Center,<br />
Krasnopresnenskaja Nab., <strong>12</strong>; Business Center na<br />
Mochowoj, Mochowaja, 4/7, Gebäude 2; Business<br />
Center na Serebrjakowa, Pr. Serebrjakowa, 6;<br />
Business-Center, Nikitskij Per., 5; Business-Center,<br />
ul. Bachrushina, 32/1<br />
Cafés, Restaurants<br />
Coffee Bean, Ul. Pjatnitskaja, 5, Ul. Pokrowka, 18/3;<br />
ul. Sretenka, 22/1; Restaurant Deutsches Eck, Prospekt<br />
Wernadskogo, <strong>10</strong>3; Restaurant WIRT, Plotnikow<br />
per., 19; Restaurant Maximilian’s, ul. Novyi<br />
Arbat, 15<br />
CSV Export
06<br />
gESELLSCHAFT<br />
Fernsehen aus der Schokofabrik<br />
Der TV-Sender „Doschd“ wird zum Epizentrum der Proteste<br />
Jahrelang hat der Kreml das Fernsehen kontrolliert und zur propaganda<br />
genutzt. Jetzt gibt es plötzlich einen Fernsehsender, der alles anders<br />
macht: Liveschaltungen von den Demonstrationen, Diskussionen mit<br />
Oppositionellen, offene Kritik am system putin. Dafür muss „TV Doschd“<br />
mit Hacker-Attacken kämpfen – und mit der staatlichen medienaufsichtsbehörde.<br />
Es ist einer dieser aufregenden<br />
Tage nach den Parlamentswahlen<br />
in Russland. Wer am Mittag den<br />
Sender „Doschd“ einschaltet, sieht<br />
einige junge Menschen in Jeans<br />
und T-Shirts um eine leuchtende<br />
Säule stehen. Es ist die Redaktionssitzung<br />
des Senders, live<br />
übertragen, wie fast alles auf dem<br />
Kanal. An die Säule hat jemand<br />
mit großen schwarzen Buchstaben<br />
„FSB“ geschrieben, man diskutiert<br />
über die Versuche des Geheimdienstes,<br />
oppositionelle Gruppen<br />
im sozialen Netzwerk „vkontakte“<br />
zu löschen. Weiter unten steht<br />
„Tschurow“, jemand erzählt einen<br />
Witz über den obersten russischen<br />
Wahlleiter, dann streicht er das „w“,<br />
aus „r“ wird ein „d“, nun steht dort<br />
„Tschudo“, das Wunder. Gelächter<br />
allerseits.<br />
Renat Dawletgildejew setzt sich<br />
an den weißen Tisch in der Mitte<br />
des Studios, an dem jeden Abend<br />
ohne jegliche Tabus diskutiert<br />
wird. Der Chefproduzent des Senders<br />
ist 26 Jahre alt und damit<br />
in etwa Durchschnitt hier: Telekanal<br />
Doschd, übersetzt „Regen“,<br />
ist jung, unkonventionell und<br />
politisch. Und erlebt gerade seine<br />
Sternstunde. „Seit Beginn der Proteste<br />
hat sich unsere Zuschauerzahl<br />
verfünffacht“, erzählt Dawletgildejew.<br />
Eine Million Menschen<br />
sahen in dieser Woche tagtäglich<br />
das, was allen anderen Sendern<br />
verboten ist: Liveschaltungen von<br />
den Demonstrationen, Oppositionelle,<br />
die über den Untergang des<br />
Systems Putin diskutieren, <strong>Vi</strong>deos<br />
von Wahlfälschungen.<br />
Da ist etwa dieses <strong>Vi</strong>deo, das<br />
im internet schnell die Runde<br />
machte: Der Filmende lässt sich<br />
zuerst in einem Auto instruieren<br />
und fährt dann von Wahllokal<br />
zu Wahllokal, um mehrfach für<br />
„Einiges Russland“ abzustimmen.<br />
Wie abgemacht, geht er immer<br />
nur zu „Tisch 1 oder 2“, wo eine<br />
eingeweihte Person sitzt, die ihm<br />
ohne Probleme einen Wahlzettel<br />
aushändigt, obwohl er nicht in der<br />
Liste steht. Fünf Minuten und 42<br />
Von moritz Gathmann (n-ost)<br />
Sekunden dauert der Film, und<br />
der Sender strahlt ihn am Montag<br />
nach der Wahl in voller Länge<br />
aus. So populär wurde das <strong>Vi</strong>deo,<br />
dass sogar der oberste Wahlleiter<br />
Wladimir Tschurow sich zum<br />
Kommentar genötigt sah: Alles<br />
Fälschung, ließ er mitteilen, aufgenommen<br />
in Wohnungen. „Wir<br />
wissen aber genau, dass das <strong>Vi</strong>deo<br />
echt ist, weil wir den Autor kennen“,<br />
sagt Dawletgildejew.<br />
Moderator und Chefproduzent Renat Dawletgildejew<br />
25 Millionen Haushalte sind<br />
über Kabel und Satellit „potentielle“<br />
Zuschauer, informiert der<br />
Sender. Die Ergebnisse der ersten<br />
Zuschauerumfrage werden in den<br />
nächsten Wochen bekanntgegeben.<br />
ihre Heimat haben die 250<br />
Mitarbeiter im „Roten Oktober“,<br />
einer ehemaligen Schokoladenfabrik<br />
aus rotem Backstein am Ufer<br />
des Flusses Moskwa, die vor einigen<br />
Jahren in eine Kultur-, Party-<br />
und Medienfabrik umgewandelt<br />
wurde. Keinen Kilometer vom<br />
Kreml entfernt ist ein place-to-be<br />
für alle <strong>Moskau</strong>er unter 40 entstanden,<br />
die cool, unkonventionell,<br />
europäisch sein wollen, die mit<br />
iPads am Mittagstisch sitzen und<br />
sich über Facebook verabreden, die<br />
mindestens Englisch sprechen und<br />
wissen, wie es in der Welt aussieht,<br />
die Spaß haben wollen, aber politisch<br />
interessiert sind. Von solchen<br />
Menschen wird „Doschd“ gemacht,<br />
und diese Menschen sind auch die<br />
Zielgruppe.<br />
Aber wie kann dieser Sender<br />
existieren im System Putin, das<br />
in den letzten Jahren zwar Zeitungen<br />
und Radiosendern gewisse<br />
Freiheiten ließ, aber die Fernsehkanäle<br />
zu Propagandawerkzeugen<br />
degradierte? Zum einen ist da die<br />
finanzielle Unterstützung, aber<br />
wichtiger noch die Chuzpe von<br />
Natalja Sindejewa. Die 40 Jahre<br />
alte Powerfrau machte seit Mitte<br />
der 90er Jahre Radio „Silver Rain“<br />
zum Sender für die wachsende,<br />
selbstbewusste Mittelschicht.<br />
2002 gründete sie für ebendiese<br />
Schicht die Zeitschrift „Bolschoi<br />
Gorod“. Und im April 20<strong>10</strong> war<br />
die Zeit gekommen für den Sender<br />
„Doschd“.<br />
in der <strong>Moskau</strong>er Journalistenszene<br />
beobachtete man das Unterfangen<br />
wohlwollend, aber ungläubig.<br />
Würde der Kreml dem Sender eine<br />
unabhängige politische Berichterstattung<br />
gewähren? Schnell<br />
machte der Kanal Schlagzeilen: Die<br />
Zuschauer konnten von Anfang<br />
an live zusehen, wie der Sender<br />
„gebaut“ wurde. Seitdem ist Aufrichtigkeit<br />
der große Trumpf des<br />
Senders, zwei Drittel der Zeit wird<br />
live gesendet. Am Samstagabend,<br />
nach der Demo, ist Sindejewa auf<br />
dem Bildschirm zu sehen: Da steht<br />
sie, mit verschränkten Armen, im<br />
schwarzen Kleid vor weißem Hintergrund,<br />
und nimmt ihre Journa-<br />
listen in Schutz, spricht über das<br />
Adrenalin in den letzten Tagen,<br />
das manchmal dazu führe, dass die<br />
Journalisten zu weit gingen in ihrer<br />
Berichterstattung.<br />
Es gab da diesen für viele überraschenden<br />
Besuch bei TV Doschd<br />
im Frühjahr 20<strong>10</strong>, Dmitrij Medwedew<br />
ließ sich durchs Studio führen,<br />
jener Präsident, der gerne von<br />
Modernisierung und Demokratie<br />
sprach, der Ausspruch „Freiheit ist<br />
besser als Unfreiheit“ stammt von<br />
ihm. Aber jener Medwedew hat<br />
sich im September selbst abgeschrieben,<br />
als er bekanntgab, dass<br />
nun wieder Wladimir Putin für<br />
das Präsidentenamt kandidieren<br />
wird. „Damit hat er eingestanden,<br />
dass er nie über irgendetwas entschieden<br />
hat“, sagt Journalist Dawletgildejew.<br />
Aus ihm spricht die<br />
Enttäuschung einer Generation.<br />
Dass Medwedews Worte nichts<br />
bedeuten, hat der Sender in der<br />
letzten Woche zu spüren bekommen:<br />
Seitdem muss sich „Doschd“<br />
gegen Hacker-Attacken wehren,<br />
am Mittwoch forderte die Medienaufsichtsbehörde<br />
die Aufnahmen<br />
der letzten Tage zur „Überprüfung“<br />
an. Dawletgildejew weiß, was<br />
das bedeutet: „Sie können uns eine<br />
Warnung aussprechen, und nach<br />
der zweiten Warnung wird uns<br />
die Lizenz entzogen.“ Als i-Tüpfelchen<br />
löschte Medwedew am<br />
vergangenen Mittwoch sein Abo<br />
von „Doschd“ auf Twitter. Auf der<br />
internetseite hat der Sender seitdem<br />
tausende Unterstützer-Kommentare<br />
erhalten. „Haltet durch,<br />
ihr seid das letzte Bollwerk der<br />
Medien“, steht da unter anderem.<br />
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />
Doschd TV, n-ost<br />
P<br />
LANeT<br />
mOsKAu<br />
Von<br />
Verena Lammert<br />
Neulich auf einer Vernissage in<br />
<strong>Moskau</strong>: Die nationale und internationale<br />
Presse wurde geladen,<br />
um zu fotografieren, interviews<br />
mit den Kuratoren zu führen und<br />
bei einem Glas Sekt auf die Eröffnung<br />
der Ausstellung anzustoßen.<br />
im Foyer des Museums schick<br />
gekleidete Menschen, so dass man<br />
verschämt auf die eigenen einfachen,<br />
flachen und vom Regen<br />
durchnässten Stiefel blickte. Die<br />
erste Runde durch die Ausstellung<br />
war absolviert, die Masse der Journalisten<br />
platzierte sich in der Nähe<br />
der Bühne und wartete auf die<br />
Eröffnungsrede. Doch bald stellte<br />
sich heraus, dass etwas viel Wichtigeres<br />
geschehen würde.<br />
Die Häppchen wurden aufgetischt:<br />
Lachsröllchen, Sushi mit<br />
Kaviar und kleine Löffelchen mit<br />
Schafskäse und Rucola in Honig.<br />
Ein Augenschmaus – wenn man<br />
ihn denn zu sehen bekommen<br />
hätte. Sobald ein Kellner mit dem<br />
Leckereien-Tablett durch die<br />
Türen trat, war er umzingelt. Flink<br />
grabschende Finger, weit geöffnete<br />
Münder, die gierig einen Happen<br />
nach dem anderen herunter<br />
schlangen. Die berühmte Schlacht<br />
am kalten Büffet ist vermutlich<br />
nichts gewesen gegen die Szenen,<br />
die sich hier abspielten. ich gebe<br />
zu, die Eröffnung zog sich in die<br />
Länge, das Mittagessen lag ein paar<br />
Stunden zurück und auch mein<br />
Magen grummelte. Aber ohne Ellbogeneinsatz<br />
keine Chance.<br />
Besonders auffällig: eine Dame<br />
um die 50, im roten Kleid. Direkt<br />
neben der Tür zur Küche hatte sie<br />
sich positioniert. in der Wartezeit<br />
kippte sie ein Glas Rotwein runter.<br />
ihre rote Gesichtsfarbe und die glasigen<br />
Augen ließen vermuten, dass<br />
das heute nicht ihr erstes Getränk<br />
war. Aber nun ran an das nächste<br />
Häppchen. Mindestens zehn hatte<br />
sie schon abgegriffen. ihr größter<br />
Konkurrent: ein alter, etwas<br />
gebrechlicher Mann. Elegant sah<br />
er aus in seinem schwarzen Anzug,<br />
aber nur im ersten Moment. Fettige<br />
graue Haare, ausgelatsche<br />
Echte Freunde<br />
Mehr als 2 000 Teilnehmer machten beim diesjährigen<br />
Wettbewerb „Freunde der deutschen<br />
Sprache“ mit. Aus mehr als zehn Regionen reisten<br />
die Sieger an, um im Deutsch-Russischen<br />
Haus in <strong>Moskau</strong> ihre Preise entgegenzunehmen.<br />
Sie hatten die Jury mit ihren Projekten<br />
zu deutscher und russischer Kultur, Literatur<br />
oder Geschichte überzeugt. Sofia Orlowa freut<br />
sich, dass sie gewonnen hat und erzählt, dass<br />
ihre Deutschlehrerin Nina Satschkina sie überzeugte,<br />
bei dem Wettbewerb mitzumachen.<br />
Und Sofia war gleich so begeistert, dass sie<br />
keine Zeit verstreichen ließ: „Ich habe das<br />
alles in einer Nacht gemacht. <strong>Vi</strong>elleicht war<br />
das Inspiration, ich wusste ganz genau, was<br />
ich machen will.“ Die Geschichte von der<br />
Russlanddeutschen, die sie in ihrem Projekt<br />
beschreibt, ist wahr. Die Protagonistin ist<br />
Sofias Gastmutter aus Deutschland, bei der<br />
die Schülerin drei Monate lang gelebt hat.<br />
Die Preise überreichten der Präsident und<br />
die stellvertretende Vorsitzende des Internationalen<br />
Verbands der deutschen Kultur,<br />
Heinrich und Olga Martens, der Präsident des<br />
Deutsch-Russischen Hauses, Torsten Brezina,<br />
und der Botschaftsrat des Präsidenten, Andrej<br />
Rotermeil. Der Wettbewerb ist ein deutschrussisches<br />
Gemeinschaftsprojekt, sowohl das<br />
Bundesinnenministerium als auch das Ministerium<br />
für Regionalentwicklung der Russischen<br />
Föderation fördern den Wettbewerb. Es gab<br />
Projekte zu unterschiedlichen Themen, es<br />
wurden <strong>Vi</strong>deoinstallationen, Theaterstücke,<br />
Bilder und Übersetzungen eingereicht. Die<br />
Arbeiten seien so kreativ gewesen, dass es den<br />
Juroren schwer gefallen sei, die Sieger zu küren,<br />
erklärten die Organisatoren. Beispielsweise<br />
wurde ein Film vorgestellt, in dem eine junge<br />
Künstlerin unter anderem das Brandenburger<br />
Turnschuhe und schwarze Ränder<br />
unter den Fingernägeln machten<br />
mich stutzig. Auf den zweiten<br />
Blick könnte er auch einer der<br />
Opas sein, die mich morgens auf<br />
der Straße um ein paar Rubel für<br />
das Trolleybus-Ticket anschnorren.<br />
Seltsame Kollegen hab ich da,<br />
dachte ich mir, und ließ ihnen mit<br />
knurrendem Magen den Vortritt.<br />
Am nächsten Tag erzähle ich<br />
meiner russischen Kollegin davon.<br />
Sie lacht nur und sagt: „Ahja die<br />
Сhaljawschtschiki. Die sind überall<br />
in <strong>Moskau</strong>.“ Sie klärt mich auf:<br />
chaljawa heißt gratis. Die Chaljawschtschiki<br />
sind die russische<br />
robustere Form der deutschen<br />
Schnäppchenjäger. Die Lady im<br />
roten Kleid und der alte Mann im<br />
schwarzen Anzug – stadtbekannte<br />
Essenserschleicher? ich frage<br />
meine russischen Freunde und<br />
tatsächlich: Jeder kannte die Chaljawschtschiki.<br />
Nicht unbedingt ein<br />
<strong>Moskau</strong>er Phänomen, aber in der<br />
großen Stadt haben sie leichtes<br />
Spiel. Hier vergeht kein Tag ohne<br />
Empfänge, Eröffnungen und Präsentationen.<br />
Und die Chaljawschtschiki kennen<br />
die Tricks: Sie kommen ohne<br />
Jacke, mit einem halbvollen Glas<br />
in der Hand. Dann sieht es so aus,<br />
als wären sie schon drin gewesen,<br />
und der Türsteher kontrolliert<br />
nicht mehr. Beliebt sind auch fremde<br />
<strong>Vi</strong>sitenkarten oder abgelaufene<br />
Presseausweise als Eintrittskarte.<br />
im hektischen Getümmel scheint<br />
das zu funktionieren. Manch ein<br />
Chaljawschtschik, so wird mir<br />
berichtet, hat es schon auf fremde<br />
Hochzeiten geschafft. Unmöglich,<br />
diese Russen, denke ich. Aber da<br />
fällt mir eine Geschichte meiner<br />
italienischen Mitbewohner ein. Sie<br />
waren am Wochenende auf einer<br />
Party: tolles Essen, viele Getränke –<br />
alles umsonst. Auf der Suche nach<br />
einer Bar in <strong>Moskau</strong> sind sie auf der<br />
Geburtstagsparty einer fremden<br />
Frau gelandet. Ganz ohne Tricks.<br />
Nur mit einem Lächeln und viel<br />
Hunger. Sie haben schnell gelernt,<br />
leben erst seit einem Monat in<br />
der Stadt, sind aber jetzt schon<br />
echte Chaljawschtschiki. Und ich<br />
denke mir: <strong>Vi</strong>elleicht überlebt der<br />
ein oder andere Chaljawschtschik<br />
nur dank der großen russischen<br />
Gastfreundschaft.<br />
Tor und das Portrait von Beethoven mit ihren<br />
Händen in Sand gezeichnet und gefilmt<br />
hatte. Einige Teilnehmer waren mehrmals<br />
nominiert. So auch der Club Jugendlicht mit<br />
seiner Projekteleiterin Tatjana Subbotina aus<br />
Tschita. Tatjana hat den dritten Platz erobert,<br />
ihre Jugendliche einen speziellen Preis der<br />
Organisatoren. Das Projekt sei nicht leicht<br />
zu realisieren gewesen, erzählt Tatjana. Die<br />
Jugendlichen aus Tschita probten ihr Stück<br />
ein halbes Jahr, immer wieder versuchten sie,<br />
ihr Projekt weiter zu verbessern. „Es ist sehr<br />
wichtig für uns, dass wir gewonnen haben.<br />
Ich hoffe, dass wir unsere Inszenierung auch<br />
in <strong>Moskau</strong> zeigen können.” Zu gewinnen gab<br />
es unter anderem Stipendien an den Sprachzentren<br />
des Goethe-Instituts, die Teilnahme an<br />
Seminaren in Deutschland und verschiedene<br />
Sachpreise. Svetlana Gaus zum Beispiel, aus<br />
dem Gebiet Omsk, gewann in der Kategorie<br />
„Das virtuelle Museum der Russlanddeutschen”<br />
und ist zum Lehrerseminar nach Deutschland<br />
eingeladen worden. Auch Sofia zählt zu den<br />
Glücklichen, die eine Reise gewonnen haben.<br />
Nach der Zeremonie kommen viele Teilnehmer<br />
zu ihr und gratulieren ihr, dass sie die<br />
Möglichkeit hat, ins Ausland zu fahren, um<br />
Deutsch zu lernen. Dass die Teilnahme an dem<br />
Wettbewerb „Freunde der deutschen Sprache”<br />
mehr ist, als nur ein Projekt, da stimmten alle<br />
Teilnehmer zu. Und manche der Teilnehmer<br />
planen schon ihre Zukunft mit der deutschen<br />
Sprache, wie zum Beispiel Wladimir Leschnew<br />
aus Wolgograd: „Ich übersetze sehr gerne,<br />
obwohl das viel Zeit in Anspruch nimmt.<br />
Und ich weiß schon jetzt, dass mein zukünftiger<br />
Beruf mit Deutsch zu tun haben wird.”<br />
swetlana Andrejewa
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />
Starke Marke<br />
Eine Website bringt ausschließlich positive Nachrichten über Russland<br />
seit einem Jahr sammelt der programmierer roman Kowrigin aus rostow<br />
tagaus tagein die erfreulichsten ereignisse aus patriotischer sicht und<br />
stellt sie auf seine Webpage sdelanounas.ru (Bei uns gemacht). Vor<br />
allem werden ökonomische Fakten beleuchtet, aber auch andere gesellschaftlich<br />
relevante kommen zur Geltung.<br />
Wir haben etwas, worauf wir stolz<br />
sein können. Diese Erkenntnis ist die<br />
Unterzeile der Website „Sdelano u<br />
nas“. Es existiert auch eine englische<br />
Version: Made in Russia. Wer die<br />
Website studiert, kann nicht umhin,<br />
ihrem Ersteller beizupflichten. Denn<br />
allein die Reichhaltigkeit, Aktualität<br />
und Nutzerfreundlichkeit der<br />
Site ist ein Grund, die patriotische<br />
Brust ein wenig schwellen zu lassen.<br />
Roman Kowrigin, Programmierer<br />
aus Rostow, lässt nichts unversucht,<br />
aus dem Strom der Nachrichten<br />
über die wirtschaftliche Entwicklung<br />
Russlands die erbaulichsten<br />
Fakten herauszunehmen und sie<br />
darzustellen. in einem interview<br />
mit der Wochenzeitung „Argu-<br />
Von Lew Wladimirow<br />
menty i fakty“ nimmt er zur Vermutung<br />
Stellung, die jeden User<br />
zunächst befällt: Solch eine Liebe<br />
zur Heimat muss doch von den<br />
Regierenden honoriert werden, die<br />
in diesem Projekt wiederum eine<br />
nette Werbung für ihre „selbstlosen“<br />
Bemühungen sehen? Mittel für die<br />
Entwicklung der Seite bekomme<br />
er von dankbaren Lesern. „Der<br />
eine spendet mal <strong>10</strong>0 Rubel, der<br />
andere mal <strong>10</strong>0 Dollar.“ So kamen<br />
in einem Jahr knapp über <strong>10</strong>00<br />
Euro zusammen. Alle Ausgaben<br />
und Einnahmen seien transparent.<br />
„Ein halbes Jahr lang habe ich alles<br />
selbst gemacht, jetzt habe ich zwei<br />
Freiwillige, die mir kostenlos unter<br />
die Arme greifen, zum Beispiel<br />
Täglich werden die Nachrichten auf der Russlandkarte nach Branchen sortiert<br />
angezeigt.<br />
offensichtliche Reklame herausfiltern.“<br />
Über seine Motive äußert<br />
sich Kowrigin so: „ich wollte ein<br />
anderes Land zeigen, über das<br />
wenig geredet wird. Denn es ist<br />
doch gelogen, dass wir nichts können<br />
und nichts machen. Allein im<br />
letzten Sommer, so haben die Leser<br />
der Seite gezählt, sind mehr als <strong>10</strong>0<br />
neue Produktionsstandorte eröffnet<br />
worden. Aber mit der Politik habe<br />
ich nichts am Hut.“<br />
Auch der neue Superjet findet<br />
seine Erwähnung auf der Website.<br />
Auf die Frage, ob es bei dem hohen<br />
Grad an Verflechtung in- und ausländischer<br />
Produktkomponenten<br />
und des internationalen Wissenstransfers<br />
möglich sei, überhaupt<br />
von einem „Made in Russia“ zu<br />
sprechen, entgegnet der Programmierer:<br />
„Für den Superjet kann<br />
ich bürgen, ich habe diese Frage<br />
genau studiert. 54 Prozent der<br />
Bauteile sind importiert, hierin<br />
unterscheidet sich das Flugzeug<br />
wenig von ausländischen, aber die<br />
Konstruktion, die innovative Seite,<br />
die gehört uns! Alle Probeflüge<br />
wurden durch unsere Spezialisten<br />
durchgeführt.“<br />
Das Wir-Gefühl erstreckt sich bei<br />
Kowrigin auch auf den südwestlichen<br />
Nachbarn: Auf der „Made<br />
in Russia“-Seite findet sich der Link<br />
„Made in Ukraine“ – mit demselben<br />
Aufbau auf Russisch und Ukrainisch.<br />
Schon fühlen sich Andere<br />
zu ähnlichen Projekten inspiriert.<br />
NETzWELTEN<br />
Jeder registrierte Leser kann eine gute Nachricht (mit Foto) anbieten.<br />
Dank der Vernetzung mit anderen Webseiten und Blogs hat sdelanounas.ru bereits rund 400 Autoren.<br />
07<br />
Kowrigin berichtet von Kollegen,<br />
die eine Seite erstellen wollen, die<br />
sich ganz auf das Negative konzentrieren<br />
soll – allerdings im Westen.<br />
„Einige Freunde von mir leben im<br />
Westen. Es stellte sich heraus, dass<br />
sich ihr Lebensniveau, ihre Einkünfte<br />
und ihre soziale Geborgenheit in<br />
nichts von meiner Situation unterscheiden.“<br />
Anstatt auszuwandern,<br />
rät Kowrigin, außerhalb der Stadt<br />
Land zu kaufen und es wohnbar zu<br />
machen, wie er es derzeit vorhat.<br />
Gönnen Sie sich eine Pause!<br />
Der Hektik entfliehen – mit der <strong>MDZ</strong>
08<br />
RUSSLAND - DEUTSCHLAND<br />
Mitten im Wald, in der Nähe einer kleinen<br />
Stadt namens Welikij Ustjug, liegt sein<br />
Schloss. Hier im äußersten Nordosten der<br />
Oblast Wologda wohnt Väterchen Frost<br />
mit seiner Enkelin Snegurotschka. Eigentlich<br />
war das Väterchen mal russisches Märchenmaterial:<br />
Man kannte ihn aus Erzählungen<br />
und Sagen als den Herrn über<br />
Winter und Kälte. Er war gefürchtet, weil<br />
er diejenigen, die ihm in die Quere kamen,<br />
mit vor Kälte erstarren ließ. Doch nach<br />
der Oktoberrevolution 1917 wurde er von<br />
den Kommunisten zur russischen Weihnachtsfigur<br />
umfunktioniert, als Geschenkebringer<br />
mit Enkelin an seiner Seite, weil<br />
man das orthodoxe Weihnachtsfest durch<br />
eine atheistische Feier ersetzen wollte.<br />
Das erklärt auch, warum Väterchen Frost<br />
und Snegurotschka die Geschenke am 31.<br />
Dezember bringen, dem neuen russischen<br />
Festtermin, und nicht am Tag des orthodoxen<br />
Weihnachtsfestes, dem 7. Januar.<br />
Traditionell trägt Väterchen Frost einen<br />
langen blauen Mantel, eine schneeweiße<br />
Uschanka auf dem Kopf und in der Hand<br />
einen Eisstab. Berührt jemand anderes den<br />
Stab außer Väterchen Frost und seiner<br />
Enkelin, so wird derjenige zu Eis, so heißt<br />
es in vielen Geschichten. Heute kommt<br />
Väterchen Frost oft in modischem Rot<br />
daher, mit einer Zipfelmütze. Das Blau,<br />
das ursprünglich für Frost und Kälte<br />
stand, wird vom Rot verdrängt. Schuld<br />
Von Verena Lammert<br />
ist höchstwahrscheinlich der Weihnachtsmann,<br />
entsprungen aus einem Werbefilmchen<br />
von Coca Cola. „Der Ded Moros<br />
sieht eigentlich genau gleich aus wie der<br />
Weihnachtsmann. Da gibt es keinen Unterschied,<br />
außer dass der Weihnachtsmann<br />
aus der Werbung kommt“, weiß Andrej<br />
Samarskij. Der Neunjährige aus <strong>Moskau</strong> ist<br />
eines der glücklichen Kinder in Russland,<br />
die gleich dreimal Geschenke erhalten.<br />
Westliche Einflüsse spielen in russischen<br />
Familien eine immer größere Rolle: Andrej<br />
geht außerdem auf die Deutsche Schule<br />
und deshalb feiert er den Heiligen Abend<br />
am 24. Dezember wie in Deutschland mit<br />
Geschenken, das russische Nowyj God am<br />
31. Dezember und das orthodoxe Weihnachten<br />
Roschdestwo am 7. Januar. „Aber<br />
die besten Geschenke gibt es am Nowij<br />
God“, versichert Andrej. „Das ist in Russland<br />
das Hauptfest.“<br />
Wer so viele Geschenke bekommt,<br />
braucht auch keinen Wunschzettel mehr zu<br />
schreiben. Ein Brief weniger, der an Väterchen<br />
Frost nach Welikij Ustjug geschickt<br />
wird. in Deutschland trudelt die Wunsch-<br />
Post in Engelskirchen im Bergischen Land<br />
ein, denn hier wohnt das Christkind. Es<br />
hat außerdem noch ein paar zusätzliche<br />
Briefkästen in Himmelstadt, Himmelpfort<br />
und Himmelsthür. Aber wohin schicken<br />
deutsche Kinder ihre Post, wenn sie an den<br />
Weihnachtsmann schreiben wollen? Der<br />
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />
Drei Schimmel und das Christkind<br />
Deutsche und russische Weihnachtstraditionen haben es schwer gegen den amerikanischen Weihnachtsmann<br />
Wer bringt zum Fest die Geschenke: das Christkind oder der Weihnachtsmann? Diese Frage<br />
stellen sich in diesen Tagen wieder die Kinder auf Deutschlands schulhöfen. Für all diejenigen,<br />
die die eltern noch nicht als heimliche Geschenkebringer entlarvt haben, ist das<br />
eine Glaubensfrage. Aber auch in russland kommen immer mehr Kinder in einen Konflikt:<br />
Väterchen Frost (Ded moros) oder der Weihnachtsmann?<br />
Dreißig Tage lang wollten wir<br />
durch Russland reisen. Von<br />
Westen bis Osten alles erleben.<br />
Dreißig Tage lang waren wir in<br />
Russland, doch leider sahen wir<br />
nicht alles, was wir uns vorgenommen<br />
hatten. Dafür erlebten<br />
wir, was sicher nicht jeder Russlandreisende<br />
von sich behaupten<br />
kann. Abgelaufene <strong>Vi</strong>sa und<br />
ein achttägiges Ringen mit den<br />
Behörden. Wir sahen sechs Städte<br />
und trafen viele Menschen,<br />
darunter auch einige Staatsbedienstete.<br />
Wir wurden in<br />
St.Petersburg von pittoresker<br />
Pracht empfangen und nach<br />
irkutsk verabschiedeten wir uns<br />
vom Baikalsee durch ein schmutziges<br />
Zugfenster. Was bleibt von<br />
diesem Monat?<br />
Das erste, was wir von Russland<br />
sahen, war der Prunk<br />
St.Petersburgs. Die Stadt stellte<br />
sich uns in ihrer ganzen zaristischen<br />
Herrlichkeit dar. Wir<br />
verbrachten eine Woche mit<br />
offenen Mündern, liefen uns die<br />
Füße wund und konnten doch<br />
nicht genug bekommen. Diese<br />
Stadt zog uns in ihren Bann<br />
und rief uns hinterher, dass wir<br />
nach so kurzer Zeit doch nur<br />
die Oberfläche gesehen hätten.<br />
Dann kamen wir nach <strong>Moskau</strong><br />
und zogen die Schultern hoch.<br />
Nicht nur wegen des kalten<br />
Windes oder des ersten Schnees,<br />
als Vorboten des russischen Winters,<br />
sondern auch wegen der<br />
Atmosphäre. <strong>Moskau</strong> präsentierte<br />
sich uns auf den ersten<br />
Blick in grauen, monolithischen<br />
Betonblocks. Kreml, Roter Platz<br />
und GUM waren zu Gänze von<br />
Gerüsten verhüllt, und auch die<br />
prachtvollen Metrostationen vermochten<br />
es nicht, das graue Bild<br />
aufzuhellen. Unter diesem ersten<br />
Eindruck stehend, waren wir<br />
froh, <strong>Moskau</strong> verlassen zu können.<br />
Zugegeben mit gemischten<br />
Gefühlen, denn wir waren sicher,<br />
dass dies nicht alles gewesen sein<br />
konnte.<br />
Unser Plan sah vor, in Etappen<br />
in Richtung Mongolei zu fahren.<br />
immer wieder zu halten, um uns<br />
Wladimir und Susdal, Nischni<br />
Nowgorod und Kasan, Jekaterinburg<br />
und Tomsk, Nowosibirsk,<br />
Krasnojarsk und den Baikalsee<br />
anzusehen. Doch in Kazan angekommen,<br />
wurden unsere Pläne<br />
von der Realität durchkreuzt.<br />
Unsere abgelaufenen <strong>Vi</strong>sa zwangen<br />
uns zu einer Rückkehr nach<br />
<strong>Moskau</strong>. Es schien so, als wollte<br />
uns die Kapitale nicht eher entlassen,<br />
bis wir einen zweiten<br />
Blick auf sie geworfen hatten,<br />
um ihre andere Seite zu erkunden.<br />
Es waren acht Tage, die wir<br />
einerseits in Bangen und Hoffen<br />
verbrachten, wartend auf unsere<br />
Ausreisegenehmigung. Andererseits<br />
hatten wir Zeit genug, um<br />
nun auch hier Staunenswertes zu<br />
finden.<br />
Die Gerüste rund um den Roten<br />
Platz waren verschwunden, das<br />
Areal zeigte sich in seiner ganzen<br />
hat keine eigene Adresse. Dafür aber der<br />
Nikolaus. Wer sich direkt an den Heiligen<br />
Nikolaus wenden will, sollte seinen Brief<br />
nach St. Nikolaus ins Saarland schicken.<br />
Genau genommen gibt es also in<br />
Deutschland sogar drei Geschenkeverteiler:<br />
Christkind, Nikolaus und Weihnachtsmann.<br />
Auch hier findet ein gesellschaftlicher<br />
Wandel statt, wie die Kulturwissenschaftlerin<br />
Dagmar Hänel aus Bonn<br />
beobachtet hat: „Wir haben in Deutschland<br />
schon seit ein paar Jahren die Verdrängung<br />
des traditionellen Nikolauses<br />
durch den amerikanischen Weihnachtsmann.<br />
Der Nikolaus als Heiligenfigur, dargestellt<br />
im Bischofsornat, taucht immer<br />
seltener auf. Selbst am 6. Dezember, dem<br />
Nikolaustag, sind es immer häufiger Weihnachtsmänner<br />
im rot-weißen Winteranzug<br />
und mit Zipfelmütze, die den Kindern<br />
die Geschenke bringen.“ Der Weihnachtsmann<br />
tauchte 1931 zum ersten Mal in der<br />
Coca-Cola-Werbung auf, damit begann<br />
seine weltweite Erfolgsgeschichte, die<br />
seine Kollegen Nikolaus und Christkind<br />
nicht nur in Deutschland in Bedrängnis<br />
bringt. in Österreich ging es in diesem<br />
Jahr sogar soweit, dass Christkind und<br />
Weihnachtsmann sich in dem Werbefilm<br />
eines Mobilfunkanbieters die Köpfe einschlugen.<br />
Doch Eltern beschwerten sich,<br />
die Werbung wurde vom Markt genommen.<br />
Die etwas friedlichere Lösung für<br />
alle, die auf das Christkind nicht verzichten<br />
wollen: Der Weihnachtsmann nimmt<br />
es als seine Begleitung mit; ein Weihnachtspaar,<br />
fast so wie Väterchen Frost<br />
und seine Enkelin.<br />
Die Gründe für diesen Glaubens-Wandel:<br />
„Tendenzen der Säkularisierung sowie eine<br />
Pracht. Ebenso das nächtliche<br />
Panorama entlang der Moskwa:<br />
der Kreml und die Christ-Erlöser-Kathedrale<br />
golden leuchtend<br />
und die kleinen Gassen, in denen<br />
auch nachts das Leben bunt ist.<br />
im Anschluss daran erlebten wir<br />
den ismailowo-Markt an einem<br />
sonnigen Sonntagnachmittag.<br />
Wir sahen nun, was <strong>Moskau</strong><br />
wirklich ausmacht: die Kontraste<br />
von mittelalterlicher Historie,<br />
Jahrzehnten kommunistischer<br />
Herrschaft und dem Aufbruch<br />
in die Moderne. Große Bauten<br />
aus vielerlei Epochen und dazwischen<br />
das Kleine, das Leben.<br />
Auch <strong>Moskau</strong> ist schön, diese<br />
Schönheit ist nicht so vordergründig<br />
wie in St. Petersburg,<br />
abseits des Roten Platzes versteckt<br />
sie sich ein wenig, aber<br />
sie ist da. Als wir dies gelernt<br />
hatten, hatte auch der Föderale<br />
Migrations Service ein Einsehen,<br />
erteilte uns das Transitvisum und<br />
ließ uns ziehen.<br />
Wir revidierten unseren ersten<br />
Eindruck und konnten nun unsere<br />
Fahrt gen Osten antreten, in<br />
dem Wissen, dieser Metropole<br />
nicht Unrecht getan zu haben.<br />
Apropos Kontraste: Wir fanden<br />
sie nicht nur in <strong>Moskau</strong>, sondern<br />
auch andernorts. War doch<br />
etwa Susdal, zwei Wochen zuvor,<br />
unserem Bild des ursprünglichen<br />
Russlands näher als alles, was<br />
wir sonst noch sehen sollten.<br />
Aus <strong>Moskau</strong> kommend, war dies<br />
sicherlich der größte Kontrast<br />
zwischen Urbanität und ländlichem<br />
idyll. Übertroffen nur<br />
von der endlosen Weite der sibirischen<br />
Steppe. Auch wenn wir<br />
diese nur durch das Zugfenster<br />
Väterchen Frost und seine Enkelin.<br />
30 Tage Russland und ein Haufen Ärger<br />
Das Fazit zweier deutscher Weltenbummler. Und warum sie Russland am Ende doch lieben lernten.<br />
um aus ihrer Weltreise eine echte Herausforderung zu machen, haben<br />
zwei deutsche Journalisten beschlossen, auf ihrem Weg kein Flugzeug zu<br />
besteigen. ihre reise hat Jochen müller (35) und peer Bergholter (36)<br />
auch durch russland geführt. Für die mDZ berichteten die beiden von<br />
ihren reiseerlebnissen. inzwischen in China, ziehen sie ein Fazit.<br />
Von Jochen müller und peer Bergholter<br />
Auch <strong>Moskau</strong> mit all seinen Kontrasten lernten wir am Ende doch noch lieben.<br />
Müller/Bergholter<br />
zunehmende, durch US-amerikanische<br />
Kultur dominierte Globalisierung“, sagt die<br />
Kulturwissenschaftlerin. Warten wir ab, ob<br />
irgendwann auch Väterchen Frost mit dem<br />
Rentierschlitten durch den Schornstein<br />
gerumpelt kommt, statt mit seiner Troika,<br />
einem Schlitten, gezogen von drei Schimmeln,<br />
geruhsam vorzufahren; an seiner<br />
Seite das Christkind mit großen Geschenkpaketen.<br />
Aber egal von wem die Geschenke<br />
nun kommen: Hauptsache ist doch, dass<br />
drin ist, was man sich wünscht.<br />
bestaunen durften, bekamen wir<br />
doch ein Gefühl für die Naturschönheiten<br />
und die Dimensionen<br />
in diesem Land.<br />
Doch um ehrlich zu sein, was<br />
uns am meisten an Russland<br />
beeindruckt hat, waren seine Einwohner.<br />
Ob in den Städten oder<br />
den Zügen, nie zuvor begegneten<br />
uns Menschen mit einer solchen<br />
Offenheit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft<br />
und Großzügigkeit.<br />
Menschen, die gesellig sind, die<br />
Fremde zu Freunden machen.<br />
Wir fanden Obdach in der Not,<br />
schlossen Freundschaften in<br />
wenigen Stunden Zugfahrt, wir<br />
erzählten uns Geschichten, ohne<br />
ein Wort Russisch zu sprechen.<br />
Wir trafen gestrandete Seemänner,<br />
aufstrebende Fotografinnen,<br />
arbeitsuchende Glücksritter und<br />
reisende Handwerker. Und eines<br />
war allen gemein: ihre unvergleichlich<br />
herzliche und einnehmende<br />
Art.<br />
Und wie die Leute, so das Land:<br />
einnehmend. Wollte uns <strong>Moskau</strong><br />
nicht mit einem vorschnellen<br />
Urteil entlassen, so verhält es sich<br />
ebenso mit dem gesamten Land.<br />
Wir durften die Schönheit der<br />
Städte und des Landes bis zum<br />
Baikalsee erleben – durch das<br />
Zugfenster, zum Appetit machen.<br />
Doch genau so hat es Russland<br />
geschafft, uns in seinen Bann<br />
zu ziehen. Es hat Lust auf mehr<br />
gemacht. Eines Tages kehren wir<br />
zurück, um all das mit ausreichend<br />
Zeit zu sehen und zu erleben,<br />
was uns dieses Mal versagt<br />
blieb. Und eines ist sicher: Wir<br />
werden Mütterchen Russland<br />
Folge leisten und wiederkommen.<br />
Eines Tages, im Sommer.
w w w . m d z - m o s k a u . e u<br />
№ 24 (319) Декабрь 2011<br />
НЕЗАВИСИМАЯ ГАЗЕТА О ПОЛИТИКЕ, ЭКОНОМИКЕ И КУЛЬТУРЕ • ОСНОВАНА В 1870 ГОДУ<br />
ГЕРМАНИЯ: ГЕРМАНСКИЙ БУНДЕСВЕР ПРЕОБРАЗОВЫВАЕТСЯ В ПРОФЕССИОНАЛЬНУЮ АРМИЮ –<br />
С 1 ИЮЛЯ ВСТУПИЛ В СИЛУ ЗАКОН ОБ ОТМЕНЕ ВОИНСКОЙ ПОВИННОСТИ • ВСЛЕД ЗА ГЕРМАНИЕЙ<br />
ПОРАЖЕНИЕ В СТРОИТЕЛЬСТВЕ МУЛЬТИКУЛЬТУРНОЙ МОДЕЛИ ПРИЗНАЕТ ВЕЛИКОБРИТАНИЯ<br />
• ЖЕНСКАЯ ДОЛЯ – ОБСУЖДАЕТСЯ ВВЕДЕНИЕ КВОТЫ ДЛЯ ЖЕНЩИН НА РУКОВОДЯЩИХ ПОСТАХ •<br />
ОТ ОБОРОНЫ ДО САМООБОРОНЫ – КАРЛ-ТЕОДОР ФОН И ЦУ ГУТТЕНБЕРГ, МИНИСТР ОБОРОНЫ<br />
ФРГ, УШЕЛ В ОТСТАВКУ ИЗ-ЗА ОБВИНЕНИЙ В ПЛАГИАТЕ ПРИ НАПИСАНИИ ДИССЕРТАЦИИ<br />
• ПАРТИЯ МЕРКЕЛЬ ПРОИГРАЛА ВЫБОРЫ В ГАМБУРГЕ, БЕРЛИНЕ, БРЕМЕНЕ, МЕКЛЕНБУРГЕ-ПЕРЕДНЕЙ<br />
ПОМЕРАНИИ, БАДЕН-ВЮРТЕМБЕРГЕ, РАЙНЛАНД-ПФАЛЬЦЕ – ЛИШЬ В САКСЕН-АНГАЛЬТЕ ХДС<br />
СМОГЛА ПОБЕДИТЬ НА ЗЕМЕЛЬНЫХ ВЫБОРАХ • МЕНЯЕТСЯ ПОЛИТИЧЕСКИЙ ЛАНДШАФТ – ЗЕЛЕНЫЕ<br />
ПРИХОДЯТ К ВЛАСТИ В НЕКОТОРЫХ ЗЕМЛЯХ • В БРЕМЕНЕ СНИЗИЛИ ИЗБИРАТЕЛЬНЫЙ ВОЗРАСТ •<br />
УВЕЛИЧИЛОСЬ ПОСОБИЕ ПО БЕЗРАБОТИЦЕ – НА 5 ЕВРО • В БЕРЛИНЕ УМЕР САМЫЙ ИЗВЕСТНЫЙ<br />
БЕЛЫЙ МЕДВЕДЬ ПЛАНЕТЫ КНУТ • ПРЕМИЯ ЛЕЙПЦИГСКОЙ КНИЖНОЙ ЯРМАРКИ ПРИСУЖДЕНА В<br />
ЭТОМ ГОДУ ЗА ПЕРЕВОД «ВОЙНЫ И МИРА» ЛЬВА ТОЛСТОГО • У МЕРКЕЛЬ НОВЫЙ ЗАМЕСТИТЕЛЬ –<br />
УРОЖЕНЕЦ ВЬЕТНАМА • С 1 МАЯ НЕМЕЦКИЙ РЫНОК ТРУДА СТАЛ ДОСТУПЕН ДЛЯ ГРАЖДАН СТРАН<br />
ВОСТОЧНОЙ, ЦЕНТРАЛЬНОЙ И ЮЖНОЙ ЕВРОПЫ, ВСТУПИВШИХ В ЕВРОПЕЙСКИЙ СОЮЗ В 2004<br />
ГОДУ • В ДЮССЕЛЬДОРФЕ ПРОШЕЛ 56-Й КОНКУРС «ЕВРОВИДЕНИЕ» – ПОБЕДИТЕЛЕМ КОНКУРСА<br />
СТАЛ ДУЭТ ИЗ АЗЕРБАЙДЖАНА «ЭЛЛА И НИККИ» • НЕМЕЦКИЕ БУКОВЫЕ ЛЕСА ВКЛЮЧЕНЫ<br />
В СПИСОК ВСЕМИРНОГО НАСЛЕДИЯ ЮНЕСКО • МЮНХЕН ПРОИГРАЛ ПРАВО ПРОВЕДЕНИЯ<br />
ЗИМНЕЙ ОЛИМПИАДЫ 2018 ГОДА ПХЁНЧАНУ • ГЕРМАНИИ ВЫПАДАЕТ РОЛЬ СПАСИТЕЛЯ ЕДИНОЙ<br />
ЕВРОПЕЙСКОЙ ВАЛЮТЫ • ПРИНЯТ ЗАКОН О ПРИЗНАНИИ ИНОСТРАННЫХ ДИПЛОМОВ • РОССИЯ<br />
– ГЕРМАНИЯ: ЧИСЛО НЕМЕЦКИХ ПРЕДПРИЯТИЙ В РОССИИ ВЫРОСЛО ПОЧТИ ДО 6<strong>10</strong>0 • ВЕСНА<br />
ПОПОЛНИЛА СПИСОК РОССИЙСКО- ГЕРМАНСКИХ ГОРОДОВ-<br />
ПОБРАТИМОВ – В РОТЕНБУРГЕ-НА- ТАУБЕРЕ ПРОШЛА КОНФЕРЕНЦИЯ<br />
2011<br />
ГОРОДОВ-ПАРТНЕРОВ ДВУХ СТРАН • ОТКРЫТ РОССИЙСКО-ГЕРМАНСКИЙ<br />
в заголовках МНг<br />
ГОД НАУКИ, ОБРАЗОВАНИЯ И ИННОВАЦИЙ • СТАРТОВАЛА<br />
ВСЕРОССИЙСКАЯ ОБРАЗОВАТЕЛЬНАЯ ИНИЦИАТИВА «УЧИ НЕМЕЦКИЙ!» • РЕЗУЛЬТАТЫ ЕГЭ ПО<br />
НЕМЕЦКОМУ ЯЗЫКУ ВПЕРВЫЕ ЗА ПОСЛЕДНИЕ НЕСКОЛЬКО ЛЕТ УЛУЧШИЛИСЬ • ВЛАДИМИРУ ПУТИНУ<br />
УДАЛОСЬ ПОБЫТЬ ЛАУРЕАТОМ НЕМЕЦКОЙ ПРЕМИИ «КВАДРИГА» РОВНО НЕДЕЛЮ • ОТКРЫТА ПЕРВАЯ<br />
ВЕТКА ГАЗОПРОВОДА «СЕВЕРНЫЙ ПОТОК» • РОССИЙСКИЙ РЕЖИССЕР АЛЕКСАНДР СОКУРОВ<br />
ПОЛУЧАЕТ ВЫСШУЮ НАГРАДУ КИНОФЕСТИВАЛЯ В ВЕНЕЦИИ ЗА «НЕМЕЦКИЙ» ФИЛЬМ «ФАУСТ»<br />
• НЕМЦЫ РОССИИ: В ЯНВАРЕ В ЯРОСЛАВЛЕ ОТКРЫЛАСЬ ВЫСТАВКА КАРТИН АДАМА ШМИДТА,<br />
ПРИУРОЧЕННАЯ К 90-ЛЕТИЮ ХУДОЖНИКА • В ИЮЛЕ АДАМ ШМИДТ УШЕЛ ИЗ ЖИЗНИ • КОНФЕРЕНЦИЯ<br />
МЕЖДУНАРОДНОГО СОЮЗА НЕМЕЦКОЙ КУЛЬТУРЫ ВЫБРАЛА НОВОЕ ПРАВЛЕНИЕ – ПРЕДСЕДАТЕЛЕМ<br />
МСНК ОСТАЛСЯ ГЕНРИХ МАРТЕНС • 2011 ГОД БЫЛ ОБЪЯВЛЕН ГОДОМ СОЦИАЛЬНОЙ РАБОТЫ В<br />
МСНК • СДЕЛАН ПЕРВЫЙ ШАГ К СОЗДАНИЮ ЭКОНОМИЧЕСКОЙ БАЗЫ ВОЗРОЖДЕНИЯ РОССИЙСКИХ<br />
НЕМЦЕВ • В РОССИЙСКО-НЕМЕЦКОМ ДОМЕ В МОСКВЕ ПРОИСХОДИТ КУЛЬТУРНАЯ РЕВОЛЮЦИЯ •<br />
РАСКОЛ В ЛЮТЕРАНСКОЙ ЦЕРКВИ В МОСКВЕ • В ТОМСКЕ СОСТОЯЛИСЬ ОЧЕРЕДНОЕ ЗАСЕДАНИЕ<br />
МЕЖПРАВИТЕЛЬСТВЕННОЙ РОССИЙСКО-ГЕРМАНСКОЙ КОМИССИИ ПО ПРОБЛЕМАМ РОССИЙСКИХ<br />
НЕМЦЕВ И ПЕРВЫЙ КУЛЬТУРНО-ОБРАЗОВАТЕЛЬНЫЙ ФОРУМ РОССИЙСКИХ НЕМЦЕВ СИБИРИ •<br />
МЕЖДУНАРОДНЫЙ СОЮЗ НЕМЕЦКОЙ КУЛЬТУРЫ ОТМЕТИЛ СВОЕ 20-ЛЕТИЕ • ВНОВЬ ОТКРЫЛСЯ<br />
ЕДИНСТВЕННЫЙ В ГЕРМАНИИ МУЗЕЙ РОССИЙСКИХ НЕМЦЕВ • В ЭНГЕЛЬСЕ ОТКРЫТ ПАМЯТНИК<br />
РОССИЙСКИМ НЕМЦЕВ–ЖЕРТВАМ РЕПРЕССИЙ В СССР • БЫЛА ЛИ ДЕПОРТАЦИЯ? – НА НАУЧНОЙ<br />
КОНФЕРЕНЦИИ В САРАТОВЕ УЧЕНЫЕ ОБСУДИЛИ ИСТОКИ И ПОСЛЕДСТВИЯ ПЕРЕСЕЛЕНИЯ НЕМЦЕВ В<br />
1941 ГОДУ • БУНДЕСТАГ ОБЛЕГЧИЛ ВОССОЕДИНЕНИЕ СЕМЕЙ ПОЗДНИХ ПЕРЕСЕЛЕНЦЕВ<br />
немцы<br />
Удивляют<br />
В Германии вводят голубую карту<br />
для привлечения иностранных<br />
специалистов<br />
немцы<br />
Удивляются<br />
Реакция немецких СМИ<br />
на выборы в российский<br />
парламент<br />
Удивительная<br />
история<br />
Вторая мировая<br />
глазами историка<br />
Бориса Ковалева<br />
ii iii <strong>Vi</strong>
ii<br />
Г е р М а н и я<br />
Голубая карта счастья<br />
Кабинет министров подписал<br />
законопроект, согласно которому<br />
планка годового дохода<br />
иностранных специалистов,<br />
необходимая для разрешения<br />
на пребывание в Германии,<br />
снизится с 66-ти до 48 тысяч<br />
евро в год, а для недавних<br />
выпускников вузов – и вовсе<br />
до 44 тысяч. Представителям<br />
некоторых профессий, например,<br />
инженерам и врачам,<br />
нехватка которых ощущается<br />
в ФРГ особенно сильно, будет<br />
достаточно зарабатывать<br />
33 тысячи евро в год. Таким<br />
образом, возможность работы<br />
и проживания в ФРГ откроется<br />
для гораздо большего числа<br />
квалифицированных кадров. К<br />
слову, к концу сентября 2011<br />
года лишь 661 специалисту<br />
удалось преодолеть непомерно<br />
высокую планку (из них<br />
149 человек живут и работают<br />
в Германии начиная с этого<br />
года).<br />
Правительство ожидает выдачи<br />
около 3 500 новых видов<br />
на жительство в год вследс-<br />
В финал конкурса «Лучший<br />
международный вуз 2011»,<br />
который прошел в Берлине,<br />
попали пять немецких вузов:<br />
веймарский университет<br />
Баухаус, Высшая школа Бремена,<br />
Технический университет<br />
Котбуса, гёттингенский Университет<br />
им. Георга Августа и<br />
Саарский университет. Все они<br />
доказывали свою открытость<br />
миру, презентуя в немецкой<br />
столице свои достижения и<br />
проекты в области международного<br />
обучения международному<br />
жюри, состоявшему<br />
из преподавателей и руководителей<br />
вузов.<br />
Университет Баухаус – преемник<br />
знаменитой одноименной<br />
школы архитектуры и дизайна,<br />
основанной в 1919 году в<br />
Веймаре. Ее принципом стало<br />
объединение ремесла и искусства,<br />
а манифестом – интеграция<br />
искусства в массовое<br />
производство. Среди первых<br />
преподавателей Баухауза были<br />
ведущие художники-авангардисты<br />
– Вальтер Гропиус,<br />
Пауль Клее, Василий Кандинский.<br />
В 1933 году под давлением<br />
властей школу закрыли. После<br />
объединения Германии интерес<br />
Екатерина Келлер<br />
твие введения голубой карты<br />
по упрощенной схеме – то<br />
есть, без обязательной на сей<br />
раз проверки федерального<br />
агент ства по трудоустройству,<br />
не имеется ли подходящих<br />
кандидатов на вакантное<br />
место внутри ЕС. Таким образом,<br />
сама процедура станет<br />
для специалистов куда менее<br />
бюрократической, чем сейчас.<br />
Кроме того, предполагается,<br />
что в Германии сможет остаться<br />
часть обучавшихся здесь<br />
иностранных студентов, которые<br />
уже сейчас имеют в запасе<br />
год после окончания учебы,<br />
чтобы осмотреться в поисках<br />
места работы. А со следующего<br />
года они смогут работать без<br />
временных ограничений, которые<br />
ныне составляют 90 дней<br />
в год.<br />
Федеральный министр экономики<br />
Филип Рёслер (СвДП)<br />
назвал нововведение «квантовым<br />
прыжком в миграционной<br />
политике». Его партия<br />
уже давно предлагала снижение<br />
планки годового дохода в<br />
Арина Попова<br />
к идеям Баухауса возрос, и веймарской<br />
Высшей школе архитектуры,<br />
пришедшей на смену<br />
Баухаусу в 40-х годах, было<br />
возвращено историческое имя.<br />
Сегодня Университет Баухаус<br />
следует принципам отцовоснователей<br />
школы, соединяя<br />
искусство с современными<br />
технологиями. На выбор студентам<br />
предоставлено более<br />
30-ти учебных дисциплин –<br />
от архитектуры, веб-дизайна<br />
и визуальной коммуникации<br />
до строительно-инженерного<br />
дела, технологии производства,<br />
экологии и менеджмента.<br />
Одна из самых влиятельных<br />
высших школ архитектуры и<br />
дизайна завоевала свой титул<br />
лучшего международного вуза<br />
благодаря мощной интернациональной<br />
ориентации учебного<br />
процесса. На иностранных<br />
языках здесь читается почти<br />
половина курсов, что и привлекает<br />
в тюрингский вуз<br />
иностранцев: из 4 000 студентов<br />
каждый седьмой приехал<br />
из-за рубежа, а из преподавателей<br />
– почти каждый десятый.<br />
Учиться за границу по обмену<br />
из стен Университета Баухаус<br />
отправляются 60% немецких<br />
качестве поддержки отечественной<br />
экономике, однако со<br />
стороны ХСС до недавнего<br />
времени наблюдалось противостояние.<br />
Даже и теперь смягчение<br />
условий, необходимых<br />
для пребывания на территории<br />
Германии, уравновешивается<br />
ограничением, на котором<br />
настояли христианские социал-демократы:<br />
бессрочный вид<br />
на жительство работающие на<br />
немецких предприятиях иностранцы<br />
могут получить лишь<br />
через два года. Более того,<br />
специалист, ставший безработным<br />
в течение первых трех<br />
студентов. Дополнительными<br />
аргументами в пользу веймарского<br />
вуза стали приверженность<br />
новым форматам международной<br />
коммуникации, а<br />
также креативность и художественная<br />
выразительность<br />
в использовании прогрессивных<br />
медийных технологий.<br />
«Международная ориентация<br />
уже давно является не приятной<br />
мелочью, а центральным<br />
элементом в стратегическом<br />
планировании вузов», – говорит<br />
член жюри конкурса,<br />
вице-президент Германской<br />
службы академических обменов<br />
(DAAD) Макс Хубер. По<br />
его словам, путь Университета<br />
<strong>Московская</strong> немецкая газета № 24 (319) Декабрь 2011<br />
Германия продолжает развивать схему привлечения квалифицированных кадров<br />
<strong>Немецкая</strong> экономика давно страдает от нехватки специалистов в<br />
целом ряде отраслей. До сих пор существующие в ФРГ законы<br />
затрудняли въезд в страну зарубежных специалистов. Однако<br />
отныне дело должно пойти чуть бойчее: 7 декабря федеральное<br />
правительство поддержало введение так называемой голубой<br />
карты (Blue card), которая, по аналогии с американской зеленой,<br />
облегчит пребывание в Германии высококвалифицированным<br />
специалистам из стран, не входящих в ЕС.<br />
Мировая слава Баухауса!<br />
С помощью голубой карты в Германии надеются восполнить нехватку<br />
специалистов, в том числе и в медицине.<br />
лет пребывания в Германии,<br />
теряет свое право находиться<br />
в стране.<br />
Зеленым условия такого урегулирования<br />
представляются<br />
недостаточно привлекательными.<br />
Спикер фракции по<br />
во просам рынка труда Бригитте<br />
Потмер уверена, что выстраивание<br />
зависимости между<br />
возможностью потери работы<br />
и необходимостью покинуть<br />
страну «противоречит одному<br />
из столпов миграционного<br />
права».<br />
Глава Федерального объединения<br />
торгово-промышленных<br />
Веймарский университет признан «лучшим международным вузом 2011»<br />
За титул «Лучший международный вуз 2011» боролись 28 немецких<br />
высших школ с интернациональной направленностью обучения.<br />
В этом году звания самого открытого для иностранных студентов<br />
вуза удостоился университет в Тюрингии. Премия «За<br />
международное измерение в образовании», которая ежегодно<br />
присуждается Союзом учредителей фондов развития науки в Германии<br />
и Германской службой академических обменов (DAAD),<br />
составила в этом году 50 000 евро.<br />
Flickr/Stadtkatze<br />
В тюрингском вузе<br />
иностранцем является<br />
каждый седьмой<br />
студент и почти<br />
каждый десятый<br />
преподаватель.<br />
Баухаус может служить примером<br />
для многих немецких<br />
вузов.<br />
Интересно, что первым международным<br />
партнером веймарского<br />
Университета когдато<br />
стал Московский государственный<br />
строительный университет,<br />
с которым до сих пор<br />
поддерживаются тесные связи.<br />
Равно как и с Москов ским<br />
архитектурным и Московским<br />
автомобильно-дорожным институтами.<br />
Над задачей интернационализации<br />
обучения в Веймаре<br />
работает сплоченная команда<br />
студентов и преподавателей.<br />
Так, например, недавно студен-<br />
BVMed<br />
палат Германии (DiHK) Мартин<br />
Ванслебен также считает<br />
подобную меру предосторожности<br />
не только излишней, но<br />
и в корне неверной и предостерегает<br />
политиков от введения<br />
новых ограничений, которые<br />
– вместо явного сигнала приветствия<br />
– не могут не оставить<br />
у приглашенных специалистов<br />
негативного привкуса.<br />
Союз немецких работодателей<br />
(BDA) надеется на скорейшее<br />
претворение законопроекта в<br />
жизнь и поддерживает Ванслебена<br />
в его заботе о чув ствах<br />
мигрантов. Учреждениям,<br />
ответственным за проведение<br />
реформы, предстоит выработать<br />
«настоящую приветственную<br />
культуру для зарубежных<br />
специалистов», чтобы продемонстрировать,<br />
насколько их<br />
здесь действительно ждут. В<br />
конце концов, на сегодняшний<br />
день в ФРГ остро не хватает<br />
около 70 тысяч математиков,<br />
информатиков, ученых-естественников<br />
и техников.<br />
Прежде чем законопроект<br />
станет законом, его должны<br />
подписать бундестаг и бундесрат,<br />
и вступить в силу он<br />
сможет предположительно не<br />
раньше середины будущего<br />
года. К слову говоря, Германия<br />
и так запоздала с этим решением:<br />
соответствующее урегулирование<br />
на уровне ЕС было<br />
принято еще в 2009 году.<br />
ты самостоятельно разработали<br />
концепцию медийной кампании<br />
по созданию собственного<br />
международного офиса. «Нам<br />
удалось вдохновить этой идеей<br />
большую команду», – с гордостью<br />
рассказывает ректор университета<br />
Карл Бойке. Сообща<br />
в университете работали и над<br />
подготовкой к участию в конкурсе<br />
на звание лучшего международного<br />
вуза. «Были задействованы<br />
все – от студентов до<br />
ректора. Только непосредственно<br />
над составлением заявки<br />
работали больше 70 человек»,<br />
– говорит глава отдела международных<br />
связей Университета<br />
Баухаус Муриэль Хельбиг.<br />
В Веймаре считают, что интернационализация<br />
процесса обучения<br />
– не самоцель, а требование<br />
времени. Муриэль Хельбиг<br />
уверена, что национальные<br />
границы для науки – это<br />
нелепость, и так формулирует<br />
стратегию развития вуза: «Мы<br />
хотим здесь, в Веймаре, создать<br />
по-настоящему интернациональную<br />
среду. Даже если студенты<br />
после окончания учебы<br />
останутся в Германии, они<br />
должны получить возможность<br />
выучить языки, вступать в контакт<br />
с иностранными учеными,<br />
участвовать в международных<br />
проектах. Наша цель – стать<br />
на <strong>10</strong>0% международным университетом,<br />
и всю призовую<br />
сумму я бы потратила на развитие<br />
дальнейших международных<br />
проектов», – подчеркивает<br />
Муриэль Хельбиг.
<strong>Московская</strong> немецкая газета 24 (319) Декабрь 2011<br />
Русские «Будденброки» на старте<br />
Семейные предприятия России и Германии налаживают связи<br />
Семья – ячейка общества, говаривал Фридрих Энгельс. Как оказалось,<br />
семья еще и основа экономического процветания и стабильности<br />
государства за счет семейного предпринимательства, которое<br />
имеет богатые традиции в Европе. Российских семейных<br />
предприятий в списке «старших», имеющих за плечами несколько<br />
поколений семейного управления, пока не значится.<br />
Из-под пера великих писателей<br />
Томаса Манна, Джона Голсуорси<br />
вышли мировые шедевры<br />
о становлении и развитии<br />
предпринимательских династий,<br />
которыми зачитывались<br />
не только в Европе, но и в России.<br />
Эти романы – семейные<br />
хроники позволяют не только<br />
проследить жизнь нескольких<br />
поколений, но и извлечь уроки<br />
ведения бизнеса.<br />
В Германии 95% предприятий<br />
– семейные. Они и составляют<br />
основу экономической мощи<br />
и стабильности страны, обеспечивая<br />
70% рабочих мест в<br />
стране. Немецкие семейные<br />
предприятия – это, как правило,<br />
малые и средние фирмы,<br />
которые живут жизнью своего<br />
города, ежедневно общаются с<br />
жителями, знают настроения<br />
и предпочтения своих покупателей<br />
и служат своеобразным<br />
барометром благополучия<br />
населения.<br />
Имея такой богатый опыт<br />
семейного предпринимательства,<br />
в Германии действуют<br />
и специальные объединения,<br />
которые защищают политические<br />
интересы, предоставляют<br />
дискуссионные площадки по<br />
обмену опытом для предприятий<br />
малого и среднего бизнеса,<br />
проводят исследования в<br />
сфере организации семейного<br />
Ни один из немецких телеканалов<br />
не показал каких-либо<br />
специальных трансляций из<br />
России ни о ходе голосования,<br />
ни о его первых результатах<br />
или прогнозах. Но в регулярных<br />
выпусках новостей о парламентских<br />
выборах в России<br />
зрителям, разумеется, рассказали.<br />
Однако по старинке тенденциозно:<br />
репортажи только<br />
о негативных событиях, аналитика<br />
только в критическом<br />
тоне, и ни слова о позитивных<br />
переменах в огромном хозяйстве<br />
восточного соседа.<br />
По каналу n-TV 6 декабря<br />
целый день примерно каждые<br />
полчаса крутили видеоролик<br />
о вмешательстве полиции в<br />
драку между участниками различных<br />
политических движений<br />
в Москве. Душераздирающее<br />
зрелище: полицейские<br />
в защитных шлемах и масках<br />
теснят от проезжей части распаленных<br />
граждан, лица которых<br />
искажены ненавистью<br />
друг к другу. Люди молотят<br />
Ольга Видигер<br />
бизнеса. Одно из таких объединений<br />
– Фонд семейных<br />
предприятий.<br />
Председатель фонда Брун-<br />
Хаген Хеннеркес, заметив<br />
высокую заинтересованность<br />
в развитии совместных бизнес-проектов<br />
в России, заручился<br />
поддержкой российского<br />
посольства в Берлине<br />
и инициировал в конце 2011<br />
года первую встречу семейных<br />
предприятий из России и<br />
Германии. Задача оказалась не<br />
из легких. Россию представляли<br />
российские акулы бизнеса<br />
«Северсталь», «Норильский<br />
никель», в то время, как<br />
немецкие представители были<br />
действительно из сферы малого<br />
и среднего бизнеса.<br />
Однако это не помешало<br />
активным дискуссиям на<br />
темы ведения бизнеса в России<br />
и Германии. Немецких<br />
семейных предприятий, освоивших<br />
пространство России и<br />
имеющих партнеров в нашей<br />
стране гораздо больше, чем<br />
русских, тем более семейных,<br />
в Германии. Но и те «первые<br />
ласточки», пробившиеся на<br />
рынок Германии, сетовали на<br />
то, что русского бизнесмена<br />
в Германии никто не ждет,<br />
тогда как немецкому в России,<br />
по словам Юрия Яворского<br />
из Нижнего Новгорода,<br />
Маргарита Гоголева<br />
друг друга кулаками, плюются,<br />
ругаются, а затем объединяются<br />
против полицейских и кидаются<br />
в них камнями.<br />
За кадром звучит комментарий:<br />
«После парламентских<br />
выборов в России произо шли<br />
акции протеста с массовым<br />
насилием в отношении оппозиции.<br />
Полиция арестовала<br />
более 500 человек в Москве<br />
и Санкт-Петербурге. Среди<br />
задержанных – бывший вицепремьер<br />
Борис Немцов, оппозиционный<br />
политик Сергей<br />
Митрохин из либеральной<br />
партии «Яблоко», журналисты<br />
и правозащитники. Кремлевский<br />
лидер Дмитрий Медведев<br />
резко отвергает критику из-за<br />
рубежа».<br />
На следующий день вышеназванный<br />
канал подкрепил кадры<br />
уличных беспорядков высказыванием<br />
о том, что России<br />
не суждено дождаться честных<br />
демократических выборов.<br />
Цитата принадлежит Михаилу<br />
Горбачеву, к которому до<br />
Брун-Хаген Хеннеркес (слева) заинтересован в развитии сотрудничества<br />
между семейными предприятиями России и Германии.<br />
«красную дорожку» под ноги<br />
стелют.<br />
Предпринимательская деятельность<br />
в России еще весьма молода,<br />
но даже за 20 лет своего<br />
сих пор с пиететом относится<br />
подавляющее большинство<br />
немцев. Если учесть, что n-TV<br />
смотрят не только приватные<br />
зрители, а по умолчанию включают<br />
в фойе многих гостиниц,<br />
сберкасс и крупных офисов<br />
Германии, можно прикинуть,<br />
какая многомиллионная аудитория<br />
бюргеров увидела негативную<br />
картинку и не получила<br />
целостного представления о<br />
происходящем в России.<br />
Не изменил тенденциозности<br />
и канал ARD, где сюжеты из<br />
России до и после голосования<br />
снабжены заголовками заведомо<br />
негативного содержания:<br />
«Выборы в Госдуму: ОБСЕ и<br />
Совет Европы призывают правительство<br />
воздержаться против<br />
мошенничества», «Игра,<br />
в которой могут участвовать<br />
лишь несколько игроков»,<br />
«Путин – супермен», «У партии<br />
Кремля нет альтернативы»,<br />
«Тысячи русских протестуют<br />
против хода выборов» и т.д.<br />
Российским лидерам достается<br />
от журналистов медиа-концерна<br />
ARD по любому поводу.<br />
Кристина Нагель из радиослужбы<br />
WDR иронизирует по<br />
поводу того, что партия «Единая<br />
Россия» набрала большинство<br />
голосов. А в репортаже<br />
московского корреспондента<br />
службы «Новостей» Ины<br />
р о с с и я – Г е р М а н и я<br />
существования семейные предприятия<br />
успели занять в секторе<br />
малого и среднего бизнеса одну<br />
треть ниши. И только сейчас в<br />
нашей стране наступает первая<br />
«В России происходит что-то удивительное»<br />
Что пишут немецкие СМИ о выборах в российский парламент<br />
У неискушенного читателя, слушателя и телезрителя, который<br />
взялся бы судить о ходе проведения выборов в Госдуму России<br />
шестого созыва только на основании материалов СМИ Германии,<br />
могло бы сложиться мнение, что в крупных российских городах<br />
поголовно все граждане стали оппозиционерами, круглые сутки<br />
лишь возмущаются и митингуют, а работают только полиция и<br />
спецподразделения МВД – дубинками налево и направо.<br />
Рук, например, особый акцент<br />
делается на том, что на избирательном<br />
участке в Гагаринском<br />
районе Москвы, где голосовал<br />
Владимир Путин, «Единая<br />
Россия» заняла лишь второе<br />
место, уступив коммунистам.<br />
Гамбургский еженедельник<br />
«Der Spiegel» в рубрике «Политика»<br />
(подрубрика «Зарубежье»)<br />
добросовестно разъясняет<br />
все тонкости системы<br />
парламентского управления в<br />
России в целом. Популярный<br />
журнал считает, что на думских<br />
выборах в России были<br />
два проигравших: президент<br />
Медведев и премьер Путин.<br />
Ведь потеря 14% голосов в масштабах<br />
России – это провал.<br />
Но голые факты не приносят<br />
дохода, поэтому «зеркальные»<br />
охотники за сенсацией<br />
постоянно выискивают что-то<br />
жареное. То ехидно заметят,<br />
что «Единая Россия» «уверенно<br />
набирает 80–90% голосов<br />
в психиатрических лечебницах»,<br />
то восторженно прокомментируют<br />
кустарный видеоклип<br />
со вставками матерщины<br />
и неприличных сцен «Наш<br />
дурдом голосует за Путина»,<br />
ставший интернет-хитом для<br />
специфической части российского<br />
электората.<br />
Крупнейший еженедельник<br />
«Die Welt» не скрывает вос-<br />
Stiftung Familienunternehmen<br />
iii<br />
смена поколения и возникает<br />
вопрос преемственности в<br />
семейном бизнесе, тогда как<br />
тридцать самых «старших»<br />
семейных предприятий в мире, в<br />
том числе и немецких, сменяют<br />
уже седьмое поколение и ведут<br />
свой семейный бизнес уже более<br />
двухсот лет.<br />
«Если у тебя в России ничего<br />
не получилось, значит, ты<br />
выбрал плохого партнера для<br />
ведения бизнеса», – считает<br />
Герд Ленга, генеральный<br />
управляющий группы КНАУФ<br />
СНГ, немецкого семейного<br />
предприятия, известного россиянам<br />
с середины 90-х годов.<br />
По словам Хеннеркеса, именно<br />
это и является задачей Фонда<br />
семейных предприятий: передать<br />
немецкий опыт ведения<br />
семейного бизнеса, где речь<br />
идет не только о заработке<br />
денег, но и о традиции социальной<br />
ответственности бизнеса,<br />
и способствовать созданию<br />
совместных российско-германских<br />
предприятий путем<br />
обеспечения добросовестных<br />
контактов с партнерами.<br />
торга по поводу акций протеста<br />
в России. Майкл Штюрмер и<br />
Томас Фитцхум, авторы обзора<br />
с красноречивым названием<br />
«В России происходит что-то<br />
удивительное» радуются, что<br />
«несмотря на холод и снег по<br />
всей России прокатились крупнейшие<br />
с начала 90-х антиправительственные<br />
акции протестов,<br />
на которые вышли до<br />
<strong>10</strong>0 000 человек. В столице, как<br />
и в других городах, протестующие<br />
обвиняли правительство<br />
в вопиющем мошенничестве<br />
на парламентских выборах<br />
4 декабря и требовали новых<br />
выборов». В редакционной статье<br />
«Die Welt» задается вопросом,<br />
который, по-видимому, и<br />
является ключом к разгадке<br />
общего настроения немецкой<br />
прессы: «А насколько вообще<br />
выгодно Германии усиление<br />
партий, программа которых не<br />
содержит никаких элементов<br />
либерализма в экономике?» О<br />
каком либерализме идет речь<br />
в данном контексте, не уточняется.<br />
Не понятно, почему журналисты<br />
вышеупомянутых СМИ<br />
еще не могут отойти от прежних<br />
стереотипов, почему они<br />
не хотят видеть позитивного<br />
развития добрососедских<br />
отношений между Германией<br />
и Россией?
iV<br />
н е М ц ы р о с с и и<br />
Трудармия: как это было?<br />
Готовится к изданию альбом воспоминаний трудармейцев<br />
Близится 70-я годовщина со дня выхода постановления<br />
Государственного комитета обороны № 1<strong>12</strong>3<br />
сс «О порядке использования немцев-переселенцев<br />
призывного возраста от 17-ти до 50 лет», с которого<br />
начался массовый призыв немцев в трудовую армию.<br />
Это секретное постановление от <strong>10</strong> января 1942<br />
года предписывало передать в распоряжение НКВД<br />
45 тыс. чел. для лесозаготовок, 35 тыс. чел. для строительства<br />
двух заводов на Урале, а также наркомату<br />
путей сообщения – 40 тыс. чел. для строительства<br />
железных дорог. Постановлением ГКО № 2383 от<br />
7 октября 1942 года «О дополнительной мобилизации<br />
немцев для народного хозяйства СССР» была проведена<br />
крупнейшая мобилизация советских немцев: ей<br />
впервые подлежали женщины (в возрасте от 16-ти<br />
до 45 лет, кроме беременных и имевших детей до<br />
трехлетнего возраста); для мужчин увеличено число<br />
призывных возрастов (от 15-ти до 55 лет).<br />
В год 70-летия массовой мобилизации немцев в<br />
трудовую армию Международный союз немецкой<br />
культуры при поддержке Министерства внутренних<br />
дел Германии готовит к печати и издает альбом<br />
воспоминаний участников «трудового фронта». В<br />
«В ноябре 1942 года Легостаевский<br />
военкомат мобилизовал<br />
меня в трудармию. На<br />
знакомой уже нам станции<br />
Евсино нас, 16–17-летних<br />
парней, снова погрузили в<br />
«телячьи» вагоны с нарами<br />
и повезли неведомо куда.<br />
По пути следования прицепили<br />
еще несколько вагонов<br />
с немцами-новобранцами,<br />
в одном из них находились<br />
девушки и женщины. В Омске<br />
нас в первый и последний раз<br />
накормили горячей пищей. С<br />
этой станции мы ехали уже<br />
в сопровождении вооруженного<br />
конвоя. Рано утром 7 декабря<br />
наш эшелон оставили на<br />
запасном пути маленькой<br />
станции Баская. С этого дня<br />
в моей жизни начался новый<br />
отсчет времени…<br />
Я никогда не забуду ту высокую<br />
смертность среди трудармейцев<br />
в 1943 году и первой<br />
половине 1944 года. Каждое<br />
утро из бараков выносили<br />
одного-двух покойников. Их<br />
клали на ручные сани, везли<br />
в ближайший лес, разгребали<br />
снег и старые листья и укладывали<br />
мертвых, засыпая<br />
откинутым снегом: копать<br />
мерзлую землю сил ни у кого<br />
не было.<br />
Особенно запомнился мне<br />
январь 1943 года. 15 января<br />
мороз достиг –53 градусов.<br />
Следующие два дня всем<br />
строителям разрешили<br />
остаться дома. К полудню<br />
18 января чуть потеплело<br />
до –49, и тогда какой-то<br />
начальник приказал всех<br />
вывести из барака на очистку<br />
железнодорожного пути<br />
вблизи шахты № 62. Вышли<br />
более 300 человек. Многие,<br />
не выдержав пурги и мороза,<br />
сбежали часа через два.<br />
К утру пути снова замело.<br />
Зато каждый третий, вернувшийся<br />
со снегоуборки,<br />
обморозил руки или ноги. В<br />
медпункте бинтов и мази<br />
на всех не оказалось. Раны<br />
начали гноиться, от этого<br />
в бараке более месяца стояла<br />
ужасная вонь. Но самое<br />
печальное в этой истории –<br />
работники медсанчасти не<br />
имели права освободить от<br />
работы даже сильно обмороженных.<br />
А на работу они<br />
не в силах были ходить, и<br />
их немедленно лишали пайки<br />
хлеба и горячего питания.<br />
Это было для ослабленных<br />
людей равносильно смерти. В<br />
итоге чьего-то головотяпства<br />
из-за двух часов бесполезной<br />
работы на свирепом<br />
морозе мы потеряли навсегда<br />
более сорока товарищей.»<br />
Из воспоминаний Вилли<br />
Гебеля, родившегося в 1925<br />
году в селе Кеппенталь Автономной<br />
республики немцев<br />
Поволжья. Был мобилизован<br />
в трудармию и попал на Гремячинское<br />
угольное месторождение.<br />
«18 декабря 1942 года я была мобилизована в трудовую армию.<br />
На лесозаготовках в тайге, в Свердловской области я проработала<br />
до октября 1946 года. Потом меня перевезли в город Челябинск на<br />
строительство металлургического комбината»…<br />
Из воспоминаний Ольги Фридриховны Гартман, уроженки села Норка<br />
Бальцерского кантона Республики немцев Поволжья.<br />
него войдут научно-популярные статьи о трудармии,<br />
документы, воспоминания очевидцев, выдержки из<br />
писем 70-летней давности, стихи и песни, отрывки<br />
из пьес, репродукции картин – все то, что сохранит<br />
для ныне живущих и последующих поколений<br />
память о трагических для российских немцев<br />
событиях военных лет. Альбом призван запечатлеть<br />
подвиг немецкого народа, ковавшего в тяжелейших<br />
условиях тыла Победу.<br />
Для того чтобы собрать этот материал МСНК объявляет<br />
о проведении акции. Мы ищем:<br />
• Воспоминания трудармейцев о годах в трудовой<br />
армии.<br />
• Выдержки из писем тех лет.<br />
• Литературные произведения о трудармии.<br />
• Зарисовки и репродукции картин на тему «Трудовая<br />
армия».<br />
• Фотографии трудармейцев, сделанные в военные<br />
годы и в наши дни.<br />
• Рассказы представителей послевоенных поколений<br />
российских немцев, прежде всего молодежи, о<br />
том, что они знают о пребывании их (пра-)бабушек<br />
и (пра-)дедушек на «трудовом фронте», о том, что<br />
Иван Иванович Лаут<br />
(1924–1988), уроженец<br />
г. Бальцера Республики<br />
немцев Поволжья,<br />
осенью 1941 года был<br />
эвакуирован из Москвы<br />
в Казахстан. Уже оттуда<br />
он был мобилизован в<br />
трудармию и попал в<br />
Челябметаллургстрой.<br />
«Когда началась депортация,<br />
мне <strong>12</strong> лет было. Мы<br />
жили в селе Розенфельлд<br />
Мариентальского кантона<br />
Республики немцев Поволжья.<br />
В январе 1942 г. отца в<br />
трудармию забрали, в декабре<br />
1943-го – меня с мачехой.<br />
Осталась там одна только ее<br />
дочь с дочкой, ей было месяцев<br />
11. Нас увезли в Караганду, п.<br />
Новый, в открытые шахты,<br />
а в конце марта – на Дальний<br />
Восток. 15 апреля мы перешли<br />
Амур. В августе снова<br />
по этапу – по непроходимой<br />
местности через лес.<br />
Перед этим у нас забрали все.<br />
Сказали: «Положим в камеру<br />
хранения, когда дойдете, привезем».<br />
А выдали кирки, лопаты,<br />
топоры, пилы, ломы – все<br />
на себе несли. Мы спрашивали:<br />
«Товарищ начальник, скоро<br />
будет наша колонна?» А он:<br />
«Скоро, скоро». А когда мы на<br />
месте остановились, дерево<br />
обтесанное стоит, колышек,<br />
и на нем написано «1-я колонна».<br />
Ничего не было. И вот мы<br />
три месяца под открытым<br />
небом. Есть нечего, врач нас<br />
крапивой поддерживал. Только<br />
иногда на вьюках сухой<br />
паек привезут, дадут. Мы<br />
тогда шалаши из хвои делали.<br />
А в конце сентября палатки<br />
уже сбросили. Установили их,<br />
<strong>Московская</strong> немецкая газета № 24 (319) Декабрь 2011<br />
для них значит этот период в жизни немецкого<br />
народа.<br />
Памятный альбом выйдет на русском и немецком<br />
языках и станет продолжением проекта 2011 года<br />
«„Выселить с треском!“ Очевидцы и исследователи о<br />
трагедии российских немцев».<br />
Работы просим присылать до 1 марта по электронной<br />
почте (osilanteva@martens.ru) или обыкновенной<br />
почтой на адрес: 119435, Москва, Малая Пироговская,<br />
5. МСНК, Ольге Силантьевой. Желательно<br />
указывать номер телефона для оперативной связи.<br />
Просим не присылать отксерокопированные фотографии,<br />
краткие биографии и материалы, не касающиеся<br />
обозначенной тематики. Воспоминания публикуются<br />
в альбоме с фотографиями, поэтому очень<br />
просим найти возможность и прислать в отсканированном<br />
виде по электронной почте фотографии<br />
высокого разрешения. Если у вас возникли вопросы –<br />
пишите, мы готовы проконсультировать. Все герои<br />
очерков и авторы получат авторские экземпляры.<br />
Авторы опубликованных работ получат небольшие<br />
гонорары (от 500 рублей в зависимости от текста,<br />
количества присланных материалов).<br />
из жердей сделали<br />
нары. Старались<br />
побольше ветвей<br />
собрать, постелей<br />
же не было: мы, как<br />
свиньи, в солому<br />
зароемся и лежим. А<br />
потом печки сбросили.<br />
Мы их топили<br />
днем и ночью. И<br />
работали день и<br />
ночь.<br />
Мы молодые были,<br />
по 15–16 лет. Норма<br />
на одного рабочего<br />
была 20 кв. м.<br />
Я должна была с<br />
этих 20 кв. м. снять<br />
растительный слой,<br />
выкорчевать дерево,<br />
если оно попалось,<br />
распилить его,<br />
сложить, сделать<br />
дорогу и откос.<br />
Несколько раз было<br />
так, что нас не кормили<br />
по 3–4 дня, правда, сделали<br />
пекарню. Начальник был,<br />
как сейчас помню, Решетков<br />
Василий Васильевич, пожилой<br />
уже, как он над нами издевался!<br />
Мы ему говорим: «Василь<br />
Василич, но люди ведь уже не<br />
могут, как мы будем работать?»<br />
А он: «Саботажники,<br />
фашисты…»<br />
К концу войны от 300 человек<br />
осталось нас <strong>12</strong>0. Пона-<br />
добилась дорога для войны<br />
с японцами, и нас спасали<br />
черемшой, стали лучше кормить,<br />
относиться лучше...<br />
А после окончания войны<br />
нам объявили, что мы теперь<br />
не трудармейцы, а спецпереселенцы.»<br />
Из воспоминаний Эллы Петровны<br />
Ягодки (Бауэр), г. Барнаул,<br />
Алтайский край.
<strong>Московская</strong> немецкая газета 24 (319) Декабрь 2011<br />
Немецкий – это классно!<br />
В Москве отметили самых лучших друзей немецкого языка<br />
В Российско-немецком доме в Москве <strong>10</strong> декабря состоялось торжественное<br />
награждение победителей Второго всероссийского<br />
конкурса «Друзья немецкого языка». Лучшие получили не только<br />
ценные призы, но и возможность продолжить изучение немецкого<br />
языка как в России, так и в Германии.<br />
Более тысячи человек из<br />
всех регионов России приняли<br />
участие в конкурсе любителей<br />
немецкого языка. Конкурс<br />
стал очередным совместным<br />
российско-германским проектом,<br />
который Международный<br />
союз немецкой культуры<br />
провел при поддержке Министерства<br />
регионального развития<br />
Российской Федерации и<br />
Министерства внутренних дел<br />
Германии.<br />
Цель конкурса заключалась<br />
в популяризации немецкого<br />
языка в России. «Мы изначально<br />
понимали, что прово-<br />
Год 2011 для университета<br />
– 80-й, юбилейный. Созданный<br />
всего двумя годами позже<br />
основания Московской области,<br />
тогда еще областной педагогический<br />
институт должен был<br />
обеспечить кадрами область,<br />
с чем достойно справился. И<br />
сегодня университет является<br />
ключевым образовательным<br />
учреждением подготовки специалистов<br />
для Московской<br />
области и при этом активно<br />
развивает новые направления,<br />
смело внедряясь в сферу международного<br />
сотрудничества.<br />
Обычно к юбилеям готовят<br />
как большие отчеты, так<br />
и запуски новых программ и<br />
проектов. Для МГОУ таких<br />
проектов в 2011 году было два,<br />
и оба связаны с немецким языком.<br />
Первый – создание Ассоциации<br />
учителей немецкого<br />
языка Московской области,<br />
второй – создание в университете<br />
регионального центра<br />
немецкого языка.<br />
А еще годом ранее был запущен<br />
пилотный проект по этнокультурному<br />
образованию<br />
российских немцев. В 2011<br />
году набор российских немцев<br />
на факультет психологии был<br />
продолжен, а к сотрудничеству<br />
в этой программе присоединились<br />
Пятигорский лингвистический<br />
университет и Омский<br />
государственный университет<br />
им. Достоевского, с которыми<br />
МГОУ сотрудничает в рамках<br />
созданного консорциума вузов<br />
для реализации программ, связанных<br />
с поддержкой одного<br />
из народов России – российских<br />
немцев.<br />
«Со специалистами МГОУ<br />
приятно работать, – отмечает<br />
куратор программы от Международного<br />
союза немецкой<br />
культуры Наталья Хречкова.<br />
Анна Захарова<br />
дить конкурс только для российских<br />
немцев не интересно,<br />
– рассказывает первый заместитель<br />
председателя МСНК<br />
Ольга Мартенс. – Интересно<br />
его осуществлять для всей<br />
страны. Для нас было главным,<br />
чтобы о немецком языке говорили<br />
в России как об одном<br />
из ведущих языков мирового<br />
общения».<br />
На церемонию награждения<br />
в Москву съехались взрослые<br />
и юные участники со всей<br />
страны. Чтобы занять почетные<br />
места, конкурсантам пришлось<br />
немало потрудиться.<br />
Ольга Видигер<br />
– Высокий профессионализм<br />
сочетается с высокой мобильностью,<br />
умением адаптировать<br />
учебные программы к практической<br />
деятельности общественных<br />
организаций сообщества<br />
российских немцев».<br />
Университет активно развивает<br />
партнерство с европейскими<br />
вузами, в числе которых<br />
Потсдамский университет,<br />
Мюнхенский институт иностранных<br />
языков и переводчиков.<br />
Павел Хроменков, молодой,<br />
энергичный ректор МГОУ, считает,<br />
что к открытию новых<br />
проектов, связанных с популяризацией<br />
немецкого языка, привело<br />
долгосрочное и надежное<br />
сотрудничество университета<br />
с различными представительствами<br />
образовательных учреждений,<br />
фондов, предприятий<br />
федеральной земли Бавария.<br />
Партнеры принимают самое<br />
активное участие в поддержке<br />
университета. Так, например,<br />
президент Фонда им. Ханса<br />
Зайделя, г-н Ханс Цеетмайр,<br />
в прошлом министр образования<br />
и вице-премьер земли<br />
Бавария, бывая один раз в году<br />
в представительстве фонда в<br />
Москве, обязательно посещает<br />
МГОУ, и не просто с дружеским<br />
визитом, а с лекцией<br />
для студентов. Лекция идет на<br />
немецком языке и посвящена<br />
различным аспектам взаимовлияния<br />
языка и различных<br />
профессиональных сфер коммуникации.<br />
Так, во время своего последнего<br />
визита Ханс Цеетмайр<br />
беседовал со студентами о<br />
языке политики. По окончании<br />
лекции президент фонда,<br />
отвечая на вопросы студентов,<br />
отметил высокий интерес со<br />
стороны университета к раз-<br />
Ведь на суд жюри было представлено<br />
свыше 2000 конкурсных<br />
работ в шести различных<br />
номинациях. «Мы очень<br />
старались стать участниками<br />
и победителями этого конкурса»,<br />
– рассказывает Татьяна<br />
Воронкова, преподаватель<br />
немецкого языка гимназии<br />
№133 из Самары. Татьяна объясняет:<br />
«Российские немцы<br />
внесли большой вклад в развитие<br />
нашего города. Поэтому<br />
мы решили проводить<br />
экскурсии по местам самарских<br />
немцев для немецких и<br />
русских детей на двух языках.<br />
Программы этих экскурсий<br />
мы и отправили на конкурс<br />
«Друзья немецкого языка».<br />
Видимо, старались не зря –<br />
жюри присудило нам первое<br />
место в конкурсе методических<br />
разработок».<br />
витию сотрудничества с Германией.<br />
Именно этот интерес дает<br />
немецким партнерам импульсы<br />
Около 50-ти человек были<br />
приглашены в Москву на<br />
недель ную встречу для лауреатов<br />
и победителей конкурса.<br />
Друзей немецкого языка<br />
ожидало множество приятных<br />
сюрпризов. Одним из них стал<br />
мастер-класс немецкого мультипликатора<br />
Артура Клозе,<br />
который поделился с конкурсантами<br />
секретами анимации.<br />
Кроме того, в программу<br />
встречи вошло и изучение<br />
немецкого языка. «Я рад,<br />
что получил возможность не<br />
только побывать в Москве,<br />
но и узнать много нового о<br />
немецком языке на занятиях<br />
у Елены Зейферт», – рассказывает<br />
15-летний Владимир<br />
Лежнёв из Волгограда, занявший<br />
второе место в номинации<br />
«Юный переводчик». С<br />
благодарностью вспоминает<br />
«Поступил в МОПИ – так не вопи!»<br />
Фраза из заголовка красовалась на плакате в столовой Московского<br />
государственного областного университета (МГОУ) в далекие<br />
советские годы, когда университет еще назывался Московским<br />
областным педагогическим институтом им. Н.К. Крупской. Бывшие<br />
студенты и сегодня с теплотой вспоминают этот плакат и то серьезное,<br />
фундаментальное образование, которое дал им институт.<br />
Сегодня университет МГОУ – классическое учебное заведение,<br />
уделяющее большое внимание развитию российско-германских<br />
отношений в сфере образования.<br />
р о с с и я – Г е р М а н и я<br />
Образование – один из основных курсов российско-германского сотрудничества<br />
Павел Хроменков, ректор МГОУ, и Ханс Цеетмайр, президент Фонда им.<br />
Ханса Зайделя.<br />
для усиленной поддержки университета.<br />
Так, например, для<br />
поддержки молодых ученых<br />
объявляется новый набор абитуриентов на<br />
обучение по проГраММе «аванГарД» в 20<strong>12</strong> ГоДу<br />
Уважаемые абитуриенты!<br />
Если вы:<br />
• собираетесь в 20<strong>12</strong> году поступать в высшее учебное заведение;<br />
• являетесь активистом молодежного движения российских немцев в<br />
своем регионе;<br />
• посещаете центры встреч российских немцев;<br />
• собираетесь связать свою судьбу с развитием культуры и сохранением<br />
национальной идентичности россий ских немцев,<br />
то информация, которую мы предлагаем, именно для вас.<br />
Hanns-Seidel-Stiftung<br />
V<br />
Татьяна Воронкова занятия<br />
профессора кафедры лингводидактики<br />
Московского государственноголингвистического<br />
университета Галины Валентиновны<br />
Перфиловой: «Когда<br />
варишься в собственном соку,<br />
всегда хочется чего-то нового,<br />
и это новое, занимательное и<br />
познавательное давала нам на<br />
своих уроках эта прекрасная<br />
женщина».<br />
А вот для <strong>12</strong>-летней Нины<br />
Захаровой из Самары, победившей<br />
в номинации «Юный<br />
художник», уроки немецкого<br />
языка оказались самыми<br />
сложными: «Приходилось<br />
очень много воспринимать<br />
и запоминать, но было очень<br />
интересно». Главное, чтобы<br />
этот интерес развивался. Ведь<br />
немецкий – это действительно<br />
классно!<br />
Фонд им. Ханса Зайделя дополнительно<br />
выделяет пять стипендий<br />
для научных стажировок<br />
аспирантов МГОУ. Поддержку<br />
фонд обещает и в вопросах<br />
оснащения регионального центра<br />
немецкого языка. Цеетмайр<br />
подчеркивает: «Важно быть в<br />
таком сотрудничестве не опекуном,<br />
а партнером, предлагать<br />
помощь для самопомощи<br />
и понимать, что богатые традиции<br />
языка и культуры, которые<br />
есть у наших народов, очень<br />
тесно переплетены как в историческом,<br />
так и в современном<br />
контексте. И наша задача,<br />
выстраивая личные контакты<br />
и развивая партнерство, сохранять<br />
модус вивенди, служить<br />
взаимопониманию и знать, что<br />
мир в Европе зависит от понимания<br />
наших двух народов».<br />
Международный союз немецкой культуры (МСНК) объявляет набор абитуриентов на обучение в вузах<br />
Москвы, Пятигорска и Омска в рамках комплексной программы этнокультурного образования российских<br />
немцев в следующие вузы:<br />
Московский государственный областной университет (МГОУ)<br />
Факультет психологии; специальность – социальная работа.<br />
Пятигорский государственный лингвистический университет (ПГЛУ)<br />
Факультет: Институт германских языков международного маркетинга и инноватики; специальности: лингвистика,<br />
преподавание немецкого языка.<br />
Омский государственный университет им. Ф.М. Достоевского (ОмГУ)<br />
Факультет культуры и искусства, исторический факультет; специальности: история, основы режиссуры, основы<br />
кино-, фото-, видеотворчества, основы социокультурной деятельности, теория музыки, сольное пение, дирижирование,<br />
основы актерского мастерства и др.<br />
Продолжительность обучения: 4 академических года.<br />
Форма обучения очная.<br />
Подробную информацию о вступительных испытаниях в вузах смотрите на их сайтах: http://www.mgou.ru,<br />
http://www.pglu.ru, http://www.omsu.ru<br />
За подробной информацией по обучению обращайтесь к руководителю проектов программы «Авангард»<br />
Наталье Хречковой по телефону в Москве +7 (495) 937-65-44.<br />
Заявки принимаются до 20 июня 20<strong>12</strong> года по электронной почте info@ivdk.ru или по факсу +7 (499) 766-48-76.<br />
Контактное лицо – Дарья Шелаева.<br />
Желаем вам успеха в предстоящих экзаменах и надеемся на дальнейшее сотрудничество!!!
<strong>Vi</strong><br />
и с т о р и я и к у л ь т у р а<br />
Противоречивая, долгое<br />
время бывшая почти табуированной<br />
тема оккупации во<br />
время Великой Отечественной<br />
войны собрала в Новгородской<br />
областной библиотеке полный<br />
зал. Послушать известного новгородского<br />
историка, вот уже<br />
четверть века исследующего<br />
тему Второй мировой войны,<br />
пришли историки, студенты,<br />
ветераны и дети войны. В<br />
600-страничном исследовании<br />
описаны реалии ежедневного<br />
существования на оккупированной<br />
нацистскими войсками<br />
территории советской России<br />
и взаимоотношения советских<br />
граждан с оккупантами. Опираясь<br />
на архивы УФСБ и воспоминания<br />
очевидцев, автор<br />
представил панораму реальной<br />
жизни и мотивы поведения<br />
людей в условиях оккупации,<br />
описывая как истоки массового<br />
героизма, так и причины<br />
сотрудничества с оккупантами<br />
и предательства. Ковалев<br />
проанализировал ситуацию на<br />
всей территории РСФСР в границах<br />
того времени, включая<br />
Крым.<br />
Борис Ковалев рассказал, что<br />
стремился осмыслить страницы<br />
истории через судьбу рядового<br />
человека – женщины,<br />
которая хочет любить и быть<br />
Едва ли в Германии найдется<br />
такое второе место, как горная<br />
область Харц, где было<br />
бы столько легенд и преданий,<br />
связанных с нечистой силой.<br />
До сих пор в ночь с 30 апреля<br />
на 1 мая на горе Брокен празднуют<br />
Вальпургиевую ночь. Из<br />
глубины веков пришло поверье,<br />
что в эту особую ночь ведьмы<br />
устраивают на горе свой шабаш.<br />
Веселится нечисть не только<br />
ради удовольствия – колдуньи<br />
«вытанцовывают» снег, ускоряя<br />
Арина Попова<br />
любимой, ребенка, мечтающего<br />
ходить в школу и есть досыта,<br />
старика, который хоть и<br />
пожил, но не хочет умирать. По<br />
словам новгородского историка,<br />
десятки миллионов людей,<br />
вынужденных выживать в экстремальных<br />
условиях, в чем-то<br />
оказались преданными своим<br />
государством, обвинявшем их<br />
в измене родине. «Я написал<br />
о тех, кто внес вклад в победу,<br />
встав в ряды антинацистского<br />
сопротивления, и о тех,<br />
кто уничтожал своих сограждан<br />
в отрядах карателей или<br />
содействовал оккупационному<br />
режиму, служа старостами,<br />
журналистами; а были и такие,<br />
которые просто занимались<br />
бизнесом», – сказал автор.<br />
Под какие проценты можно<br />
было положить деньги в немецкий<br />
банк в Орле в 1942 году или<br />
что преподавали школьникам<br />
в 1943-м, какие задачи нацисты<br />
ставили перед советской кустарной<br />
промышленностью, и<br />
что печаталось на страницах<br />
коллаборационистской прессы<br />
– такие факты впервые предстают<br />
перед широкой читательской<br />
аудиторией, поражая<br />
воображение. Например, в<br />
Великих Луках нацисты захотели<br />
открыть публичный дом и<br />
пригласили для этого еврейку,<br />
Рольф Майзингер<br />
тем самым приход весны. Событие<br />
это настолько популярное,<br />
что желающие в нем поучаствовать<br />
съезжаются буквально со<br />
всего мира. Толпы ряженых устраивают<br />
шествие к месту ведьминых<br />
танцев (Hexentanzplatz).<br />
Где под дикий шум и грохот<br />
сжигают соломенных кукол.<br />
В 1921 году в городке Тале,<br />
расположенном неподалеку<br />
от Брокена, вышла, пожалуй,<br />
самая замечательная серия банкнот,<br />
посвященных этой теме.<br />
содержавшую притон в Одессе.<br />
Приехавшие из Берлина чинуши,<br />
узнав о ее национальности,<br />
расстреляли женщину.<br />
А самого профессора Ковалева,<br />
за долгие годы работы<br />
в архивах, по собственному<br />
признанию, почти переставшего<br />
удивляться ужасающим<br />
фактам, все же поразила история<br />
«орловского рикши» –<br />
<strong>12</strong>-летнего мальчика, который<br />
кормил всю семью, перевозя<br />
на своей тележке чемоданы. А<br />
однажды за две буханки хлеба<br />
он повез двух немецких солдат,<br />
боясь не того, что надорвется,<br />
а что тележка развалится.<br />
Этот рассказ Ковалев услышал<br />
в Орле от 80-летнего старика<br />
– того самого бывшего «орловского<br />
рикши».<br />
Например, лицевую часть банкноты<br />
в 25 пфеннигов украшают<br />
пляшущие ведьмы, а ее оборотную<br />
сторону – здание гостиницы<br />
Hexentanzplatz. На банкноте в<br />
50 пфеннигов изображена скачущая<br />
на метле старая колдунья<br />
и леший, у которого одна нога<br />
человеческая. Не обошлось и без<br />
главного бога языческого пантеона<br />
древних немцев – Водана. Его<br />
изображение и двух верных ему<br />
слуг-воронов расположилось на<br />
банкноте в 5 пфеннигов.<br />
В Харце существует поверье:<br />
если хочешь увидеть летящую на<br />
шабаш ведьму, нужно забраться<br />
под лежащий на ее пути плуг. Но<br />
сидеть нужно тихо-тихо, иначе<br />
зыркающая по сторонам прислужница<br />
сатаны обязательно<br />
тебя заметит. А тогда уж пеняй<br />
на себя! Унесет с собой на шабаш,<br />
где до рассвета над тобой будут<br />
<strong>Московская</strong> немецкая газета № 24 (319) Декабрь 2011<br />
История Второй мировой без купюр<br />
В Великом Новгороде прошла презентация книги историка Бориса Ковалева<br />
В начале декабря в Новгородской областной научной библиотеке<br />
доктор исторических наук, профессор Новгородского университета<br />
Борис Ковалев презентовал свою книгу «Повседневная жизнь:<br />
население России в период нацистской оккупации». Книга вышла в<br />
этом году в издательстве «Молодая гвардия» тиражом 4000 экземпляров<br />
в серии «Живая история».<br />
Ведьмины деньги<br />
История <strong>12</strong>-летнего «орловского рикши» – одна из многих на страницах<br />
книги Ковалева.<br />
Детям в книге посвящена<br />
отдельная глава. «Страх» –<br />
вот слово, которое чаще всего<br />
встречается в детских воспоминаниях:<br />
«Было страшно, когда<br />
отец приходил домой и срочно<br />
отправлял старших сестер по<br />
дворам, где были дети старше<br />
шестнадцати лет, чтобы предупредить<br />
об облавах, которые<br />
периодически устраивали<br />
немцы и полицаи с целью угона<br />
молодежи в Германию. Страх,<br />
что нас выгонят зимой из сарая,<br />
где жила наша семья, так как<br />
дом занимали немецкие солдаты,<br />
страх, что отца расстреляют<br />
за связь с партизанами».<br />
А глава с провокационным<br />
названием «Любовь за морковь»<br />
повествует о женских<br />
судьбах на оккупированной<br />
Старинные немецкие банкноты – кладезь немецкой истории и фольклора<br />
Деньги – универсальная энциклопедия, которая постоянно находится<br />
у нас под рукой. Универсальная потому, что едва ли существует<br />
тема, которая не была бы отображена на деньгах мира. На них<br />
запечатлены величайшие достижения науки и техники, отклики<br />
знаменитых и малоизвестных исторических событий. Но и это еще<br />
не все! Ибо банкноты в полной мере отображают и миры незримые,<br />
и наши душевные переживания, и неискоренимую любовь<br />
человека к таинственному и мистическому.<br />
потешаться черти. Именно такая<br />
богомерзская баба, выискивающая<br />
очередную жертву, и изображена<br />
на выпуске Лейхтенбурга.<br />
К северу от Брокена, практически<br />
у подножия горы, расположился<br />
живописный городок<br />
Ильзенбург. На его бумажных<br />
денежных знаках, датированных<br />
1 июня 1921г., появляются<br />
уже другие персонажи местного<br />
фольклора: гномы и великаны.<br />
На двух <strong>10</strong>-пфенниговых банкнотах<br />
изображен Гюбих – король<br />
горных коротышек, которого<br />
нетрудно узнать по волшебному<br />
жезлу. А купюру в 50 пфеннигов<br />
украшают великаны, которые<br />
держат в руках вырванную с<br />
корнями ель. Очень интересным<br />
изображением может похвастать<br />
купюра в 25 пфеннигов. Здесь и<br />
прыгающий перед кипящим котлом<br />
чертенок, и вылетающая из<br />
На одной из брокенских банкнот колдуньи «вытанцовывают» снег, на другой – ведьма летит на шабаш, а на третьей – грозно смотрит король гномов Гюбих.<br />
территории. Комсомолка Оля<br />
из Орла просилась на фронт,<br />
но в военкомате ей предложили<br />
стать разведчицей. Она<br />
быстро вошла в немецкую<br />
офицерскую среду, ходила к<br />
тайнику в условные дни и не<br />
находила там никаких заданий,<br />
лишь свои донесения... В отчаянии<br />
Ольга безуспешно пыталась<br />
бежать из города. А после<br />
освобождения Орла посыпались<br />
доносы о предательском<br />
поведении «девки Ольги».<br />
Военный трибунал приговорил<br />
девушку к двадцати пяти годам<br />
лагерей «за сотрудничество с<br />
гитлеровскими оккупантами».<br />
В качестве документов времени<br />
предстают перед читателями<br />
и копии коллаборационистских<br />
газет, пестрящих объявлениями:<br />
«Возобновляю врачебную<br />
практику», «В артель требуются<br />
плотники». А в одной из смоленских<br />
газет можно увидеть<br />
обращение – «Разыскивается<br />
8-летний Эдуард Хиль», написанное<br />
матерью будущего знаменитого<br />
певца.<br />
«Моральное осуждение тех,<br />
кто совершил неблаговидные<br />
поступки, безусловно, должно<br />
быть, – резюмирует автор<br />
книги. – Но самое главное, я<br />
пишу об этом в заключительной<br />
главе, – о тех, кто правдами<br />
и неправдами пытался<br />
сохранить жизнь себе и близким,<br />
мы должны говорить с<br />
горечью и со словами из Священного<br />
Писания: «Не судите<br />
– да не судимы будете». Может<br />
быть, их суд над собой был<br />
гораздо страшнее и строже»...<br />
печной трубы молодая ведьма, и<br />
заглядывающая в совиное гнездо<br />
колдунья.<br />
Глядя на эти, ни на что не<br />
похожие денежные знаки, поражаешься<br />
воображению не только<br />
тех талантливых художников,<br />
кто приложил к их эскизам свою<br />
руку. Но и в большой степени той<br />
необузданной народной фантазии,<br />
породившей удивительные<br />
образы. И вовсе не важно, сыграли<br />
ли свою роль в возникновении<br />
этих банкнот скрытые в каждом<br />
человеке первобытные страхи<br />
перед лицом дикой природы.<br />
Главное, что благодаря немецким<br />
банкнотам, мы имеем прекрасную<br />
возможность насладиться<br />
красотой и изяществом крайне<br />
редких для бумажных денег<br />
сюжетов. А, кроме того, еще и<br />
окунуться в таинственный мир<br />
харцевских легенд и сказок.
<strong>Московская</strong> немецкая газета 24 (319) Декабрь 2011<br />
Немцы простились со своей<br />
«Кассандрой»<br />
Первого декабря ушла из жизни 82-летняя писательница<br />
Криста Вольф<br />
Классик послевоенной литературы Криста Вольф долгие годы<br />
была летописцем и символом эпохи ГДР. Почти полвека в разных<br />
странах ее книгами зачитывались, их обсуждали и экранизировали.<br />
Вольф награждена многими престижными литературными<br />
премиями. Немцы на востоке и на западе страны называли писательницу<br />
«моральной инстанцией ГДР». В 20<strong>10</strong> году вышел ее<br />
по следний роман «Город ангелов».<br />
Криста появилась на свет в<br />
1929 году в семье владельцев<br />
небольшой продуктовой лавки<br />
Герты и Отто Иленфельда в<br />
прусском городке Ландсбергна-Варте,<br />
который после войны<br />
отошел Польше. После бегства<br />
от советских войск в 1945<br />
году семья осела в Мекленбурге.<br />
В 1949 году 20-летняя<br />
Криста Вольф стала студенткой<br />
факультета германистики<br />
университета Йены и вступила<br />
в Социалистическую единую<br />
партию Германии. Членом партии,<br />
как и членом правления<br />
Союза писателей ГДР, Вольф<br />
была полвека – до 1989 года.<br />
Оставаясь до конца верной<br />
режиму, Вольф тем не менее<br />
всегда наблюдала и описывала<br />
реалии ГДР с критического<br />
расстояния.<br />
Литературным дебютом<br />
писа тель ницы стала повесть<br />
«<strong>Московская</strong> новелла», написанная<br />
ею после второй поездки<br />
в Москву и опубликованная<br />
в 1961 году. Историей любви<br />
немецкой девушки и русского<br />
офицера зачитывались в<br />
Восточной Германии, а вскоре<br />
однофамилец писательницы<br />
режиссер Конрад Вольф, живший<br />
тогда в СССР, экранизировал<br />
ее. Но советская цензура<br />
картину не пропустила, что<br />
Криста Вольф, убежденный<br />
член СЕПГ, восприняла очень<br />
болезненно, назвав политбюро<br />
«коллективным инквизитором».<br />
Признание молодой писательнице<br />
принес опубликованный<br />
в 1963 году роман «Расколотое<br />
Арина Попова<br />
небо», который почти сразу же<br />
был экранизирован. Это произведение,<br />
в котором речь идет<br />
о проблематике разделенной<br />
Германии, а действие происходит<br />
во время строительства<br />
Берлинской стены, принесло<br />
Вольф премию имени Генриха<br />
Манна и известность в Советском<br />
Союзе.<br />
Главным детищем Кристы<br />
Вольф литературные критики<br />
считают написанную в 1983<br />
году повесть «Кассандра».<br />
В ней автор, по собственному<br />
признанию, исследовала<br />
проблему философии власти.<br />
Интересно, что впервые роман<br />
был опубликован в Советском<br />
Союзе на страницах журнала<br />
«Иностранная литература»,<br />
членом международного совета<br />
редакции которого писательница<br />
являлась много лет.<br />
Впервые бурные дебаты<br />
во круг имени Кристы Вольф<br />
разгорелись в 1989 году, после<br />
выхода в свет ее рассказа «Что<br />
остается», написанного еще в<br />
1979 году. Образ самой Вольф<br />
легко угадывается в главной<br />
героине-писательнице, которая,<br />
находясь под постоянным<br />
наблюдением службы безопасности<br />
ГДР, пытается вырваться<br />
из-под контроля и отчаянно<br />
ищет причины краха общества<br />
ГДР. Полемика вспыхнула<br />
во круг вопроса, почему Вольф<br />
так поздно опубликовала свой<br />
рассказ, и можно ли считать ее<br />
борцом сопротивления, если<br />
ей не хватило мужества опубликовать<br />
рассказ на Западе до<br />
падения Берлинской стены. В<br />
защиту коллеги тогда выступили<br />
Вольф Бирман и Гюнтер<br />
Грасс, напомнив, что еще в 1968<br />
году в романе «Размышления о<br />
Кристе Т.» она ставила под сомнение<br />
прогрессивность модели<br />
государства ГДР. А также апеллировали<br />
к тому, что если бы<br />
она открыто выступила против<br />
режима, то попросту лишилась<br />
бы гражданства и вместе с ним<br />
возможности писать.<br />
Спустя год, в 1990 году, Вольф<br />
выступила против объединения<br />
Германии, что стало предметом<br />
многочисленных бурных<br />
споров. Масла в огонь добавили<br />
найденные документы о<br />
том, что с 1959-го по 1962 год<br />
Вольф работала на «Штази» и<br />
написала для восточногерманской<br />
разведки три отчета. И<br />
хотя в них она положительно<br />
охарактеризовала интересовавших<br />
спецслужбу людей, и<br />
вплоть до объединения Германии<br />
за самой писательницей<br />
следили агенты внутренней<br />
разведки, в начале 1990-х на<br />
Вольф обрушилась волна критики.<br />
И в 1992-м, получив стипендию<br />
Центра Джетти, она на<br />
семь лет уехала в США. Через<br />
год вышел ее роман «Медея»,<br />
который был благодушно принят<br />
читателями. Как и «Кассандра»,<br />
он повествует о мифической<br />
женщине, дерзнувшей<br />
вмешаться в общественную<br />
жизнь мужчин.<br />
Первого декабря Криста<br />
Вольф на 83-м году жизни<br />
скончалась в Берлине. «В<br />
лице Кристы Вольф Германия<br />
теряет одну из своих самых<br />
значительных писательниц, –<br />
отметил в своем соболезновании<br />
председатель бундестага<br />
Норберт Ламмерт. – Ее книги<br />
– это выдающиеся свидетельства<br />
послевоенного времени,<br />
впечатляющие и после падения<br />
Стены не меньше, чем во времена<br />
разделенной Германии».<br />
и с т о р и я и к у л ь т у р а<br />
русский Гейне<br />
В Дюссельдорфе напомнили о<br />
немецком Пушкине<br />
Выставка объединила около<br />
трехсот экспонатов из Государственного<br />
музея А.С.Пушкина<br />
и института имени Генриха<br />
Гейне. В экспозиции первые<br />
издания произведений Гейне,<br />
портретные изображения,<br />
иллюстрации к книгам из берлинской<br />
Государственной библиотеки<br />
Фонда прусского культурного<br />
наследия. «Немецкий<br />
институт и российский музей<br />
свято хранят наследие двух<br />
классиков – А.С.Пушкина и<br />
Г.Гейне. Из всех великих национальных<br />
литератур, немецкая<br />
и русская шли и идут вместе»,<br />
– рассказывает Евгений Богатырев,<br />
директор Государственного<br />
музея А.С. Пушкина.<br />
Ни в одной стране мира за<br />
пределами Германии Генрих<br />
Гейне не популярен так, как<br />
в России. Именно в России, в<br />
1827 году было обнародовано<br />
первое стихотворение Гейне. А<br />
сегодня уже более 4500 стихотворений<br />
великого немецкого<br />
поэта опубликовано в переводе<br />
на русский язык.<br />
В Германии до сих пор не<br />
могут решить вопрос – ставить<br />
ли памятник Генриху Гейне.<br />
Зато в России памятники писателю<br />
давно возведены. Первый<br />
был сооружен в 1918 году в<br />
Петербурге, второй – немного<br />
позже в Москве. Правда, оба<br />
памятника вскоре бесследно<br />
пропали, и сегодня представлены<br />
лишь в виде большой<br />
фотографии.<br />
Среди экспонатов выставки<br />
привлекает внимание одна<br />
загадочная надпись на обоях,<br />
которые покрывали стену в<br />
подвале Ипатьевского дома в<br />
Екатеринбурге, где в 1918 году<br />
<strong>Vi</strong>i<br />
В институте имени Генриха Гейне (Heinrich-Heine-Institut) в Дюссельдорфе<br />
открылась выставка «Русский Гейне», приуроченная к<br />
13 декабря – 214 дню рождения великого немецкого поэта, прозаика<br />
и публициста – Генриха Гейне. Основные экспонаты выставки<br />
подготовлены и привезены в родной город поэта из Москвы Государственным<br />
музеем А.С.Пушкина, многолетним партнером Дюссельдорфского<br />
института.<br />
Григорий Крошин<br />
была расстреляна семья Романовых<br />
вместе с их слугами.<br />
Надпись гласит: «Belsatzar war<br />
in selbiger Nacht / Von seinen<br />
Feinden umgebracht» (Бельзатцар<br />
был в ту же ночь/ убит<br />
своими врагами). «Нам очень<br />
важно разгадать, кто именно<br />
написал текст Гейне на обоях<br />
Ипатьевского дома в Екатеринбурге»,<br />
– говорит Евгений<br />
Богатыреев.<br />
На выставке приведены документальные<br />
подтверждения<br />
того, что В.И.Ленин высоко<br />
ценил Генриха Гейне, как «великую<br />
предтечу революции». А<br />
И.В.Сталин постепенно превратил<br />
немецкого поэта в фигуру<br />
советской революционной пропаганды,<br />
которая в 30-е годы<br />
XX столетия использовалась<br />
как инструмент борьбы против<br />
германского фашизма.<br />
Среди экспонатов немецкому<br />
посетителю представлены<br />
десятки рукописей, в том числе<br />
письма брата Генриха Гейне,<br />
Максимилиана, который служил<br />
с 1829 года хирургом в<br />
русской Имперской армии.<br />
Например, в одном из писем<br />
Генриху в 1830 году Максимилиан<br />
сообщает: «В России есть<br />
поэт Пушкин, необычно похожий<br />
на тебя. Его произведения<br />
прекрасно написаны и совершенно<br />
оригинальны».<br />
В декабре и январе для посетителей<br />
выставки «Русский<br />
Гейне» запланирована обширная<br />
программа с участием<br />
литературоведов, ученых,<br />
историков и музыкальных<br />
критиков – экскурсии, лекции,<br />
концерты и дискуссии, рассказывающие<br />
об отношении к<br />
Гейне в России.
<strong>Vi</strong>ii<br />
Die ersten deutschen<br />
Kolonisten<br />
Es war einmal vor 250 Jahren. in Russland<br />
gab es viel fruchtbares Land. Aber<br />
es lebten hier zu wenig Menschen, die<br />
das Land bearbeiten konnten. Die Zarin<br />
Katharina die Zweite hatte im Jahre<br />
1763 eine idee. Sie schrieb ein Manifest.<br />
Das Manifest war eine Einladung an<br />
Ausländer, die nach Russland kommen<br />
wollten.<br />
Katharina ii. versprach den Ausländern<br />
(ein Stück) Land. Sie brauchten keine<br />
Steuern zu zahlen. Sie durften ihre Religion<br />
behalten.<br />
н е М е ц к и й я з ы к<br />
Deutsch mit Deutschfreunden<br />
Im Laufe dieses Jahres führte der Internationale Verband der deutschen Kultur (IVDK) mit Unterstützung des<br />
Bundesministeriums des Innern der Bundesrepublik Deutschland und des Ministeriums für Regionalentwicklung<br />
der Russischen Föderation den zweiten Gesamtrussischen Wettbewerb „Freunde der deutschen Sprache“<br />
durch. Beim Wettbewerb – dem deutsch-russischen Gemeinschaftsprojekt – gingen insgesamt mehr als<br />
2.000 Beiträge ein. Eine der sieben ausgeschriebenen Wettbewerbskategorien hieß „Über die Deutschen Russlands<br />
im Deutschunterricht“. Aus ganz Russland sandten die Deutschlehrer und Deutschlehrerinnen ihre Beiträge<br />
ein: mit Vorschlägen, wie man das Thema „Deutsche Russlands“ im Deutschunterricht behandeln kann.<br />
Hier präsentieren wir Euch einen kleinen Auszug aus dem Wettbewerbsbeitrag von Nadeschda Mischarina,<br />
Deutschlehrerin an der Schule mit erweitertem Deutschunterricht Nr. 21 in Syktywkar (Republik Komi). Nadeschda<br />
unterrichtet bereits seit 28 Jahren Deutsch. Diese Sprache sei für sie „sowohl der Beruf als auch die Berufung<br />
sowie auch das Mittel zur Selbstverwirklichung“.<br />
Aufgaben<br />
1. Beantworte folgende Fragen.<br />
a) An wen schrieb die Zarin Katharina ii. ein Manifest?<br />
b) Wann schrieb Katharina ii. dieses Manifest?<br />
c) Aus welchen Regionen kamen die ersten Deutschen<br />
nach Russland?<br />
d) Was war die erste Station in Russland für die Deutschen?<br />
2. löse das Kreuzworträtsel. Wie lautet das lösungswort?<br />
a) im 18. Jahrhundert kostete dieses <strong>Vi</strong>eh sieben Rubel.<br />
b) Die erste deutsche Kolonie Nischnjaja Dobrinka<br />
wurde an diesem mächtigen Strom gegründet.<br />
c) Mit diesem Wort kann man Rubel, Euro, Dollar oder<br />
Frank bezeichnen.<br />
d) in dieser Stadt an der Wolga bekamen deutsche<br />
Familien 150 Rubel als Unterstützung.<br />
e) So viel Geld kostete die Kuh.<br />
f) Dieses Wort bedeutet eine Gruppe von Verwandten,<br />
die zusammen wohnen, z.B. Eltern und Kinder.<br />
g) Dieser Begriff steht auch für die Fahrt, die Tour, die<br />
Wanderung.<br />
Damals war Deutschland kein großes<br />
Land. Es gab viele kleine oder große Fürstentümer.<br />
Die Fürsten führten oft Krieg.<br />
<strong>Vi</strong>elen Deutschen gefiel das nicht. Sie<br />
wollten ruhig leben.<br />
Die Ausländer hörten von dem Manifest<br />
der russischen Zarin und gingen<br />
nach Russland. Die ersten Deutschen<br />
aus dem Rheinland, aus Hessen und<br />
Sachsen fuhren mit dem Schiff über die<br />
Ostsee nach Sankt Petersburg. Von dort<br />
fuhren sie mit Pferdewagen weiter. Die<br />
Reise dauerte ein ganzes Jahr! Und sie<br />
war nicht einfach, das könnt ihr euch<br />
vorstellen.<br />
<strong>Московская</strong> немецкая газета № 24 (319) Декабрь 2011<br />
Die kürzeste Reise hatten die Deutschen,<br />
die in den Kolonien in der Nähe<br />
von Sankt Petersburg blieben. Die anderen<br />
fuhren weiter – an die Wolga. Am<br />
29. Juni 1764 wurde die erste Kolonie an<br />
der Wolga gegründet. Sie hieß Nischnjaja<br />
Dobrinka. Jede Familie baute ein Haus.<br />
in Saratow bekam jede Familie als Unterstützung<br />
150 Rubel. Das war viel Geld.<br />
Eine Kuh kostete nämlich sieben Rubel.<br />
Als die Deutschen nach Russland kamen,<br />
wunderten sie sich über viele Dinge: Der<br />
Winter war sehr kalt, es lag viel Schnee.<br />
Die russischen Bauern schliefen auf dem<br />
Ofen. in manchen russischen Bauern-<br />
Адрес редакции: 119 435, Москва, ул. Малая Пироговская, д. 5, оф. 54. E-mail: redaktion@martens.ru Тел.: +7 (495) 937 65 44, +7 ( 495) 246 94 48.<br />
Отпечатано в типографии: ОАО «Издательский дом «Красная Звезда», <strong>12</strong>3007, Москва, Хорошевское ш., 38.<br />
häusern gab es keine Schornsteine. Die<br />
Fenster waren ohne Glas.<br />
Die deutschen Dörfer sahen anders<br />
aus als die russischen. Bald gab es viele<br />
Bäume in der Steppe an der Wolga.<br />
Deutsche Bauern achteten darauf, dass<br />
ihr Dorf sauber war. Alle deutschen<br />
Kinder gingen zur Schule. Die Schüler,<br />
klein und groß, saßen in einer Klasse.<br />
Der Pfarrer war gleichzeitig auch der<br />
Lehrer. Sie hatten keine Lehrbücher –<br />
lesen und schreiben lernten sie mit der<br />
Bibel. Physik oder Chemie als Schulfächer<br />
gab es damals noch nicht, aber die<br />
Schüler lernten rechnen.<br />
3. Welche der genannten eigenschaften treffen am<br />
ehesten auf die Deutschen und welche auf die Russen<br />
zu. Besprich es in der Gruppe mit anderen teilnehmern:<br />
Wie kannst du argumentieren?<br />
Ordnungssinn Organisationstalent<br />
Faulheit Religiosität<br />
Rückständigkeit Chaos<br />
Herzlichkeit Sauberkeit<br />
Pünktlichkeit Geselligkeit<br />
Zusammengestellt von Nadeschda Mischarina<br />
Lösungen<br />
1. a) An Ausländer; b) 1763; c) Rheinland, Hessen und<br />
Sachsen; d) Sankt Petersburg<br />
2. a) (die) Kuh; b) (die) Wolga; c) (das) Geld; d) Saratow; e)<br />
sieben; f) (die) Familie; g) (die) Reise
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />
Das leben nach dem tod<br />
Lokomotive Jaroslawl feiert mit einem rauschenden Sieg seine Wiederauferstehung<br />
es soll, es muss weitergehen. Lokomotive Jaroslawl, der vielleicht<br />
beliebteste eishockeyclub des Landes, hatte vor drei monaten seine<br />
gesamte mannschaft bei einem Flugzeugabsturz verloren. Jetzt wurde<br />
der spielbetrieb wieder aufgenommen, eine Liga tiefer und mit jungen<br />
Talenten. Die Halle war wie immer ausverkauft, das staatsfernsehen übertrug<br />
live. Der Neuanfang glich einer Wiederauferstehung: Lokomotive<br />
ließ dem Tabellenführer der zweiten Liga keine Chance.<br />
Nach dem Flugzeugunglück vom<br />
7. September 2011 hatte sich die<br />
„Arena 2000“ in einen Ort der<br />
Trauer und des Gedenkens verwandelt.<br />
96 Tage später wird hier<br />
wieder Eishockey gespielt. Rund<br />
9 000 Fans sind in die Halle am<br />
Stadtrand von Jaroslawl gekommen.<br />
Bevor das Spiel zwischen<br />
Lokomotive und Neftjanik Almetjewsk<br />
beginnt, gehen die Lichter<br />
aus. Minutenlang zeigen die<br />
Anzeigetafeln unter dem Dach der<br />
Arena die Gesichter jener Spieler,<br />
die bei der Flugzeugkatastrophe<br />
ums Leben kamen. Die Zuschauer<br />
erweisen den Toten mit minutenlangen<br />
Ovationen die Ehre und<br />
begrüßen jene, die da unten auf<br />
dem Eis stehen, in roten Trikots,<br />
kaum einer von ihnen älter als 20<br />
Jahre.<br />
Nach oben blickt auch der Spieler<br />
mit der Nummer 61, und niemand<br />
weiß, was dem 20-jährigen Maxim<br />
Wenn iris Gleichmann durch die<br />
Straßen von Lwiw läuft, ist ihr<br />
Architektenherz hin- und hergerissen.<br />
„Sehen Sie diesen Straßenzug?<br />
An den Häusern findet man<br />
auf <strong>10</strong>0 Metern allein 25 verschiedene<br />
Balkons aus mindestens vier<br />
Epochen. So etwas ist einzigartig<br />
in Europa.“ Doch die Freude über<br />
die nahezu vollkommen erhaltene<br />
Altstadt wird oft getrübt, denn<br />
an jeder Ecke offenbaren sich die<br />
massiven Probleme, unter denen<br />
Lwiw leidet.<br />
Der historische Kern der ukrainischen<br />
Stadt Lwiw (Lemberg)<br />
unweit der polnischen Grenze ist<br />
seit 1998 Unesco-Weltkulturerbe.<br />
Der Titel ist prestigeträchtig und<br />
lockt Touristen an. Doch er bringt<br />
auch Auflagen mit sich. Hier setzt<br />
die Architektin iris Gleichmann<br />
an, die im Auftrag der Gesellschaft<br />
für internationale Zusammenarbeit<br />
(GiZ) gekommen ist. Es gilt,<br />
die ursprüngliche Bausubstanz<br />
so weit wie möglich zu erhalten.<br />
in kleinen Schritten werden Fenster,<br />
Türen, Balkons und Treppenaufgänge<br />
aufwändig restauriert.<br />
Aber zur Arbeit gehöre auch, ein<br />
Bewusstsein bei den Hauseigentümern<br />
zu schaffen, „dass ihnen<br />
ein Schatz gehört und dass es<br />
sich lohnt, diesen zu erhalten“, so<br />
die ukrainische Historikerin Sofia<br />
Dyak. Sie unterstützt die GiZ bei<br />
ihrer Arbeit vor Ort.<br />
Nach dem Zusammenbruch des<br />
Kommunismus wurde den meisten<br />
Mietern ihre Wohnung einfach<br />
überschrieben. Mit dieser Verantwortung<br />
seien viele überfordert,<br />
auch finanziell, meint Dyak. Um<br />
Von moritz Gathmann (n-ost)<br />
Sjusjakin in diesen Minuten durch<br />
den Kopf geht: Er war erst am<br />
Vorabend der Tragödie vom<br />
Trainer in die Jugendmannschaft<br />
zurückbeordert worden. „ich habe<br />
meine zweite Familie verloren“,<br />
hat er nach dem Unglück gesagt.<br />
Sjusjakin ist jetzt Kapitän dieses<br />
blutjungen Teams, zusammengewürfelt<br />
aus der eigenen Jugendmannschaft<br />
und Jugendspielern<br />
anderer Teams der Profiliga KHL.<br />
immerhin drei Jugendnationalspieler<br />
hat die Mannschaft, die<br />
nun hart daran arbeiten muss,<br />
an die Erfolge des Clubs anzuknüpfen,<br />
der zuletzt jedes Jahr<br />
ein Meisteranwärter war. 1997,<br />
2002 und 2003 holte er den Titel.<br />
Vergangene Saison gab es Bronze<br />
in der KHL.<br />
Als der Vorverkauf für das Spiel<br />
begann, waren die Tickets nach<br />
nur vier Stunden ausverkauft.<br />
Und das Team enttäuscht seine<br />
Von elisabeth Lehmann (n-ost)<br />
einen kleinen Anreiz zu schaffen,<br />
bezuschussen die GiZ und<br />
die Stadt Lwiw die Sanierungsarbeiten<br />
zur Hälfte. Meist scheitern<br />
einfache instandsetzungen aber<br />
an unklaren Besitzverhältnissen<br />
oder dem hohen Anteil an leer<br />
stehenden Wohnungen.<br />
Die ukrainische Bauwirtschaft<br />
wurde von der internationalen<br />
Finanzkrise stark getroffen und<br />
brach im Jahr 2009 schließlich<br />
um fast 50 Prozent ein. Die Wohnungspreise<br />
fielen in der Folge<br />
drastisch. <strong>Vi</strong>ele Eigentümer halten<br />
ihre leer stehenden Wohnungen<br />
daher zurück und warten auf<br />
bessere Zeiten. Die ungenutzten<br />
Gebäude verfallen.<br />
Die Fußball-Europameisterschaft,<br />
die im kommenden Jahr in Polen<br />
und der Ukraine stattfindet, stellt<br />
die nächste große Herausforderung<br />
dar. Lwiw ist einer von vier Austragungsorten<br />
in der Ukraine. Doch<br />
es mangelt an infrastruktur und<br />
Hotels. „Oft ist es so, dass ein investor<br />
kommt, viel Geld bietet und<br />
die Stadt schnelle Entscheidungen<br />
trifft, die nicht durchdacht sind“,<br />
beklagt Beraterin Dyak. So ein Fall<br />
sei das <strong>Vi</strong>er-Sterne-Hotel, das derzeit<br />
an der Fedorowa-Straße entsteht.<br />
Seit dem Sommer läuft die<br />
jüdische Gemeinde Sturm gegen<br />
den Bau, weil er nah an die Ruinen<br />
der im Zweiten Weltkrieg zerstörten<br />
Synagoge „Goldene Rose“<br />
heranreicht. Auch iris Gleichmann<br />
findet das EM-Hotel „vollkommen<br />
überdimensioniert, wie so vieles in<br />
dieser Stadt“.<br />
Die Stadtverwaltung beschwichtigt.<br />
Serhiy Kiral, Chef des städ-<br />
Anhänger nicht: Nach 14 Minuten<br />
ist es an diesem Montagabend<br />
eben jener Maxim Sjusjakin, der<br />
mit seinem Pass das erste Tor<br />
in der neueren Geschichte von<br />
Lokomotive vorbereitet: Durch<br />
die Halle dröhnt das Tuten eines<br />
Zuges – Tradition in Jaroslawl. 5:1<br />
besiegt das blutjunge Team am<br />
Ende den Tabellenführer Almetjewsk.<br />
tischen Außenhandels- und<br />
investmentbüros, bittet, das endgültige<br />
Ergebnis abzuwarten: „Bei<br />
vielen Gebäuden ist es viel zu<br />
früh, um zu beurteilen, ob sie sich<br />
ins Stadtbild einfügen. Das kann<br />
man erst sagen, wenn die Fassade<br />
fertig ist.“ Beim Hotel-Bau in<br />
der Fedorowa-Straße sei er sich<br />
sicher, dass er die Gegend aufwerte.<br />
„Außerdem“, sagt Kiral, „brauchen<br />
wir dringend Hotels der oberen<br />
Kategorie in der Stadt“.<br />
Lwiws Bürgermeister Andrjy<br />
Sadovjy argumentiert ähnlich.<br />
Die UEFA fordert eine bestimmte<br />
Anzahl von Betten im <strong>Vi</strong>er- und<br />
Fünf-Sterne-Bereich. Ohne investoren<br />
von außen könne Lwiw<br />
diese Vorgaben nicht erfüllen.<br />
Die Aufregung um die Fedorowa-<br />
Straße kann Sadovjy nicht nachvollziehen:<br />
„Die Synagoge ist nur<br />
noch eine Ruine. Die Überreste<br />
wurden konserviert und werden<br />
durch das Hotel nicht angetastet.“<br />
Seit dem Sommer herrscht Stillstand<br />
auf der Baustelle, denn die<br />
jüdische Gemeinde hat einen<br />
Baustopp erwirkt. „Das ist in der<br />
Tat eine schmerzhafte Maßnahme<br />
für den investor. Er hat bereits<br />
mehrere Millionen Griwna, wenn<br />
nicht sogar Dollar, in das Projekt<br />
gesteckt“, sagt Stadtfunktionär<br />
Kiral. Detaillierte Angaben zum<br />
Geldgeber will er allerdings nicht<br />
machen, man sei um Diskretion<br />
bemüht. Nur so viel: Die Firma<br />
heiße Ukrainian investment Company.<br />
Sie arbeite im Auftrag der<br />
Hotelkette Sheraton.<br />
Noch habe sich der investor<br />
durch die zahlreichen Proteste<br />
nicht abschrecken lassen. Er will<br />
das Projekt fertig stellen. Doch<br />
für die Stadtverwaltung ist das<br />
gesamte Unterfangen trotzdem<br />
eine Niederlage. Denn bis zur<br />
EURO 20<strong>12</strong> wird der Bau nun<br />
ganz sicher nicht fertig.<br />
Doch wie der Club in der WHL,<br />
der zweiten Liga des russischen<br />
Eishockeys, abschneidet, spielt<br />
eigentlich keine Rolle: Die Führung<br />
der KHL hat Lokomotive<br />
bereits zugesichert, in der Saison<br />
20<strong>12</strong>/2013 in jedem Fall wieder in<br />
der höchsten Spielklasse antreten<br />
zu dürfen.<br />
in die „Arena 2000“ ist damit drei<br />
Monate nach dem Flugzeugab-<br />
Michelle Diesel steht im grünen<br />
Dirndl am Zapfhahn der Berufsschule<br />
von Lwiw. Um sie herum<br />
haben sich ukrainische Gastwirte<br />
versammelt und beobachten, wie<br />
die Wirtin aus Österreich Bier<br />
zapft. „ich halte das Glas im Winkel<br />
von 45 Grad, mache es nicht<br />
ganz voll und stelle es kurz ab. Die<br />
Schaumkrone kommt erst später“,<br />
erklärt Diesel.<br />
Eigentlich unterrichtet Michelle<br />
Diesel an der Landesberufsschule<br />
Salzburg. in der Ukraine gibt sie nun<br />
Nachhilfe in Sachen Servicementalität.<br />
Lwiw ist ein Austragungsort<br />
der bevorstehenden Fußball-EM.<br />
Durchgeführt werden die Schulungen<br />
von der Deutschen Gesellschaft<br />
für internationale Zusammenarbeit<br />
(GiZ). „Wenn man hier<br />
in die Kneipe geht, bekommt man<br />
entweder warmes Bier oder das Glas<br />
ist nicht voll. Auch die Wartezeit ist<br />
zu lang“, erläutert Mathias Brandt,<br />
Marketing-Experte der GiZ. „Verzögerungen<br />
oder schlechte Bedienung<br />
könnten bei den Fans zu Aggressionen<br />
führen. Deswegen werden die<br />
Servicekräfte von uns geschult.“<br />
Die Qualität der Bedienung ist<br />
dabei noch das geringste Problem<br />
vor der EURO 20<strong>12</strong>. Erst<br />
Ende Oktober wurde die Arena<br />
Lwiw als letztes von insgesamt<br />
vier ukrainischen EM-Stadien<br />
eingeweiht. Mit 35 000 Sitzplätzen<br />
ist sie das kleinste Stadion<br />
der Europameisterschaft. Doch es<br />
werden Monate vergehen, bis alles<br />
fertig ist: Derzeit schweben über<br />
der Arena noch die Baukräne, um<br />
die fehlenden Stücke am Dach zu<br />
montieren. Bei der Eröffnungsfeier<br />
störten lose Kabel und Bauschutt<br />
SPoRT<br />
09<br />
sturz wieder Leben eingekehrt.<br />
Am <strong>10</strong>. September waren hier<br />
die Särge von 14 verunglückten<br />
Spielern und Vereinsmitarbeitern<br />
aufgebahrt worden. Über <strong>10</strong>0 000<br />
Menschen nahmen Abschied.<br />
Am Nachmittag des 7. September<br />
wollte das Team zu seinem<br />
ersten Saisonspiel nach Minsk<br />
fliegen, doch die Maschine, eine<br />
Jak-42, gewann kaum an Höhe,<br />
geriet ins Trudeln und stürzte<br />
ab. Die Untersuchung durch das<br />
„Zwischenstaatliche Luftfahrtkomitee“<br />
(MAK) widerlegte erste<br />
Annahmen, dass technische Probleme<br />
des 17 Jahre alten Flugzeuges<br />
zu der Katastrophe geführt<br />
hätten. Grund sei vielmehr ein<br />
Pilotenfehler gewesen: Entweder<br />
der Pilot selbst oder der Co-Pilot<br />
hätten während des Starts vermutlich<br />
unbewusst mehrfach die<br />
Bremse betätigt.<br />
Unter den 44 Opfern war damals<br />
auch der 25-jährige deutsche Nationalspieler<br />
Robert Dietrich, der<br />
erst kurz zuvor von den Adlern<br />
Mannheim nach Jaroslawl gewechselt<br />
war. Der Deutsche Eishockeybund<br />
(DEB) erklärte daraufhin,<br />
dass Dietrichs Rückennummer<br />
20 nicht mehr vergeben werden<br />
solle.<br />
Das bedrohte Juwel Crashkurs in EM<br />
Am EM-Standort Lwiw ist die Altbausubstanz in Gefahr Auch das Bierzapfen will gelernt sein<br />
Die EM 20<strong>12</strong> beginnt für die deutsche Auswahl am 9. Juni im ukrainischen<br />
Lwiw (Lemberg) mit dem Gruppenspiel gegen portugal. Lwiw hat<br />
eine der schönsten innenstädte europas, aber auch massive probleme,<br />
dieses historische erbe zu erhalten. investoren pflastern Lücken in der<br />
Altstadt mit überdimensionierten prestigebauten zu. Die Vorbereitungen<br />
auf die em verschärfen die situation noch.<br />
Die „Arena 2000“. Hier will Lokomotive Jaroslawl ein weiteres Kapitel seiner<br />
Erfolgsgeschichte schreiben.<br />
Tino Künzel<br />
rund ein halbes Jahr vor der Fußball-europameisterschaft wird im<br />
em-Land ukraine noch gebaut. Lose Kabel, Bauschutt, Feldwege statt<br />
straßen und ein halbfertiges stadion in Lwiw (Lemberg) lassen österreichische<br />
und deutsche mitorganisatoren schwarz sehen. Doch die<br />
ukrainer bleiben gelassen.<br />
Von monika stefanek (n-ost)<br />
die Gäste. Als Zufahrt zum Stadion<br />
dienen Feldwege. „Man muss<br />
schon gestehen, dass die Arbeiten<br />
sich verzögert haben. Wir werden<br />
es aber schaffen. Schließlich<br />
haben wir keine andere Wahl“,<br />
sagt Wolodimir Onischtschuk,<br />
Projektleiter der Arena Lwiw.<br />
Neben der fehlenden infrastruktur<br />
rund um das Stadion gibt es<br />
allerdings Probleme, die sich bis<br />
zum ersten Anpfiff am 8. Juni 20<strong>12</strong><br />
nicht lösen lassen. Bis jetzt ist<br />
unklar, wo die Fußballfans übernachten<br />
sollen. Für GiZ-Manager<br />
Mathias Brandt ist die Lage katastrophal.<br />
„Auf <strong>10</strong>00 Einwohner<br />
kommen in der Ukraine knapp<br />
zwei Hotelbetten. in Polen, das<br />
mit der Ukraine die EM organisiert,<br />
sind es 24 und zum Beispiel<br />
in italien sogar 35.“<br />
in Lwiw dagegen bewertet man<br />
die Vorbereitungen zur EM positiv.<br />
Noch im Mai 20<strong>10</strong> war das Stadion<br />
erst zu zehn Prozent fertig gestellt.<br />
Riesige finanzielle Mittel und Arbeit<br />
rund um die Uhr brachten die<br />
investition voran. Allerdings sind<br />
dadurch enorme Kosten entstanden.<br />
Statt der ursprünglich veranschlagten<br />
90 Millionen wird die Arena<br />
nun wohl insgesamt 220 Millionen<br />
Euro kosten.<br />
Die Einwohner von Lwiw sind<br />
allerdings überzeugt, dass diese<br />
Maßnahmen sich lohnen. „Solche<br />
Entwicklungschancen wie jetzt werden<br />
wir nie mehr haben“, meint<br />
Andrij Kardasz, Direktor einer<br />
Bildungseinrichtung. „ich glaube,<br />
es wird alles gut funktionieren.<br />
Bei uns wurde schon immer alles<br />
in der letzten Minute gemacht. So<br />
ist unsere Mentalität.“
<strong>10</strong><br />
FEUILLEToN<br />
Großes Kino<br />
Welche russischen Filme der <strong>MDZ</strong>-Redaktion in diesem Jahr besonders gefallen haben<br />
Die Mannschaft ist der Star<br />
Film: Wykrutassy (выкрутасы)<br />
Genre: Familienkino<br />
Tags: Straßenkinder, Hochzeit, Schmuggelware, Bahnhof, Abführmittel<br />
im fiktiven Städtchen Paltschiki<br />
(das in Wahrheit Ejsk heißt und<br />
am Asowschen Meer liegt) treibt<br />
eine Kinderbande ihr Unwesen.<br />
Die elternlosen Gören verdienen<br />
sich ihren Lebensunterhalt, indem<br />
sie am Strand Wertgegenstände<br />
abräumen, Verkehrsunfälle imitieren<br />
und Melonen mitgehen lassen.<br />
Durch Zufall für ein Nachwuchs-<br />
Fußballturnier rekrutiert, kommt<br />
ihnen dieses „Training“ zugute.<br />
Werberegisseur Lewan Gabriadse<br />
versammelt in seinem ersten Spielfilm<br />
noch weiteres illustres Personal,<br />
allen voran den etwas schusseligen,<br />
etwas einfältigen, aber<br />
liebenswürdigen Russischlehrer<br />
Kolotilow, die <strong>Moskau</strong>er Schönheit<br />
Nadja, den Schnösel Danja<br />
als ihren Freund, Trainer Chlobustin,<br />
dem für den Turniersieg jedes<br />
Mittel recht ist, die eifersüchtige<br />
Direktorin Alla Andrejewna und<br />
den Parlamentsabgeordneten Dreikopfitsch.<br />
Die feine Schauspielerriege<br />
dürfte vor allem dem Ruf von<br />
Produzent Timur Bekmambetow<br />
(„Wächter der Nacht“, „Wächter<br />
des Tages“) gefolgt sein. Es ist ein<br />
großes Vergnügen, Konstantin<br />
Chabenskij, dem Kostja Lukaschin<br />
aus dem Kassenschlager „ironie des<br />
Schicksals. Fortsetzung“ und Weißenführer<br />
Alexander Koltschak<br />
aus „Admiral“, Hollywood-Star<br />
Milla Jovovich („Resident Evil“),<br />
Allzweck-Waffe Sergej Garmasch,<br />
Altmeister Wladimir Menschow<br />
und TV-Ulknudel iwan Urgant,<br />
Das Auto quält sich aus der Tiefgarage herauf, es<br />
läuft klassische Musik: Wladimir (Andrej Smirnow)<br />
ist auf dem Weg ins Fitnessstudio. Zuvor gab es einen<br />
Streit am Küchentisch: Jelena, gespielt von Nadeschda<br />
Markina, bittet ihren Mann um Geld für ihren<br />
Sohn aus erster Ehe. Der arbeitet nicht, erwartet mit<br />
seiner Frau aber bereits das dritte Kind. Wladimir<br />
weigert sich, ihr das Geld zu geben.<br />
Regisseur Andrej Swjaginzew versteht es meisterhaft,<br />
Spannung aufzubauen. Spätestens ab dem<br />
Moment, wo der alternde Wladimir vom Laufband<br />
begehrliche Blicke auf eine junge Schönheit wirft,<br />
ahnt der Zuschauer, dass etwas passieren wird. Aber<br />
er muss sich in Geduld üben, bis es endlich so weit<br />
ist und Wladimir im Schwimmbad einen Herzinfarkt<br />
erleidet. Er wird ins Krankenhaus eingeliefert und<br />
für Jelena eröffnet sich die Möglichkeit, ihrem Sohn<br />
und dessen Familie doch noch zu helfen.<br />
der 2009 den Eurovision Song<br />
Contest in Russland moderierte,<br />
bei der Arbeit zuzusehen.<br />
Milla Jovovich, die in Kiew geboren<br />
wurde, gab letztlich dem Werben<br />
Bekmambetows nach und ließ<br />
sich zum ersten Mal für einen russischen<br />
Film engagieren. Um ihre<br />
Rolle auch selbst einsprechen zu<br />
können, ohne die Zuschauer mit<br />
amerikanischem Akzent zu irritieren,<br />
las sie den Text vor jeder<br />
Szene dutzendfach vor, bis er saß.<br />
Behilflich war dabei auch Millas<br />
Mutter Galina Loginowa. Sie spielt<br />
in dem Film – ihre Mutter.<br />
„Wykrutassy“, im deutschen Verleih<br />
unter dem Titel „Lucky Trouble“<br />
erschienen, ist ein grundsympathisches<br />
Märchen von Verlierern,<br />
die zu Gewinnern werden. Von den<br />
Schwachen, die über die Starken<br />
triumphieren. Von unfreiwilligen<br />
Helden und freiwilligen Bösewichten.<br />
Optisch wird dabei bisweilen<br />
dick aufgetragen. <strong>Moskau</strong> darf<br />
<strong>Moskau</strong> sein, doch Paltschiki trägt<br />
ästhetisch eher karikaturistische<br />
Züge, irgendwo zwischen Pionierlager<br />
und Ghettoromantik. Aber<br />
diese Überzeichnung hat Methode.<br />
Genauso, wie die flott erzählte<br />
Komödie dankenswerterweise auf<br />
den erhobenen Zeigefinger verzichtet.<br />
Das i-Tüpfelchen sind die<br />
herrlich animierten Fußballszenen.<br />
Zwischen den Strafräumen macht<br />
„Wykrutassy“ so schnell keiner<br />
etwas vor.<br />
Tino Künzel<br />
Familienbande<br />
Film: Jelena (елена)<br />
Genre: Drama<br />
Tags: Altern, Würde, Potenzmittel, Blut, Wasser, Vorstadtkriminalität<br />
kinopoisk.ru<br />
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />
Keine Liebe in Zeiten der Revolution<br />
Film: Es war einmal eine Frau (Жила-была одна баба)<br />
Genre: Historiendrama<br />
Tags: Hochzeit, Provinz, Alkoholdestillation, Durchhaltekraft, Untergang<br />
Der Titel des Films von Andreij Smirnow klingt<br />
märchenhaft. Doch der Film selbst hat kaum etwas<br />
von einem Märchen. So realistisch und bestürzend<br />
ist diese epische Erzählung über das Leben einer<br />
russischen Bäuerin in den Jahren von 1909 bis 1921.<br />
Smirnows Heldin Warwara durchlebt ihr Schicksal<br />
vor dem Hintergrund der großen Ereignisse der russischen<br />
Geschichte: der erste Weltkrieg, die Oktoberrevolution,<br />
der Bürgerkrieg genauso wie der Bauernaufstand<br />
von Tambow. Aber im Unterschied zu anderen<br />
historischen Filmen steht bei diesem Meisterwerk<br />
nicht die Geschichte selbst im Mittelpunkt; deren<br />
Wendepunkte markieren nur die Veränderungen im<br />
Leben eines Menschen, einer einfachen Frau, die auf<br />
der Suche nach Liebe ist und die ihr doch verweigert<br />
bleibt.<br />
Warwara (Darija Ekamasowa), die Hauptheldin, der<br />
jeder heldenhafte Zug fehlt, ist keine besondere Persönlichkeit,<br />
sie ist keine Märtyrerin oder Heilige,<br />
keine große Denkerin. Mit viel Willenskraft kämpft<br />
sie sich durch die Schrecken und Greuel dieser harten<br />
Zeiten, in denen beinahe kein Raum für die Liebe ist.<br />
Sie erlebt unendliche und willkürliche Gewalt von<br />
allen Seiten, egal unter welchem Regime sich Russland<br />
befindet: im Zarismus, unter den Weißgardisten<br />
sowie unter den kommunistischen Roten. Aber auch<br />
Film: Generation „P“ (Generation „пи“)<br />
Genre: Komödie, Drama, Fantasy<br />
Tags: Erfrischungsgetränke, Heuschrecken, Verlierer, Kapitalismus<br />
Es gab einmal eine junge Generation in Russland,<br />
welche die Ära Pepsi begründete, damals, in der<br />
Sowjetunion. Das war die Zeit, wo allen alles klar<br />
war und die Gegenwart eine helle Zukunft versprach.<br />
Dann ging es plötzlich schnell: Nach der Wende rollte<br />
sich die schöne Perspektive der kommunistischen<br />
Ewigkeit zu einem winzigen Punkt zusammen. Niemand<br />
hatte bemerkt, dass sich das Land von einem<br />
sozialistischen Giganten zu einer Bananenrepublik<br />
verwandelt hatte. in der allgemeinen Euphorie machte<br />
sich statt strahlender Zukunftsillusionen eine nüchterne<br />
Gegenwart unauffällig breit.<br />
Zufällig oder geplant, aber der Film „Generation<br />
P“ des Regisseurs <strong>Vi</strong>ktor Ginsburg kam genau im 20.<br />
„Todesjahr“ der Sowjetunion in die Kinos. Das Drehbuch<br />
wurde nach dem gleichnamigen Roman von<br />
<strong>Vi</strong>ktor Pelewin verfasst. Der Film schildert die Übergangsphase<br />
vom sozialistischen ins kapitalistische<br />
Regime. Die robusten Sowjetschuhe werden von Adidasturnschuhen<br />
mit chinesischer Herkunft verdrängt,<br />
am Straßenrand wird das Kamasutra verkauft und<br />
aus träumerischen Poeten werden pragmatische Werbeautoren.<br />
So geht es dem Protagonisten Babylen<br />
Mit einfachen aber einprägsamen Bildern erzählt<br />
Swjaginzew von Liebe, bedingungsloser Loyalität<br />
und Familien, die auf simple und zugleich schreckliche<br />
Weise unperfekt sind. Jeder Charakter im Film<br />
scheint verdorben, einzig allein Jelena verkörpert<br />
den guten Menschen, selbst als sie in ihrer Liebe zur<br />
Familie bis zum Äußersten geht.<br />
Der Film, der in Cannes mit dem Preis „Un certain<br />
regard“ ausgezeichnet wurde, zeigt schonunglos die<br />
Unterschiede zwischen den sozialen Schichten im<br />
Moloch <strong>Moskau</strong>, in nüchtern dargestellten Alltagssituationen<br />
enttarnt der Regisseur seine Charaktere,<br />
ihre Gewissenlosigkeit, ihr materielles Denken, ihre<br />
Abgestumpftheit – und zwar sowohl am oberen<br />
als auch am unteren Rand der Gesellschaft. Der<br />
Zuschauer bleibt geschockt aber fasziniert zurück.<br />
Kathrin Aldenhoff<br />
Neustart in den Kapitalismus<br />
von den Männern in ihrem Leben erfährt sie fast nur<br />
Gewalt. Der Zuschauer empfindet kaum Sympathie<br />
für eine Seite, er hat nur Mitleid mit Warwara. Die<br />
Bäuerin leidet im Film, sie wird geschlagen und vergewaltigt<br />
und verliert auch noch den einen Mann, den<br />
sie wirklich liebt und der ihre Liebe erwidert.<br />
„Es war einmal eine Frau“ ist aber keine Schwarzmalerei.<br />
Es ist ein tragischer Film, der dem Zuschauer<br />
viel abverlangt; vor allem auch gute Nerven über mehr<br />
als zwei Stunden hinweg. Aber der Grundgedanke<br />
des Filmes bleibt positiv: Warwara steht dafür, dass<br />
es mehr gute als schlechte Menschen gibt. Dieser<br />
Gedanke muss die Quelle ihrer Stärke sein.<br />
Auch der Glaube an Gott und der Wille Gottes sind<br />
ein Thema. Sacharows Epos zitiert die Legende um<br />
Kitesch, eine versunkene Stadt in der Oblast Nischnij<br />
Nowgorod. Die Stadt soll in den Fluten versunken<br />
sein, um die gottesfürchtigen Einwohner vor den<br />
angreifenden Tartaren zu schützen. Oder ist es – wie<br />
in der biblischen Geschichte um Sodom und Gomorra<br />
– eine Strafe Gottes, dass das Dorf der Heldin<br />
hinweggespült wird, für die Sünden seiner Einwohner?<br />
in jedem Fall geht in diesem Film das bäuerliche<br />
Russland vor unseren Augen zugrunde.<br />
Alisa iwanitzkaja<br />
Tatarsky. Mit seinem Diplom als Literaturwissenschaftler<br />
arbeitet er zuerst in einem Kiosk, bis er<br />
durch einen Bekannten in die aufkommende Werbeindustrie<br />
hineinrutscht. Der Markt der sowjetischen<br />
Waren ist leer, am Horizont sind bereits die Konturen<br />
der westlichen Markenwelt zu sehen. Die Werbebranche<br />
scheint eine Goldgrube zu sein. Coca-Cola<br />
verdrängt das sowjetische „Pepsi“; die blaue Farbe<br />
des berühmten Logos wird ausgetauscht gegen den<br />
geschwungenen weißen Schriftzug auf rotem Grund.<br />
„Sprite“ wird im Bewusstsein des Normalverbrauchers<br />
mit dem Heiligtum der russischen Seele – mit<br />
Birken und Birkensaft verbunden. Und anstelle der<br />
Zigarettenmarke „Jawa“ tritt „Parlament“.<br />
Es geht hier aber um viel mehr als nur um das Entstehen<br />
einer Konsumgesellschaft. Der Film schafft es,<br />
in zwei Stunden die Linien der 20-jährigen Entwicklung<br />
unseres neugeborenen Landes aufzuzeigen. Er ist<br />
aber weder altmodisch noch modern: Es ist ein Film<br />
über die Vergangenheit und die Zukunft gleichzeitig.<br />
Es ist ein Film für und über uns.<br />
Katja Gubernatorowa<br />
kinopoisk.ru
Jan Lieske<br />
11<br />
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011 FEUILLEToN<br />
„Meine Filme sind unheimlich naiv“<br />
Noch vor dem Kinostart in Deutschland zeigte der Regisseur Hans Weingartner seinen neuen Film in <strong>Moskau</strong><br />
Zur premiere seines Filmes „Die summe meiner einzelnen Teile“ beim Deutschen Filmfestival,<br />
kam der österreichische regisseur („Die fetten Jahre sind vorbei“) nach moskau. Der neue<br />
Film setzt sich mit der heutigen Leistungsgesellschaft auseinander. Das geordnete Leben<br />
des erfolgreichen mathematiker martin bricht zusammen, er wird in die psychatrie eingewiesen.<br />
Nach der entlassung trifft er einen geheimnisvollen kleinen Jungen, der nur<br />
russisch spricht. Gemeinsam flüchten sie in den Wald und bauen sich, fern von den<br />
Zwängen der Zivilisation, ein neues Leben auf. Die mDZ sprach mit Hans Weingartner über<br />
die Vorzüge eines naturwissenschaftlichen studiums, seinen neuen Film, der ab Februar in<br />
den deutschen Kinos zu sehen ist, und sein Verhältnis zu russland.<br />
herr Weingartner, Sie haben Physik,<br />
Gehirnforschung und Neurowissenschaften<br />
studiert. Beeinflusst und hilft<br />
ihnen das beim Schreiben der Drehbücher?<br />
Es beeinflusst mich auf jeden Fall. Erstens<br />
bei meinen Themen und zweitens bei meiner<br />
Arbeit. Durch dieses Studium habe ich<br />
Zugang zu bestimmten Themen, gerade im<br />
psychologischen Bereich. Und es hilft mir<br />
bei der Arbeit mit den Schausspielern.<br />
inwiefern?<br />
indem ich ihnen manchmal die Figur besser<br />
erklären kann: Warum die Figuren fühlen,<br />
was sie fühlen. Es hilft mir natürlich<br />
auch beim Schreiben meiner Drehbücher.<br />
Es hilft mir, Charaktere zu entwickeln.<br />
Woher plötzlich ihr Sinneswandel?<br />
Naturwissenschaften und Film sind<br />
ziemlich unterschiedliche themenbereiche.<br />
ich habe mich schon immer für Filme interessiert<br />
und habe als Jugendlicher meine<br />
ersten kleinen <strong>Vi</strong>deofilme gedreht. Als ich<br />
dann mit dem Neurowissenschaftsstudium<br />
fertig war, hatte ich die Wahl, direkt in die<br />
Forschung zu gehen. Da war aber auch die<br />
Leidenschaft für den Film sehr groß. Also<br />
beschloss ich zu schauen, was diese Leidenschaft<br />
genau ist und warum es mich dahin<br />
zieht. Und somit habe ich das Filmstudium<br />
in Köln begonnen, das eigentlich nur zwei<br />
Jahre gedauert hat. Es hat aber so viel Spaß<br />
gemacht, diese Zeit war ein sehr intensives<br />
Leben und Erleben. Somit bin ich zu dem<br />
Schluss gekommen, dass es das Feld ist, auf<br />
dem ich mich betätigen sollte und auf dem<br />
ich meine Erfüllung finden kann.<br />
in ihrem aktuellen Film „Die Summe<br />
meiner einzelnen teile“ ist der Mathematiker<br />
Martin überfordert von der<br />
modernen Gesellschaft und scheitert an<br />
dieser. Meinen Sie, die heutige Gesellschaft<br />
hat das grundlegende Problem,<br />
dass sie zu überlastet ist?<br />
Wenn man sich anschaut, wie rasant<br />
Árbeitete schon als Kanuführer in Kanada und Skilehrer in Österreich: Hans Weingartner.<br />
die Zahl der psychischen Erkrankungen<br />
zunimmt und wie extrem der Konsum von<br />
Psychopharmaka ansteigt – seit den letzten<br />
zehn Jahren hat sich das verdoppelt. inzwischen<br />
werden eine Milliarde Tagesdosen<br />
Antidepressiva in Deutschland verschrieben.<br />
Es gibt also immer mehr Anzeichen<br />
dafür, dass die Menschen überfordert sind<br />
durch die Geschwindigkeit des modernen<br />
Lebens, und dass dieser so genannte<br />
globale Wettbewerb immer mehr an den<br />
Nerven der Menschen zerrt. Aber niemand<br />
muss sich als Versager fühlen, weil er den<br />
Anforderungen der Leistungsgesellschaft<br />
nicht entspricht.<br />
ist Martin an der Bösartigkeit der<br />
Gesellschaft gescheitert?<br />
Die Gesellschaft ist nicht böse. Aber was<br />
hat ihn in diese Krise getrieben? Es ist<br />
seine Sensibilität, er denkt zu viel nach,<br />
er nimmt sich alles zu sehr zu Herzen,<br />
was andere Menschen von ihm wollen. Er<br />
hatte diese unglückliche Kindheit auf dem<br />
Land, und er will als erwachsener Mensch<br />
beweisen, dass er liebt, dass er erfolgreich<br />
sein kann, dass er etwas erreichen kann,<br />
und dass er es wert ist, geliebt zu werden.<br />
Und das ist das, was die meisten Menschen<br />
ihr Leben lang tun. Auf der Suche danach,<br />
geliebt zu werden, strampeln sie sich ab<br />
und haben diese wahnsinnige Angst vor<br />
dem Verlassen werden und die Angst, nicht<br />
akzeptiert zu werden. Martins Geschichte<br />
ist ja eigentlich eine Geschichte der Selbstbefreiung.<br />
Was möchten Sie mit ihrem Film erreichen?<br />
ich würde mich freuen, wenn die Leute<br />
nach dem Film das Gefühl verspüren, dass<br />
sie ihr Leben ändern können, wenn sie wollen.<br />
Dass man der eigene Chef im Leben ist<br />
und man selbst bestimmt, wie und wo man<br />
lebt. Es gibt immer, egal wie alt du bist,<br />
die Möglichkeit, dein Leben zu verändern.<br />
Wichtig ist, dass du es nicht alleine machst,<br />
dass du dir einen Freund suchst, der dich<br />
dabei unterstützt. Und vielleicht ist es auch<br />
gut, wenn man sein gewohntes Leben verlässt.<br />
Diese Minuten muss man aufbringen<br />
und den ersten Schritt tun. Die meisten<br />
Menschen gehen zum Arzt und lassen sich<br />
Pillen verschreiben und machen so weiter<br />
wie bisher. Das stellt der Film in Frage.<br />
im Film ist die Rede vom inneren Kind.<br />
Was genau meinen Sie damit?<br />
Damit meine ich, dass <strong>Vi</strong>ktor dieses<br />
innere Kind präsentiert – Martins inneres<br />
Kind. Wir haben es alle in uns, wir sind<br />
nicht nur der Mensch, der wir gerade sind,<br />
sondern wir tragen auch die Persönlich-<br />
Volle häuser für Wyssozkij<br />
Ein Spielfilm über den Sowjetbarden elektrisiert die Russen<br />
Er war die ehrliche Haut in den verlogenen<br />
Breschnew-Jahren: Wladimir Wyssozkij, Liedermacher,<br />
Schauspieler, subversive Antwort auf die<br />
Worthülsen der Propaganda. Keiner hat den Russen<br />
der letzten und vorletzten Sowjetgeneration so<br />
sehr aus der Seele gesprochen. Jetzt ist er zurück<br />
– im Kino.<br />
Es kommt selten vor, dass ein russischer Film in<br />
Russland zum Kassenschlager wird. Und wenn,<br />
dann handelt es sich in der Regel um Leinwand-<br />
Adaptionen aus dem Bauchladen der erfolgreichen<br />
Comedy-Club-Produktionen des Fernsehsenders<br />
TNT. Nun ist mit „Wyssozkij. Danke, dass du lebst“<br />
jedoch Anfang Dezember ein Drama angelaufen,<br />
das die Zuschauer stellenweise auch zum Lachen<br />
bringt, noch mehr allerdings erschüttert. Und das<br />
die Kinos fast schon im Handstreich erobert hat.<br />
Seine Produktionskosten von rund zwölf Millionen<br />
US-Dollar holte der Film praktisch schon am<br />
ersten Wochenende wieder reingeholt. Seitdem<br />
steht er mit großem Abstand auf Platz eins der<br />
Kinocharts in Russland.<br />
Russische Medien berichten, „Wyssozkij“ habe<br />
einen nie erlebten Besucherandrang ausgelöst.<br />
<strong>Vi</strong>ele Vorstellungen waren in den ersten Tagen<br />
ausverkauft, und das teilweise schon lange vor der<br />
Vorstellung. in <strong>Moskau</strong> wurde der Film gleichzeitig<br />
in 56 Kinos gezeigt.<br />
Das Drehbuch zu „Wyssozkij“ stammt von Wyssozkijs<br />
Sohn Nikita. Produziert hat den Film der erste<br />
Kanal des Staatsfernsehens. im Mittelpunkt steht<br />
eine Konzertreise des Barden 1979 nach Usbekistan<br />
– ein Jahr vor seinem Tod mit nur 42 Jahren.<br />
Schon damals klappte Wyssozkij zusammen, konnte<br />
allerdings wiederbelebt werden.<br />
Als der Sänger im Sommer 1980 starb, vermutlich<br />
an den Nebenwirkungen von Alkohol und Medikamenten,<br />
hatte er mehr als 1 000 Konzerte hinter<br />
sich. Den Sowjetmedien war die Nachricht, wenn<br />
überhaupt, nur eine Notiz wert, zumal während<br />
der Olympischen Spiele von <strong>Moskau</strong>. Wer bereits<br />
Karten für den Auftritt des Künstlers erworben<br />
hatte, der gab sie nicht zurück, sondern hütete sie<br />
wie einen Schatz.<br />
Noch im vergangenen Jahr wählten die Russen bei<br />
einer Umfrage nach ihren „idolen des 20. Jahrhunderts“<br />
Wladimir Wyssozkij auf Platz zwei – gleich<br />
hinter Jurij Gagarin.<br />
tk<br />
keiten aus den früheren Lebensphasen in<br />
uns. immer wenn man sich verrannt hat im<br />
Leben, im Dickicht des Lebens, dann hilft<br />
es, wenn man zurückschaut und die Person<br />
befragt, die man früher einmal gewesen<br />
ist. Dadurch erkennt man, wie man sich<br />
entwickelt hat, was einem früher wichtig<br />
war, was einem heute wichtig ist. Daraus<br />
kann man die richtigen Schlüsse ziehen.<br />
Das ist eine anerkannte Therapieform in<br />
der modernen Psychotherapie.<br />
Sie haben eine besondere Beziehung<br />
zu Russland, sind gerne hier. Was gefällt<br />
ihnen an diesem land und seinen Bürgern<br />
so sehr?<br />
Was mir persönlich auffällt bei meinen<br />
russischen Freunden, oder wenn ich<br />
in <strong>Moskau</strong> bin, ist, dass die Leute das<br />
Leben in vollen Zügen leben und nicht viel<br />
kalkulieren. Sie planen nicht so sehr die<br />
Zukunft. ich habe das Gefühl, sie stürzen<br />
sich einfach ins Leben. Sie springen rein<br />
und leben nicht mit Netz und doppeltem<br />
Boden, so wie das häufiger in Österreich<br />
oder Deutschland der Fall ist. Diese Unbedingtheit<br />
finde ich faszinierend.<br />
ihre Filme kommen sehr gut beim russschen<br />
Publikum an.<br />
Das hängt, glaube ich, auch damit zusammen,<br />
dass meine Filme unheimlich naiv<br />
sind. Dass sie Behauptungen aufstellen<br />
wie „Du kannst dein Leben verändern“,<br />
„Du kannst die Welt verändern“, „Alles ist<br />
möglich“. in Deutschland gibt es immer<br />
eine kritische Distanz zu diesen Träumen,<br />
während die Russen immer voll mitgehen<br />
und sagen: „ich träume gerne.“ Da gibt<br />
es anscheinend eine Art Verbindung. Es<br />
kann ja kein Zufall sein, dass Dostojewskij<br />
lange Zeit mein Lieblings-Schriftsteller<br />
war. Er hat auch immer naive Helden,<br />
die durchs Leben taumeln und gar nicht<br />
so richtig wissen, wie ihnen geschieht,<br />
die aber immer große ideen haben. Seine<br />
Helden sind eine Mischung aus Naivität<br />
und Begeisterungsfähigkeit, das hat eine<br />
Unmittelbarkeit und da ist ein kindliches<br />
Staunen dabei. Das liegt mir irgendwie<br />
nahe.<br />
ihr nächstes Filmprojekt planen Sie in<br />
Russland.<br />
Ja, das stimmt, aber das ist bisher nur<br />
eine mündliche Vereinbarung. ich hoffe,<br />
dass ich ab März oder April 20<strong>12</strong> mit den<br />
Dreharbeiten beginnen kann. Es ist ein<br />
ganz tolles Projekt, das in <strong>Moskau</strong> gedreht<br />
werden soll. Hoffentlich klappt alles.<br />
Das interview führte<br />
ina schönhals.<br />
kinopoisk.ru
<strong>12</strong><br />
Asparuch Schamajew kaufte sich<br />
drei T-Shirts und ein Paar Schuhe.<br />
Es war ein Samstag im August<br />
20<strong>10</strong>, zwei Tage noch bis zum<br />
neuen Semester. Er sprach mit seiner<br />
Mutter ein wenig über die Uni,<br />
über das Leben. Ein Leben, wie<br />
es sich in Naltschik, am Fuße des<br />
Elbrus, dieses höchsten Berges des<br />
Kaukasus, seit Jahren abspielt. Vor<br />
drei Tagen hatte es einen Sondereinsatz<br />
des Geheimdienstes gegeben,<br />
in der Sacharow-Straße, mitten<br />
in der Stadt. Eine Schießerei,<br />
das Fernsehen meldete am Abend:<br />
„Alle fünf Kämpfer sind zerstört<br />
worden.“ Kämpfer, das sagen sie<br />
immer, die Menschen in den Nachrichten,<br />
die Politiker, die Polizisten.<br />
„Bojewiki“ nennen sie sie, oft auch<br />
islamisten. Für Asparuch Schamajew<br />
waren sie Freunde, drei von<br />
ihnen.<br />
An einem Montag, es war bereits<br />
September, zog der 19-Jährige<br />
eines der neuen T-Shirts an und<br />
die Tür hinter sich zu. Er ging – in<br />
den Wald, die Berge. Asparuch<br />
Schamajew ist jetzt ein gesuchter<br />
Terrorist. Und davon, so vermel-<br />
RUSSLANDS REgIoNEN<br />
Von inna Hartwich<br />
den die Behörden, scheint es in<br />
Kabardino-Balkarien immer mehr<br />
zu geben.<br />
Kabardino-Balkarien ist ein kleiner<br />
Landstrich voller Berge, im<br />
Norden das russische Verwaltungsgebiet<br />
Stawropol, im Süden<br />
Georgien. Der See Tambukan,<br />
reich an Salzen und Mineralien,<br />
die die umliegenden Kurkliniken<br />
einsetzen, bildet eine natürliche<br />
Grenze zur Autonomen Republik<br />
im Nordkaukasus. in roten<br />
Buchstaben steht auf einer weißen<br />
Betonwand nur wenige Meter von<br />
der Landstraße weg: „Kabardino-<br />
Balkarien“. Kontrollposten häufen<br />
sich, stark bewaffnete Männer,<br />
Polizisten, Spezialeinheiten, laufen<br />
davor auf und ab, niemand<br />
weiß, wann sie ein Auto anhalten,<br />
welche Papiere sie verlangen können.<br />
Für Touristen ist Kabardino-<br />
Balkarien Sperrgebiet, der russische<br />
Geheimdienst FSB erteilt<br />
keine Einreisegenehmigungen,<br />
hat die so genannte „konterterroristische<br />
Operation“ übers Land<br />
verhängt. Es ist unruhig geworden<br />
im scheinbar ruhigen Bergland.<br />
Vor wenigen Monaten erst war ein<br />
Bus mit Ausflüglern beschossen<br />
worden. Drei Tote. Schnell waren<br />
die Täter ausgemacht: Rebellen aus<br />
dem Wald. islamisten. Terroristen.<br />
Wahhabiten. Gesucht wie Asparuch<br />
Schamajew.<br />
Für seine Mutter Raissa bleibt<br />
er ihr Sohn, das einzige Kind. Ein<br />
totes Kind, obwohl es noch lebt.<br />
„Er kommt nie mehr zurück, ich<br />
weiß es“, sagt sie, wischt sich die<br />
Tränen weg. „Entweder wird er<br />
noch im Wald erschossen, oder er<br />
wird im Knast zugrunde gerichtet.“<br />
Raissa Schamajewa stellt sich<br />
Fragen, Tausende davon. Sie spürt<br />
die Schuld, ihr Nichtwissen. Die<br />
Hilflosigkeit. Muslimin ist sie. Ein<br />
Kopftuch trägt sie nicht, hat sie nie<br />
gemacht. Sie kennt kaum Gebete,<br />
fastet nicht im Ramadan. ihr Sohn<br />
sei da strenger gewesen. „Er hat<br />
nach dem Koran gelebt.“ irgendwann<br />
habe er die Frage gestellt:<br />
„Wolltet ihr, Oma und du, euch<br />
nie rächen für all das, was euch<br />
die Gottlosen angetan haben?“<br />
Sie stutzte ein wenig, sagte nichts.<br />
Rache? Nein, es sei der Lauf der<br />
Geschichte.<br />
Die Oma, ihre Mutter, kam als<br />
Tochter eines „Volksfeindes“ zur<br />
Welt, damals in Kasachstan. im<br />
Zweiten Weltkrieg bezichtigte Stalin<br />
viele Nordkaukasier der Kollaboration<br />
mit den Deutschen. Auf<br />
seinen Befehl hin wurden Tausende<br />
Tschetschenen, inguschen, Balkaren,<br />
Kabardiner und andere Völker<br />
nach Zentralasien deportiert.<br />
1957 von Nikita Chruschtschow<br />
rehabilitiert, durften sie erst 1967<br />
in ihre Herkunftsorte zurückkehren.<br />
Nun ist Raissa Schamajewa die<br />
Mutter eines „Volksfeindes“, der<br />
gejagt wird, weil er an mehreren<br />
Morden beteiligt gewesen sein soll.<br />
Es bleiben ihr nur Anfragen bei der<br />
Polizei, auch wenn Ermittler ihr<br />
mitteilen: „Wenn ich ihren Sohn<br />
in die Finger bekomme, reiße ich<br />
ihn in Stücke“. Es bleiben Befragungen<br />
– und ein stiller Protest vor<br />
der Staatsanwaltschaft. Mit anderen<br />
Frauen, deren Söhne in die<br />
Berge gezogen sind, deren Söhne<br />
im Untersuchungsgefängnis sitzen.<br />
Jeden Mittwoch stehen sie da, ein<br />
stummer Schrei.<br />
Nach einem Anschlag auf ein<br />
Wasserkraftwerk und den getöteten<br />
Touristen sind die Hausdurchsuchungen<br />
wieder häufiger<br />
geworden. Kontrollen vor allem<br />
bei gläubigen Muslimen. „Die<br />
Überprüfungen laufen teils grundlos<br />
ab, es werden keine Protokolle<br />
erstellt, so dass später irgendetwas<br />
nachzuweisen wäre“, sagt Walerij<br />
Hataschukow. Er leitet das Menschenrechtszentrum<br />
in Naltschik,<br />
das einzige in der ganzen Republik.<br />
„Die Jugendlichen werden festgenommen,<br />
sie werden verhört.“<br />
Auch von Folter ist die Rede. „Man<br />
versucht, die Gewalt einzustampfen,<br />
mit Repressionen.“ Doch der<br />
Konflikt ist da, er verschärfe sich<br />
noch weiter, wenn nicht untersucht<br />
werde, wie es dazu kommt,<br />
meint Hataschukow. Das habe<br />
man bereits einmal versäumt.<br />
Am 13. Oktober 2005 stand Naltschik<br />
unter Beschuss. Bis zu 200<br />
Kämpfer hatten den Flughafen<br />
und den Sitz des Geheimdienstes<br />
gestürmt, Polizeistationen angegriffen,<br />
sich in Souvenirläden verschanzt.<br />
24 Sicherheitskräfte und<br />
zwölf Zivilisten kamen ums Leben,<br />
Russlands Offizielle verwiesen<br />
stolz auf 91 getötete islamisten.<br />
„Danach gab es aber keine Ana-<br />
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />
Ein Landstrich, der sich selbst auslöscht<br />
Im einst ruhigen Kabardino-Balkarien verschärft sich die Lage. <strong>Moskau</strong> setzt weiter auf alte Eliten und Waffen.<br />
Naltschik ist eine schmucke, kleine Kurstadt im Nordkaukasus. Frische<br />
Luft, schneebedeckte Berggipfel drumherum. eine aufgeräumte, ordentliche<br />
Oberfläche. Darunter tobt der Krieg, sicherheitsleute gegen<br />
Gotteskrieger. Die vermeintlich Gottlosen gegen die vermeintlichen<br />
Terroristen. ein ganzer Landstrich löscht sich selbst aus – und die<br />
mächtigen aus moskau schauen zu, können den sich verschärfenden<br />
Konflikt in Kabardino-Balkarien nicht stoppen.<br />
Kabardino-Balkarien<br />
In der Republik, die etwa halb so groß ist wie Hessen, leben rund 900 000<br />
Menschen. 55 Prozent davon sind Kabardiner, etwa 25 Prozent Russen,<br />
zehn Prozent Balkaren, zehn restliche Prozent stellen rund 20 weitere<br />
Nationalitäten und Ethnien dar. Seit einigen Jahren sind die Zahlen<br />
rückläufig, die Menschen wandern ab.<br />
Der berühmteste Punkt der Republik ist der Elbrus, mit seinen 5 642 Metern<br />
der höchste Berg des Kaukasus.<br />
Die Kabardiner gehören zusammen mit den Tscherkessen und den Adygen<br />
zu einer ethnischen Gruppe und sind so genannte Ureinwohner des<br />
Nordkaukasus. Im 16. Jahrhundert standen sie unter dem Schutz des<br />
russischen Zaren Iwan, dem Schrecklichen. Im 18. Jahrhundert wandten<br />
sie sich den Türken zu. In sowjetischer Zeit wurden sie zusammen mit den<br />
Balkaren zunächst in einen Autonomen Kreis, später unter Stalin in einer<br />
Autonomen Republik zusammengepfercht.<br />
Die Balkaren sind ein turksprachiges Volk, kulturell und sprachlich<br />
eher den Karatschaiern ähnlich. Die Karatschaier aber mussten einen<br />
Zusammenschluss mit den Tscherkessen bilden – in Karatschai-<br />
Tscherkessien.<br />
Kabardino-Balkarien ist ein Prototyp der Vernachlässigung des<br />
Nordkaukasus durch den Kreml. Zwar sind mehr als zwei Drittel des<br />
Haushalts Fördergelder aus <strong>Moskau</strong>. Das Durchschnittseinkommen liegt<br />
aber bei der Hälfte des russischen Wertes. Tuberkulose breitet sich aus. Es<br />
regieren Klanwirtschaft, Korruption und Massenarmut.<br />
An der Spitze der Republik steht der 54-jährige Arsen Kanokow.<br />
Der Kabardiner ist seit 2005 im Amt. Zuvor war er 20 Jahre lang als<br />
Geschäftsmann in <strong>Moskau</strong> tätig, wo er mehrere Einkaufszentren besaß.<br />
Die russische Wirtschaftszeitschrift „Finans“ führte Kanokow in diesem Jahr<br />
in ihrer Liste der reichsten Menschen in Russland auf Platz 179. Damit ist<br />
er der reichste unter den Präsidenten der russischen Republiken. Seinen<br />
Besitz schätzte das Blatt auf rund 18 Milliarden Rubel (etwa 417 Millionen<br />
Euro). 2008 lag sein Vermögen noch bei umgerechnet <strong>10</strong>6 Millionen Euro.<br />
Der Präsident verwaltet das Land nach kaukasischer Klan-Tradition. Zu<br />
den ersten Amtshandlungen Kanokows gehörte das Besetzen wichtiger<br />
Regierungsposten mit Familienmitgliedern.<br />
Fast jede Woche sterben in Kabardino-Balkarien Menschen, Vertreter der<br />
Staatsmacht und so genannte Gotteskrieger. Der Kreml setzt weiter auf<br />
die alte, diskreditierte Elite und die Waffe als alleinige Friedensbringer.<br />
Vergebens.<br />
inn<br />
Raissa Schamajewa (links) mit anderen Müttern aus Naltschik: Ihre Söhne oder<br />
Ehemänner sind gesuchte Terroristen, kämpfen in den Bergen oder sitzen im<br />
Gefängnis. Rechts im Bild: ihre Anwältin Larissa Dorogowa.<br />
lysen, nur Massenverhaftungen“,<br />
sagt Hataschukow und fordert eine<br />
öffentliche Debatte. „Wie gelingt<br />
es den Dschihadisten, die Jugend<br />
anzusprechen? Wir müssen deren<br />
Motive erlernen. Die Mächtigen<br />
aber sind mit der eigenen Bereicherung<br />
beschäftigt und der Entsendung<br />
von noch mehr Sicherheitspersonal,<br />
das Tag für Tag in<br />
die Luft fliegt.“<br />
Nur unweit vom Präsidentenpalast,<br />
einem tempelartigen Prachtbau<br />
mit korinthischen Säulen, steht<br />
auf einem Verkehrsschild „Ruhe ist<br />
wichtiger“. Wichtiger als was, steht<br />
da nicht. Auf einem Plakat in der<br />
Nähe des Abchasien-Platzes lobt<br />
der Präsident Arsen Kanokow die<br />
Völkerfreundschaft. „Die Zukunft<br />
Kabardino-Balkariens liegt in der<br />
Einheit und Brüderlichkeit von<br />
Völkern der Republik“, lächelt er<br />
ein zufriedenes Lächeln. inzwischen<br />
ist nahezu ganz Kabardino-<br />
Balkarien in seinem Besitz.<br />
„Dieser Spruch ist so eine Heuchelei“,<br />
schimpft Dalchat Bajdanow.<br />
Der 65-Jährige brachte einst<br />
Kindern Biologie bei, war später<br />
Leiter vom Elbrus-Nationalpark<br />
– bis er Kritik an den Behörden<br />
äußerte, Drohungen bekam und<br />
seinen Stuhl räumte. Bajdanow ist<br />
Balkare, ein Nachfahre von Urbulgaren,<br />
die im 6. Jahrhundert in<br />
den Nordkaukasus kamen. Ein<br />
grauhaariger Mann mit Brille, der<br />
in den Ältestenrat in Naltschik<br />
gewählt wurde, nach balkarischen<br />
Traditionen eine Respektperson.<br />
Er ist ein Mann klarer Worte,<br />
auch wenn er leise und bedächtig<br />
spricht. „Kanokow ist von <strong>Moskau</strong><br />
eingesetzt. ihm geht es darum, vor<br />
dem Kreml zu bestehen, nicht vor<br />
seinem Volk.“ Um Völker schere<br />
sich der Präsident ohnehin nicht,<br />
er schüre Hass, sagt Bajdanow.<br />
„Beinahe ist ihm das auch gelungen.<br />
Die Balkaren machten für ihr<br />
Leid die Kabardiner verantwortlich,<br />
die Kabardiner die Balkaren.<br />
Bis wir uns eines Tages zusammensetzten<br />
und merkten: Wir wollen<br />
ja dasselbe – eine Regierung,<br />
die den Bürgern Freiheiten gibt,<br />
die sich um ihre Jugend und ihre<br />
Alten sorgt. Eine Regierung, die<br />
nicht auf Korruption und Unterdrückung<br />
Andersdenkender setzt.“<br />
Für solche Sätze ist er als Extremist<br />
bezeichnet worden, als Nationalist,<br />
wurde zusammengeschlagen und<br />
beschimpft.<br />
„So will man sich der kritischen<br />
Stimmen entledigen“, sagt ibragim<br />
Jaganow. Zu kabardinischen Liebesliedern<br />
lenkt er seinen Wagen<br />
quer durch die Dörfer der Republik.<br />
Die Berge liegen noch im<br />
Nebel, Hirten auf den Pferden<br />
treiben Dutzende Kühe die Straße<br />
entlang, Kinder überspringen die<br />
Pfützen, um in die Schule zu kommen.<br />
Jaganow hat sich mit Aktivisten<br />
verabredet. Flugblätter will<br />
er verteilen, zur Demo aufrufen.<br />
immerhin eine genehmigte. Freie<br />
Wahlen fordert er und niedrigere<br />
Preise für Gas. „Liebe Mitbürger,<br />
Sie haben nicht nur Pflichten, sondern<br />
auch Rechte“, steht da fett<br />
am unteren Rand. Jaganow war<br />
früher Milizionär, vier Jahre hat<br />
er es als Beamter ausgehalten, „die<br />
Menschen waren nichts für mich“.<br />
Nun züchtet er Pferde, Kabardiner,<br />
robuste Bergtiere, ausdauerstark,<br />
trittsicher. Und er kämpft – für die<br />
Rechte der Kabardiner, der Menschen,<br />
die seit Jahrtausenden hier<br />
im Kaukausus leben. Lautstark, die<br />
Freunde schimpften manchmal, er<br />
solle leiser reden, er sei schließlich<br />
unter Menschen, nicht unter<br />
Tieren. Es gelingt ihm nicht. „Wir<br />
müssen unsere Geschichte erlernen,<br />
müssen wissen, wer wir sind“,<br />
sagt er tief und laut.<br />
Kabardino-Balkarien gehört wie<br />
alle anderen nordkaukasischen<br />
Republiken zu Russland, die Menschen<br />
sprechen Russisch, sie besitzen<br />
russische Pässe. Doch Kabardino-Balkarien<br />
ist auch Kabardino-<br />
Balkarien, mit eigenen Sprachen,<br />
Traditionen, eigener Geschichte.<br />
Auch wenn darüber nicht oft, und<br />
schon gar nicht offen, gesprochen<br />
wird. im Hauptbuchladen von Naltschik<br />
gibt es kein einziges Buch<br />
über die Republik, die Verkäuferin<br />
erklärt, so etwas würde sich im<br />
gesamten Gebiet nicht finden. in<br />
zwei Regalen stapeln sich Wörterbücher<br />
und Lernsoftware zu Englisch<br />
und italienisch, Nachschlagewerke<br />
zu Kabardinisch oder Balkarisch<br />
gibt es nicht. „Wie soll da die<br />
Jugend erfahren, worauf sich unsere<br />
Republik gründet?“, fragt ibragim<br />
Jaganow. Diese Jugend bleibt<br />
meist arbeitslos, fährt nach <strong>Moskau</strong>,<br />
wo niemand auf sie wartet.<br />
Oder sie geht in den Wald, zieht in<br />
den Kampf für einen vermeintlich<br />
besseren Staat, im Namen Allahs.<br />
„Sie sind Seeleninvaliden“, sagt<br />
Dalchat Bajdanow. „Verbrecher,<br />
die von Verbrechern dazu gemacht<br />
werden. Vom Staat“, sagt ibragim<br />
Jaganow.<br />
Raissa Schamajewa steht derweil<br />
weiter vor der Staatsanwaltschaft<br />
in Naltschik. im Schrank ihres<br />
Sohnes warten noch zwei neue<br />
T-Shirts auf ihn.<br />
Inna Hartwich
13<br />
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011 RUSSLANDS NACHBARN<br />
Oligarch fordert den Präsidenten heraus<br />
Der Milliardär Iwanischwili will die nächsten Wahlen in Georgien gewinnen. Die Regierung Saakaschwili reagiert nervös.<br />
Georgien steht Kopf. Bis vor kurzem hätte niemand gedacht, dass sich<br />
in den nächsten Jahren an der spitze des Landes etwas ändern würde.<br />
Doch dann betrat unerwartet ein mann das politische parkett, über<br />
den sich die menschen bislang nur von Bewunderung und erstaunen<br />
geprägte Geschichten zu erzählen wussten.<br />
Nun richten sie ihre Augen auf<br />
die Residenz des Oligarchen über<br />
der Altstadt von Tiflis. So entrückt<br />
und erhaben der Gebäudekomplex<br />
aus Glas und Aluminium<br />
auf dem Felsen steht, so abgeschottet<br />
lebte dessen Hausherr in<br />
den vergangenen zehn Jahren in<br />
Georgien. Bekannt war lediglich,<br />
dass er in den 90er Jahren ein<br />
Vermögen in Russland gemacht<br />
hatte. 5,5 Milliarden Dollar soll<br />
es laut Forbes-Liste betragen.<br />
Was ihn von anderen Oligarchen<br />
unterschied: Gerüchte<br />
besagten, dass er die Menschen<br />
in seinem Heimatbezirk Satschchere<br />
fernab der Hauptstadt mit<br />
Strom und Gas versorge, ihnen<br />
die Krankenversicherung zahle<br />
und Häuser bauen lasse. Darüber<br />
hinaus finanziere er Künstler in<br />
Tiflis, die Oper, Theater und Kirchenbauten<br />
in der Hauptstadt.<br />
Der Name des wohltätigen Milliardärs:<br />
Bidsina iwanischwili.<br />
Anfang Oktober platzte mitten<br />
hinein in die politische Lethargie<br />
eine Pressemeldung. iwanischwili<br />
verkündete, er wolle den seit bald<br />
acht Jahren regierenden Präsidenten<br />
Michail Saakaschwili und<br />
seine Regierungspartei bei den<br />
Parlamentswahlen im nächsten<br />
Jahr besiegen. Dies erhitzte die<br />
Gemüter im ganzen Land. Denn<br />
in den vergangenen Jahren wuchs<br />
die Unzufriedenheit mit Saakaschwili.<br />
Zwar ist die Alltagskorruption<br />
inzwischen beseitigt,<br />
nicht aber die sozialen Probleme.<br />
Und die Führung um Saakaschwili<br />
neigt dazu, mehr und mehr<br />
Macht in ihren Händen zu konzentrieren.<br />
Doch ist der Milliardär iwanischwili<br />
eine Alternative? Ein Besuch<br />
in seiner Heimatregion Satschchere<br />
bestätigt zunächst einmal<br />
die Gerüchte. in iwanischwilis<br />
Heimatdorf Djorwila stehen fast<br />
ausschließlich neue Häuser. Auch<br />
Von silvia stöber (n-ost)<br />
in der Umgebung glänzen zahlreiche<br />
frisch gedeckte Dächer.<br />
Wie viele andere zählt der Arzt<br />
Tamas Samcharadse auf, wofür<br />
der Oligarch Geld gibt: „Rentner,<br />
alleinstehende Mütter und<br />
kinderreiche Familien erhalten<br />
einen Zuschuss zu den staatlichen<br />
Leistungen.“ Auch Lehrer<br />
und Ärzte wie er bekämen<br />
zusätzlich zum Gehalt Geld und<br />
ja, alle Bewohner des Bezirkes<br />
Satschchere seien umsonst krankenversichert.<br />
Aber was plant iwanischwili,<br />
sollte er tatsächlich an die<br />
Macht kommen? Antwort gibt<br />
der bescheiden und freundlich<br />
auftretende Geschäftsmann bei<br />
einem interview in seiner Residenz.<br />
„Hilfe für Bedürftige ist<br />
wichtig“, sagt er mit Blick auf<br />
die Spenden in seiner Heimatregion.<br />
Wichtiger sei es jedoch,<br />
den Menschen Arbeit und damit<br />
Verantwortung zu geben. „Die<br />
demokratischen institutionen<br />
müssen gestärkt werden. Vor<br />
allem die Justiz und die Massenmedien<br />
müssen unabhängig werden.“<br />
Außerdem dürfe der Staat<br />
nicht die Wirtschaft kontrollieren,<br />
wie die Regierung Saakaschwilis<br />
es tue. Dem Präsidenten<br />
wirft er vor, ihn und seine Leute<br />
provozieren zu wollen. iwanischwili<br />
beteuert aber: „Wir wollen<br />
nur durch Wahlen an die Macht<br />
kommen.“<br />
Doch im Moment hat er kaum<br />
politische Rechte. Kurz nach<br />
seiner Ankündigung entzog die<br />
Regierung iwanischwili den Pass,<br />
weil er nach der georgischen<br />
auch die französische Staatsbürgerschaft<br />
angenommen hatte.<br />
Zudem beschlagnahmten die<br />
Behörden einen Geldtransporter<br />
seiner Bank mit Bargeld in Millionenhöhe.<br />
Die regierungsnahen<br />
Medien stellen den Oligarchen<br />
als Gehilfen <strong>Moskau</strong>s dar. Dage-<br />
Minsker Kopfstände<br />
Weißrussland-Kolumne von Alexandra Romanowa<br />
ich begegnete dem Journalisten<br />
auf der Straße, mitten im Zentrum<br />
von Minsk. Und habe ihn<br />
gleich erkannt, denn er berichtete<br />
20<strong>10</strong> über die Wahlkampagne in<br />
Weißrussland und schrieb auch<br />
danach noch Reportagen darüber,<br />
wie die Hoffnung auf freie Wahlen<br />
die Weißrussen veränderte.<br />
Er ist einer der wenigen Vertreter<br />
der unabhängigen Presse in<br />
Weißrussland. ich kann mich an<br />
seinen funkelnden Blick erinnern,<br />
als er damals im <strong>Vi</strong>deoblog seines<br />
Mediums die Zuschauer davon<br />
überzeugte, dass sie noch immer<br />
die Chance hätten, das Land zu<br />
ändern. Das war genau vor einem<br />
Jahr, vor den Neuwahlen von<br />
Lukaschenko für die vierte Amtszeit,<br />
vor all den Demonstrationen<br />
und den lokalen Finanzkrisen.<br />
Als ich ihn vor Kurzem auf der<br />
Straße traf, war er nicht mehr<br />
derselbe. Ein erloschener Blick,<br />
gesenkte Schultern. Er sah aus,<br />
als ob er mit jedem Einzelnen<br />
der oppositionellen Kandidaten<br />
im Gefängnis gesessen und mit<br />
allen Rentnern gehungert habe,<br />
damit ihre weißrussischen Rubel<br />
über die Sommermonate reichen,<br />
als die Preise um 60 Prozent<br />
und die Renten aber nur um<br />
13 Prozent gestiegen sind.<br />
in diesem Jahr ist Weißrussland<br />
zum ersten Mal im so genannten<br />
Elendsindex verzeichnet, der in<br />
den 70er Jahren vom Amerikaner<br />
Arthur Okun erfunden wurde.<br />
Um ihn auszurechnen, werden<br />
inflationsrate und Arbeitslosenquote<br />
summiert. Weißrussland<br />
hat in diesem Jahr die Ukraine<br />
Der georgische Oligarch und Politiker Bidsina Iwanischwili in seiner Residenz bei Tiflis.<br />
gen spricht, dass iwanischwili<br />
westlich orientierte Oppositionspolitiker<br />
wie den Ex-UN-Botschafter<br />
irakli Alasania zu Partnern<br />
wählte. Beide betonen, dass<br />
sich Georgien weiter Europa und<br />
der NATO annähern soll, aber<br />
auch, dass nach dem Krieg 2008<br />
die Beziehungen zum nördlichen<br />
Nachbarn Russland verbessert<br />
werden müssen.<br />
Eine Partei darf iwanischwili<br />
ohne georgische Staatsbürgerschaft<br />
nicht gründen. Dafür bildete<br />
er am Sonntag die politische<br />
Bewegung „Georgischer Traum“<br />
mit prominenten Aktivisten und<br />
Künstlern, von denen er viele in<br />
den vergangenen Jahren unterstützt<br />
hatte. Tausende kamen zu<br />
dem Ereignis in der Philharmonie<br />
in Tiflis. Zwei Anfang Dezember<br />
veröffentlichte Umfragen zeigen,<br />
dass iwanischwili bei Wahlen ein<br />
ernsthafter Gegner für Saakaschwilis<br />
Partei sein könnte.<br />
Außerdem stellte sich das hoch<br />
angesehene Oberhaupt der orthodoxen<br />
Kirche in Georgien, ilia ii.,<br />
an iwanischwilis Seite. in einer<br />
Sonntagspredigt vor wenigen<br />
verdrängt und belegt den ersten<br />
Platz der traurigen Liste. Geht<br />
es nach der Meinung der Experten,<br />
leben in meiner Heimat die<br />
unglücklichsten Menschen. Aber<br />
vor einem knappen Jahr sah noch<br />
alles anders aus.<br />
Damals waren wir alle euphorisch,<br />
wir lebten mit der Hoffnung<br />
auf Veränderungen – fieberten<br />
demokratischen Wahlen<br />
entgegen, nach denen wir Weißrussen<br />
in einem anderen, einem<br />
neuen Land aufwachen würden.<br />
Aber daraus ist nichts geworden.<br />
Menschen, die gestern unsere<br />
Helden waren, sehen heute<br />
bleich und erschöpft aus. Künstler,<br />
unabhängige Journalisten,<br />
Oppositionspolitiker. Sie haben<br />
den einen Kampf verloren und<br />
wissen nicht, ob es die Chance<br />
Wochen forderte er, der Milliardär<br />
müsse die georgische Staatsbürgerschaft<br />
wiederbekommen.<br />
Was iwanischwili bewirken kann<br />
auf einen zweiten geben wird.<br />
Die offizielle weißrussische Presse<br />
verhöhnt satt und zufrieden<br />
die gescheiterte Revolution des<br />
Schweigens in Weißrussland.<br />
Zur Belehrung der Aufmüpfigen<br />
wird in den Medien darüber<br />
diskutiert, dass die Menschen<br />
in Lybien sogar nach dem Tod<br />
von Gaddafi noch auf den Straßen<br />
protestierten, weil sie nichts<br />
anderes könnten als zu rebellieren.<br />
Und solche Menschen gibt es<br />
auch in Weißrussland. Aber nach<br />
dem gescheiterten Versuch, alles<br />
zu ändern, müssen sie ein neues<br />
Leben beginnen. Die Mehrheitsgesellschaft<br />
tut so, als ob nichts<br />
passiert wäre: Keiner hat verloren,<br />
dieses berauschende Gefühl<br />
von Freiheit hat es nie gegeben.<br />
und will, ist offen. Sicher ist:<br />
Schon jetzt hat er den Menschen<br />
aufgezeigt, dass es Alternativen<br />
zu Saakaschwili geben kann.<br />
Georgien und russland<br />
Lange herrschte Eiszeit zwischen Georgien und Russland. Die beiden abtrünnigen<br />
georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien sind von Russland<br />
und einigen international unbedeutenden Ländern offiziell als unabhängig anerkannt;<br />
Georgien selbst, aber auch die USA und die EU sehen die beiden Grenzgebiete<br />
weiterhin als georgisches Teritorium an. In den Gebieten sind russische<br />
Truppen stationiert, die Regierung unter Saakaschwili hat keine Kontrolle über<br />
die Grenzen. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind nicht erst seit<br />
dem Fünftagekrieg im August 2008 schlecht. Schon nach der Unabhängigkeit<br />
Georgiens 1991 unterstützte Russ land Unabhängigkeitsbestrebungen in dem<br />
jungen Staat und nimmt so bis heute Einfluss auf die Innenpolitik des Landes.<br />
Im Herbst 2006 wurden in der georgischen Hauptstadt Tiflis vier russische<br />
Offiziere wegen Spionageverdachts verhaftet. Daraufhin verteuerte Russland die<br />
Preise für Öl- und Gasexporte nach Georgien und erließ ein Importverbot für<br />
bestimmte georgische Produkte.<br />
Bei den Verhandlungen Russlands mit der Welthandelsorganisation WTO<br />
spielte Georgien lange Zeit eine Schlüsselrolle: Das Land blockierte mit seinem<br />
Veto bis Ende Oktober den Beitritt. Anfang November unterzeichneten Vertreter<br />
der beiden Staaten nach Vermittlungen der Schweiz schließlich einen Vertrag<br />
über den Warenverkehr, auf dessen Grundlage Georgien dem Beitritt Russlands<br />
zur WTO zustimmt.<br />
Seit der Präsidentenwahl Ende November in Südossetien gibt es Unruhen, da<br />
das Oberste Gericht den Sieg der kremlkritischen Kandidatin Alla Dschiojewa<br />
annuliert hatte.<br />
kal<br />
Genauso wenig, wie die nachfolgende<br />
Lebensmittelkrise und die<br />
Bomben in der Metro.<br />
Der Ausdruck „Demokratie“ ist<br />
in diesem Land offiziell zu einem<br />
Schimpfwort geworden. Wenn<br />
im weißrussischen Fernsehen<br />
Unmoralisches zu sehen ist –<br />
seien das Aufstände, Drogenverkäufer<br />
oder ein Teenager, der<br />
seine Großmutter zerschnitten<br />
hat – teilt der Moderator mit:<br />
„Das ist genau das, wozu ihre<br />
vielgerühmte Demokratie führen<br />
kann.“<br />
Alexandra romanowa (28) ist<br />
Journalistin und lebt in minsk.<br />
sie schreibt für russische<br />
medien und in ihrem Blog unter<br />
sasharomanova.livejournal.com.<br />
Temo Bardzimashvili
14<br />
FREIzEIT<br />
5Highlights<br />
Der Dreispänner hatte in Russland<br />
zunächst wenig mit Ausflugsidylle<br />
zu tun. Wenn von drei<br />
Pferden zwei schlapp machen,<br />
kommt vielleicht das Dritte<br />
Von Natalia Gubko<br />
durch und bringt die Kutsche<br />
oder den Schlitten noch ans<br />
Ziel. Zum Symbol Russlands<br />
wurde die Troika spätestens mit<br />
der literarischen Ausgestaltung<br />
durch Nikolaj Gogol. Die Troika<br />
Russ land drängt unaufhaltsam<br />
der Zukunft entgegen, launisch<br />
und schwer zu zügeln, mal aufbrausend,<br />
mal phlegmatisch, mal<br />
leichten, mal schweren Schrittes.<br />
Die <strong>Moskau</strong>er Regierung investiert<br />
derzeit in ihre öffentlichen<br />
Parks. Die Attraktionen sollen<br />
zudem erschwinglich bleiben.<br />
im Moment stehen die Rosse<br />
bereit und warten auf den ersten<br />
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />
WO und WAS in MOSKAU<br />
KINO RESTAURANT BüHNE KONzERT MUSEUM<br />
Schnee<br />
von morgen<br />
Zwischen dem europäischen und<br />
russischen Weihnachtfest lockt das<br />
Theater „Schule der dramatischen<br />
Kunst“ Kinder im Alter von 6 bis<br />
9 mit dem Stück „Das Geheimnis<br />
des verschwundenen Schnees“.<br />
Die jungen Erfinder, Detektive und<br />
Forscher werden dabei nicht nur<br />
ein Gefühl des Wunders erfahren,<br />
sondern auch den Stolz, ein<br />
Erwachsenen-Theater besucht<br />
zu haben. Spiele, Tricks, lustige<br />
Witze und echter Schnee: Die märchenhafte<br />
Geschichte spiegelt alle<br />
Facetten unseres Lebens wider.<br />
Und am Ende gelingt es weder<br />
Monstern noch Wetteranomalien,<br />
das Wunder einer fröhlichen Silvesterfeier<br />
zu sabotieren.<br />
24. Dezember – 6.<br />
Januar, <strong>12</strong> und 16 Uhr<br />
Theater „schule der dramatischen<br />
Kunst“<br />
Ul. Sretenka 19/27<br />
m. sucharewskaja<br />
Tel.: (495) 632 9344<br />
www.sdart.ru<br />
Zirkus<br />
im Museum<br />
Zirkus bedeutet Phantasie,<br />
Tricks, Farbenpracht, Risiko und<br />
Abenteuer. Dieses Thema hat<br />
seit Jahrzehnten viele Künstler<br />
angesprochen. im 19. Jahrhundert<br />
war es fast schon eine Modekrankheit:<br />
Francisco Goya, Edgar<br />
Degas, Auguste Renoir, Henri de<br />
Toulouse-Lautrec, Henri Matisse<br />
und Salvador Dalí ließen sich von<br />
dieser Kunst faszinieren. in der<br />
Galerie „Tschechow-Häuschen“<br />
sind es aber die Künstler des 20.<br />
Jahrhunderts, die dem Publikum<br />
präsentiert werden. Zusammen<br />
mit einer thematischen Zirkus-<br />
Ausstellung gibt es Aufführungen<br />
von Clowns, Zauberkünstlern,<br />
Akrobaten und Tieren.<br />
16. Dezember –<br />
1. März<br />
polina Lobatschewskaja-Galerie<br />
Ausstellungshalle Tschechow-<br />
Häuschen<br />
Ul. Malaja Dmitrowka 29/4<br />
m. majakowskaja<br />
Tel.: (495) 694 2819<br />
www.plgallery.ru<br />
Honig<br />
und Weihrauch<br />
Weihnachtsmärkte in Russland<br />
sind mit der Lupe zu suchen.<br />
An den kleinen Märkten bei<br />
verschiedenen Metro-Stationen<br />
kommt zudem selten richtige<br />
Feststimmung auf. Das Highlight<br />
wird in der letzten Dezemberwoche<br />
im Ausstellungszentrum<br />
WWZ stattfinden: der orthodoxe<br />
Weihnachtsmarkt „Weihnachtsgabe“.<br />
Der Markt zählt etwa<br />
500 Teilnehmer: Kirchen, Klöster,<br />
Bauernhöfe und kirchliche<br />
Wohngemeinschaften bieten<br />
dem Publikum sowohl kulinarische<br />
Spezialitäten aus verschiedenen<br />
Klosterwirtschaften als<br />
auch Bücher, ikonen, Kirchengegenstände<br />
und Geschenke an –<br />
und eine deftige Klostermahlzeit<br />
im Marktcafé.<br />
22.– 29. Dezember<br />
Ausstellungszentrum WWZ<br />
Pavillon 69<br />
m. WDNCh<br />
www.pokrov-expo.ru<br />
Schnaufen im Schnee<br />
In drei <strong>Moskau</strong>er Parks traben Troikas – bei entsprechender Witterung<br />
russischer geht es nicht: eingemummt in einen dicken mantel und eine<br />
Wolldecke durch das schneegestöber rasen. in diesem Winter lassen<br />
sich Troika-schlittenfahrten in den städtischen parks pokrowskojestreschnewo<br />
(m. schtschukinskaja), Zarizyno und Troparewo (m. Tjoplyj<br />
stan) unternehmen.<br />
xrest.ru<br />
Kurz<br />
und bündig<br />
Früher konnten es sich die Menschen<br />
noch leisten, dicke Folianten<br />
zu lesen. Twitter, Sms, <strong>Vi</strong>deoclips<br />
und Werbespots: Heute wird alles<br />
auf Kompaktformat reduziert.<br />
Diese Tendenzen spiegeln sich auch<br />
in der Filmkunst wider, indem das<br />
Genre der Kurzfilme immer populärer<br />
wird. in der zweiten Dezemberhälfte<br />
findet das fünfte Festival<br />
der Debüt-Kurzfilme statt. Die auf<br />
dem Programm stehenden Filme<br />
wurden auf diversen Kinofestivals<br />
ausgezeichnet. Von den Filmen,<br />
die nicht am Wettbewerb teilnehmen,<br />
sind zu empfehlen: „Spanien.<br />
<strong>Vi</strong>er Provinzen“, die Auswahl von<br />
Frauenfilmen des brasilianischen<br />
Femina-Festivals „Best of Femina“,<br />
die Kurzfilme über das Weltall<br />
„Sound in Space“ und das Projekt<br />
„Nicht-Film Territorien. Südossetien“.<br />
15.-19. Dezember<br />
Kino Chudoschestwennyj<br />
Arbatskaja ploschtschad<br />
m. Arbatskaja<br />
Tel.: (495) 691 9624<br />
debutes2011.msff.ru<br />
bleibenden Schnee. Für die letzten<br />
drei Tage des Jahres werden<br />
Troikafahrten allen Parkbesuchern<br />
kostenlos angeboten. So<br />
etwas sollte nicht verpasst werden,<br />
empfiehlt der Direktor des<br />
Reitersportzentrums Matador,<br />
Sergej Nikulin, den <strong>MDZ</strong>-Lesern.<br />
in privaten Reitzentren würde es<br />
bis zu 1 000 Euro kosten, einen<br />
Pferdeschlitten mit Kutscher zu<br />
mieten.<br />
Troika-Romantik wird auch<br />
außerhalb von <strong>Moskau</strong> garantiert:<br />
im Gebiet Kaluga, bei der Stadt<br />
Borowsk (Bahnstation Balabanowo),<br />
knappe drei Fahrtstunden<br />
von der Hauptstadt entfernt, gibt<br />
es das kulturtouristische Zentrum<br />
Etnomir. Jeder Besucher<br />
kann hier einen Blick auf die<br />
Kulturen verschiedener Länder<br />
werfen. Jedes Land wird durch<br />
einen so genannten Ethnohof<br />
dargestellt, in dem sich typische<br />
Häuser, Museen, Restaurants und<br />
Geschäfte aneinander reihen. im<br />
Ethnohof des Hohen Nordens<br />
spannen die Hofbetreuer nicht<br />
Pferde, sondern Hunde vor ihre<br />
Schlitten, damit sich die Besucher<br />
ins Leben der nördlichen<br />
Völker hineinversetzen können.<br />
Wenn diese Pferde Englisch könnten,<br />
würde ihr Motto sein: Three is company,<br />
two is none.<br />
Von Katja Gubernatorowa<br />
Fliegende<br />
Laternen<br />
Der „Klub der Anzünder der<br />
Himmelslaternen“ möchte eine<br />
romantische Alternative zum<br />
teuren und ohrenbetäubenden<br />
Feuerwerk populär machen. Zu<br />
schönen Anlässen werden massenhaft<br />
Papierlaternen mit kleinen<br />
Lämpchen in den Abendhimmel<br />
steigen gelassen. in der sternenarmen<br />
Winterszeit ist das auch für<br />
die Psyche angenehm. Am ersten<br />
Weihnachtsfeiertag werden in der<br />
Nähe des Kolomenskoje-Parks an<br />
der Moskwa unzählige fliegende<br />
Lichter aufsteigen. Die Aktion<br />
fängt um 19 Uhr mit einer Show<br />
an. Es empfiehlt sich, etwas früher<br />
zu kommen, um sich eine<br />
Laterne zu kaufen und eine kurze<br />
Anweisung zu bekommen. Bitte<br />
eine Thermosflasche und ein Feuerzeug<br />
mitbringen.<br />
25. Dezember,<br />
18 - 20 Uhr<br />
park „Nagatinskaja pojma“<br />
Projektirujemyj Projesd Nr. 4062,<br />
1 Geb. 2<br />
m. Kolomenskaja<br />
www.ofonaret.ru<br />
Guten Rutsch!<br />
DIE KREML-EISBAHN LOCKT<br />
MIT „SOWJETISCHEN“ PREISEN<br />
Ob die Aktion eine spontane<br />
Maßnahme zur Wiedergutmachung<br />
beim<br />
Volk nach dem Imageverlust<br />
des Kreml im Zuge<br />
der Parlamentswahlen ist<br />
oder nicht – den Eislauffans<br />
kann es egal sein: Bis<br />
zum 30. Dezember lässt<br />
sich auf dem Roten Platz<br />
während der Werktage am<br />
Vormittag für zehn Rubel<br />
und am Abend für 50 Rubel<br />
Schlittschuh laufen. Eine<br />
Séance dauert zwei Stunden.<br />
Am Wochenende sind<br />
es entsprechend 50 und<br />
<strong>10</strong>0 Rubel – immer noch<br />
weit unter den normalen<br />
Preisen von 350 und 500<br />
Rubel, die bislang dem Massenandrang<br />
einen gewissen<br />
Einhalt geboten haben.<br />
<strong>Vi</strong>elleicht bauen die Organisatoren<br />
auf die Menge<br />
der schlittschuhlosen Mitbürger:<br />
Denn wer gerade<br />
keine Kufen zur Hand hat,<br />
kann sie gerne ausleihen –<br />
gegen den Normal tarif von<br />
250 Rubel.
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />
„Symbiose zweier Genies“<br />
Mozarts „Idomeneo“ erklingt in der Version von Richard Strauss<br />
Die musik aus der Oper „idomeneo“ von Wolfgang Amadeus mozart<br />
ist in russland zwar selten, aber doch hin und wieder zu vernehmen<br />
– etwa im mariinskij-Theater in st. petersburg oder diesjährig auf der<br />
Opernbühne bei den sommernachtskonzerten in Archangelskoje bei<br />
moskau. mozarts „idomeneo“ in der Version von richard strauss, die<br />
ende November am moskauer Boris-pokrowskij-musiktheater präsentiert<br />
wurde, ist in russland dagegen eine erstaufführung.<br />
inspiriert wurde die ungewöhnliche<br />
Premiere von der<br />
Musikkoryphäe Gennadij Roschdestwenskij,<br />
dem früheren Dirigenten<br />
des Bolschoi-Theaters<br />
und zahlreicher weiterer etablierter<br />
Sinfonieorchester rund<br />
um die Welt. Berühmt wurde er<br />
vor allem als interpret moderner<br />
und wenig gespielter klassischer<br />
Musik. „Warum sollte ich mich<br />
für bekannte Werke entscheiden?“<br />
Diese Frage ist sein Motto. Ebenso<br />
eigenwillig erklärt Roschdestwenskij<br />
sein persönliches inte-<br />
Von Tatjana Dattschenko<br />
resse an der Oper „idomeneo“<br />
damit, dass Richard Strauss das<br />
Mozartsche Frühwerk just im<br />
Geburtstagsjahr des Dirigenten<br />
– 1931 – für die Wiener Staatsoper<br />
völlig neu bearbeitete. Und<br />
das geschah genau 150 Jahre nach<br />
der Uraufführung von Mozarts<br />
Oper 1781. Roschdestwenskij hält<br />
die „Mozart-Strauss-Variante“ für<br />
„eine Symbiose zweier Genies“.<br />
Für die „opera seria“ wählte<br />
Mozart ein Sujet aus der Antike:<br />
Der kretische König idomeneus<br />
muss nach der Rückkehr vom trojanischen<br />
Krieg seinen eigenen<br />
Sohn opfern. Dem Hauptregisseur<br />
des Pokrowskij-Kammertheaters<br />
Michail Kisljarow, der die Regie<br />
bei „idomeneo“ übernahm, lag der<br />
Gedanke, „wie der weltweite, allumfassende<br />
Hass der Menschen<br />
untereinander überwunden werden<br />
kann“, besonders am Herzen.<br />
Auf der kleinen Szene muss sich<br />
die künstlerische Fantasie eher in<br />
Grenzen halten. Darum werden<br />
die Bühnenbilder vor schwarzem<br />
Hintergrund mit größter Effizienz<br />
ausgenutzt.<br />
Die Premiere von „idomeneo“<br />
leitet die Pokrowskij-Festspiele<br />
ein, die dem <strong>10</strong>0-jährigen<br />
Das durch den Chor repräsentierte Volk zeigt sich vom Vorhaben der Opfertat entsetzt.<br />
Geburtstag von Boris Pokrowskij<br />
gewidmet sind. Am 23. Januar<br />
20<strong>12</strong> – an seinem Geburtstag –<br />
wird der hervorragende Opernregisseur<br />
und Theatergründer<br />
mit einem Gala-Konzert geehrt.<br />
Gesungen wird „idomeneo“ auf<br />
Russisch. Für die erste Darbietung<br />
in Russland wurde extra eine neue<br />
Übersetzung angefertigt. Das ist<br />
im Sinne Pokrowskijs, der wollte,<br />
dass die Opern dem Publikum<br />
verständlich seien. Auf Deutsch<br />
werden im Zuge der Festspiele<br />
die prächtige „Zauberflöte“ und<br />
Albert Lortzings „Zar und Zimmermann“<br />
– mit russischen<br />
Sprechdialogen – gesungen.<br />
„idomeneo“ versucht, ohne<br />
Skandale und splitternackte Mädchen<br />
auf der Bühne – wie unlängst<br />
bei der Premiere von „Ruslan und<br />
Ludmila“ am neueröffneten Bolschoi<br />
geschehen – das Publikum<br />
FREIzEIT<br />
15<br />
durch grandiose Musik ins Theater<br />
zu locken. Wenn Maestro<br />
Roschdestwenskij am Dirigentenpult<br />
agiert, stehen die Chancen<br />
dafür sehr gut.<br />
„idomeneo“<br />
Boris-pokrowskij-musiktheater<br />
Ul. Nikolskaja 17<br />
Tel. (495) 606 7008<br />
m. ploschtschad rewoljuzii<br />
www.opera-pokrovsky.ru<br />
Michail Maisel (2)
16<br />
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011