Susi saß reichlich bequem auf dem Fensterbrett und ließ ... - BookRix
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Ingo Raup<br />
Anna <strong>und</strong> Teresa & Die Augen der Katze<br />
1
Zu diesem Buch<br />
Anna <strong>und</strong> Teresa sind zwei ganz normale Mädchen. Die Schwestern leben<br />
in einer kleinen Stadt in Süddeutschland. Ihren Alltag meistern sie mit<br />
Geschick <strong>und</strong> Humor. Sie gehen in die Schule <strong>und</strong> erleben Abenteuer. Ihre<br />
kleine Katze <strong>Susi</strong>, welche die Kinder vor <strong>dem</strong> Verhungern retteten,<br />
sch<strong>ließ</strong>en sie fest ins Herz. <strong>Susi</strong> wiederum ist mit <strong>dem</strong> Mischlingsh<strong>und</strong><br />
Robi eng befre<strong>und</strong>et, von <strong>dem</strong> sie auch die Sprache der Tiere lernt. Eines<br />
Tages, während einer Klassenfahrt, stoßen die Kinder <strong>auf</strong> ein<br />
geheimnisvolles ``Kastenbuch``, wofür sich ursprünglich der<br />
Geheimdienst interessiert. Als die Kinder merken, dass sie das seltsame<br />
Kastenbuch nicht so einfach wieder loswerden, geraten sie in eine<br />
unglaubliche Geschichte. Die Kälte des Buches überträgt sich zuerst <strong>auf</strong><br />
Teresa <strong>und</strong> später <strong>auf</strong> Anna. Die Mädchen sind ratlos, besch<strong>ließ</strong>en aber,<br />
ihren Eltern vorerst noch nichts zu erzählen. Da entdecken sie eine<br />
geheimnisvolle Lichtstrahlung <strong>und</strong> Martin, ein Schulkamerad, wird mit in<br />
2
die Sache hinein gezogen. Auch die zwei schrulligen<br />
Geheimdienstagenten, die das Kastenbuch ständig suchen, tappen im<br />
Dunkeln. Nun scheint sich auch noch ein unbekannter Zusammenhang<br />
zwischen den Ereignissen <strong>und</strong> der Katze <strong>Susi</strong> zu ergeben. Hatte Anna<br />
nicht schon einmal unbewußt bemerkt, wie die Augen der Katze zu<br />
leuchten begannen? Führt die Spur wirklich nach Ägypten <strong>und</strong> kann selbst<br />
der hoch gebildete Professor Twostone im Forschungsinstitut die<br />
Wahrheit herausfinden? Was passiert direkt am Geburtstag von Teresa<br />
<strong>und</strong> welche Rolle spielt die Zeit?<br />
Ingo Raup<br />
Anna & Teresa<br />
<strong>und</strong><br />
Die Augen der Katze<br />
3
Impressum<br />
4
Für Anna, für Teresa<br />
Für MarieLuise, für Klaus<br />
Für Große <strong>und</strong> Kleine<br />
Für Alte, für Junge<br />
Für Arme <strong>und</strong> Reiche<br />
Und für alle Tiere<br />
5
.<br />
6
Unsere fre<strong>und</strong>liche Einladung:<br />
Im Buch gibt es Platz zum Zeichnen <strong>und</strong> Einkleben.<br />
Nimm Dir, wenn Du Lust hast, einen Bleistift oder Buntstifte!<br />
Gestalte den Verl<strong>auf</strong> der Geschichte ganz nach Deiner Phantasie<br />
mit eigenen, kleinen, sanften Zeichnungen! Oder schreibe einen<br />
kleinen Text dazu! Deine Ideen <strong>und</strong> Deine selbst gemalten Bilder<br />
werden Dir viel Freude bereiten.<br />
Dieses Buch gehört:<br />
Ich wohne in:<br />
Höre mal Du! Solltest Du dieses Buch<br />
einmal ausgeliehen haben, so gib es<br />
bitte wieder zurück!<br />
7
Inhalt<br />
Kapitel 1 <strong>Susi</strong><br />
9<br />
Kapitel 2 In der Schule<br />
23<br />
Kapitel 3 Der Fahrradausflug<br />
27<br />
Kapitel 4 Die Sommerferien<br />
33<br />
Kapitel 5 Robis Geschichte<br />
47<br />
Kapitel 6 Lady Marmelade<br />
53<br />
Kapitel 7 Weihnachten<br />
59<br />
8
Kapitel 8 Die Sprache der Tiere<br />
67<br />
Kapitel 9 Die Klassenfahrt<br />
71<br />
Kapitel 10 Das geheimnisvolle Kastenbuch<br />
87<br />
Kapitel 11 Die Verfolger<br />
105<br />
Kapitel 12 Drei Ausflüge <strong>und</strong> ein Abflug<br />
129<br />
Kapitel 13 >Zwischen< Eis <strong>und</strong> Blaubeerbrause<br />
155<br />
Kapitel 14 Kleine Ägyptologie<br />
177<br />
Kapitel 15 Der Geburtstag <strong>und</strong> die Nacht des Professors<br />
195<br />
Nachwort <strong>und</strong> Worterklärungen<br />
229<br />
9
1. <strong>Susi</strong><br />
<strong>Susi</strong> <strong>saß</strong> <strong>bequem</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Fensterbrett</strong>. Sie <strong>ließ</strong> die halb geöffneten<br />
Augen dösend aus <strong>dem</strong> Fenster im dritten Stock schweifen. Die<br />
ersten Strahlen der Frühlingssonne machten ihre Pupillen zu<br />
schmalen Schlitzen <strong>und</strong> reflektierten sich in den gelben Augen.<br />
Lauwarme Luftströme des Heizkörpers stiegen in Wellen an ihrem<br />
Fell empor. Die Wärme gab <strong>Susi</strong> ein wonniges Gefühl. Sie fühlte<br />
10
sich wohl, hier bei Ihren Menschen. Ab <strong>und</strong> zu bewegte Sie Ihren<br />
buschigen Schwanz, um die warme Luft mal <strong>auf</strong> diese oder jene<br />
Seite ihres Körpers zu lenken. Sie freute sich über ihr silbergraues,<br />
samtweiches Fell. <strong>Susi</strong> war mächtig stolz <strong>auf</strong> dieses Fell, hatte sie es<br />
doch zum Teil von ihrem Papa, einem mächtigen Angorakater<br />
geerbt. Bald würden ihre Menschenkinder aus der Schule kommen.<br />
Dann gäbe es etwas Herrliches zu essen <strong>und</strong> zu schlappern. <strong>Susi</strong><br />
schnurrte leise, streckte sich seitwärts aus <strong>und</strong> begann von ihren<br />
Menschen zu träumen, wie sich diese rührend um sie gesorgt hatten,<br />
als sie noch ganz klein war.<br />
Helle Kinderstimmen ertönen. Dann gibt es ein wildes<br />
´´Herunterl<strong>auf</strong>engeräusch´´, welches an die Benutzung einer Treppe<br />
erinnert. Irgendwo ertönt der Fluch einer Frau aus einem Fenster im<br />
unteren Stock. Knatternd öffnet sich dann die Tür des dreistöckigen<br />
Wohnhauses. Zwei Mädchen stürmen heraus. Sie sind <strong>auf</strong>geregt<br />
<strong>und</strong> scheinen in Eile zu sein. Auch die Roller <strong>und</strong> Inliner sind nicht<br />
zu sehen, mit denen Sie sonst eigentlich aus <strong>dem</strong> Haus gehen.<br />
„Hast du auch wirklich das Futter, Anna?“, ruft das blondhaarige<br />
Mädchen. Aufgeregt schaut sie zu ihrer großen Schwester hoch.<br />
Anna zupft sich noch die Jacke zu, legt sich einige Haarstränen<br />
zurecht <strong>und</strong> ist genauso <strong>auf</strong>geregt wie ihre kleine Schwester.<br />
„Ja, hab ich. Es ist von Robi, wie abgemacht. Aber sie wird es<br />
schon fressen, die Arme. Komm Teresa!“<br />
Die beiden Mädchen l<strong>auf</strong>en los. Auch das Fenster im unteren Stock<br />
sch<strong>ließ</strong>t sich wieder.<br />
11
Gestern hatten sie das arme Ding entdeckt, beim Spielen. Anna<br />
<strong>und</strong> Teresa spielen recht gern zusammen. Obwohl sie sich als<br />
Schwestern natürlich auch gern mal ohne größeren Sinn streiten,<br />
waren sie sich seit gestern ganz einig gewesen. Beim Herumstreifen<br />
durch die offenen Baumanlagen, vor den großen Wohnhäusern,<br />
hörten sie plötzlich dieses unsichere, piepartige Mauzen. Es kam<br />
unter einer Fichte oder Tanne hervor, welche mit ihren<br />
herabhängenden Ästen den Boden bedeckte. Durch die wenigen,<br />
offenen Lücken der dichten Zweige konnten sie es dann sehen <strong>und</strong><br />
waren sogleich von einer Mischung aus Neugier <strong>und</strong> Mitleid erfüllt.<br />
In einer Ecke, zwischen alte Zweige gedrückt, <strong>saß</strong> ein kläglich<br />
aussehendes Kätzchen. Das Fell war an vielen Stellen des Körpers<br />
abgerissen, so dass die nackte, rosa schimmernde Haut zum<br />
Vorschein kam. Das Kätzchen verstummte in seinem Mauzen als<br />
die Mädchen die Äste ein wenig zurück schoben. Dann zuckte es<br />
angstvoll zusammen. Es wich aber nicht zurück als die beiden<br />
Kinder noch näher kamen.<br />
„Leise, langsam“, sagte Anna <strong>und</strong> Teresa sah das Kätzchen mit<br />
geöffnetem M<strong>und</strong> an. Unter <strong>dem</strong> Baum war es halb dunkel. Zu<strong>dem</strong><br />
roch es vermodert. Zwischen den alten Tannenzapfen mischten sich<br />
die Nadeln des Baumes mit ein paar alten Kleidungsresten<br />
(Lumpen), leeren Dosen <strong>und</strong> Papierstücken. Das Kätzchen hatte hier<br />
sicher ein sehr bescheidenes Quartier gef<strong>und</strong>en.<br />
„Sie ist noch so klein, wir müssen ihr helfen“, flüsterte Teresa.<br />
Anna nickte zustimmend.<br />
Dann schauten sich beide so bedeutungsvoll an wie noch nie. Sie<br />
beschlossen einträchtig, sich nicht mehr zu streiten, sondern sich um<br />
die kleine Katze zu kümmern. Zuerst wurde Trinkwasser vom<br />
nahen Außenhahn eines Hauses besorgt <strong>und</strong> ein kleines Brötchen<br />
12
mit Wurst<strong>auf</strong>lage eingesammelt, welches unbeachtet <strong>auf</strong> der Wiese<br />
am nahen Spielplatz herum lag. Das Kätzchen nahm dann auch<br />
etwas vom Wasser; das Brötchen legte man vorsichtig näher. Beide<br />
Mädchen waren beeindruckt. Sie freuten sich mit großen Augen, als<br />
ihr Kätzchen dann auch noch den ersten Bissen vom Brötchen<br />
nahm, das sie selbst besorgt hatten. Später wurde dann noch der<br />
Plan entwickelt, am morgigen Tag etwas Futter vom Familienh<strong>und</strong><br />
Robi abzuzweigen. Den Eltern wollten sie vorerst lieber nichts<br />
erzählen. Diese würden bestimmt nicht erlauben, das unbekannte<br />
Kätzchen <strong>auf</strong>zunehmen, zumal ja auch schon der H<strong>und</strong> Robi in der<br />
Wohnung lebte. <br />
Teresa ist jetzt fast immer vor Anna, so eilig läuft sie den Weg an<br />
ihrem Haus entlang. Obwohl sie vor einigen Wochen im Mai erst<br />
acht geworden ist, ist sie flink wie ein Wiesel. Ihre, zu zwei<br />
Seitenzöpfen geflochtenen Haare, wippen im Takt der Schritte. In<br />
der Hand hält sie ein Beutelchen mit einer Wasserflasche, die sie<br />
immer in der Schule benutzt. Außer<strong>dem</strong> hat sie einen Plastikteller<br />
für Babynahrung mitgenommen. Anna trägt eine Dose H<strong>und</strong>efutter<br />
sowie etwas Trockenfutter bei sich. Das Futter ist vom H<strong>und</strong> Robi,<br />
einem dunkelhaarigen Mischling, der schon viele Jahre in ihrer<br />
Familie lebt. Robi ist schon älter als sie selbst.<br />
„Der H<strong>und</strong> hat so viel Futter. Es wird nicht weiter <strong>auf</strong>fallen, wenn<br />
ich ein bisschen genommen habe“, spricht Anna laut vor sich hin.<br />
„Außer<strong>dem</strong> geben ihm unsere Eltern sowieso lieber richtiges<br />
Fleisch.“<br />
Die Grünflächen mit ihren vielen Bäumen beginnen. Die Sonne<br />
scheint <strong>und</strong> beide Mädchen überqueren die Wiese. Sie erreichen den<br />
alten Tannenbaum oder die alte Fichte. Erwartungsvoll schauen sie<br />
13
unter das Netz der Zweige. Aber ihr Kätzchen ist nicht zu sehen. Sie<br />
schauen nochmals aber nichts.<br />
„Sie wird auch mal spazieren gehen.“<br />
„Meinst du?“, fragt Anna.<br />
„Klar, oder sie ist mal <strong>auf</strong> Toilette.“<br />
Teresa sieht wichtig aus. Während sie spricht zeigt sie <strong>auf</strong> ein nahe<br />
gelegenes Gebüsch, welches früher wahrscheinlich einmal eine<br />
schöne Gehölzanlage war, als es noch jemand pflegte.<br />
„Wir müssen etwas warten“, sagt Anna. „Komm, wir verteilen das<br />
Futter!“<br />
Den Plastikteller für Babynahrung füllen Sie mit Dosenfutter. Nun<br />
stellen sie ihn an den Baum, wo sie das Kätzchen das erste Mal<br />
gesehen haben. Das Trockenfutter, was sich irgendwie wie nicht<br />
essbar anfühlt, verteilen sie in kleinen Häufchen am Rande der<br />
Sträucher. Dann setzen sie sich <strong>auf</strong> die Wiese <strong>und</strong> warten. Anna<br />
ruckelt nervös hin <strong>und</strong> her. Sie beginnt kleine Käfer zu beobachten,<br />
die ab <strong>und</strong> zu im Gras an ihr vorüber krabbeln. Sie ist schon über<br />
zehn Jahre <strong>und</strong> interessiert sich sehr für alle Arten von Tieren <strong>und</strong><br />
deren Verhalten. Sie darf schon allein mit ihrem H<strong>und</strong> gehen,<br />
obwohl der manchmal ganz schön los rennt, besonders dann, wenn<br />
er andere H<strong>und</strong>e erspäht. In der Schule hat Anna auch schon über<br />
verletzte <strong>und</strong> kranke Tiere gehört. Sie denkt deshalb etwas<br />
wehmütig <strong>und</strong> besorgt über die kleine Katze nach, die sie gestern<br />
zusammen mit ihrer Schwester hier entdeckt hatte. Der kleine<br />
Marienkäfer kitzelt <strong>auf</strong> ihrem Arm. Fast gleichzeitig sehen die<br />
Kinder wie die kleine Katze aus den Sträuchern kommt.<br />
Teresas blaugraue Augen glänzen <strong>und</strong> wirken jetzt noch heller.<br />
Weil das Kätzchen wirklich aus <strong>dem</strong> Gesträuch kommt, gibt sie ein<br />
siegesbewusstes Lachen von sich. Beide Mädchen freuen sich<br />
14
ungemein, als sie das Tierchen erblicken. Das Kätzchen sieht aber<br />
wirklich trostlos aus. Jetzt ist auch das völlig verfilzte Fell am<br />
Bauch zu erkennen.<br />
„Sie hat bestimmt niemanden. Wir erzählen es am besten heute<br />
noch daheim“, meint Anna.<br />
„Stimmt, sie kann dann in unserem Zimmer wohnen“, nickt<br />
Teresa.<br />
Noch haben sie das Wasser. Teresa füllt es in einen kleinen<br />
Plastikbecher, den sie irgendwo gef<strong>und</strong>en hat. Dann stellt sie den<br />
Becher neben den Babyteller. Leise warten die Mädchen nun. Das<br />
Kätzchen, welches heute schon etwas zutraulicher erscheint, geht in<br />
Richtung seines Baumquartieres. Kurz vor <strong>dem</strong> Futter liegt eine alte<br />
Flasche die bräunlich schimmert. Die Kinder sehen voller Staunen,<br />
wie die kleine Katze eine ganze Zeitlang die Flasche beleckt, als<br />
hätte diese noch irgendeinen Inhalt. Dann bemerkt sie das Futter<br />
<strong>und</strong> macht sich eilig daran, es zu verzehren. Das die beiden<br />
Mädchen bald hinter ihr stehen, sie glücklich beobachten, das merkt<br />
sie vor Hunger fast überhaupt nicht.<br />
15
Eine braunhaarige, junge Frau beugt sich aus <strong>dem</strong> Fenster im dritten<br />
Stock.<br />
„Wo die Mädchen heute bleiben“, w<strong>und</strong>ert sie sich leise. Dann will<br />
sie nach unten gehen, um sie zu suchen. Eigentlich macht sie sich<br />
keine Sorgen um die beiden. Ihre Kinder sind fast immer pünktlich,<br />
zwar etwas unordentlich, hören aber ganz gut <strong>und</strong> bringen auch gute<br />
Noten aus der Schule mit.<br />
„Na ja, es sind eben liebe Mädchen in einem guten Alter“, überlegt<br />
sie laut vor sich hin. Ein Lächeln gleitet über ihr Gesicht. Gleich<br />
dar<strong>auf</strong> fällt ihr aber so ein kleiner Junge ein, mit einem wilden<br />
Lockenkopf. Sie w<strong>und</strong>ert sich insgeheim über den Gedanken, weil<br />
er sich die letzte Zeit so oft wiederholt. Sie lächelt wieder <strong>und</strong> ist<br />
schon im Hausflur, um doch nach den Kindern zu schauen.<br />
Unten rattert die Eingangstür <strong>und</strong> die junge Frau flüstert: „Das<br />
werden sie sein.“<br />
Es ist aber ihr Mann, der gut gelaunt die Treppe empor hastet. Er<br />
wirkt recht fröhlich.<br />
„Es klappt! Ich glaube das Geschäft klappt“, ruft ihr Mann ihr von<br />
unten zu.<br />
„Komm mit rein! Ich erzähle dir gleich was ich vorhabe.“<br />
Nach einer kurzen Begrüßung schiebt er sie wieder in die Wohnung<br />
zurück. Wahrscheinlich wird er ihr jetzt wieder einmal von einem<br />
seiner unschlagbaren Geschäftskonzepte erzählen. Damit wäre dann<br />
eine st<strong>und</strong>enlange, dramatische Rede von ihm zu erwarten. Sie<br />
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versucht zu lächeln <strong>und</strong> holt ein paar Getränke. Da es draußen noch<br />
hell ist besch<strong>ließ</strong>t sie, später nach den Kindern zu sehen.<br />
Nach einer halben St<strong>und</strong>e <strong>und</strong> zwei Flaschen Bier weiß sie nun<br />
endlich das es Autos gibt, die nur mit Druckluft angetrieben werden<br />
können, <strong>und</strong> diese Autos <strong>und</strong> ihr Mann als Vertriebsmanager in die<br />
zukünftige Geschichte eingehen werden.<br />
Kurz dar<strong>auf</strong> klingelt es. Ihre beiden Kinder stehen vor der Tür. Sie<br />
öffnet <strong>und</strong> sieht zwei ausgelassene Mädchen mit einer leeren Dose<br />
<strong>und</strong> einem Plastikbeutel in der Hand.<br />
„Schön das ihr von allein kommt“, sagt sie. Dann streichelt sie<br />
beiden nach einem sanften Kuss durch das Haar.<br />
„Was machst du denn mit der Dose da, Anna?“<br />
„Ja wir haben da so ein paar Steine rein gesammelt <strong>und</strong> wollten mal<br />
gucken was es sonst noch so gibt.“<br />
„Würmer“, sagt Teresa schnell <strong>und</strong> kneift die Lippen zusammen,<br />
weil sie jetzt nicht mehr genau weiß warum sie das gesagt hat.<br />
„Würmer? Aha!“, sagt ihre Mama die dabei etwas gequält zur Dose<br />
hin schaut, um einen Blick hinein werfen zu können.<br />
„Die sind aber jetzt schon Schmetterlinge geworden <strong>und</strong><br />
weggeflogen“, ergänzt Anna genau so schnell.<br />
Ihre blaugrünen Augen, die denen der Mama so ähnlich sind,<br />
drehen sich von oben nach unten während sie spricht. Die Kinder<br />
schieben sich in die Wohnung hinein. Die Mama nimmt erleichtert<br />
die leere Dose entgegen. Sogleich schickt sie die Kinder ins Bad.<br />
„Wascht euch bitte auch die Haare!“, ruft sie den Mädchen nach.<br />
Dann geht sie ins Wohnzimmer zurück. Sie schiebt ihrem Mann die<br />
dritte Flasche Bier hin <strong>und</strong> ist froh, dass seine Ausführungen schon<br />
etwas langsamer voran gehen.<br />
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Das Wasser der Dusche rauscht plätschernd in das Badebecken.<br />
Daneben klappt der Toilettendeckel hoch. Anna sitzt, mit den<br />
Schultern leicht nach vorn geneigt, in der Wanne. Genüsslich lässt<br />
sie sich das warme Wasser über den Rücken l<strong>auf</strong>en. Teresa hockt<br />
<strong>auf</strong> der Klobrille. Sie wackelt mit den Beinen rudernd hin <strong>und</strong> her.<br />
„Wann wollen wir es Ihnen sagen?“, ruft sie von der Toilette<br />
herüber. Dabei pullert sie mit Zwischenpausen weil sie ganz sicher<br />
sein möchte, dass Anna sie auch hört.<br />
„Teri... gleich, wir sagen es ihnen zusammen. Ich wasch` mir nur<br />
noch die Haare.“<br />
Anna massiert sich das Shampoo in ihr schulterlanges, braunes<br />
Haar. Sie sieht kurz zu Teresa hinüber. Teresa, die von vielen ihrer<br />
Fre<strong>und</strong>e nur Teri genannt wird, pullert nun doch zu Ende <strong>und</strong><br />
rutscht dann von der Klobrille, um ebenfalls zu baden. Durch die<br />
Türe hören sie leise die Stimmen ihrer Eltern. Sie glauben am Klang<br />
der Stimmen zu erkennen, dass die beiden eigentlich ganz gute<br />
Laune haben müssten. Kurz dar<strong>auf</strong> hat auch Teresa mit Hilfe ihrer<br />
Schwester die Haare gewaschen. Flugs ziehen sie sich ihre<br />
Schlafsachen über <strong>und</strong> schon stehen sie im Wohnzimmer vor ihren<br />
Eltern.<br />
„Hallo Papa!“, rufen sie ihrem Vater zu.<br />
„Ah, schön euch zu sehen“, erwidert der Papa zurück.<br />
Obwohl der Papa so ein bisschen merkwürdig guckt, gehen die<br />
Mädchen doch gleich zur Sache über. Kurz nach <strong>dem</strong> Gong der<br />
Tagesnachrichten wissen ihre Eltern von der kleinen, verlassenen<br />
Katze, die nur ein paar h<strong>und</strong>ert Meter von ihrer Wohnung entfernt<br />
lebt. Der Papa guckt nun noch etwas merkwürdiger. Er sieht aber<br />
nicht weiter streng aus. Die Mama hat ein paar Fältchen in die Stirn<br />
gezogen. Im Fernsehen geht es um die Entwicklung einer neuen<br />
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Fabrik in Deutschland mit Hilfe von asiatischen Geldern. Kurz nach<br />
<strong>dem</strong> Wetterbericht schaltet die Mama den Apparat ab.<br />
„Ja Kinder, ihr wisst doch, wir haben den Robi <strong>und</strong> der ist doch<br />
schon so alt. Ob der sich mit einer kleinen Katze verträgt? Wir<br />
haben auch nur eine kleine Wohnung <strong>und</strong> kein großes Haus.“<br />
Die Mama argumentiert noch ein wenig. Sie schaut dann zu Ihrem<br />
Mann hinüber, der in Gedanken gerade den Luftdruck für die neuen<br />
Fahrzeuge berechnet.<br />
„Ach Papa, denk doch mal was aus der Kleinen werden würde,<br />
wenn wir ihr nicht helfen.“<br />
Beide Kinder beschreiben nochmals ganz ausführlich, wie sie die<br />
kleine Katze vor <strong>dem</strong> sicheren Hungertod gerettet hatten.<br />
Der Papa streckt die Brust etwas nach vorn aus. Er sieht jetzt<br />
zufrieden zu seinen Töchtern hin.<br />
„Gut gemacht! Vielleicht gehört die Katze aber doch jeman<strong>dem</strong>.<br />
Habt ihr sie auch nicht angefasst?“, fällt ihm ein.<br />
Er schlägt vor, am morgigen Tag im Tierheim nachzufragen.<br />
„Wollte sie denn euer Futter überhaupt? Vielleicht ist sie krank?<br />
Seit ihr auch nicht zu nahe heran gegangen?“, will die Mama dann<br />
noch wissen.<br />
„Wir haben schon <strong>auf</strong>gepasst“, beruhigen die Mädchen ihre Eltern.<br />
Hoffnung spricht aus ihren Gesichtern. Sogleich bereiten sie die<br />
Schmatzer <strong>auf</strong> die Wangen ihrer Eltern vor. Kreischend fallen sie<br />
um deren Hälse.<br />
„Danke, Mama!“, knutsch, knutsch.<br />
„Vielen Dank, Papa!“, knutsch.<br />
Nun sucht man zu viert in Büchern alles zum Thema Katzen. Am<br />
Computer informiert man sich, wie Katzen gemeinsam mit H<strong>und</strong>en<br />
19
auskommen können <strong>und</strong> studiert Erfahrungsberichte im Internet.<br />
Kurz vor <strong>dem</strong> Gong der Spätnachrichten ist man sich dann einig:<br />
Wenn die kleine Katze beim Tierarzt gewesen ist, ges<strong>und</strong> sei <strong>und</strong><br />
sonst nieman<strong>dem</strong> gehöre, dürfe sie vorerst gastweise in die<br />
Wohnung kommen. Sie müsse aber von den Kindern gepflegt <strong>und</strong><br />
gefüttert werden. Danach geht man zu Bett <strong>und</strong> der Papa träumt von<br />
einer Katze, welche am Steuer eines neuartigen Automobils sitzt.<br />
„Sie hat zwar keine ansteckenden Krankheiten, sie ist aber völlig<br />
abgemagert. Das Fell muss auch erst nachwachsen. Da hilft nur viel<br />
Pflege <strong>und</strong> gutes Futter.“<br />
Der Tierarzt, der sich noch immer über die kleine Katze beugt, sieht<br />
ernst aber verständnisvoll zu den beiden Mädchen hinüber, die<br />
angespannt seinen Worten lauschen.<br />
Schon heute Morgen hatten die Eltern beim Tierheim angerufen.<br />
Dort wurde aber keine Katze vermisst. Sie könnten aber gern noch<br />
einige andere Katzen oder H<strong>und</strong>e bekommen, sagte man ihnen.<br />
Dann wurden auch noch einige Nachbarn befragt, ob denn jemand<br />
etwas wisse <strong>und</strong> ein Kätzchen vermisst werde. Aber ohne Erfolg.<br />
Gemeinsam mit <strong>dem</strong> Papa lockten die Kinder das Kätzchen dann in<br />
ein kleines Katzenkörbchen <strong>und</strong> waren ansch<strong>ließ</strong>end zur nächsten<br />
Tierarztpraxis gefahren. Es klappte auch deswegen so gut, weil<br />
Anna die Idee gehabt hatte, ein Stückchen Wurst in das Körbchen<br />
zu legen. Das verfehlte seine Wirkung nicht. Angelockt vom Futter<br />
war die kleine Katze zitternd in das Körbchen gestiegen, wo sie das<br />
erste Mal in ihrem Leben eine kuschelige Decke vorfand. Das<br />
Katzenkörbchen hatten die Eltern schweigsam vom Dachboden<br />
geholt, so als wollten sie die Erinnerungen an vergangene Zeiten<br />
nicht wieder erwecken. <br />
20
„Darf sie in unseren Betten schlafen?“, will Anna wissen.<br />
„Ist sie ein Mädchen oder ein Junge?“, fragt Teresa plötzlich.<br />
Der Tierarzt, ein erfahrener Mann mittleren Alters, schaut kurz zum<br />
Vater hinüber. Dann erklärt er, welches Futter am geeignetsten<br />
wäre, das die kleine Katze viel Ruhe <strong>und</strong> ein warmes<br />
Schlafplätzchen benötige. Er würde sie heute noch nicht impfen,<br />
weil sie zu schwach wäre. Aber in einigen Wochen sollte sie dann<br />
eine Schutzimpfung gegen alle möglichen Katzenkrankheiten<br />
bekommen.<br />
Der Tierarzt verabschiedet sich, gibt noch eine Creme mit <strong>und</strong> sagt<br />
absch<strong>ließ</strong>end zu den Mädchen:<br />
„Es ist ein Katzenmädchen. Später kann sie natürlich auch mal in<br />
euren Betten schlafen.“<br />
Als sie die Praxis verlassen drücken die Kinder das Katzenkörbchen<br />
fest an sich, um es auch ja nicht fallen zu lassen. Schon lange haben<br />
sie sich den Namen für ihre kleine Katze ausgedacht.<br />
„<strong>Susi</strong>“, flüstert Anna in das Körbchen. Teresa nickt freudestrahlend:<br />
„<strong>Susi</strong> sollst Du heißen.“<br />
Die Mädchen sind glücklich.<br />
<strong>Susi</strong> erwachte aus ihrer Träumerei. Nur wenig Zeit war vergangen,<br />
seit sie eingedöst war. Die angerosteten Dosen, die mit<br />
Wasserresten gefüllten Flaschen aus ihrem Traum, be<strong>saß</strong> sie noch<br />
gut in Erinnerung. Zu groß war der Durst eines Tages geworden.<br />
Weil sie nicht mehr weiter wusste, trank sie damals Regenwasser<br />
aus Pfützen, Blechdosen <strong>und</strong> fortgeworfenen Flaschen. Sie suchte in<br />
der Gegend um die großen Wohnhäuser herum nach Resten von<br />
Essbarem. <strong>Susi</strong> wusste nicht mehr genau wie sie in diese Gegend<br />
gekommen war. Sie konnte sich nur ganz dunkel an einen<br />
21
Menschen erinnern, der sie einfach hatte l<strong>auf</strong>en lassen <strong>und</strong> dann<br />
verschw<strong>und</strong>en war. In den Nächten war es draußen noch sehr kalt.<br />
<strong>Susi</strong> war damals ein kleines Katzenkind. Sie fror erbärmlich. Oft<br />
schrie sie vor Kälte <strong>und</strong> Hunger. Aber viele der großen Menschen<br />
eilten über die nahen Gehwege an ihr vorbei, ohne sie zu beachten.<br />
Zum Glück fand sie dann dieses Versteck unter einem Baum <strong>und</strong><br />
freute sich am Tage <strong>auf</strong> jeden Sonnenstrahl, der ihrem kleinen<br />
Körper neues Leben gab.<br />
Die Tage wurden milder <strong>und</strong> jetzt, nach so langer Zeit, kam es ihr<br />
so vor, als hätte sie damals schon immer unter <strong>dem</strong> Baum mit den<br />
dichten Zweigen gewohnt. Eines Tages kamen dann zu ihrer<br />
Rettung diese beiden netten Kinder. Es war wirklich Glück, denn<br />
bald wurde sie liebevoll in die Welt der Menschen <strong>auf</strong>genommen.<br />
<strong>Susi</strong> war dankbar.<br />
22
2. In der Schule<br />
Ein paar Hefte mit ``Die Blöddels`` Comics zum Sammeln liegen<br />
noch <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Schulhof als die Pause vorbei ist. Die Kinder haben<br />
sich ausgetobt <strong>und</strong> sind nun wieder <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Weg in ihre<br />
Klassenzimmer.<br />
„Wir haben sie <strong>Susi</strong> genannt.“<br />
Die Mädchen der zweiten Klasse nicken tief beeindruckt, als Teresa<br />
ihre Geschichte erzählt hat.<br />
„Wir haben drei Katzen <strong>und</strong> sogar zwei Pferde“, lässt sich da lässig<br />
ein Junge vernehmen, der das Gespräch belauscht hat. Tobias, der<br />
Junge, schaut Teresa herablassend an, wobei er mit herab<br />
gezogenen M<strong>und</strong>winkeln den Kopf in seinen speckigen Nacken<br />
schiebt.<br />
24
„Außer<strong>dem</strong> hab ich mein eigenes Reitpferd. Und fünf Schweine<br />
haben wir auch <strong>und</strong> die schlachten wir sogar selbst!“<br />
„Die hast Du wohl alle alleine gegessen du Riesenklops, was?“, ruft<br />
ein Mädchen.<br />
Nun lachen sogar einige Jungs. Tobias wird rot vor Wut. Seine<br />
Eltern haben den größten Bauernhof weit <strong>und</strong> breit. Das muss er<br />
sich hier nicht gefallen lassen. Er hat seine Schweine zu Hause<br />
schon oft angefasst <strong>und</strong> auch mal <strong>auf</strong> einem Pferd gesessen. Am<br />
liebsten isst er natürlich bei ``MC. Schwabbel``, so einem tollen<br />
Schnellrestaurant. Aber keiner weiß es ja, dass er dort immer sein<br />
Taschengeld ausgibt. Und nun? Diese Teresa schindet mit einer<br />
Katze mehr Eindruck als er mit seinem ganzen Bauernhof.<br />
Weil er Teresa aber wegen ihrer blonden Haare <strong>und</strong> <strong>dem</strong> breiten<br />
Lächelm<strong>und</strong> insgeheim so gern hat, dreht er sich um <strong>und</strong> macht so,<br />
als wäre nichts gewesen.<br />
„So ein Angeber“, sagt Silvana <strong>und</strong> jetzt nickt Teresa. Sie freut sich<br />
über die Unterstützung. Silvana ist ihre Fre<strong>und</strong>in. Und dann ist noch<br />
Anika ihre Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> Maxi <strong>und</strong> Maja. Manchmal ändert sich das<br />
auch ab <strong>und</strong> zu, weil die Mädchen immer wieder neue Gruppen<br />
bilden. Die Kinder wollen sich noch etwas erzählen aber ihre<br />
Lehrerin Frau Kuchenstück betritt den Raum. Der Unterricht<br />
beginnt. Heute geht es um das Thema Haustiere. Teresa reißt den<br />
Arm hoch:<br />
„Katzenmädchen.“<br />
Die Klasse lacht. Frau Kuchenstück sagt: „Richtig <strong>und</strong> natürlich<br />
auch Katzenjungs. Wer weiß wie die heißen?“<br />
Das Wort Kater hat Teresa natürlich auch schon einmal gehört aber<br />
Katzenmädchen gefällt ihr einfach besser. Sie schreibt eifrig alle<br />
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Haustiere mit, die die Lehrerin von den Kindern abfragt. In<br />
Gedanken ist sie aber zu Hause, bei ihrer kleinen <strong>Susi</strong>.<br />
Die St<strong>und</strong>e ist vorbei. Teresa wartet vor <strong>dem</strong> flachen Schulgebäude<br />
<strong>auf</strong> ihre große Schwester.<br />
Anna geht in die dritte Klasse, obwohl sie schon zehn ist. Die<br />
Eltern hatten sie nach der Einschulung ein Jahr <strong>auf</strong> eine private<br />
Schule mit anderen Bildungsverfahren geschickt. Anna gefiel das<br />
damals nicht so recht <strong>und</strong> so durfte sie wieder an eine allgemeine<br />
Schule gehen. Anna ärgerte sich manchmal, dass einige Mitschüler<br />
dachten, sie wäre wegen ihres Altersvorsprungs sogar einmal sitzen<br />
geblieben. Das änderte sich aber schnell, als diese Mitschüler dann<br />
merkten, was für eine hilfsbereite Schülerin sie ist. Jetzt lernte sie<br />
so schnell <strong>und</strong> f<strong>ließ</strong>end, dass es eine Freude war. Das Jahr kam ihr<br />
eben doch zu Gute. Die Eltern meinten oft, dass es für viele Kinder<br />
besser wäre, sie später einzuschulen, besonders wenn sie die<br />
Jüngsten im Jahrgang wären. In der Klasse sind aber auch noch<br />
andere, ältere Kinder, die aus fernen Ländern eingewandert sind.<br />
Diese Kinder haben es manchmal sehr schwer, weil sie die Sprache<br />
nicht richtig verstehen. Anna hilft ihnen dann oft. <br />
Anna hat ihre Fre<strong>und</strong>in Lisa im Schlepptau als sie Teresa sieht.<br />
Silvana wohnt auch in der Nähe <strong>und</strong> schon machen sie sich zu viert<br />
<strong>auf</strong> den Heimweg.<br />
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3. Der Fahrradausflug<br />
Das Wetter ist einfach w<strong>und</strong>ervoll. Die paar Wolken hängen träge<br />
am Himmel <strong>und</strong> die Sonne wärmt die Haut. Die Luft ist angenehm<br />
warm. Von allen Seiten hören die Kinder das Surren <strong>und</strong> Summen,<br />
das Zwitschern <strong>und</strong> Trällern. Sie strampeln <strong>auf</strong> ihren Fahrrädern am<br />
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nahen Fluss entlang. Der kühle Duft des Flußwassers mischt sich<br />
mit <strong>dem</strong> Blütenduft der vielen Pflanzen <strong>und</strong> Blumen. Rechts <strong>und</strong><br />
links vom Fluss ziehen sich kniehohe Rasenflächen mit einzelnen<br />
Bäumen dahin. Dazwischen befinden sich kleine Gruppen<br />
dunkelgrüner Sträucher mit lila Blüten. Sie geben der Umgebung<br />
ein malerisches Aussehen.<br />
„Schaut euch nur den Rhododendron an!“, ruft die Mama, die als<br />
erste fährt. Neben ihr läuft hechelnd H<strong>und</strong> Robi an der L<strong>auf</strong>leine.<br />
„Guckt mal, die vielen Enten!“<br />
Teresa will irgendwo hinzeigen muss sich dann aber, wegen des<br />
Gleichgewichts, doch an ihrem kleinen Kinderfahrrad festhalten.<br />
Dabei eiert sie beträchtlich hin <strong>und</strong> her. Der H<strong>und</strong> bellt kurz als er<br />
die Enten erkennt, ist dann aber vom L<strong>auf</strong>en zu müde, um sich<br />
richtig hinein zu steigern.<br />
„Pass bloß <strong>auf</strong>, Teresa!“, schreit der Papa von hinten.<br />
„Wenn Du hinfällst, könntest Du Dir in den kurzen Hosen alles<br />
<strong>auf</strong>schlagen. Guck nach vorn!“<br />
„Jaha, aber guck mal da, die Enten“, schreit Teresa wieder von<br />
vorn.<br />
„Wir machen gleich ´ne Pause“, ruft der Papa zurück <strong>und</strong> beginnt<br />
wieder ein Lied zu pfeifen, welches er schon eine halbe St<strong>und</strong>e<br />
pfeift <strong>und</strong> deswegen immer zurück bleibt. Sch<strong>ließ</strong>lich hatte er<br />
gestern Geburtstag. Auch deshalb geht es ihm heute noch nicht ganz<br />
so gut.<br />
„Sie haben bestimmt Junge“, hört man jetzt auch Anna.<br />
„Was ist denn nun mit den Enten? Ich will jetzt zu den Enten. Zu<br />
den Enten! Nun haltet doch mal endlich an!“<br />
Teresas, vom Radeln erhitztes Gesicht, dreht sich vorwärts zur<br />
Mama <strong>und</strong> rückwärts zu ihrem Papa. Sie droht schon wieder ins<br />
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Eiern zu geraten. Von vorn kommt nun auch noch Gegenverkehr.<br />
Das Pfeifen bricht ab. Man verlangsamt die Fahrt. Die Mama hat<br />
schon eine Bank an einem herrlichen Rhododendron entdeckt. Alle<br />
machen Pause <strong>und</strong> Robi bekommt Wasser. Teresa hopst los <strong>und</strong><br />
sucht ihre Enten.<br />
„Sie sind da hinten. Ich geh mal gucken!“<br />
Und schon ist sie weg.<br />
„Sei vorsichtig <strong>und</strong> pass <strong>auf</strong>!“, ruft die Mama hinterher.<br />
Aber kurz dar<strong>auf</strong> plätschert es schon aus Teresas Richtung. Kaum<br />
zehn Meter weiter steht sie plötzlich bis zu den Knien im Schlamm,<br />
genau da, wo es eigentlich noch nach Flussufer aussah.<br />
„Au, oh je!“<br />
Das Bild von <strong>Susi</strong>, daheim im trockenen Körbchen, geht ihr jetzt<br />
durch den Kopf.<br />
„Ich stecke, ich klebe fest! Ich sehe sie. Sie sind da drüben.“<br />
Teresa rudert mit den Armen durch die Luft, kommt frei <strong>und</strong> geht<br />
sogar noch einige Schritte weiter ins Wasser.<br />
Der Papa springt schnell zum Ufer. Auch die Mama rennt los.<br />
„Es ist ganz flach. Bleibt ruhig. Ich mache das schon“, sagt der<br />
Papa.<br />
Schnell zieht er sich die Schuhe aus <strong>und</strong> krempelt sich die<br />
Hosenbeine hoch. Das Wasser ist wirklich nicht tief, aber eine dicke<br />
Schlammschicht bedeckt den Boden der Flußrandung. Bei je<strong>dem</strong><br />
Schritt sacken die Füße tief in diesen Morast ein. Schnell ist der<br />
Papa die letzten zwei, drei Meter bei Teresa.<br />
„Sie sind weg“, hört er immer wieder.<br />
„Ja, wenn du so rumschreißt, Teresa. Komm!“<br />
Er greift die Tochter an der Hand <strong>und</strong> zieht sie an sich.<br />
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„Komm her Schatz“, sagt auch die Mama vom Ufer aus <strong>und</strong> zieht<br />
ihre Tochter den letzten Meter aus <strong>dem</strong> Wasser.<br />
„Sie sind aber weg, weg, weg!“<br />
„Ja das macht doch nichts“, beruhigt die Mama. „Wir entdecken<br />
ganz bestimmt neue Tiere <strong>und</strong> sehen noch viele Entchen, nicht<br />
wahr?“<br />
Teresa hat Kugelaugen. Aufgeregt zeigt sie <strong>auf</strong> ihre Füße. „Sie sind<br />
weg ..., meine Schuhe!“<br />
Kurz dar<strong>auf</strong> hört man ein Klatschen.<br />
Der Papa hatte das Gleichgewicht verloren, war ausgerutscht <strong>und</strong><br />
steckte nun fluchend, mit einer Körperseite im Schlamm. Zum<br />
Glück konnte er sich mit einer Hand noch geradeso abstützen. <br />
Die andere Körperseite sieht aber noch ganz trocken aus.<br />
„Oh nein, so ein Mist“, sagt der Papa leise <strong>und</strong> ruft laut: „Kein<br />
Problem, ich habe nur nach den Schuhen gesucht. Ich kann sie aber<br />
leider doch nicht finden.“<br />
Und schmatzend zieht er den Arm aus der Pampe. Dann richtet er<br />
sich mühsam <strong>auf</strong>. Seine rechte Körperseite ist von Kopf bis Fuß<br />
schwarz. Aus seinem verschmierten Gesicht dringt ein verzerrtes<br />
Lachen. Kurze Zeit später ist aber auch er am Ufer, wo ihn alle ganz<br />
ernst anblicken.<br />
„Du warst einfach zu schwer. Deshalb bist zu tief eingesackt“,<br />
tröstet ihn Anna.<br />
„Zu schwer? Möglich, ja schade nur, dass ich die Schuhe nicht<br />
gef<strong>und</strong>en habe, na ja.“<br />
Der Papa kratzt sich den Dreck ab. Dann setzt er sich zum Trocknen<br />
in die Sonne. Kurz unterhält man sich über <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> ob es ihr, allein<br />
zu Hause, auch gut gehen würde. Es gibt Würstchen <strong>und</strong> danach<br />
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Apfelkuchen. Kühle Limonade hat die Mama in der Thermokanne<br />
vorbereitet.<br />
Dann geht die Fahrt weiter <strong>und</strong> es wird ein w<strong>und</strong>erschöner Ausflug.<br />
Nur der Papa guckt immer so zur Seite, wenn ihn die Leute wegen<br />
seiner deutlich befleckten Hose so komisch beäugen.<br />
Einige Zeit später sind, ganz nah am Ufer, dann auch einige<br />
Entenpaare mit ihren Jungen zu sehen. Die jungen Entchen sind<br />
winzig. Sie folgen in einer Reihe hinter ihren Eltern. Teresa ist<br />
begeistert. Sie strengt sich sogar an, ruhig zu bleiben, damit sie die<br />
Enten lange genug beobachten kann. Sogar einige schwarze<br />
Blässhühner kommen neugierig im Wasser vorbei geschwommen.<br />
Auf <strong>dem</strong> Kopf tragen diese ein weißgraues Hornschild <strong>und</strong> sind<br />
deshalb gut zu erkennen. Auf <strong>dem</strong> Rückweg sammeln die Kinder<br />
mit der Mama einen großen Strauß mit Wiesenblumen. Sie beeilen<br />
sich nach Hause zu kommen, denn <strong>Susi</strong> wartet schon.<br />
Einige Wochen waren also vergangen. <strong>Susi</strong> erholte sich gut. Die<br />
vielen Stellen, wo ihr das Fell ausgegangen war, wurden sorgsam<br />
eingecremt. Sie bekam viel Fisch, manchmal sogar roh, ganz nach<br />
ihrem Katzengeschmack. Anna guckte immer, dass die großen<br />
Gräten auch wirklich alle heraus genommen waren. Dazu gab es<br />
mageres Fleisch. Ab <strong>und</strong> zu durfte sie beim großen H<strong>und</strong> Robi ein<br />
Stück aus seinem H<strong>und</strong>enapf probieren. Robi kannte Katzen von<br />
früher. Von Anfang an war er fre<strong>und</strong>lich zu <strong>Susi</strong> gewesen. Einige<br />
Tage nach ihrer Ankunft durfte Robi zu ihr ins Zimmer. Er hatte das<br />
Körbchen beschnüffelt, mit <strong>dem</strong> Schwanz gewedelt <strong>und</strong> das kleine<br />
Katzenkind begrüßt. <strong>Susi</strong> bekam auch ihre eigene Katzentoilette.<br />
Die Mädchen füllten immer abwechselnd neue Streu in die Toilette.<br />
Dabei gab es natürlich doch mal ein paar kleine ``Streitileinchen``,<br />
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wer denn nun dran wäre oder wer nicht. <strong>Susi</strong> wohnte nun also<br />
richtig in der Wohnung der Menschen. Schnell hatte sie ihre<br />
Lieblingsplätze <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Fensterbrett</strong> <strong>und</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Kopfkissen im<br />
oberen Kinderbett gef<strong>und</strong>en. <br />
Aber schauen wir was sich noch zutrug, in <strong>Susi</strong>s neuer Welt! �<br />
33
4. Die Sommerferien<br />
„Schaut mal, wie das Fell gewachsen ist!“<br />
„Oh ja, ich sehe es auch!“<br />
„Die rosa Haut wächst zu!“<br />
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„Sie ist ja auch bald drei oder sechs Monate oder so!“<br />
Vier Augenpaare beugen sich über die wollige Decke <strong>auf</strong> der <strong>Susi</strong><br />
liegt. Die kleine Katze schnurrt. Sie lässt sich mit zugekniffenen<br />
Augen streicheln. Annas Fre<strong>und</strong>in Lisa <strong>und</strong> Teresas Fre<strong>und</strong>in<br />
Silvana sind zu Besuch. Sie haben soeben gemeinsam ihre<br />
Haus<strong>auf</strong>gaben erledigt. Bald würden auch die Sommerferien<br />
beginnen, <strong>auf</strong> die man sich schon so freut.<br />
„Sie sieht so süß aus“, sagt Teresa, die mit seitwärts geneigtem<br />
Kopf ihre <strong>Susi</strong> streichelt. Die Mädchen spielen mit der kleinen<br />
Katze, die jetzt schon reflexartig ihre Krallen ausfährt.<br />
„Sie ist auch geimpft <strong>und</strong> meine Eltern haben ihr das verfilzte Fell<br />
ausgekämmt <strong>und</strong> abgeschnitten.“<br />
Anna macht beim Sprechen eine Bewegung, als hätte sie einen<br />
Riesenkamm in ihrer Hand.<br />
„Wisst ihr?“, <strong>und</strong> sie nickt den Fre<strong>und</strong>innen zu, „wir haben ihr am<br />
Anfang mal Lachsfisch gegeben. Ja, <strong>und</strong> da hat sie riesengroße<br />
Kulleraugen bekommen, weil sie so ´was Gutes noch nie gesehen<br />
hat. Dann hat sie alles zu schnell runter geschlungen.“<br />
„Und dann hat sie alles wieder ausgekotzt“, gibt Teresa wichtig<br />
dazu.<br />
Lisa verzieht etwas den M<strong>und</strong>.<br />
„Aber die zweite Portion hat sie vertragen.“<br />
Die Mädchen lachen. Sie denken wieder an die Ferien.<br />
„Fahrt ihr irgendwo hin weg?“, fragt Lisa.<br />
„Wahrscheinlich zu meiner Oma in Deutschland“, sagt Silvana die<br />
nicht gern viel redet.<br />
„Wir fahren zu den Pyramiden in die Wüste. Dort gibt es Kamele<br />
aber kein Wasser.“<br />
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Lisa beschreibt mit den Händen das Aussehen der Pyramiden <strong>und</strong><br />
erzählt was sie sonst noch weiß.<br />
<strong>Susi</strong> hat jetzt die Ohren gedreht. Sie ist ganz wach geworden <strong>und</strong><br />
scheint <strong>auf</strong>merksam zu lauschen.<br />
„In den ``Pymaniden`` drin gibt’s bestimmt Wasser für die Kamele.<br />
Die müssen da nur mal gucken gehen“, ist sich Teresa ganz sicher.<br />
Sie selbst würde aber bestimmt nicht dahin fahren, wo es nicht mal<br />
Wasser gäbe.<br />
„Fahrt ihr auch nach Berlin?“, fragt Anna.<br />
„Ich glaub nicht. Das ist zu weit weg von den Pyramiden. Aber<br />
vielleicht später“, antwortet Lisa. Lisa nimmt einen Schluck<br />
Limonade <strong>und</strong> krault <strong>Susi</strong> den Bauch.<br />
„Wir wollen wahrscheinlich nach Berlin. Da gibt es jetzt die neue<br />
Regierung. Die haben da auch ganz neue Häuser gebaut. Meine<br />
Eltern wollen das mal sehen.“<br />
Anna beschreibt ausführlich, was sie von Berlin weiß <strong>und</strong> erzählt<br />
auch vom Zoo <strong>und</strong> vom Fernsehturm.<br />
„Duhu, der Turm wackelt sogar wenn starker Wind ist. Man merkt<br />
es aber nicht. Es ist aber trotz<strong>dem</strong> sicher da oben. Und da ganz oben<br />
kann man Eis essen. Die ganze Etage dreht sich, wenn man da in<br />
<strong>dem</strong> Café sitzt.“<br />
„Ist ja toll! Da war doch mal Krieg in Berlin nicht?<br />
Oder was ist da im Krieg passiert?“, fragt Lisa mit grüblerischem<br />
Blick zu Anna.<br />
„Im Krieg da ist die Oma geboren“, wirft Teresa ein.<br />
Sie weiß genau das ihre Oma <strong>und</strong> ihr Opa in der Nähe von Berlin<br />
wohnen.<br />
„Wahrscheinlich machen wir nur ein paar kurze Fahrten, so für ein<br />
paar Tage“, sagt Anna.<br />
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„Wir haben ja auch unsere <strong>Susi</strong> <strong>auf</strong> die wir <strong>auf</strong>passen müssen.“<br />
„Habt ihr eigentlich Angst vor den Zeugnissen?“, will Silvana jetzt<br />
plötzlich wissen.<br />
Sie ist nicht die Beste <strong>und</strong> nun, kurz vor den Ferien, macht sie sich<br />
ständig Sorgen über ihre Zensuren. Vielleicht würde sie in<br />
Mathematik nur eine knappe drei haben oder es käme noch<br />
schlimmer. Fragend sieht sie zu den Mädchen <strong>und</strong> Hilflosigkeit<br />
macht sich in ihren Augen breit.<br />
„Ach was, Silvana. Du hast dich doch immer angestrengt <strong>und</strong> geübt<br />
hast du auch immer. Da kannst du es eben nicht besser machen,<br />
wenn du alles versucht hast.“<br />
Anna hatte ihr oft geholfen <strong>und</strong> tröstet sie jetzt mit einem Arm um<br />
ihre Schultern. Silvanas erstes Schluchzen verschwindet langsam.<br />
Die einzige Träne kullert alleine über die Wange <strong>und</strong> trocknet rasch<br />
in ihrer Kleidung.<br />
Später geht man gemeinsam mit <strong>Susi</strong> <strong>auf</strong> die große Wiese vor das<br />
Haus. <strong>Susi</strong> darf jetzt schon jeden Tag draußen spazieren gehen, so<br />
wie es sich für eine richtige Katze gehört. Die Mädchen necken sie<br />
mit einem Wollfaden, den sie an ein Holzstückchen geb<strong>und</strong>en<br />
haben. Immer wieder rast <strong>Susi</strong> aus ihrer Deckung unter <strong>dem</strong><br />
Gebüsch hervor <strong>und</strong> versucht den Wollfaden zu erhaschen. Sie geht<br />
dabei in Lauerstellung. Dann wackelt sie ganz langsam mit <strong>dem</strong><br />
Hinterteil. Gleich dar<strong>auf</strong> schießt sie mit dunklen Pupillen <strong>auf</strong> den<br />
Faden los.<br />
„Sie übt jetzt jagen <strong>und</strong> ihre Schnelligkeit“, erklärt Anna.<br />
Die Mädchen spielen dann noch ``Gummihopse`` <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>en sich<br />
sogar mit ein paar Jungen an, die zwei Bälle mitgebracht haben.<br />
<strong>Susi</strong> sitzt im Gras, spielt noch ein wenig <strong>und</strong> beobachtet dabei das<br />
lustige Treiben der Kinder.<br />
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Vor einigen Tagen hatte es dann die Zeugnisse gegeben <strong>und</strong> auch<br />
Silvana war mit vielen Dreien ganz gut weg gekommen. Viele<br />
Kinder waren schon in die Ferien abgefahren. <br />
Anna <strong>und</strong> Teresa sind zufrieden. Teresa freut sich besonders <strong>auf</strong><br />
ihre Zwei in Mathe, weil sie den Umgang mit den vielen Zahlen<br />
doch ganz schön üben musste. Anna freut sich <strong>auf</strong> ihre Zwei in<br />
Sport, weil sie trotz ihrer Größe eben nicht so sportlich ist, wie sie<br />
immer gerne sein möchte. Kein Kind war übrigens sitzen<br />
geblieben. Auch Frau Kuchenstück hatte recht zufrieden ausgesehen<br />
<strong>und</strong> einen großen Kuchen in der Klasse verteilt. <br />
Morgen würden sie also nach Berlin fahren <strong>und</strong> später auch ihre<br />
Großeltern besuchen.<br />
„Ach <strong>Susi</strong>chen, jetzt müssen wir dich allein lassen. Aber wir<br />
bleiben ja nur drei Tage. Dann kommen wir wieder zu dir zurück.“<br />
Anna hat den Kopf zu <strong>Susi</strong> nach unten gebeugt, so dass ihre Haare<br />
das Kätzchen fast verdecken. Die kleine Katze schaut Anna mit<br />
verklärtem Blick an. Sie kommt jetzt ganz nah heran <strong>und</strong> beginnt<br />
die Nase des Mädchens abzulecken. Die kleine, rauhe Katzenzunge<br />
geht ganz behutsam vor. Anna lässt es sich eine Weile gefallen. Es<br />
ist warm <strong>und</strong> feucht <strong>und</strong> kitzelt.<br />
„Du bist ja eine richtige kleine Schlecki<strong>Susi</strong>. Feine <strong>Susi</strong>.“<br />
„Ich will auch mal“, sagt Teresa <strong>und</strong> lässt sich hinab.<br />
<strong>Susi</strong> putzt nun aber ihre Pfötchen. Deshalb muss Teresa etwas<br />
warten bis sie dran ist.<br />
<strong>Susi</strong> hat an Rücken <strong>und</strong> Schwanz silbergraues Fell bekommen. Ihr<br />
Bauch, der Hals sowie der untere Teil ihrer Beine <strong>und</strong> die Pfoten<br />
sind weißgrau. Von den Ohren aus, am hinteren Kopf, wird das Fell<br />
über ihr Gesicht immer heller <strong>und</strong> geht dann f<strong>ließ</strong>end in die helle<br />
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Farbe an Hals <strong>und</strong> Brust über. Ihre w<strong>und</strong>erschönen Katzenaugen<br />
sind ganz gelb geworden. Sie werden von einigen langen, weißen<br />
Wimpern umgeben. Die Vorderseite ihres Näschens ist rosarot <strong>und</strong><br />
wie die Zehenballen ohne Fell. Die langen Barthaare sehen den<br />
Wimpern ähnlich <strong>und</strong> sind etwas breiter als der Kopf.<br />
„Ist sie denn nun eine ``Angola``?“<br />
„Eine Halbangora, Teresa, oder wahrscheinlich auch nur eine<br />
Viertelangora vielleicht. Karthäuser hat sie möglicherweise auch in<br />
sich, wegen der Augen glaube ich.“<br />
„Was ist Karthäuser, Anna?“<br />
Anna hatte schon vor Tagen im Lexikon nachgeschaut <strong>und</strong> die<br />
Fotos <strong>und</strong> Merkmale dort mit ihrer <strong>Susi</strong> verglichen. <br />
„Die haben ganz lange Beine <strong>und</strong> meist so richtig gelbe Augen. Die<br />
KarthäuserKatzen sehen aber ganz anders aus als die Angora. Guck<br />
dir mal die Bilder hier an, Teresa!“<br />
Anna hat ein Buch hervor geholt. Beide betrachten jetzt interessiert<br />
die Abbildungen. <strong>Susi</strong>s Aussehen passt aber zu keinem der Bilder<br />
genau. Und so einigen sich die Mädchen, dass sie eine ``Viertel<br />
Angora, ViertelKarthäuser, ViertelNormalehauskatze <strong>und</strong> Viertel<br />
Weißnochnichtkatze`` haben.<br />
Der moderne ICE Zug rauschte nur so dahin. In einigen St<strong>und</strong>en<br />
waren sie schon in Berlin. Teresa hatte Kinderprogramm gehört.<br />
Anna erk<strong>und</strong>ete gemeinsam mit <strong>dem</strong> Papa den Zug. Die Mama war<br />
eingeschlafen <strong>und</strong> später spielten alle ein Kartenspiel. Mit der S<br />
Bahn waren sie noch bis ins Zentrum der Hauptstadt gefahren. Dort<br />
besuchten sie das Naturkun<strong>dem</strong>useum. Zuerst wollte man ins<br />
geschichtliche Pergamonmuseum. Die Kinder wollten aber lieber<br />
Tiere sehen <strong>und</strong> zwei Museen waren einfach zu viel. Beeindruckt<br />
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von den neuen Erlebnissen, den vielen Leuten <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Verkehr der<br />
Großstadt, war Teresa kurz nach einer Currywurst mit Brötchen<br />
eingeschlafen. Der Papa musste sie nun durch die Stadt tragen.<br />
Nach einer St<strong>und</strong>e erreichten sie aber die Unterkunft. Die Mama<br />
rief kurz ihre Fre<strong>und</strong>in Sylvia an <strong>und</strong> erfuhr, dass mit <strong>Susi</strong> alles in<br />
Ordnung wäre. Sylvia, als beste Fre<strong>und</strong>in der Mama, hatte die<br />
Betreuung von <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> Robi übernommen. Anna war erleichtert<br />
<strong>und</strong> der Papa auch, als er Teresa ins Bett legte. Die Eltern gingen<br />
am Abend noch essen. Das Restaurant war im gleichen Hotel. Anna<br />
durfte mit <strong>und</strong> verdrängte dabei ihre Müdigkeit. Es gab einige<br />
Gänge mit Fleischstückchen verschiedener Art, mal süß mal sauer,<br />
viel Gemüse <strong>und</strong> eine scharfe Suppe. Dazu gab es immer recht viel<br />
Reis. Die Eltern erklärten Anna, dies wäre ein Chinesisches Essen<br />
oder zumindest eines mit asiatischen Gewürzen. Anna fragte dann<br />
noch, ob Katzen oder H<strong>und</strong>e mit verarbeitet worden seien. Sie hatte<br />
da mal etwas von asiatischen Eßgewohnheiten gehört.<br />
„Nein!“ Die Eltern lachten.<br />
Viel gäbe es noch über Berlin zu erzählen. Aber das wäre eine<br />
andere Geschichte.<br />
Am nächsten Tag erreichte man die Heimat der Großeltern. In einer<br />
kleinen Stadt, nahe der polnischen Grenze, hatten diese sich schon<br />
vor Jahren ein Häuschen selbst gebaut. Aber so richtig selbst<br />
gebaut, mit Hand <strong>und</strong> Stein <strong>und</strong> Spaten. Das Haus war ihr ganzer<br />
Stolz. Jahrelang wurde es fertig gebaut, erweitert, renoviert <strong>und</strong> was<br />
sonst noch mit einem Haus möglich ist. Der Opa hatte sogar die<br />
Einfahrt in den Garten mit echten Bodenf<strong>ließ</strong>en ausgestattet. Das<br />
be<strong>saß</strong> nun wirklich niemand in der Gegend. Feldsteine schmückten<br />
das vollunterkellerte, zweiterassige Haus. Es lag mitten in einem<br />
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prächtigen Garten der höchsten Pflegestufe. Die allerletzte<br />
Errungenschaft, eine eigene Heimsauna mit extra Saunaraum,<br />
machte den Großeltern wirklich viel Freude.<br />
Der Opa nutzte auch mehrere Zimmer im Keller wie ein Museum.<br />
Dort verwaltete <strong>und</strong> ordnete er diverse Sammlungen aller Art.<br />
Darunter gab es seltene Münzen <strong>und</strong> mindestens fünfzigtausend<br />
Briefmarken. <br />
„Opa, sind die echt?“<br />
„Die sind aus Silber, Anna. Vom letzten Kaiser.“<br />
„Hast Du auch goldene?“<br />
„Hab ich auch. Aber nicht so viele. Die sind aber schon mehr wert.“<br />
„Wie viel denn so?“<br />
„Wie viel die wert sind?“<br />
„Ja?“<br />
„Ja so, ja ... sie sind wert so, vielleicht etwas mehr als ... äh ... “<br />
Der Opa klatscht die gebreiteten Hände zusammen <strong>und</strong> zieht mit<br />
einem HhmLaut die M<strong>und</strong>winkel nach unten. Dann wackelt er<br />
dazu abwägend mit <strong>dem</strong> Kopf.<br />
„Eine ist vielleicht soviel wert, wie dein Fahrrad Anna, in etwa.“<br />
„Willst du mein Fahrrad auch haben?“, fragt Teresa <strong>und</strong> hält eine<br />
große, goldene Münze in der Hand.<br />
Der Opa lacht herzhaft. Hatte er doch das kleine Kinderfahrrad,<br />
welches ihm gerade angeboten wurde, vor Jahren selbst zusammen<br />
gebaut.<br />
„Aber nein, Teresa.“<br />
„Man müsste einen Schatz finden, so wie in den alten<br />
Piratengeschichten. Das wäre was, nicht? Und da müssten die<br />
Goldstücke so zu H<strong>und</strong>erten aus einer alten Truhe raus gucken.<br />
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Alles würde funkeln <strong>und</strong> glänzen.“ Anna redet gedankenversunken.<br />
Sie hat dabei einen fernen, verzauberten Blick angenommen.<br />
„Und Edelsteine müssten dabei sein <strong>und</strong> Schmuck.“<br />
Der Opa freut sich über die Phantasie der Enkeltochter <strong>und</strong> hört ihr<br />
gerne weiter zu. Anna:<br />
„Das gibt’s aber fast nur im Märchen, nicht?“<br />
Anna lacht wehmütig nickend <strong>und</strong> ihr Fernwehblick kommt<br />
langsam wieder ins Zimmer zurück.<br />
„Halt, Moment mal“, sagt da der Opa.<br />
„Ich habe da eine Geschichte. Die ist sogar in unserer Familie<br />
passiert. Es geht sogar um Gold. Gold, welches bis heute<br />
wahrscheinlich noch niemand gef<strong>und</strong>en hat.“ Der Opa macht eine<br />
geheimnisvolle Pause. Die Mädchen sind sofort bei der Sache.<br />
„Was? Gold, das niemand gef<strong>und</strong>en hat, ach erzähl mal, bitte!“<br />
„Ja, erzähl mal, Opa!“<br />
„Ja das war nämlich so. Vor vielen Jahren hatte ich auch eine<br />
Oma“.<br />
„Also die Mama von deiner Mama?“, fragt Anna.<br />
„Ja. Und meine Oma hat damals gleich hinter der Grenze <strong>auf</strong> der<br />
anderen Seite des Flusses gewohnt. Früher gehörte das noch zu<br />
Deutschland. Die Stadt war damals mit Brücken über <strong>dem</strong> Fluss<br />
verb<strong>und</strong>en. Auch war unsere Stadt recht wohlhabend <strong>und</strong> auch die<br />
Oma, also meine Oma, konnte sich ein kleines Haus leisten. Da gab<br />
es noch nicht solche Wohnblöcke wie heute. Dann fing der Krieg an<br />
<strong>und</strong> der Mann von der Oma musste in den Krieg.“<br />
„Schade, kam der Mann später wieder?“ fragt Anna nachdenklich.<br />
„Ich glaube ja. Aber ich weiß es nicht genau.“<br />
Der Opa schaut zur Seite. „So <strong>und</strong> dann wurde das Land, also<br />
Deutschland, von Osten her von den Russen besetzt. Die meisten<br />
42
Leute mussten flüchten. Nun konnte ja jeder nur ein bisschen<br />
mitnehmen, ein paar Sachen zum Anziehen vielleicht. Viele hatten<br />
ja auch noch Kinder bei sich. Alles wurde <strong>auf</strong> so kleine Holzwagen<br />
geladen <strong>und</strong> man ging dann über den Fluss in Richtung Westen.“<br />
„Zu Fuß?“, will Teresa wissen.<br />
„Ja zu Fuß, meistens viele h<strong>und</strong>ert Kilometer.“<br />
„Oh“, sagt Anna <strong>und</strong> denkt an den ICE.<br />
Der Opa erzählt weiter:<br />
„Ja <strong>und</strong> viele Leute dachten auch, sie würden bald zurückkehren<br />
oder ihr Geld <strong>und</strong> Schmuck wären unterwegs nicht sicher. Gerade<br />
deswegen haben sie ihr Geld oder andere wertvolle Sachen bei sich<br />
zu Hause vergraben. Die Oma hat das auch vergraben, direkt in<br />
ihrem Garten. Und zwar einen Steintopf voll mit Goldmünzen <strong>und</strong><br />
wahrscheinlich noch andere Sachen. So liegt es bis heute vergraben.<br />
Schon über sechzig Jahre.“<br />
Die Mädchen rühren sich kaum. Sie starren den Opa an. Anna<br />
spricht als Erste: „Und warum hat es dann keiner mehr geholt?“<br />
„Wahrscheinlich hat es keiner mehr gef<strong>und</strong>en. Das ganze Haus <strong>und</strong><br />
der Garten wurden zerstört. Die Oma ist wohl unterwegs krank<br />
geworden. Auch ihr Mann kam wahrscheinlich nicht mehr zurück.<br />
Ich weiß es auch nicht so genau. Ich habe es auch nur von meinem<br />
Bruder gehört <strong>und</strong> der war viel älter als ich.“<br />
„Wie alt warst du denn da, Opa?“<br />
Teresa schaut ihren Opa teilnahmsvoll an.<br />
„Ich war erst vier Jahre damals <strong>und</strong> das war 1945, glaube ich.“<br />
„Wozu wurde da der Krieg eigentlich gemacht?“<br />
„Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich haben einige Menschen nicht<br />
genug bekommen. Ich weiß es nicht. Aber so war das damals.“<br />
„Jetzt liegt das Gold da schon so viele Jahre vergraben, was?“<br />
43
„Ja.“<br />
Anna überlegt <strong>und</strong> fragt dann: „Du Opa, weißt du nicht wo das ist?<br />
Wir können es doch suchen fahren?“<br />
„Das ist nicht so einfach. Ich war schon mit meinem Bruder vor<br />
vielen Jahren drüben in Polen. Wir haben auch das Gr<strong>und</strong>stück<br />
gef<strong>und</strong>en. Es hat sich mit den Jahren aber alles verändert. Vom<br />
Haus keine Spur mehr <strong>und</strong> der Garten ist riesengroß. Man müsste<br />
alles umgraben. Aber ob das Erfolg hätte? Und dann gehört der<br />
Garten jetzt zu Polen <strong>und</strong> nicht mehr zu uns. Aber macht euch da<br />
mal keine Gedanken. Gold wird ja nicht alt.“<br />
Der Opa lacht wieder. Auch Anna <strong>und</strong> Teresa sind wieder guter<br />
Dinge.<br />
„Wir holen ein Goldsuchgerät <strong>und</strong> fahren hin“, fällt es Anna noch<br />
ein.<br />
„Das wollte dein Papa auch schon machen, vor fünf<strong>und</strong>zwanzig<br />
Jahren.“<br />
Der Opa erhebt sich. „Kommt nun, wir gehen hoch zum Essen. Es<br />
gibt was ganz Leckeres.“<br />
Auf <strong>dem</strong> Weg vom Keller nach oben dreht sich Teresa plötzlich zu<br />
Anna um <strong>und</strong> sagt: „Du Anna?“<br />
„Ja?“<br />
„Vorhin hast du doch den Schatz da gef<strong>und</strong>en, beim Erzählen.“<br />
„Den Schatz? Ach so, ja.“<br />
„Der Pirat würde dir dann bestimmt seine Keule <strong>auf</strong> den Kopf<br />
hauen wenn du seine Schatzkiste mit <strong>dem</strong> Gold nehmen würdest,<br />
oder?“<br />
„Was? Ja ganz bestimmt, Teri.“<br />
44
Am nächsten Tag fährt man dann doch gucken, wo das Gold liegen<br />
könnte. Die Oma hatte zwar die besten Puddings, Götterspeisen<br />
<strong>und</strong> sonstigen Köstlichkeiten zubereitet; die Mädchen gaben aber<br />
keine Ruhe <strong>und</strong> wollten ein echtes „Goldsuchabenteuer“. <br />
„Na schön, wir machen dann gleich einen Ausflug. Ich brauche<br />
auch noch etwas vom Markt.“<br />
Die Oma klappt die Autotür zu <strong>und</strong> der Opa startet den Wagen.<br />
„Wir haben gar keinen Spaten mit“, brummelt Anna.<br />
Der Opa lacht.<br />
Nach kurzer Zeit ist man an der Grenze, über den Fluss <strong>und</strong> somit in<br />
Polen.<br />
„Das sieht ja hier genauso aus, wie bei uns?“<br />
„Ja, na die Häuser sehen schon etwas anders aus, Anna. Außer<strong>dem</strong><br />
gibt es auch noch viele Ruinen. Schaut mal da drüben, die Brücke!<br />
Die wurde 1945 zerstört <strong>und</strong> nicht mehr <strong>auf</strong>gebaut.“<br />
„Ja, sehe ich“, sagt Anna.<br />
„Gibt’s hier auch Katzen?“, fragt Teresa.<br />
„Bestimmt Teresa, jede Menge. Die können sogar polnisch<br />
sprechen“, witzelt ihre Schwester.<br />
Teresa wirft Anna mit verdrehten Augen einen ``Blödiblick`` zu.<br />
Dabei wackelt sie ruckartig mit <strong>dem</strong> Kopf, um den Blödiblick zu<br />
verstärken.<br />
„Dooch Anna! Manche Tiere können bestimmt sprechen. Wir<br />
können sie nur nicht verstehen. Wirst du ja sehen, wenn ich erst mit<br />
<strong>Susi</strong> spreche.“<br />
Teresa ist jetzt so überzeugt, dass sie gerade nichts <strong>auf</strong> der Welt von<br />
ihrer Meinung abbringen würde. Ihr Gesicht ist vor Erregung schon<br />
zwei Stufen röter geworden.<br />
45
„Du kannst ja schon immer üben“, zieht Anna ihre Schwester weiter<br />
<strong>auf</strong>.<br />
„Mach ich auch!“, jodelt Teresa.<br />
„Miau heißt guten Tag <strong>und</strong> Miaumiau <strong>auf</strong> Wiedersehen, Teri.“<br />
„Anna sei jetzt endlich ruhig!“<br />
Teresa ist kurz vor einem Wutausbruch. Unglücklich schaut sie zu<br />
Boden.<br />
„Nun streitet euch doch nicht! Komm zu mir Teresa!“<br />
Die Oma, die neben den beiden sitzt, spricht besänftigend. Sie zieht<br />
Teresa zu sich <strong>und</strong> drückt sie. Dann meint sie: „Klar können die<br />
sprechen. Was sonst? Die Tiere müssen sich ja auch verständigen.<br />
Sonst würden die ja gar nicht wissen was sie machen sollen, nicht<br />
wahr? Wollt ihr ein Bonbon oder lieber etwas zum Trinken?“<br />
Teresa wirkt beruhigt <strong>und</strong> sieht triumphierend zu Anna, der es aber<br />
nichts weiter ausmacht.<br />
„Na ja Teri, es wäre schon schön, wenn sich alle in der gleichen<br />
Sprache verstehen könnten“, sagt Anna versöhnend.<br />
„Ihr Beiden könnt ja schon immer anfangen“, meint die Oma <strong>und</strong><br />
reicht Bonbons aus.<br />
„Ah, Kirsche, mag ich. Kommt jetzt bald das Gold?“<br />
Teresa schiebt sich das Bonbon rein <strong>und</strong> alle lachen wieder.<br />
Eher kommt nach einigen Sandwegen eine gottverlassene Gegend,<br />
wie man sagen würde. Das mögliche Gr<strong>und</strong>stück ist bald gef<strong>und</strong>en<br />
aber total zugewachsen. Es gibt weder Spuren eines Zaunes noch<br />
Anzeichen einer ehemaligen Bebauung. Eigentlich ist es die reine<br />
Wildnis mit ein paar großen alten Bäumen. Die Mädchen sind etwas<br />
enttäuscht. Dann l<strong>auf</strong>en sie ein bisschen im Gestrüpp herum. Sie<br />
verstehen jetzt aber, warum es nicht so einfach ist, mal eben so ein<br />
bisschen Gold einzusammeln.<br />
46
„Hier brauchen wir einen Bagger“, sagt Teresa.<br />
„Und ein Goldsuchgerät mit Sieb. Aber wir kommen später<br />
wieder.“ Diesmal ist sich Anna ganz sicher.<br />
Ganz in der Nähe befindet sich ein uralter Friedhof, dessen Gräber<br />
mit <strong>dem</strong> Jahr 1945 enden.<br />
„Vor vielen Jahren ist hier der letzte Tote bestattet worden“, erklärt<br />
der Opa leise. Behutsam schaut er nach bekannten Namen.<br />
Teresa läuft es kalt den Rücken herunter <strong>und</strong> Anna betrachtet die<br />
verwitterten Grabsteine <strong>und</strong> kühlen Marmorplatten. Die Mädchen<br />
gehen gemeinsam durch die verschlissenen Wege, mitten durch die<br />
Reihen der Gräber. In Stein gehauene Daten einer längst<br />
vergangenen Zeit liegen stumm vor ihnen.<br />
„Ich will hier wieder weg, Anna“, flüstert Teresa ängstlich.<br />
„Ja komm, halte dich fest! Lass meine Hand nicht los!“<br />
Teresa läuft jetzt immer dicht bei Anna <strong>und</strong> dreht sich öfter um.<br />
Zum Glück scheint die Sonne. Auch Anna ist froh, als der kurze<br />
R<strong>und</strong>gang über den alten Friedhof endlich vorbei ist.<br />
Das bunte Markttreiben, eine halbe St<strong>und</strong>e später, ist da schon eher<br />
nach ihrem Sinn. Sie schauen sich hier etwas um <strong>und</strong> essen da eine<br />
Kleinigkeit. Nach einem Spaziergang durch das kleine Dorf fährt<br />
man wieder zurück, über den Fluss <strong>und</strong> über die Grenze.<br />
Der Abschied ist gekommen. Noch ein Geschenk hier noch ein paar<br />
nette Worte dort. Bald würde man sich, mit den Großeltern, daheim<br />
bei Anna <strong>und</strong> Teresa wieder sehen. Und schon rollt der Zug in<br />
Richtung Heimat, zurück zu <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> zurück zu Robi.<br />
47
5. Robis Geschichte<br />
Man schreibt das Jahr 1988. Ein großes Mädchen eilt in Hosenrock<br />
<strong>und</strong> kurzer Bluse den Weg entlang. Eigentlich ist sie schon bald<br />
eine junge Frau oder junges Mädchen, wie man sagt. Ihre braunen<br />
Haare sind mit einem Holzkamm zusammen gesteckt. M<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />
Augen sind leicht geschminkt. In der Handtasche hat sie das Bild<br />
eines Fre<strong>und</strong>es. Heute würden ihre Verwandten zu Besuch<br />
kommen. Ihr Opa, ein lustiger Typ der immer verschmitzt lacht,<br />
wollte am Abend eine Grillparty veranstalten.<br />
Die junge Frau erreicht den Garten <strong>und</strong> die Oma empfängt sie.<br />
Freudiges Bellen ist zu hören. Die Verwandten haben ihre Hündin<br />
Leila mitgebracht. Leila aber hat ihre drei jungen H<strong>und</strong>ewelpen<br />
mitgebracht.<br />
„Die sind aber niedlich“, sagt die junge Frau <strong>und</strong> streichelt die<br />
Kleinen.<br />
48
„Wie alt sind sie denn schon?“<br />
„Dreieinhalb Monate werden die bald. Aber sie sind schon ganz<br />
selbständig.“<br />
Der Onkel erzählt über Leila, die kleinen H<strong>und</strong>e <strong>und</strong> wie sie bisher<br />
<strong>auf</strong>gewachsen sind.<br />
Der Opa schaut geheimnisvoll aus <strong>und</strong> lächelt ständig. Neben ihm<br />
stehen viele Flaschen, mit den verschiedensten Getränken. Er hat<br />
Holz <strong>und</strong> Holzkohle angezündet <strong>und</strong> pflegt das kleine Feuer.<br />
Spieße mit Fleisch <strong>und</strong> Würstchen liegen bereit. Dann kommt auch<br />
die Oma <strong>und</strong> bringt noch ein paar Stühle <strong>und</strong> Salat mit.<br />
„Wollen wir anfangen“, sagt die Oma. Sie hat gute Laune, weil der<br />
Opa heute mit abwaschen dran ist <strong>und</strong> Spülmaschinen hier noch<br />
unbekannt sind.<br />
Die Spieße werden übers Feuer gehalten. Es riecht nach<br />
Gebratenem <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Rauch der Holzkohle. Wie gegrillt eben. Der<br />
Opa reißt Witze, dass die Gartenstühle klappern <strong>und</strong> der Onkel<br />
versucht mitzuhalten. Die älteren Frauen lachen teilweise<br />
sirenenartig <strong>auf</strong> <strong>und</strong> erzählen von früher.<br />
Die junge Frau spielt mit den H<strong>und</strong>en. Sie bleibt etwas abseits vom<br />
allgemeinen Trubel. Eine Kassette mit „Blue System“ (das ist der,<br />
der später die so genannten ``Supersingers`` im Fernsehen mit<br />
aussuchen wird) dudelt in einem Radiorecorder.<br />
So ein ganz lieber ``WuschelKnuddel`` sitzt da <strong>auf</strong> einmal <strong>auf</strong><br />
ihrem Schoß. Der Wuschelknudel will gar nicht mehr weg. Er hat<br />
ein dunkelgraues Fell <strong>und</strong> sieht aus wie ein übergroßer Wollball mit<br />
Gesicht.<br />
„Du bist ja ein Lieber. Wie heißt du denn?“<br />
49
Der Wuschelknudel gibt aber keine Antwort <strong>und</strong> lässt sich weiter<br />
streicheln. Sein Herz pocht <strong>und</strong> die junge Frau kann das Pochen an<br />
ihrer Hand spüren.<br />
„Komm mal was essen, Mädchen!“, ruft die Oma.<br />
Der kleine H<strong>und</strong> darf mit <strong>und</strong> schon sitzen sie am Tisch. Der Onkel<br />
guckt kurz zum Welpen hin. Dann nickt er zustimmend zum Opa.<br />
Das junge Mädchen schaut den kleinen H<strong>und</strong> verliebt an:<br />
„Guckt mal, wie wuschelig der ist. Und die Nase ist ganz glitschig.<br />
Ach ist der süß!“<br />
Die Flaschen sind etwas leerer. Die Augen des Opas, der den<br />
ganzen Nachmittag so geheimnisvoll getan hatte, blitzen. Nun<br />
platzt er heraus:<br />
„Weißt du warum Dein Onkel hier ist meine Kleine, na?“<br />
„Nein?“<br />
Sie ahnt aber die Überraschung.<br />
„Wegen der H<strong>und</strong>e?“<br />
„Genauhau“, singt der Opa <strong>und</strong> lacht in allen Oktaven.<br />
„Wir sind doch jetzt schon älter mit der Oma <strong>und</strong> da hat uns dein<br />
Onkel einen H<strong>und</strong> mitgebracht. Als Gartenwächter sozusagen.“<br />
Der Opa gießt die Gläser nach.<br />
„Das ist aber schön, Opa“, freut sich die Enkelin.<br />
Die Oma, die das Wort „Oma“ aus <strong>dem</strong> M<strong>und</strong>e des Opas nicht so<br />
gern vernommen hat, sagt zur Enkelin:<br />
„Du kannst natürlich jeden Tag mit ihm gehen <strong>und</strong> mit ihm spielen,<br />
wenn du willst.“<br />
„Ja, aber wie soll er denn heißen?“<br />
Sie überlegen.<br />
„Wuschel fändt ich schön.“ Die junge Frau denkt unwillkürlich an<br />
ihren letzten Fre<strong>und</strong>.<br />
50
„Der bleibt aber nicht so klein <strong>und</strong> wird noch ganz schön groß“,<br />
bemerkt der Onkel.<br />
„Ja, stimmt.“<br />
„Nennen wir ihn doch Robi“, schlägt die Oma vor.<br />
„Das ist wenigstens ein richtiger H<strong>und</strong>ename.“<br />
Sie denkt dabei an ihre Jugend, als sie auch schon mal einen H<strong>und</strong><br />
be<strong>saß</strong>. Dann lernte sie ja den Opa kennen.<br />
Man diskutiert noch eine Weile über verschiedene H<strong>und</strong>enamen <strong>und</strong><br />
bleibt dann sch<strong>ließ</strong>lich doch bei Robi, schon um der Oma einen<br />
Gefallen zu tun.<br />
Noch lange sitzen sie dann zusammen, in der lauen Abendluft des<br />
Sommers 1988.<br />
Die Zeit verging. Die Fre<strong>und</strong>e hatten gewechselt. Der H<strong>und</strong> war<br />
geblieben. Robi ging jeden Tag mindestens zwei S<strong>und</strong>en spazieren.<br />
Er bestand sogar dar<strong>auf</strong>, in<strong>dem</strong> er hechelte <strong>und</strong> mit <strong>dem</strong> Schwanz<br />
wackelte <strong>und</strong> sich ständig in der Nähe des Gartentores oder der<br />
Haustür <strong>auf</strong>hielt. Als stattlicher Hun<strong>dem</strong>ann (Rüde) musste er sich<br />
ja auch bei den H<strong>und</strong>edamen sehen lassen <strong>und</strong> ihnen seine<br />
Aufwartung machen. Robi spielte mit anderen H<strong>und</strong>en. Er lief um<br />
die Wette mit Menschen <strong>und</strong> seinesgleichen. Er fing <strong>und</strong> brachte<br />
Stöckchen. Er bewachte den Garten <strong>und</strong> vergrub Knochen in die<br />
Gartenbeete. Er wälzte sich im Dreck <strong>und</strong> <strong>ließ</strong> sich dann das Fell<br />
wieder auskämmen. Er lernte all die Dinge, die ein H<strong>und</strong> lernen<br />
muss <strong>und</strong> fühlte sich einfach h<strong>und</strong>ewohl. Die junge Frau mit den<br />
braunen Haaren war jetzt sein eigentliches Frauchen geworden.<br />
Wenn sie kam, wedelte er mit <strong>dem</strong> Schwanz <strong>und</strong> sah erwartungsvoll<br />
an ihr empor. Er mochte ihren frischen Duft, die vielen<br />
Fleischknochen die sie mitbrachte <strong>und</strong> ihre ausgelassene Art.<br />
51
Kurze Zeit später heiratete die junge Frau <strong>und</strong> Robi durfte mit in die<br />
Wohnung der neuen Familie ziehen.<br />
Bald dar<strong>auf</strong> kam ein kleines Mädchen zur Welt, welches Anna<br />
genannt wurde. Schon immer hatte Robi Gesellschaft gehabt. Er<br />
konnte es sich gar nicht ohne Katzen <strong>und</strong> andere Mitgefährten<br />
vorstellen. Das kleine Baby machte ihm deshalb Spaß <strong>und</strong> später<br />
wurden sie gute Kameraden. Der Mann der jungen Frau nahm ihn<br />
oft mit in den Wald. Dort konnte er nach Herzenslust herum tollen,<br />
jagtähnliche Angriffe <strong>auf</strong> die viel schnelleren Vögel unternehmen<br />
<strong>und</strong> sich einfach hun<strong>dem</strong>äßig austoben.<br />
Die kleine Anna spielte Pferdchen mit ihm <strong>und</strong> er <strong>ließ</strong> sich auch<br />
willig vor einen Kinderschlitten spannen. Am liebsten aß er<br />
Hühnerknochen oder Rippchen mit viel Fleisch dran. Außer<strong>dem</strong><br />
mochte er Nudeleintöpfe mit Fleischstückchen oder auch mal Reis<br />
mit Fisch. Das neuartige Trockenfutter ging ja auch mal zu<br />
vertragen, war aber eher nicht so sein Geschmack. So verging die<br />
Zeit. Bald dar<strong>auf</strong> wurde dann noch ein Mädchen geboren.<br />
(Wie war doch gleich der Name des Mädchens?)<br />
52
6. Lady Marmelade<br />
54
„Es war total dunkel <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Friedhof, müsst ihr euch vorstellen.<br />
Nur die Blitze haben gezuckt <strong>und</strong> unheimliche Geräusche waren da<br />
zu hören. So wie das Atmen von Toten. Und dann hat man erst die<br />
ganzen Grabsteine gesehen, im unheimlichen Licht der Blitze. Mit<br />
ganz alten Zahlen dr<strong>auf</strong> so von vor 200 Jahren <strong>und</strong> so. Das war voll<br />
geistermäßig. Aber wir wollten unbedingt an das Gold kommen <strong>und</strong><br />
sind weiter gegangen. Anna ist dann hängen geblieben an so ´nem<br />
Grab, weil der Stein sich zur Seite bewegt hat.“<br />
Teresa erzählt vor der Klasse. Tobias hat die M<strong>und</strong>winkel nach<br />
unten geklappt <strong>und</strong> schluckt ab <strong>und</strong> zu.<br />
„Habt ihr das Gold gef<strong>und</strong>en? Was habt ihr da im Grab gesehen, als<br />
es <strong>auf</strong>ging?“<br />
„Ich konnte Anna gerade noch zur Seite ziehen, als der Grabstein<br />
umgefallen ist. Und dann haben wir einen ganz ekligen Totenkopf<br />
gesehen, nur so die Knochen <strong>und</strong> darunter eine Schale mit Deckel.<br />
Aber nur ganz kurz, gerade als ein neuer Blitz kam. Es war aber<br />
sofort wieder dunkel <strong>und</strong> dann begann auch noch der Regen. Ich bin<br />
dann mit meiner Schwester schnell wieder zurück gel<strong>auf</strong>en, als wir<br />
dann noch das grausige Stöhnen hörten.“<br />
„Da war bestimmt das Gold versteckt, in <strong>dem</strong> Grab“, nuschelt<br />
Tobias mit belegter Stimme.<br />
„Aber wir gehen nächstes Jahr wieder hin, hat mein Opa gesagt <strong>und</strong><br />
dann finden wir bestimmt das Gold.“<br />
„Möchtest du einen Kaugummi oder zwei?“, fragt Tobias. Er hält<br />
Teresa die ganze Packung hin.<br />
„Klar doch, gib mal einen rüber!“<br />
Die Kinder erzählten den ganzen Unterricht über ihre Erlebnisse<br />
vom Urlaub. Was da alles so zusammen kam man hätte ein Buch<br />
55
darüber schreiben können. In Ägypten, bei den Pyramiden hatte es<br />
doch Wasser gegeben <strong>und</strong> Maja war das erste Mal mit einem<br />
Flugzeug gereist. Frau Kuchenstück erklärte allen den neuen<br />
St<strong>und</strong>enplan. Die Lehrerin wies feierlich dar<strong>auf</strong> hin, dass die Kinder<br />
jetzt schon der dritten Klasse angehörten <strong>und</strong> somit große Kinder<br />
wären.<br />
Einige Klassenräume weiter wurde die neue 4a eröffnet. Es wurde<br />
ebenfalls feierlich dar<strong>auf</strong> hingewiesen, dass man jetzt zu den<br />
ältesten Schülern der Gr<strong>und</strong>schule gehören würde <strong>und</strong> sich deshalb<br />
besonders verantwortungsvoll verhalten solle. Anna schaute<br />
sogleich verantwortungsvoll <strong>auf</strong> ihren neuen St<strong>und</strong>enplan <strong>und</strong><br />
stellte fest, dass sie Dienstag <strong>und</strong> Donnerstag zwei St<strong>und</strong>en mehr<br />
haben würde als im letzten Jahr. So begann das neue Schuljahr <strong>und</strong><br />
es gab wirklich viel Neues zum Lernen. Beide Mädchen wurden<br />
beim Schwimmtraining angemeldet. So gingen sie nun zusätzlich<br />
jede Woche einmal in die große Schwimmhalle trainieren. <br />
„Gitschi, Kitschi, ja, ja data, lalalalalalaha.“<br />
Teresa zuckt eigenwillig im Rhythmus ihres eigenen Gesangs <strong>und</strong><br />
betont besonders stark das ``data``.<br />
Teresa singt die Melodie, die ihr so gefällt, das siebte oder neunte<br />
Mal. Sie dreht sich dabei um ihre eigene Achse. Ihr ganzer Körper<br />
vibriert. Sie schwingt Hüften <strong>und</strong> Schultern durch die Gegend <strong>und</strong><br />
lässt gleichzeitig ihren Kopf ohne festen Halt herum trullern. Dabei<br />
verdreht sie noch die Augen. Es sieht so aus, als wäre sie voll weg.<br />
<strong>Susi</strong> ist lieber ein paar Meter weiter weg gegangen. Aus sicherer<br />
Entfernung betrachtet sie das Mädchen. <strong>Susi</strong> ist schon ordentlich<br />
gewachsen. Sie kennt alle Verstecke in der Wohnung. Ihre<br />
Lieblingsspeise ist jetzt Hähnchenbrustfilet roh, oder Fischfilet,<br />
56
etwas angewärmt aber nicht gekocht. Ab <strong>und</strong> zu gibt es auch mal<br />
Dosenfutter. Das gibt sie aber auch gern an Robi weiter.<br />
„... Gitschi, Kitschi ja ja data ...“<br />
Vor einigen Tagen war <strong>Susi</strong> wieder mal spazieren gegangen. Da<br />
kam doch so eine <strong>auf</strong>geplusterte „Vollangora“ vorbei <strong>und</strong> hatte sie<br />
beleidigt. Ja, sie hatte <strong>Susi</strong> eine Unechte <strong>und</strong> Kurzfell genannt. <strong>Susi</strong><br />
hatte es genau gehört.<br />
„Ist denn so was die Möglichkeit“, meinte <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> hatte zu der<br />
großen Aufgeblasenen gesagt, sie würde mit ihrem langen Fell als<br />
Straßenfeger gehen können. Dar<strong>auf</strong>hin hatte die große Angora nur<br />
schnippisch ``gelachmauzt``: „Gehen sagst du? Ich lasse mich lieber<br />
tragen <strong>und</strong> gehe nur zu meinem Vergnügen. Außer<strong>dem</strong> bekomme<br />
ich, immer wenn ich will, Gourmethäppchen in Sahnesoße von<br />
``Shela``. Tja Kleines, da staunst du, was?“<br />
Sie schaute kurz nach oben, zwinkerte mit ihren Augen <strong>und</strong><br />
klatschte einmal mit ihrem Schwanz <strong>auf</strong> den Boden. Schon wurde<br />
sie von einem Menschen hoch gehoben <strong>und</strong> in einem echten<br />
Kinderwagen mit Sonnenschirm davon gefahren. <strong>Susi</strong> fand das aber<br />
ganz schön <strong>auf</strong>geblasen <strong>und</strong> wollte später Robi davon erzählen.<br />
„Was es doch so alles gibt Katze, Katze.“ –<br />
„Gitschi, Kitschi ..., och.“ Teresa kann nicht mehr. Zufrieden lässt<br />
sie sich in einen Sessel fallen. Die Tür öffnet sich <strong>und</strong> Anna kommt<br />
ins Zimmer.<br />
„Anna?“<br />
„Ja, Teri?“<br />
„Heute kommen die ``Supersingers`` wieder im Fernsehen.“<br />
„Echt?“<br />
(Die ``EchtsageMacke`` ging gerade um <strong>und</strong> �)<br />
57
„Ja, guckst du mit? Ich will unbedingt Vanessa sehen mit <strong>dem</strong><br />
Gitschi da, du weißt schon.“<br />
„Das Lied heißt ´Lady Marmelade´, Teresa.“<br />
„Echt? Marmelade?“<br />
„Echt!“<br />
„Cool!“ (�die ``CoolMacke`` auch.)<br />
„Da kommt doch der, der immer solche ``hammermäßigen``<br />
Sprüche ablässt, nicht?“<br />
„Ja ich weiß schon. Der hat früher auch mal gesungen, hat Papa<br />
erzählt.“<br />
„Echt?“<br />
Ja, mit so ´nem na ..., der sah ganz süß aus, hat Mama gesagt. Und<br />
der hatte so lange dunkle Haare. Aber der mit den Sprüchen ist<br />
irgendwie cooler, nicht Teri?“<br />
„Ich find Vanessa am besten <strong>und</strong> den Alexander.“<br />
„Echt?“<br />
„Ja echt“, sagt der Papa <strong>und</strong> kommt ins Zimmer.<br />
Eigentlich hatte er ja angefangen, die Supersingers zu gucken,<br />
also die Sendung wo angeblich die besten Sänger gesucht werden.<br />
Aber die Mädchen interessierten sich eben dafür <strong>und</strong> nun schaute<br />
man das schon mehrere Wochen. Es war ja auch lustig, jedenfalls<br />
anfangs. <br />
„Räumt bitte noch euer Zimmer <strong>auf</strong>, wenn ihr gucken wollt! Es gibt<br />
auch gleich Essen. Übrigens finde ich Juliet am besten.“<br />
Damit geht er wieder <strong>und</strong> Teresa beginnt, irgendwelche<br />
Zeichnungen <strong>und</strong> Spielsachen in den Schreibtisch hinein zu stopfen.<br />
Die Supersingers beginnen <strong>und</strong> der mit den coolen Sprüchen haut<br />
auch heute wieder so ein paar Dinger heraus. Dabei leckt er sich<br />
immer so schmatzmäßig über die Lippen. Dann kommt endlich<br />
58
„Lady Marmelade“ <strong>und</strong> Teresa singt: „Gitschi, Kitschi ...“ Dabei<br />
tanzt sie <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Sofa stehend mit, dass die Federn quietschen.<br />
59
7. Weihnachten<br />
Ja, es war eine schöne Zeit. Alles nahm seinen L<strong>auf</strong>. Die Mädchen<br />
lernten fleißig. <strong>Susi</strong> kletterte <strong>auf</strong> meterhohe Bäume <strong>und</strong> der Papa<br />
hatte irgendwie sein Geschäft mit den Druckluftautos vermasselt.<br />
Jedenfalls kam er eines Tages am frühen Morgen von einer<br />
Geschäftsreise zurück <strong>und</strong> sah ziemlich fertig aus. Was <strong>auf</strong> der<br />
Reise nach Italien passierte bleibt aber Geschäftsgeheimnis.<br />
Der Herbst war ins Land gekommen <strong>und</strong> nun ging es schon wieder<br />
in Richtung Weihnachten, wie alle Jahre. Aber zuerst waren da<br />
noch die Geburtstage. Anna hatte, die Mama hatte <strong>und</strong> die Oma <strong>und</strong><br />
der Opa in <strong>dem</strong> Haus an der Grenze feierten auch Geburtstag.<br />
Anna lud sich zu Ihrem Geburtstag fünf Mädchen aus ihrer Klasse<br />
ein. Nach <strong>dem</strong> üblichen Kuchenessen ging es ins Kino. Danach<br />
machte der Papa Hausdisco <strong>und</strong> die Mädchen tanzten zu Cola <strong>und</strong><br />
fetziger Musik. <br />
„Ich will auch Geburtstag haben.“<br />
Teresa schielt etwas, aber nur etwas neidvoll <strong>auf</strong> den ganzen Trubel<br />
um ihre Schwester. Anna bekam sogar ein Paket von den<br />
Großeltern. Für Teresa war natürlich auch etwas dabei. <br />
„Du hast erst nächstes Jahr wieder Teresa, im Mai.“<br />
„Och, da muss ich ja noch so lange warten, mensch.“<br />
Na macht doch nichts, da bleibst du wenigstens noch ein Weilchen<br />
acht.“<br />
61
Teresa guckt <strong>auf</strong> die Uhr an ihrem Handgelenk:<br />
„Wisst ihr, man müsste die Zeit vor oder zurückstellen können.<br />
Das wäre was, nicht?“<br />
Teresa überlegt sich gerade, wie oft sie dann Geburtstag haben<br />
könnte.<br />
„Ja Teri, das geht doch nicht. Das gibt’s doch nur im Märchen?“<br />
„Wieso geht das nicht?“<br />
„Wie willst du denn die Zeit verstellen?“<br />
„Komm mit zu uns tanzen!“<br />
Die Mädchen reden liebevoll <strong>auf</strong> Teresa ein <strong>und</strong> schon tanzt sie<br />
zwischen den älteren Mädchen in der Mitte. Der Papa tanzt dann<br />
auch noch mit <strong>und</strong> wie man sieht, könnte er auch mal wieder etwas<br />
für seine Figur machen.<br />
In dieser Nacht träumt Anna, <strong>Susi</strong> könne sprechen <strong>und</strong> würde ihr<br />
etwas Wichtiges sagen. Am nächsten Morgen schreckt sie hoch. Sie<br />
kann sich zwar nicht mehr genau an ihren Traum erinnern, geht<br />
aber etwas unruhig zu <strong>Susi</strong> gucken. <strong>Susi</strong> ist schon wach. Sie sitzt<br />
<strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Fensterbrett</strong>. Als hätte sie Anna erwartet, streckt sie sich<br />
<strong>dem</strong> Mädchen entgegen. Anna streichelt <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> denkt an ihren<br />
Traum. Die Katze schnurrt <strong>und</strong> betrachtet das Gesicht des<br />
Mädchens. Für den Bruchteil einer Sek<strong>und</strong>e geht ein kleines<br />
Funkeln über <strong>Susi</strong>s Augen. Anna bemerkt es aber nicht weiter. Die<br />
schwarzen Pupillen der Katze sind vom Tageslicht zu schmalen<br />
Schlitzen geworden.<br />
Zu Weihnachten sind die Großeltern angereist. Der Opa will mal<br />
mit in die Jugenddisco gehen. Gemeinsam mit <strong>dem</strong> Papa, der sich ja<br />
für völlig jugendlich hält, verschwinden sie dann tatsächlich am<br />
62
Abend in Richtung Discotempel. So am Morgen, um fünf Uhr,<br />
kommen sie dann etwas verquollen zurück. Der Opa fasst sich<br />
immer an die Seite <strong>und</strong> sein graues Haar steht wirr vom Kopf ab.<br />
Aber schön war’s doch.<br />
Am nächsten Tag gehen alle in die Stadt. Die Oma k<strong>auf</strong>t noch eine<br />
riesige Gans ein. Der Opa freut sich schon <strong>auf</strong> das viele Fett. Den<br />
Mädchen ist die Gans ganz egal. Sie wollen natürlich <strong>auf</strong> den<br />
Weihnachtsmarkt <strong>und</strong> fahren Babykarussel, weil gerade nichts<br />
anderes da ist. Außer<strong>dem</strong> kann man sich Schlittschuhe ausleihen<br />
<strong>und</strong> die nahe Eisfläche benutzen. Überall duftet es weihnachtlich<br />
nach Gebäck <strong>und</strong> Gewürzen. Weihnachtsmusik <strong>und</strong> Gesänge<br />
erklingen durch die Straßen. Die meisten Leute essen <strong>und</strong> trinken<br />
was das Zeug hält.<br />
„Kommt ihr noch mit ins ``K<strong>auf</strong>dichtot``?“, fragt der Papa. Er meint<br />
damit diesen Riesensupermarkt, wo man kaum mehr raus kommt,<br />
wenn man einmal drin ist.<br />
„Bringst du uns bitte ein paar Fruchtgummis mit?“, ruft Teresa.<br />
„Ja <strong>und</strong> Mais für die Popcorns!“, wünscht sich Anna.<br />
„Mache ich, bis gleich, “ sagt der Papa.<br />
Dann geht er mit der Oma in den Supermarkt. Die Leute kommen<br />
ihnen mit Bergen von Taschen entgegen. Eine Frau hat sogar gleich<br />
zwei volle Eink<strong>auf</strong>swagen bei sich. Sie hängt jetzt mit breiten<br />
Armen zwischen den Eink<strong>auf</strong>swagen, als mache sie Flugversuche.<br />
Sie kreischt. Der eine Wagen will nun überhaupt nicht mehr in ihre<br />
Richtung. Später knallt es dann auch noch so. Wahrscheinlich ist sie<br />
irgendwo dagegen gefahren. Überall leuchten die Werbeschilder.<br />
Aus den Lautsprechern werden mit singender Stimme Produkte<br />
angeboten, die man unbedingt haben sollte müssen. Mit<br />
63
angespannten Mienen hasten die meisten Leute ihrem<br />
vermeidlichen Glück <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Heiligabend entgegen.<br />
„Wenn das der Jesus wüsste“, sagt der Opa leise, so das es keiner<br />
hört. Dann dreht er sich stirnrunzelnd um <strong>und</strong> schaut den Kindern<br />
beim Schlittschuhfahren zu.<br />
Später fährt man mit <strong>dem</strong> Bus zurück <strong>und</strong> besch<strong>ließ</strong>t, die letzte<br />
Strecke des Weges zu l<strong>auf</strong>en. Das wäre förderlich für den Appetit.<br />
Es liegt ziemlich viel Schnee <strong>und</strong> die Mädchen wollen der Oma <strong>und</strong><br />
<strong>dem</strong> Opa noch zeigen, wo sie immer Schlitten fahren.<br />
„Kommt, ich zeig euch den Hang! Der geht ganz weit den Berg<br />
hinunter.“ Anna hat sich vorn umgedreht, läuft rückwärts <strong>und</strong> zeigt<br />
mit <strong>dem</strong> Arm über ihre Schulter.<br />
„Da rodeln wir immer. Meine Fre<strong>und</strong>innen gehen auch da hin“, fügt<br />
Teresa hinzu.<br />
Die Großeltern folgen den Enkeln den Berg entlang. Der kleine<br />
Pfad, der tief in den Schnee getreten ist, wird immer schmaler. Jetzt<br />
kann man nur noch hintereinander gehen <strong>und</strong> muss <strong>auf</strong>passen, dass<br />
man nicht daneben tritt. Schräg nach unten dehnt sich eine<br />
riesengroße, schneebedeckte Fläche aus. Weiter vorn ist auch die<br />
Rodelbahn zu erkennen.<br />
„Es ist aber nicht sehr steil hier“, bemerkt der Opa <strong>und</strong> macht<br />
Witze. Die Oma hält die Eink<strong>auf</strong>stüte mit der riesigen Gans ganz<br />
fest <strong>und</strong> versucht beim L<strong>auf</strong>en die Höhe ihrer Absätze der<br />
Schneeschicht anzupassen. Schon stehen sie an der Rodelbahn, die<br />
sich mit vielen, kleinen Abfahrten über einige Meter in die Breite<br />
zieht. Die zu Eis gewordene Oberfläche glitzert an vielen Stellen in<br />
der Sonne. Große <strong>und</strong> kleine Kinder toben bunt durcheinander.<br />
Einige fahren sogar <strong>auf</strong> tellerähnlichen Plastikschüsseln oder<br />
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Rennbobs den Berg hinab. Andere kommen mit roten Gesichtern<br />
<strong>und</strong> l<strong>auf</strong>enden Nasen den Berg wieder hin<strong>auf</strong> geklettert.<br />
Anna trifft Lisa <strong>und</strong> auch Teresa kennt einige Mädchen.<br />
„Wie geht’s dir Lisa?“<br />
„Gut, <strong>und</strong> dir?“<br />
„Auch gut, meine Großeltern sind zu Besuch.“<br />
„Schön, meine kommen erst Silvester.“<br />
„Jaha.“<br />
Und schon sind sie mitten drin im winterlichen<br />
``Schlittenfahrgewühl``.<br />
„Wir holen nachher auch unsere Schlitten“, ruft Teresa. Schwubs <br />
schon sitzt sie bei jeman<strong>dem</strong> mit oben <strong>und</strong> rodelt los.<br />
Die Oma putzte gerade ihre Brille, als es passierte. Die Tasche mit<br />
der Gans war ihr vom Handgelenk gerutscht. Sie versuchte noch,<br />
danach zu greifen aber es war schon zu spät. <br />
„Aaaah! Neiein!“, ruft sie <strong>und</strong> saust, den Kopf nach vorn, die<br />
Rodelbahn hinab ihrer Gans hinterher.<br />
Sie hatte versucht, sich zu bücken <strong>und</strong> die Gans <strong>auf</strong>zuheben. Dabei<br />
war die Gans aber aus der Tüte gerutscht <strong>und</strong> <strong>auf</strong> die Rodelbahn<br />
geraten. Die Absätze hatten <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> glatten Eis ihr Übriges getan<br />
<strong>und</strong> die Oma war kopfüber gleich in eine gute Rutschposition<br />
gekommen. So rutschte sie mit winterlichem Bauchkontakt los. Der<br />
Abstand zwischen der Gans <strong>und</strong> der Oma betrug aber immer noch<br />
einige Meter. <br />
„Hilfe!“<br />
Die Oma hat ihre Arme jetzt ganz nach vorn ausgestreckt.<br />
Eigentlich steuert sie den Berg ganz gut hinab. Die vor ihr dahin<br />
rutschende Gans hat es aber deutlich besser.<br />
„Schnell, einen Schlitten!“<br />
65
Der Opa greift sich reflexartig den Schlitten, den man ihm hinhält<br />
<strong>und</strong> stößt sich mit kräftigem Anl<strong>auf</strong> ab.<br />
„Ich komme“, schreit er <strong>und</strong> jagt der Oma hinterher.<br />
„Halt aus, ich rette dich. Ich komme!“<br />
Durch die Unebenheiten des Berges ist die Oma aber doch schon<br />
etwas langsamer geworden. Sie dreht sich etwas seitlich <strong>und</strong><br />
versucht die unfreiwillige Rutschfahrt abzubremsen. Teresa, die ihr<br />
von unten entgegen kommt, schaut sie ungläubig an, kann sie aber<br />
auch nicht bremsen. Die Gans ist auch schon ganz nah <strong>und</strong> der Berg<br />
wird zum Glück flacher. Hinter sich hört sie es schreien „ich<br />
komme“ <strong>und</strong> fühlt sich schon besser. Auch Anna hat sich einen<br />
Schlitten geschnappt, ist unterwegs <strong>und</strong> will mithelfen, ihre Oma zu<br />
retten.<br />
Der Opa rattert über die Berghuckel. Dabei vollführt er wilde<br />
Sprünge <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Schlitten. Er ist aber schneller als die Oma,<br />
kommt näher <strong>und</strong> kann ihren Fuß vom Schlitten aus fassen. Einen<br />
Augenblick später kommt eine Eiskuhle mit Miniberg. Der Opa<br />
kippt um. Der Schlitten fährt alleine weiter. Nun rutscht er<br />
ebenfalls, in leichter Querlage, die letzten Meter des Berges hinab.<br />
Kurze Zeit später endlich, bremst ein breites Gebüsch die<br />
Rutschparty. Der Opa landet neben der Oma in den Sträuchern.<br />
Beide werden vom herabfallenden Schnee fast zugedeckt.<br />
Anna war hinterher gefahren. Sie kam an das Gebüsch <strong>und</strong> hob<br />
kurz davor die Gans <strong>auf</strong>, die unversehrt im Schnee lag. <br />
Wo war nur ihre Oma geblieben? Und der Opa war auch weg?<br />
Aber da hört sie schon die leisen Stimmen der Großeltern. Die<br />
Zweige öffnen sich <strong>und</strong> der Opa kommt gemeinsam mit der Oma<br />
aus <strong>dem</strong> Schnee gewatet. Der Opa trägt sie fast <strong>und</strong> gibt ihr noch<br />
66
einen zweiten oder dritten Kuss. Sie sind zwar beide voller Schnee,<br />
sehen aber erleichtert aus.<br />
„Ist ja ganz schön lang, eure Bahn“, keucht der Opa.<br />
„Ja, aber nicht besonders steil, oder?“, entgegnet Anna lächelnd.<br />
„Habt ihr euch auch nichts getan?“<br />
Die Oma tastet erst jetzt ihren Rücken ab. Aber nur ihr Mantel hat<br />
ein paar Schlieren <strong>und</strong> die Brille ist weg. Sogar der Absatz vom<br />
Stiefel ist noch dran.<br />
„So ein Glück, das hätte ja ... “<br />
Und die Oma erzählt, was alles hätte passieren können. Anna ist<br />
froh, dass es den beiden gut geht. Gemeinsam gehen sie den Berg<br />
hin<strong>auf</strong>. Aber ganz langsam. Oben wartet Teresa mit der Brille in der<br />
Hand.<br />
Anna hat plötzlich in Gedanken das Bild von <strong>Susi</strong> vor Augen. Die<br />
Katze bewegt sonderbar die Lippen <strong>und</strong> hat eine Pfote gehoben.<br />
Ihre Augen werden immer heller, beginnen magischgelb zu<br />
leuchten. Sie leuchten immer mehr <strong>und</strong> ...<br />
„ Anna kommst du?“<br />
„Was? Ja, ich komme.“<br />
„Frohe Weihnachten!“ Kling.<br />
„Frohe Weihnachten!“ Klong.<br />
„Frohe Weihnachten, zum Wohl!“ Klingklong.<br />
„Auch dir frohe Weihnachten!“ Klinklangklong.<br />
„Ja, frohe Weihnachten wünsche ich euch auch!“ Lach.<br />
„Ostern ist auch bald, nicht?“<br />
(„Frohe Weihnachten.“ Miau.<br />
„Frohe Weihnachten.“ Wauwau.)<br />
67
Weihnachten wurde ganz lustig. Die meisten Witze machte man<br />
natürlich über die Oma <strong>und</strong> die Gans. Der Opa aß Gänsefett. Der<br />
Papa spielte <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Akkordeon <strong>und</strong> die Mädchen sangen dazu „Oh<br />
Tannenbaum“. Jeder hatte auch ein paar kleine Geschenke für die<br />
anderen vorbereitet. <strong>Susi</strong> bekam eine neue Kuscheldecke <strong>und</strong> die<br />
Mama bekam ein teures Parfüm von ``Klo. Klo. Bordell``.<br />
Wieder waren einige Monate vergangen. Silvester feierte man noch<br />
mit Knallern <strong>und</strong> Leuchtfontänen. Das neue Jahr breitete sich mit<br />
Schnee <strong>und</strong> Kälte aus. Ganz langsam wurden die Tage aber schon<br />
wieder länger. Ein Hauch von Frühling kündigte sich an, als die<br />
ersten Schneeglöckchen hervor lugten <strong>und</strong> Tauwasser von den<br />
Dächern der Häuser rann.<br />
Aber jetzt begann eine Serie der unglaublichsten Ereignisse. So<br />
unglaublich war es, dass es einfach <strong>auf</strong>geschrieben werden musste.<br />
Hören wir also was weiter geschah, bei Anna <strong>und</strong> Teresa in der<br />
kleinen Stadt, nicht weit entfernt. <br />
68
8. Die Sprache der Tiere<br />
<strong>Susi</strong> schnurrte <strong>und</strong> hörte <strong>auf</strong> das Geräusch, das vom anderen<br />
Zimmer hinter <strong>dem</strong> Flur her kam. Robi, der Mischlingsh<strong>und</strong>,<br />
machte sich da wohl an einem Knochen zu schaffen, den er tags<br />
zuvor von den Menschen bekommen hatte. <strong>Susi</strong> hatte viel von Robi<br />
gelernt. Obwohl sie sich anfangs vor diesem zotteligen Gesellen,<br />
der mehrfach so groß wie sie selbst war, fürchtete, hatte sie sich im<br />
L<strong>auf</strong>e der Zeit gut mit ihm angefre<strong>und</strong>et. So gut, dass sie viele<br />
gemeinsame Gespräche führten <strong>und</strong> sogar Ausflüge zusammen<br />
unternahmen. Robi hatte ihr die Sprache der Vierbeiner beigebracht.<br />
Auch in vielen anderen wichtigen Sachen war er ihr Lehrer<br />
gewesen. Die uralte Sprache der Vierbeiner ist viele tausend Jahre<br />
alt. Fast alle Tiere <strong>auf</strong> der großen Welt, mit mindestens vier Beinen,<br />
verstehen diese Sprache. Von Art zu Art <strong>und</strong> Generation zu<br />
Generation wird die Sprache immer persönlich weiter gegeben <strong>und</strong><br />
dabei kaum verändert. Nur einige Dialekte entstanden mit der Zeit,<br />
was mit der Art des Körperbaus <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Aussehen der Tiere zu<br />
tun hat. <br />
Bei den Menschen sollte es ja sogar h<strong>und</strong>erte, verschiedene<br />
Sprachen geben, hatte Robi einmal erzählt. Diese Sprachen wären<br />
aber so kompliziert, dass es nur den allerklügsten Tieren gelang,<br />
einen Teil davon zu verstehen. Wo diese allerklügsten Tiere lebten<br />
<strong>und</strong> wer sie waren, wusste aber keiner so genau.<br />
Die nur angelehnte Tür zum Zimmer öffnete sich einen Spalt.<br />
„Hallo Schlecki!“ Robi war hinein gekommen <strong>und</strong> schaute mit<br />
seinen dunkelbraunen Augen zu <strong>Susi</strong> hoch, die immer noch <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />
69
<strong>Fensterbrett</strong> <strong>saß</strong>. Schlecki war einer der Spitznamen von <strong>Susi</strong>. Ihre<br />
Angewohnheit, an allen möglichen Gegenständen zu lecken <strong>und</strong> zu<br />
schlecken, besonders wenn es sich um Flaschen handelte, hatte <strong>Susi</strong><br />
diesen zweiten Namen eingebracht.<br />
<strong>Susi</strong> sprang das erste Mal seit einigen St<strong>und</strong>en vom <strong>Fensterbrett</strong>,<br />
stupste Robi mit ihrem Kopf schmeichelnd in die Seite <strong>und</strong> sagte<br />
mit leichtem H<strong>und</strong>eakzent: „Wie geht’s Robi, was machen deine<br />
Augen?“<br />
„Ach ganz gut, danke. Die Augen sind wirklich nicht mehr die<br />
besten aber dafür funktioniert meine Nase immer noch<br />
hervorragend.“<br />
Wie zum Beweis schnupperte er ein wenig an <strong>Susi</strong>s duftigem Fell<br />
Dann setzte er sich zu ihr <strong>auf</strong> den Teppich. <strong>Susi</strong> schleckte ihm<br />
behutsam das linke Ohr an.<br />
„Wie alt bist du eigentlich Rob?“<br />
„Ich werd` wahrscheinlich bald vierzehn, wenn es draußen wieder<br />
kalt ist.“<br />
„Woher weißt du das?“<br />
„Ich habe es mir so ungefähr gemerkt. Es war bisher erst<br />
dreizehnmal richtig kalt <strong>und</strong> das weiße Wasser ging dann über eine<br />
lange Zeit nicht mehr weg. So wird wohl die Zeit gemessen. Das hat<br />
mir mal ein allerklügster H<strong>und</strong> erzählt.“<br />
„Und wie alt bin ich?“, fragte <strong>Susi</strong>, die es mit Unbehagen an die<br />
lange kalte Zeit erinnerte.<br />
„Als du zu uns kamst, hatte die warme Zeit schon angefangen. Jetzt<br />
ist es auch schon wieder etwas wärmer. Also wirst du bald eins<br />
werden, kleine Schlecki.“<br />
Robi schaute sanft zu <strong>Susi</strong>, die sein Ohr nun fast ganz abgeschleckt<br />
hatte. Eine dicke Fliege setzte sich <strong>auf</strong> <strong>Susi</strong>s Rücken, so dass diese<br />
70
unwillkürlich mit <strong>dem</strong> Fell zuckte. Die Fliege sagte etwas, doch<br />
nuschelte sie die Sprache der Vierbeiner so schlecht, dass weder<br />
<strong>Susi</strong> noch Robi sie verstehen konnten. <strong>Susi</strong> begab sich leicht<br />
tänzelnd in die Küche, während sich Robi <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Teppich<br />
ausstreckte. Es gefiel ihr, dass sie nun bald eins werden würde <strong>und</strong><br />
soviel hatte sie verstanden.<br />
Eine lange kalte Zeit <strong>und</strong> eine lange warme Zeit waren zusammen<br />
eins. Der erste Abschnitt in <strong>Susi</strong>s Leben. Doch jetzt hatte sie<br />
wirklich Hunger bekommen <strong>und</strong> schaute nach ihrem Teller. Gleich<br />
dar<strong>auf</strong> polterte es draußen <strong>auf</strong> der Treppe. Der Schlüssel drehte sich<br />
im Schloss <strong>und</strong> Teresa stand <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Flur.<br />
„Hallo <strong>Susi</strong>, hallo Robi!“<br />
Kurze Zeit dar<strong>auf</strong> kam auch Anna aus der Schule zurück. Sie war<br />
noch ins nahe gelegene Geschäft gegangen, um Milch zu besorgen.<br />
„So, hier hast du deine Milch.“ Anna stellte den Teller neben <strong>Susi</strong>,<br />
die ihr schon schmeichelnd um die Beine gefahren war.<br />
Teresa bereitete gleichzeitig das Futter vor. Robi bekam Nudeln mit<br />
Fleischstücken. <strong>Susi</strong> erhielt einen <strong>auf</strong>getauten Hering. Dann<br />
schälten sich die Kinder eine rote Mango ab. Der Saft tropfte <strong>und</strong><br />
lief ihnen durch die Finger, als sie die süße Frucht vernaschten.<br />
71
9. Die Klassenfahrt<br />
Das Gerangel um die besten Sitzplätze hielt sich in Grenzen. Die<br />
Kinder hatten schon in der Bahnhofsvorhalle kleine Gruppen<br />
gebildet. Nun stiegen sie in den Zug, der sie in die Großstadt<br />
bringen sollte. Frau Kuchenstück, Herr Teebecher sowie einige<br />
Eltern begleiteten die Mädchen <strong>und</strong> Jungen der dritten <strong>und</strong> vierten<br />
Klasse. Die Sonne war gerade so richtig <strong>auf</strong>gegangen. Obwohl es<br />
noch recht kühl war spürte man, dass der Frühling nahte.<br />
Herr Teebecher zählte noch mal alle Kinder durch. Alle da, alles<br />
stimmte. Die Fahrt begann. Diverses Obst, Joghurts, Tomaten,<br />
Gurken, Knäcke <strong>und</strong> sonstigen Brote kamen zum Vorschein. Die<br />
Kinder machten sich sogleich über ihre ´´Mampfpakete´´ her. Die<br />
Verpflegung hatten die Eltern vorher abgesprochen <strong>und</strong> größtenteils<br />
einheitlich zusammengestellt. Bis <strong>auf</strong> ein paar Bonbontüten,<br />
schmierige Schokoküsse <strong>und</strong> Klebriegel sah alles recht ges<strong>und</strong> aus.<br />
Das registrierten auch erleichtert die beiden Lehrer. Schon war die<br />
erste Haltestelle vorüber. Frau Kuchenstück beugte sich über ein<br />
Notizbuch. Dann gab sie allen, die es im nahen Umkreis verstehen<br />
konnten, nochmals die Tagesplanung bekannt.<br />
„Zuerst machen wir, wie gesagt, eine kleine Stadtbesichtigung, aber<br />
nicht zu lange. Dann geht’s <strong>auf</strong> die erste Plattform des *Münsters.<br />
Das macht Herr Teebecher mit denen, die sich’s zutrauen <strong>und</strong> von<br />
den Eltern die Erlaubnis haben. Die anderen schauen sich das Innere<br />
der Kirche an. Nach <strong>dem</strong> Mittagessen besuchen wir dann ein<br />
Museum. Mal sehen wie viel Zeit dann noch bleibt.“<br />
„Ach, es wird sich schon niemand langweilen“, ergänzte Herr<br />
Teebecher, der dazu gekommen war.<br />
73
„Außer<strong>dem</strong> ist im Museum ein ganz neuer Bereich für<br />
Gastausstellungen eingerichtet worden. Für einige Zeit sollen jetzt<br />
sogar Kunstgegenstände aus <strong>dem</strong> *Pergamonmuseum zu sehen<br />
sein“, erzählte er weiter.<br />
Begeistert beschrieb Herr Teebecher dann minutenlang einige<br />
Kunstschätze von Weltrang. Anna hörte den Ausführungen zu.<br />
Wenn Herr Teebecher erst einmal ins Reden gekommen war, dann<br />
gab es kein zurück. Es hörte sich aber wirklich alles interessant an.<br />
Sie musste dabei an Ihre Goldschätze denken, die sie sich in den<br />
Ferien gewünscht hatte. Teresa fielen die Piraten <strong>und</strong> Opas Gold<br />
auch wieder ein. Tobias, Martin <strong>und</strong> einige andere Jungs spielten<br />
``Gamegirl``. Sie hatten die Spiele un<strong>auf</strong>fällig in den Hosentaschen<br />
mit geführt.<br />
„Die Dinger werden aber nachher ausgemacht“, donnerte sie Herr<br />
Teebecher auch schon an. Dann erklang auch noch so ein dämlicher<br />
Klingelton eines Handys, dessen Verursacher aber nicht zugeordnet<br />
werden konnte.<br />
Feiner Wasserdampf, der sich in die Morgenluft erhoben hatte, lag<br />
über der Donau als beide Schulklassen in der Großstadt eintrafen.<br />
„... Lisa, Tobias, Anna.“ Frau Kuchenstück zählte die restlichen<br />
Kinder <strong>auf</strong>, die den Kirchturm des Ulmer Münsters noch mit<br />
besteigen würden.<br />
„Geht bitte auch rüber zum Herrn Teebecher!“<br />
Dann winkte sie mit <strong>dem</strong> Arm.<br />
„Alle anderen kommen mit mir mit.“<br />
Sie drehte sich um, ging als erste voran, gefolgt von ihrer Gruppe<br />
<strong>und</strong> zwei Eltern. Frau Kuchenstück wollte die Kinder einmal um die<br />
riesige Kirche führen. Dabei wollte sie etwas zu Geschichte <strong>und</strong><br />
74
Bauwerk erklären. Ansch<strong>ließ</strong>end sollten die Schüler dann Ausschau<br />
nach den anderen halten, die in der Zwischenzeit <strong>auf</strong> der<br />
Aussichtsplattform angekommen sein würden. Herr Teebecher,<br />
zwei weitere Eltern <strong>und</strong> der kleinere Teil der Kinder wagten<br />
unterdessen den Aufstieg. Teresa merkte mit einem Mal, dass ihr<br />
das Treppensteigen ganz schön in die Knie ging. Zwanzig, dreißig<br />
Meter höher wurde die Gruppe immer stiller. War zuerst noch<br />
lautes Schwatzen zu hören, lugte man nun immer vorsichtiger durch<br />
die offenen Teile des Gemäuers nach unten. Herr Teebecher legte<br />
eine kleine Pause ein. Er erklärte Baustil <strong>und</strong> Anlass der Errichtung<br />
der Kirche.<br />
Die starken Wände mit den großen harten Steinen würden durch das<br />
ungeheure Gewicht <strong>und</strong> die meisterliche Bauart halten. Teresa<br />
stellte sich vor was passieren würde, wenn so ein ungeheurer Stein<br />
heraus bräche.<br />
Um sich von der Höhe abzulenken, erzählte sich Anna mit Lisa.<br />
„Das macht ihr nichts aus, dass sie allein zu hause ist. Sie ist doch<br />
schon groß. Was denkst du, wie <strong>Susi</strong> schon die Bäume hoch klettert.<br />
Ihre Augen leuchten sogar im Dunkeln“<br />
Hat <strong>Susi</strong> denn keine Angst, dass sie runterfällt?“, entgegnete Lisa<br />
ängstlich.<br />
„Nee, die hat doch Krallen. Damit ..., och mir wird schlecht. Lisa,<br />
guck bloß nicht runter!“<br />
„Nicht nach unten gucken“, rieten jetzt auch die Erwachsenen.<br />
Anna nahm es sich fest vor. Teresa sagte gar nichts mehr. Sie war<br />
fast die Jüngste. Dennoch wollte sie durchhalten. Die kleinen engen<br />
Treppen<strong>auf</strong>gänge breiteten sich aus. Schon erreichte man die erste<br />
Aussichtsplattform. Gut spürbar pfiff der Wind durch die offenen<br />
Mauern. Von oben sah eben doch alles schon ganz anders aus.<br />
75
„Wir sind so vierzig Meter hoch, höchstens“, erklärte jemand.<br />
„Es geht aber noch an die h<strong>und</strong>ert Meter weiter hin<strong>auf</strong>, glaube ich“,<br />
fügte Herr Teebecher hinzu. Er sprach nun aber auch nicht mehr<br />
ganz so laut.<br />
Die Aussicht war aber auch aus dieser Höhe schon prächtig. Die<br />
Kinder erkannten, wo sie vorhin gewesen waren. Sie beobachteten<br />
die Menschen, die unter ihnen <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> großen Platz umher liefen.<br />
Eine Gruppe winkte Ihnen begeistert zu.<br />
Teresa zeigte nach unten. Sie konnte deutlich die Gesichter ihrer<br />
Schulkameraden erkennen. Nun freute sie sich besonders, dass sie<br />
<strong>auf</strong> den Turm mitgegangen war.<br />
Zu Mittag gab es Nudeln mit Tomatensoße vom nahe gelegenen<br />
Imbißladen. Die Kinder tauschten sich über ihre Erlebnisse aus.<br />
Nächstes Jahr oder schon vorher, vielleicht mit den Eltern, wollte<br />
man wieder kommen. Nach ein paar kräftigen Schluck zu trinken<br />
ging es dann weiter.<br />
Das große Stadtmuseum lag ein paar Straßen entfernt. Zu Fuß gut<br />
erreichbar, liefen die Kinder in kleinen Gruppen die Innenstadt<br />
entlang.<br />
Wie aus einer anderen Welt empfing sie das Museum. Im<br />
mittelalterlichen Stil, gab es die interessantesten <strong>und</strong> seltensten<br />
Gebrauchsgegenstände der Vergangenheit zu betrachten. Uralte<br />
Tassen, Tröge, jeglicher erdenkliche Haushaltskram <strong>und</strong> die<br />
merkwürdigsten Utensilien der früheren Generationen waren dabei.<br />
Gekennzeichnet waren all die Ausstellungstücke mit Angabe zu<br />
Verwendungszweck <strong>und</strong> geschätztem Herstellungsjahr. Dazu kamen<br />
Schmuck, Münzen, Gemälde ja sogar Waffen. Sogar eine eigene<br />
Bibliothek mit kleinen verwinkelten Zimmern gab es im Keller des<br />
76
Museums. Darin waren Bücher zu finden, die mit ihren<br />
verschnörkelten Buchrücken aussahen, als wären sie aus der Gruft<br />
der Ewigkeit daselbst geschöpft. Das Museum war für<br />
Leihausstellungen erweitert worden. Herr Teebecher fand dann<br />
auch einige wahre Schätze, wie er sagte, aus <strong>dem</strong><br />
Pergamonmuseum. Diese Leihgaben schienen aber so wertvoll zu<br />
sein, dass sie durch Absperrungen <strong>und</strong> Glasscheiben geschützt<br />
wurden. Herr Teebecher begeisterte sich sofort. Er begann eifrig,<br />
die meist goldglänzenden Schätze unter die Lupe zu nehmen. Die<br />
meisten Kinder umringten ihn. Sie staunten gemeinsam über die<br />
kunstvoll gearbeiteten Sachen aus einer anderen Zeit.<br />
(Du solltest auch mal in so ein Museum fahren! Wer? Ja Du!)<br />
Anna folgte <strong>auf</strong>merksam den Erklärungen von Frau Kuchenstück.<br />
Sie erzählte gerade über die schwierigen Lebensbedingungen im<br />
späten Mittelalter. Die Herstellung von Stoffen, Kleidern sowie<br />
ganz normalen Gebrauchsgegenständen zählte damals zu den<br />
<strong>auf</strong>wendigen, mühevollen Arbeiten der Menschen. Krankheiten <strong>und</strong><br />
Seuchen machten das tägliche Handwerk der einfachen Leute<br />
besonders erschwerlich. Dazu kamen immer wieder kriegerische<br />
Auseinandersetzungen der Völker, deren Anlässe oft mit <strong>dem</strong><br />
dogmatischen Weltbild ihrer Religionsführer <strong>und</strong> Herrscher<br />
zusammen hingen.<br />
Die Lehrerin erzählte:<br />
„Die Menschen waren zu unwissend. Eine große Rolle spielte auch<br />
der Aberglaube. Viele glaubten damals an Hexen, Geister <strong>und</strong><br />
Dämonen. Dieser Aberglaube bildete möglicherweise die Gr<strong>und</strong>lage<br />
für die späteren Märchen.“<br />
Frau Kuchenstück wurde jetzt mehr <strong>und</strong> mehr von einer Schar<br />
neugieriger Kinder umgeben. Sie freute sich über das rege Interesse.<br />
77
„Gab es denn dort keine Schulen?“, fragte Lisa.<br />
„Aber Ärzte gab es doch bestimmt, wegen den Krankheiten!“, rief<br />
Martin dazwischen.<br />
„Es gab schon Ärzte. Nur waren sehr viele Krankheiten unbekannt.<br />
Bakterien, die Seuchen auslösten, ihr wisst ja die unsichtbaren<br />
Mikroorganismen, konnten erst viel später entdeckt werden.“<br />
„Als das Mikroskop erf<strong>und</strong>en wurde?“, fragte Martin wieder.<br />
„Ja, erst dann. Und deshalb wurden damals auch so viele Menschen<br />
schwer krank. Sie erkrankten an Infektionen, die heute längst<br />
heilbar sind.“<br />
„Ach so.“<br />
„Ein paar Schulen gab es natürlich auch schon, Lisa. Oftmals<br />
mussten die Eltern aber Schulgeld an den Lehrer bezahlen, wenn sie<br />
überhaupt Geld dafür hatten. Erst dann konnten die Kinder<br />
Unterricht erhalten. Die Schulzeit war zu<strong>dem</strong> recht kurz, nur das<br />
Nötigste. Oft auch mussten die Kinder den Eltern zu hause helfen<br />
oder frühzeitig in den Städten arbeiten. Nur so konnten sich viele<br />
ernähren <strong>und</strong> hatten ein kleines Auskommen. F<strong>ließ</strong>endes Wasser,<br />
Heizung, Strom <strong>und</strong> vieles was ihr aus der heutigen Zeit gewohnt<br />
seit, gab es einfach noch nicht.“<br />
„Kein Fernsehen, kein Gamegirl oder wenigstens Kino?“, rief<br />
Tobias mit entsetzter Stimme.<br />
Er war etwas ins Nachdenken gekommen über sein Butterbrot mit<br />
``nur Käse`` dr<strong>auf</strong>. Er hatte das Käsebrot vorhin achtlos<br />
weggeworfen.<br />
„Nein“, lachte Frau Kuchenstück, „nicht mal ´ne Schallplatte.“<br />
„Gamegirl im Mittelalter? Also wirklich Tobias. Du hast aber heute<br />
wirklich einen an der Waffel!“, empörte sich Maja in Richtung<br />
Tobias.<br />
78
Martin stupste den Fre<strong>und</strong> an. Damit gab er ihm zu verstehen, dass<br />
er sich vor den Mädchen nicht so blamieren dürfe. Tobias schaute<br />
verärgert zurück. Dann holte er sich erst mal einen Schokoriegel<br />
``Dickers`` raus.<br />
„Und was ist eine Schallplatte?“, wollte Silvana nun wissen.<br />
Fragend drehte sie sich zu Martin um.<br />
„Ja eine Platte halt, mit Schall dr<strong>auf</strong>. Ist doch ganz einfach.“<br />
Martin reckte beim Sprechen den Kopf nach oben. Er bemühte sich,<br />
seinen besten ``Durchsehblick`` abzugeben. Frau Kuchenstück fiel<br />
für einen kurzen Moment die so genannte „Pisastudie“ ein.<br />
Silvana <strong>und</strong> ein Teil der Kinder schauten aber so, als genüge ihnen<br />
Martins Erklärung zur Schallplatte. Nur einige lachten.<br />
Anna fragte: „Frau Kuchenstück?“<br />
„Ja Anna?“<br />
„Sie meinen also, die Märchen sind dann aus <strong>dem</strong> Aberglauben der<br />
Leute an Geister <strong>und</strong> Hexen entstanden?“<br />
„Ich glaube schon. Vieles hat man sich im L<strong>auf</strong>e der Zeit dazu<br />
gereimt oder ausgedacht. Ein paar Wahrheiten sind auch noch mit<br />
eingeflossen. Dadurch entstanden dann die Sagen oder die Märchen,<br />
so wie sie bis heute überliefert sind.“<br />
Frau Kuchenstück nickte nachdenklich. Anna kannte schon viele<br />
Märchen. In einigen ging es sogar recht brutal zu. Andere Märchen<br />
dagegen waren wirklich zauberhaft. Auf jeden Fall machte es Spaß,<br />
Märchen zu lesen. Anna fühlte sich hier im Museum, inmitten der<br />
uralten Sachen, der Märchenwelt näher als sonst irgendwo.<br />
„Na ja, das sind eben nur Märchen, fern der Wirklichkeit. Aber wie<br />
ihr seht Kinder hat es die Dinge, die hier ausgestellt sind, früher<br />
wirklich gegeben. Kommt, wir gehen weiter!“<br />
79
„Teresa?“<br />
„Teereesa! Habt ihr Teri gesehen?“<br />
Anna schaute fragend um sich. Sie wartete <strong>auf</strong> ihre kleine<br />
Schwester. Der R<strong>und</strong>gang durch das Museum war fast vorbei. Die<br />
kleinen, verstreuten Gruppen der Kinder trafen sich nun wieder in<br />
der Nähe des Eingangs. Die Mädchen erzählten sich über die vielen<br />
Schmucksachen <strong>und</strong> die goldbestickten Stoffe; die Jungs<br />
schwärmten von den alten Schwertern <strong>und</strong> Rüstungen.<br />
Kurz zuvor:<br />
Teresa bew<strong>und</strong>erte auch einige Sachen. Anfangs war sie noch<br />
intensiv mit einigen Mitschülern im Museum herum geschlendert.<br />
Weil aber alles so fertig hingestellt aussah, war es ihr mit der Zeit<br />
immer langweiliger geworden. Ihr fehlte irgendwie die Bewegung<br />
in der Ausstellung. Nun, nach h<strong>und</strong>erten Metallschüsseln <strong>und</strong><br />
ähnlichen Sachen, wollte sie lieber selbst etwas erk<strong>und</strong>en oder<br />
Pause machen.<br />
„Ich geh mal <strong>auf</strong> Toilette. Bis gleich.“<br />
„Die ist im Keller, bei der alten Bibliothek, Teresa!“, rief ihr<br />
jemand zu.<br />
„Gut.“<br />
Also beschloss sie, zuerst <strong>auf</strong> die Toilette zu gehen. Leicht<br />
summend spielte sie ein bisschen am Wasserhahn herum. Dann<br />
klappte sie die Tür rhythmisch hin <strong>und</strong> her <strong>und</strong> stellte fest, dass die<br />
Tür anders als der Klodeckel klang.<br />
Auf <strong>dem</strong> Flur hatte jemand das Licht ausgemacht. Aber dort hinten<br />
war es ja heller. Teresa bewegte sich in Richtung Lampenlicht.<br />
Erstaunt darüber, dass sie nicht <strong>auf</strong> die Treppe gelangt war, fand sie<br />
sich in einem verwinkelten, niedrigen Raum mit Regalen, voll von<br />
Büchern wieder. Von ihren Mitschülern keine Spur. Sie ging ein<br />
80
paar Schritte weiter. Neugierig schaute sie sich um. Der Raum war<br />
zwar nicht hoch, schien aber trotz<strong>dem</strong> groß zu sein. Er dehnte sich<br />
mit vielen Nischen <strong>und</strong> Ecken soweit aus, dass Teresa kein Ende<br />
erkennen konnte. Wahrscheinlich waren die Kellergewölbe<br />
untereinander verb<strong>und</strong>en. Überall standen alte Holz oder<br />
Metallregale, die bis an die Decke reichten. Die Mitte des Raumes<br />
war mit mehreren Regalreihen zugestellt, so dass auch hier nur ein<br />
schmaler Hauptgang blieb. Schwarzbraune Buchrücken mit<br />
verstaubten Einbänden schimmerten im Dusellicht. Es roch leicht<br />
schimmlig. Auch die Luft war hier viel kühler als oben. Aus<br />
gelblichen Lampen leuchteten die wenigen Glühbirnen nur schwach<br />
von der Decke. Zu<strong>dem</strong> war die Decke an vielen Stellen mit<br />
Spinnweben übersät. Teresa schauderte es. Sie stand hier allein im<br />
Keller, inmitten uralter Bücher. Ihr fiel der Friedhof wieder ein <strong>und</strong><br />
sie wünschte sich, Anna wäre wenigstens bei ihr. In diesem Moment<br />
hörte sie Schritte die sich rasch näherten.<br />
„Na, wenigstens ein paar Leute“, dachte sie. Sogleich fühlte sie sich<br />
nicht mehr so allein. Eigentlich wäre sie ja sofort umgekehrt. Doch<br />
wenn ein paar Leute kamen, konnte sie es in <strong>dem</strong> düsteren Raum ja<br />
noch etwas aushalten. Spannend war es noch dazu. Sie wollte sich<br />
aber nicht entdecken lassen. Deshalb huschte sie schnell einige<br />
Reihen weiter in eine Lücke, hinter die Regale. Zur Not wollte sie<br />
sagen, dass sie sich verl<strong>auf</strong>en hätte.<br />
Zwei Männer betraten den Raum. Stimmen erklangen:<br />
„Mach aber die Tür zu! Komm! Es muss hier irgendwo sein. Was<br />
sagen die Koordinaten?“<br />
„Sie haben dieses Haus ermittelt.“<br />
„Dann müssen wir suchen. Los, fangen wir hinten an!“<br />
81
Die Tür fiel zu. Teresa <strong>saß</strong> in ihrem Versteck. Die Männer gingen<br />
los <strong>und</strong> steuerten einige Meter an Teresa vorbei, quer durch den<br />
Raum, zum hinteren Teil des Gewölbes. Das Licht einer<br />
Taschenlampe flammte <strong>auf</strong>.<br />
Teresa bemerkte plötzlich ein leichtes Herzklopfen. Sie drückte sich<br />
eng in den kleinen Zwischenraum in <strong>dem</strong> sie stand. Kalt spürte sie<br />
die Wand hinter sich. Sandiger Putz rieselte <strong>auf</strong> ihre Haare. Wieder<br />
erklangen die Stimmen: „Und wenn jemand merkt, dass es weg<br />
ist?“<br />
„Ach was, es ist doch nur zeitlich hier. Es ist überhaupt nicht<br />
registriert. Wenn ich es erst gef<strong>und</strong>en habe sind wir sicher.“<br />
Teresa hörte das Geräusch, von sich <strong>auf</strong>einander stapelnden<br />
Büchern. Sie versuchte etwas zu erkennen <strong>und</strong> strengte sich an,<br />
durch die Regale hindurch zu sehen. Um sich einen schlitzbreit<br />
Platz zu verschaffen, schob sie einige Bücher zur Seite. Die Bücher<br />
waren groß <strong>und</strong> schwer. Sie trugen verschnörkelte Aufschriften,<br />
teils in goldiger Schrift. Die Aufschriften vermochte Teresa nicht zu<br />
entziffern.<br />
„Klatsch“. Ein Buch war weg gerutscht <strong>und</strong> zur Seite umgefallen.<br />
Teresa spürte jetzt deutlich ihren Herzschlag. Sie duckte sich sofort<br />
wieder tief in ihre Ecke.<br />
„Huch, auweia. Ich bin ein Mäuschen, ja nur ein kleines, lalalala“,<br />
flüsterte sie sich selbst zu.<br />
„Hast du das gehört, da drüben?“<br />
„Was ist denn nun schon wieder? Nimm mir mal die Bücher von<br />
oben ab <strong>und</strong> suche dann da drüben weiter!“<br />
„Hast du nicht das Klappern da gehört?“<br />
82
„Nein, habe ich nicht. Mensch, hier gibt es doch bestimmt auch<br />
Mäuse. Schon mal gehört davon? Außer<strong>dem</strong> hab ich ´ne Kanone<br />
mit“<br />
„Ich geh trotz<strong>dem</strong> mal gucken, oder?“<br />
„Nun bleib bloß bei dir, wegen <strong>dem</strong> bisschen Rascheln. Mach jetzt<br />
endlich! Wir müssen das Kastenbuch finden. Gucke nach einem<br />
Metallrücken mit einer Katze dr<strong>auf</strong>! Fass es aber bloß nicht an! Das<br />
mache ich mit einem Spezialhandschuh.“<br />
„Ja, gut Boss.“<br />
Teresa hatte jedes Wort gehört. Die eine Stimme klang hart <strong>und</strong><br />
gereizt. Die andere Stimme hörte sich eher leicht einfältig an. Zu<br />
gern hätte sie sich jetzt oben noch h<strong>und</strong>erte Metallteller oder<br />
Schüsseln angeschaut. Minuten waren erst vergangen. Es kam ihr<br />
trotz<strong>dem</strong> endlos lange vor. Sie überlegte: Die beiden Männer<br />
suchten also ein ganz bestimmtes Buch. Vom Museum konnten sie<br />
aber kaum sein. In der Art wie sie sprachen, passten die beiden eher<br />
in die alten Gangsterfilme, von denen sie schon einige gesehen<br />
hatte. Und der eine hatte wirklich Kanone gesagt. Teresa schluckte<br />
<strong>und</strong> merkte, wie sie eiskalte Hände bekam. Noch hatten die Männer<br />
sie nicht bemerkt. Sollte sie sich zeigen? Das wäre aber viel zu<br />
gefährlich. Teresa beschloss deshalb weiter auszuharren, komme<br />
was da wolle. Was mochten die bloß suchen. Ein Kastenbuch? Was<br />
sollte das bloß sein?<br />
Erneut erklang eine Stimme: „Der Koordinator ist aber auch nicht<br />
perfekt. Zuerst schickt er uns in ein Kornfeld <strong>und</strong> jetzt in diese<br />
dunkle, gruftige Bibliothek. Verflucht! Alles nur wegen der<br />
verdammten Tarnung.“<br />
In diesem Moment öffnete sich die Tür. Zwei Damen sowie ein<br />
elegant gekleideter Herr betraten den vorderen Teil der alten<br />
83
Bibliothek. Sie sprachen englisch, wie Teresa erkannte.<br />
Wahrscheinlich waren es Touristen, die sich für alte Bücher oder<br />
Schriften interessierten. Die Damen vertieften sich zusehends in ein<br />
Gespräch mit <strong>dem</strong> Herrn. Dabei begannen sie gemeinsam, einige<br />
Bücher in den vorderen Regalen <strong>auf</strong>zuschlagen. Teresa schielte<br />
angespannt durch die Regale. Plötzlich erklang leise die<br />
ungeduldige Stimme eines der Männer: „Mist noch mal! Die stehen<br />
wie die Götzen da vorn herum. Das bringt heute nichts mehr. Los,<br />
pack zusammen, wir hauen ab! Später suchen wir weiter.“<br />
Teresa hörte die Stimmen <strong>und</strong> Geräusche der Männer nur wenige<br />
Meter von sich entfernt. Bücher wurden hastig wieder <strong>auf</strong>gestapelt.<br />
Die Taschenlampe erlosch. Sie sah kurz <strong>auf</strong> den Hauptgang hinüber.<br />
Im Halbdunkel erkannte sie zwei, in lange Mäntel gekleidete<br />
Gestalten, die hastig an ihr vorbei eilten. Die Touristen im vorderen<br />
Teil des Raumes nahmen kaum Notiz. Schon klappte die Tür <strong>und</strong><br />
die Männer waren verschw<strong>und</strong>en.<br />
Teresa fiel ein Stein vom Herzen. Sie atmete erst einmal tief durch.<br />
Dann trat sie vorsichtig aus der Nische zwischen den Regalen<br />
hervor. <strong>Susi</strong> fiel ihr ein. Zum Glück würde sie ihr Kätzchen bald<br />
wieder sehen. Ihr Schuh war <strong>auf</strong>gegangen. Sie bückte sich, um die<br />
Schnürsenkel zu binden. Da rollten ihre zuckerfreien Bonbons aus<br />
der Hosentasche heraus <strong>und</strong> blieben einige Meter weiter, kurz vor<br />
<strong>dem</strong> Hauptgang liegen. Mit offenem Schuh hob Teresa die Bonbons<br />
<strong>auf</strong>, wäre fast weiter gegangen, hockte sich nun aber doch hin. Und<br />
da sah sie es, beim Binden des Schnürsenkels. Es stand direkt vor<br />
ihr, in der vorletzten Reihe des Regals, ganz unten, kurz über <strong>dem</strong><br />
Fußboden. Auf <strong>dem</strong> Buchrücken war deutlich die Kontur einer<br />
Katze zu erkennen. Das Buch sah merkwürdig metallisch aus. Es<br />
waren auch keine Papierseiten zu sehen. Nein, es erinnerte eher an<br />
84
zwei zusammengelegte Deckel oder eine Kassette. Die Kontur der<br />
Katze war goldfarben, der Einband oder die Oberfläche schwarzsilbrig.<br />
Teresa überlegte wie merkwürdig das Buch doch aussehe. So eines<br />
hatte sie noch nie gesehen. Ihr fiel das Wort ``Kastenbuch`` der<br />
beiden Männer ein, das sie kurz zuvor gehört hatte.<br />
„Na, anfassen kann aber nicht schaden, wenn ich schon mal hier<br />
bin“, sagte sie dann zu sich selbst. Dabei spähte sie nach allen<br />
Seiten. Sie würde es auch gleich wieder zurück stellen. Überdies<br />
machte sie die Katze <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Buchrücken neugierig.<br />
Teresa griff mit der rechten Hand zu, spürte ein leichtes Kribbeln<br />
<strong>auf</strong> der Haut <strong>und</strong> zog das Buch aus <strong>dem</strong> Regal in der alten<br />
Bibliothek. Ein Kälteschauer durchfuhr sie. Das Metall fühlte sich<br />
hart <strong>und</strong> kalt an, noch kälter als Teresas Hände. Ansonsten tat sich<br />
aber nichts. Es gab weder Seiten zum Blättern, noch konnte man das<br />
Buch irgendwie öffnen. Teresa bemerkte aber eine feine Naht,<br />
welche sich längs <strong>und</strong> gleichmäßig um den Bereich des Buches zog,<br />
wo eigentlich die Seiten sein sollten. Wahrscheinlich doch eine Art<br />
Klappstelle, dachte sie. Auf der Vorderseite des Einbandes<br />
erkannte sie eine geometrische Figur, die sie schon einmal in der<br />
Schule gesehen hatte. In der Figur gab es noch eine andere Figur,<br />
aber in umgekehrter Form. Beide Figuren waren wie eingraviert.<br />
Mit <strong>dem</strong> Finger <strong>ließ</strong>en sich die Linien wie Abdrücke erfühlen.<br />
Teresa drehte <strong>und</strong> wendete das so seltsame ``Kastenbuch`` nach<br />
allen Seiten. Was sollte wohl die Katze <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Buchrücken<br />
bedeuten? Es war einfach auch zu dunkel, um Details genau zu<br />
erkennen. Vorn standen auch noch die Leute oder Touristen.<br />
Außer<strong>dem</strong> konnte niemand wissen, ob <strong>und</strong> wann die Männer<br />
zurückkommen würden. Eben ein altes, merkwürdiges Buch dachte<br />
85
Teresa bei sich. Langsam wurde sie etwas ruhiger. Oben würde man<br />
bestimmt schon <strong>auf</strong> sie warten. Das Erlebte reichte ihr nun völlig.<br />
Auch fühlte sie sich plötzlich sehr allein. Schnell stellte sie das<br />
eigenartige Buch zurück, schob es aber ein Stück tiefer ins Regal,<br />
als sie es vorgef<strong>und</strong>en hatte.<br />
Dann schlich sie langsam <strong>dem</strong> Ausgang entgegen. Eine Dame<br />
bemerkte sie <strong>und</strong> schaute sie durch ihre große Brille verw<strong>und</strong>ert an.<br />
Teresa sagte schnell:<br />
„WC, äh Waterclosed“, <strong>und</strong> verschwand flugs durch die Tür.<br />
Erleichtert erkannte sie den richtigen Weg <strong>und</strong> erreichte fröstelnd<br />
den Aufgang.<br />
„Sie kommt da hinten, Anna!“<br />
Anna drehte sich zu Martin um, der ihr zugerufen hatte.<br />
„Ach ja, ich sehe sie, zum Glück. Danke, Martin!“ Teresa kam<br />
heran <strong>und</strong> <strong>auf</strong>geregt redete Anna weiter:<br />
Wir wären fast ohne dich losgegangen. Wo warst Du bloß, Teresa?“<br />
„Auf der Toilette <strong>und</strong> dann hab ich Bücher angeguckt, als die<br />
Männer gekommen sind.“<br />
„Welche Männer denn?“, fragte Anna weiter.<br />
„Na die, die das Kastenbuch gesucht haben, mit der Katze dr<strong>auf</strong>.“<br />
„Was für ein Buch?“<br />
„Na das Kastenbuch aus Metall oder aus Gold oder was weiß ich.“<br />
„Geht’s dir auch wirklich gut Teresa?“, erk<strong>und</strong>igte sich Anna mit<br />
vorsichtigbesorgtem Blick.<br />
Frau Kuchenstück war auch dazu gekommen. Sie fasste Teresa an<br />
die Stirn. „Fühlt sich so eigenartig kalt an. Also Fieber ist es nicht.“<br />
„Mir ist nur kalt“, zitterte Teresa. „Hunger habe ich auch.“<br />
86
Teresa wurde nun durch die Reihen der Kinder gelotst <strong>und</strong> erhielt<br />
viele teilnahmsvolle Blicke. Tobias schenkte ihr extra einen<br />
``Dickers``. Nach einem Weilchen erholte sie sich wieder von ihrem<br />
Kellerausflug.<br />
Kurze Zeit später wurde durchgezählt <strong>und</strong> die Schüler ver<strong>ließ</strong>en das<br />
Museum. Unterwegs wurde in Unmengen erzählt, geschwatzt <strong>und</strong><br />
getratscht. Die Kinder hatten insgesamt einen schönen Tag erlebt.<br />
Sie waren viel gel<strong>auf</strong>en, hatten viel Neues gesehen. Die Lehrer <strong>und</strong><br />
Eltern waren zufrieden. Noch bevor die Abendsonne die Wolken<br />
am Horizont in ihr rotes Licht hüllte, war die Heimfahrt geschafft.<br />
Jeder freute sich <strong>auf</strong> sein Zuhause.<br />
87
10. Das geheimnisvolle Kastenbuch<br />
„Gib es sofort her! Soll ich erst meine Kanone raus holen? Mach<br />
Kleine! Ich bekomme es sowieso.“<br />
Düsteres Licht, Spinnweben, dazwischen faustgroße Spinnen. Die<br />
starrten sie mit gelben Augen an. Eine riesige Gestalt mit<br />
schwarzem Mantel beugte sich nieder. Sie wollte fliehen. Es ging<br />
nicht. Nur weg. Mit aller Kraft stemmte sie sich vom Buchregal ab.<br />
Da war der Kopf, verdeckt von einem großen Hut, ganz nahe<br />
88
gekommen. Zwei knochige Hände griffen nach ihr. Voll Entsetzen<br />
schaute sie unter den Hut der Gestalt. Anstelle des Gesichts klaffte<br />
ein schwarzes Loch. Sie strampelte. Das Buchregal fiel um. Ein<br />
silbriges Buch mit einer Katze dar<strong>auf</strong> leuchtete unwirklich <strong>auf</strong>. Das<br />
Buch rutschte weg. Aber die knochigen Hände kamen wieder näher.<br />
Nur weg ... dahinter zum Licht.<br />
Teresa war hoch geschreckt. Als sie richtig zu sich kam, <strong>saß</strong> sie<br />
kerzengerade im Bett. Ihre Stirn war nass geschwitzt. Anna stand<br />
am Lichtschalter, den sie wohl gerade betätigt hatte.<br />
„Du hast so im Bett herum gewackelt, dass ich dachte, ich mache<br />
lieber das Licht an. Gesprochen hast du auch irgend etwas. Geht’s<br />
dir gut?“<br />
„Ja, ja ich glaub wegen <strong>dem</strong> Buch, Anna. Ein schlechter Traum<br />
meine ich. Ich hab dir ja gestern noch von den Männern da im<br />
Museum erzählt.“<br />
Teresa war jetzt ganz wach geworden. Sie atmete immer noch<br />
hastig. Doch das Licht im Zimmer wirkte beruhigend. Sie trank<br />
einen Schluck Mineralwasser. Dann überprüfte sie schnell ihre<br />
Kuscheltiere, die durchaus noch an ihrem Platz waren. Auch <strong>Susi</strong><br />
lag zusammengerollt <strong>auf</strong> ihrer Decke.<br />
„Du Anna, wie spät ist es denn?“<br />
Anna war inzwischen wieder zurück ins Bett gekrochen. Sie<br />
schliefen beide in einem Doppelstockbett. Von oben entgegnete sie:<br />
„Es ist gleich halb fünf, Teri. Wir haben noch Zeit. Komm schlaf´<br />
weiter! Wir lassen die kleine Lampe an.“<br />
Erst jetzt fiel Anna ein, dass auch sie irgendetwas von einem<br />
silbrigen Buch geträumt hatte. Wahrscheinlich kam es von Teresas<br />
Erzählung.<br />
„Du Teri, hat das Buch bei dir im Traum auch so geleuchtet?“<br />
89
„Wieso? Hast du auch was geträumt? Meinst du wie Silber<br />
geleuchtet?“ Teresa setzte sich wieder <strong>auf</strong>.<br />
„Ja so ähnlich aber auch gelb <strong>und</strong> die Katze hat wie Gold<br />
geglänzt?“<br />
„Ja, die Katze war wie aus Gold! Das Buch ist dazu immer so<br />
geschwebt, nicht? Woher weißt du das, Anna?“<br />
„Keine Ahnung, Teri. Ist ja verrückt, was? Ein Schwebebuch das<br />
leuchtet. Und jetzt haben wir fast noch das Gleiche geträumt.“<br />
Anna <strong>saß</strong> nun auch in ihrem Bett. Die Mädchen unterhielten sich<br />
weiter über ihre merkwürdigen Träume.<br />
„Du hast doch gesagt, da wäre so ein Dreieck oben gewesen,<br />
nicht?“<br />
„Ja <strong>und</strong> noch ein kleines Dreieck in <strong>dem</strong> großen drin. Das<br />
Katzenzeichen war ja nur <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Buchrücken.“<br />
„Hast du was mit <strong>dem</strong> Buch gemacht, Teri?“<br />
„Nein, es ging ja nicht <strong>auf</strong>. Ich hab es bloß angefasst <strong>und</strong> ein paar<br />
Mal umgedreht.“<br />
„Komisch, na ja das ist eben die Aufregung. Du hast dich bestimmt<br />
zu sehr gefürchtet. Komm, wir stehen <strong>auf</strong>! Es ist gleich sechs Uhr.<br />
Ich kann sowieso nicht mehr schlafen. Da kann ich gleich noch ein<br />
bisschen für Mathe lernen."<br />
„Mir ist schon wieder so kalt, Anna. Ich werde gleich warme Milch<br />
trinken.“<br />
Die Mädchen erhoben sich aus den Betten. Beim Zähneputzen<br />
trafen sie <strong>auf</strong> ihre Eltern, die auch gerade <strong>auf</strong>gestanden waren.<br />
„Na ihr zwei, so früh <strong>auf</strong>? Wollt ihr warme oder kalte Milch, oder<br />
lieber Tee?“, fragte der Papa.<br />
„Ganz viel warme Milch mit Honig, bitte.“<br />
„Für mich kalte Milch bitte“, bestellte Anna.<br />
90
Zum Frühstück gab es dann Haferflocken, Quark, ein paar Stücke<br />
frische Ananas sowie die gewünschten Getränke.<br />
„Du siehst aber heute recht blass aus, Teresa?“<br />
Die Mama war ins Zimmer gekommen. Besorgt schaute sie ihre<br />
Tochter an.<br />
„Tut dir was weh? Oder hast du dich vielleicht erkältet, bei eurer<br />
Reise gestern?“<br />
„Nee, mir ist nur so kalt. Ich weiß auch nicht warum.“<br />
Die Mama nahm Teresas Hand <strong>und</strong> sagte:<br />
„Die ist wirklich eiskalt. Na wenn’s nicht besser wird oder du<br />
bekommst Fieber, dann gehen wir vielleicht doch mal zum Arzt.<br />
Deine Augen glänzen auch ein bisschen. Vielleicht eine Art<br />
Schüttelfrost.“<br />
Teresa trank zwei Tassen ihrer warmen Milch. Sie fühlte sich sofort<br />
besser. Ihr kam es aber vor, als würde nicht der Frühling sondern<br />
der Winter beginnen. Irgendwie sehnte sie sich ganz unbewußt<br />
nach jeder Art von Wärme.<br />
„Teresa kannst du mir heute mal dein Dreieck borgen? Ich finde<br />
meines nicht“, rief Anna aus <strong>dem</strong> Kinderzimmer.<br />
„Ja, guck mal in meine Schultasche, vorn irgendwo.“<br />
Anna suchte in der Tasche ihrer Schwester. Sie konnte aber auch<br />
dort kein Dreieck finden. Wo die Dinger bloß sind, dachte sie.<br />
Gerade heute würde sie zum Zeichnen für Geometrie so ein Dreieck<br />
benötigen. Da fiel ihr Blick <strong>auf</strong> die Rucksäcke, die sie gestern beim<br />
Ausflug benutzt hatten. Ein paar Malstifte nahmen sie ja immer mit.<br />
Aber die Zeichendreiecke? Anna öffnete aber doch ihren Rucksack,<br />
um sich zu vergewissern. Ein Block <strong>und</strong> ein paar Stifte kamen ihr<br />
entgegen. Danach griff sie in Teresas Rucksack <strong>und</strong> fand auch kein<br />
Dreieck. Plötzlich fühlte sie unter irgendwelchen Stoffteilen etwas<br />
91
Hartes. Bestimmt hatte Teresa wieder mal irgendwelche Dosen,<br />
Löffel oder sonst etwas über Wochen gehortet <strong>und</strong> nicht<br />
ausgepackt. Anna griff tiefer. Sie zog die Stoffstücken mitsamt<br />
einem recht schweren Gegenstand aus <strong>dem</strong> Rucksack. Nun aber<br />
erschrak sie <strong>und</strong> erstarrte <strong>auf</strong> der Stelle. Dann riss sie die Augen<br />
<strong>auf</strong>. In ihrer Hand, unter einer alten Strumpfhose kam ein silbrig<br />
glänzendes Buch zum Vorschein. Es ähnelte der Verpackung einer<br />
Videokassette oder buchartigen Schatulle. Anna konnte deutlich das<br />
Profil einer Katze <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> uralten Buchrücken erkennen. Die Katze<br />
glänzte goldfarben. Annas Hände zitterten vor Aufregung. Deutlich<br />
spürte sie eine Welle der Kälte, die in sie strömte. Anna brachte<br />
kein Wort heraus <strong>und</strong> spreizte die Finger reflexartig nach vorn aus.<br />
Sie <strong>ließ</strong> das Buch einfach wieder zurück in den Rucksack fallen.<br />
Dann schob sie diesen mit <strong>dem</strong> Fuß in eine Ecke <strong>und</strong> stellte noch<br />
einen Stuhl davor. Gebannt starrte sie noch zweimal in die Ecke mit<br />
<strong>dem</strong> Sack. Ihre Schwester würde doch nicht etwa ... Fluchtartig<br />
ver<strong>ließ</strong> sie dann das Zimmer.<br />
„Nein hab ich wirklich nicht, Anna! Glaub mir doch! Ich hab es<br />
gleich wieder zurück gestellt. Wirklich!“<br />
Teresa kullerten die Tränen die Wange hinab. Sie standen etwas<br />
abseits <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Schulhof. Die große Pause war fasst vorbei. Anna<br />
sprach eindringlich mit ihrer Schwester. „Vielleicht wolltest du es<br />
nur zurück stellen oder das Buch ist aus Versehen in den Rucksack<br />
gerutscht. Du hast dich doch gebückt, oder?“<br />
„Ja schon. Der Rucksack war aber die ganze Zeit <strong>auf</strong> meinem<br />
Rücken. Ich wollte da unten so schnell wie möglich weg. Ich hab’s<br />
nicht mitgenommen.“<br />
92
Teresa schüttelte wiederholt den Kopf. Dann sah sie Anna mit<br />
verweinten Augen unglücklich an.<br />
Anna sah den hilflosen Blick in ihren Augen. Ihre Schwester hatte<br />
mal ein paar Kaugummis unbemerkt mitgenommen, aus einem<br />
Supermarkt. Sie war damals aber noch so klein <strong>und</strong> es war bestimmt<br />
keine böse Absicht. Eher waren die Kaugummis damals an Teresa<br />
vorbei gekommen.<br />
„Gut ich glaub dir schon, Teri. Hier nimm mal mein Taschentuch.<br />
Vielleicht hat jemand das Buch unbemerkt in deinen Rucksack<br />
geschmuggelt, um es später abzuholen.“<br />
„Ja bestimmt, Anna.“ Teresa wischte sich die Tränen ab.<br />
„Aber, was sollen wir jetzt machen? Die werden im Museum<br />
denken, ich hätte es gestohlen.“<br />
Anna dachte mit gespitzten Lippen nach.<br />
„Du, wir schaffen es einfach wieder zurück. Am Wochenende<br />
machen wir doch immer einen Ausflug. Wir erzählen Mama <strong>und</strong><br />
Papa wie schön es an der Donau war. Vielleicht kommen sie mit ins<br />
Museum. Ah, ich hab’s. Wir sagen das die Gastausstellung nur noch<br />
am Wochenende zu sehen ist <strong>und</strong> wir sollen einen Aufsatz darüber<br />
schreiben. Dann kommen sie bestimmt mit <strong>und</strong> wir stellen das Buch<br />
einfach ins Regal zurück, ja?“<br />
Teresa beruhigte sich etwas. Wohl fühlte sie sich jedoch nicht in<br />
ihrer Haut. Wie war das verflixte Ding bloß in ihre Tasche<br />
gekommen? Das Buch musste einfach schnell zurück. Daran führte<br />
kein Weg vorbei. Erst dann wäre sie wieder zufrieden.<br />
„Ja gut, Anna. Machen wir es so. Aber sag niemand etwas. Mir ist<br />
so furchtbar kalt. Komm wir gehen rein.“<br />
Auch Anna fühlte sich nicht besonders wohl. Kalte Schauer liefen<br />
ihr über den Rücken. Sie schüttelte sich im Unterricht wie bei einer<br />
93
Grippe <strong>und</strong> spürte regelmäßig eine Gänsehaut <strong>auf</strong> ihren Armen.<br />
Plötzlich durchzuckte sie der Gedanke, dass das ständige<br />
Kältegefühl etwas mit <strong>dem</strong> geheimnisvollen Kastenbuch zu tun<br />
haben könnte. Sie hatte das Buch ja heute am frühen Morgen kurz<br />
berührt. Eigentlich nur einmal. Ja <strong>und</strong> erst dann ging es mit den<br />
Kälteschauern los. Teresa klagte ja auch ständig. Sollte das ganze<br />
wirklich mit <strong>dem</strong> Buch im Zusammenhang stehen? Vielleicht sogar<br />
eine unbekannte Krankheit? Das wäre ja furchtbar. Dann fiel ihr<br />
noch ein, dass die beiden Männer, die Teresa beschrieben hatte, das<br />
Buch suchen könnten. Und das vielleicht nicht nur in der alten<br />
Bibliothek. Anna schüttelte sich wieder. Trotz der<br />
Kälteempfindungen versuchte sie, <strong>dem</strong> Unterricht zu folgen.<br />
Gleich nach der Schule machten sich die beiden Mädchen eilig <strong>auf</strong><br />
den Weg zurück nach Hause. Die Mittagssonne wärmte ihre<br />
Gesichter. Unbewußt streckten sie sich <strong>dem</strong> Sonnenlicht entgegen.<br />
„Sie sind kernges<strong>und</strong> würde ich sagen. Kein Fieber oder Husten. Im<br />
Gegenteil sie kommen mir eher etwas unterkühlt vor.“<br />
Der Arzt schaute <strong>auf</strong> das Thermometer. Dabei schüttelte er den<br />
Kopf.<br />
„Nur etwas über sechs<strong>und</strong>dreißig Grad, ist ja merkwürdig.<br />
Vielleicht haben sie ein bisschen Vitaminmangel, jetzt im Frühjahr.<br />
Geben sie ihnen viel frisches Gemüse, auch Obst <strong>und</strong> Säfte dazu!<br />
Wenn sich nichts ändert, kommen sie bitte in zwei Wochen noch<br />
einmal wieder!“ Dann wandte er den Blick zur Mutter <strong>und</strong><br />
verabschiedete sich.<br />
94
„Kommt, wir holen gleich neues Gemüse <strong>und</strong> ein paar<br />
Vitaminsäfte! Ich <strong>und</strong> der Papa können auch etwas davon<br />
gebrauchen.“ Damit gingen die Mama, Anna <strong>und</strong> Teresa eink<strong>auf</strong>en.<br />
„Du, Mama?“<br />
„Ja, Schatz?“<br />
„Machen wir am Wochenende wieder einen Ausflug?“<br />
„Ja wahrscheinlich. Wenn es euch besser geht. Ich weiß bloß noch<br />
nicht genau wohin.“<br />
„Können wir nicht in das Museum fahren?“<br />
„Wohin?“<br />
„In das Museum, wo wir schon beim Schulausflug waren.“<br />
Teresa schaute beim Sprechen zu ihrer Schwester, als suche sie<br />
deren Unterstützung.<br />
Anna begann:<br />
„Mama, dahin wo die Kunstschätze aus <strong>dem</strong> Pergamonmuseum zu<br />
Gast sind. Nur noch dieses Wochenende. Wir sollen auch eine<br />
Arbeit darüber schreiben. Ihr solltet das auch mal sehen. Außer<strong>dem</strong><br />
haben wir es von der Zeit her gar nicht geschafft, alles<br />
anzugucken.“ Sie schilderte das Museum. Teresa nickte ab <strong>und</strong> zu<br />
<strong>und</strong> ergänzte die Ausführungen ihrer Schwester.<br />
„Ja, warum nicht. Ich bespreche es heute Abend mit eurem Papa.“<br />
Am gleichen Abend schon wurde der Familienausflug <strong>auf</strong> den<br />
nächsten Samstag festgelegt. Die Kinder hatten gemeint, dass<br />
Sonntag zu viele Leute unterwegs wären oder das Museum hätte<br />
schon geschlossen. Der Rucksack aber, mit <strong>dem</strong> geheimnisvollen<br />
Buch, wurde vorsichtig in einem leeren Schrankfach versteckt. Mit<br />
einer Decke verhüllt würden ihn die Eltern kaum finden.<br />
„Bis gleich. Wir gehen mit Anna nur mal schnell <strong>auf</strong> die Toilette.“<br />
95
„Soll ich euch begleiten?“, fragte die Mama.<br />
„Nein, nein. Das ist nicht weit. Wir sind gleich zurück.“<br />
Teresa trabte schon die Treppe hinab, so dass ihr Anna kaum folgen<br />
konnte. Schnell erkannte sie den dunklen Gang. Sie erreichten die<br />
alte Bibliothek. Vorsichtig traten sie ein.<br />
„Ist ja total dunkel hier.“<br />
„Ja Anna, leise!“<br />
Sie lauschten angespannt. Bis <strong>auf</strong> ihre eigenen Schritte war aber<br />
kein weiteres Geräusch zu hören.<br />
„Ich glaube wir sind allein, komm!“<br />
Teresa zog die Schwester durch die Gänge zwischen den vielen<br />
Regalen<br />
„Hier unten warst du eine St<strong>und</strong>e alleine, Teresa? Na danke.“<br />
Sie waren im hinteren Teil der Bibliothek angekommen. Mühsam<br />
versuchte sich Teresa, an den Bücherregalen zu orientieren. Eine<br />
Taschenlampe mitzunehmen, wäre besser gewesen. Ihnen fiel <strong>auf</strong>,<br />
dass viele Bücher unordentlich eingeräumt waren. Einige lagen<br />
sogar kreuz <strong>und</strong> quer in den Regalen herum, gerade so, als hätte<br />
jemand darin gewühlt.<br />
„Da ist es. Ja, es war hier, in der Nähe des Ganges.“<br />
Teresa bückte sich. Sie tastete mit den Fingern nach unten.<br />
„Gib es her!“, flüsterte sie.<br />
Anna hatte sich extra einen Wollhandschuh mitgebracht. Sie zog<br />
das so merkwürdige Buch aus ihrem Rucksack. Teresa schob es<br />
schnell in die kleine Lücke im unteren Regalfach. Als sie wieder<br />
<strong>auf</strong>stand seufzte sie erleichtert:<br />
„Zum Glück, komm, schnell weg hier!“<br />
Anna folgte ihr, schrie aber sogleich grell <strong>auf</strong>. Ihr Schrei hallte<br />
durch den Keller. War da nicht ein Schatten über die Wand<br />
96
geglitten? Die kleine, alte Lampe über einem Regal wackelte vor<br />
ihr. Ihr fielen sofort die Männer wieder ein. Bloß raus hier unten.<br />
Die Mädchen beschleunigten ihre Schritte <strong>und</strong> hasteten zur Tür<br />
zurück. Kurz hinter ihnen huschte dann etwas über den Gang.<br />
Vielleicht war es eine Maus, die sich vor den Stimmen gefürchtet<br />
hatte?<br />
Gut gelaunt trat man die Heimreise an. Den Eltern war der Ausflug<br />
mit den langen Spaziergängen gut bekommen. Der Papa betastete<br />
den leichten Speckansatz an seinem Bauch <strong>und</strong> nickte zufrieden.<br />
Die Mama studierte ein Prospekt aus <strong>dem</strong> Museum. Teresa<br />
entwickelte langsam wieder ihr altes Temperament, obwohl ihre<br />
Augen immer noch glänzten. Anna las in einem Lexikon über<br />
Katzen. Sie hatte ihre Jacke im Zug anbehalten.<br />
Zum Abendessen gab es die größte Gemüse <strong>und</strong> Obstplatte aller<br />
Zeiten. Die Eltern bereiteten alles gemeinsam vor. Große, blaue<br />
Weintrauben r<strong>und</strong>eten die mangostreifen <strong>und</strong> ananasgeschmückten<br />
Teller ab. Roter Paprika, Tomaten mit Zwiebelringen sowie jede<br />
Menge grüner Salat bildeten die Gemüsefront. Der Saft wurde mit<br />
einer Handpresse direkt aus kiloweise Orangen gepresst. Dazu gab<br />
es Quark mit Leinöl, Eiersalat <strong>und</strong> Heringshappen <strong>auf</strong><br />
Leinsamenbrot. Robi <strong>und</strong> <strong>Susi</strong> waren auch angerückt, um sich die<br />
Heringsstücke nicht entgehen zu lassen.<br />
Etwa zur gleichen Zeit, ganz in der Nähe:<br />
„Mr. XX7? Können sie mich hören? Hier ist General Bomb.“<br />
„Rums.“ Es bumste etwas am Telefon.<br />
97
„Ja Sir, ich höre sie. Ich habe sie in der Leitung <strong>auf</strong> Supersecurity<br />
über unseren Satelliten Blackbaby.“<br />
„Gut. Haben sie das Kastenbuch?“<br />
„Leider nein, Sir. Wir ... “<br />
„Was, sie haben es nicht gef<strong>und</strong>en?“<br />
„Noch nicht, Sir.“<br />
„Was heißt noch nicht? Sie haben doch den Koordinator. Wo sind<br />
sie jetzt?“<br />
„Sir, in Deutschland.“<br />
„Und wo in Deutschland, verdammt noch mal?“<br />
General Bomb schrie jetzt sichtlich erregt ins abhörsichere Telefon.<br />
„In Süddeutschland, in der Nähe von Stuttgart, Sir.“<br />
„Mr. X, äh XX... ! Können sie sich denn keinen vernünftigen<br />
Namen zulegen, sie Mensch?“<br />
„Sir, den Namen gaben sie mir doch wegen der Tarnung.“<br />
„Ich? Ja, ja also Mr. äh... XXY, sie wissen doch genau wie wichtig<br />
die Mission ist. Der Ministrator erwartet Erfolge. Sogar der<br />
Präsidentator hat sich schon dafür interessiert. Wissen sie eigentlich<br />
was das bedeutet?“<br />
„Nein, Sir?“<br />
„Es geht um ein sehr wichtiges Projekt von höchstem Interesse, sie<br />
Schwachkopf! Ich muss nachher gleich die Forschungsbasis<br />
unterhalb von Las Ve..., äh, äh ich meine natürlich, ich muss in der<br />
Wüste anrufen. Holen sie mir das Buch, Mann!“<br />
„Sir, aber das Signal vom Koordinator ist seit gestern schwächer<br />
geworden. In der Bibliothek war es auch nicht. Wir haben alles<br />
durchgesucht.“<br />
Es folgte eine kurze Pause. Dann hörte man ein paar gurgelnde<br />
Laute, denen ein kräftiger Wutausbruch nacheilte. Mr. XX7 kannte<br />
98
seinen zornigen Chef <strong>und</strong> hielt deshalb das Satellitentelefon etwas<br />
vom Ohr ab. Nach einer knappen Minute hatte sich General Bomb<br />
aber wieder etwas beruhigt <strong>und</strong> sagte:<br />
„Hören sie! Unsere Forschungen haben ergeben, dass sich das<br />
Energiefeld des Kastenbuches immer mehr sch<strong>ließ</strong>t, wenn es höhere<br />
Lebewesen berühren. Wir wissen nicht genau warum das so ist. Der<br />
Koordinator empfängt dann immer schwächere Signale. Vermeiden<br />
sie also, sollten sie es finden, den direkten Kontakt. Benutzen Sie<br />
immer die Spezialhandschuhe! Und jetzt suchen sie endlich weiter!<br />
Das Zeitfenster, äh die, äh Zeit bleibt sch<strong>ließ</strong>lich nicht stehen. In<br />
drei Tagen erwarte ich ihre Meldung über die Frequenz zerozeroseventwo,<br />
äh über SS Blackbaby, klar?“<br />
„Sir, klar äh, ja Sir.“<br />
Der nächste Tag begann. Die Kinder waren wie gewohnt<br />
<strong>auf</strong>gestanden. Teresa stellte sich gleich unter die warme Dusche. Ihr<br />
Kältegefühl wollte einfach nicht verschwinden. Gestern hatte sie<br />
aber bemerkt, dass ihr jegliche Art von Wärme <strong>und</strong> besonders<br />
Sonnenlicht sofort wohl taten. Sie stand noch mit <strong>dem</strong> Handtuch in<br />
der Hand im Bad als Anna herein stürzte. Mit zitternder Stimme rief<br />
Anna:<br />
„Es ist wieder da, Teri! Das Buch! Ich hab es gerade in meinem<br />
Rucksack entdeckt.“<br />
Teresa entglitt das Badetuch. Entgeistert schauten sich die Mädchen<br />
an. Für einen Moment herrschte Stille. Anna stand wie geschockt an<br />
der Badtür. Sie konnte es einfach nicht glauben. Angst kam <strong>auf</strong>.<br />
Teresa fragte fassungslos:<br />
„Das Kastenbuch? Es ist wieder da? Einfach so?“<br />
„Ja.“<br />
99
„Oh nein! Das kann doch nicht war sein.“<br />
„Doch Teri. Ich hab dreimal nachgeschaut, um es einmal zu<br />
glauben.“ Anna senkte den Kopf. Sie w<strong>und</strong>erte sich über ihren<br />
eigenen Humor in dieser Lage. Teresa war kaum bei der Sache, als<br />
sie das Badetuch langsam wieder <strong>auf</strong>hob.<br />
„Ist ja wie verhext! Nun siehst du es selber. Warte, ich komme<br />
gleich raus.“<br />
Teresa zog sich ihre Kleidung über. Dann schlichen sie in das<br />
Kinderzimmer zurück. Alles war wie immer. Nur das<br />
geheimnisvolle silbrige Buch war da.<br />
„Wir können doch nichts dafür“, meinte Anna leise.<br />
„Stimmt. Das Buch hat uns eben gern. Es will halt nicht weg.“<br />
Teresa zuckte beim Sprechen hilflos mit den Schultern. Was immer<br />
das Buch bei ihnen wollte es tat ihnen ja nichts.<br />
„Wollen wir’s nicht doch lieber Mama <strong>und</strong> Papa zeigen“, fragte sie<br />
dann aber ihre Schwester.<br />
„Das glaubt uns doch eh keiner, Teri. Die werden alle sagen, wir<br />
hätten es gestohlen. Komm, wir gehen erst mal in die Schule! Dann<br />
überlegen wir weiter.“<br />
Nun passiert es wirklich nicht alle Tage, dass fremde Bücher<br />
<strong>auf</strong>tauchen, die man Kilometer weit weg abgestellt oder gar nicht<br />
mitgenommen hat. Trotz<strong>dem</strong> verschwand im L<strong>auf</strong>e des Tages die<br />
größte Aufregung über das ungeheure Ereignis. Teresa dachte sogar<br />
mal einige St<strong>und</strong>en nicht an das Buch. Anna überlegte hin <strong>und</strong> her,<br />
konnte aber auch nicht zu einem klaren Ergebnis kommen.<br />
Niemand aber fragte den Tag über nach einem Buch. Auch kein<br />
Museum rief an. So schlimm konnte es also gar nicht sein mit <strong>dem</strong><br />
Buch. Sie hatten es ordnungsgemäß ins Regal gestellt, genau wie<br />
100
Teresa schon vor einer Woche, als sie es entdeckte. Und wenn das<br />
Buch nicht in der Bibliothek bleiben wollte, bitte schön, dann war<br />
es seine eigene Schuld. <br />
Am Nachmittag gingen sie schon viel gelassener zu Werke.<br />
„Wir schauen uns das erst mal ganz genau an, Teresa. Mein Plan ist,<br />
dass wir das Buch einfach mal untersuchen. Vielleicht ist es ein<br />
W<strong>und</strong>erbuch. Oder was meinst du?“<br />
Teresa bekam ganz große Augen <strong>und</strong> meinte:<br />
„Stelle dir vor Anna, es ist ein Zauberbuch oder so etwas. Ich<br />
wünsch´ mir dann gleich ein Pferd oder ein, einen Dinosaurier.“<br />
„Ja klar, Dinosaurier.“ Anna tippte sich an die Stirn. „Zauberbuch<br />
glaube ich aber nicht. Es hat ja nicht mal Seiten. Aber irgendetwas<br />
muss ja an <strong>dem</strong> Ding dran sein, was?“<br />
Sie holten das Buch aus <strong>dem</strong> Rucksack. Vorsichtig legten sie es <strong>auf</strong><br />
den Schreibtisch in ihrem Zimmer. Es mochte etwa zwei Kilo<br />
wiegen. Für ein normales Buch war es sicher zu schwer. Der<br />
Durchmesser betrug vielleicht vier bis fünf Zentimeter. Alles war<br />
schwarzsilbrig, bis <strong>auf</strong> die Katze <strong>und</strong> die Dreiecksfiguren. Anna<br />
fuhr mit <strong>dem</strong> Finger über die Katze <strong>und</strong> spürte deutlich die<br />
Erhebungen wie bei einem Relief.<br />
„Mach mal bitte die Jalousie runter, Teresa!“<br />
Und genau wie sie es vermutet hatten, leuchtete die Katzenfigur in<br />
einem matten Gelbton, als es im Zimmer dunkler wurde.<br />
„Wie Gold, nicht?“<br />
„Ja, so ähnlich.“<br />
Sie pochten mit den Fingern gegen das Buch. Es klang dumpfmetallisch.<br />
Behutsam legten sie die Hände <strong>auf</strong> die Oberfläche. Kühl<br />
stieg es in die Finger, obwohl es im Raum nicht kalt war.<br />
101
Nun wandten sie sich den Dreiecken zu. Im Gegensatz zum<br />
Katzenrelief lagen diese wie eingraviert, etwas unterhalb der<br />
Oberfläche. Die Farbe der Umrandungen war auch goldschimmernd,<br />
wirkte aber durch die schmalen Linien dunkler.<br />
„Sieht gleich lang aus. Die Seiten meine ich.“<br />
Anna nahm ein Lineal. Damit vermaß sie die Seiten der Dreiecke.<br />
Sie be<strong>saß</strong>en haargenau die gleiche Länge.<br />
„Ja weißt du was das darstellt, Teresa?“ Anna fiel ihr<br />
Mathematikunterricht ein.<br />
„Nein?“<br />
„Du, das ist ein gleichseitiges Dreieck! Ja! Die Unterseite läuft<br />
parallel zur unteren Buchkannte. Die beiden anderen Seiten gehen<br />
gleichmäßig ausgerichtet zur Spitze. Sieht aber auch aus wie die<br />
Seite einer Pyramide.“<br />
„Von mir aus. Eine Babypyramide hat sie aber auch noch drin. Da<br />
gibt´s doch die Kamele, nicht?“ Teresa sprach <strong>und</strong> war fast wieder<br />
die alte.<br />
Genau in der Mitte des Pyramidendreiecks lief eine Linie <strong>und</strong> teilte<br />
das Dreieck parallel zur unteren Seite. Dann zogen sich, von den<br />
Begrenzungen aus, zwei Seiten nach unten. Sie trafen in einer<br />
Spitze direkt in der Mitte <strong>auf</strong> der unteren Seite des großen Dreiecks<br />
zusammen. So konnte man also vier *Dreiecke gleicher Größe<br />
erkennen.<br />
*So fanden Anna<br />
<strong>und</strong> Teresa<br />
102
die Dreiecke vor<br />
„Stimmt, Teresa! Das kleine Dreieck ist sogar etwas heller. Guck<br />
mal! Auf <strong>dem</strong> Kopf steht es auch.“<br />
Teresa <strong>saß</strong> etwas weiter weg. Sie drehte ihren Kopf, um die Figuren<br />
genauer betrachten zu können.<br />
„Na wenn ich so gucke, steht die kleine Pyramide gerade <strong>und</strong> die<br />
große Kopf.“ Das Wort Pyramide gefiel ihr recht gut.<br />
„Ja, na eben“, bestätigte Anna, „wie man das Buch halt dreht.“<br />
Anna begann, das Buch um seine Achse zu drehen. Sie bewegte es<br />
langsam <strong>und</strong> wollte die Kopf stehenden Dreiecke beobachten.<br />
„Sieh nur, die Katze!“<br />
Teresa war <strong>auf</strong>gesprungen. Sie zeigte <strong>auf</strong>geregt <strong>auf</strong> den<br />
Buchrücken, der Anna gerade abgewandt war. Die Farbe der Katze<br />
war jetzt viel intensiver geworden. Wie helles Gold glänzte das<br />
Relief.<br />
„Sie leuchtet richtig, Anna! Schau nur! Das ist ja verrückt!“<br />
Anna beugte sich über das Buch. Tatsächlich konnte man meinen,<br />
ein Lichtsignal ginge von der goldenen Katze aus. Sie schob das<br />
Buch etwas weiter. Das Leuchten wurde matter. Langsam merkten<br />
die Mädchen, dass die Helligkeit des Katzenreliefs mit der<br />
Drehrichtung des Buches zu tun hatte. Immer wenn die eine Spitze<br />
des großen Dreiecks in eine besondere Lage oder Richtung kam,<br />
verstärkte sich das Leuchten. Stimmte diese Richtung nicht, wurde<br />
es schwächer oder verschwand bis <strong>auf</strong> einen geringen Rest.<br />
103
Auf einmal klingelte es an der Haustür. Die Mädchen schreckten<br />
hoch, so sehr waren sie in ihre Entdeckung versunken. Teresa lugte<br />
durch die Gardine, machte aber das Fenster nicht <strong>auf</strong>. Ein paar<br />
Jungen standen <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Gehweg. Sie trugen Bälle in der Hand.<br />
Sicher wollten sie spielen <strong>und</strong> hatten deshalb geklingelt. Auf der<br />
anderen Straßenseite bauten zwei Männer an einer Toreinfahrt.<br />
Dann klingelte es nochmals, allerdings an der Wohnungstür. Anna<br />
näherte sich etwas der Tür, öffnete aber nicht. Im Hausflur<br />
entfernten sich Schritte. Keinesfalls wollten sie jetzt spielen oder<br />
jemanden zu Besuch bekommen. Teresa fielen auch die Männer aus<br />
<strong>dem</strong> Keller wieder ein.<br />
„Ganz ruhig, ich bin ja nicht nervös“, sagte sie leise vor sich hin.<br />
Danach experimentierten sie noch ein bisschen weiter. Es gelang<br />
nur nicht, in irgendeiner Weise an den Inhalt des Buches zu<br />
kommen. Sicher gab es diesen Inhalt. Sie vermuteten es jedenfalls.<br />
Welchem Zweck diente eine leuchtende Katzenabbildung? Wozu<br />
waren die Dreiecke da? Sie mussten doch einen Sinn erfüllen, wie<br />
das ganze Buch auch? Es taten sich Fragen über Fragen <strong>auf</strong>. Anna<br />
kniff die Augen zusammen: „Du Teresa? Die Kälte hat auch was<br />
damit zu tun.“<br />
„Glaubst du?“<br />
„Ja, jetzt schon. Hier ist alles möglich. Hast du gemerkt, dass es mit<br />
<strong>dem</strong> ständigen Frieren erst anfing, als wir das Buch angefasst<br />
hatten?“<br />
„Ah, ja stimmt, Anna. Ich bekomme schon wieder Angst. Hör bloß<br />
<strong>auf</strong>!“<br />
„Bleib ruhig! Mehr ist ja nicht passiert, Teri. In der Sonne merke<br />
ich fast überhaupt kein Kältegefühl. Und du?“<br />
„Ja, mich zieht es auch immer in die Wärme, stimmt.“<br />
104
„Wir müssen einfach öfter in die Sonne gehen“, überlegte Anna.<br />
„Aber was hat das denn mit <strong>dem</strong> Buch zu tun, das uns so kalt ist?“<br />
Teresa sprach schon wieder etwas gequält.<br />
„Ich weiß es doch auch nicht. Morgen sehen wir weiter. Komm, wir<br />
packen es wieder gut weg!“<br />
Am Abend, im Bett, besprachen sie sich noch lange. Sollten sie<br />
noch einmal ins Museum fahren? Was sollten sie ihren Eltern dazu<br />
sagen <strong>und</strong> ob das Sinn hätte? Vielleicht später. Ein merkwürdiges<br />
Buch wollte also nicht von ihnen weichen. Dazu strahlte es ständig<br />
Kälte aus, die sich möglicherweise <strong>auf</strong> die Personen übertrug, die es<br />
berührten. Nun leuchtete es auch noch, wenn man es drehte. Hier<br />
war aber jetzt auch wirklich alles möglich. Das machten sich die<br />
beiden tapfer klar. Wieder einmal einträchtig, beschlossen sie<br />
heraus zu finden, was es mit Buch <strong>und</strong> Dreiecken <strong>auf</strong> sich hatte.<br />
Teresa erfand zu später St<strong>und</strong>e dann noch den Begriff<br />
``Kühlmetallunbekanntbuch mit Goldkatzendrehleuchteffekt``.<br />
105
11. Die Verfolger<br />
Martin trottete gelangweilt die Straße entlang. Die Haus<strong>auf</strong>gaben<br />
waren erledigt. Er war heute schneller fertig geworden als sonst.<br />
Die Sprache bereitete ihm gewiss noch Schwierigkeiten, wie er sich<br />
selbst zugestand. Erst vor einem halben Jahr war er, gemeinsam mit<br />
Eltern <strong>und</strong> Geschwistern, aus Russland gekommen. Soviel er<br />
wusste, war seine Familie ehemals deutscher Abstammung. Vor<br />
etlichen Jahren siedelten sich die Vorfahren, aus Schlesien<br />
kommend, in Russland an. Irgendwo in <strong>dem</strong> riesigen Land in der<br />
Nähe der Wolga fanden sie eine neue Heimat. Martin wusste keine<br />
genauen Einzelheiten. Selbst die Oma, die lieber russisch sprach,<br />
erzählte auch nur, was sie selbst gehört hatte. Es musste jedenfalls<br />
eine lange, abenteuerliche Zeit voller Entbehrungen gewesen sein.<br />
Als sie in der kleinen Stadt in Deutschland eintrafen, erweckte das<br />
natürlich viele neue Hoffnungen. Es begann zu<strong>dem</strong> ein ganz neues<br />
Leben. Alles war ungewohnt. Die eng bebauten Straßen, der viele<br />
106
Verkehr, die neuen Gesichter in der Schule. Der Rummel in der<br />
Stadt <strong>und</strong> in den Eink<strong>auf</strong>smärkten war nicht zu vergleichen mit <strong>dem</strong><br />
ruhigen Leben im Dorf, aus <strong>dem</strong> Martin kam. Hier gab es so<br />
unendlich viele verlockende Sachen zu k<strong>auf</strong>en, die er noch nie<br />
gesehen hatte. Alles schien in Deutschland organisierter <strong>und</strong><br />
schneller abzul<strong>auf</strong>en. Trotz<strong>dem</strong> fehlte ihm manchmal die erhabene<br />
Weite, die Ruhe der russischen Landschaft, voll von Geheimnissen<br />
<strong>und</strong> Abenteuer.<br />
Nach einiger Zeit gewöhnte sich der Junge aber an die neue Heimat.<br />
Weil er jetzt täglich die Schule besuchen konnte, besserten sich<br />
auch rasch seine Sprachkenntnisse. Anfangs schauten ihn manche<br />
Schüler noch verw<strong>und</strong>ert an, wenn er mit seinem harten Akzent<br />
sprach. Einige Jungs mieden ihn sogar. Doch jetzt hatte er schon ein<br />
paar Fre<strong>und</strong>e gewonnen, besonders unter den Mädchen.<br />
Als er vor einer halben St<strong>und</strong>e vor <strong>dem</strong> Haus bei Teresa klingelte,<br />
erhoffte er sich, ihre hübschen blonden Haare zu sehen. Vielleicht<br />
würde sie mit ihm zum Spielplatz gehen oder am nahe gelegen<br />
Waldrand nach seltenen Steinen suchen.<br />
Weil aber niemand öffnete <strong>und</strong> die anderen Jungen nicht mit ihm<br />
spielen wollten, ging er jetzt ziellos seines Weges.<br />
Nach der Bushaltestelle überquerte er die Straße. Er traf <strong>auf</strong> die<br />
kleine Brücke über <strong>dem</strong> schmalen Fluss. Einen Moment<br />
beobachtete er die sanfte Strömung. Sogar einige Fische waren im<br />
seichten Wasser zu erkennen. Da packte ihn <strong>auf</strong> einmal eine harte<br />
Hand von hinten. Er drehte sich erschrocken um.<br />
Vor ihm standen zwei große Männer in schwarzen Mänteln. Sie<br />
trugen Hüte mit breiten Krempen. Die abgedunkelten Gläser ihrer<br />
Brillen blitzen im Sonnenlicht. Die Hand lockerte sich etwas <strong>und</strong><br />
Martin vernahm eine scharfe, laute Stimme:<br />
107
„Junge, hör mal her! Ist hier in der Nähe eine Schule? Wir müssen<br />
da etwas abgeben.“<br />
Martin war etwas zusammen gezuckt. Die Männer sahen nicht sehr<br />
vertrauensvoll aus. Sie be<strong>saß</strong>en weder Gepäck noch eine Tasche.<br />
„Nun mach mal den M<strong>und</strong> <strong>auf</strong>! Du gehst doch sicher auch zur<br />
Schule, oder?“<br />
Natürlich wusste er wo die Schule war. Doch ein inneres Gefühl<br />
mahnte ihn, diesen Männern besser vorsichtig zu begegnen.<br />
„Sie, sie suchen eine Schule?“<br />
„Ja eine Schule. Ist hier eine in der Gegend?“, krächzte jetzt der<br />
andere Mann.<br />
Martin war schon ein ganzes Stück in Richtung Stadt gegangen.<br />
Aber seine Schule an diese Kerle preisgeben? Nein, das wollte er<br />
bestimmt nicht.<br />
„Ja, hier gibt es viele Schulen in der Nähe. Eine ist am Bahnhof,<br />
eine ist zwei Straßen weiter <strong>und</strong>...“<br />
Martin zählte alle möglichen Schulen mit passenden Straßennamen<br />
<strong>auf</strong>. Einige hatte er selbst noch nicht gehört. Er versuchte dabei,<br />
überzeugend zu klingen. Das Gesicht des einen Mannes zeigte nun<br />
zunehmend eine gereizte Stimmung. Er tippte seinen Kumpanen<br />
an.<br />
„Du!“, winkte er, <strong>und</strong> sie drehten sich etwas zur Seite.<br />
Martin verstand trotz<strong>dem</strong> jedes Wort.<br />
„In der Schule sollen Fahrten stattgef<strong>und</strong>en haben. Ausflüge in das<br />
Museum. Ich hab die Meldung vorhin über Blackbaby rein<br />
bekommen. Frage du ihn noch mal!“<br />
Sie drehten sich wieder <strong>dem</strong> Jungen zu.<br />
„Du Junge!“, krächzte der kleinere Mann.<br />
108
„Weißt du etwas über Klassenfahrten? Habt ihr Ausflüge gemacht<br />
oder warst du sogar selbst bei einem Ausflug mit dabei?“<br />
Er griff Martin an seiner Jacke, zog ihn an sich <strong>und</strong> kam mit seinem<br />
Kopf ganz nah an den Jungen heran. Martin sah vor sich die gelben<br />
Zähne des Mannes. Auch erkannte er unter dessen Kinn eine Narbe<br />
oder einen Schnitt.<br />
„Ausflug? Nein, wir machen unseren Wandertag noch, mit <strong>dem</strong><br />
Fahrrad.“<br />
Der Mann <strong>ließ</strong> ab, schien aber immer noch nicht zufrieden zu sein.<br />
Währenddessen hielt der größere Mann ein kleines, längliches Gerät<br />
in der Hand <strong>und</strong> drückte ständig dar<strong>auf</strong> herum.<br />
„Der Koordinator empfängt seit gestern noch schwächere Signale.<br />
Verdammt noch mal! Es kann jetzt fast überall hier in der Nähe<br />
sein. Wenn wir alle Schulen absuchen dauert das noch Wochen.<br />
Hoffentlich berühren es nicht auch noch mehr.“<br />
Der Krächzmann nickte <strong>und</strong> schlug vor, neue Instruktionen<br />
einzuholen. Ohne einen Gruß drehten sich die beiden Männer um.<br />
Schnellen Schrittes liefen sie dann wieder zurück in Richtung Stadt.<br />
Martin stand noch wie gebannt <strong>auf</strong> der Brücke. Beim Wort Ausflug<br />
klingelten bei ihm die Alarmglocken, wie man so sagt. Klar konnte<br />
er sich gut an seinen letzten Klassenausflug in die Großstadt<br />
erinnern. Er wusste zwar nicht was die Männer beabsichtigten; aber<br />
das die etwas abgeben wollten, in einer Schule, schien ihm nur ein<br />
Vorwand gewesen zu sein. Wenigstens hatten sie ihm nichts getan.<br />
Das war wichtiger als alles andere. Er verspürte nun keine Lust<br />
mehr, allein weiter zu l<strong>auf</strong>en. Lieber wollte er zu Hause sein<br />
angefangenes Abenteuerbuch weiter lesen. Er drehte um <strong>und</strong> ging<br />
langsam den Weg zurück.<br />
109
Bei Robi <strong>und</strong> <strong>Susi</strong>:<br />
Das letzte Stück Hähnchenbrustfilet wollte sie noch mit Robi teilen.<br />
Der war aber heute tatsächlich so satt, dass er mal ablehnte, obwohl<br />
das selten vorkam. Lang ausgestreckt lag er schon <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />
Teppichrand im Wohnzimmer.<br />
„Vielleicht später, <strong>Susi</strong>. Oder iss Du es doch noch! Ich kann nicht<br />
mehr.“<br />
Robi sprach recht träge. Zu gern machte er nach einem deftigen<br />
Mahl ein schönes Schläfchen. In seinem Alter konnte er sich das<br />
wirklich erlauben.<br />
„Du hast wieder mal zu schnell gefuttert. Jetzt bist du schlapp <strong>und</strong><br />
willst schlafen, nicht?“<br />
„Ja, ich will mich noch etwas ausruhen. Heute Abend ist noch<br />
H<strong>und</strong>eclub.“<br />
<strong>Susi</strong> wusste natürlich, dass sich Robi alle paar Wochen mit<br />
befre<strong>und</strong>eten Kollegen aus der Nachbarschaft traf. Sie fragte aber<br />
trotz<strong>dem</strong>: „H<strong>und</strong>eclub?“<br />
„Ja, weißt du doch. Wir treffen uns kurz nach Sonnenuntergang. Da<br />
will ich fit sein. Sogar ein allerklügster H<strong>und</strong> aus der Nachbarschaft<br />
soll dabei sein.“<br />
„Wie willst du denn da hinkommen Rob? Also von der Leine los<br />
kommen?“<br />
„Ich werde sehen, dass ich mit den Kindern gehen kann. Da haue<br />
ich mal kurz ab. Es ist wichtig heute Abend. Es geht um Aktivitäten<br />
im Rentenalter.“<br />
Robi zog die Pfoten hoch. Dann stützte er sich etwas <strong>auf</strong>, so dass es<br />
aussah, als hätte er seine Müdigkeit überw<strong>und</strong>en.<br />
„Die armen Kinder. Sie werden dich bestimmt suchen“, bedauerte<br />
<strong>Susi</strong>.<br />
110
„Die Kinder gehen immer <strong>auf</strong> den Spielplatz. Die merken das dann<br />
kaum, weil sie soviel mit sich selbst zu tun haben. Ich bleibe auch<br />
nur kurz. Vielleicht so lange, wie das Wasser des Flusses von der<br />
kleinen Brücke bis in die Nähe unserer Straße braucht.“<br />
(Bedenke bitte, dass in der Vierbeinersprache Angaben zu<br />
verschiedenen Maßen mit Vergleichen umschrieben werden.)<br />
„Roob?“<br />
„Waujawau?“<br />
„Ich habe eine Idee. Ich kann dir sogar helfen, heute.“<br />
„Fein, dann erzähle mal!“<br />
<strong>Susi</strong> war nun ganz in die Nähe ihres wuscheligen Fre<strong>und</strong>es<br />
gekommen. Von der Länge des Fells passten sie wirklich gut<br />
zusammen. Nur war <strong>Susi</strong>s Katzenfell wesentlich weicher. Sie setzte<br />
sich einfach <strong>auf</strong> den großen H<strong>und</strong>. Mit den Vorderpfoten begann<br />
sie, seinen Hinterkopf zu massieren. Das sah natürlich drollig aus.<br />
Robi half es aber gegen seine Verspannungen in den Schultern.<br />
Auch für sein Augenlicht im Alter wäre es gut, sagte er immer. <strong>Susi</strong><br />
massierte so gut, dass er früher ernsthaft überlegt hatte, das<br />
Schnurren zu erlernen. Aber wie wäre er da bei seinesgleichen<br />
angeschaut worden. So begnügte er sich mit einem keuchenden<br />
Grunzen.<br />
„Wie willst du mir heute Abend helfen, <strong>Susi</strong>?“<br />
<strong>Susi</strong> schien aber noch zu überlegen. Sie zog etwas an den<br />
H<strong>und</strong>eohren gerade. Dann machte sie noch eine klatschende<br />
Rückenmassage, in<strong>dem</strong> sie ihre Schwanzspitze <strong>auf</strong> Robis Rücken<br />
niederprasseln <strong>ließ</strong>. Sch<strong>ließ</strong>lich rückte sie wieder ganz dicht an sein<br />
rechtes Ohr. Leise flüsterte sie ihrem Gefährten den Plan zu. Robi<br />
nickte schwanzwedelnd. Er schien einverstanden zu sein.<br />
111
„Wirklich, eine gute Idee. Die Kinder sollen ja auch keinen Ärger<br />
bekommen. Wenn du mir hilfst, machen wir es heute Abend so.“<br />
Nun sollte man noch wissen, dass selbst Robi als gut erzogener<br />
H<strong>und</strong> öfter mal ausbürstete. Er kam zwar immer zurück, machte<br />
auch keinen Schaden, musste aber doch ab <strong>und</strong> zu von Herrchen<br />
oder Frauchen gesucht werden. Dabei wollte er sich doch nur mit<br />
anderen Kollegen oder Damen treffen. Na ja, so sind nun mal die<br />
H<strong>und</strong>e.<br />
Die Zeichenst<strong>und</strong>e war zu Ende. Der Pausenlärm zum<br />
Unterrichtsschluss in der dritten Klasse fing an.<br />
„Nicht vergessen, wer fertig ist, die Zeichnungen bitte draußen an<br />
den langen Leinen im Flur befestigen! Ich helfe euch gleich dabei.“<br />
Frau Kuchenstück zeigte in Richtung Flur. Ihr ausgestreckter Arm<br />
fuhr, eine Linie beschreibend, <strong>auf</strong> <strong>und</strong> ab. Diese Woche waren ihre<br />
Schüler dran. Jede Klasse konnte, über das Jahr verteilt, ihre kleinen<br />
Kunstwerke, Zeichnungen <strong>und</strong> Basteleien im Schulhaus ausstellen.<br />
Das diente der Verschönerung des Gebäudes <strong>und</strong> als künstlerischer<br />
Anreiz für die Schüler. Dadurch waren mit der Zeit richtige kleine<br />
Wettbewerbe entstanden.<br />
„Mein kleines Abenteuer“ war das heutige Thema gewesen. Die<br />
Kinder sollten so ihre ganz speziellen Abenteuererlebnisse zu<br />
112
Papier bringen. Teresa verkniff es sich geradeso, kein unheimliches<br />
Buch zu zeichnen. Zu gern hätte sie ihr Abenteuer preisgegeben.<br />
Leider wäre das aber zu riskant gewesen. Anna <strong>und</strong> sie hatten<br />
zu<strong>dem</strong> abgemacht, vorläufig zu schweigen. Selbst die<br />
geheimnisvolle Lichtstrahlung, die sie erst gestern entdeckten,<br />
musste Teresa nun für sich behalten.<br />
So hatte sie beschlossen, wenigstens die unheimlichen Männer mit<br />
den langen Mänteln zu zeichnen. Das Bild war recht gut gelungen.<br />
Das ganze Blatt hatte sie vorher grau getönt. Erst dann kamen die<br />
Details hinzu. In der Mitte leuchtete eine Lichtquelle <strong>und</strong> gleich<br />
daneben waren zwei schwarze, Hüte tragende Gestalten zu<br />
erkennen. Durch den dunklen Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> das Licht, wirkten<br />
die Personen wie Schatten an einer Wand. Es sah alles schön<br />
gruselig aus. Teresa war zufrieden. Weil ihr Hintergr<strong>und</strong> zuerst<br />
trocknen musste, war sie fast als Letzte fertig geworden. Obwohl sie<br />
ständig fror, ging sie doch recht froh gelaunt zur Tür hinaus. Ihr<br />
Bild wäre bestimmt ein Blickfang. Etwas über Kopfhöhe spannten<br />
sich die Fotoleinen in mehreren Reihen durch den Schulflur. So war<br />
es auch möglich, eine zweiseitige Zeichnung zu fertigen <strong>und</strong> zu<br />
betrachten. Teresa fand eine freie Stelle, die ihr für eine<br />
Präsentation günstig erschien. Doch wie staunte sie, als sie keine<br />
zwei Meter weiter ein ähnliches Bild entdeckte. Deutlich waren<br />
zwei Gestalten mit den markanten Mänteln zu erkennen. Nur der<br />
Hintergr<strong>und</strong> war eher hell. So gab es aber mehr Details zu sehen.<br />
Was für ein Zufall, überlegte sich Teresa. Sie trat näher. Die Kinder<br />
durften ihre Namen oder nur die Anfangsbuchstaben <strong>auf</strong> die Bilder<br />
setzen. In der Ecke, ganz am Rand, sah sie es dann. Nur ein kleiner<br />
Buchstabe war zu erkennen. Auch gab es nur einen in der Klasse,<br />
der so hieß.<br />
113
„Deer?“<br />
Teresa sprach jetzt leise vor sich hin. Sie murmelte:<br />
„Wie kann gerade der fast das gleiche malen?“<br />
Schnell machte sie ihre Zeichnung am anderen Ende der Galerie<br />
fest. Dann nahm sie Ihre Mappe <strong>und</strong> trabte zum Hof hinaus.<br />
Draußen kamen ihr zwei Männer mit Mänteln <strong>und</strong> Krawatte<br />
entgegen. Sie bemerkten nicht, wie ängstlich das Mädchen zu ihnen<br />
hinüber schaute.<br />
Kurze Zeit später erreichte sie die Jungs. Martin ging als letzter. Er<br />
freute sich <strong>und</strong> blieb stehen. Teresas Haare waren zerzaust, so<br />
schnell war sie gerannt.<br />
„Martin, Martin! Warte mal!“<br />
„Ja was hast du denn so eilig?“<br />
„Martin, hast du tatsächlich das Bild mit den Männern gemalt?“<br />
„Ja klar.“<br />
„Woher kennst du die denn?“<br />
„Die wollten in irgendeine Schule <strong>und</strong> haben was von Ausflug<br />
geredet.“<br />
Teresas Augen nahmen einen unruhigen Blick an. Fast angstvoll<br />
fragte sie weiter:<br />
„Wo hast du sie kennen gelernt?“<br />
„Gestern, <strong>auf</strong> der kleinen Brücke über <strong>dem</strong> Fluss. Du weißt ja wo<br />
das ist.“<br />
„Was ist dir noch <strong>auf</strong>gefallen?“<br />
„Warum bist du so <strong>auf</strong>geregt, Teresa?“<br />
„Sag schon, was haben sie gesprochen?“<br />
„Der eine Mann hat an so einem Ding gedrückt <strong>und</strong> was von<br />
Koordi... Koordinator oder so ähnlich erzählt. Und gekrächzt hat der<br />
eine, beim Sprechen.“<br />
114
Teresa zuckte zusammen. Sie wusste sehr wohl, dass die kleine<br />
Brücke kaum einen Kilometer weit von ihrer Wohnung entfernt lag.<br />
Der Koordinator musste auch irgendetwas mit <strong>dem</strong> Buch zu tun<br />
haben. Sie erinnerte sich. Das Wort war damals in der Bibliothek<br />
gefallen. Wenn Martin die beiden gestern so nah gesehen hatte,<br />
bedeutete das allergrößte Gefahr. Schnell musste sie Anna warnen.<br />
Ihr Schritt beschleunigte sich.<br />
Martin hastete neben ihr her. Er w<strong>und</strong>erte sich über das Mädchen.<br />
Sonst war sie immer so keck, strahlte Selbstvertrauen aus, wie kaum<br />
eine andere. Heute aber wirkte sie eher hilflos <strong>und</strong> verwirrt. Er<br />
fragte sie noch einige Male, was sie denn bedrücken würde <strong>und</strong> ob<br />
sie die besagten Männer auch getroffen hätte. Teresa lenkte aber<br />
immer vom Thema ab, so dass er es sch<strong>ließ</strong>lich <strong>auf</strong>gab.<br />
Sie fühlte sie sich aber in Begleitung von Martin wohler, als sie<br />
zusammen heim liefen. Gleich würde sie Anna alles erzählen. Ob<br />
Martin ihnen vielleicht sogar helfen könnte ?<br />
„Teri, er hat zwar die beiden Typen gesehen, aber vom Kastenbuch<br />
weiß er doch nichts.“<br />
„Ja stimmt.“<br />
Anna überlegte weiter:<br />
„Wenn wir ihn einweihen, erzählt er es vielleicht jeman<strong>dem</strong> weiter.<br />
Es könnte sich dann erst recht herum sprechen.“<br />
„Was sollen wir aber machen, Anna? Ob die uns finden können?“<br />
Die Mädchen <strong>saß</strong>en gemeinsam <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> untersten Bett im<br />
Kinderzimmer. Sie besprachen sich schon eine Weile. Teresa hatte<br />
von Martin <strong>und</strong> den zufällig, ähnlichen Zeichnungen erzählt. Anna<br />
machte es besonders Sorge, dass die Männer schon in ihrer Stadt,<br />
ganz in der Nähe <strong>auf</strong>getaucht waren. Es war klar, dass sie das<br />
115
Kastenbuch suchten. Sie waren die Verfolger. Das Buch aber lag<br />
hier im Kinderzimmer, hinter einer Schranktür im Rucksack<br />
versteckt. Sie selbst also <strong>und</strong> ihre Schwester waren die Verfolgten.<br />
Anna riss sich aus ihren Gedanken los <strong>und</strong> sagte:<br />
„Die werden solange suchen bis sie es finden. Kannst du wetten.<br />
Warum wären sie sonst bis in unsere Stadt gekommen?“<br />
„Anna, wir müssen etwas machen. Der eine hat doch<br />
wahrscheinlich eine Pistole dabei. Die werden nicht fre<strong>und</strong>lich<br />
verschwinden, wenn sie das Buch bei uns finden.“<br />
„Genau Teri, wir müssen es verstecken. Es muss schnellstens aus<br />
der Wohnung raus.“<br />
Anna hielt den Finger an die Stirn <strong>und</strong> überlegte angestrengt weiter.<br />
„Wenn ich nur wüsste wohin damit. Es ist doch kein normales<br />
Buch.“<br />
In diesem Augenblick klingelte es an der Wohnungstür. Ein Blick<br />
durch das Guckloch zeigte Martin. Der Junge stand, nach unten<br />
blickend, an der Tür. Eine Hand an der Hüfte, hielt er sich mit der<br />
anderen am oberen Türrahmen fest. Er wirkte ungeduldig, während<br />
er mit <strong>dem</strong> rechtem Fuß <strong>auf</strong> den Boden pochte. Nun klingelte er<br />
nochmals.<br />
„Soll ich <strong>auf</strong>machen? Es ist nur Martin.“ Teresa stand fragend an<br />
der Türklinke.<br />
„Ja, lass ihn doch rein! Vielleicht weiß er noch was Wichtiges.“<br />
Anna schaute <strong>auf</strong> ihre Armbanduhr. Es war erst zwei Uhr, am<br />
frühen Nachmittag.<br />
Als sie die Tür öffneten, fiel Martin fast in die Wohnung hinein.<br />
„Hallo Anna auch“, keuchte er. Dann sprach er abgehackt: „Ich hab<br />
sie gesehen. Gerade. Unten <strong>auf</strong> der Kreuzung. Sie sind es. Wie<br />
gestern <strong>auf</strong> der Brücke.“<br />
116
Damit <strong>ließ</strong> er sich in einen Stuhl fallen <strong>und</strong> war im Kinderzimmer<br />
gelandet.<br />
„Siehst du, sie kommen“, schrie Teresa ängstlich. Sie schaute zu<br />
Anna.<br />
„Wir müssen das Buch weg bringen, Anna! Mach doch mal was!“<br />
Martin verstand immer noch nicht, was hier eigentlich vorging.<br />
Vorhin hatte er über Teresa ihr merkwürdiges Verhalten <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />
Schulweg nachgedacht. Als er dann hinunter <strong>auf</strong> die Hauptstraße<br />
ging, kamen ihm doch tatsächlich die Männer von gestern entgegen.<br />
Sie trugen einen großen Koffer bei sich, aus <strong>dem</strong> zwei<br />
Metallantennen ragten. Noch einmal wollte er den Beiden nicht<br />
begegnen. So drehte er schnell um, dachte an Teresa <strong>und</strong> rannte die<br />
Straße zurück. Nun <strong>saß</strong> er Teresa gegenüber, die sich gerade<br />
verstohlen an ihre Lippen gefasst hatte. Anna blickte ihre Schwester<br />
vorwurfsvoll an.<br />
Martin berichtete: „Sie sind in unsere Straße eingebogen. Ein<br />
Weilchen später hätten sie mich bestimmt wieder erkannt. Der<br />
Riesenkoffer hat sie aber beschäftigt.“<br />
„In unsere Straße?“, fragte Anna entsetzt.<br />
„Ein Riesenkoffer?“, stotterte Teresa bleich.<br />
„Etwa eine Bombe?“ Teresas Phantasie kannte keine Grenzen mehr.<br />
Anna huschte ans Fenster zur Straße.<br />
Martin fragte zu Teresa blickend: „Was für eine Bombe? Was<br />
meinst du damit? Und welches Buch muss weggebracht werden? Ihr<br />
kennt die Männer besser, stimmts?“ (Sprechweise <strong>und</strong> Akzent von<br />
Martin werden zum besseren Verständnis angepasst.)<br />
„Weißt du noch, als ich aus der Bibliothek gekommen bin, bei<br />
unserer Klassenf...?“ Weiter kam Teresa aber nicht.<br />
117
In dieser Sek<strong>und</strong>e schrie Anna am Fenster <strong>auf</strong>. Auf der anderen<br />
Straßenseite, keine fünfzig Meter von ihnen entfernt, standen sie.<br />
Auch Teresa war jetzt zum Fenster gesprungen.<br />
Durch die unmittelbare Nähe zur eigenen Wohnung flößten ihnen<br />
die Gestalten jetzt noch mehr Furcht ein. Sie hantierten, schwarz<br />
bemäntelt, mit <strong>dem</strong> Koffer oder großen Kasten. Dabei drehten sie<br />
sich in alle Richtungen.<br />
Nun ging alles sehr schnell. Von Angst erfüllt rannte Anna zum<br />
Schrank. Sie öffnete den Rucksack, nahm das Buch <strong>und</strong> legte es <strong>auf</strong><br />
den Schreibtisch.<br />
„Schnell, hole eine Tüte oder zwei aus der Küche, Teresa! Sie<br />
dürfen unsere Rucksäcke nicht finden.“<br />
Martin starrte <strong>auf</strong> das komische Buch. Teresa rannte in die Küche.<br />
Anna stand sofort wieder am Fenster. Die Männer waren jetzt bis<br />
<strong>auf</strong> ihre Straßenseite gekommen. Sie fuchtelten mit den Armen <strong>und</strong><br />
zeigten in verschiedene Richtungen. Anna trampelte <strong>auf</strong> der Stelle.<br />
Teresa durchwühlte die Plastiktüten.<br />
„Los! Erstmal schnell in den Keller! Und raus aus der Wohnung,<br />
mit <strong>dem</strong> Buch.“<br />
Anna redete hastig, während sie angespannt hinter der Gardine<br />
stand. Laut hallten ihre Worte durch alle Zimmer. Die Männer<br />
draußen unterhielten sich mit ein paar unbekannten Leuten. Anna<br />
schien es, als würde sie die Stimmen der Fremden gleich selbst<br />
hören. Teresa stürzte mit den Tüten in der Hand ins Kinderzimmer.<br />
Martin stand mit irritiertem Blick vor ihr. Er hielt das Buch in den<br />
Händen. Seine Augen glänzten so merkwürdig hell.<br />
„Hier, ich wollte dir nur helfen. Mach die Tüte <strong>auf</strong>! Wieso leuchtet<br />
es?“<br />
118
Das Buch rutschte in die eilig hingehaltene Tüte. Es war keine Zeit<br />
zu verlieren. Anna versuchte noch schnell, ihre Mama anzurufen.<br />
Das Telefon gab aber keinen Mucks von sich.<br />
„Nimm deine Schlüssel mit, Teresa! Martin, komm du auch!“<br />
Sie sah Martin <strong>und</strong> ihre Schwester aus <strong>dem</strong> Kinderzimmer l<strong>auf</strong>en.<br />
Schon hielt sie die Wohnungstür geöffnet.<br />
Hastig zogen sie sich Schuhe <strong>und</strong> Jacken über. Teresa griff nach ein<br />
paar großen Bananen. Für den Notfall, dachte sie.<br />
Die panische Stimmung griff auch <strong>auf</strong> Martin über. Buch <strong>und</strong><br />
Männer gehörten irgendwie zusammen. Das begriff er. Weil ihm<br />
aber so entsetzlich kalt geworden war, stellte er keine weiteren<br />
Fragen. Kurze Zeit später befanden sich die drei im Keller des<br />
Hauses. Nur ein Stück weiter befand sich der Ausgang <strong>auf</strong> den Hof.<br />
Teresa hielt den Schlüssel bereit. Bei Gefahr wollten sie sofort das<br />
Haus durch diesen Hinterausgang verlassen, war ihre Verabredung.<br />
Die beiden Schatten, die lautlos an der Hauseingangstür vorbei<br />
huschten, konnten sie von ihrer Lage aus nicht sehen.<br />
Währenddessen:<br />
„Es ist doch wirklich zum Verrücktwerden! Gerade war das Signal<br />
wenigstens noch ein bisschen zu empfangen. Ach, diese ganze<br />
Technik taugt auch nichts.“<br />
„Hast du eine genaue Richtung ausgemacht?“, krächzelte der<br />
kleinere Mann.<br />
„Quatsch nicht dummes Zeug! Eine genaue Richtung, bei den<br />
schwachen Signalen?“<br />
„Hhm, ja, hm“, machte es <strong>und</strong> der Kleinere glotzte mit<br />
eingezogenem Kopf <strong>auf</strong> den Kasten.<br />
119
„Seit heute früh rennen wir nun schon mit <strong>dem</strong> Hyperverstärker<br />
durch diese Stadt. Das Ding ist zwar durch den Satelliten<br />
unterstützt, doch wer weiß was der alles empfängt. Der Koordinator<br />
allein hat schon gestern nicht mehr funktioniert.“<br />
Der größere Mann ärgerte sich noch ein bisschen weiter. Nervös<br />
fummelte er dabei an den vielen Knöpfen des Kastens. Die<br />
Antennen drehte er in alle Richtungen. Selbst ein Spiegel, der wie<br />
eine Schüssel aussah, war zu erkennen.<br />
„Was schlägst du nun vor, XX7?“, meinte der, der geglotzt hatte.<br />
„Ich denke, ich rufe heute Abend den General an. Soll er<br />
entscheiden. Wir haben unser Bestes getan. Komm nun! Die Leute<br />
da drüben gucken schon so komisch. Außer<strong>dem</strong> ist das Signal ganz<br />
weg, obwohl ich schwören könnte, dass wir vor ein paar Minuten<br />
ganz nahe dran waren. Es ist aber auch zum ...!“ XX7 gab ein<br />
würgendes Geräusch von sich.<br />
„Sag den Leuten doch wir, äh kontrollieren die Kamine!“, sagte<br />
der Kleinere. „Oder sage wir sind Schornsteinfeger!“<br />
Gereizt verzog XX7den M<strong>und</strong>.<br />
„So dummes Zeug glaubt dir doch nicht mal ein Kind, du Blöd... äh,<br />
XX0.“<br />
Er wusste das Beleidigungen im Dienst verboten waren. Deshalb<br />
hob er sich die Beschimpfung für später <strong>auf</strong>. Wen sollten sie nur<br />
suchen? Auch mussten sie sich etwas besser tarnen. Würden sich<br />
denn die anderen Geheimdienstleute wirklich in einer so kleinen<br />
Stadt wie dieser <strong>auf</strong>halten? Wer auch immer das Kastenbuch gerade<br />
be<strong>saß</strong>, war wirklich schwer zu finden, überlegte XX7. Hoffentlich<br />
waren es nicht die Araber oder die Chinesen. Verhandlungen wären<br />
dann sehr schwierig. Der andere Geheimdienst operierte jedenfalls<br />
äußerst geschickt. XX7 glaubte wenig an die Technik des<br />
120
Hyperverstärkers. Vielleicht war es gar nicht sinnvoll, hier weiter<br />
zu suchen? Es handelte sich möglicherweise um ein<br />
Ablenkungsmanöver der Anderen? Der Koordinator sollte ja<br />
unfehlbar sein, wurde ihm gesagt. Er würde direkt zum Buch<br />
gehören. Nur zeigte der jetzt leider keine einzige Koordinate mehr<br />
an. Na, heute Abend würde er mit General Bomb alles besprechen.<br />
„Los XX0, fahr die Antennen ein! Wir gehen vorläufig ins Hotel<br />
zurück.“<br />
121
„Ja <strong>und</strong> wenn man es in eine bestimmte Richtung dreht, leuchtet die<br />
Katze stärker. Das ist alles was wir wissen“, beendete Anna ihren<br />
Bericht.<br />
Martin stand noch ganz unter <strong>dem</strong> Eindruck des Gehörten. Er<br />
schüttelte sich immer wieder zwischen etlichen Kälteschauern.<br />
Sie <strong>saß</strong>en eng aneinander gedrückt bei den Fahrrädern im<br />
Kellerraum. In der Mitte, direkt zwischen ihnen, lag das Buch.<br />
Martin staunte genauso wie die beiden Mädchen vor einigen Tagen.<br />
Angst <strong>und</strong> Neugier hielten sich bei ihm in der Waage.<br />
Sie redeten leise, fast flüsternd, um nicht die kleinste Veränderung<br />
im Hausflur zu verpassen. Von draußen waren keine Geräusche zu<br />
hören. Auch im Treppenhaus war es still geblieben. Teresa machte<br />
den Vorschlag, nach <strong>Susi</strong> zu sehen. Sie wollte dazu vom<br />
Kellerausgang aus, einmal um das ganze Haus gehen. So wäre es<br />
möglich, ganz nebenbei Erk<strong>und</strong>igungen anzustellen.<br />
„Wir gehen lieber wieder hoch“, warf Anna ein.<br />
„Da haben wir wenigstens zwei Türen zwischen uns <strong>und</strong> der<br />
Straße.“<br />
„Na gut, Anna. Aber was ist mit Martin? Er hat das Buch vorhin<br />
auch angefasst?“<br />
Anna schaute Martin prüfend an:<br />
„Kannst du schweigen? Niemand darf etwas erfahren!“<br />
Der Junge nickte nur mit <strong>dem</strong> Kopf. Dann sagte er, von den<br />
Ereignissen sichtlich ermattet:<br />
„Ja, kann ich. Niemand erfährt etwas.“<br />
Martin musste es schwören. Kein Wörtchen von <strong>dem</strong>, was er<br />
erfahren hatte, durfte er nun weiter erzählen. Vorsichtig schlichen<br />
sich die drei die Treppe wieder hin<strong>auf</strong>. Alles schien ruhig zu sein.<br />
Leise öffneten sie die Wohnungstür, als würde sie etwas Fremdes<br />
122
erwarten. Genauso vorsichtig lugte Anna durch die Gardine des<br />
Fensters. Sie entdeckte aber nur ein paar spielende, kleinere<br />
Kinder. Seltsamer Weise ging jetzt auch das Telefon wieder. Die<br />
Mama meldete sich zuerst. Sie gab ein paar Hinweise zu den<br />
anfallenden Hausarbeiten. Außer<strong>dem</strong> würde sie später heim<br />
kommen. Anna war froh ihre Stimme zu hören. Wenn sie doch nur<br />
etwas ihren Eltern sagen könnten, fiel es ihr ein. Dieser kurze<br />
Gedanke verschwand aber sofort, als sie den Telefonhörer wieder<br />
<strong>auf</strong>legte. Teresa <strong>und</strong> Martin <strong>saß</strong>en schon wartend um das Buch, als<br />
sie mit ein paar warmen Getränken ins Kinderzimmer kam.<br />
„Sie scheinen weg zu sein“, stellte Teresa erleichtert fest.<br />
„Gef<strong>und</strong>en haben sie uns jedenfalls nicht.“<br />
„Sie können aber wieder kommen. Vergesst das nicht!“, fügte<br />
Martin schnell hinzu.<br />
„Das dürfen wir aber nicht zulassen“, entgegnete Anna. „Das Buch<br />
muss schnellstens aus <strong>dem</strong> Haus verschwinden.“<br />
Schon eine Weile überlegte sie, wo sie das Buch verschwinden<br />
lassen könnten.<br />
Betrübt schaute Teresa nun zu Boden, schüttelte den Kopf <strong>und</strong><br />
sagte: „Es kommt doch sowieso zurück, egal wo wir es hin<br />
schaffen. Es ist aber auch zu dumm.“<br />
„Das kann es doch aber nicht geben, dass ein Buch ständig macht<br />
was es will“, ergänzte Anna mit genervter Stimme.<br />
Sie waren jetzt zu dritt. Martin wohnte nur einen Hauseingang<br />
weiter. Selbst wenn das Buch zu Martin zurückkäme, wäre das<br />
immer noch keine Lösung. Dass die Männer sie nicht gef<strong>und</strong>en<br />
hatten, konnte Zufall sein. Auch konnte es an deren unzulänglicher<br />
Technik liegen. Sie würden sich sicherlich neue Geräte besorgen<br />
<strong>und</strong> bestimmt zurückkehren. Es musste eine schnelle Lösung<br />
123
gef<strong>und</strong>en werden. Teresa blickte immer noch nach unten. Plötzlich<br />
fiel ihr der Dachboden ein.<br />
„Es kommt ja möglicherweise immer zu uns zurück, nicht?<br />
„Ja.“<br />
„Wahrscheinlich.“<br />
„Wir könnten aber die Höhe verändern. Warum nicht <strong>auf</strong> das Dach<br />
mit <strong>dem</strong> Ding?“<br />
„Teri, das Buch sendet doch bestimmt ein Signal aus. Wie ein<br />
Funksignal meine ich, für die, die es suchen. Und dieser<br />
Koordinator empfängt es dann. Wenn wir es <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Dach<br />
unterbringen, ist das Signal vielleicht besonders stark, wegen der<br />
Höhe.“<br />
„Funksignal?“<br />
„Ja wie beim Radioempfang.“ Martin erklärte jetzt alles, was er zu<br />
Funkwellen wusste.<br />
„Ach so. Und wenn wir es vergraben?“ , fragte Teresa wieder.<br />
Martin fiel aber auch nichts mehr ein. So trank er wortlos den<br />
heißen Tee. Anna, die ebenfalls gegrübelt hatte, richtete sich nach<br />
vorn <strong>auf</strong>, sah beide an <strong>und</strong> erklärte nun ihre Idee:<br />
„Zuerst verstecken wir das Buch irgendwo hier im Keller. Falls die<br />
Männer gleich zurückkommen sollten, wissen wir natürlich von<br />
nichts. Es muss uns dann ja nicht gehören“. Anna machte eine<br />
scheinheilige Geste.<br />
„Ja <strong>und</strong> dann?“, drängelte Teresa.<br />
„Heute Abend gehen wir doch mit Robi, nicht?“<br />
„Ja.“<br />
„So, da nehmen wir das Buch dann mit. Vorher packen wir es gut<br />
ein, schön geschützt in einen Karton mit drei Tüten. Wir wissen ja<br />
noch nicht, ob es wirklich immer zurückkommt, oder?“<br />
124
„Nein, wissen wir nicht“, schlürf.<br />
„Genau <strong>und</strong> damit es erst mal hier weg ist, wegen <strong>dem</strong> Signal,<br />
verstecken wir es bei den großen Containern, hinter <strong>dem</strong> Spielplatz.<br />
Da wird es auch nicht nass.“<br />
Weil keiner im Moment <strong>auf</strong> die Straße wollte oder einen besseren<br />
Einfall hatte, beschlossen sie also, das Buch mit Einbruch der<br />
Dunkelheit hinter <strong>dem</strong> Spielplatz zu verstecken. Martin sollte gegen<br />
acht Uhr draußen warten. Nach dieser Abmachung landete das<br />
Kastenbuch vorerst im Keller, in einem alten Schrank <strong>und</strong> Martin<br />
ging zu sich nach Hause.<br />
Anna <strong>und</strong> Teresa begannen mit der Hausarbeit. Es waren immer nur<br />
ein paar kleine Aufgaben. Meistens sollte Teresa zum Bäcker gehen<br />
oder etwas <strong>auf</strong>räumen. Anna reinigte dafür öfter das Geschirr,<br />
räumte die Spülmaschine ein <strong>und</strong> aus oder bediente den<br />
Staubsauger.<br />
Heute wollten sie aber alles gemeinsam machen. Vor allem zum<br />
Bäcker traute sich Teresa nicht allein. Sie bereiteten <strong>dem</strong> H<strong>und</strong> sein<br />
neues Futter vor. Robi schlief immer noch <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Teppich im<br />
Wohnzimmer. <strong>Susi</strong> hatten sie mittags, gleich nach der Schule,<br />
hinaus gelassen. Nun <strong>saß</strong> sie aber wieder vor der Tür <strong>und</strong> wartete<br />
<strong>auf</strong> Einlass.<br />
„Na <strong>Susi</strong>chen, warst du schön spazieren?“<br />
Teresa wollte die Katze liebkosen. <strong>Susi</strong> schlängelte sich etwas um<br />
die Beine des Mädchens, bemerkte aber gleich die offene Tür ins<br />
Kinderzimmer. Mit zwei, drei Katzensätzen war sie <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />
richtigen Weg zum warmen <strong>Fensterbrett</strong>. Doch etwas schien sie<br />
heute abzulenken. Sie glitt zurück, sprang <strong>auf</strong> den Stuhl zum<br />
Schreibtisch, <strong>und</strong> erreichte das Kastenbuch. Die Kinder hatten ja<br />
125
vergessen, es weg zu packen. Mit ihrer Pfote betastete sie das Buch<br />
von allen Seiten. Sie nahm dabei immer nur eine Pfote. So<br />
vorsichtig <strong>und</strong> kurz tippte <strong>Susi</strong> an, wie es Katzen eigentlich immer<br />
nur dann machen, wenn sie Wasser vorfinden. Teresa war hinterher<br />
geeilt. Erschrocken wollte sie <strong>Susi</strong> aus der Nähe des Buches<br />
verdrängen. Die Katze war aber schon <strong>auf</strong> den Schreibtisch<br />
gesprungen. Schleichend umr<strong>und</strong>ete sie das Buch immer wieder.<br />
Sogleich bemerkte Teresa, wie laut die Katze heute schnurrte.<br />
Immer wieder stupste sie mit der Pfote gegen das Buch, als wollte<br />
sie es bewegen. Sie schaffte es aber nicht. Teresa fiel etwas ein.<br />
Langsam drehte sie selbst das Buch, bis das Katzenprofil kräftig<br />
leuchtete. <strong>Susi</strong>s Bewegungen wurden nun noch intensiver. Sie<br />
schmuste mit <strong>dem</strong> Kopf am Katzenprofil herum. Die Nähe des<br />
Buches schien ihr offensichtlich sehr zu gefallen. Als Teresa sie<br />
endlich zu sich hob merkte sie, wie die Augen der Katze gelber als<br />
sonst leuchteten. Mit <strong>Susi</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Arm drehte sie mit der anderen<br />
Hand das Buch schnell zurück. Eine angenehme Wärme, wie schon<br />
seit Tagen nicht mehr, strömte Teresa entgegen. Sie wollte noch<br />
nach Anna rufen, doch diese vollkommene Zufriedenheit, die sie<br />
jetzt nach all der Aufregung empfand, machte sie sofort schläfrig.<br />
W<strong>und</strong>erbare, angenehme Wärme umhüllte sie. Eine friedliche,<br />
glückliche Stimmung <strong>ließ</strong> sie kurz dar<strong>auf</strong> sanft einschlummern.<br />
Wenig später:<br />
„Teresa, komm wir gehen zum Bäcker“, klang es aus der Küche.<br />
Das Geschirr stand eingeräumt in den Küchenschränken. Sie hatte<br />
sogar den Boden gekehrt. Nun wollte Anna noch schnell gemeinsam<br />
mit ihrer Schwester ein Roggenbrot holen. Weil Teresa nicht gleich<br />
antwortete, ging sie über den Flur, öffnete die nur angelehnte Tür<br />
<strong>und</strong> staunte nicht schlecht, als sie in das Kinderzimmer kam. Teresa<br />
126
<strong>saß</strong> zusammen gesunken im Sessel neben <strong>dem</strong> Schreibtisch. Ihr<br />
Kopf war nach hinten gerutscht, der M<strong>und</strong> etwas geöffnet. Anna<br />
erschrak zuerst. Doch dann sah sie, dass Teresa schlief, ganz sanft,<br />
mit einem Lächeln um die M<strong>und</strong>winkel. Die Ruhe im Zimmer<br />
wurde nur durch die gleichmäßigen Atemzüge des Mädchens<br />
unterbrochen. Auch <strong>Susi</strong> schien zu schlafen. Sie lag zusammen<br />
gerollt <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Schreibtisch. Erst jetzt bemerkte Anna, dass <strong>Susi</strong><br />
fast das ganze Kastenbuch mit ihrem Körper abdeckte. Sie trat<br />
näher. Die Katze hob den Kopf, schnurrte <strong>und</strong> schaute das Mädchen<br />
an. Etwas Magisches lag dabei in ihrem Blick. Anna meinte einen<br />
kurzen Moment, eine Botschaft in diesen Augen zu lesen. („Guten<br />
Tag, Anna!“) Ja, geradezu etwas Übernatürliches oder sogar<br />
Menschliches ging in diesem Augenblick von <strong>Susi</strong> aus. Anna<br />
beschlich ein sonderbares Gefühl als sie <strong>Susi</strong>s Kinn kraulte.<br />
„Du bist ja eine. Liegst mitten <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> W<strong>und</strong>erbuch <strong>und</strong> schnurrst.“<br />
Anna griff nach <strong>dem</strong> Buch. Gleichzeitig streichelte sie immer noch<br />
<strong>Susi</strong>. Das Mädchen spürte sofort, wie eine wohlige Wärme in sie<br />
strömte. Es war viel angenehmer, als das ständige Frösteln der<br />
letzten Tage, an das sie sich schon gewöhnt hatte. Sie w<strong>und</strong>erte sich<br />
kurz über die Wärme. Dann wurde ihr schläfrig, so dass sie gähnen<br />
musste. <strong>Susi</strong> streckte sich, machte einen Katzenbuckel, ver<strong>ließ</strong> aber<br />
nur langsam den Schreibtisch. Anna wollte sich nieder setzen, so<br />
glücklichmüde fühlte sie sich. Dabei betrachtete sie aber unbewusst<br />
das Buch. Ihr fielen wieder die Männer ein, die es suchten <strong>und</strong><br />
verfolgten. Ja natürlich sie wollten sich doch heute Abend noch<br />
mit Martin treffen. Anna fuhr hoch, schüttelte ihren Kopf, bewegte<br />
mehrmals die Augenlider, so dass die Müdigkeit wich. Schnell<br />
packte sie das Kastenbuch ein <strong>und</strong> legte es ins Schrankversteck<br />
zurück. Dann betrachtete sie erneut Teresa. Die arme Teri war wohl<br />
127
von den Ereignissen der letzten Tage so mitgenommen, dass sie<br />
einfach viel Ruhe brauchte. Sollte sie ruhig noch ein Weilchen in<br />
ihrem Sessel schlafen. Anna öffnete ein wenig das Fenster. Frische,<br />
laue Frühlingsluft strömte in das Zimmer. Dann deckte sie eine<br />
kleine Wolldecke über Teresas Beine <strong>und</strong> ging guter Laune zum<br />
Bäcker.<br />
128
129
12. Drei Ausflüge <strong>und</strong> ein Abflug<br />
„Ich bin einfach von selbst eingeschlafen.“<br />
„Das kam bestimmt von der wohligen Wärme oder weil du so<br />
geschafft warst, Teri.“<br />
„Kann sein, aber <strong>Susi</strong> hat das Buch auch berührt.“<br />
„Stimmt, sie lag oben, als ich rein gekommen bin.“<br />
Die Mädchen <strong>saß</strong>en im Kinderzimmer. Keine zwei St<strong>und</strong>en waren<br />
vergangen. Sie fühlten sich ausgezeichnet. Teresa meinte fast, sie<br />
hätte st<strong>und</strong>enlang geschlafen. Das beengende, kühle Körpergefühl<br />
war einfach verschw<strong>und</strong>en. Ihre Unterhaltung drehte sich natürlich<br />
um die letzten Ereignisse.<br />
„Anna, denk doch mal an das leuchtende Katzenrelief am Buch!“<br />
„Hab ich auch schon überlegt. <strong>Susi</strong> hat es berührt. Wir haben es<br />
berührt <strong>und</strong> ... “<br />
„Schon war die Kälte weg, stimmts?“<br />
„Ja Teri, zum Glück. Ich hab dann richtig gute Laune bekommen.<br />
Müde war ich vorher aber auch, so wie du.“<br />
„Warum wollte aber <strong>Susi</strong> gleich zum Buch?“<br />
„Wahrscheinlich das Katzensymbol. Es scheint einen<br />
Zusammenhang zu geben.“<br />
130
„Anna, du meinst, wenn wir <strong>und</strong> <strong>Susi</strong> das Buch gleichzeitig<br />
anfassen, wird es warm?“<br />
„Na zumindest nicht kalt. Denk doch mal zurück! Als wir die<br />
Buchoberfläche das erste Mal berührten, war doch keine <strong>Susi</strong> oder<br />
überhaupt eine Katze dabei. Wir fühlten dann immer diese Kälte in<br />
uns. Dann haben wir uns daran gewöhnt.<br />
„Ja stimmt <strong>und</strong> jetzt?“<br />
Teresa schaute beeindruckt <strong>auf</strong> ihre große Schwester.<br />
„Vielleicht ist das jetzt wieder der normale Zustand, Teresa. Die<br />
gleichzeitige Berührung von uns <strong>und</strong> <strong>Susi</strong> hat die Kälte<br />
möglicherweise verhindert oder <strong>auf</strong>gehoben.“<br />
„Das gibt doch keinen Sinn, Anna! Kälte, Wärme, <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> das<br />
Leuchten in eine Richtung?“<br />
Teresa sprach mit scherzhaft, singender Stimme. Sie betonte dabei<br />
die Silben mit kurzen Kopfbewegungen.<br />
„Hast du Richtung gesagt?“, fragte Anna <strong>auf</strong>geregt.<br />
„Ja, Richtung, Leuchten, Wärme, Kälte, <strong>Susi</strong>, Gangster“, blödelte<br />
Teresa weiter.<br />
„Wart´ mal, du!“<br />
Teresa: „Ja, warten, leuchten... <strong>Susi</strong> ...“<br />
„Eine Richtung! Das Dreieck zeigt eine bestimmte Richtung. Das<br />
muss es sein Teresa! Warte, wir sehen es gleich.“<br />
Anna war schon <strong>auf</strong>gesprungen. Sie öffnete den Schrank.<br />
Vorsichtig tippte sie ein paar Mal gegen den Buchrücken, als<br />
erwartete sie einen Kälteschlag. Aber nichts geschah. Sie richteten<br />
(drehten) das Buch nach <strong>dem</strong> stärksten Leuten des Profils aus. Die<br />
obere Spitze des großen Dreiecks zeigte etwas schräg in Richtung<br />
Fenster. Die Sonne des Spätnachmittags schien von der anderen<br />
Seite quer ins Zimmer herein.<br />
131
„Ob es zum Fenster hinaus will? Vielleicht will es sich sonnen?“,<br />
fachsimpelte Teresa.<br />
„Die Sonne kommt jetzt etwa von Südwesten. Es ist auch bald<br />
Abend.“ Anna sprach <strong>und</strong> beobachtete dabei Sonne <strong>und</strong> Dreiecke.<br />
„Unser Fenster ist also im Süden?“, fragte Teresa.<br />
„Ja, etwa in Südrichtung, glaube ich. Guck mal <strong>und</strong> die Spitze geht<br />
etwas weiter rüber. Aber sie ist südlich gerichtet.“<br />
„Also Süden.“<br />
„Genau, Teri! Egal was es mit <strong>dem</strong> Buch <strong>auf</strong> sich hat. Es weist von<br />
uns aus in eine südliche Richtung. Dann erst ist das Leuchten der<br />
Katze am intensivsten.“<br />
„Und warm! Es ist es doch viel wärmer da im Süden, nicht Anna?<br />
„Ja freilich, es gibt sogar Wüsten.“<br />
„Und es gibt auch so wenig Wasser da, nicht?<br />
„Ja, du meinst …?“<br />
„Wo es aber so wenig Wasser gibt, sind doch die Kamele <strong>und</strong><br />
die ...“ Teresa klatschte vor Aufregung die Hände zusammen. „Die<br />
Pyra... na, Pyra...!“<br />
„Die Pyramiden, meinst du bestimmt!“<br />
„Ja, die Pyramiden!“<br />
Gleichzeitig, wie <strong>auf</strong> Kommando, betrachteten sie jetzt die<br />
abgebildeten Dreiecke <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Buch. Sollten es wirklich<br />
Darstellungen von Pyramiden sein? Waren sie <strong>dem</strong> Rätsel jetzt<br />
endlich näher gekommen?<br />
„Wir müssen Martin Bescheid sagen“, fiel es Anna ein.<br />
„Schnell, hol ihn zu uns, Teri! Er soll das Buch auch anfassen<br />
kommen. Wir wissen ja nicht, wie lange das alles so bleibt. Ich<br />
warte mit <strong>Susi</strong> hier <strong>auf</strong> euch.“<br />
132
„Gut, ich hole ihn zum Aufwärmen“, lachte Teresa, die seit ihrem<br />
Schlaf sichtlich <strong>auf</strong>gelebt war.<br />
„Bis gleich.“<br />
Munter <strong>und</strong> bester Laune sprang sie die Treppen hinab. Selbst die<br />
HutMänner beängstigten sie im Moment nicht.<br />
Martin wohnte ja nicht weit. Was für ein <strong>auf</strong>regender Tag doch<br />
heute war. Wenn sie das jeman<strong>dem</strong> erzählen würde; kein Mensch<br />
würde ihr je glauben. Sie klingelte unten links. Eine alte Frau mit<br />
Kopftuch schaute aus <strong>dem</strong> Fenster.<br />
„Ah, Teresa, guten Tag.“ Die Frau hustete mehrmals <strong>und</strong> sprach<br />
gebrochen weiter:<br />
„Martin soll kommen, nach hause. Du sagen ihm!“<br />
„Er ist nicht bei uns, Frau ...“ Teresa schaute <strong>auf</strong> das Namensschild,<br />
konnte aber den Namen nicht entziffern.<br />
„Wo dann ist?“<br />
„Er war bei uns. Vor zwei St<strong>und</strong>en ist er jedoch wieder gegangen.“<br />
Teresa zeigte wie zum Beweis zwei Finger nach oben.<br />
„Aber ist gleich Abend <strong>und</strong> essen muss kommen.“<br />
Teresa schaute <strong>auf</strong> ihre kleine Uhr. Es war gleich sechs. Sie wusste<br />
aber nicht, wo Martin noch hingegangen war. Sie zuckte zu der Frau<br />
am Fenster mit den Schultern <strong>und</strong> rief:<br />
„Ich sage ihm Bescheid, wenn ich ihn sehe, ja?“<br />
Die alte Frau sagte etwas, was Teresa nicht verstand. Dann bewegte<br />
sie noch ihre Arme, winkte kurz <strong>und</strong> schloss hinter sich das Fenster.<br />
Wo sollte Martin hingegangen sein? Na es war erst sechs Uhr. Sie<br />
wollten sich etwa gegen acht treffen, dachte Teresa. Jetzt sah sie<br />
auch ihre Mama um die Ecke biegen <strong>und</strong> lief ihr freudig entgegen.<br />
Gleich würden sie sich etwas unterhalten. Auch das Abendessen<br />
wartete schon.<br />
133
Was geschah aber zwischendurch?<br />
„Hören Sie XX6, äh... 7! Ich habe keine Geduld mehr. Seit über<br />
einer Woche sitzen sie schon in Deutschland herum.“<br />
„Sir, erlauben sie, Sir.“<br />
„Unterbrechen sie mich gefälligst nicht!“<br />
„ General, wir ... “<br />
„Ruhe!“<br />
„haben alles ... “<br />
„Ruhe!“<br />
„abgesu... “<br />
„Ruhe verdammt noch maal!“<br />
Es klapperte recht gewaltig im Telefonhörer. Dann gab es ein paar<br />
schlürfige Geräusche <strong>und</strong> mit einem Mal war der General<br />
verstummt. Mr. XX7 machte sich <strong>auf</strong>richtig Sorgen.<br />
„General Bomb? Hallo?“<br />
Sein Satellitentelefon schien in Ordnung zu sein. Kurz schaltete er<br />
<strong>auf</strong> die Reserveleitung zu Blackbaby 2 um. Aber auch hier war kein<br />
anderer Empfang möglich. Der General war ein lang gedienter<br />
Mann von fast siebzig Jahren. Vielleicht hatte er wieder Probleme<br />
mit <strong>dem</strong> Kreisl<strong>auf</strong>? Außer<strong>dem</strong> regte er sich immer so <strong>auf</strong>. Für seine<br />
Ges<strong>und</strong>heit war dies bestimmt nicht förderlich. Ein langer Pfeifton<br />
erklang jetzt aus <strong>dem</strong> Hörer. Dann war eine lispelnde, unklare<br />
Stimme zu hören.<br />
„Mr. XX... ?“<br />
„Sir, ja, Sir?“<br />
134
Wieder pfiff es nochmals kurz. Dann knackte es einige Male<br />
hintereinander, so als würden Zähne oder ein Gebiss schnell<br />
zusammen geschlagen.<br />
„So, ich habe sie wieder drin, äh, ich meine, ich habe sie wieder<br />
dran am Telefon.“ Der General betastete seinen Vorderkiefer.<br />
„Gut, Sir. Wie geht es ihnen?“<br />
„Gut natürlich, bis <strong>auf</strong> das dämliche Hörgerä... äh, ich meine den<br />
Hörer <strong>und</strong> diese neue Satellitentechnik. So jetzt aber zur Sache,<br />
klar?“<br />
„Natürlich, Sir.“<br />
„Sie haben die beste Technik dort drüben. Zwei Satelliten stehen zu<br />
ihrer Verfügung <strong>und</strong> sie finden das Kastenbuch nicht? Das kann<br />
doch nicht sein!“<br />
„Sir, wir hatten heute sogar den Koordinator mit <strong>dem</strong><br />
Hyperverstärker zusammen geschaltet, ``hyperverkoordiniert``<br />
sozusagen.“<br />
„Ja <strong>und</strong>? Wo ist das Ergebnis?“<br />
„Das Signal ist einfach abgebrochen. Wir haben alles probiert.“<br />
General Bomb dachte etwas nach. Dann sagte er leise <strong>und</strong> etwas<br />
ruhiger: „Wahrscheinlich haben es schon zu viele berührt. Wir<br />
wissen bisher nicht, wie viele es überhaupt sein dürfen. Aber<br />
wahrscheinlich ist das Signal deshalb weg. Der Koordinator zeigt<br />
dann nichts mehr an. Da nutzt die beste Verstärkung nichts. Tja,<br />
was machen wir denn da ...?“ Nachdenklich fummelte der General<br />
am Knopf seines Hörgerätes.<br />
„Mr. XX?“<br />
„Ja, Sir?“<br />
„Bevor sie zurück kommen noch ein Versuch. Gehen sie etwa zum<br />
Standpunkt der letzten Signale! Suchen sie sich einen höher<br />
135
gelegenen Platz! Wir schalten Ihnen genau gegen 21.00 Uhr MESZ<br />
(Sommerzeit, Mitteleuropa) die Yellowbaby 1 zu. Sie ist dann über<br />
Europa. Vielleicht bekomme ich auch noch ein paar andere<br />
Schaltungen vom Öl <strong>und</strong> Rohstoffministrator. Klar?“<br />
„Klar, Sir! Sollen wir den Hyperverstärker aktivieren?“<br />
„Moment, ich frage mal die Techniker ...knack, knack, knack,<br />
klapper, pfeif. Dummes Gebiss!“<br />
„Sir, was sagten sie?“<br />
„Genau, knack, knack. Stellen sie den Minispiegel <strong>auf</strong><br />
Automatikempfang! Benutzen sie die gelbe Symbolreihe am<br />
Verstärker! Der Spiegel richtet sich dann selber <strong>auf</strong> den Satelliten<br />
aus. Machen sie auch den Monitor an!“<br />
„Wie bei Blackbaby?“<br />
„Ja, aber die gelben Symbolschalter benutzen, Mann!“<br />
„Was kann der andere Satellit besser, Sir?“<br />
„Die Yellowbaby 1 kann zum Beispiel Gold in kleinen Mengen<br />
orten. Aus 1000 km Höhe. Es darf nur nicht zu tief vergraben<br />
liegen.“<br />
„Sie findet Gold?“<br />
„Ja Mann! Und Gold ist <strong>auf</strong> jeden Fall am Kastenbuch,<br />
wahrscheinlich auch im Buch. Aber glauben sie ja nicht, dass sie<br />
jetzt Gold suchen könnten. Sie bekommen die Schaltung höchstens<br />
für einige Minuten. Die Satellitennutzung kostet ein Vermögen.“<br />
„Ja Sir, selbstverständlich.“<br />
General Bomb überlegte nun selbst, leicht verträumt, wie schön es<br />
wäre, wenn er einen solchen Satelliten für sich beanspruchen<br />
könnte. Früher, ja das waren noch Zeiten. Alles gab es sofort <strong>und</strong><br />
<strong>reichlich</strong> zugeteilt. Seit aber die Rohstoffpreise ständig stiegen, war<br />
es immer schwieriger geworden, sich einen Spürsatelliten aus <strong>dem</strong><br />
136
Wirtschaftssektor auszuleihen. Was die Nutzung wirklich kostete,<br />
wusste er aber eigentlich nicht. Vielleicht sollte er einmal mit <strong>dem</strong><br />
mächtigen Rohstoffministrator essen gehen?<br />
Es würde zwar kaum etwas nützen, nach so einer kleinen Menge<br />
Gold, für so kurze Zeit aus so großer Entfernung zu suchen. Aber er<br />
brauchte den Bericht für den Verteidigungsministrator. Und darin<br />
musste stehen das er, General Bomb, heldenhaft jede Möglichkeit<br />
genutzt hatte, das Zielobjekt zu finden.<br />
„Nun fangen sie an, Mr. XX, äh ...7! Prüfen sie den Hyperverstärker<br />
<strong>und</strong> seien sie genau Punkt 21.00 Uhr bereit! Gehen sie aber<br />
vorsichtig vor! Man hat sie heute schon beobachtet, wurde mir<br />
berichtet. Versuchen sie es auch noch mal mit <strong>dem</strong> Koordinator!<br />
Verhypern, äh verkoordinieren sie sich aber nicht! Unsere<br />
Telefonverbindung bleibt SSBlackbaby, alte Frequenz. Auf<br />
Wiedersehen, knack, knack, knack, ...“<br />
„Auf Wiedersehen, knack, Sir.“<br />
„Du hast ja einen Appetit, Teresa?“, staunte der Papa.<br />
Ihr habt euch wohl draußen richtig ausgetobt, was?“<br />
„Ja Papa, heute war wirklich viel los.“<br />
Teresa schob sich gerade mit beiden Händen Salatblätter rein.<br />
Gleichzeitig hielt sie zwischen ihren Fingern Schwarzbrot mit<br />
Paprikawurst. Anna liebäugelte mit <strong>dem</strong> dritten Ei. Hart gekocht<br />
mochte sie Eier besonders gern.<br />
„Die beiden sehen richtig erholt aus“, freute sich auch die Mama.<br />
„Was macht das Frösteln?“<br />
„Alles weg, Mama“, schmatz, schmatz.<br />
„Ach zum Glück! Wenigstens habt ihr keine Frühjahrsgrippe.“<br />
137
„Gibst du mir bitte noch das Ei rüber?“<br />
Die Mama gab das Ei rüber <strong>und</strong> beobachtete ihre beiden Töchter<br />
sichtlich zufrieden. Wie gern würde sie auch wieder mal etwas<br />
erleben. Sich mal richtig austoben; sie lächelte bei diesem<br />
Gedanken. Schon oft hatte sie überlegt, ob ihr Leben denn nun<br />
immer so weiter l<strong>auf</strong>en würde. Alles war geplant. Alles war<br />
abgesteckt. Eigentlich wiederholte sich auch immer alles. Die<br />
Arbeit, der Haushalt, der Ehemann, mal ein Treffen hier, mal ein<br />
Ausflug dort. In ein paar Jahren wären ihre Töchter erwachsen.<br />
Sofort dachte sie an die kleinen Babysachen, die sie sorgsam im<br />
Schrank <strong>auf</strong>bewahrte. Nun begann wenigstens die warme Jahreszeit<br />
<strong>und</strong> alle waren zum Glück ges<strong>und</strong>. Gedankenverloren schaute sie zu<br />
ihrem Mann.<br />
Der betrachtete sie lustig <strong>und</strong> wirkte irgendwie erwartungsvoll.<br />
„Hast du heute aber wirklich gut gemacht, das Essen. Und es ist<br />
Frühling. Bald können wir wieder baden gehen. Und ins Kino<br />
müssen wir gehen. Ja, wir müssen unbedingt wieder mal ausgehen.“<br />
Die Mama lachte etwas mit den Augen. Der Papa machte wohl<br />
Witze. Während der Papa sprach, tätschelte er die Schulter der<br />
Mama.<br />
Anna las in der Tageszeitung. Dabei fragte sie:<br />
„Wisst ihr was heute kommt?“<br />
„Nein.“<br />
„Wo?“<br />
„Im Kino, meine ich.“ Anna schaute vom Lesen hoch.<br />
„Was kommt denn nun?“<br />
„Der Film heißt ``Die zwei Agenten in Lederhose``, eine Komödie<br />
ab 16 Jahren.“<br />
„Schade“, sagte Teresa, „warum erst ab 16 Jahren?“<br />
138
„Das ist speziell nur für die Eltern, Teri“, erklärte Anna leise. Dann<br />
gab sie ihrer Schwester mit einem Handzeichen zu verstehen, dass<br />
sie jetzt lieber nicht so viel reden solle.<br />
„Eine Komödie?“, fragte der Papa.<br />
„Ja hier, lies selbst!“<br />
Anna reichte <strong>dem</strong> Papa die Zeitung herüber.<br />
„Das wäre bestimmt etwas für dich <strong>und</strong> Mama.“<br />
„Genau! Die zwei Agenten das hört sich doch echt gut an“,<br />
witzelte der Papa.<br />
Dann beugte er sich mit schmachten<strong>dem</strong> Blick zur Mama <strong>und</strong><br />
flötete: „Würdest du mit mir heute in eine Komödie, ich meine ins<br />
Kino gehen?“<br />
Die Mama lachte jetzt noch zusätzlich mit <strong>dem</strong> M<strong>und</strong>.<br />
Dieses Angebot hatte sie nicht erwartet. Dann schlug sie den Kopf<br />
nach hinten, so dass ihre Haare eine wilde Drehung vollführten. Der<br />
Papa sah sie listig an. Dabei lachte er breit. Der Mama schien die<br />
Idee aber zu gefallen. Sie schaute sich kurz in der R<strong>und</strong>e um <strong>und</strong><br />
sagte mit Schmollm<strong>und</strong>:<br />
„Gut, ich gehe jetzt ins Bad. Außer<strong>dem</strong> muss ich mir noch die<br />
Haare machen <strong>und</strong> ein schönes Kleid aussuchen. Räumt doch bitte<br />
den Tisch ab! Und geht nachher noch mit <strong>dem</strong> H<strong>und</strong>, ja?“<br />
Schon war sie <strong>auf</strong>gestanden <strong>und</strong> stand an der Tür.<br />
„Ach so, wann fängt ´s denn an, mein lieber Mann?“ Ihr Kopf<br />
drehte sich zurück. Auch die Haare wippten wieder raffiniert.<br />
„Ja, also ... ja gleich. Wann immer du willst.“<br />
„Fein, bis gleich.“ Die Tür klappte zu.<br />
Der Papa machte schnell die Pfannen sauber. Anna räumte das<br />
Geschirr ab <strong>und</strong> überlegte, dass ihr Plan <strong>auf</strong>gehen würde. Der<br />
139
Abend wäre also frei. Teresa dachte an den Film <strong>und</strong> überlegte was<br />
sie alles machen würde, wenn sie erst 16 Jahre alt wäre.<br />
„Geht mit Robi aber bevor es ganz dunkel ist <strong>und</strong> nicht zu lange<br />
Fernsehen, ja?“<br />
„Gut Papa, machen wir. Wir l<strong>auf</strong>en eine große R<strong>und</strong>e um den<br />
Spielplatz, ja?“<br />
„Ja gut. Ich kann mich doch <strong>auf</strong> euch verlassen, oder? Na ihr wart ja<br />
schon öfter mal ein paar St<strong>und</strong>en allein. Und keine Streichhölzer<br />
anzünden! Die Kerzen bleiben aus, ja?“<br />
„Ja.“<br />
Und Finger weg vom Elektroherd <strong>und</strong> vom Bügeleisen, klar?“<br />
„Klar.“<br />
Die Mama kam nach einiger Zeit (ca. eine St<strong>und</strong>e) aus <strong>dem</strong> Bad. Sie<br />
sah mit <strong>dem</strong> neuen Lidschatten w<strong>und</strong>erschön aus. Dann machte sich<br />
der Papa schick. Keine halbe St<strong>und</strong>e später waren die Eltern <strong>auf</strong><br />
<strong>dem</strong> Weg ins Kino.<br />
Sie standen schon <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Gehweg. Robis struppiger Schwanz ging<br />
eilig hin <strong>und</strong> her. Auffordernd zog er an der Leine. Natürlich wollte<br />
er viel ausl<strong>auf</strong>en. Seine Augen drehten sich immer etwas rückwärts.<br />
Mit hechelnder Zunge erwartete er, dass die Mädchen ihm folgen<br />
würden. <strong>Susi</strong> hatte es da leichter. Vorhin <strong>saß</strong> sie noch dicht gedrängt<br />
an der Wohnungstür. Jetzt tänzelte sie noch ein bisschen um Robis<br />
Kopf, hielt ihren buschigen Schwanz lang nach oben ausgestreckt,<br />
<strong>und</strong> lief dann in Richtung eines schmalen Pfades <strong>dem</strong> nahen Wald<br />
zu.<br />
„Wo er nur bleibt“, w<strong>und</strong>erte sich Anna. „Es ist schon acht durch.“<br />
„Ich kann den H<strong>und</strong> kaum noch halten“, stöhnte Teresa. „Nimm du<br />
ihn mal! Er zieht mich sonst weg.“<br />
140
„Teri, wollen wir noch mal klingeln?“<br />
„Lieber nicht. Vielleicht darf Martin nicht mehr raus. Komm, wir<br />
gehen lieber!“<br />
So gingen sie über die Straße. Anna hatte Mühe, den H<strong>und</strong> ruhig zu<br />
halten. Der Verkehr war aber schon ruhiger geworden. Sie<br />
erreichten den schmalen, bergigen Pfad hinter den letzten Häusern.<br />
Hier begann ein kleiner Aufstieg durch bewaldetes Gebiet. Die<br />
Mädchen kannten den Weg. Die anbrechende Dämmerung störte sie<br />
kaum. Es ging teilweise steil nach oben.<br />
Teresa wollte nun doch wieder den H<strong>und</strong>, um sich ziehen zu lassen.<br />
Eine Stofftasche hing an Annas Hand. Sie achtete sorgsam dar<strong>auf</strong>,<br />
die Tasche möglichst gerade zu halten.<br />
Kurze Zeit später machten sie den H<strong>und</strong> von der Leine ab. Robi<br />
jagte sofort los, bellte munter <strong>und</strong> drehte große Kreise. Plötzlich<br />
raschelte es links neben Anna. Sie blickte <strong>auf</strong> die Sträucher am<br />
Wegrand. Bewegten sich da nicht etwas die knospenden Zweige?<br />
Den H<strong>und</strong> schien das Rascheln aber nicht zu interessieren <strong>und</strong> sie<br />
setzten ihren Weg fort. Langsam lichtete sich der Wald. Direkt <strong>auf</strong><br />
der kleinen Berghöhe erreichten die Mädchen ihr Ziel. Jetzt, im<br />
Halbdunkel, wirkte der Spielplatz größer. Die gesamte Freifläche<br />
war mit Spielgeräten <strong>und</strong> Sandkästen ausgestattet. Nur zwei<br />
einzelne Lampen, an der nahen Straße gelegen, spendeten etwas<br />
Licht herüber. Hinter der schmalen Straße begann die nächste<br />
Wohnsiedlung. Sie liefen noch eine R<strong>und</strong>e um den ganzen Platz.<br />
Dort drüben befanden sich auch die Container für Wertstoffe.<br />
„Willst du das Buch wirklich in solch einen Container legen?“,<br />
fragte Teresa skeptisch.<br />
Anna wusste es nun auch nicht mehr so genau <strong>und</strong> antwortete: „Die<br />
Container werden heute sicher nicht mehr abgeholt. Und wenn das<br />
141
verflixte Ding sowieso zurückkommt, ist es doch egal. Ich will aber<br />
heute in Ruhe schlafen, Teresa.“<br />
Robi, der immer noch frei lief, spitzte die Ohren, <strong>saß</strong> kurz still <strong>und</strong><br />
jagte dann in die Richtung davon, aus der sie gekommen waren.<br />
„Hoffentlich haut der jetzt nicht ab“, sagte Anna besorgt.<br />
„Robi, hierher! Kommst du her!“<br />
Anna wusste, dass es nicht viel nutzte, einem H<strong>und</strong> hinterher zu<br />
l<strong>auf</strong>en. Deswegen versuchte sie es mit strenger Stimme <strong>und</strong> blieb<br />
<strong>auf</strong> ihrem Platz stehen. Teresa besah sich schon die Schaukel.<br />
Gleich dar<strong>auf</strong> kam das Bellen aber wieder näher <strong>und</strong> hinter Robi<br />
tauchte eine Gestalt <strong>auf</strong>. Im Halbdunkel erkannten sie dann Martin,<br />
der schon mit den Armen winkte. Anna machte inzwischen den<br />
H<strong>und</strong> an einer Bank fest.<br />
„Hallo Teresa, hallo Anna! Habt ihr es mit?“<br />
„Ja. Zum Glück bist du es, Martin!“, rief ihm Teresa entgegen.<br />
„Ja, zum Glück, wo warst du denn? Es ist schon“, Anna schaute <strong>auf</strong><br />
ihre beleuchtete Uhr, „gleich halb neun.“<br />
„Ich war noch in der Stadt, in der Bibliothek. Da habe ich einen<br />
Bildband gef<strong>und</strong>en, über die Pyramiden <strong>und</strong> über die Länder da, im<br />
Süden.“ Martin atmete immer noch hastig.<br />
„Da gucken wir morgen gleich rein, ja?“, nickte Anna zu Martin,<br />
obwohl es immer dunkler wurde.<br />
„Ich habe schon einiges gelesen. Deswegen bin ich auch zu spät<br />
gekommen. Meine Oma weiß nicht mal, dass ich hier bin. Ich muss<br />
euch unbedingt etwas zeigen.“<br />
Martin holte ein (echtes) Buch hervor, bemerkte aber gleich wie<br />
dunkel es schon war. Er schaute sich um <strong>und</strong> zeigte über die Straße:<br />
„Kommt! Wir gehen da rüber, hinter die Container. Da ist eine<br />
Straßenlampe. Hier sieht man ja bald nichts mehr.“<br />
142
Anna war jetzt sofort das Kastenbuch in ihrer Tasche eingefallen<br />
<strong>und</strong> sie sagte zu Martin:<br />
„Du, schnell, berühre es mal bevor wir es verstecken!“<br />
Gleichzeitig schilderte sie ihm kurz, was sich am Nachmittag noch<br />
zugetragen hatte. Martin berührte die silbrige Oberfläche. Auch das<br />
Katzenprofil fasste er an <strong>und</strong> sie drehten das Buch in alle<br />
Richtungen. Es leuchtete gespenstisch, aber nichts geschah diesmal.<br />
Martin empfand weder frohe Müdigkeit noch wärmende<br />
Fröhlichkeit.<br />
„Wie das leuchtet“, staunte Teresa immer wieder.<br />
„Nichts.“ Martin zog die Hände wieder zurück.<br />
„Wahrscheinlich fehlt <strong>Susi</strong>“, sagte Anna etwas enttäuscht.<br />
Eigentlich hatte sie schon so etwas geahnt. Nun war es also klar,<br />
dass zwischen <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Kastenbuch ein geheimnisvoller<br />
Zusammenhang bestand.<br />
„Ich will aber schaukeln“, <strong>ließ</strong> sich Teresa gelangweilt hören.<br />
„Gut Teri, wir schaffen nur das Kastenbuch zum Container <strong>und</strong><br />
kommen gleich wieder zurück.“<br />
„Ich geh aber jetzt schaukeln“, forderte Teresa weiter. Endlich<br />
wollte sie die Spielgeräte im Halbdunkel ausprobieren.<br />
„Dann schaukele du schon <strong>und</strong> wir gehen allein, ja?<br />
„Gut, beeilt euch aber!“<br />
„Ja, bis gleich, Teri.“<br />
„Bis gleich.“<br />
Anna <strong>und</strong> Martin gingen los. Robi beobachtete die Kinder von der<br />
Bank aus. Anna fiel jetzt der H<strong>und</strong> ein. Sie drehte sich kurz um <strong>und</strong><br />
rief:<br />
„Und schau mal nach Robi, beim Spielen!“<br />
Teresa <strong>saß</strong> aber schon <strong>auf</strong> ihrer geliebten Schaukel.<br />
143
Nur Minuten vorher hatten sich die Zweige der Sträucher etwas<br />
auseinander geschoben. Lautlos war ein Schatten über den<br />
Spielplatz gehuscht. Vom Klettergerüst zur Wippe, dann am Rande<br />
des Sandkastens entlang, schob sich der Schatten unmerklich voran.<br />
Ganz in der Nähe heulten einige H<strong>und</strong>e. Ein sanfter Abendwind<br />
säuselte um das junge Gras an der Bank. Robi schnupperte etwas,<br />
konnte aber nichts erkennen oder hören. So duckte er sich hinter die<br />
Bank zurück. Einige Schritte weiter unterhielten sich die Kinder.<br />
Wie aus <strong>dem</strong> Nichts tauchten zwei gelbe Augen vor ihm <strong>auf</strong>.<br />
„Hallo Rob“, flüsterte es.<br />
„<strong>Susi</strong>? Fein, das du kommst.“<br />
„Ich hab es dir doch heute früh versprochen. Dreh dich mal ein<br />
bisschen um, mit deinem Kopf“<br />
Robi legte den Kopf etwas zur Seite. <strong>Susi</strong> konnte nun an das<br />
Halsband gelangen. Den Haken der Leine vermochte sie nicht zu<br />
lösen. Das Halsband aber, welches nur recht lose angelegt war,<br />
konnte sie mit den Krallen öffnen. Geschickt stellte sie sich dabei<br />
an; sch<strong>ließ</strong>lich hatten sie es heute einige Male geübt. Nach ein paar<br />
Pfotengriffen war Robi frei.<br />
„Soll ich das Halsband wieder sch<strong>ließ</strong>en?“, fragte sie ihren großen<br />
Fre<strong>und</strong>.<br />
„Lieber nicht, <strong>Susi</strong>. Falls die Kinder nach mir suchen, w<strong>und</strong>ern sie<br />
sich noch mehr.“<br />
„Wann wirst du zurück sein, Rob?“<br />
Robi schaute zum Himmel. Dann beugte er sich zu <strong>Susi</strong> <strong>und</strong><br />
flüsterte: „Es geht nur leichter Wind. Bevor die kleine Wolke dort<br />
oben den Mond erreicht, bin ich zurück.“<br />
144
„Gut Rob, viel Spaß heute bei eurem Treffen.“<br />
<strong>Susi</strong> schaute nach der Wolke. Die Worte „bis gleich“ von Teresa<br />
klangen in diesem Moment herüber. <strong>Susi</strong> sah, wie das Mädchen<br />
eilig <strong>auf</strong> die nahe gelegene Schaukel zu steuerte.<br />
Dann bekam sie von Robi noch einen Ohrschlecker. Sie<br />
verabschiedeten sich <strong>und</strong> ihr H<strong>und</strong>efre<strong>und</strong> verschwand in der<br />
anbrechenden Dunkelheit. <strong>Susi</strong> sah jetzt fast alles noch genau so gut<br />
wie am Tage. Die Farben verblassten zwar, aber die Sehschärfe<br />
wurde umso besser. Alles schimmerte nur viel grünlicher. Jetzt war<br />
<strong>Susi</strong>s Zeit. Lautlos <strong>und</strong> mit katzenartigen Bewegungen war sie in<br />
kürzester Zeit wieder am Waldrand. Hier wollte sie bis zu Robis<br />
Rückkehr <strong>auf</strong> Entdeckung gehen.<br />
Als die Kinder kurz dar<strong>auf</strong> die Container erreichten, war Anna<br />
erleichtert. Martin suchte ein fast gefülltes Fach aus. So konnte man<br />
die Stofftasche auch jederzeit wieder finden. Anna schob die Tasche<br />
mit <strong>dem</strong> Buch seitlich am inneren Containerrand zwischen die<br />
vielen Verpackungsreste. Sie merkte sich die Stelle genau. Sie<br />
standen jetzt in der Nähe einer Straßenlampe. Martin wollte ihr<br />
noch einige Abbildungen aus seinem neuen Buch zeigen. Lautlos<br />
fuhren ein, zwei Autos an ihnen vorbei. Anna schaute über die<br />
Straße zurück. Sie glaubte die Bewegungen der Schaukel zu<br />
erkennen <strong>und</strong> machte sich Sorgen um Teresa.<br />
„Martin, wir können uns doch morgen das Buch angucken. Teri ist<br />
ganz allein. Komm wir gehen lieber wieder zurück!“<br />
Wieder fuhr ein Auto an ihnen vorüber <strong>und</strong> hielt gleich in der Nähe<br />
des Spielplatzes.<br />
„Martin, komm! Morgen reicht es auch noch.“<br />
145
„Na gut, meine Oma wird sowieso wütend sein.“<br />
Sie drehten um. Erst jetzt erlosch das Licht des geparkten<br />
Fahrzeuges am Spielplatz. Die Türen klappten. Teresa schaukelte<br />
noch immer. Anna <strong>und</strong> Martin waren in der Dunkelheit weiter<br />
gel<strong>auf</strong>en. In diesem Augenblick stockte ihnen aber der Atem. Anna<br />
taumelte. Erst jetzt erkannten sie die Lage. Keine zehn Meter weiter<br />
waren sie einfach aus einem Auto gestiegen. Da standen sie, direkt<br />
vor Ihnen.<br />
„Oh nein, ich glaub es nicht“, flüsterte Anna erschüttert.<br />
„Doch sie sind es“, stotterte Martin zurück.<br />
„Bist du sicher? Suchen die nach uns?“<br />
Martin gab aber keine Antwort mehr. Er hatte diese Männer schon<br />
zweimal ganz aus der Nähe gesehen. Anna hoffte noch irgendwie<br />
<strong>auf</strong> ein W<strong>und</strong>er. Doch es half nichts. Umkehren oder wegl<strong>auf</strong>en?<br />
Das würde auch nichts bringen. Es wäre sofort verdächtig. Ein<br />
Stückchen weiter befand sich auch noch Teresa <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Spielplatz.<br />
Und sie war jetzt das Wichtigste, dachte Anna.<br />
„Martin, wir müssen zu Teresa. Bleib ganz still! Ich mache das.“<br />
Anna nahm allen Mut zusammen. Unbedingt musste sie ihre kleine<br />
Schwester schützen. Kurz entschlossen zog sie Martin an ihre Seite<br />
<strong>und</strong> schritt den Langmänteln geradewegs entgegen. Die hatten sie<br />
erst jetzt bemerkt. Es schien sie aber nicht weiter zu stören. Zum<br />
ersten Mal hörte Anna die laute, befehlende Stimme des einen:<br />
„Nimm den Verstärker raus! Ich stelle ihn dann ein.“<br />
„Können wir denn hier parken?“, krächz, krächz.<br />
„Na ja natürlich. Hier ist doch kein Mensch.“<br />
„Aber die zwei Kinder, die da kommen?“<br />
„Na dann kommen die eben. Mach jetzt! Es ist gleich zehn vor<br />
neun. Du weißt doch, dass wir nicht viel Zeit haben.“<br />
146
Die Kinder waren nun <strong>auf</strong> gleicher Höhe mit <strong>dem</strong> Fahrzeug<br />
angekommen <strong>und</strong> befanden sich direkt neben den Männern. Auf<br />
<strong>dem</strong> Gehweg stand ein großer Kasten mit mehreren Antennen <strong>und</strong><br />
vielen Knöpfen. Seitwärts, vom Auto aus gesehen, begann die große<br />
freie Fläche mit <strong>dem</strong> Spielplatz. Anna schaute intuitiv hin<strong>auf</strong> zum<br />
Himmel. Nur einige kleine Wolken in der Nähe des Mondes waren<br />
zu erkennen. Ansonsten leuchteten schon die ersten Sterne durch<br />
die Dunkelheit. Noch einen Schritt <strong>und</strong> Anna stand direkt vor <strong>dem</strong><br />
größeren Mann. Sie sahen sich in die Augen.<br />
„Guten Abend, werte Herren. Sie sind bestimmt das berühmte<br />
Forscherteam, von <strong>dem</strong> alle erzählen, nicht?“<br />
„Was für Team?“, entfuhr es <strong>dem</strong> Mann. Verdutzt schaute er <strong>auf</strong><br />
das Mädchen.<br />
„Es steht doch in allen Zeitungen. Sie erforschen doch die“, Anna<br />
schaute wieder zum Himmel, „die Mondgravitation <strong>und</strong> die, die<br />
Rotation der Sterne, nicht?“<br />
Anna lächelte so gut sie konnte. Martin hatte sich den Kragen hoch<br />
geschoben <strong>und</strong> blickte nach unten. Die Männer schauten sich<br />
gegenseitig etwas dümmlich an. Anna gab ihnen aber keine Zeit<br />
zum Antworten. Mit aller Kunst plapperte sie weiter:<br />
„Ach, ich bew<strong>und</strong>ere sie. Sie sind so berühmt. Später will ich auch<br />
mal Astrologe, äh Astronom werden.“<br />
„Natürlich die Mondgravitation erforschen wir“, sagte der kleinere<br />
Mann <strong>und</strong> streckte sich, schief lächelnd, zu voller Größe <strong>auf</strong>. Der<br />
Große schaute ihn abstrafend an.<br />
„Wie schön, dass sie sogar unseren Spielplatz für ihre Forschungen<br />
benutzen. Hier ist eine gute Sicht <strong>und</strong> nichts versperrt den Himmel,<br />
nicht?“<br />
„Wollt ihr nicht lieber nach Hause gehen, Kinder?“<br />
147
XX7 hatte nur noch wenige Minuten Zeit. Die Yellobaby 1 sollte<br />
sich gleich in Position befinden. Er konnte sich jetzt nicht noch <strong>auf</strong><br />
ein Gespräch mit Kindern einlassen. Vielleicht beobachtete sie ja<br />
gerade der andere Geheimdienst. Vielleicht würden auch noch<br />
andere Leute hier vorbei kommen oder spazieren gehen. Da fiel ihm<br />
plötzlich ein, dass ihm die Kinder durchaus als Tarnung dienen<br />
könnten. Er könnte sie in <strong>dem</strong> Glauben lassen, er <strong>und</strong> XX0 machten<br />
mit <strong>dem</strong> Hyperverstärker irgendwelche Himmelsbeobachtungen<br />
oder Untersuchungen. Käme jemand vorbei, würde es so weniger<br />
<strong>auf</strong>fallen. Sie könnten ja durchaus von einer Schule sein. Genau!<br />
Und morgen ginge es sowieso zurück. Heute war hier ihr letzter<br />
Einsatz. XX7 war inzwischen ganz nah an die Kinder heran getreten<br />
<strong>und</strong> räusperte sich:<br />
„Ja Mädel, wir machen heute einige Messungen <strong>und</strong> ein paar<br />
Fotografien. Wenn ihr noch Zeit habt, könnt ihr mit dabei sein. Wer<br />
ist eigentlich der Junge dort?“<br />
Anna <strong>ließ</strong> sich die Überraschung über die unerwartete Einladung<br />
nicht anmerken <strong>und</strong> antwortete artig:<br />
„Toll, gern gucken wir zu. Der Junge, das ist mein Fre<strong>und</strong>. Er kann<br />
leider nicht richtig sprechen, weil er eine ansteckende Krankheit im<br />
Hals hat.“<br />
Martin zuckte zusammen. Anna fasste sich an ihren Hals.<br />
„Eine ansteckende Krankheit hat er?“<br />
„Ja, na manche stecken sich aber auch nicht an“, fügte Anna rasch<br />
hinzu. Ihr fiel ein, dass sie sich fast selbst eingeladen hatte. Es wäre<br />
bestimmt klüger gewesen zu verschwinden. Die Männer waren aber<br />
mit ihrer Technik beschäftigt <strong>und</strong> gingen nicht weiter <strong>auf</strong> die Kinder<br />
ein.<br />
148
Martin hustete etwas. Er gab sich Mühe, so ansteckend wie möglich<br />
zu wirken <strong>und</strong> sein Gesicht nicht direkt zu zeigen. Zu gern wäre er<br />
jetzt bei seiner Oma. Die Dunkelheit schützte ihn aber. Der eine<br />
Mann hantierte immer noch an <strong>dem</strong> Kasten herum. Wieder schauten<br />
die Männer <strong>auf</strong> die Uhr.<br />
„Kommt Kinder, wir gehen jetzt dort rüber <strong>auf</strong> die freie Fläche!“<br />
Mit Herzklopfen folgten sie den Männern. Konnten sie nun mehr<br />
erfahren? Anna w<strong>und</strong>erte sich, dass sie nicht einmal nach ihren<br />
Vornamen gefragt wurden. Auch war klar, dass es sich hier nicht<br />
um eine nächtliche Sternenbeobachtung handeln würde. Gleich am<br />
Rande des Spielplatzes blieben sie dann stehen. Einige Meter weiter<br />
begann fast völlige Dunkelheit. Eine Taschenlampe flammte <strong>auf</strong>.<br />
Anna versuchte, die Schaukel zu erkennen. Von Teresa war aber<br />
nichts zu hören oder zu sehen. „Sie hat sich bestimmt versteckt“,<br />
dachte Anna. Sie kannte doch ihre flinke Schwester.<br />
Ein Bildschirm, ähnlich einem ComputerMonitor, leuchtete <strong>auf</strong>.<br />
Knöpfe wurden gedreht, Hebel <strong>und</strong> Schalter umgelegt. Eine kleine<br />
Empfangsschüssel begann sich langsam <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Kasten zu drehen.<br />
„XX... äh Doktor, es ist gleich soweit.“<br />
„Gut. Zeichnen sie die Ergebnisse optisch <strong>und</strong> akustisch <strong>auf</strong> die<br />
Festplatte.“<br />
„Akustisch?“<br />
„Gravitätisch, meinte ich. Und achten sie <strong>auf</strong> die, äh Rotation!“<br />
Martin hörte das Einsetzen der Kirchenglocke zur vollen St<strong>und</strong>e. Er<br />
wünschte sich nur noch, dass die Sache hier so schnell wie möglich<br />
beendet wäre. Anna hatte sich, als wäre es das Normalste der Welt,<br />
zwischen die Männer gehockt <strong>und</strong> beobachtete den Bildschirm. Es<br />
summte etwas in <strong>dem</strong> Kasten. Dann flossen verschiedene Daten<br />
über den Monitor. Der kleine Spiegel drehte sich nur noch<br />
149
unmerklich. Diverse gelbe Anzeigen leuchteten <strong>auf</strong>. In der Ferne<br />
bellten einige H<strong>und</strong>e. Nach <strong>und</strong> nach erschienen h<strong>und</strong>erte,<br />
goldfarbene Punkte <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Monitor. Die Männer gerieten in<br />
Aufregung.<br />
Es kamen immer mehr Punkte <strong>und</strong> auch strichartige Abbildungen<br />
dazu.<br />
„Sind das die Sterne?“, fragte Anna mit unschuldiger Stimme.<br />
„Nun, es ist mehr die Rotationsverschiebung der Sterne oder die<br />
Bahnen, die durch die Gravitation koor... äh kooperieren, also<br />
gemeinsam sich ablenken.“<br />
„Aha, ach so ist das.“<br />
„Zeichne die Bilder <strong>auf</strong>!“, sagte der Große zu seinem Kollegen.<br />
„Wir brauchen auch die genauen Positionen des Gol... äh, der<br />
Sterne.“<br />
Auf <strong>dem</strong> Monitor wurde es nun immer gelber. Sicher waren schon<br />
an die tausend gelbe Markierungen zu erkennen. Darunter erkannte<br />
man ganz schwach eine Art Landkarte. Ein blaugrüner Faden<br />
schlängelte sich durch das Bild.<br />
„Kann man das auch vergrößern?“, fragte Anna weiter.<br />
„Ich denke schon“, erwiderte der Kleinere, der sich insgeheim über<br />
das nette Mädchen freute. Er machte ein Standbild. Dann trennte er<br />
einen winzig kleinen Bildausschnitt ab <strong>und</strong> vergrößerte ihn. Anna<br />
zählte den Vergrößerungsfaktor mit. Bei einem Faktor von<br />
fünftausend, waren von den gelben Punkten nur noch<br />
verschwommene Farbflecke zu erkennen.<br />
„Es ist einfach zu weit weg <strong>und</strong> die Mengen sind zu gering“, sagte<br />
der Große. „Da nutzt uns auch der beste Satell..., ich meine die<br />
beste Sattelantenne nichts.“<br />
150
Anna hatte ganz genau hingeschaut. Einige gelbe Flecke <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />
Monitor sahen in der Vergrößerung etwas ringförmig aus. Für diese<br />
Deutung musste man aber wirklich eine gute Vorstellungsgabe<br />
besitzen. Plötzlich klingelte ein Telefon. Der Klingelton war die<br />
Musik „Goodbye Jonny“.<br />
Der Große griff in seine Tasche.<br />
„Hallo? Ja Sir, ... was? Abgebrochen, Sir? Sofort abgebrochen?<br />
Gut, Sir! ... Ja, habe ich verstanden, Sir! ... Nein, bringt keinen<br />
Erfolg ... Das glaube ich auch, Sir. Morgen, ja ... mit <strong>dem</strong><br />
Flugzeug. Klar, Sir ... goodbye.“<br />
Schlagartig verschwanden die gelben Pünktchen vom Bildschirm.<br />
Die Männer sahen nach oben, als würden sie etwas vermissen. Dann<br />
begannen sie einzupacken.<br />
„Das war’s Kinder“, sagte der Große.<br />
„Wir haben unsere Forschungen beendet. Erzählt aber bitte nichts<br />
darüber. Es muss alles noch ausgewertet werden.“<br />
Bei sich selbst dachte XX7 aber schon an den bevorstehenden<br />
Heimflug. Ein schöner, langer Urlaub wartete <strong>auf</strong> ihn. Das nächste<br />
Mal wollte er sehen, dass er einen normalen Auftrag bekäme. Ein<br />
verschw<strong>und</strong>enes, rätselhaftes Buch zu jagen, war nicht so seine<br />
Sache. Zum Glück hatten sie gegen den fremden Geheimdienst<br />
durchgehalten. Die „Anderen“ waren aber auch raffiniert. Das<br />
Kastenbuch war bestimmt längst außer Landes <strong>und</strong> hier, in dieser<br />
kleinen Stadt, lief nur das Ablenkmanöver. XX7 war sich da ganz<br />
sicher. Nun wollte er noch ein paar alte Verpackungen <strong>und</strong> Müll<br />
loswerden. Da sah er die Container stehen. Auch XX0 musste mit<br />
anpacken. Sie trugen ihr Zeug bis zum ersten Container <strong>und</strong><br />
stopften es in irgendwelche Fächer. Anna <strong>und</strong> Martin sahen<br />
151
angespannt aus der Ferne zu. Sie standen noch immer in der Nähe<br />
des Autos. Niemand hörte wie ein kleines längliches Gerät, welches<br />
sich im Auto befand, einige Sek<strong>und</strong>en lang leise <strong>auf</strong>piepste.<br />
Die Männer kehrten zurück <strong>und</strong> räumten den Rest ihrer Ausrüstung<br />
ins Fahrzeug.<br />
Anna fragte vorsichtig: „Wollen Sie denn schon abreisen?“<br />
„Ja, müssen wir sogar. Morgen früh schon geht unser Flugzeug.“<br />
„Schade“, sagte Anna mit bedauerlichem Tonfall.<br />
Dann verabschiedeten sie sich.<br />
„Tschüs Kinder!“<br />
„Auf jeden Fall wünschen wir ihnen einen guten Flug. Und vielen<br />
Dank, dass wir zuschauen durften, tschüs.“ Anna bemühte sich, ihre<br />
Stimme so harmlos wie möglich klingen zu lassen.<br />
Martin hustete noch mal richtig laut.<br />
In der Nähe bellte ein H<strong>und</strong>.<br />
Im Kino wurde laut gelacht.<br />
Die Türen klappten wieder <strong>und</strong> das Auto fuhr fast geräuschlos<br />
davon.<br />
Anna hätte fast gejubelt. Martin hopste nach oben. Sie seufzten vor<br />
Erleichterung. Die ganze Last der letzten St<strong>und</strong>e fiel mit einem Mal<br />
von Ihnen.<br />
„Man muss nur richtig nett sein, was?“, lachte Anna.<br />
„Wie hast du das nur gemacht?“, w<strong>und</strong>erte sich Martin <strong>und</strong><br />
schüttelte den Kopf.<br />
„Ich weiß es auch nicht genau. Ich hab nur an Teri gedacht.“<br />
Anna schaute <strong>auf</strong> die Uhr. Es war kurz vor zehn.<br />
„Komm schnell!“<br />
152
Sie rannten zurück <strong>auf</strong> den Spielplatz. Robi bellte. Teresa war hinter<br />
einem Baum hervor gekommen <strong>und</strong> lief ihnen schon entgegen. „Ich<br />
hab einiges mitgehört. Sie fliegen ab“, rief sie.<br />
Glücklich umarmten sie sich.<br />
„Es ist so schön, dass du da bist, Teresa“, sprach Anna ganz gerührt<br />
<strong>und</strong> drückte immer wieder ihre kleine Schwester.<br />
„Anna war großartig“, sagte Martin.<br />
Robi wedelte mit <strong>dem</strong> Schwanz <strong>und</strong> zog ungeduldig am Halsband.<br />
Nach <strong>dem</strong> Kastenbuch wollten sie nun nicht mehr sehen. Anna<br />
machte die Leine von der Bank ab. Schnell liefen sie den schmalen<br />
Weg hinab. Etwas weiter vorn konnten sie schon die erste Lampe<br />
ihrer Wohngegend erkennen. Völlig müde von diesem <strong>auf</strong>regenden,<br />
langen Tag erreichten sie in der elften St<strong>und</strong>e ihre Hauseingänge.<br />
Martin schlich schnell zu sich hinein. Die Mädchen waren ruckzuck<br />
ausgezogen <strong>und</strong> gewaschen. Robi legte sich <strong>auf</strong> seine Decke. Kurze<br />
Zeit später lagen die Kinder in ihren Betten <strong>und</strong> schliefen sofort ein.<br />
So hörten sie nicht mehr, wie nur Minuten später die Eltern die Tür<br />
<strong>auf</strong>schlossen.<br />
„Na, du Agent“, scherzte die Mama leise.<br />
„War lustig nicht?“, flüsterte der Papa <strong>und</strong> gab ihr einen Kuss.<br />
Beide öffneten sie behutsam die Tür zum Kinderzimmer. Vorsichtig<br />
beugten sie sich über die Betten. Die Mädchen träumten friedlich.<br />
„Schade, dass ihr nicht die zwei Agenten im Film gesehen habt“,<br />
flüsterte der Papa noch leiser. Dann schlossen sie die Tür.<br />
Ein grauer Schatten huschte geräuschlos um die dunkle Hausecke.<br />
Die Nacht war noch lang.<br />
153
(Was meinst Du, was Anna gesehen haben könnte, als sie die gelben<br />
Vergrößerungen <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Monitor betrachtete?)<br />
154
155
13. >ZWISCHEN< Eis <strong>und</strong> Blaubeerbrause<br />
Teresa leckte das schmelzende Eis ab. Sie war sorgfältig dar<strong>auf</strong><br />
bedacht, dass nichts über den Rand lief.<br />
Langsam drehte sie die Knusperwaffel <strong>und</strong> beobachtete die kleinen<br />
NussStückchen im Eis. Links <strong>und</strong> rechts <strong>saß</strong>en Leute im Freien.<br />
Anna lutschte Erbeer <strong>und</strong> Martin Schokoeis. Vor einer Weile<br />
waren sie mit <strong>dem</strong> Fahrrad gekommen. Das erste Mal in diesem<br />
Jahr. Das kleine Eiscafe war auch erst seit ein paar Tagen<br />
geöffnet. Sonniges, mildes Frühlingswetter wirkte belebend <strong>auf</strong> alle<br />
Sinne. Es duftete nach Kaffee <strong>und</strong> leckeren Früchten. Sahnetorten<br />
<strong>und</strong> sonstige Genüsse wurden bestellt.<br />
Galant flitzte der dunkel gelockte Kellner zwischen den Gästen hin<br />
<strong>und</strong> her. Eine beleibte Frau wurde mit Hilfe von zwei Männern <strong>auf</strong><br />
eine breite Bank gesetzt, weil ihr ein Stuhl nicht ausreichte. Als ihre<br />
Torte mit einer Portion Extrasahne anschwebte, ging ein Leuchten<br />
über ihr Gesicht. Alles war heute erlaubt. Die Sonne wärmte die<br />
Haut <strong>und</strong> die Zeit schien still zu stehen. Es war Frühling geworden.<br />
Anna studierte in <strong>dem</strong> Buch, welches Martin mitgebracht hatte.<br />
Besonders staunte sie über die Abbildungen der Pyramiden.<br />
Möglicherweise gab es ja gerade hier den Zusammenhang mit <strong>dem</strong><br />
geheimnisvollen Kastenbuch. Schon heute Morgen in der Schule<br />
waren sie zu dieser Ansicht gelangt. Als Anna heute etwas früher<br />
wach geworden war, bemerkte sie sogleich den Lichtschein im<br />
Zimmer. Das Buch lag fein säuberlich genau in der Mitte des<br />
Schreibtisches. Es war nicht im Rucksack. Es war nicht bei Martin.<br />
156
Nein, es lag wie von Geisterhand getragen wieder bei ihnen im<br />
Kinderzimmer. Nur die Stofftasche fehlte. Die Welt war eigentlich<br />
wieder in Ordnung, dachte Anna ironisch bei sich. Selbst <strong>Susi</strong>, die<br />
in der Früh von ihrem Nachtausflug zurückgekehrt war, setzte sich<br />
nach <strong>dem</strong> Fressen gleich wieder <strong>auf</strong> das Buch <strong>und</strong> schnurrte<br />
behaglich. Bevor die Kinder in die Schule gingen, wurde Martin<br />
noch geholt <strong>und</strong> im Beisein von <strong>Susi</strong> „<strong>auf</strong>getaut“. Weil er so müde<br />
wurde, flößte man ihm noch einen Kaffee aus der Kanne der Eltern<br />
ein. Keiner wusste aber, wem sie die Normalisierung ihres<br />
Temperaturempfindens zu verdanken hatten. Alles ganz normal,<br />
oder?<br />
Den einzigsten Anhaltspunkt, den sie überhaupt be<strong>saß</strong>en, war das<br />
Leuchten des Katzenreliefs. Gemeinsam mit Teresa hatten sie den<br />
Zusammenhang mit der Himmelsrichtung entdeckt. Zweifellos<br />
verstärkte eine südlich gerichtete Buchlage die Lichtstrahlung.<br />
Doch wozu leuchtete es überhaupt?<br />
„Ob die abgeflogen sind?“, fragte Teresa nebenher. Ihr Eis war jetzt<br />
bis zum Waffelrand geschrumpft.<br />
„Ich denke schon“, antwortete Anna nachdenklich. „Sie waren<br />
jedenfalls nicht so gefährlich, wie wir dachten.“<br />
„Na mir hat es gereicht, Anna. Wer waren die überhaupt?“<br />
„Was weiß ich, Teri. Vielleicht Agenten oder Spione.“<br />
Anna fielen jetzt Filmszenen ein, wo sie solche Agenten gesehen<br />
hatte. Sie erinnerte sich, dass ein Film den sie kannte ``Goldeier``<br />
oder so ähnlich hieß.<br />
„Hauptsache, sie sind weg <strong>und</strong> kommen nicht mehr zurück. Teresa,<br />
ich habe überlegt, ob wir das Kastenbuch nicht ganz normal zurück<br />
schaffen sollten. Wir können doch alles so erzählen, wie es wirklich<br />
war. Was kann uns schon passieren?“<br />
157
„Meinst du?“<br />
„Ja, das ist bestimmt besser.“<br />
„Aber du musst es ja nicht gerade Mama <strong>und</strong> Papa erzählen, Anna.“<br />
„Meinst du?“<br />
„Ja, ich denke schon.“<br />
„Wenn sich die nächste Gelegenheit ergibt, Teri, fahren wir hin <strong>und</strong><br />
schaffen es direkt in das Museum, ja?“<br />
„Ja gut.“<br />
Martin, der immer noch gelesen hatte, schaute jetzt hoch. Er wartete<br />
das Gespräch der Mädchen ungeduldig ab <strong>und</strong> sagte: „Nehmen wir<br />
einmal an, es handelt sich wirklich um die Darstellung von<br />
Pyramiden, ja?“<br />
„Ja.“<br />
„Das Buch oder die eine Spitze zeigt doch nach Süden, habt ihr<br />
gesagt.“<br />
„Die Katze leuchtet intensiv, wenn die eine Spitze in Südrichtung<br />
zeigt.“ Teresa nickte zustimmend.<br />
„Gut, oder so. Nach meinem Schulatlas liegt, von uns aus gesehen,<br />
das Land der Pyramiden im Süden. Dieses Land heißt Ägypten.<br />
Kennt ihr den Namen?“<br />
„Habe ich schon mal gehört“, bestätigte Anna.<br />
„Ich dachte das Land heißt Kamel. Das steht sogar <strong>auf</strong> den<br />
Schachteln da oben.“ Teresa beobachtete einen hustenden,<br />
dampfenden Mann, der mit <strong>dem</strong> Inhalt solch einer Schachtel<br />
hantierte. Ein Kamel <strong>und</strong> eine Pyramide waren dar<strong>auf</strong> abgebildet.<br />
Der Mann fand es offenbar angenehm, so stinkend herum zu<br />
dampfen.<br />
„Ja, Teresa, Kamele gibt es auch da.“<br />
158
„Schade dass es hier keine gibt.“ Teresa schaute immer noch zu<br />
<strong>dem</strong> rauchenden Mann.<br />
Martin fügte hinzu: „Die Kamele können sehr lange ohne Wasser<br />
auskommen. Deswegen können sie besonders in der Wüste<br />
überleben. Und Ägypten hat auch viel Wüste.“<br />
„Können sie auch ohne Rauch auskommen?“<br />
„Wer, die Kamele?“, lachte Anna.<br />
Anna, du hast doch ein Katzenlexikon, nicht?“<br />
„Ja, Martin.“<br />
„Wisst ihr was ich heraus bekommen habe?“<br />
„Nein?“<br />
„Ja was denn?“<br />
„In <strong>dem</strong> Buch über Ägypten, was ich gestern ausgeliehen habe steht<br />
zum Beispiel, dass die Katzen dort besonders verehrt wurden. Ich<br />
habe heute noch mal nachgelesen.“<br />
„Was?“ Teresa verdrückte das letzte Stück Waffel. Erst jetzt war sie<br />
voll bei der Sache.<br />
„Na die Katzen waren dort heilige Tiere. Wie in anderen Ländern<br />
eben die Rinder.“ Martin sah die beiden Mädchen an <strong>und</strong> erzählte<br />
was er alles gelesen hatte.<br />
„Ist ja echt interessant, Martin. Könnte es sein, dass... Ja! Vielleicht<br />
geht <strong>Susi</strong> deswegen so gern in die Nähe des Buches. Meinst du<br />
wirklich es zeigt einen Weg nach Ägypten?“ Anna sprach <strong>auf</strong>geregt<br />
<strong>und</strong> erinnerte sich wie <strong>Susi</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Buch gelegen hatte. Eis tropfte<br />
von ihrer Waffel.<br />
„Genau <strong>und</strong> wir haben uns erst besser gefühlt, als wir gemeinsam<br />
mit <strong>Susi</strong> das Kastenbuch berührten“, pflichtete ihr Martin bei.<br />
„Und warum war uns erst kalt. Und warum ist uns das Ding nicht in<br />
die Schule hinterher gekommen. Warum ist es überhaupt zu uns<br />
159
gekommen? Immer diese ganzen Bücher!“ Teresa warf mit<br />
ungeklärten Fragen nur so um sich.<br />
„Wir wissen es doch auch nicht, Teresa.“ Anna schaute ihre<br />
Schwester an. Dann fuhr sie fort:<br />
„Ich muss unbedingt mal das Ägyptenbuch lesen. Martin, kannst du<br />
es mir heute Abend bitte ausleihen?“<br />
„Natürlich, gern.“<br />
„Ich geb dir dafür das Katzenlexikon. Morgen tauschen wir unsere<br />
Erkenntnisse wieder aus, ja?“<br />
„Ja gut.“<br />
Teresa verdrehte ihre Augen so ungleichmäßig, schielend wie<br />
möglich <strong>und</strong> gluckste ständig: „Katzenbuch <strong>und</strong> Kastenbuch <strong>und</strong><br />
Ägyptenbuch... <strong>und</strong> noch ein Buch.“<br />
Anna musste herzhaft lachen. Sie wandte sich zu Martin: „Martin?<br />
Kannst du noch die Lage genau bestimmen? Ich meine den<br />
geografischen Längen <strong>und</strong> Breitengrad von Ägypten. Damit<br />
können wir die Richtung noch mal genau überprüfen.“<br />
Martin verstand, was Anna wollte. Weil er sich sehr für Geografie<br />
interessierte, würde ihm das ein leichtes sein.<br />
Nun bekam Teresa noch Appetit <strong>auf</strong> eine dritte Kugel. Sie schaute<br />
unbehaglich <strong>auf</strong> das eine grüne Eis, das so aussah wie die Farbe in<br />
ihrem Tuschkasten. Deswegen wollte sie lieber Vanille probieren.<br />
Vom Verkäufer <strong>ließ</strong> sie sich bestätigen, dass es kein Kunsteis wäre.<br />
Die beleibte Frau mit der Schlagsahne hatte inzwischen dreifachen<br />
Nachschlag geordert <strong>und</strong> fast verspeist. Auf einmal rülpste sie laut<br />
los. Dann <strong>ließ</strong> sie sich von ihren zwei Begleitern, halb tragend, zum<br />
nahe gelegenen Cabriolet bringen. Dabei pupste sie gewaltig.<br />
Jedenfalls klang es so.<br />
Anna blinzelte in die Sonne <strong>und</strong> <strong>ließ</strong> ihre Gedanken schweifen:<br />
160
Viel hatte sie schon über Katzen gelernt. Damals, als sie die kleine<br />
<strong>Susi</strong> retteten, sammelte sie danach alle Informationen zum Thema<br />
Katzen. Die Eltern hatten ihr dar<strong>auf</strong>hin mehrere Bücher gek<strong>auf</strong>t.<br />
Darunter war auch ein Lexikon mit w<strong>und</strong>erschönen Bildern. Sie<br />
wusste, dass Katzen eigentlich zu den Raubtieren gehörten <strong>und</strong><br />
oftmals alleine jagten. Nur so konnten sie sich das Überleben in der<br />
Wildnis sichern. Die Beziehung zum Menschen war eine lange<br />
Geschichte. Sie dauerte zwar wesentlich kürzer als zwischen<br />
Mensch <strong>und</strong> H<strong>und</strong>, doch war diese Gemeinschaft immer mit<br />
gegenseitiger Achtung verl<strong>auf</strong>en. In den Ländern um das<br />
Mittelmeer, in Vorderasien, in der islamischen Welt <strong>und</strong> in China,<br />
waren Katzen äußerst beliebt. Man bew<strong>und</strong>erte den perfekten<br />
Körperbau <strong>und</strong> die elastische Kraft der Tiere. Die Unabhängigkeit<br />
<strong>und</strong> der Lebenswille der Katze sind sprichwörtlich. Durch ihre<br />
Eigenschaften kann selbst eine allein gelassene, erwachsene Katze<br />
fast zu jeder Zeit überleben. Sie sch<strong>ließ</strong>t sich dann anderen<br />
Wildkatzen an. Die weit verbreitete Annahme, Katzen wären<br />
egoistische Einzelgänger stimmt keinesfalls. Gern bevorzugen sie<br />
die Gemeinschaft. Selbst mit H<strong>und</strong>en fre<strong>und</strong>en sie sich an. Nur im<br />
Mittelalter wurden, im Zuge der sinnlosen Hexenverfolgungen,<br />
auch die Katzen gejagt. In diesem, sich tatsächlich christlich<br />
benennenden Europa herrschte zu jener Zeit die so genannte<br />
*Inquisition. Die Katze geriet in den Verdacht, die Menschen vom<br />
dogmatischfestgelegten Glauben abzulenken <strong>und</strong> in Verbindung<br />
mit der Wiedergeburt des Teufels zu stehen. Im Zeichen des<br />
Kreuzes, angestiftet von den damaligen Kirchenoberen, wurden die<br />
armen Tiere jahrzehntelang gesch<strong>und</strong>en, totgeschlagen <strong>und</strong> sogar<br />
bei lebendigem Leibe verbrannt <strong>und</strong> gekreuzigt. Von den verfolgten<br />
Menschen ganz zu schweigen. Zum Glück ging aber auch diese<br />
161
finstere Zeit in Europa vorüber. Die Katzen wurden nun als<br />
nützliche Helfer gegen Mäuse <strong>und</strong> Rattenplagen eingesetzt.<br />
Solche Plagen herrschten früher nicht nur in Gebäuden <strong>und</strong><br />
Vorratskellern, sondern auch <strong>auf</strong> großen Schiffen. Einige<br />
Seefahrernationen erkannten die unersetzliche Bedeutung der Tiere,<br />
so dass kein Schiff ohne Katzen ausl<strong>auf</strong>en durfte. Später, bis in die<br />
heutige Zeit, blieben die Katzen eines der beliebtesten Haustiere<br />
überhaupt. Als Seelengefährte, Mäusejäger oder Spielkameraden<br />
hatten sie die Herzen der Menschen <strong>auf</strong> der ganzen Welt erobert...<br />
„War echt lecker“, <strong>ließ</strong> sich Teresa hören.<br />
Anna erwachte langsam aus ihren Gedanken. Das Stimmengewirr<br />
der Leute an den Nachbartischen holte sie wieder ein. Noch immer<br />
schien die Sonne. Martin las in seinem Buch, als wollte er nichts<br />
verpassen. Der Mann mit der Kamelschachtel trank jetzt Bier <strong>und</strong><br />
guckte auch etwas kamelig. Anna gähnte leicht <strong>und</strong> streckte dann<br />
die Hände verschränkt über <strong>dem</strong> Kopf aus.<br />
„Kommt, es wird langsam Zeit! Nachher läuft noch ein schöner<br />
Film <strong>und</strong> lesen will ich auch noch.“<br />
„Ich geh nur mal pullern“, sagte Teresa.<br />
„Das du aber nicht wieder eine Bibliothek findest“, warnte sie Anna<br />
scherzend.<br />
Martin steckte das Buch ein. Teresa kam wieder <strong>und</strong> kurze Zeit<br />
später <strong>saß</strong>en sie <strong>auf</strong> ihren Rädern. Welch schönes Gefühl es doch<br />
war, wieder durch die Natur zu fahren. Unterwegs kam es Teresa in<br />
den Sinn, dass es bald Mai wäre. Sie hatte sich heute genau den<br />
Kalender angeguckt. Und Anfang Mai, schon in ein paar Tagen, war<br />
ja ihr Geburtstag. Endlich hatte sie Geburtstag! Was würde sie da<br />
162
nicht alles machen. Froh <strong>und</strong> ein Liedchen summend, trat sie etwas<br />
stärker in die Pedalen.<br />
Zur gleichen Zeit, irgendwo in oder unter der Wüste, oder in der<br />
Nähe oder unter Las Vegas (USA).<br />
„General Bomb, darf ich ihnen Professor Twostone vorstellen?“<br />
„Gern, Sir.“<br />
Professor Twostone das ist Mr. Bomb, unser erfahrenster<br />
General.“<br />
Der Ministrator stand zwischen den beiden ungleichen Herren <strong>und</strong><br />
machte sie bekannt. General Bomb hatte sich bei den Worten<br />
„erfahrenster General“ sofort nach oben gestreckt <strong>und</strong> schwellte nun<br />
seine Brust nach vorn. Das Knacken im Rückrat überspielte er mit<br />
zackigem Hackenschlag seiner Stiefel. Der Professor schaute lässig<br />
aus seinem gutmütigen Gesicht. Er schien von der blitzenden<br />
Uniform des Generals nicht besonders beeindruckt zu sein.<br />
„Guten Tag, General.“<br />
„Guten Tag, Sir äh... Professor.“<br />
Professor Twostone kratzte sich bedächtig am Hinterkopf. Sein<br />
Blick richtete sich <strong>auf</strong> den Ministrator. Sie kannten sich schon viele<br />
Jahre. In dieser Zeit war der Ministrator selten mit hohen Militärs<br />
zu Besuch gekommen.<br />
„Was verschafft mir denn die Ehre deines Besuches mein lieber<br />
Frank?“ Der Professor schaute den Ministator mit vorgeschobenem<br />
Kopf spitzbübisch an.<br />
Der Ministrator schaute wegen der persönlichen Anrede Twostones<br />
etwas besorgt zum General hinüber. Der blickte jedoch militärisch,<br />
163
teilnahmslos <strong>und</strong> dachte an seine baldige Pensionierung. Nur seine<br />
Augenbraue zuckte etwas.<br />
„Nun es ist so“, wandte sich der Ministrator an General Bomb.<br />
„Professor Twostone leitet auch unsere Basis zur Erforschung der<br />
Raumzeit. Außer<strong>dem</strong> ist er bedeutender Verdienstträger bei der<br />
Weiterentwicklung der Quantentheorie in Verbindung mit der<br />
praktischen Anwendung der Molekularverschiebung bei der,<br />
der ...“, der Ministrator holte Luft <strong>und</strong> einen langen Zettel aus der<br />
Innentasche seines eleganten Anzuges, „bei der Erforschung der<br />
ursprünglichen Dimensionsgestaltung im physikalischen<br />
Verständnis des Universums <strong>und</strong> der ...“<br />
(Einige weitere Ausführungen folgten. Wegen der Vielzahl der<br />
unerklärlichen Begriffe bleiben diese aber hier unerwähnt.) Als der<br />
Ministrator dann fertig war, sah er Hilfe suchend zum Professor.<br />
„Ja so ähnlich, Frank. Nur bin ich mir nicht sicher, ob es nicht doch<br />
die Feldtheorie gewesen sein könnte. Aber das ist schon zu lange<br />
her. Kommen sie doch erst einmal, meine Herren! Setzen wir uns in<br />
meinen Leseraum. Dort können wir uns ungestört unterhalten“<br />
Professor Twostones Lachen klang jugendlich. Er zeigte mit <strong>dem</strong><br />
Arm nach oben <strong>und</strong> schritt seinen Besuchern voraus.<br />
Der Ministrator schaute bedeutungsvoll zum General.<br />
„Es gilt weiterhin ´´SecurityStepup 4``, sie verstehen?“<br />
„Ja natürlich, Sir.“<br />
Der General atmete tief durch. Er fühlte sich regelrecht wohl.<br />
Security 4 war seine Welt. Alles lief so streng geheim, dass es eine<br />
Freude war. Schon vorhin, als sie die bunte Stadt ver<strong>ließ</strong>en <strong>und</strong> in<br />
geheimen Wegen in immer geheimere Bereiche tief unter den<br />
Straßen vordrangen, rechnete er mit Sicherheitsstufe drei. Aber<br />
Stufe vier? Das war es, was sein Herz wirklich begehrte. Ein<br />
164
hochmodernes Labyrinth von Laboratorien, Räumen, ja eine ganz<br />
neue Welt tat sich hier unter der Erde <strong>auf</strong>. Ähnlich den Decks eines<br />
großen Schiffes, ging es bis zu zweih<strong>und</strong>ert Meter nach unten. Eine<br />
echte Parkanlage wuchs hier unter <strong>dem</strong> Licht des neuesten ``UV<br />
SpektralMobilsystems Sahara``. Es gab Sportanlagen <strong>und</strong> sogar<br />
einen künstlichen Badesee mit Wellengenerator. Eben eine Stadt<br />
unter der Stadt. Wie groß sie wirklich war, konnte man nur ahnen.<br />
Wo die geheime Stadt genau begann oder endete, wusste auch<br />
niemand. Die geheimen Forschungsstationen waren natürlich so gut<br />
getarnt, dass selbst General Bomb nicht vermochte, die Eingänge zu<br />
erkennen. Genugtuung verschaffte ihm aber das leise Rauschen der<br />
Klima <strong>und</strong> Sauerstoffanlagen.<br />
So schritten sie etwa eine Viertelst<strong>und</strong>e durch die künstliche Welt.<br />
Angeführt vom beschwingt trabenden Professor, erreichten die drei<br />
Männer einen gläsernen Lift.<br />
„Noch tiefer?“, fragte der Ministrator.<br />
„Aber nein, Frank. Heute fahren wir mal nach oben.“<br />
Professor Twostone schaute jetzt heiter um sich.<br />
„Oder denken sie, meine Herren, ich will ständig bei Kunstlicht<br />
sitzen?“<br />
„Aber die Geheimhaltung, Professor!“<br />
„Ach weißt du was. Die Schatulle ist doch sowie schon wieder<br />
weg.“<br />
„Sie ist weg?“<br />
„Das Militär hat doch den Kontakt zum Zielobjekt verloren, oder?“<br />
Twostone buchstabierte langsam Zielobjekt <strong>und</strong> blickte in seiner<br />
spitzbübischen Art fragend in die R<strong>und</strong>e. General Bomb schien<br />
etwas betreten zu sein, antwortete aber gleich:<br />
165
„Professor Twostone, wir haben alles getan, was vorläufig in<br />
unserer Macht stand. Möglicherweise gab es auch noch andere<br />
Geheimdienste, die sich interessierten.“<br />
„An wen denken sie dabei?“, fragte jetzt der Ministrator.<br />
Bombs Augenbraue zuckte nervös. „Nur nicht <strong>auf</strong>regen“, dachte er.<br />
Seinem Gebiss würde es nicht gut bekommen. Er wusste es<br />
natürlich nicht im Geringsten, wer sich da noch interessierte. Ihm<br />
fielen seine Leute ein, <strong>und</strong> wie sie das Kastenbuch gesucht hatten.<br />
„Sir, schwer zu sagen. Hm... Araber oder Chinesen vielleicht.<br />
Möglicherweise sogar die Deutschen selbst.“<br />
„Die Deutschen? Sie meinen wegen der Koordinaten?“<br />
„Ja, ja immer die Deutschen“, fiel der Professor dazwischen.<br />
„Vielleicht bekommen wir neuen Kontakt zum Kastenbuch, äh zur<br />
Schatulle“, versuchte der General auszuweichen.<br />
„Immerhin waren wir in Süddeutschland nahe dran.“<br />
Professor Twostone lachte schallend <strong>auf</strong>:<br />
„Kastenbuch haben sie es also genannt? Ha, ha, ha!“<br />
„Nun, wegen der Tarnung.“ Der General wirkte wieder verlegen.<br />
Auch schien ihm das Kunstlicht nicht zu bekommen. Der Professor<br />
schüttelte mit <strong>dem</strong> Kopf.<br />
„Nun, glauben sie wirklich, dass ein solches gewaltiges Instrument<br />
dar<strong>auf</strong> wartet, wieder gef<strong>und</strong>en zu werden? Schon die Zeitschleife<br />
zu unterbrechen war mehr als schwierig!“<br />
„Was bezeichnen sie genau mit Instrument?“<br />
„Ich erzähle ihnen oben mehr. Kommen sie bitte! Und machen sie<br />
sich auch keine Sorgen wegen der Sicherheit. Hier unten wird man<br />
wesentlich öfter abgehört, vermute ich.“<br />
„Meinen sie wirklich“, fragte der Ministrator.<br />
„Ja, Frank, leider. Kennst du das nicht aus deinem Ministerium?“<br />
166
„Brauchen sie denn keine Geräte oder eine gewisse Technik?“,<br />
überlegte der General.<br />
„Die Schatulle ist weg. Was soll ich ihnen technisch zeigen? Ich<br />
fürchte, wir müssen uns zurzeit mit einigen theoretischen<br />
Auffassungen begnügen.“<br />
„Glauben sie, das reicht, einige Theorien?“ Der Ministrator schien<br />
auch nicht ganz zufrieden.<br />
„Aber Frank, hier unten ist doch alles Theorie. Dreißig Jahre habe<br />
ich überlegt, aus welchen Teilchen die Teilchen <strong>auf</strong>gebaut sind, aus<br />
denen die kleinsten Teilchen der Atome bestehen.“<br />
„Aha“, sagte der Ministrator. „Diese Teilchen meinen sie also. Und<br />
zu welchem Ergebnis sind sie gekommen?“<br />
Der Professor breitete stirnrunzelnd die Hände auseinander.<br />
„Zu keinem, ha, ha ..., zu keinem Ergebnis.“<br />
Dann ging er etwas in die Knie <strong>und</strong> lachte wieder aus vollem Hals.<br />
Gleich hielt er sich aber schützend die Hand vor den M<strong>und</strong>.<br />
„Oh, Verzeihung meine Herren.“<br />
Vorsichtig neigte er den Kopf zu den beiden Besuchern: „Ich darf<br />
nicht so laut lachen, sonst wird wieder die Alarmanlage ausgelöst.“<br />
Der Ministrator <strong>und</strong> sein General schauten sich fragend an.<br />
Zumindest fühlte sich General Bomb vergleichsweise etwas besser.<br />
Trotz der gigantischen Forschungsstadt konnte selbst der<br />
angesehene Professor kein Ergebnis bei seinen Teilchen erzielen.<br />
Dieser Umstand wirkte irgendwie beruhigend, auch wenn es bloß<br />
um ein paar kleine Teilchen ging.<br />
Die Lifttür schloss sich. Der Professor meldete sich mit seiner<br />
Stimme am System an. Er benannte eine kurze Buchstaben<br />
Zahlenkombination. Der Lift hob geräuschlos ab. Gleich dar<strong>auf</strong><br />
färbten sich die Scheiben milchgrau.<br />
167
„Tarnung aktiviert“, tönte eine nette Frauenstimme. Leise Musik<br />
erklang. In der einen Ecke der Kabine erschienen <strong>auf</strong> einem<br />
länglichen Minitisch drei Getränkebecher. Der Professor fuhr sich<br />
durch sein blondes Haar, welches wirr vom Kopf abstand. Selbst<br />
sein Schnauzbart war blond. Man konnte weder das Alter schätzen<br />
noch erkennen, was hinter <strong>dem</strong> blauäugigen, fre<strong>und</strong>lichen Gesicht<br />
mit der hohen Stirn vorging. Trinkend beobachtete General Bomb<br />
diesen eigenwilligen Mann. Irgendwo, glaubte er, musste er ihn<br />
schon einmal gesehen haben.<br />
„Tarnung einseitig deaktiviert, NullEbene erreicht“, erklang wieder<br />
die nette Stimme. Sogleich wurde der Blick <strong>auf</strong> die umliegende<br />
Gegend frei.<br />
„Das, das ist ja ein Kasino?“, w<strong>und</strong>erte sich der General. Sein Blick<br />
eilte nach allen Seiten. Überall waren Spielautomaten <strong>und</strong><br />
Roulettetische zu erkennen.<br />
„Ja General, wir fahren direkt durch, getarnt natürlich“, erklärte der<br />
Ministrator beiläufig.<br />
„Natürlich, Sir.“<br />
Der Ministrator sprach erklärend weiter:<br />
„Es ist nur eine kleine Spielbank für die Angestellten <strong>und</strong> die<br />
höheren Mitarbeiter. Also ich war auch schon mal hier, also<br />
natürlich rein dienstlich. Die großen Kasinos liegen ein Stück<br />
weiter. Na sie wissen ja, die ganze Stadt ist voll davon.“<br />
„Ja grässlich, diese ganze Neonwerbung“, warf der Professor ein.<br />
Der Ministrator entgegnete schnell:<br />
„Sie wissen doch, Professor, irgendwie müssen wir die<br />
Forschungskomplexe <strong>und</strong> das Ganze da unten auch bezahlen.“<br />
Der Professor gab aber keine Antwort mehr. In etwa fünfzig Metern<br />
Höhe erreichten sie den Wohnkomplex der umfangreichen<br />
168
Hotelanlage. Sie stiegen aus. Twostone führte sie <strong>auf</strong> eine reizvolle<br />
Terrasse. Eine Art Dachgarten schloss sich nahtlos an. Nur einige<br />
Palmen <strong>und</strong> ein paar Sitzgelegenheiten bot dieser unbedachte<br />
Vorbau. Ähnlich einem riesigen Balkon zierten Blumenkästen die<br />
Brüstungen.<br />
„Hier ist ihr Leseraum?“<br />
„Ja, General. Hier ist mein Leseraum.“<br />
Professor Twostone zeigte <strong>auf</strong> eine <strong>bequem</strong>e Sitzecke aus Holz.<br />
Dann holte er Bleistifte <strong>und</strong> Papier hervor. Der Ministrator setzte<br />
sich als erster, schaltete kurz den Wanzenscanner<br />
(Abhörerkennungssystem) mit der neuesten Software von<br />
``Antispion`` ein <strong>und</strong> schien beruhigt. General Bomb warf noch<br />
einen Blick <strong>auf</strong> die ständig wachsende Stadt unter ihm. Er lobte die<br />
phantastische Aussicht <strong>und</strong> den klaren Himmel.<br />
„Können wir dann?“, fragte der Ministrator <strong>und</strong> blickte die beiden<br />
anderen Herren <strong>auf</strong>fordernd an.<br />
Professor Twostone stellte noch eine Flasche Blaubeerbrause neben<br />
den eingeschalteten Wanzenscanner. Das Fachgespräch begann:<br />
(Solltest du etwas nicht verstehen, ist das normal.)<br />
„Sehen sie eine Möglichkeit, Professor?“<br />
„Nun, ich fürchte, die Chancen für das Wider<strong>auf</strong>finden der<br />
Schatulle (Kastenbuch) stehen nicht sehr gut.“<br />
„Weswegen?“<br />
„Stellen sie sich es so vor! Es ist uns vermutlich gelungen, vor<br />
kurzer Zeit in eine Zeitverschiebung einzugreifen. Dabei wurden<br />
zwei Objekte getrennt. Zum einen der Koordinator. Zum anderen<br />
die Schatulle. Ich würde diese Schatulle auch als Reiseschatulle<br />
oder Instrument zur Zeitverschiebung bezeichnen.<br />
„Sie meinen wie ein Fahrzeug, ja?“<br />
169
„Ja so ähnlich, Frank. Nur fehlt uns der Fahrer. Wer oder was auch<br />
immer die Schatulle in Bewegung gesetzt hat, ist bisher unbekannt.“<br />
„Vielleicht ein Ufo oder ein anderes unbemanntes Objekt?“, <strong>ließ</strong><br />
sich der General hören.<br />
„Glaube ich eher nicht.“<br />
„Wovon gehen sie also aus?“<br />
„Bei unseren Untersuchungen zum ``Hyperraumschweif`` gab<br />
es ...“<br />
„Was für ein Ding?“<br />
„Also, bei der Ortung der Reiseschatulle, wie ich sie hier im Institut<br />
nenne, hinter<strong>ließ</strong> diese Spuren <strong>auf</strong> ihrer Reise. Diese Spuren<br />
wiederum lassen dar<strong>auf</strong> sch<strong>ließ</strong>en, dass kohlestoffhaltige Formen<br />
mit in der Zeitschleife unterwegs waren <strong>und</strong> noch sind. Zumindest<br />
brachte dieses Ergebnis die Analyse mit <strong>dem</strong> ``Molekül<br />
Nanoanalyser``.“ Der Professor nahm einen Schluck<br />
Blaubeerbrause.<br />
„Gute Blaubeeren“, lobte er.<br />
Der Ministrator drehte unwillig den Kopf.<br />
„Haben sie denn jetzt keine anderen Sorgen als ihre Blaubeeren?“<br />
„Doch, Frank, die Brause ist bald alle.“ Ein schallendes Gelächter<br />
erklang. Der General konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen <strong>und</strong><br />
schaute verstohlen zum Ministrator, der fassungslos den Kopf<br />
schüttelte.<br />
„Fahren sie fort, Professor! Glauben sie an eine Lebensform?“<br />
„Es wäre durchaus möglich. Zumindest hat dieses Ding jemand<br />
gebaut <strong>und</strong> in Bewegung gesetzt.<br />
„Außerirdische? Nicht das noch!“ Der General stellte sich gerade<br />
Aliens vor.<br />
170
„Soweit würde ich nicht gehen, General. Der Koordinator gehört<br />
wahrscheinlich zur Schatulle. Und er besteht aus ganz normalen<br />
Rohstoffen von unserer lieben Mutter Erde.“<br />
Wieder lachte der Professor.<br />
„Die Schatulle haben wir ja leider nicht in die Hand bekommen,<br />
sondern nur <strong>auf</strong> den Bildschirm. Sie wissen ja hier vermute ich<br />
natürlich die meisten Geheimnisse.“<br />
„Was haben sie vorhin gemeint, als sie sagten die Schatulle würde<br />
nicht warten oder sie wäre wieder weg?“<br />
„Ich glaube“, fuhr der Professor fort, „das wir diese<br />
Zeitverschiebung zwar unterbrochen, aber nicht <strong>auf</strong>gehoben haben.<br />
Nach unseren physikalphoton...“<br />
„Ja, ja ist schon gut. Geht es nicht einfacher?“, unterbrach ihn der<br />
Ministrator genervt <strong>und</strong> winkte ab.<br />
„Also, nach unseren Erkenntnissen wird die Zeitschatulle ihr<br />
beabsichtigtes Ziel ansteuern <strong>und</strong> ganz plötzlich wieder<br />
verschwinden, wenn sie nicht schon verschw<strong>und</strong>en ist.“<br />
„Na, wenigstens haben die anderen Geheimdienste auch nichts<br />
davon“, dachte der General. Sollte seinetwegen das Ding für immer<br />
verschwinden.<br />
„Professor, meinen sie eine Art Vorprogrammierung mit Ziel?“<br />
„Sehr gut, General! So meine ich es. Sehen sie, wir haben die<br />
Zeitschleife künstlich mit unserem Hyperraum..., also unserer<br />
Technik unterbrochen. Nehmen wir dazu noch an, eine intelligente<br />
Lebensform, zum Beispiel ein Mensch aus der Zukunft oder aus der<br />
Vergangenheit, hat eine Zeitreise unternehmen wollen, verstehen sie<br />
mich?“<br />
„Ja, es geht gerade noch so“, stöhnte General Bomb.<br />
171
„Dann hätte dieser Mensch ein Ziel eingegeben, weil er sicher nicht<br />
ziellos gereist wäre. Und dieses Ziel war sicher nicht unsere jetzige<br />
Zeit oder gar ein Besuch in Las Vegas. Verstehen sie das?“<br />
„Aber ein Mensch aus der Zukunft oder aus der Vergangenheit?<br />
Das hört sich ja wieder alles schier unmöglich an!“, rief der<br />
Ministrator. Natürlich hatte er schon von Zeitreisen gehört. Nur war<br />
das bisher immer in Filmen oder Büchern vorgekommen.<br />
„Ach was meinst du Frank, was alles möglich ist, was eigentlich<br />
unmöglich ist. Nimm erst mal einen Schluck Blaubeerlimonade!“<br />
„Ja, gib her Alfred äh, ich meine danke, Professor!“ Der Ministrator<br />
duzte sich eigentlich mit <strong>dem</strong> Professor, seit sie gemeinsam, zuerst<br />
das Kasino <strong>und</strong> dann die Ladybar besucht hatten. Vor General<br />
Bomb wollte er aber dienstlich, korrekt erscheinen. Dem General<br />
schien das aber nicht weiter <strong>auf</strong>zufallen. Er beobachtete, wie sich<br />
die Palmenblätter <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Dachgarten im Winde wiegten <strong>und</strong><br />
verglich das ein bisschen mit seiner geplanten Pensionierung.<br />
Der Professor malte eine Art „Acht“ <strong>auf</strong> ein Blatt Papier. Dann hielt<br />
er es in verschiedene Richtungen <strong>und</strong> sagte:<br />
„Wir kennen noch nicht genau den Aufbau der Zeitschleife. Auf<br />
jeden Fall hat sie mehrkreisige Formen. Würde eine ZeitRaum<br />
Koordinate erst einmal festgelegt <strong>und</strong> die Molekularverschiebung<br />
begänne, könnte man diesen Vorgang eigentlich nicht ändern oder<br />
<strong>auf</strong>halten. Unserer Auffassung nach konnten wir die Schatulle nur<br />
aus der Schleife holen, weil sie nicht aus organischen Materialien<br />
bestand, oder weil organisches Leben beim Zugriff nicht zugänglich<br />
für unsere Technik war. Die Zeitreise wäre aber in diesem Fall noch<br />
nicht abgeschlossen. Sollte sich tatsächlich Leben in der<br />
Zeitschleife bef<strong>und</strong>en haben, würde diese Lebensform unweigerlich<br />
einen RaumZeitpunkt X erreichen. An diesem Punkt begänne die<br />
172
Umkehr in der Zeitschleife. Eine mögliche Person wäre ja immer<br />
noch mitten in der Reise. Sie würde sich dann theoretisch haargenau<br />
über den Punkt bewegen, wo wir die Schatulle raus holten. Das<br />
wäre wiederum der Zeitpunkt, wo die Schatulle automatisch<br />
verschwinden würde. Das von uns künstlich erzeugte Zeitloch oder<br />
Zeitfenster schlösse sich. Schatulle <strong>und</strong> eine mögliche Lebensform<br />
würden ihr Ziel so <strong>und</strong> so erreichen. Fraglich ist nur, wann <strong>und</strong> mit<br />
welcher Verzögerung. Leider sind wir im Moment nur die<br />
Beobachter dieser Vorgänge. Mehr eigentlich nicht. “<br />
Der Ministrator stöhnte:<br />
„Und warum ist diese Schatulle gerade in Deutschland<br />
angekommen <strong>und</strong> warum gab es keine Berichte darüber?<br />
„Es könnte Zufall sein. Vielleicht auch wurden diese Koordinaten<br />
schon einmal im RaumZeitGefüge benützt. Vielleicht schon vor<br />
Jahren oder vor Jahrh<strong>und</strong>erten. Ich glaube nicht, dass in<br />
Deutschland überhaupt etwas bemerkt wurde. Die haben ja jetzt<br />
auch andere Sorgen. Unbekannte Zeitreisende sind dort bisher auch<br />
noch nicht <strong>auf</strong>getaucht, soviel ich weiß.“<br />
Professor Twostone machte jetzt eine Pause. Er holte ein großes<br />
Taschentuch aus seiner weiten Hose.<br />
„Tja, das klingt ja alles verrückt, Professor“. Der Ministrator goss<br />
sich jetzt selbst Limonade nach. Dann lachte er sarkastisch,<br />
murmelte etwas wie „Zeitreisende“ <strong>und</strong> schüttelte abwechselnd den<br />
Kopf oder das Brauseglas.<br />
„Was schlagen sie also vor?“<br />
„Wir sollten den Schwerpunkt unserer Arbeit dar<strong>auf</strong> ausrichten,<br />
kleine Zeitschwankungen zu erkennen <strong>und</strong> zu untersuchen. Das<br />
können wir hier in der Forschungsbasis. So kommen wir wieder an<br />
173
die Sache rann. Zusätzlich könnte ich noch einige finanzielle Mittel<br />
<strong>und</strong> mindestens drei Satelliten benötigen.<br />
„Drei Satelliten zusätzlich?“ Der Ministrator blickte erneut unwillig<br />
zur Seite.<br />
„Na, du hast mich gefragt. Aber das mit den Satelliten können wir<br />
später noch klären.“<br />
„Ja wahrlich, Professor. Das klären wir lieber später.“<br />
Ein Blick zum General zeigte, dass sich dieser verträumt sonnte.<br />
„General Bomb?“<br />
„Sir, äh ja Sir?“ Der General fuhr hoch.<br />
„Noch heute arbeiten wir einen Plan aus! Auch der Geheimdienst<br />
muss mit einbezogen werden. Vielleicht taucht die Schatulle doch<br />
noch in irgendeinem Land <strong>auf</strong>. Die Angelegenheit ist zu wichtig.“<br />
„Gut Sir. Wie sieht es mit meiner Pensionier... “<br />
„Wo denken sie hin. Vorläufig brauche ich ihre Fähigkeiten ganz<br />
besonders.“<br />
„Ja Sir.“<br />
„Danke General.“<br />
Der Ministrator schaute <strong>auf</strong> seine goldene Uhr von ``Kullerex``.<br />
„Professor sagen sie uns bitte noch, wann nach ihren Berechnungen<br />
die Zeitschatulle ganz verschwinden könnte, angenommen<br />
natürlich, sie ist überhaupt noch da!“<br />
„Moment.“ Den Professor ziepte etwas in der Nase. Dar<strong>auf</strong> hin<br />
versuchte er sein Glück mit <strong>dem</strong> kleinen Finger. Schnipp, schon<br />
war’s weg, das Ding.<br />
„Also, wie gesagt, wenn sie vor zwei Tagen noch Signale <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />
Koordinator empfangen haben, kommt es eigentlich nur <strong>auf</strong> die<br />
Ausdehnung der Zeitschleife an. Rein theoretisch natürlich, könnte<br />
174
die Schatulle schon weg gewesen sein, als die Signale ganz<br />
<strong>auf</strong>hörten. Aber wissen sie, was mir mehr Sorgen macht?“<br />
„Nein?“<br />
„Möglicherweise gab es direkte Berührungen mit Leben, also auch<br />
mit Menschen. Und das könnte zu Energieausgleichungen oder<br />
Schwankungen im RaumZeitFeld geführt haben. Dies würde dann,<br />
theoretisch gesehen, den Umkehrpunkt in der Zeitschleife <strong>und</strong> das<br />
Verschwinden der Zeitschatulle beeinflussen. So könnte die<br />
Schatulle auch noch einige Tage länger in unserer Raumzeit<br />
bleiben. Leider fehlen uns genaue Messergebnisse, weil wir uns <strong>auf</strong><br />
neuem Gebiet befinden.“ Der Professor zuckte beim Sprechen seine<br />
Schultern nach oben.<br />
„Könnte es Gefahren für die Menschheit geben?“<br />
„Glaube ich weniger. Das RaumZeitFeld war sicher nicht für<br />
große Personenmengen <strong>auf</strong>gebaut. Vielleicht für einige. Aber wer<br />
weiß.“<br />
„Aha. Gut Professor. Ich danke ihnen für die wichtigen<br />
Informationen. Bitte arbeiten sie weiter! Morgen bekommen sie<br />
weitere Instruktionen.“<br />
„Gut. Was wird mit den anderen l<strong>auf</strong>enden Projekten?“<br />
„Welche meinen sie genau?“<br />
„``Selfcloning`` <strong>und</strong> ``For ever young``, du weißt schon, Frank.“<br />
Automatisch fasste sich der Professor Alfred Twostone beim<br />
Sprechen an seine blonden Haare.<br />
„Ach ja, geben sie die Projekte vorläufig zur Vertretung in gute<br />
Hände. Aber beobachten sie trotz<strong>dem</strong> alles weiterhin!“<br />
Der Ministrator griff sich ebenfalls an sein makellos, braunes Haar<br />
<strong>und</strong> erhob sich. Auch der General ver<strong>ließ</strong> jetzt seinen <strong>bequem</strong>en<br />
Platz. Sein Haar war allerdings kaum noch da <strong>und</strong> ansonsten grau.<br />
175
Als sie kurz vor <strong>dem</strong> Ausgang zur Terrasse waren, setzte hinter<br />
ihnen ein leicht zwitscherndes Geräusch ein. General Bomb eilte<br />
zurück. Er starrte <strong>auf</strong> den Wanzenscanner der fleißig fiepte. Das<br />
Softwareupdate von ``Antispion`` war bereits mehrere St<strong>und</strong>en<br />
überfällig.<br />
Als sie den Geheimgang des riesigen, unterirdischen Komplexes<br />
ver<strong>ließ</strong>en, wartete ihr geheimes Fahrzeug. Die Rückfahrt zum<br />
nächsten, geheimen Militärflughafen begann.<br />
Der Ministrator hatte mit Absicht <strong>auf</strong> einen Helikopter verzichtet.<br />
Als sich die Ziffern des elektronischen Nummernschildes bereits<br />
zum dritten Male geändert hatten, sagte General Bomb<br />
nachdenklich:<br />
„Irgendwoher kenne ich den Professor. Ich weiß nur nicht warum er<br />
so blond ist. Ich glaube früher war er mal grau, oder?“<br />
„Ach, machen sie sich keine Sorgen“, entgegnete der Ministrator.<br />
Die Zeiten haben sich eben geändert. Kommen sie! Wir nehmen ein<br />
Entspannungsbad im Bordpool. Bis zum Flughafen ist es noch ein<br />
ganzes Stück. Die Wüste ist groß.“<br />
Damit schaltete er <strong>auf</strong> Vollautomatik <strong>und</strong> zog sich die Jacketjacke<br />
aus. Dann lachte er <strong>und</strong> sagte mehr zu sich selbst: „Ja, nun ist er<br />
eben blond.“<br />
(Welche Vergangenheit könnte der Professor haben?)<br />
176
14. Kleine Ägyptologie<br />
„... <strong>und</strong> der ist blond, kann ich dir sagen. Ich hab ihn ganz nah<br />
gesehen. Und gelächelt hat der. Na bestimmt färbt er sich die Haare.<br />
Dann haben sogar alle mitgesungen.“<br />
Die Oma erzählte <strong>auf</strong>geregt am Telefon. Gestern war sie<br />
gemeinsam mit <strong>dem</strong> Opa beim ``Musikusknödel`` gewesen.<br />
„Und ihr habt ganz vorn gesessen?“, fragte Anna.<br />
„Ungefähr in der fünften Reihe. Aber es war wirklich schön. Eine<br />
ganz andere Atmosphäre als im Fernsehen. Und wie geht es euch?<br />
Was macht die Schule? Spielt ihr schön mit <strong>Susi</strong>?“<br />
„Klar, machen wir. Danke, uns geht es gut. Zum Glück ist es<br />
endlich Frühling, nicht?“<br />
„Ja, es wurde wirklich wieder Zeit. Meinem Rücken geht’s auch<br />
schon besser. Anna sag mal ...?“<br />
„Ja?“<br />
„Teresa hat doch in drei Tagen Geburtstag, nicht?“<br />
„Ja, ich glaub´ schon.“<br />
„Wir haben wieder ein Paket abgeschickt.<br />
„Oh, schön.“<br />
177
„Versteckt es aber bis zum Geburtstag, falls es eher kommt, ja? Für<br />
dich ist auch etwas dabei.“<br />
„Ja gut. Du Oma?“<br />
„Ja mein Kind?“<br />
Weißt du etwas über Ägypten <strong>und</strong> Katzen?“<br />
„Wie kommst du denn dar<strong>auf</strong>, Mädchen?“<br />
„Ach nur so. Ich hab hier so ein Buch über Ägypten. Da will ich<br />
heute noch rein gucken.“<br />
„Ach so na gut. Ich will auch noch meinen Krimi weiter lesen.“<br />
„Was <strong>ließ</strong>t du denn gerade?“<br />
„Das Buch heißt ``Mord <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Nil``. Ich geb dir noch den Opa,<br />
ja?“<br />
„Mord <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Nil? Ja gut Oma.“<br />
Also mach ´s gut, Anna. Bis bald.“<br />
„Tschüs Oma, bis bald.“ Anna hörte wie es im Telefon raschelte.<br />
„Na, Anna?“<br />
„Hallo Opa!“<br />
„Ich habe schon gehört, du willst etwas über Ägypten wissen. Habt<br />
ihr das gerade im Unterricht?“<br />
„Nein, mich interessiert das, auch wegen der Katzen.“<br />
„Hm, na über Katzen in Ägypten weiß ich eigentlich nichts. Wie<br />
heißt denn Dein Buch?“<br />
„Warte mal!“<br />
Anna las den Titel:<br />
„Es heißt ``Götter im Lande der Pharaonen``.“<br />
„Hört sich ja interessant an“, bemerkte der Opa <strong>und</strong> fuhr fort:<br />
„Ich weiß, da gab es viele Götter. Besonders der Sonnengott wurde<br />
sehr verehrt.“<br />
„Der Sonnengott?“<br />
178
„Ja RE heißt der. Aber interessant sind auch die Pyramiden <strong>und</strong><br />
deren Errichtung. Die Geschichte von Ägypten zieht sich ja über<br />
Tausende von Jahren hin. Dazu gibt es eine ganze Wissenschaft für<br />
sich. Na <strong>ließ</strong> mal selber! Du kannst mir ja dann was beibringen“<br />
Der Opa lachte durchs Telefon. Er freute sich über seine Enkelin.<br />
Dass sie immer gern las, fand er einfach gut <strong>und</strong> besser als jedes<br />
Computerspiel. Anna wollte sich gerade von ihrem Opa<br />
verabschieden, als es im Telefonhörer merkwürdig knisterte. Für<br />
einen kurzen Augenblick glaubte sie, ein ganz leises, fernes Stöhnen<br />
zu hören. Unwillkürlich lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken.<br />
„Du, Opa, bist du noch dran?“<br />
„Ja, was hast du denn? Du hörst dich <strong>auf</strong> einmal so ängstlich an?“<br />
„Ach nichts. Ich glaube ich bin schon müde. Na ich werd` mich<br />
gleich hinlegen.“<br />
„Ja mache das! Schade, dass wir nicht so viel Sonne ab bekommen.<br />
Dann brauchte ich nicht die hohen Strompreise zahlen.“<br />
„Was meinst du, Opa?<br />
„Ach nur so, mir fiel bloß etwas ein.“<br />
„Ach so, tschüs Opa.“<br />
„Tschüs Anna.“<br />
„Ja <strong>und</strong> schlaf gut, tschüs!“<br />
Es sollte also tatsächlich einen Katzengott gegeben haben, vielmehr<br />
eine Göttin. Diese neue Erkenntnis be<strong>saß</strong> sie nun. Nach<strong>dem</strong> sie <strong>und</strong><br />
ihre Schwester die südliche Ausrichtung des Kastenbuches (von<br />
ihrem Standpunkt aus) entdeckten <strong>und</strong> die Dreiecke für Symbole<br />
von Pyramiden hielten, waren sie überhaupt erst <strong>auf</strong> Ägypten<br />
gekommen. Martin brachte den Namen des nordafrikanischen<br />
Landes erstmals ins Spiel. Der Vergleich der geografischen Lage im<br />
179
Schulatlas, von Deutschland aus nach Ägypten, bestätigte auch die<br />
südöstliche Richtung. Die Richtung nämlich, die zur höchsten<br />
Leuchtaktivität des Katzensymbols <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Buchrücken führte. Lag<br />
hier nun der Schlüssel zur Erklärung des Ganzen? Anna überlegte<br />
weiter. Immer wieder schaute sie sich das Bild der Katzengöttin an.<br />
Das Fachbuch über Ägypten lag <strong>auf</strong>geschlagen vor ihr <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />
Kopfkissen. Sie stützte ihren Kopf mit der Handfläche ab. Die Stille<br />
des Zimmers wirkte beruhigend. Nur ganz leise war das Murmeln<br />
des Fernsehers durch die Wände zu hören. Es kam von dort, wo sich<br />
Teresa gerade bei den Eltern einen Film ansah. Auch Robi <strong>und</strong> <strong>Susi</strong><br />
<strong>saß</strong>en oder lagen wahrscheinlich gerade im Wohnzimmer. Das<br />
Kastenbuch befand sich gut verpackt im hinteren Schrankteil,<br />
dessen Tür ein Stuhl verdeckte. Anna nahm einen Schluck Milch,<br />
zog ihr Kopfkissen etwas nach oben <strong>und</strong> vertiefte sich in das<br />
Ägyptenbuch:<br />
BASTET wurde sie genannt. Dargestellt wurde die Göttin in der<br />
Form eines menschlichen, weiblichen Körpers mit einem<br />
Katzenkopf. Ihr heiliges Tier war die Katze. Anna dachte sofort an<br />
<strong>Susi</strong>. Die Ägypter im Gebiet der Stadt Bubastis (unteres Ägypten)<br />
verehrten die Katzengöttin über viele Jahrh<strong>und</strong>erte. In jener Zeit,<br />
also vor etwa 3500 bis 4000 Jahren, wurden Katzen zu Ehren ihrer<br />
Göttin BASTET sogar angebetet. Dabei fanden Zeremonien <strong>und</strong><br />
große Feste statt. Die heiligen Katzen wurden nur mit den besten<br />
Fischen aus <strong>dem</strong> Nil <strong>und</strong> anderen erlesenen Speisen gefüttert. Sie<br />
erhielten kostbare Quartiere. Sogar Schmuck wurde ihnen<br />
zugeordnet. Niemand durfte ihnen etwas zu Leide tun. Kleinste<br />
Missachtungen oder gar Verletzungen der heiligen Tiere wurden<br />
mit höchsten Strafen geahndet. Eine verstorbene Katze ging<br />
180
gleichsam zu ihrer Göttin über. Man wickelte sie in ein Leinentuch,<br />
balsamierte ihren Körper mit Zedernöl <strong>und</strong> verabschiedete sie <strong>auf</strong><br />
ihre Reise in das Reich der Ewigkeit.<br />
Mit Beginn der 21. Dynastie, also etwa vor 3000 Jahren, begann die<br />
*Mumifizierung der Katzen. Durch dieses Verfahren sollten sie für<br />
die Nachwelt erhalten werden. Bis heute fand man fast zwanzig<br />
Katzenfriedhöfe in den Heiligtümern der Katzengöttin BASTET, in<br />
der Stadt Bubastis (Nildelta) <strong>und</strong> in der Gegend um die Stadt<br />
Sakkara. Tausende von erhaltenen Katzenmumien zeugen von der<br />
Ehrfurcht, die man diesem Tier huldigte.<br />
Anna überlegte laut: „Wenn das schon die 21. Dynastie ist, 1000<br />
Jahre vor Christus, was war da früher nicht schon alles in den<br />
anderen Dynastien passiert?“<br />
Sie bemerkte, dass sie im hinteren Teil des Buches las, gerade dort,<br />
wo sie die Abbildung der Katzengöttin entdeckt hatte. Obgleich das<br />
Katzenprofil des Kastenbuches mit <strong>dem</strong> Bildnis der Göttin nicht<br />
überein stimmte, wie sie fand, war doch ihr Interesse nun erst recht<br />
geweckt. Fasziniert vom Mythos der Jahrtausende, begann sie über<br />
die ersten Seiten des Buches zu blättern:<br />
Ganze 8000 Jahre lag es zurück, als das Gebiet des heutigen<br />
Ägypten besiedelt wurde. Viehzucht <strong>und</strong> Ackerbau begannen.<br />
Besonders das Niltal konnte die Menschen wegen des fruchtbaren<br />
Bodens gut ernähren. Das riesige Mündungsdelta des Flusses<br />
durchzieht seit Urzeiten Unterägypten. Mit sieben Flussarmen, die<br />
ins Mittelmeer münden, krönt der Nil seine Bedeutung als<br />
Lebensader des Landes. Fluss<strong>auf</strong>wärts, etwa ab <strong>dem</strong> heutigen<br />
Kairo, begann Oberägypten. Durch den Zusammenschluss der<br />
Bauern im Kampf gegen die häufigen Überschwemmungen<br />
entstanden Gaue (Gebiete mit Kanalsystemen), die von G<strong>auf</strong>ürsten<br />
181
verwaltet wurden. (G<strong>auf</strong>ürst = Kanalbauer) Leider gab es auch zu<br />
diesen Zeiten schon Streit. Die G<strong>auf</strong>ürsten bekriegten sich. <br />
Wahrscheinlich be<strong>saß</strong>en sie durch ihre Verwaltungsposition zu viel<br />
Zeit, dachte Anna. <br />
Etwa um 3000 vor Christus wurde Ober <strong>und</strong> Unterägypten<br />
vereinigt. Herrscher wurde Menes, der 1. Pharao aller Zeiten. (Der<br />
Titel Pharao bedeutet etwa "großes Haus“.) Erst dadurch, dass der<br />
Pharao einen Großteil der Ernte bekam, konnte er Reichtum<br />
ansammeln.<br />
Das muss wohl der Anfang des heutigen Steuersystems gewesen<br />
sein, überlegte Anna. <br />
So entstand langsam die Kultur mit Architektur (Baukunst)<br />
Bildhauerei, Malerei <strong>und</strong> Staatswesen. Schon zu früher Zeit<br />
entwickelte sich der Totenkult, der die Menschen das ganze Leben<br />
mit der Ausgestaltung ihres Grabes beschäftigte. Die Pharaonen<br />
zelebrierten diesen Totenkult durch den Bau der gigantischen<br />
Pyramiden in besonderem Maße. Somit begann die 1. Dynastie etwa<br />
3030 vor Christus <strong>und</strong> endete als Frühdynastische Zeit mit der 6.<br />
Dynastie ca. 2200 Jahre vor Christus. Die nächsten Dynastien waren<br />
die bedeutendsten. Sie umfassten das alte Reich, eine erste<br />
Zwischenzeit <strong>und</strong> das Mittlere Reich bis zur 17. Dynastie.<br />
Ab <strong>dem</strong> alten Reich wuchs die Macht der Pharaonen ins<br />
Unermessliche. Ägypten erreiche die Regierungsform der absoluten<br />
*Monarchie. Alle Macht ging vom Pharao aus. Er er<strong>ließ</strong> alle<br />
Gesetze <strong>und</strong> wurde sogar als höheres Geistwesen, als Mittler<br />
zwischen Himmel <strong>und</strong> Erde angesehen. Aus den G<strong>auf</strong>ürsten wurden<br />
die damaligen Beamten, die Verwalter <strong>und</strong> Staatsdiener. Sie<br />
unterstanden alle <strong>und</strong> in allen Belangen <strong>dem</strong> mächtigen Pharao. Die<br />
Grabstätten vieler ägyptischer Pharaonen des alten Reiches wurden<br />
182
als gigantische Pyramiden verewigt. Diese unvergleichlichen<br />
Bauwerke haben die Jahrtausende überstanden. Es wird vermutet,<br />
dass zehntausende Menschen gleichzeitig beim Bau solcher Kolosse<br />
beteiligt waren. Um die tonnenschweren Steinquader zu<br />
transportieren, wählte man Bauplätze in der Nähe des Nils <strong>und</strong><br />
errichtete riesige Rampen. Teilweise wurde an einem einzigen<br />
Bauplatz mehr als zwanzig Jahre gearbeitet. Die bekanntesten<br />
Pyramiden stammen aus der Zeit der 4. Dynastie, um 2630 – 2525<br />
vor Christus. Die größte ist die CheopsPyramide bei Gizeh. Mit<br />
einer Gr<strong>und</strong>fläche von 230 mal 230 Metern war sie vor 4500 Jahren<br />
etwa 146 Meter hoch. Durch Verwitterung ist sie heute aber immer<br />
noch 137 Meter hoch. Anna stellte sich zum Vergleich die Größe<br />
eines Fußballfeldes vor. Ganz in der Nähe befinden sich noch zwei<br />
weitere Bauwerke. Die ChephrenPyramide, welche fast genauso<br />
groß ist <strong>und</strong> die MykerinosPyramide mit ca. 65 Metern Höhe. Die<br />
Form der Pyramide mit ihrer einen Spitze symbolisiert die<br />
Verbindung zwischen der Ewigkeit <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Irdischen. Eine andere<br />
Deutung wäre der unbedingte Machtanspruch des einen Pharao an<br />
der Spitze, getragen von einem riesigen Volk, das ihm diese Macht<br />
von unten ermöglicht. Insgesamt gibt es in Ägypten ungefähr 80<br />
bekannte Pyramiden. Viele dienen als letzte Ruhestätte, die mit<br />
kostbaren Schätzen gefüllt wurden. Den Verstorbenen sollten so<br />
Geschenke <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Weg in die Totenwelt mit gegeben werden. Die<br />
beeindruckendsten Grabstätten der Welt befinden sich im Tal der<br />
Könige. Über 60 Gräber sind dort in Stein verewigt. Bekannte<br />
Pharaonen wie Tutanchamun <strong>und</strong> Ramses wurden dort begraben. Im<br />
L<strong>auf</strong>e der folgenden Jahrh<strong>und</strong>erte wurden die Gräber aber immer<br />
wieder von Grabräubern geplündert. Schätze <strong>und</strong> *Reliquien von<br />
unglaublichem Wert verschwanden <strong>und</strong> gingen so <strong>dem</strong> Kulturerbe<br />
183
der Menschheit verloren. Die berühmtesten Pyramidenbaumeister<br />
wie zum Beispiel Cheops, gaben den Pyramiden auch ihre Namen. <br />
Dagegen waren die meisten Ägypter einfache Bauern. Sie führten<br />
ein bescheidenes Leben. Auf ihren kleinen Feldern in Nilnähe<br />
bauten sie Getreide, Früchte <strong>und</strong> Gemüse an. Nach <strong>dem</strong> Prinzip der<br />
Selbstversorgung <strong>und</strong> Vorratswirtschaft züchteten sie Ziegen,<br />
Schafe <strong>und</strong> Rinder. Die allgemeine Lebenserwartung war leider<br />
nicht sehr hoch. Kinderreichtum war deswegen willkommen. Die<br />
Rolle der Frau gegenüber <strong>dem</strong> Mann war fast gleichgestellt. Anna<br />
überlegte, was das heißen sollte. <br />
Eine wichtige Rolle kam der Religionsausübung zu. Es gab eine<br />
ganze Anzahl von Göttern, die alle eine gewisse Aufgabe erfüllten.<br />
Jede Gottheit be<strong>saß</strong> ihren eigenen Tempel. In den Tempeln waren<br />
die Statuen der jeweiligen Götter <strong>auf</strong>gestellt. Auch der Pharao be<strong>saß</strong><br />
seine bestimmten Statuen. In den Tempeln wurde dann zu den<br />
Göttern gebetet. Rituale fanden statt <strong>und</strong> Opfergaben wurden<br />
erbracht. Diese bestanden aus Speisen Getränken, Parfümen,<br />
Blumen <strong>und</strong> weiteren wertvollen Dingen. So sollte der jeweilige<br />
Gott beschwichtigt werden, um zu Glück <strong>und</strong> Wohlstand<br />
beizutragen. Bei Prozessionen (Schauumzüge) wurde die jeweilige<br />
Statue aus <strong>dem</strong> Tempel geholt. Man trug sie verhüllt durch die<br />
Straßen, weil sie vom Volk außerhalb der Tempelanlagen nicht<br />
gesehen werden sollte.<br />
Anna machte eine kurze Pause. Sie erinnerte sich wieder an die<br />
Katzengöttin BASTET. Sie blätterte ein wenig weiter <strong>und</strong> kam zum<br />
Verzeichnis der Götter. Es war schön gemütlich hier im warmen<br />
Bett. Die kühle Milch bildete dazu einen angenehmen Kontrast.<br />
184
Schnell naschte sie noch ein paar Züge durch den Trinkhalm,<br />
wechselte ihre Stützhand für den Kopf <strong>und</strong> las weiter:<br />
BASTET wurde als Göttin der Liebe, Fruchtbarkeit, der Stärke <strong>und</strong><br />
des Guten bezeichnet. Ihre Aufgabe bestand darin, bei Nacht die<br />
Sonne zu bewachen. Als Katze des Mondes sollte sie die Schlange<br />
der Finsternis, die Todfeindin der Sonne bekämpfen. Als Gemahlin<br />
(Frau) des höchsten Gottes, des Sonnengottes RE, war sie<br />
gleichzeitig Mutter des Löwengottes MAHES. Anna erwog, dass<br />
sie als angetraute Frau des höchsten Gottes besonders mächtig<br />
gewesen sein musste. <br />
Anfangs wurde BASTET mit Löwenkopf dargestellt. Im Mittleren<br />
Reich wurde die Katze dann offiziell zum heiligen Tier der<br />
BASTET erklärt. Die Darstellung des Löwenkopfes wich der eines<br />
Katzenkopfes mit weichen, fre<strong>und</strong>lichen Zügen. Zu Ehren der<br />
Göttin wurde Musik <strong>und</strong> Tanz <strong>auf</strong>geführt. Prozessionen <strong>und</strong><br />
Zeremonien fanden statt.<br />
Anna wandte sich <strong>dem</strong> wichtigsten Gott zu. In Ägypten galt RE zu<br />
allen Zeiten als oberster Gottvater. Er wurde in Menschengestalt mit<br />
Falkenkopf dargestellt. Besonders kennzeichnend ist die große<br />
Sonnenscheibe über seinem Haupt. Als Gott der Morgen, Mittags<br />
<strong>und</strong> Abendsonne kann er verschiedene Erscheinungsformen<br />
annehmen. Nach <strong>dem</strong> Schöpfungsmythos <strong>saß</strong> er eines Morgens als<br />
göttliches Kind in einer Lotusblüte <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> heiligen See. Als er<br />
weinte, entstanden aus seinen Tränen die ersten Menschen.<br />
„Wie romantisch“, seufzte Anna laut <strong>auf</strong>.<br />
Dem Sonnengott RE fast gleichgestellt residierte der Gott AMUN,<br />
besonders zur Zeit des Mittleren Reiches, über seinem Volk. Er war<br />
der Gott der Zeugung, der Viehherden <strong>und</strong> Weiden, ein Licht <strong>und</strong><br />
185
Orakelgott. Er wurde als Menschengestalt mit blauer Hautfarbe<br />
dargestellt. In den Händen trug er ein Götterzepter <strong>und</strong> das<br />
Henkelkreuz als Symbol des Lebens.<br />
Besonders in Oberägypten wurde schon frühzeitig OSIRIS verehrt.<br />
Er galt als oberster Toten, Sonnen, Nilstrom <strong>und</strong><br />
Vegetationsgott, war gesetzgebend <strong>und</strong> beeinflusste die<br />
Götterverehrung. Er wurde von Seth ermordet <strong>und</strong> zerstückelt. Nun<br />
ist er der Richter der Unterwelt <strong>und</strong> Herr über das Totenreich. <br />
Anna fröstelte es etwas, als sie die Beschreibung zu OSIRIS las. <br />
Noch viele weitere Götter waren in Ägypten bekannt, wie zum<br />
Beispiel: SCHU als Luftgott <strong>und</strong> Gott der <strong>auf</strong>gehenden Sonne;<br />
PACHT eine vernichtende Naturgöttin; NEITH als ursprüngliche<br />
Kriegsgöttin; MATH – die Göttin der Wahrheit, Gerechtigkeit <strong>und</strong><br />
Weltordnung; MIYSIS – der Löwengott; MEHIT – die<br />
Löwengöttin, ISIS – Mutter <strong>und</strong> Himmelsgöttin; THOTH – der<br />
ursprüngliche Mondgott; AKER – der löwengestaltige Erdgott<br />
sowie HAH – die Vergötterung der Endlosigkeit <strong>und</strong> Ewigkeit.<br />
„Aha“, sagte Anna in Gedanken versunken.<br />
Geräusche drangen durch die Wand. Anna meinte, Teresas helle<br />
Stimme zu hören. Sie schaute <strong>auf</strong> die Uhr. Es war gleich 21.00 Uhr.<br />
Sie schüttelte sich etwas <strong>und</strong> musste gähnen. Das viele neue Wissen<br />
steigerte ihre Müdigkeit. Aber sie fühlte sich dabei zufrieden.<br />
Natürlich war es nicht möglich, in einigen St<strong>und</strong>en die gesamte<br />
Geschichte Ägyptens zu studieren. Dennoch, dieser kleine Einblick<br />
<strong>und</strong> das Gelesene wirkten äußerst interessant. Dass Katzen sogar<br />
angebetet wurden, hätte sie nicht gedacht. Sie klappte das Buch zu.<br />
Morgen könnte sie ja weiter lesen. Wieder drangen<br />
Stimmengeräusche durch die Wand. Anna wurde neugierig. Was<br />
mochten ihre Leute im Wohnzimmer wohl machen? Weil sie auch<br />
186
noch <strong>auf</strong> die Toilette wollte, stand sie <strong>auf</strong> <strong>und</strong> ging einfach gucken.<br />
Teresa befand sich voll im Ratefieber. Auch die Eltern waren ganz<br />
bei der Sache. Im Fernsehen lief die bekannte Sendung ``Wer<br />
bekommt die Million?``. Anna setze sich dazu.<br />
„Schön dass du kommst!“, rief die Mama.<br />
„Hast du fleißig gelernt?“<br />
„Pst, pst“, machte Teresa.<br />
Anna nickte nur <strong>und</strong> zog zur Bestätigung die Lippen nach vorn. In<br />
der Fernsehsendung ging es gerade um 128.000 Euro. Die Ratestufe<br />
schien schwer, weil auch die Joker schon weg waren. Der<br />
Moderator, ein pfiffiger Typ, wirkte völlig unbeeindruckt. Er<br />
witzelte mit <strong>dem</strong> Kandidaten. Nicht sehr witzig dagegen wirkte der<br />
Kandidat.<br />
„Das bekommt sowie so keiner raus“, flüsterte Teresa.<br />
„Ja wer soll das schon wissen“, bemerkte auch der Papa.<br />
„Für soviel Geld muss es ja schwer sein“, meinte die Mama.<br />
„Wie heißt denn die Frage?“, wollte Anna nun wissen.<br />
„Ach“, der Papa atmete angestresst, „der Gegenspieler irgendeiner<br />
Göttin. Ich kenn´ nicht mal die Göttin.“<br />
„Sag doch mal die Frage, Papa!“<br />
„Moment!“, gab der Papa zurück. „Es geht weiter.“<br />
Der pfiffige Moderator im Fernsehen schaute <strong>auf</strong> die Uhr. Dann<br />
wurde der Kandidat <strong>auf</strong>gefordert, sich zu entscheiden oder<br />
auszusteigen. Immer angespannter sah dieser jetzt aus.<br />
„Ich wiederhole die Frage jetzt zum letzten Mal“, sagte der<br />
Moderator. „Sie wissen, es geht um 128.000 Euro?“<br />
Es folgte ein zittriges „Ja“ des Kandidaten.<br />
187
„Also, welche Gottheit wurde der Göttin BASTET ungerechter<br />
Weise gleichgestellt obwohl die Gottheit eigentlich als Gegenspieler<br />
wirkte?“<br />
Noch bevor überhaupt jemand etwas sagen konnte erklärte Anna:<br />
„Nun es war natürlich die Göttin SACHMET, die Gegenspielerin<br />
von Bastet. Sie stellte die zerstörerische Kraft der Sonne dar <strong>und</strong><br />
galt im Gegensatz zu BASTET als bösartig <strong>und</strong> blutrünstig.“<br />
Anna blickte cool in die R<strong>und</strong>e.<br />
Dem Papa fiel fast die Erdnuss aus der Hand. Alle starrten <strong>auf</strong><br />
Anna. Die Mama sagte verw<strong>und</strong>ert:<br />
„Du hast dir ja nicht mal die Auswahlbegriffe angeguckt?“<br />
In diesem Moment gab der Kandidat <strong>auf</strong>. Die Blicke richteten sich<br />
wieder <strong>auf</strong> den Fernseher.<br />
„Nun, es wäre SACHMET gewesen“, gab der Moderator beiläufig<br />
bekannt. „Aber wer konnte das schon wissen. Gleich sind wir<br />
wieder da.“<br />
Es begann Werbung.<br />
„Ich glaub` es ja nicht“, sagte Teresa baff. Tief beeindruckt blickte<br />
sie <strong>auf</strong> Anna.<br />
„Wie hast du das bloß gewusst?“<br />
„Ich hab das mal gelesen.“<br />
„Tja, das hat sie wohl von mir“, meinte der Papa blinzelnd.<br />
„Waas?“, zischte es scharf aus der Richtung der Mama.<br />
„Ich meine, dass sie gerne liest.“<br />
„Nein, es ist eher meine Erziehung“, bestimmte die Mama.<br />
„Aber ich würde sagen, ein bisschen auch meine ...“ Einige Minuten<br />
vergingen.<br />
„Die Werbung ist zu Ende!“ Teresa wies mit <strong>dem</strong> Zeigefinger in<br />
Richtung Bildschirm.<br />
188
Anna lächelte <strong>und</strong> fragte, wer noch ein Getränk aus der Küche<br />
wünsche. Dann ging sie schnell aus <strong>dem</strong> Wohnzimmer, um die<br />
Getränke zu zubereiten.<br />
Wieder bei <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> Robi:<br />
„Schade, dass es mit deinen Augen nicht besser wird“, sagte <strong>Susi</strong><br />
mitleidig. „Gern würde ich dir ein bisschen von der Kraft meiner<br />
Augen abgeben.“<br />
„Wie nett von dir, kleine <strong>Susi</strong>. Aber so ist es nun einmal. Nichts ist<br />
unendlich <strong>und</strong> alles hat seine Zeit.“<br />
„Ach Robi, sprich nicht so. Komm, wir gehen etwas zusammen<br />
spielen! Wir haben noch soviel Zeit, wirst du sehen.“<br />
<strong>Susi</strong> zog an Robis Schwanzspitze. Doch ihr großer Fre<strong>und</strong> hing<br />
wehmütigen Gedanken nach. Es wäre vergeblich, ihn jetzt zu<br />
necken. So ging sie ins Wohnzimmer.<br />
Zwei Wespen, die durch das angeklappte Fenster ins Zimmer<br />
geraten waren, stritten sich lautstark, wer denn nun am Fehlflug<br />
schuld sei. <strong>Susi</strong> setzte sich in die Nähe der Insekten <strong>und</strong> beobachtete<br />
sie. Wahrscheinlich fanden sie nicht mehr den Weg nach draußen.<br />
Die Eine schrie die Andere ständig mit einem Namen an. Die<br />
Andere schrie die Eine ebenfalls mit <strong>dem</strong> gleichen Namen an. Das<br />
Surren der Flügelpaare übertönte mitunter ihre Unterhaltung. „Ob<br />
die den gleichen Namen haben?“, überlegte <strong>Susi</strong>. Viel zu wenig<br />
wusste sie vom riesigen Volk der Insekten.<br />
Hinter ihr kam Robi nun doch ins Zimmer. Man sah ihm an, dass er<br />
sich bemühte, einen munteren Eindruck zu machen. Doch gelang<br />
ihm dies nur unbeholfen. Sein Schwanz wackelte nur lustlos <strong>und</strong> in<br />
halber Höhe.<br />
189
„Deine neue Futtersorte mit Möhren hilft bestimmt. Wenn du viel<br />
davon isst, geben dir die Kinder bestimmt wieder neues davon.“<br />
„Ja“, seufzte der H<strong>und</strong>, „du meinst es gut mit mir, ich weiß.“<br />
„Natürlich, Rob. Auch wenn du jetzt vierzehn bist, soll es dir ja gut<br />
gehen.“<br />
<strong>Susi</strong> dachte nach. Ihre Ohren drehte sie dabei in alle Richtungen.<br />
Wieso nur konnte sie eine Maus im Dunkeln erkennen, noch dazu<br />
über eine Strecke solang wie das ganze Haus? Dagegen sah Robi<br />
schon am Tage wenig. Weshalb waren die Lebewesen mit so<br />
unterschiedlichen Fähigkeiten ausgestattet? War das ein Zufall?<br />
Gleichzeitig registrierte sie unbewußt genau die Richtung, aus der<br />
das Surren der Wespenflügel kam. Blitzschnell könnte sie dort sein.<br />
Sie würde dafür nicht einmal genau hinsehen müssen. Schon einmal<br />
gelang es ihr, mit einer einzigen Bewegung eine freche Fliege zu<br />
fangen. Sie <strong>ließ</strong> die Fliege aber wieder frei, weil die Fliege ihr<br />
versprochen hatte, sich nicht mehr <strong>auf</strong> ihre Nase zu setzen. Warum<br />
also be<strong>saß</strong> sie alle diese Eigenschaften. Warum zum Beispiel<br />
blicken die Spinnen durch acht Augen?<br />
„Du, Robi?“<br />
„Was hast du, meine Kleine?“<br />
„Warum bin ich so, wie ich bin?“<br />
Robi wiegte den Kopf hin <strong>und</strong> her. Es sah fast so aus, als lächle er<br />
etwas. Dann sagte er:<br />
Jedes Wesen hat seine Bestimmung. Jede Art hat ihre Familie. Alles<br />
hat einen Sinn. Es ist bestimmt nichts umsonst. Und du hast die Art,<br />
<strong>Susi</strong>, die aus deiner Familie kommt, von deinen Urahnen. So wie<br />
ich meine Urahnen habe.<br />
„Aber wo kommen meine Urahnen her?“ <strong>Susi</strong> setzte sich nahe an<br />
Robi. Auch fiel ihr jetzt wieder der kastenförmige Gegenstand ein,<br />
190
der sie vor ein paar Tagen, vom Schreibtisch der Kinder aus, so<br />
magisch angezogen hatte. Robi dachte an seine Vorfahren.<br />
„Die Urahnen gab es schon als der Mond noch viel jünger war.<br />
Keiner kann genau sagen, wann das war.“<br />
„Vielleicht ist alles Zufall?“, fragte <strong>Susi</strong>.<br />
„Ob Zufall oder Schicksal, wer weiß das schon genau. Jedenfalls<br />
sind wir so <strong>auf</strong> die Welt gekommen, wie wir sind. Wenn wir nicht<br />
da wären, würden wir es nicht mal merken.“<br />
„Oder wir wären Wespen oder Spinnen“, ergänzte <strong>Susi</strong>.<br />
„Dann würden wir es aber auch so hinnehmen müssen, <strong>Susi</strong>.“<br />
„Ja ..., also bin ich so, weil ich so <strong>und</strong> nicht anders bin, oder?“<br />
Robi überlegte <strong>und</strong> nickte dann zustimmend.<br />
„Ja, so ist es wahrscheinlich, <strong>Susi</strong>.“<br />
„Rob?“<br />
„Ja <strong>Susi</strong>?“<br />
„Vielleicht solltest du mehr Fisch, am besten mit Haut essen. Ich<br />
glaube, dass ist gut für die Sehkraft.“<br />
„Da hast du Recht. Ich kann es probieren. Aber es sind nicht nur<br />
meine Augen, die mir Sorgen machen.“<br />
„Was bedrückt dich sonst noch?“<br />
„Ach weißt du, es ist so: An <strong>dem</strong> Abend als das Treffen stattfand,<br />
wo du mir geholfen hast, erzählte ein allerklügster H<strong>und</strong>. Er<br />
berichtete darüber was mit Alten oder Kranken von uns passiert.<br />
Nur sehr wenige sind bisher zurückgekommen. Es ist schrecklich.“<br />
„Was passiert denn?“<br />
„Willst du das wirklich hören?“<br />
„Ich werde auch mal alt, Robi.“<br />
„Na gut. Also wenn die Menschen sich entscheiden, dass sie uns<br />
loswerden wollen, bringen sie uns zu den Weißkitteln. Dort werden<br />
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Mittel verabreicht, von denen bisher niemand wieder <strong>auf</strong>gewacht<br />
ist. So erzählte der allerklügste H<strong>und</strong>.“<br />
„Das ist wirklich schrecklich“, sagte <strong>Susi</strong> mitfühlend.<br />
Robi erzählte weiter:<br />
„Ich verstehe es ja noch bei einer schweren Krankheit. Aber es<br />
sollen auch schon junge H<strong>und</strong>e betroffen gewesen seien, nur weil<br />
die Menschen keine Zeit mehr hatten oder verreisten.“<br />
„Nun verstehe ich auch, warum du dir solche Sorgen machst.“<br />
„Na ja, ich bin schon recht alt <strong>Susi</strong>. Aber mir ging es bisher immer<br />
sehr gut. Das muss man auch sagen. Und du hast ja noch dein<br />
ganzes Leben vor dir.“<br />
„Zerbrich dir lieber nicht den Kopf, Robi! Alles hat einen Sinn.“<br />
„Stimmt, <strong>Susi</strong>. Lass uns von etwas anderem reden!“<br />
Robis Schwanz bewegte sich langsam wieder in die Höhe. <strong>Susi</strong><br />
sprang zum Fenster. Mit einer Pfote schob sie vorsichtig die<br />
Gardine beiseite. Die eine <strong>und</strong> die andere Wespe drehten noch eine<br />
summende R<strong>und</strong>e. Dann erkannten sie den freien Weg zum Fenster.<br />
Die Eine kam ganz nah an <strong>Susi</strong>s Gesicht, so dass <strong>Susi</strong> ihre<br />
Facettenaugen erkannte. Sie stand gleichsam in der Luft.<br />
„Hab Dank für deine Hilfe“, summte sie.<br />
„Wir werden deine Fre<strong>und</strong>e sein, wenn du uns brauchst.“<br />
Dann drehte sie zur Anderen ab <strong>und</strong> beide verschwanden in die<br />
Freiheit.<br />
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193
194
15. Der Geburtstag <strong>und</strong> die Nacht des Professors<br />
Am morgigen Tage sollte es nun endlich soweit sein. Teresas<br />
Geburtstag stand unmittelbar bevor. Jeder wusste es schon. Ihre<br />
Fre<strong>und</strong>innen wussten es, die Nachbarn wussten es <strong>und</strong> auch die<br />
nette Bäckersfrau. Und Teresa trug natürlich auch noch kräftig dazu<br />
bei, dass es auch jeder wirklich richtig wusste. Etwa seit <strong>dem</strong><br />
Ausflug zum Eiskaffee, sah man sie nur noch gut gelaunt durch die<br />
Gegend hopsen. Lächelnd, mit einem Liedchen <strong>auf</strong> den Lippen,<br />
befand sie sich in ihrer eigenen VorfreudeWelt. Mit Lalalala<br />
Gesinge <strong>und</strong> Selbstgesprächen unterhielt sie ihre Umgebung. Klar<br />
wirkte das etwas <strong>auf</strong>gekratzt, aber sie freute sich eben. Und<br />
sch<strong>ließ</strong>lich war es Mai geworden. Die Welt war schön. Selbst das<br />
geheimnisvolle Kastenbuch konnte sie da nicht ablenken. (Das lag<br />
übrigens gut eingepackt im hinteren Schrankfach.) Die<br />
Einladungskarten waren gut angekommen. Teresa hatte den Text<br />
selbst gestaltet <strong>und</strong> auch die große 9 mit der Hand gemalt. Ihre<br />
Schwester brauchte ihr dieses Jahr kaum noch zu helfen, so gut<br />
konnte sie bereits Texte gestalten. Fünf Einladungen durfte sie,<br />
mindestens zehn Gäste wollte sie. Da wurde dann doch noch ganz<br />
schön mit den Eltern gehandelt, bis feststand, <strong>auf</strong> welche<br />
Kapazitäten sich die Geburtstagsfeier ausdehnen dürfe. Außer<strong>dem</strong><br />
wurde beschlossen, <strong>Susi</strong>s Geburtstag an Teresas Ehrentag<br />
anzukoppeln, weil man das Katzenmädchen vor einem knappen Jahr<br />
zu sich genommen hatte.<br />
„Nun hast du das erste Mal Geburtstag, <strong>Susi</strong>. Da feiern wir<br />
zusammen“, redete Teresa eifrig dr<strong>auf</strong> los. Sie machte sich gerade<br />
für die Schule fertig <strong>und</strong> sortierte dabei ihre Hefte. <strong>Susi</strong> <strong>saß</strong> gleich<br />
195
neben der Schultasche. Sie beobachtete wie das Mädchen mit den<br />
vielen Sachen hantierte. Als ein Heftumschlag raschelte, sauste sie<br />
los <strong>und</strong> machte einen Purzelbaum über die Tasche. Teresa berührte<br />
<strong>Susi</strong>s Bauch <strong>und</strong> knuddelte sie durch. In spielerischer Manier<br />
strampelte die Katze mit den Hinterpfoten. Gleichzeitig kaute sie an<br />
Teresas Hand herum. Geschickt versuchte Teresa, den scharfen<br />
Krallen auszuweichen.<br />
„Na na, nicht so wild!“, lachte sie.<br />
Anna rief vom Bad aus:<br />
„Bist du fertig Teri? Komm, wir müssen los!“<br />
„Ja, gleich. Ich spiele nur noch mit <strong>Susi</strong>.“<br />
„Nimm sie gleich mit raus! Es wird wieder schön sonnig heute.“<br />
„Gut.“<br />
Die Mädchen achteten dar<strong>auf</strong>, dass in der Wohnung alles seine<br />
Ordnung hatte. Anna prüfte, ob die Elektrogeräte auch ausgeschaltet<br />
wären. Dann nahmen sie ihre Schlüssel, putzten noch kurz die<br />
Schuhe <strong>und</strong> ver<strong>ließ</strong>en wie jeden Morgen die Wohnung. <strong>Susi</strong><br />
trappelte noch einige Meter mit. Zur Verabschiedung blieb sie dann<br />
<strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Zaunpfahl sitzen. Martin <strong>und</strong> einige Schüler aus der<br />
Nachbarschaft gesellten sich dazu. Von der emsig plappernden<br />
Teresa angeführt, erreichten die Kinder die Schule.<br />
Die fünfte St<strong>und</strong>e begann. Anna <strong>saß</strong> zurückgelehnt in der<br />
Schulbank. Gerade noch war es in Mathe r<strong>und</strong> gegangen. Der kleine<br />
Test konnte ihr aber nicht wirklich etwas anhaben. Dafür hatte sie<br />
gestern zu gut geübt. Vor ihr lag die kleine Jeanshose, die sie schon<br />
vor Wochen gemeinsam mit der Mama ausgesucht hatte. Deutlich<br />
erkannte man den flippigen Schlaghosenstil. Frau Creationarini, die<br />
196
Lehrerin für künstlerische Gestaltung, schwebte durch die<br />
Sitzreihen.<br />
„Bitte immer <strong>auf</strong> die innere Stimme hören, ja? Lasst euer Herz<br />
sprechen! Fühlt ihr die Schönheit?“<br />
Frau Creationarini stand mit geschlossenen Augen im Zimmer. Sie<br />
hielt die Hände ausgebreitet. Dabei wippte sie <strong>auf</strong> ihren Füßen vor<br />
<strong>und</strong> zurück. Ihre Frisur war mehrschichtigmehrfarbig. Die Kinder<br />
sahen der Lehrerin in lockerer, heiterer Stimmung zu. Vor ihnen<br />
lagen die verschiedensten Gegenstände die zur künstlerischen<br />
Bearbeitung, in Form von Farbdrucken, vorgesehen waren. Meist<br />
kurzärmlige Shirts oder andere Bekleidungsstücke waren das. Lisa<br />
schaute etwas schüchtern nach rechts <strong>und</strong> links. Doch dann legte sie<br />
selbstbewusst eine riesige Unterhose <strong>auf</strong> den Tisch, die sie ihrem<br />
Opa entwendet hatte. Diese Unterhose wollte sie nun bedrucken <strong>und</strong><br />
später <strong>dem</strong> Opa schenken. Einige kicherten. Frau Creationarini<br />
erzählte mit malerischen Gesten über Formen, Farben <strong>und</strong><br />
Faszinationen. Das Wesen ihrer meditativen Erscheinung umgab<br />
dabei ein perfektes Styling neuester Mailländer Mode, gepaart mit<br />
<strong>dem</strong> Touch des Extravaganten. Ja, ein Hauch der *Inspiration lag in<br />
der Luft, ausgelöst von der bloßen Anwesenheit der Lehrerin.<br />
Lisa betrachtete ihre Unterhose. Sie wollte Kartoffeldrucke dar<strong>auf</strong><br />
ausführen. Anna fand ihre Jeans zum Bedrucken einfach zu schade.<br />
Deshalb überlegte sie, wie sie den Stoff anders gestalten könnte.<br />
Dabei blieb ihr Blick an Frau Creationarini hängen. Natürlich war<br />
nicht erkennbar, welche Art Kleidungsstücke die Lehrerin denn nun<br />
wirklich trug, <strong>und</strong> ob es sich zum Beispiel um einen Rock oder eine<br />
Hose handelte. Doch faszinierten Anna die ganzen Kettchen, vielen<br />
Glitzerperlen <strong>und</strong> sonstigen Utensilien am Edelfummel der<br />
197
Madame. Das sah schick aus. Das sah irgendwie gut aus. So etwas<br />
wollte sie gern an der Hose haben.<br />
Sie meldete sich.<br />
„Ja mein Kind?“, flötete es aus <strong>dem</strong> zarten M<strong>und</strong> der Lehrerin.<br />
Schmuck rasselte teuer.<br />
„Frau Creationarini, können sie mir bitte sagen, was sie dort an<br />
ihrem Kostüm haben?“<br />
„Ah, du meinst meine ``Creationi`` von Raffalini? Ist sie nicht<br />
zauberhaft? Ach, der Raffalini ist schon zauberhaft“, schwärmte die<br />
Kunstlehrerin.<br />
Dabei drehte sie entzückt den Kopf hin <strong>und</strong> her. Ihre Augenlider<br />
klapperten. Immer wenn sie an Raffalini dachte, wurde ihr heiß<br />
<strong>und</strong> ganz anders zu Mute. <br />
„Also der Stoff ist ... “<br />
Nun ging es richtig los. Frau Creationarini begann einen<br />
zauberhaften Vortrag über die Welt, die sie so sehr verzauberte,<br />
nämlich über die Modewelt. Dies würde sicher eine Viertelst<strong>und</strong>e<br />
oder länger dauern. Auch deshalb war die Lehrerin bei den Schülern<br />
so beliebt. Einige blickten wohlwollend <strong>auf</strong> ihre Armbanduhren. Es<br />
gab aber auch immer soviel Neues <strong>und</strong> Kreatives zu erfahren,<br />
wirklich also.<br />
„... der Stoff ist wirklich immer das Wichtigste. Ihr müsst ihn<br />
berühren <strong>und</strong> anfühlini...!“<br />
Frau Creationarini erzählte mit Begeisterung, wie sie die Mailänder<br />
Mo<strong>dem</strong>essen besuchte <strong>und</strong> wie sie die Hand von Raffalini habe<br />
schütteln dürfen, als sie die letzte ``Creationi`` des Meisters erwarb.<br />
Selbst mit <strong>dem</strong>, eine markante Sonnenbrille tragenden,<br />
grauzöpfigen Übervater der Mode, Carlos Magerfeld, <strong>saß</strong> sie schon<br />
einmal an einem Tisch zusammen. Auch erzählte sie über ihre<br />
198
italienischen Vorfahren. Gespannt lauschten die Kinder. Sie<br />
erfuhren nun auch von den vielen so genannten *Accessoires, die<br />
einem Kleidungsstück erst den unverwechselbaren Charakter geben.<br />
Die Einzigartigkeit einer Bekleidung besteht also aus <strong>dem</strong> guten,<br />
passenden Stoff, der Art des Zuschnittes <strong>und</strong> der richtigen<br />
Verarbeitung, ergänzt mit den speziellen Accessoires, überlegte<br />
Anna. <br />
Warum war die Lehrerin nicht selbst Modedesigner geworden<br />
fragte sie sich, während Frau Creationarini, seelig lächelnd, ihren<br />
Vortrag langsam beendete. Weil der Unterrichtsschluss kurz bevor<br />
stand, meldete sich Anna nochmals <strong>und</strong> sprach das Thema<br />
Accessoires in Bezug <strong>auf</strong> ihre Jeanshose an. Frau Creationarini<br />
betrachtete die Hose <strong>und</strong> versprach, gleich im Anschluss an die<br />
St<strong>und</strong>e ein paar geeignete Kettchen <strong>und</strong> Glitzersteine zu besorgen.<br />
Lisas Unterhose zierten nun herrliche, gelbe Drucke in<br />
Bananenform, so dass ihr Opa topmodisch aussehen würde. Als die<br />
St<strong>und</strong>e dann endete, bekam Anna von Frau Creationarini eine ganze<br />
Handvoll mit Kettchen, Knöpfen <strong>und</strong> Glitzerzeugs geschenkt. Die<br />
Lehrerin gab ihr noch ein paar Hinweise zum Anbringen der<br />
Verzierungen <strong>und</strong> wünschte Anna absch<strong>ließ</strong>end viel Glück bei ihrer<br />
eigenen Kreation. Anna freute sich. Nun konnte sie das geplante<br />
Geburtstagsgeschenk für Teresa doch noch nach ihrem Geschmack<br />
kreativ vorbereiten.<br />
„Frau Creationarini hat gesagt, dass wir wahrscheinlich sogar eine<br />
eigene Modenschau machen werden. Wahrscheinlich noch vor den<br />
großen Ferien.“<br />
„Ist ja echt stark“, staunte Teresa.<br />
199
„Und was wollt ihr da anziehen, Anna?“<br />
„Na, wir nehmen unsere alten Sachen <strong>und</strong> arbeiten die ein bisschen<br />
um. Oder wir verwenden alte Bettlaken zum selber nähen von<br />
eigener Mode.“<br />
„Bettlaken? Da kannst du ja gleich als Nachtgespenst gehen“, lachte<br />
Teresa.<br />
Anna lachte ebenfalls. Sie befanden sich <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Weg von der<br />
Schule nach Hause. Die Stofftasche mit der Schlaghose drin, trug<br />
sie <strong>auf</strong> der von Teresa abgewandten Seite. Teresa besprach sich<br />
noch mit Maja, weil es noch nicht ganz klar war, ob Maja morgen<br />
Nachmittag zur Geburtstagsfeier kommen könne. Die anderen<br />
Mädchen hatten schon längst alle zugesagt. Teresa wollte<br />
ursprünglich mit ihren Gästen ins Kino gehen. Dann kam ihr die<br />
Idee einer Schnitzeljagd im Wald. Nun fand sie den Gedanken an<br />
eine Modenschau besonders verlockend. Freilich hatte ihr gerade<br />
erst Anna die Anregung dazu gegeben. Es war aber auch schwierig,<br />
das Richtige auszusuchen. Die Eltern erwarteten natürlich eine<br />
gewisse Planung. Teresa verwarf also den Gedanken an eine so<br />
kurzfristig angesetzte Modenschau <strong>und</strong> blieb erst einmal beim<br />
Kinobesuch mit Schnitzeljagd <strong>und</strong> Tanzparty. Die Modenschau<br />
wollte sie aber <strong>auf</strong> alle Fälle nachholen.<br />
Kurze Zeit später begrüßte sie <strong>Susi</strong>, die diesmal <strong>auf</strong> der kleinen<br />
Bank in der Nähe des Wohnhauses gewartet hatte. Zum Mittagessen<br />
machten sich die Kinder eine leckere Pizza. Die war zwar<br />
eingefroren, erhielt aber durch ein paar ZutatenAccessoires in<br />
Form von Käse, frischen Tomaten <strong>und</strong> Gewürzen ihre eigene<br />
Geschmackskreation. Die gesamte Wohnung duftete.<br />
200
„Was machen wir denn nun mit <strong>dem</strong> Kastenbuch?“, fiel es Anna<br />
nach zwei großen Stücken Pizza ein. Sie wickelte den<br />
geschmolzenen Käse um die Gabel <strong>und</strong> blickte kauend zu Teresa.<br />
„Ach ja, das Kastenbuch. Ich hab schon gar nicht mehr daran<br />
gedacht. Komisch nicht?“, w<strong>und</strong>erte sich Teresa.<br />
Sie pustete <strong>auf</strong> ihre heiße Pizza <strong>und</strong> versuchte schmatzarm zu essen.<br />
Schmatzen mochte sie nicht besonders gern.<br />
„Na vergessen hab ich ´s nicht. Teri.“<br />
„Wir können es ja <strong>auf</strong>sägen. Dann sehen wir was drin ist.“ Teresa<br />
sägte jetzt mit <strong>dem</strong> Messer über den harten Pizzarand <strong>und</strong> stellte<br />
sich gleichzeitig ein <strong>auf</strong>gesägtes Buch vor.<br />
„Ach Quatsch! Aufsägen, das bringt doch nichts. Außer<strong>dem</strong> wissen<br />
wir immer noch nicht, wem es gehört.“ Anna sprach energisch<br />
weiter: „Weißt du was?“<br />
„Ja Anna, äh ... nein?“<br />
„Wir warten noch deinen Geburtstag ab. Und dann zeigen wir es<br />
einfach Mama <strong>und</strong> Papa. Wir haben doch nichts Schlimmes getan.<br />
Also können wir es auch erzählen. Ich glaube, das ist die beste<br />
Lösung.“<br />
Teresa schmatzte nun doch selbst etwas. Sie schaute<br />
gedankenverloren durch die Küche <strong>und</strong> war eigentlich schon bei<br />
ihrer Geburtstagsfeier.<br />
„Teresa, hörst du?“<br />
„Ja?“<br />
„Wir zeigen das Kastenbuch einfach unseren Eltern, ja?“<br />
„Ja, das ist am besten. Das hätten wir aber gleich machen können.“<br />
Anna überlegte kurz <strong>und</strong> sagte: „Na dann machen wir es eben jetzt.<br />
Den einen Tag kann es ja noch warten.“<br />
201
Weil Teresa nicht besonders gesprächig wirkte, vermied es Anna,<br />
weiter über das Thema zu reden. Sollte nun erst einmal der<br />
Geburtstag stattfinden.<br />
Nach den Haus<strong>auf</strong>gaben beschloß Teresa Inliner zu fahren. Anna<br />
zog sich ins Schlafzimmer der Eltern zurück, weil sie dort das<br />
nötige Nähzeug vorfand. Als die Mama kam, war sie mit <strong>dem</strong><br />
Annähen der Kettchen fast fertig. Die Mama half ihr aber noch bei<br />
den kleinen Details <strong>und</strong> beim Anbringen der Glitzersteine.<br />
Gemeinsam betrachteten sie dann die originelle, fertige Jeans.<br />
Später wurde noch Geschenkpapier geholt <strong>und</strong> auch die anderen<br />
Geschenke wurden liebevoll eingepackt. <strong>Susi</strong> durfte natürlich nicht<br />
vergessen werden. Weil sie ja morgen offiziell eins wurde, sollte<br />
zuerst eine Extratorte gefertigt werden. Bekanntermaßen essen<br />
Katzen aber nicht so gerne Torten. Deswegen sollte <strong>auf</strong> Teresas<br />
Riesentorte neben der 9 noch extra eine 1 senkrecht angebracht<br />
werden <strong>und</strong> <strong>auf</strong> die halbe Torte mit Sahnecreme das Wort SUSI<br />
geschrieben werden. Bei der praktischen Ausführung stellte sich<br />
aber heraus, dass sich die 1, die wiederum aus Wiener Würstchen<br />
geformt wurde, schlecht zur Sahnetorte passte. So <strong>ließ</strong> man es<br />
sch<strong>ließ</strong>lich bei <strong>dem</strong> Wort SUSI <strong>auf</strong> der Torte <strong>und</strong> gestaltete noch<br />
extra einen Spezialitätenteller mit <strong>Susi</strong>s Lieblingsspeisen. Aus der<br />
Mitte des Tellers ragte dann tatsächlich eine stolze ``Wiener<br />
WürstchenEins`` in die Höhe. Wie diese Wurstzahl Stabilität<br />
erlangte, damit sie nicht umfiel, ist bisher nicht bekannt geworden.<br />
Geburtstag:<br />
Ein w<strong>und</strong>erschöner Morgen kündigte sich an. Die Vöglein sangen<br />
schon eine ganze St<strong>und</strong>e <strong>und</strong> das Licht der ewigen Sonne wechselte<br />
gerade von rötlich <strong>auf</strong> gelb. Teresa erwachte ganz schnell. Sie<br />
konnte es kaum erwarten, in das Wohnzimmer zu gehen. Heute bin<br />
202
ich endlich neun, ging es ihr immer wieder durch den Kopf. Na gut,<br />
ihre Schwester war schon zwei Jahre älter, aber neun war doch auch<br />
schon ganz schön viel. Mit den Füßen drückte sie immer wieder<br />
gegen den Lattenrost des oberen Bettes. Das Bett begann zu federn<br />
wobei es Teresa Spaß machte, ihre Schwester so zu wecken. Als<br />
erstes schaute <strong>Susi</strong> mit <strong>dem</strong> Kopf über den Bettrand nach unten. Die<br />
Katze streckte sich sorgfältig <strong>und</strong> begann die kleine Leiter nach<br />
unten zu klettern. Teresa fing sie <strong>auf</strong> halbem Wege ab, nahm sie in<br />
beide Hände <strong>und</strong> hielt sie, selbst immer noch <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Rücken<br />
liegend, hoch.<br />
„<strong>Susi</strong>, du bist heute eins <strong>und</strong> weißt du warum?“ Teresa lachte <strong>und</strong><br />
wackelte mit der Katze hin <strong>und</strong> her.<br />
„Weil ich heute neun Jahre bin.“<br />
<strong>Susi</strong> schien das aber nicht weiter zu beeindrucken. Sie schnurrte<br />
<strong>und</strong> wollte dann zur Tür.<br />
„Wahrscheinlich ist sie schon ein bisschen älter. Aber das macht ja<br />
nichts“, <strong>ließ</strong> sich da Anna hören.<br />
Teresa sang lachend:<br />
“Neun, neun, neun. Heute bin ich neun. Und ihr werdet seh´n, bald<br />
da bin ich zehn. Anna musste nun auch lachen. „Ja, mit <strong>Susi</strong><br />
zusammen bist du jetzt schon zehn. Herzlichen Glückwunsch,<br />
Teresa“<br />
Die Tür öffnete sich <strong>und</strong> die Eltern standen im Kinderzimmer.<br />
Teresa wurde ausgiebig beglückwünscht <strong>und</strong> abgeküsst. Der Papa<br />
kitzelte sie durch, so dass sie lachkrampfartig quietschte <strong>und</strong> immer<br />
wieder versuchte, sich unter der Bettdecke vor den Kitzelfingern zu<br />
verstecken. Auch Anna war an der Reihe, so dass das<br />
Doppelstockbett mächtig wackelte. Nun war es gute Tradition,<br />
einem Geburtstagskind kurz die Augen zu verbinden <strong>und</strong> zum<br />
203
Geburtstagstisch zu führen. Lustig sah es aus, als man von Teresas<br />
Gesicht nur noch den großen Lachm<strong>und</strong> sehen <strong>und</strong> hören konnte.<br />
Ein breites Seidentuch verhüllte den Rest. Fleißige Hände hatten am<br />
Abend zuvor den Geburtstagstisch vorbereitet. Als Teresa das Tuch<br />
entfernt wurde, staunte sie über die liebevolle Dekoration, die vielen<br />
Geschenke <strong>und</strong> die Torte. Alle sangen ein kleines Geburtstagslied.<br />
Neun Kerzen brannten. Die Eltern erzählten ein bisschen wie die<br />
Zeit vergangen wäre <strong>und</strong> erinnerten an das letzte Jahr. Anna nahm<br />
eine zehnte Kerze, stellte sie feierlich neben den Teller mit der<br />
Würstcheneins. Sie erinnerte an die kleine <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> die Ereignisse<br />
vor über einem Jahr. Teresa zog sich die schicken Jeans an. <strong>Susi</strong><br />
biss ein Stückchen Wiener Wurst ab.<br />
„Tja <strong>und</strong> du wirst dieses Jahr noch zwölf, nicht?“, meinte die Mama<br />
nachdenklich zu Anna. Anna nickte bloß <strong>und</strong> bemerkte den<br />
verklärten Blick ihrer Mama.<br />
„Wird Papa nicht bald vierzig oder fünfzig?“, <strong>ließ</strong> sich die<br />
vergnügte Teresa vernehmen. Sogleich schnitt der Papa eine<br />
dümmliche Grimasse <strong>und</strong> meinte, er wolle das Frühstück<br />
vorbereiten gehen.<br />
Nun war es auch Tradition, beim Geburtstag eines Kindes <strong>dem</strong><br />
Geschwisterkind ebenfalls ein kleines Geschenk zukommen zu<br />
lassen. Zumindest in den jüngeren Geschwisterjahren war durch<br />
diese Strategie so manches neidvolle Tränchen über unerfüllte<br />
Erwartungen gespart worden. Zwar war das jetzt nicht mehr<br />
unbedingt nötig, doch am Ende des Tisches lag ein nicht kleines<br />
Paket wor<strong>auf</strong> mit großen Buchstaben ANNA <strong>und</strong> SUSI stand. Anna<br />
öffnete <strong>und</strong> strahlte. Die modische Jeanshose mit <strong>dem</strong> vielen<br />
Glitzerflimmer gefiel ihr sofort. Aber noch mehr freute sie sich über<br />
den fast zwei Meter hohen Kratzbaum für <strong>Susi</strong>, der nur noch<br />
204
zusammengebaut werden brauchte. Wie immer war sie glücklich,<br />
wenn andere etwas bekamen oder sie andere erfreuen konnte.<br />
Diesmal freute sie sich für ihre Schwester <strong>und</strong> ihre <strong>Susi</strong>. Das sprach<br />
für ihr gutes Herz. Kurze Zeit später war der Kratz <strong>und</strong><br />
Kletterbaum <strong>auf</strong>gebaut <strong>und</strong> bis an die Zimmerdecke stabilisiert. Die<br />
Kinder gingen ins Bad <strong>und</strong> die Mama ging in die Küche.<br />
Der Papa, der seine Zeit als Jäger <strong>und</strong> Sammler zu vermissen<br />
schien, schaute sich ein bisschen im Zimmer um. Unerwartet stellte<br />
er dabei fest, dass der eine Schrank irgendwie verbaut aussah.<br />
Deshalb wollte er unbedingt einen Blick in diesen Schrank werfen.<br />
Langsam öffnete er deshalb die Schranktür, nach<strong>dem</strong> er den Stuhl<br />
beiseite geschoben hatte. In gebückter Haltung sah er ein paar<br />
Schulbücher, dahinter eine Plastiktüte. Ganz plötzlich war auch <strong>Susi</strong><br />
am Schrank <strong>auf</strong>getaucht. Der Papa, dessen rechte Hand schon im<br />
Schrank steckte, war aber langsamer als die Katze. Mit einem Satz<br />
sprang <strong>Susi</strong> an ihm vorbei <strong>und</strong> erreichte die raschelnde Tüte zuerst.<br />
In diesem Moment klingelte das Telefon. Der Papa, die Hand im<br />
Schrank an der Katze, hielt inne, drehte den Kopf in Richtung<br />
Telefon <strong>und</strong> rief:<br />
„Das werden Oma <strong>und</strong> Opa sein.“ Sogleich fiel ihm ein, dass er für<br />
das Frühstück zuständig war. Deshalb griff er geschickt nach <strong>Susi</strong>,<br />
die irgendwie in den Schrank geschlüpft war.<br />
„<strong>Susi</strong>, nun geh doch lieber <strong>auf</strong> deinen neuen Kratzbaum! Ich muss<br />
in die Küche.“ Er bückte sich tiefer. Erstaunt bemerkte er, wie es im<br />
Schrankinnern gelb leuchtete. Die Augen der Katze waren magisch<br />
<strong>auf</strong> ihn gerichtet. Benommen hörte er hinter sich die Tür gehen. Mit<br />
einem Ruck richtete sich der Papa wieder <strong>auf</strong>, fühlte sich sogleich<br />
weniger benommen <strong>und</strong> hielt, den Blick ungläubig <strong>auf</strong> seine ins<br />
Zimmer tretende Tochter gerichtet, <strong>Susi</strong> in der Hand.<br />
205
„Was machst du denn hier?“, fragte Anna erschrocken. Sofort<br />
bemerkte sie den offenen Schrank.<br />
„Ja ich ich glaube es leuchtet da drin. Vielleicht brennt etwas?“<br />
Der Papa guckte irritiert um sich.<br />
„Es brennt?“ Anna schluckte <strong>und</strong> guckte auch irritiert um sich.<br />
Durch ihren Kopf rasten die Gedanken. Nun musste sie wohl alles<br />
erzählen.<br />
„Nein, nein ... aber es hat geleuchtet“. Der Papa zeigte zum<br />
Schrank. <strong>Susi</strong>, immer noch <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Arm des Papas, gab ein paar<br />
quärgelnde Laute von sich <strong>und</strong> wurde <strong>auf</strong> den Kratzbaum gesetzt.<br />
Aber ganz oben. Anna schritt zum Schrank.<br />
„Ja weißt du Papa, wir ..., also ich <strong>und</strong> Teresa ...“<br />
„Ja?“<br />
Wir wollten euch da mal was erzählen.“<br />
„Komisch, es leuchtet gar nicht mehr.“ Der Papa, der sich <strong>dem</strong><br />
Schrank auch wieder genährt hatte, schüttelte immer wieder den<br />
Kopf. Dann tastete er mit den Händen die Innenwände ab. In die<br />
Bücher wollte er aber nicht greifen, zumal ihn das Gefühl beschlich,<br />
es wären nicht seine Bücher <strong>und</strong> er müsse noch frühstücken.<br />
„Ja, also was wolltest du mir da gerade erzählen?“, fragte er seine<br />
Tochter.<br />
„Also, wir waren doch damals im Museum, nicht?“<br />
„Kommt ihr endlich mal zum Frühstück!?“, klang es da <strong>und</strong>uldsam<br />
aus <strong>dem</strong> Nebenzimmer.<br />
Der Papa schaute <strong>auf</strong> seine Uhr.<br />
„Komm Anna! Wir gehen erst einmal frühstücken. Die Zeit ist<br />
schon knapp <strong>und</strong> die Schule fängt bald an.“<br />
„Ja aber ... “<br />
206
„Wir können uns ja heute Abend unterhalten. Da haben wir alle<br />
mehr Zeit.“ Der Papa schloss die Schranktür.<br />
„Ja, stimmt. Vielleicht hast du Sonnenlicht im Schrank gesehen,<br />
eine Reflexion oder sogar eine Erscheinung. Anna lächelte wieder<br />
etwas. Der Papa lächelte auch. Etwas merkwürdig zwar, aber er<br />
sagte nichts mehr zu <strong>dem</strong> Ganzen. Da fiel Anna noch etwas ein:<br />
„Du, Papa? Ist dir vorhin irgendwie kalt geworden?“<br />
„Was, kalt geworden? Nein, ich habe nur Hunger.“<br />
„Zum Glück“, nuschelte Anna erleichtert.<br />
Als beide das Wohnzimmer betraten, war Teresa gerade mit <strong>dem</strong><br />
Telefonieren mit ihren Großeltern fertig. Die Mama brachte<br />
dampfenden Kakao herein.<br />
„Komisch“, sagte Teresa. „Kurz bevor ich den Hörer <strong>auf</strong>gelegt<br />
habe, hat es so merkwürdig gestöhnt.“<br />
„Was, es hat gestöhnt, im Telefon?“ Anna blickte ihre Schwester<br />
unruhig an.<br />
„Ja. Der Opa hat mir gratuliert <strong>und</strong> dann habe ich solche<br />
eigenartigen, blubbernden Geräusche gehört, ganz aus der Ferne.“<br />
„Vielleicht ging es <strong>dem</strong> Opa nicht gut oder er hat Magenprobleme“,<br />
meinte die Mama. „Obwohl, hatte der nicht sonst immer mit <strong>dem</strong><br />
Kopf?“<br />
„Ist ja ein interessanter Tag heute. Mal stöhnt es <strong>und</strong> mal leuchtet<br />
es“, bemerkte der Papa in ironischem Tonfall.<br />
„Es leuchtet?“, fragte die Mama.<br />
„Ja, die Erscheinung im Schrank hat bei mir gerade geleuchtet.“<br />
„So, so bei dir hat es gerade geleuchtet, im Schrank.“<br />
„Selbstverständlich hat es geleuchtet. Sonst hätte ich ja auch das<br />
Frühstück zu Ende gemacht.“<br />
207
„Freilich.“ Die Mama nickte mit <strong>dem</strong> Kopf. Dabei sah sie den Papa<br />
etwas mitleidig an. Dann atmete sie tief durch <strong>und</strong> das Aroma ihres<br />
Kaffees ein. Anna beobachtete un<strong>auf</strong>hörlich ihren Papa, konnte aber<br />
keine Anzeichen einer Unterkühlung feststellen.<br />
„Aber ist doch egal. Lasst uns endlich frühstücken!“, <strong>ließ</strong> sich da<br />
Teresa hören. Ihr Humor <strong>und</strong> die Freude über ihren Geburtstag<br />
vertrieben schnell die Merkwürdigkeiten des jungen Tages.<br />
Sch<strong>ließ</strong>lich hatte sie schon mehr erlebt als ein bisschen Stöhnen<br />
oder Leuchten.<br />
„Am Abend müssen wir es ihnen sagen. Papa war heute früh schon<br />
ganz nah dran.“<br />
“Ja gut Anna. Aber jetzt bereiten wir erst einmal die<br />
Geburtstagsfeier vor. Du weißt doch um kurz vor drei kommen die<br />
Gäste.“<br />
„Na gut, fangen wir an! Zuerst die ganzen Teller <strong>und</strong> das Geschirr,<br />
Teresa.“<br />
208
Die Mädchen begannen den Tisch zu schmücken. Es war gerade<br />
kurz nach Mittag. Beide waren schnell vom Unterricht<br />
zurückgekommen. In beiden Klassen war heute die letzte St<strong>und</strong>e<br />
ausgefallen. Es fehlten wohl auch gerade gleichzeitig zwei Lehrer in<br />
der Schule. Trotz des schönen Sonnen<strong>auf</strong>gangs, schien sich das<br />
Wetter gegen Mittag rasch zu ändern. Wie aus <strong>dem</strong> Nichts waren<br />
große Wolken <strong>auf</strong>getaucht, die sich immer mehr verdichteten.<br />
Schon begann sich der Himmel, über weiß <strong>auf</strong> grau zu verfärben.<br />
Die wenigen, blauen Wolkenlücken wurden immer kleiner. Ein<br />
kühler Wind erhob sich <strong>und</strong> stetig sank die Lufttemperatur.<br />
Zur gleichen Zeit irgendwo in der Wüste oder unter Las Vegas,<br />
Nevada. (kurz nach Mitternacht, PazifikStandartZeit)<br />
Ein langer Arbeitstag lag hinter Professor Twostone.<br />
Wieder einmal hatte er in der geheimen Stadt unter der Wüste, in<br />
den geheimen Forschungsabteilungen seines weltweit einzigartigen,<br />
so modernen Forschungsinstitutes mit seinen vielen hochrangigen<br />
Mitarbeitern geforscht. Es war diskutiert, analysiert, experimentiert<br />
<strong>und</strong> durchaus qualifiziert auch noch meditiert worden. Leider<br />
gelang es wie immer nicht, hinter die letzten Geheimnisse der<br />
Atome zu kommen. Der Professor hatte sich schon manches Mal<br />
gefragt, ob es wirklich um die letzten Geheimnisse der Atome ging<br />
oder ob hier erst eine ganz neue Welt begann, von der niemand<br />
wirklich etwas ahnte. Möglicherweise war es für einen Menschen<br />
auch gar nicht möglich, die wahre Erkenntnis über das Universum<br />
zu erlangen? Wo kommt die *Materie her? Warum dreht sich alles<br />
um das andere? Was war vor <strong>dem</strong> Universum? Was kommt danach?<br />
209
Und welche Rolle spielt die Zeit? Es war schon schwer genug, das<br />
zu erklären, was man täglich vor sich sah. Alle diese Fragen hatte er<br />
sich schon so oft in seinem Leben gestellt. Wie oft auch glaubte er<br />
sich seinem Ziel schon so nah, bevor er eines Besseren belehrt<br />
wurde. Insgeheim beneidete er manchmal die einfachen Menschen,<br />
die sich ihres täglichen Daseins <strong>auf</strong> natürliche Art erfreuten. Früher,<br />
als er jünger war, hatte ihn schon der Gedanke erschreckt, dass er,<br />
der angesehene Professor, im unendlichen Spiel der Zeit nur ein<br />
winziges, für Mikrosek<strong>und</strong>en <strong>auf</strong>leuchtendes Staubkorn voll<br />
zweifelnder Erkenntnis bleiben würde. Ja, im Vergleich zu den<br />
Ehrfurcht einflößenden Jahrmilliarden, den *Dimensionen des<br />
Kosmos <strong>und</strong> der Atome, fühlte er sich manchmal unendlich hilflos<br />
<strong>und</strong> klein. Dennoch hatte er sich immer geweigert, die<br />
Unendlichkeit an sich anzuerkennen. Nur deshalb beschloss er<br />
damals, sein Leben in den Dienst der Wissenschaft zu stellen. Die<br />
Zeit floss aber un<strong>auf</strong>haltsam dahin. Und nieman<strong>dem</strong> war es bisher<br />
gelungen, den Zeitfluss genau zu erklären oder gar zu beeinflussen.<br />
Der Professor seufzte leise. Seine, einer Badewanne ähnlichen,<br />
*AntiAgingWanne, dessen Funktionsweise er im Projekt „For<br />
ever young“ mit entwickelt hatte, lief <strong>auf</strong> Hochtouren. Das mit<br />
speziellen Extrakten angereicherte Spezialwasser umspielte seinen<br />
Körper <strong>und</strong> leistete gute Dienste. Das extra <strong>auf</strong> sein Alter<br />
abgestimmte Lichtspektrum reiner, <strong>auf</strong>gearbeiteter Sonnenenergie<br />
flutete, natürlich in *Lichtgeschwindigkeit, aus den hoch<br />
komplizierten Leuchtstrahlern der AntiAgingWanne. Jeder<br />
Zellpunkt des Körpers wurde mit der richtigen Dosis Energie<br />
versorgt, vitalisiert <strong>und</strong> ausgeglichen. Ein kleiner Computer aus der<br />
neuen ``HumancheckSerie`` steuerte diese Prozesse in<br />
Mikrosek<strong>und</strong>en. Ein übersichtlicher Bildschirm bot die Kontrolle<br />
210
über die AntiagingBehandlung. Unsichtbare Sensoren analysierten<br />
Zellteilungen <strong>und</strong> Ernährungszustand. Der Telomerinduktor, der<br />
kürzlich in Deutschland entwickelt wurde, stabilisierte die<br />
*Telomerase im Erbgut der *DNA der großen Zellverbände. Der<br />
Professor beobachtete das wechselnde Farbspiel der Lichtimpulse<br />
aus reiner Sonnenenergie. Sein blondes Haar wurde merklich um<br />
einige Töne heller. Er lachte <strong>und</strong> fühlte sich sogleich wieder jünger.<br />
So konnte er der Zeit wohl noch einige Jahre abringen. Gerade<br />
wollte er über sein neues Projekt ``Gehirnbooster`` gegen die, leider<br />
weltweit ansteigende Anzahl von *Alzheimererkrankungen<br />
nachdenken, als eine fre<strong>und</strong>liche Frauenstimme gar nicht so<br />
monoton aus Richtung AntiagingComputer mitteilte:<br />
„Ges<strong>und</strong>heitscheck <strong>und</strong> Behandlung abgeschlossen.<br />
Organfunktionen soweit in Ordnung, leichter Muskelabbau in der<br />
Rückenmuskulatur, leichter Hormonminderhaushalt, leichte<br />
arterielle Fettablagerungen, leicht erhöhte Zuckerwerte durch eine<br />
zuckerhaltige Trinksubstanz, Gehirn bei 95 Prozent Volumen <strong>und</strong><br />
36 Prozent maximaler Auslastung, geschätztes Alter 50 Jahre.<br />
Wünschen Sie eine umfassende Auswertung mit leichtem<br />
Aktivplan?“<br />
Der Professor schaute <strong>auf</strong> die fast geleerte Flasche mit<br />
Blaubeerbrause light die neben der Wanne stand <strong>und</strong> sagte:<br />
„Danke, Programm Ende.“<br />
Dann erhob er sich, freute sich über seine Antiagingwanne <strong>und</strong><br />
überlegte, warum er sein Gehirn trotz jahrzehntelangen Trainings<br />
nie über 40 Prozent bekam. Leicht beschwingt, ein altes deutsches<br />
Volkslied <strong>auf</strong> den Lippen, machte er sich <strong>auf</strong> den Weg in seine<br />
Privatgemächer. Dort wollte er sich noch ganz genüsslich ein<br />
Hähnchenbrustfilet mit Algengemüse gönnen.<br />
211
Doch der Professor kam nicht sehr weit. Schon <strong>auf</strong> den Gängen der<br />
Forschungsabteilung bemerkte er eine gewisse Betriebsamkeit,<br />
welche nicht zur nächtlichen Zeit passte. Und richtig, schon kurze<br />
Zeit später erreichte ihn der Ruf eines diensthabenden Mitarbeiters<br />
aus der Sektion Zeitforschung. Zum Glück war es in der gleichen<br />
Abteilung, so dass der Professor nur ein paar Minuten bis zum<br />
Kontrollterminal brauchte. Eilig zog er sich den bereitgelegten,<br />
<strong>bequem</strong>en <strong>und</strong> trotz<strong>dem</strong> eleganten Forschungsanzug der Marke<br />
``Professors in working`` an. Schon stand er bei seinen Mitarbeitern<br />
der Nachtschicht. Es war jetzt kurz nach 1.00 Uhr.<br />
„Was gibt´s denn, Herrschaften?“<br />
Eine Mitarbeiterin schaute den Professor vergötternd an.<br />
„Gut, dass sie so schnell gekommen sind. Wir haben soeben<br />
wichtige Signale empfangen. Möglicherweise kommen diese direkt<br />
von der Zeitschatulle. Unsere Aufzeichnungsgeräte ...“<br />
„Das ist ja eine Überraschung. Na endlich, ich dachte schon, das<br />
Ding ist längst weg. Haben Sie Blaubeerbrause?“<br />
Dem Professor wurde seine Brause gereicht. Nach einem großen<br />
Schluck fegte der Professor in höchstem Forschungs <strong>und</strong><br />
Erkenntnisdrang durch seine Forschungssektion. Sein blondes Haar<br />
wallte wie eine Mähne um seinen Kopf <strong>und</strong> sein komplexes Gehirn<br />
erreichte bestimmt wieder eine Höchstleistung. In kürzester Zeit<br />
machte er sich ein Bild. Die Techniker hatten Mühe, die<br />
Frageströme ihres Professors zu befriedigen. Schon zehn Minuten<br />
später setzte er sich erleichtert <strong>auf</strong> seinen Chefsessel, klatschte in<br />
die Hände <strong>und</strong> sprach:<br />
„Die Zeitschleife kommt wieder zurück. Zumindest können wir<br />
damit die Schatulle genau orten. Die Zeitverschiebung nimmt ihren<br />
212
L<strong>auf</strong> <strong>und</strong> das Zeitfenster wird sich wieder kurz öffnen. Genau wie<br />
ich es mir vorgestellt habe.“<br />
„Wo war sie denn, die Schatulle?“, wollte jemand wissen.<br />
„Nun, sie war wieder unterwegs oder nicht mehr zu koordinieren.<br />
Aber jetzt kommt sie wahrscheinlich genau über den Punkt zurück,<br />
wo wir sie verloren haben. Beobachten sie bitte alle<br />
Aufzeichnungen <strong>und</strong> geben sie die Daten in den Zentralcomputer!“<br />
Die Techniker begannen wieder mit der Arbeit. Berechnungen<br />
wurden durchgeführt <strong>und</strong> Monitore dokumentierten Daten mit<br />
höchster Präzision.<br />
„Wie viele Satelliten haben wir?“, fragte der Professor.<br />
„Die Blackbaby 1 <strong>und</strong> die Blackbaby 2 über Europa.“<br />
„Gut, schalten sie beide zusammen! Was macht unser<br />
Sicherheitssystem in der Basis?“<br />
„Die Station hier ist für Unbefugte völlig abgeschirmt.“<br />
„Gut. Verbinden Sie mich mit <strong>dem</strong> Verteidigungsministrator über<br />
diese Codenummer hier!“<br />
Um 4.28 Uhr (Eastern Standard Time) wusste der<br />
Verteidigungsministrator in Washington bescheid. Und obwohl er<br />
noch um 2.28 Uhr (Ostzeit) drei Gläschen Sekt mit seiner neuen<br />
Fre<strong>und</strong>in getrunken hatte, war er voll bei der Sache <strong>und</strong> stellte nach<br />
kurzem Abwägen der Situation noch einen dritten Satelliten, den<br />
Professor Twostone anforderte, zur Verfügung. Sch<strong>ließ</strong>lich gelang<br />
es noch kurz vor 5.00 Uhr, ebenfalls Ostzeit, General Bomb <strong>und</strong><br />
den Geheimdienst zu informieren, der, weil er sein Gebiss nicht<br />
gleich fand, erst gegen 5.10 Uhr offiziell zu sprechen war. Wegen<br />
der Sicherheit <strong>und</strong> um nicht große Datenmengen über die Ereignisse<br />
ins *Pentagon übertragen zu müssen, einigte man sich <strong>auf</strong> eine<br />
Dreierkonferenz via Nachrichtensatellit mit Kernpunkt Professor<br />
213
Twostone in Nevada. Außer<strong>dem</strong> gab es auch nur hier die nötigen<br />
ultrakomplexen, hochmodernen, strenggeheimen Forschungsgeräte.<br />
So konnte man die Dinge ständig verfolgen, beurteilen <strong>und</strong><br />
Entscheidungen treffen. Der Professor war begeistert. Ständig<br />
rannte er, mit seiner Blaubeerbrause in der Hand, zwischen seinen<br />
Mitarbeitern hin <strong>und</strong> her.<br />
Es hatte also keine St<strong>und</strong>e gedauert <strong>und</strong> Forschung, Politik <strong>und</strong><br />
Militär arbeiteten eng zusammen. Der Professor informierte die<br />
anderen Herren ausgiebig. Nach den Berechnungen, die er mit<br />
seinen Mitarbeitern zusammenfasste, würde sich das Zeitfenster<br />
etwa gegen 4.30 Uhr (Pazifische Standartzeit) öffnen. Die<br />
Zeitschleife wäre in Echtzeit wieder da <strong>und</strong> befände sich genau über<br />
<strong>dem</strong> Punkt, an <strong>dem</strong> man die Schatulle verloren hatte. Ob es aber<br />
wirklich so kommen würde, blieb natürlich abzuwarten. Etwas<br />
weniger beeindruckt zeigte sich General Bomb, der wegen seines<br />
zeitigen Aufstehens noch etwas durchhing. Schon wieder war ihm<br />
dieses Kastenbuch oder diese Schatulle in die Quere gekommen.<br />
Und das noch vor seiner Pensionierung. Er <strong>ließ</strong> sich seine schlechte<br />
Laune aber nicht anmerken <strong>und</strong> schaute angespannt von einem der<br />
Monitore in die Forschungsbasis. Der Ministrator hatte gute Laune,<br />
schon wegen seiner neuen Fre<strong>und</strong>in.<br />
„Professor, sagen sie uns doch bitte, ob sich das Zeitfenster wieder<br />
in Süddeutschland öffnen wird <strong>und</strong> ob wir die Schatulle diesmal<br />
finden werden!“<br />
Der Professor blieb kurz zwischen zwei *Nanoanalysern stehen <strong>und</strong><br />
rief <strong>auf</strong>geregt:<br />
„Es wird sich öffnen. Es wird sich öffnen. Wahrscheinlich genau<br />
<strong>auf</strong> den Punkt. Der Zeitfluss ist eine exakte Sache. Die Zeit macht<br />
keine Fehler.“<br />
214
„Haben wir Leute dort?“, fragte der Ministrator weiter.<br />
General Bomb zuckte zusammen. Die Frage war offensichtlich an<br />
ihn gerichtet.<br />
„Nein, haben wir wahrscheinlich nicht“, beantwortete sich der<br />
Ministrator selbst die Frage. Der General atmete <strong>auf</strong>. Schon zuckte<br />
seine Augenbraue wieder.<br />
„Schicken sie Leute hin!“, riet der Professor.<br />
„Unsere aktiven Agenten sind zu weit weg“, meldete sich nun der<br />
General. „Selbst wenn wir noch zwei S<strong>und</strong>en Zeit haben, fehlt uns<br />
die passende Ausrüstung.“<br />
„Was schlagen sie also vor?“, drängte der Ministrator.<br />
„Wir sollten den deutschen Geheimdienst benachrichtigen, natürlich<br />
unter höchster Sicherheitsstufe. Außer<strong>dem</strong> haben wir dort<br />
amerikanische Mitarbeiter.“<br />
Dem General war die Antwort nicht leicht gefallen. Doch einige<br />
seiner besten Agenten, die für einen Einsatz in Frage kämen, waren<br />
zurzeit wirklich nicht in Deutschland.<br />
Der Ministrator überlegte stirnerunzelnd <strong>und</strong> zeigte sein skeptisches<br />
Gesicht. Würden sie eine andere Nation mit in diese Sache hinein<br />
ziehen, könnte die Geheimhaltung darunter leiden. Es gab aber<br />
kaum eine andere Möglichkeit, zumal es <strong>auf</strong> 2.30 Uhr Pazifikzeit<br />
ging. Und damit hatten sie nach den Berechnungen des Professors<br />
keine zwei St<strong>und</strong>en mehr.<br />
„Was sagen sie Professor?“<br />
„Ja mir ist es egal. Hauptsache wir finden das Ding endlich.“<br />
„Welches Ding meint der eigentlich?“, fragte die junge<br />
Mitarbeiterin, die den Professor so vergötternd angeguckt hatte. Der<br />
Professor musste unwillkürlich lachen.<br />
215
„Ich zeige es ihnen, wenn wir es haben, versprochen. Holen sie mir<br />
bitte noch eine Brause?“<br />
„Natürlich Professor danke, danke.“<br />
Der Ministrator, der angestrengt <strong>und</strong> dabei zu Boden blickend<br />
überlegt hatte, richtete sich jetzt zu voller Größe <strong>auf</strong>, zog seine<br />
Krawatte zu <strong>und</strong> begann über seinen Monitor in die<br />
Forschungsbasis zu sprechen:<br />
„Sir General Bomb, verständigen sie sofort unter SecurityStepup 5<br />
den deutschen Innenministrator mit seinem Geheimdienst. Legen sie<br />
unsere Führungsabsichten der Operation dar <strong>und</strong> sorgen sie dafür,<br />
dass einige unserer Leute dabei sind!“<br />
„Selbstverständlich, Herr Ministrator!“ Der General sprang vom<br />
Stuhl, so dass sein Gesicht für kurze Zeit nicht im Bildschirm zu<br />
sehen war. Dabei klatschte er die Hacken so laut zusammen, dass<br />
die Lautsprecher trotz Satellitenübertragung surrten. Der Professor<br />
lachte.<br />
Dann sprach der Ministrator mit gehobener, fast feierlicher Stimme<br />
weiter:<br />
„Ich möchte mich ganz besonders an sie, sehr geehrte Mitarbeiter<br />
unseres Forschungsinstitutes unter der Leitung unseres berühmten<br />
Professor Twostone, wenden.“<br />
In der Forschungsbasis wurde es beachtlich leiser.<br />
„In einigen S<strong>und</strong>en können sie vielleicht Zeugen eines historischen<br />
Momentes werden. Noch nie ist es bisher gelungen, in eine Raum<br />
ZeitVerschiebung direkt einzugreifen. Ihre Forschungsabteilung<br />
hat nun die weltweit erste Gelegenheit, ein so genanntes Zeitfenster<br />
unmittelbar vor sich zu haben <strong>und</strong> auch äh hinein zu schauen.<br />
Erste Forschungsergebnisse liegen ja bereits vor. Dafür <strong>und</strong> im<br />
Namen der Regierung gebührt Ihnen höchste Anerkennung. Ich<br />
216
itte sie, in den nächsten St<strong>und</strong>en wie bisher, ihr Bestes im Dienste<br />
der Wissenschaft <strong>und</strong> im Dienste unserer Nation zu geben! Bitte<br />
unterstützen sie alle Professor Twostone, wo immer es ihnen<br />
möglich ist!<br />
Professor, halten sie mich <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> L<strong>auf</strong>enden! Das wäre alles.“<br />
Ein kleines Tränchen rann der besagten jungen Mitarbeiterin über<br />
die Wange. Mit zittrigen Fingern hielt sie die Blaubeerbrauseflasche<br />
umklammert.<br />
„Danke, danke“, sagte der Professor bescheiden.<br />
„Auf jeden Fall geben wir unser Bestes.“<br />
In der Forschungsbasis begann wieder reges Leben. H<strong>und</strong>ert Meter<br />
höher rollten die Roulettekugeln durch die Nacht von Las Vegas. Es<br />
war jetzt 3.00 Uhr in der Wüstenstadt.<br />
217
Berlin, Ministerium für Inneres, 3. Etage, 13.13 Uhr. (MESZ)<br />
„Wir haben ein dringendes Anliegen aus <strong>dem</strong> Pentagon mit<br />
Sicherheitsstufe 5.“ Die Sekretärin sprach telefonisch mit einem<br />
Sachbearbeiter in der mittleren Leitungsebene des Staatssekretärs.<br />
„Sicherheitsstufe 5 sagten sie? Aus <strong>dem</strong> Pentagon?“<br />
„Ja, aus <strong>dem</strong> Pentagon.“<br />
„Oh, tut mir leid. Aber dafür bin ich nicht zuständig. Bei<br />
Sicherheitsstufe 5 muss direkt <strong>dem</strong> Minister zugestellt werden. Auf<br />
Wiedersehen.“<br />
Schon klickte der Telefonhörer ein.<br />
Die Sekretärin, eine junge Mitarbeiterin, aber doch schon einiges<br />
gewohnt, versuchte es sofort in der Leitungsebene des Ministers.<br />
Leider war die Leitung besetzt. Die Sekretärin versuchte eine<br />
andere Nummer. Doch es half nichts. Wahrscheinlich waren alle<br />
noch zum Mittagessen unterwegs. Sie legte die Nachricht aber <strong>auf</strong><br />
Fax <strong>und</strong> EMail, bevor sie dann endlich auch selbst zum Essen ging.<br />
Sch<strong>ließ</strong>lich war heute schönes Wetter.<br />
13.20 Uhr: Das Faxgerät bei der Chefsekretärin des Staatssekretärs<br />
geriet in Bewegung. Das war aber auch alles was in Bewegung<br />
geriet. Das Büro war leer.<br />
„Darf ich sie heute Abend in die Oper einladen?“ Der Staatssekretär<br />
promenierte soeben mit einer jungen Unbekannten einige Straßen<br />
vom Ministerium entfernt durch eine Parkanlage. Er trug einen<br />
Sommerhut <strong>und</strong> einen seiner teuersten Anzüge.<br />
218
„Aber gern“, flüsterte die Unbekannte verführerisch. Der<br />
Staatssekretär lächelte galant, rekelte sich vornehm <strong>und</strong> <strong>ließ</strong> das<br />
Gold seiner Massivuhr unter seinem Jacketärmel hervor blitzen.<br />
„Und sie sind sogar Minister?“, himmelte ihn die junge Frau an.<br />
„Nicht ganz aber fast. Schauen sie! Dort residiere ich.“<br />
Der Staatssekretär zeigte in die Richtung des Ministeriums als sein<br />
Telefon klingelte.<br />
„Oh“, hauchte die junge Dame, „es ist w<strong>und</strong>ervoll.“<br />
Der Staatssekretär telefonierte kurz. Dann sagte er: „Entschuldigen<br />
sie mich bitte bis heute Abend. Der Dienst ruft, leider. Aber ich<br />
bringe sie noch zu einem Taxi. Un<strong>auf</strong>fällig schob er der Dame einen<br />
großen grünen Geldschein hin. Die junge Frau tat so, als merke sie<br />
nichts vom Geldschein als sie ihn einsteckte <strong>und</strong> verabschiedete<br />
sich mit hingebungsvollem Lächelblick, als das Taxi wie <strong>auf</strong><br />
Bestellung eintraf.<br />
Es war 13.52 Uhr als der Staatssekretär endlich in seinem Büro<br />
ankam. Das Fax lag <strong>auf</strong> seinem Schreibtisch.<br />
„Es ist Sicherheitsstufe 5, direkt aus <strong>dem</strong> Pentagon“, erklärte seine<br />
Chefsekretärin.<br />
„Oh, Stufe 5? Dafür sind wir nicht mehr zuständig. Es muss aber<br />
direkt zum Minister.“<br />
„Den Minister habe ich schon vor einigen Minuten zu erreichen<br />
versucht. Er ist wohl in einer dringenden Sitzung glaube ich.<br />
Jedenfalls möchte er nicht gestört werden, sagten mir seine<br />
Mitarbeiter.“<br />
„Dann hat er wohl recht“, lächelte der Staatssekretär zu seiner<br />
Sekretärin zurück. „Wollen sie einen Kaffee? Ich mache ihn auch<br />
selbst, nur für sie.“<br />
Die Chefsekretärin errötete leicht.<br />
219
„Herr Staatssekretär, sollten wir nicht doch versuchen den Minister<br />
zu verständigen. Ich meine, sie wissen doch wegen der<br />
Dienstrichtlinien zu Sicherheitsstufe 5 wäre es vielleicht besser ...“<br />
„Na gut, trinken wir den Kaffee später. Stellen sie mich bitte<br />
durch!“<br />
Einige Minuten später sprang ein Mitarbeiter der höchsten<br />
Leitungsebene <strong>und</strong> des engsten Stabes des Ministers <strong>auf</strong>geregt von<br />
seiner Kloschüssel hoch, von der man ihn geholt hatte <strong>und</strong> jagte in<br />
Richtung Sitzungssaal. Keine Minute später erschien der Minister<br />
umringt von seinen engsten Mitarbeitern <strong>und</strong> ordnete eine sofortige<br />
Krisensitzung in seinem Büro an. Es war 14.03 Uhr als die<br />
Bildleitung ins Pentagon stand. General Bomb, der über die<br />
Zeitverzögerung fürchterlich erregt war, wurde ausgiebig beruhigt.<br />
Man versicherte <strong>dem</strong> General höchste Einsatzkompetenz <strong>und</strong> beste<br />
Zusammenarbeit <strong>und</strong> einen w<strong>und</strong>erschönen, späteren<br />
Erholungsurlaub <strong>auf</strong> Einladung des Ministers. Der Staatssekretär<br />
trank gerade Kaffe. Gleichzeitig liefen in Süddeutschland die<br />
Telefone heiß. Der Minister hatte verordnet, sofort eine<br />
Spezialeinheit des Geheimdienstes unter amerikanischdeutscher<br />
Führung in die kleine Stadt am Fluss zu entsenden.<br />
Es klingelte. Martin stand vor der Tür. Er wollte den Mädchen<br />
helfen, den Geburtstag vorzubereiten. Über die Einladung von<br />
Teresa freute er sich sehr. Zwar hatte sich das Wetter rapide<br />
verschlechtert <strong>und</strong> mit der geplanten Schnitzeljagd würde es nun<br />
vielleicht doch nichts werden. Aber das störte besonders Teresa<br />
nicht so sehr. Sie wollte einen schönen Geburtstag feiern. Und am<br />
Abend sollte es ja noch ins Kino gehen. Die Mädchen begrüßten<br />
Martin. Zu dritt machten sie sich an den Rest der Arbeiten.<br />
220
„Schaut nur wie sich die Wolken verdunkeln!“, sagte Anna.<br />
„Es gibt bestimmt Regen“, meinte Martin.<br />
„Oder ein Gewitter, so richtig mit Donner <strong>und</strong> dicken Blitzen“,<br />
ergänzte Teresa.<br />
„Dann spielen wir eben Geisterparty oder wir ...“<br />
„Wir machen eine Hexenfeier“, kam Teresa Annas Ausführungen<br />
zuvor.<br />
Martin schaute etwas ängstlicher. Er deutete zum Fenster <strong>auf</strong> die<br />
immer dunkler werdenden Wolkenwände.<br />
Die Kinder öffneten das Fenster. In der Ferne konnte man schon<br />
einzelne Blitze erkennen, die lautlos den Himmel durchschnitten.<br />
Die Luft lag zwischen einigen Böen noch trügerisch ruhig. Aber die<br />
Temperatur hatte doch stark abgenommen. Es war unverkennbar,<br />
dass ein starkes Unwetter heran nahte.<br />
„Seht nur! Robi hat sich unter <strong>dem</strong> Tisch versteckt“, rief Anna.<br />
Teresa <strong>und</strong> Martin schauten nach unten. Tatsächlich. Der H<strong>und</strong> <strong>saß</strong><br />
mit eingezogenem Schwanz ganz an die Wand gedrückt. Als man<br />
ihn rief, winselte er leise. <strong>Susi</strong> <strong>saß</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Fensterbrett</strong> <strong>und</strong> schaute<br />
geradewegs in die immer dunkler werdenden Wolkenschichten.<br />
Draußen erhob sich langsam aber kraftvoll der Sturm. Anna<br />
schaltete das Licht ein. Es war jetzt 14.17 Uhr. Kurze Zeit später<br />
meldete sich der Papa am Telefon <strong>und</strong> wies <strong>auf</strong> das nahende<br />
Unwetter hin. Die Kinder sollten die Elektrogeräte abschalten <strong>und</strong><br />
die Netzstecker heraus ziehen. Der Fernseher sollte auch<br />
ausbleiben.<br />
„Na schön“, meinte Teresa. „So hab ich es mir zwar nicht<br />
vorgestellt, aber was sollen wir machen?“<br />
221
„Gegen das Wetter kann man sowieso nichts machen“, meinte auch<br />
Anna. Die letzten Worte Annas wurden schon durch erstes Grollen<br />
<strong>und</strong> Donnern übertönt.<br />
„Es wird schon nicht so lange dauern“, versuchte Martin die<br />
Mädchen zu beruhigen. Anna zog die Stecker der Elektrogeräte<br />
heraus. Teresa half ihr dabei. Dann zündeten sie einige Kerzen an<br />
<strong>und</strong> befestigten sie gut an den Kerzenhaltern. Teresa schaute etwas<br />
betrübt aus. Draußen zuckten die Blitze. Verstärkt setzte auch der<br />
Regen ein. Die Bäume wiegten sich mit ihren jungen Blättern im<br />
Takt der Sturmböen. Die Macht des Windes griff geräuschvoll um<br />
sich. Es pfiff <strong>und</strong> heulte. Das Donnern wurde ohrenbetäubend <strong>und</strong><br />
folgte den Blitzen immer schneller. Die Kinder <strong>saß</strong>en dicht<br />
zusammen. Sie sprachen nicht mehr sehr viel, sondern lauschten<br />
<strong>dem</strong> gewaltigen Treiben der Naturgewalten. Teresa goss allen<br />
Blaubeerlimonade ein. Sie versuchte, so gelassen wie möglich zu<br />
erscheinen, obwohl ihr der Gedanke an eine Hexenparty nun nicht<br />
mehr so passend vorkam. Inmitten des wütenden Gewitters erklang<br />
plötzlich das durchdringende Dröhnen von Motoren.<br />
„Was ist denn das für ein Geräusch?“, fragte Anna leise.<br />
„Haben wir eigentlich einen Blitzableiter am Haus?“, fragte Martin.<br />
„Meinst du ein Blitz könnte hier einschlagen?“ fragte Teresa noch<br />
leiser.<br />
„Natürlich haben wir einen Blitzableiter“, beruhigte Anna ihre<br />
Schwester. „Du brauchst keine Angst zu haben.“<br />
Teresa <strong>saß</strong> neben Robi <strong>auf</strong> der Erde <strong>und</strong> streichelte den H<strong>und</strong>, der<br />
schon einige Male jämmerlich gewinselt hatte. Robi konnte das mit<br />
<strong>dem</strong> Blitzableiter ja nicht wissen, überlegte Teresa. Da war sie im<br />
Vorteil <strong>und</strong> das beruhigte sie wieder. Anna war ans Fenster<br />
getreten. Der Regen klatschte, vom stark böigen Wind getragen,<br />
222
prasselnd an die Scheiben. Selbst <strong>Susi</strong> war unter <strong>dem</strong> Bett im<br />
Kinderzimmer verschw<strong>und</strong>en.<br />
„Seht nur, da draußen sind Hubschrauber!“ Anna tippte an die<br />
Scheibe. „Sogar mehrere. Wer fliegt denn bei solchem Wetter hier<br />
herum?“<br />
Auch Teresa <strong>und</strong> Martin wagten einen Blick nach draußen.<br />
Tatsächlich befanden sich, vielleicht nur fünfh<strong>und</strong>ert Meter von<br />
ihnen entfernt in Richtung Hauptstraße, mehrere Hubschrauber in<br />
der Luft. Während der zahlreichen Blitze leuchteten sie<br />
gespenstisch <strong>auf</strong>. Das Dröhnen ihrer Motoren mischte sich<br />
gemeinsam mit <strong>dem</strong> Gewitterdonner zu einem unheimlichen<br />
Konzert.<br />
„Warum fliegen sie nicht weiter?“, rief Teresa <strong>auf</strong>geregt durch den<br />
Lärm.<br />
„Sie suchen da wohl etwas“, gestikulierte Anna. „Schaut mal! Da<br />
sind auch so viele Leute <strong>auf</strong> der Straße. Das sieht ja aus wie<br />
Uniformen oder Kampfanzüge.“<br />
Ein riesiger Blitz tauchte das Zimmer in grelles Licht. Erschrocken<br />
wichen die Kinder vom Fenster zurück. Gleich dar<strong>auf</strong> donnerte es<br />
ohrenbetäubend. Robi winselte laut <strong>auf</strong>. Fast gleichzeitig schrie<br />
Teresa <strong>auf</strong>. Entsetzt starrte sie <strong>auf</strong> den Schrank im Kinderzimmer,<br />
der in einem hellen, gelben Licht stand. Es war genau 14.31 Uhr.<br />
223
Hoch oben, über <strong>dem</strong> irdischen Szenario, sendeten die Blackbaby<br />
Satelliten im Verband mit der Redbaby Alpha lautlos ihre präzisen<br />
Daten nach Nevada. Im Kontrollzentrum der<br />
Zeitforschungsabteilung stieg die Spannung ins Unermessliche. Der<br />
Krisenstab in Berlin, General Bomb im Pentagon <strong>und</strong> der<br />
Ministrator in Washington verfolgten das Spektakel zeitgleich. Auf<br />
einem Monitor konnte man Hubschrauber inmitten eines schweren<br />
Gewitters erkennen. Pausenlos kamen Nachrichten direkt vom<br />
Kommandanten der Einsatzstaffel.<br />
„Wir brauchen die genauen Koordinaten“, wurde immer wieder aus<br />
Deutschland mitgeteilt. Professor Twostone sprang wie ein<br />
Verrückter hin <strong>und</strong> her. Seine Haare standen zu Berge. Laut rief er:<br />
„Der Hyperraumschweif ist da! Unsere Geräte haben ihn erfasst. Es<br />
muß gleich soweit sein. Genau wie ich es voraus gesagt habe. Nun<br />
haben wir die genauen Koordinaten. Lenken sie ihre Männer genau<br />
<strong>auf</strong> das eine Haus dort!“ Der Professor betrachtete seinen<br />
Spezialmonitor, der über die Satelliten ständig mit Daten gefüttert<br />
wurde.<br />
„Das Zielobjekt befindet sich ... Moment, ich habe es gleich.“ Ein<br />
riesiger Blitz glitt über die Livemonitore.<br />
„Verdammt noch mal, ich werde hier noch wahnsinnig!“, schrie der<br />
Professor <strong>und</strong> sprang wieder in die Luft. „Das Zielobjekt befindet<br />
sich genau im Haus Nummer“, er schaute <strong>auf</strong> eine Detailkarte der<br />
deutschen Stadt, die ihm ein Techniker vorbereitet hatte, „in Haus<br />
224
Nummer 14. Ja, suchen sie dort <strong>und</strong> blocken sie die Schatulle<br />
sofort mit Spezialfaserfolie ab!“<br />
Kurz w<strong>und</strong>erte er sich, was die Schatulle gerade in Haus Nummer<br />
14 machte. Dem General ging es ebenso.<br />
Die Anweisungen wurden blitzschnell zum Einsatzkommando vor<br />
Ort weitergeleitet.<br />
„Moment!“ Der Professor winkte zu einem Mitarbeiter. „Justieren<br />
sie die RedbabyAlpha noch einmal genau im Infrarotbereich nach<br />
<strong>und</strong> gehen sie bis <strong>auf</strong>s Äußerste heran!“ Dann beugte er sich sofort<br />
wieder über seinen Monitor. Schon wenige Sek<strong>und</strong>en später<br />
erkannte sein geübtes Auge die Situation.<br />
„Dort ist Leben, wahrscheinlich Menschen! Eine Wohnung! Klar, es<br />
ist ein bewohntes Haus! Mein Gott, ich habe hier fünf winzige<br />
Punkte im Infrarotbereich entdeckt. Holen sie zuerst die Menschen<br />
dort raus, schnell, schnell! Es ist zu gefährlich, wenn sich die<br />
Zeitschleife nähert!“ Dann sank er erschöpft nieder. Das Dilemma<br />
war, dass sich die Zeitschatulle nur im Zusammenhang mit <strong>dem</strong><br />
Auftauchen der Zeitschleife genau koordinieren <strong>ließ</strong>. Der Professor<br />
wusste das. Auch deswegen war die Zeit zum Auffinden der<br />
Schatulle so knapp bemessen. Es war jetzt 4.33 Uhr nach<br />
Pazifikzeit.<br />
Inmitten von zuckenden Blitzen schmiegten sich die Kinder dicht<br />
aneinander. Teresa zitterte. Dramatischer konnte ihr Geburtstag<br />
nicht sein. Martin schluchzte. Auch Anna kämpfte mit den Tränen.<br />
Vor ihnen leuchtete der Kinderzimmerschrank in einer nie geahnten<br />
Helligkeit. Eine eigenartige Benommenheit ergriff sie. Keiner war<br />
fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Draußen dröhnten die<br />
Helikopter <strong>und</strong> <strong>auf</strong>geregte Stimmen waren, von der Straße her,<br />
225
deutlich zu hören. Robi sprang zu den Kindern, als erhoffte er sich<br />
bei Ihnen Schutz.<br />
„Es ist das Kastenbuch, das verdammte Kastenbuch“, schrie Anna<br />
ohnmächtig durch den Lärm. „Nichts wie raus hier!“.<br />
Doch es war längst schon zu spät. Das Kastenbuch schwebte mitten<br />
im Zimmer. Ein geheimnisvoller Sog ging durch den Raum. Wie<br />
von einem Strudel wurden die drei Fre<strong>und</strong>e gemeinsam mit Robi<br />
immer näher an das Kastenbuch heran gezogen. Sie sträubten sich<br />
nach Leibeskräften. Doch es half nicht. Dann sanken sie zu Boden.<br />
Anna sah mit unnatürlicher Wahrnehmung, wie sich <strong>Susi</strong> zu ihnen<br />
gesellte <strong>und</strong> mit überirdisch, hellglänzenden Augen <strong>dem</strong> Buch<br />
zustrebte. Verzweifelt legte sie ihre Arme um Teresa <strong>und</strong> Martin.<br />
Die Kinder schrieen immer wieder laut <strong>auf</strong>. Ein unheimliches,<br />
gleißendes Licht durchströmte die gesamte Wohnung. Es war<br />
unmöglich, noch etwas zu erkennen. Das Licht formte sich zu einer<br />
Art Schleife in deren Zentrum sich ein Wirbel <strong>auf</strong>baute. Anna hörte<br />
sich noch schreien: „Augen zu!“ Einen Moment später erfasste sie<br />
der gewaltige Energiewirbel <strong>und</strong> <strong>ließ</strong> sie mit <strong>dem</strong> Licht<br />
verschmelzen.<br />
Es war 14.36 Uhr. Nur wenige Minuten später stürmten Einsatzleute<br />
in die Wohnung. Sie konnten außer einer starken Abkühlung der<br />
Raumtemperatur nichts Ungewöhnliches feststellen. Das<br />
Kastenbuch konnte nicht gef<strong>und</strong>en werden.<br />
Ende<br />
226
227
228
Nachwort<br />
Liebe kleine <strong>und</strong> große Leser!<br />
Ich bedanke mich für Eure Treue. Anna, Teresa <strong>und</strong> Martin, unsere<br />
tapferen Gefährten, sind verschw<strong>und</strong>en. Gemeinsam mit ihren<br />
Tierfre<strong>und</strong>en Robi <strong>und</strong> <strong>Susi</strong> verschwanden sie für immer in der<br />
Ewigkeit der Zeit. Sie wurden gleichsam vom Licht <strong>auf</strong>gesogen.<br />
Aber ist es wirklich für immer? Auf welche Reise sind sie wohl<br />
gegangen? Werden sie jemals wieder zurückkehren oder zusammen<br />
spielen können? Wenn wir es uns gemeinsam wünschen <strong>und</strong> daran<br />
glauben, sehen wir unsere Helden bestimmt wieder. Die Zukunft<br />
aber liegt in den Sternen, oder?<br />
Der Autor © 2007 by Ingo Raup<br />
229
Worterklärungen<br />
Das Pergamonmuseum ist Teil des Museumsensembles <strong>auf</strong> der Berliner<br />
Museumsinsel. Es wurde zwischen 1910 <strong>und</strong> 1930 nach Plänen von<br />
Alfred Messel <strong>und</strong> Ludwig Hoffmann erbaut. Heute beherbergt es die<br />
Antikensammlung, das Vorderasiatische Museum <strong>und</strong> das Museum für<br />
Islamische Kunst. Das Pergamonmuseum war z.B. 2005 mit etwa 960.000<br />
Besuchern das meistbesuchte Berliner Museum <strong>und</strong> das am besten<br />
besuchte deutsche Kunstmuseum.<br />
Das Ulmer Münster ist die im gotischen Stil errichtete Hauptkirche der<br />
ehemals freien Reichsstadt Ulm. Der 161,50 Meter hohe Turm ist der<br />
höchste Kirchturm der Welt. Es ist ein evangelisches Gotteshaus <strong>und</strong><br />
gehört (wie auch etwa der Kölner Dom) zu jenen gotischen Kirchen in<br />
Deutschland, die erst Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts vollendet wurden. Aus<br />
<strong>dem</strong>, ursprünglich als katholisches Gotteshaus errichteten Münster, wurde<br />
nach der Einführung der Reformation in Ulm die Bürger entschieden<br />
sich 1530 in einer Abstimmung für die Reformation die größte<br />
230
protestantische Kirche der Welt. Der Hauptturm kann über 768 Stufen bis<br />
zu einer Höhe von 143 Metern bestiegen werden, wo den Besucher ein<br />
schönes Panorama über die Stadt <strong>und</strong> ihre Umgebung erwartet.<br />
In einem Inquisitionsverfahren, eingeleitet durch die damalige<br />
Katholische Kirche stand die inquisitio (lat.: Befragung, Untersuchung)<br />
zur Ermittlung der möglichst durch Geständnis zu offenbarenden<br />
„Wahrheit notfalls durch Folter“ im Vordergr<strong>und</strong>, <strong>und</strong> nicht die<br />
Anklage. Vor <strong>dem</strong> Inquisitionsgericht hatten Sachbeweise keine<br />
Gültigkeit. Das heißt, zum Beweis von Schuld oder Unschuld gab es nur<br />
die Möglichkeit der Aussage von Zeugen.<br />
Die Mumifizierung ist eine künstlich vom Menschen betriebene Technik<br />
zur Konservierung eines Körpers, Körperteils eines Menschen oder eines<br />
Tiers unter bestimmten, meist trockenen Bedingungen. Wird ein ganzer<br />
Körper mumifiziert, spricht man von einer Mumie.<br />
Der Begriff Monarchie stammt vom griechischen μοναρχία<br />
(monarchía) ab, das sich aus den Wörtern μόνος (monos = „ein“) <strong>und</strong><br />
άρχειν (archein = „herrschen“) zusammensetzt, <strong>und</strong> bedeutet<br />
„Alleinherrschaft“. Er bezeichnet eine Staats bzw. Regierungsform, bei<br />
der ein Monarch oder eine Monarchin das Amt des Staatsoberhauptes inne<br />
hat (<strong>und</strong> bildet somit das Gegenstück zur Republik).<br />
Absolute Monarchie<br />
In dieser Form besitzt der Monarch <strong>dem</strong> Anspruch nach die alleinige<br />
Staatsgewalt. Der Monarch ist „legibus solutus“ (lateinisch für „von den<br />
Gesetzen losgelöst“), das bedeutet, dass er den Gesetzen, die er selbst<br />
231
erlässt, nicht untersteht. Das bekannteste Beispiel für den Anspruch <strong>auf</strong><br />
absolute Herrschaft des Monarchen ist der Sonnenkönig Louis XIV.,<br />
dessen Selbstverständnis „L'état, c'est moi“ (zu deutsch „Der Staat, das<br />
bin ich“) als geradezu prototypisch für diese Entwicklung angesehen<br />
werden kann.<br />
Eine Reliquie (lateinisch Überbleibsel) ist ein Gegenstand religiöser<br />
Verehrung, besonders ein Körperteil oder Teil des persönlichen Besitzes<br />
eines Heiligen. Eine Sonderform sind Berührungsreliquien, also<br />
Gegenstände wie Kleidungsstoffe, mit denen der Heilige in Berührung<br />
kam oder gekommen sein soll.<br />
Unter Inspiration (von lat.: inspiratio = Beseelung, Einhauchen von<br />
Leben, Ausstatten mit Geist) versteht man allgemeinsprachlich jene<br />
mentale Kraft, die neue Ideen hervorbringt. Inspiration bezeichnet häufig<br />
auch ein Erlebnis, das als Auslöser für eine neue Idee angesehen wird,<br />
z.B. die Begegnung mit einem Menschen, eine Reise oder ein Traum.<br />
Menschen, die Künstler oder Wissenschaftler inspirieren, nennt man<br />
Musen.<br />
Das Wort Accessoire (frz. Accessoire) ist ein altfranzösisches Lehnwort<br />
in der deutschen Sprache. Die wörtliche Übersetzung ist Zubehör oder<br />
Beiwerk. Hauptsächlich wird die Bezeichnung Accessoire seit <strong>dem</strong> 20.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert als Sammelbegriff für funktionales <strong>und</strong> dekoratives<br />
modisches Beiwerk historischer <strong>und</strong> zeitgenössischer Kleidung, wie<br />
beispielsweise Hüte, Gürtel, Handschuhe, Fächer, Schirme, Taschen,<br />
Tücher <strong>und</strong> Schmuck verwendet.<br />
232
Das Pentagon ist der Hauptsitz des USamerikanischen<br />
Verteidigungsministeriums. Mit seinen je 280 Meter langen Außenwänden<br />
besitzt das Pentagon eine Gr<strong>und</strong>fläche von 135.000 Quadratmeter. Damit<br />
soll es vor <strong>dem</strong> Flughafen Tempelhof in Berlin <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Parlamentspalast<br />
in Rumäniens Hauptstadt Bukarest (65.000 Quadratmeter Gr<strong>und</strong>fläche)<br />
das größte Gebäude der Welt sein. Das Pentagon ist eingebettet in 50 ha<br />
Park <strong>und</strong> Rasenfläche. Es liegt am Potomac River in Arlington (Virginia)<br />
direkt neben <strong>dem</strong> Nationalfriedhof Arlington an der Grenze zu<br />
Washington (D.C.). Trotz einer Gesamtlänge aller Korridore von knapp<br />
17,5 Meilen (ca. 28,2 km) ist jeder Punkt im Bau von je<strong>dem</strong> anderen<br />
Punkt innerhalb des Gebäudes in unter 7 Minuten erreichbar.<br />
Materie (lat.: materia = Stoff) ist eine allgemeine Bezeichnung für alles<br />
Stoffliche, was uns umgibt <strong>und</strong> aus <strong>dem</strong> wir selbst bestehen.<br />
Mit <strong>dem</strong> Begriff Dimension werden in der Physik die drei<br />
Raumdimensionen bezeichnet. Der Raum ist dreidimensional. Durch ein<br />
Koordinatensystem kann man die Position eines Objektes im Raum mit<br />
drei Angaben eindeutig bestimmen.<br />
Auch die Zeit wird als Dimension bezeichnet. In der Relativitätstheorie<br />
werden die drei Dimensionen des Raumes mit der der Zeit zu einer<br />
vierdimensionalen Raumzeit vereinigt. Zur Positionsbestimmung in der<br />
Raumzeit ist daher neben den drei Raumkoordinaten noch die Angabe<br />
eines Zeitpunktes nötig, insgesamt also vier Größen.<br />
Der Begriff AntiAging, auch Altershemmung, ist eine Bezeichnung für<br />
Maßnahmen, die zum Ziel haben, die biologische Alterung der Menschen<br />
hinauszuzögern, die Lebensqualität im Alter möglichst lange <strong>auf</strong> hohem<br />
233
Niveau zu erhalten <strong>und</strong> auch das Leben insgesamt zu verlängern.<br />
Verwendet wird dieser Begriff in der Medizin, von<br />
Ernährungswissenschaftlern, der Nahrungsergänzungsmittelindustrie, von<br />
Kosmetikherstellern <strong>und</strong> auch teilweise im Zusammenhang mit<br />
Schönheitsoperationen.<br />
Als Lichtgeschwindigkeit (Formelzeichen c von lat. celeritas:<br />
„Schnelligkeit“) bezeichnet man die Ausbreitungsgeschwindigkeit des<br />
Lichts <strong>und</strong> anderer elektromagnetischer Wellen. Sie ist in Materie stets<br />
kleiner als im leeren Raum (Vakuum). Dieser größtmögliche Wert von c,<br />
die Vakuumlichtgeschwindigkeit (Formelzeichen: c0, oft aber stattdessen<br />
nur: c ) stellt eine Naturkonstante dar, die in der Physik eine zentrale Rolle<br />
spielt <strong>und</strong> deren Entdeckung weit reichende Konsequenzen für die<br />
physikalische Weltsicht <strong>und</strong> unser Verständnis von Raum <strong>und</strong> Zeit hat.<br />
Sie ist nach Einsteins Relativitätstheorie die maximal erreichbare<br />
Geschwindigkeit, nicht nur von Licht, sondern auch von jeder anderen<br />
Form der Energie, Information oder Wirkung.<br />
Wenn in der Physik der Begriff „Lichtgeschwindigkeit“ verwendet wird,<br />
ist meistens die Naturkonstante c0 nämlich die<br />
Vakuumlichtgeschwindigkeit gemeint. Sie wurde nach vielen historisch<br />
erfolglosen Versuchen erstmals von Ole Romer im Jahr 1676 erfolgreich<br />
nachgewiesen. Aber erst Einstein erkannte, dass diese Geschwindigkeit<br />
ein bedeutendes physikalisches Merkmal des Universums ist. Sie beträgt<br />
exakt 299.792.458 Meter pro Sek<strong>und</strong>e.<br />
Die Telomerase ist ein Enzym des Zellkerns bestimmter Zellen, das aus<br />
einem Protein <strong>und</strong> einem langen RNAAnteil besteht. Es stellt die<br />
Endstücke der Chromosomen, die so genannten Telomere, wieder her.<br />
Bei jeder Zellteilung geht ein Stück der Telomere verloren. Die<br />
234
Telomerase verhindert durch die Wiederherstellung der Telomere, dass<br />
die Chromosomen mit jeder Zellteilung kürzer werden, was sch<strong>ließ</strong>lich<br />
zum Zelltod führen würde.<br />
In den meisten normalen Zellen ist die Aktivität der Telomerase nicht<br />
nachweisbar. Aktiv ist die Telomerase nur bei einzelligen Organismen<br />
sowie in Zellen der Keimbahn <strong>und</strong> Embryonalzellen bei mehrzelligen<br />
Organismen. Der Traum der Wissenschaft besteht darin, durch gezielten<br />
Eingriff <strong>auf</strong> die Telomere, die Lebenserwartung der Menschen erheblich<br />
zu verlängern.<br />
Die in allen Lebewesen vorkommende Desoxyribonukleinsäure ist die<br />
Trägerin der Erbinformation. Sie enthält die Gene, also die<br />
Bauanleitungen für andere Zellbestandteile wie Ribonukleinsäuren (RNA)<br />
<strong>und</strong> Proteine, welche für die biologische Entwicklung <strong>und</strong> das Überleben<br />
der Zelle notwendig sind. Im deutschen Sprachgebrauch wird die<br />
Desoxyribonukleinsäure zunehmend mit der englischen Abkürzung DNA<br />
(deoxyribonucleic acid) bezeichnet.<br />
Die AlzheimerKrankheit (Morbus Alzheimer) ist eine fortschreitende<br />
DemenzErkrankung (lat. <strong>dem</strong>ens: ohne Geist sein, „verwirrt“) des<br />
Gehirns, die vorwiegend im Alter <strong>auf</strong>tritt <strong>und</strong> mit einer fortschreitenden<br />
Abnahme von Hirnfunktionen einhergeht. Die Krankheit beginnt mit<br />
geringer, anscheinend zufälliger Vergesslichkeit <strong>und</strong> endet im Verlust des<br />
Verstandes. Sie ist eine Erkrankung des Alters <strong>und</strong> tritt nur selten vor <strong>dem</strong><br />
60. Lebensjahr <strong>auf</strong>.<br />
Da der Anteil der Älteren in der Bevölkerung der westlichen<br />
Industrienationen immer mehr zunimmt, steigt auch die Häufigkeit der<br />
Personen mit Alzheimer. Man schätzt, dass bei den 65Jährigen etwa 2 %<br />
betroffen sind. Bei den 70Jährigen sind es bereits 3 %, bei den 75<br />
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Jährigen 6 % <strong>und</strong> bei den 85Jährigen zeigen etwa 20 % Symptome der<br />
Krankheit. Der Kampf gegen die Erkrankung ist eine wichtige<br />
Angelegenheit der heutigen Gesellschaft geworden.<br />
Nanoanalyser = Forschungsgerät.<br />
Unter Nanowissenschaften werden Forschungen bezeichnet, die sich mit<br />
Materialien im NanometerMaßstab befassen. Nano kommt von<br />
altgriechisch nannos ("der Zwerg") <strong>und</strong> bezeichnet bei Maßeinheiten den<br />
Milliardensten Teil der Einheit. Also sind eine Milliarde Nanometer ein<br />
Meter.<br />
Schon heute spielen die Nanomaterialien eine wichtige Rolle, die zumeist<br />
<strong>auf</strong> chemischem Wege oder mittels mechanischer Methoden hergestellt<br />
werden. Einige davon sind kommerziell verfügbar <strong>und</strong> werden in<br />
handelsüblichen Produkten eingesetzt. Das momentan absehbare Ziel der<br />
Nanotechnologie ist die weitere Miniaturisierung geeigneter Produkte<br />
sowie die industrielle Erzeugung neuartiger Werkstoffe.<br />
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