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Esskultur im Alltag

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Dr. Erika Claupein<br />

Bundesministerium für Ernährung,<br />

Landwirtschaft und Verbraucherschutz<br />

5300 Bonn<br />

<strong>Esskultur</strong> <strong>im</strong> <strong>Alltag</strong><br />

- Kurzfassung –<br />

Zeiten der Ernährung<br />

In den hoch industrialisierten Gesellschaften hat sich mit den Modernisierungs- und<br />

Differenzierungsprozessen ein enormer gesellschaftlicher Lebens- und Wertewandel<br />

vollzogen. Traditionelle Werte und Lebensweisen haben sich radikal verändert. Vorgezeichnete<br />

Lebensweisen gibt es nicht mehr. Jeder ist für seinen Lebensentwurf bis hin<br />

zu seinem Ernährungsstil selbst verantwortlich. Mobilität und Geschwindigkeit, prägen<br />

den <strong>Alltag</strong> von uns allen und verursachen nicht selten Zeitdruck und Zeitnot. Obwohl wir<br />

<strong>im</strong>mer mehr zu einer Gesellschaft werden, die rund um die Uhr arbeitet, einkauft, sich<br />

unterhält, isst und trinkt, sind wir Menschen durch unsere Körper und die natürliche<br />

Umwelt an rhythmische Prozesse und Körperzeiten gebunden, die eine eigene Zeitlogik<br />

aufweisen.<br />

Ernährungsstile<br />

Glaubt man den Marktforschern so differenziert sich die Art, wie wir uns ernähren <strong>im</strong>mer<br />

stärker aus. In den westlichen Industrieländern geht es angeblich auch be<strong>im</strong> Essen <strong>im</strong>mer<br />

mehr um die Selbstverwirklichung des Einzelnen. Wir essen, weil wir uns verändern<br />

möchten. Demzufolge n<strong>im</strong>mt die Zahl an neuen Essbedürfnissen ständig zu, was<br />

zu einem <strong>im</strong>mer größeren Angebot von Lebensmitteln führt und zu veränderten Ess-<br />

Situationen, wie dem snacken und grazing.<br />

Aber auch der <strong>Alltag</strong> mit seinen unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsorten, Zeitnutzungsmustern<br />

und Beziehungskonstellationen sowie den jeweiligen Verpflegungsangebote<br />

etwa in Betriebskantinen, Unternehmensrestaurants, Fast Food Ketten, Imbissmöglichkeiten<br />

best<strong>im</strong>men unser Essverhalten. Die Lebensmittelindustrie und der -handel<br />

haben scheinbar <strong>im</strong>mer ein passendes Angebot parat: Verbraucherinnen und<br />

Verbraucher haben die Wahl zwischen Sensual Food, Convenience Cooking, Fast Casual,<br />

Hand Held Food, Health Food, Cheap Basics, Ethic Food, Slow Food, DOC Food,<br />

Nature Food, Clean Food, Mood Food, Functional Food.<br />

Was ist nun dran, an diesen Trendberichten der Marktforschungsinstitute? Eine Analyse<br />

der Zeitbudgetstudie 2001/02 (Statistisches Bundesamt) kommt <strong>im</strong> Hinblick auf die<br />

Zeitverwendung der deutschen Bevölkerung zu dem Ergebnis, dass traditionelle Muster<br />

bislang noch dominieren und dies sowohl <strong>im</strong> Hinblick auf Mahlzeitenmuster und gemeinsame<br />

Mahlzeiten zuhause, als auch auf die Zuständigkeit der Frauen für die Beköstigung.<br />

Allerdings ist der Zeitaufwand für die Beköstigung rückläufig.<br />

Eine Untersuchung, die das Ernährungshandeln <strong>im</strong> Kontext mit anderen Lebensbereichen<br />

untersucht hat, kommt zu dem Ergebnis, dass die Gestaltung des Ernährungsalltags<br />

heute eine komplexe Aufgabe ist, die den Konsumentinnen und Konsumenten


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vielfältige Integrationsleistungen abverlangt. Die Fülle an Angeboten und Handlungsoptionen<br />

bedeutet einerseits zwar eine Zunahme an Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten,<br />

schafft aber gleichzeitig auch vielfältige Entscheidungs- und Informationsnotwendigkeiten.<br />

Dies verstärkt den Druck auf das Ernährungshandeln. Gleichzeitig geht das Wissen<br />

und die Kompetenz <strong>im</strong> Umgang mit Lebensmittel zurück.<br />

In dieser Studie <strong>im</strong> Projekt Ernährungswende wurden sieben verschiedene Ernährungsstile<br />

identifiziert:<br />

- Desinteressierte Fast Fooder 12%<br />

- Billig- und Fleisch-Esser 13%<br />

- Freudlose GewohnheitsköchInnen 17%<br />

- Fitnessorientierte Ambitionierte 9%<br />

- Gestresste <strong>Alltag</strong>smanagerInnen 16%<br />

- Ernährungsbewusste Anspruchsvolle 13%<br />

- Konventionelle Gesundheitsorientierte 20%<br />

Quelle: Eberle, U.; Hayn, D.; Rehaag, R.; S<strong>im</strong>shäuser, U.: Ernährungswende, München 2006.<br />

Aus diesen unterschiedlichen Trends und Ernährungsstilen lassen sich <strong>im</strong> Wesentlichen<br />

zwei Grundtendenzen ableiten:<br />

1. Die eine Ernährungsrichtung ist eher funktionell orientiert: Der Körper soll mit<br />

dem Notwendigen versorgt werden, dass er funktionieren kann. Kochen und Essen<br />

sollen nicht so viel Zeit kosten, da andere Dinge wichtiger sind.<br />

2. Die andere Richtung ist eher am Wohlbefinden orientiert und viel sinnlicher:<br />

Essen soll gut tun, soll schmecken. Kochen und Essen machen Spaß.<br />

Die <strong>Esskultur</strong> ist ein Spiegelbild der Gesellschaft<br />

Die funktionell orientierte Richtung scheint alltagstauglicher zu sein. Sie führt aber unweigerlich<br />

dazu, dass <strong>im</strong>mer mehr Wissen über Ernährung und Kompetenz bei der<br />

Nahrungszubereitung und be<strong>im</strong> Essen verloren gehen und das soziale Leben rund ums<br />

Essen sich verändert. Immer weniger Menschen werden über kulinarische Kompetenz<br />

verfügen, nicht zuletzt deshalb, weil sich niemand so recht um die kulinarische Bildung<br />

kümmern will. Es gehört zur Natur des Menschen, Nahrung aufzunehmen um seinen<br />

täglichen Bedarf an essentiellen Nährstoffen zu decken. Aber als Kulturwesen kann der<br />

Mensch seine Umwelt sowie seine eigene Natur kulturell gestalten und überformen.<br />

Was der Mensch isst, wurde stets von einem komplexen Zusammenspiel sozialer, wirtschaftlicher<br />

und technologischer Kräfte best<strong>im</strong>mt. Eric Schlosser (Fast Food Gesellschaft,<br />

2001) zeigt am Beispiel der Fast Food Industrie in Amerika auf, wie diese in der<br />

relativ kurzen Zeit von 40 Jahren nicht nur die Ernährung, sondern auch ihre Umwelt,<br />

Wirtschaft, Arbeitsbedingungen und Populärkulturen verändert hat. Dieser Entwicklung<br />

kann sich keiner entziehen. Die Kultur der Rastlosigkeit, Unbeständigkeit, Geschwindigkeit<br />

und der Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem prägt auch die <strong>Esskultur</strong>. Paradoxerweise<br />

ist gerade die Uniformität der Erfolgsschlüssel für diese Franchise-Unternehmen,<br />

da diese ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Nach Schlosser kann der Speisezettel<br />

eines Volkes mehr aussagen als seine Kunst oder Literatur.

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