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Susi saß reichlich bequem auf dem Fensterbrett und ließ ... - BookRix

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Ingo Raup<br />

Anna <strong>und</strong> Teresa & Die Augen der Katze<br />

1


Zu diesem Buch<br />

Anna <strong>und</strong> Teresa sind zwei ganz normale Mädchen. Die Schwestern leben<br />

in einer kleinen Stadt in Süddeutschland. Ihren Alltag meistern sie mit<br />

Geschick <strong>und</strong> Humor. Sie gehen in die Schule <strong>und</strong> erleben Abenteuer. Ihre<br />

kleine Katze <strong>Susi</strong>, welche die Kinder vor <strong>dem</strong> Verhungern retteten,<br />

sch<strong>ließ</strong>en sie fest ins Herz. <strong>Susi</strong> wiederum ist mit <strong>dem</strong> Mischlingsh<strong>und</strong><br />

Robi eng befre<strong>und</strong>et, von <strong>dem</strong> sie auch die Sprache der Tiere lernt. Eines<br />

Tages, während einer Klassenfahrt, stoßen die Kinder <strong>auf</strong> ein<br />

geheimnisvolles ``Kastenbuch``, wofür sich ursprünglich der<br />

Geheimdienst interessiert. Als die Kinder merken, dass sie das seltsame<br />

Kastenbuch nicht so einfach wieder loswerden, geraten sie in eine<br />

unglaubliche Geschichte. Die Kälte des Buches überträgt sich zuerst <strong>auf</strong><br />

Teresa <strong>und</strong> später <strong>auf</strong> Anna. Die Mädchen sind ratlos, besch<strong>ließ</strong>en aber,<br />

ihren Eltern vorerst noch nichts zu erzählen. Da entdecken sie eine<br />

geheimnisvolle Lichtstrahlung <strong>und</strong> Martin, ein Schulkamerad, wird mit in<br />

2


die Sache hinein gezogen. Auch die zwei schrulligen<br />

Geheimdienstagenten, die das Kastenbuch ständig suchen, tappen im<br />

Dunkeln. Nun scheint sich auch noch ein unbekannter Zusammenhang<br />

zwischen den Ereignissen <strong>und</strong> der Katze <strong>Susi</strong> zu ergeben. Hatte Anna<br />

nicht schon einmal unbewußt bemerkt, wie die Augen der Katze zu<br />

leuchten begannen? Führt die Spur wirklich nach Ägypten <strong>und</strong> kann selbst<br />

der hoch gebildete Professor Twostone im Forschungsinstitut die<br />

Wahrheit herausfinden? Was passiert direkt am Geburtstag von Teresa<br />

<strong>und</strong> welche Rolle spielt die Zeit?<br />

Ingo Raup<br />

Anna & Teresa<br />

<strong>und</strong><br />

Die Augen der Katze<br />

3


Impressum<br />

4


Für Anna, für Teresa<br />

Für Marie­Luise, für Klaus<br />

Für Große <strong>und</strong> Kleine<br />

Für Alte, für Junge<br />

Für Arme <strong>und</strong> Reiche<br />

Und für alle Tiere<br />

5


.<br />

6


Unsere fre<strong>und</strong>liche Einladung:<br />

Im Buch gibt es Platz zum Zeichnen <strong>und</strong> Einkleben.<br />

Nimm Dir, wenn Du Lust hast, einen Bleistift oder Buntstifte!<br />

Gestalte den Verl<strong>auf</strong> der Geschichte ganz nach Deiner Phantasie<br />

mit eigenen, kleinen, sanften Zeichnungen! Oder schreibe einen<br />

kleinen Text dazu! Deine Ideen <strong>und</strong> Deine selbst gemalten Bilder<br />

werden Dir viel Freude bereiten.<br />

Dieses Buch gehört:<br />

Ich wohne in:<br />

Höre mal Du! Solltest Du dieses Buch<br />

einmal ausgeliehen haben, so gib es<br />

bitte wieder zurück!<br />

7


Inhalt<br />

Kapitel 1 <strong>Susi</strong><br />

9<br />

Kapitel 2 In der Schule<br />

23<br />

Kapitel 3 Der Fahrradausflug<br />

27<br />

Kapitel 4 Die Sommerferien<br />

33<br />

Kapitel 5 Robis Geschichte<br />

47<br />

Kapitel 6 Lady Marmelade<br />

53<br />

Kapitel 7 Weihnachten<br />

59<br />

8


Kapitel 8 Die Sprache der Tiere<br />

67<br />

Kapitel 9 Die Klassenfahrt<br />

71<br />

Kapitel 10 Das geheimnisvolle Kastenbuch<br />

87<br />

Kapitel 11 Die Verfolger<br />

105<br />

Kapitel 12 Drei Ausflüge <strong>und</strong> ein Abflug<br />

129<br />

Kapitel 13 >Zwischen< Eis <strong>und</strong> Blaubeerbrause<br />

155<br />

Kapitel 14 Kleine Ägyptologie<br />

177<br />

Kapitel 15 Der Geburtstag <strong>und</strong> die Nacht des Professors<br />

195<br />

Nachwort <strong>und</strong> Worterklärungen<br />

229<br />

9


1. <strong>Susi</strong><br />

<strong>Susi</strong> <strong>saß</strong> <strong>bequem</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Fensterbrett</strong>. Sie <strong>ließ</strong> die halb geöffneten<br />

Augen dösend aus <strong>dem</strong> Fenster im dritten Stock schweifen. Die<br />

ersten Strahlen der Frühlingssonne machten ihre Pupillen zu<br />

schmalen Schlitzen <strong>und</strong> reflektierten sich in den gelben Augen.<br />

Lauwarme Luftströme des Heizkörpers stiegen in Wellen an ihrem<br />

Fell empor. Die Wärme gab <strong>Susi</strong> ein wonniges Gefühl. Sie fühlte<br />

10


sich wohl, hier bei Ihren Menschen. Ab <strong>und</strong> zu bewegte Sie Ihren<br />

buschigen Schwanz, um die warme Luft mal <strong>auf</strong> diese oder jene<br />

Seite ihres Körpers zu lenken. Sie freute sich über ihr silbergraues,<br />

samtweiches Fell. <strong>Susi</strong> war mächtig stolz <strong>auf</strong> dieses Fell, hatte sie es<br />

doch zum Teil von ihrem Papa, einem mächtigen Angorakater<br />

geerbt. Bald würden ihre Menschenkinder aus der Schule kommen.<br />

Dann gäbe es etwas Herrliches zu essen <strong>und</strong> zu schlappern. <strong>Susi</strong><br />

schnurrte leise, streckte sich seitwärts aus <strong>und</strong> begann von ihren<br />

Menschen zu träumen, wie sich diese rührend um sie gesorgt hatten,<br />

als sie noch ganz klein war.<br />

Helle Kinderstimmen ertönen. Dann gibt es ein wildes<br />

´´Herunterl<strong>auf</strong>engeräusch´´, welches an die Benutzung einer Treppe<br />

erinnert. Irgendwo ertönt der Fluch einer Frau aus einem Fenster im<br />

unteren Stock. Knatternd öffnet sich dann die Tür des dreistöckigen<br />

Wohnhauses. Zwei Mädchen stürmen heraus. Sie sind <strong>auf</strong>geregt<br />

<strong>und</strong> scheinen in Eile zu sein. Auch die Roller <strong>und</strong> Inliner sind nicht<br />

zu sehen, mit denen Sie sonst eigentlich aus <strong>dem</strong> Haus gehen.<br />

„Hast du auch wirklich das Futter, Anna?“, ruft das blondhaarige<br />

Mädchen. Aufgeregt schaut sie zu ihrer großen Schwester hoch.<br />

Anna zupft sich noch die Jacke zu, legt sich einige Haarstränen<br />

zurecht <strong>und</strong> ist genauso <strong>auf</strong>geregt wie ihre kleine Schwester.<br />

„Ja, hab ich. Es ist von Robi, wie abgemacht. Aber sie wird es<br />

schon fressen, die Arme. Komm Teresa!“<br />

Die beiden Mädchen l<strong>auf</strong>en los. Auch das Fenster im unteren Stock<br />

sch<strong>ließ</strong>t sich wieder.<br />

11


­ Gestern hatten sie das arme Ding entdeckt, beim Spielen. Anna<br />

<strong>und</strong> Teresa spielen recht gern zusammen. Obwohl sie sich als<br />

Schwestern natürlich auch gern mal ohne größeren Sinn streiten,<br />

waren sie sich seit gestern ganz einig gewesen. Beim Herumstreifen<br />

durch die offenen Baumanlagen, vor den großen Wohnhäusern,<br />

hörten sie plötzlich dieses unsichere, piepartige Mauzen. Es kam<br />

unter einer Fichte oder Tanne hervor, welche mit ihren<br />

herabhängenden Ästen den Boden bedeckte. Durch die wenigen,<br />

offenen Lücken der dichten Zweige konnten sie es dann sehen <strong>und</strong><br />

waren sogleich von einer Mischung aus Neugier <strong>und</strong> Mitleid erfüllt.<br />

In einer Ecke, zwischen alte Zweige gedrückt, <strong>saß</strong> ein kläglich<br />

aussehendes Kätzchen. Das Fell war an vielen Stellen des Körpers<br />

abgerissen, so dass die nackte, rosa schimmernde Haut zum<br />

Vorschein kam. Das Kätzchen verstummte in seinem Mauzen als<br />

die Mädchen die Äste ein wenig zurück schoben. Dann zuckte es<br />

angstvoll zusammen. Es wich aber nicht zurück als die beiden<br />

Kinder noch näher kamen.<br />

„Leise, langsam“, sagte Anna <strong>und</strong> Teresa sah das Kätzchen mit<br />

geöffnetem M<strong>und</strong> an. Unter <strong>dem</strong> Baum war es halb dunkel. Zu<strong>dem</strong><br />

roch es vermodert. Zwischen den alten Tannenzapfen mischten sich<br />

die Nadeln des Baumes mit ein paar alten Kleidungsresten<br />

(Lumpen), leeren Dosen <strong>und</strong> Papierstücken. Das Kätzchen hatte hier<br />

sicher ein sehr bescheidenes Quartier gef<strong>und</strong>en.<br />

„Sie ist noch so klein, wir müssen ihr helfen“, flüsterte Teresa.<br />

Anna nickte zustimmend.<br />

Dann schauten sich beide so bedeutungsvoll an wie noch nie. Sie<br />

beschlossen einträchtig, sich nicht mehr zu streiten, sondern sich um<br />

die kleine Katze zu kümmern. Zuerst wurde Trinkwasser vom<br />

nahen Außenhahn eines Hauses besorgt <strong>und</strong> ein kleines Brötchen<br />

12


mit Wurst<strong>auf</strong>lage eingesammelt, welches unbeachtet <strong>auf</strong> der Wiese<br />

am nahen Spielplatz herum lag. Das Kätzchen nahm dann auch<br />

etwas vom Wasser; das Brötchen legte man vorsichtig näher. Beide<br />

Mädchen waren beeindruckt. Sie freuten sich mit großen Augen, als<br />

ihr Kätzchen dann auch noch den ersten Bissen vom Brötchen<br />

nahm, das sie selbst besorgt hatten. Später wurde dann noch der<br />

Plan entwickelt, am morgigen Tag etwas Futter vom Familienh<strong>und</strong><br />

Robi abzuzweigen. Den Eltern wollten sie vorerst lieber nichts<br />

erzählen. Diese würden bestimmt nicht erlauben, das unbekannte<br />

Kätzchen <strong>auf</strong>zunehmen, zumal ja auch schon der H<strong>und</strong> Robi in der<br />

Wohnung lebte. ­<br />

Teresa ist jetzt fast immer vor Anna, so eilig läuft sie den Weg an<br />

ihrem Haus entlang. Obwohl sie vor einigen Wochen im Mai erst<br />

acht geworden ist, ist sie flink wie ein Wiesel. Ihre, zu zwei<br />

Seitenzöpfen geflochtenen Haare, wippen im Takt der Schritte. In<br />

der Hand hält sie ein Beutelchen mit einer Wasserflasche, die sie<br />

immer in der Schule benutzt. Außer<strong>dem</strong> hat sie einen Plastikteller<br />

für Babynahrung mitgenommen. Anna trägt eine Dose H<strong>und</strong>efutter<br />

sowie etwas Trockenfutter bei sich. Das Futter ist vom H<strong>und</strong> Robi,<br />

einem dunkelhaarigen Mischling, der schon viele Jahre in ihrer<br />

Familie lebt. Robi ist schon älter als sie selbst.<br />

„Der H<strong>und</strong> hat so viel Futter. Es wird nicht weiter <strong>auf</strong>fallen, wenn<br />

ich ein bisschen genommen habe“, spricht Anna laut vor sich hin.<br />

„Außer<strong>dem</strong> geben ihm unsere Eltern sowieso lieber richtiges<br />

Fleisch.“<br />

Die Grünflächen mit ihren vielen Bäumen beginnen. Die Sonne<br />

scheint <strong>und</strong> beide Mädchen überqueren die Wiese. Sie erreichen den<br />

alten Tannenbaum oder die alte Fichte. Erwartungsvoll schauen sie<br />

13


unter das Netz der Zweige. Aber ihr Kätzchen ist nicht zu sehen. Sie<br />

schauen nochmals ­ aber nichts.<br />

„Sie wird auch mal spazieren gehen.“<br />

„Meinst du?“, fragt Anna.<br />

„Klar, oder sie ist mal <strong>auf</strong> Toilette.“<br />

Teresa sieht wichtig aus. Während sie spricht zeigt sie <strong>auf</strong> ein nahe<br />

gelegenes Gebüsch, welches früher wahrscheinlich einmal eine<br />

schöne Gehölzanlage war, als es noch jemand pflegte.<br />

„Wir müssen etwas warten“, sagt Anna. „Komm, wir verteilen das<br />

Futter!“<br />

Den Plastikteller für Babynahrung füllen Sie mit Dosenfutter. Nun<br />

stellen sie ihn an den Baum, wo sie das Kätzchen das erste Mal<br />

gesehen haben. Das Trockenfutter, was sich irgendwie wie nicht<br />

essbar anfühlt, verteilen sie in kleinen Häufchen am Rande der<br />

Sträucher. Dann setzen sie sich <strong>auf</strong> die Wiese <strong>und</strong> warten. Anna<br />

ruckelt nervös hin <strong>und</strong> her. Sie beginnt kleine Käfer zu beobachten,<br />

die ab <strong>und</strong> zu im Gras an ihr vorüber krabbeln. Sie ist schon über<br />

zehn Jahre <strong>und</strong> interessiert sich sehr für alle Arten von Tieren <strong>und</strong><br />

deren Verhalten. Sie darf schon allein mit ihrem H<strong>und</strong> gehen,<br />

obwohl der manchmal ganz schön los rennt, besonders dann, wenn<br />

er andere H<strong>und</strong>e erspäht. In der Schule hat Anna auch schon über<br />

verletzte <strong>und</strong> kranke Tiere gehört. Sie denkt deshalb etwas<br />

wehmütig <strong>und</strong> besorgt über die kleine Katze nach, die sie gestern<br />

zusammen mit ihrer Schwester hier entdeckt hatte. Der kleine<br />

Marienkäfer kitzelt <strong>auf</strong> ihrem Arm. Fast gleichzeitig sehen die<br />

Kinder wie die kleine Katze aus den Sträuchern kommt.<br />

Teresas blaugraue Augen glänzen <strong>und</strong> wirken jetzt noch heller.<br />

Weil das Kätzchen wirklich aus <strong>dem</strong> Gesträuch kommt, gibt sie ein<br />

siegesbewusstes Lachen von sich. Beide Mädchen freuen sich<br />

14


ungemein, als sie das Tierchen erblicken. Das Kätzchen sieht aber<br />

wirklich trostlos aus. Jetzt ist auch das völlig verfilzte Fell am<br />

Bauch zu erkennen.<br />

„Sie hat bestimmt niemanden. Wir erzählen es am besten heute<br />

noch daheim“, meint Anna.<br />

„Stimmt, sie kann dann in unserem Zimmer wohnen“, nickt<br />

Teresa.<br />

Noch haben sie das Wasser. Teresa füllt es in einen kleinen<br />

Plastikbecher, den sie irgendwo gef<strong>und</strong>en hat. Dann stellt sie den<br />

Becher neben den Babyteller. Leise warten die Mädchen nun. Das<br />

Kätzchen, welches heute schon etwas zutraulicher erscheint, geht in<br />

Richtung seines Baumquartieres. Kurz vor <strong>dem</strong> Futter liegt eine alte<br />

Flasche die bräunlich schimmert. Die Kinder sehen voller Staunen,<br />

wie die kleine Katze eine ganze Zeitlang die Flasche beleckt, als<br />

hätte diese noch irgendeinen Inhalt. Dann bemerkt sie das Futter<br />

<strong>und</strong> macht sich eilig daran, es zu verzehren. Das die beiden<br />

Mädchen bald hinter ihr stehen, sie glücklich beobachten, das merkt<br />

sie vor Hunger fast überhaupt nicht.<br />

15


Eine braunhaarige, junge Frau beugt sich aus <strong>dem</strong> Fenster im dritten<br />

Stock.<br />

„Wo die Mädchen heute bleiben“, w<strong>und</strong>ert sie sich leise. Dann will<br />

sie nach unten gehen, um sie zu suchen. Eigentlich macht sie sich<br />

keine Sorgen um die beiden. Ihre Kinder sind fast immer pünktlich,<br />

zwar etwas unordentlich, hören aber ganz gut <strong>und</strong> bringen auch gute<br />

Noten aus der Schule mit.<br />

„Na ja, es sind eben liebe Mädchen in einem guten Alter“, überlegt<br />

sie laut vor sich hin. Ein Lächeln gleitet über ihr Gesicht. Gleich<br />

dar<strong>auf</strong> fällt ihr aber so ein kleiner Junge ein, mit einem wilden<br />

Lockenkopf. Sie w<strong>und</strong>ert sich insgeheim über den Gedanken, weil<br />

er sich die letzte Zeit so oft wiederholt. Sie lächelt wieder <strong>und</strong> ist<br />

schon im Hausflur, um doch nach den Kindern zu schauen.<br />

Unten rattert die Eingangstür <strong>und</strong> die junge Frau flüstert: „Das<br />

werden sie sein.“<br />

Es ist aber ihr Mann, der gut gelaunt die Treppe empor hastet. Er<br />

wirkt recht fröhlich.<br />

„Es klappt! Ich glaube das Geschäft klappt“, ruft ihr Mann ihr von<br />

unten zu.<br />

„Komm mit rein! Ich erzähle dir gleich was ich vorhabe.“<br />

Nach einer kurzen Begrüßung schiebt er sie wieder in die Wohnung<br />

zurück. Wahrscheinlich wird er ihr jetzt wieder einmal von einem<br />

seiner unschlagbaren Geschäftskonzepte erzählen. Damit wäre dann<br />

eine st<strong>und</strong>enlange, dramatische Rede von ihm zu erwarten. Sie<br />

16


versucht zu lächeln <strong>und</strong> holt ein paar Getränke. Da es draußen noch<br />

hell ist besch<strong>ließ</strong>t sie, später nach den Kindern zu sehen.<br />

Nach einer halben St<strong>und</strong>e <strong>und</strong> zwei Flaschen Bier weiß sie nun<br />

endlich das es Autos gibt, die nur mit Druckluft angetrieben werden<br />

können, <strong>und</strong> diese Autos <strong>und</strong> ihr Mann als Vertriebsmanager in die<br />

zukünftige Geschichte eingehen werden.<br />

Kurz dar<strong>auf</strong> klingelt es. Ihre beiden Kinder stehen vor der Tür. Sie<br />

öffnet <strong>und</strong> sieht zwei ausgelassene Mädchen mit einer leeren Dose<br />

<strong>und</strong> einem Plastikbeutel in der Hand.<br />

„Schön das ihr von allein kommt“, sagt sie. Dann streichelt sie<br />

beiden nach einem sanften Kuss durch das Haar.<br />

„Was machst du denn mit der Dose da, Anna?“<br />

„Ja wir haben da so ein paar Steine rein gesammelt <strong>und</strong> wollten mal<br />

gucken was es sonst noch so gibt.“<br />

„Würmer“, sagt Teresa schnell <strong>und</strong> kneift die Lippen zusammen,<br />

weil sie jetzt nicht mehr genau weiß warum sie das gesagt hat.<br />

„Würmer? Aha!“, sagt ihre Mama die dabei etwas gequält zur Dose<br />

hin schaut, um einen Blick hinein werfen zu können.<br />

„Die sind aber jetzt schon Schmetterlinge geworden <strong>und</strong><br />

weggeflogen“, ergänzt Anna genau so schnell.<br />

Ihre blaugrünen Augen, die denen der Mama so ähnlich sind,<br />

drehen sich von oben nach unten während sie spricht. Die Kinder<br />

schieben sich in die Wohnung hinein. Die Mama nimmt erleichtert<br />

die leere Dose entgegen. Sogleich schickt sie die Kinder ins Bad.<br />

„Wascht euch bitte auch die Haare!“, ruft sie den Mädchen nach.<br />

Dann geht sie ins Wohnzimmer zurück. Sie schiebt ihrem Mann die<br />

dritte Flasche Bier hin <strong>und</strong> ist froh, dass seine Ausführungen schon<br />

etwas langsamer voran gehen.<br />

17


Das Wasser der Dusche rauscht plätschernd in das Badebecken.<br />

Daneben klappt der Toilettendeckel hoch. Anna sitzt, mit den<br />

Schultern leicht nach vorn geneigt, in der Wanne. Genüsslich lässt<br />

sie sich das warme Wasser über den Rücken l<strong>auf</strong>en. Teresa hockt<br />

<strong>auf</strong> der Klobrille. Sie wackelt mit den Beinen rudernd hin <strong>und</strong> her.<br />

„Wann wollen wir es Ihnen sagen?“, ruft sie von der Toilette<br />

herüber. Dabei pullert sie mit Zwischenpausen weil sie ganz sicher<br />

sein möchte, dass Anna sie auch hört.<br />

„Teri... gleich, wir sagen es ihnen zusammen. Ich wasch` mir nur<br />

noch die Haare.“<br />

Anna massiert sich das Shampoo in ihr schulterlanges, braunes<br />

Haar. Sie sieht kurz zu Teresa hinüber. Teresa, die von vielen ihrer<br />

Fre<strong>und</strong>e nur Teri genannt wird, pullert nun doch zu Ende <strong>und</strong><br />

rutscht dann von der Klobrille, um ebenfalls zu baden. Durch die<br />

Türe hören sie leise die Stimmen ihrer Eltern. Sie glauben am Klang<br />

der Stimmen zu erkennen, dass die beiden eigentlich ganz gute<br />

Laune haben müssten. Kurz dar<strong>auf</strong> hat auch Teresa mit Hilfe ihrer<br />

Schwester die Haare gewaschen. Flugs ziehen sie sich ihre<br />

Schlafsachen über <strong>und</strong> schon stehen sie im Wohnzimmer vor ihren<br />

Eltern.<br />

„Hallo Papa!“, rufen sie ihrem Vater zu.<br />

„Ah, schön euch zu sehen“, erwidert der Papa zurück.<br />

Obwohl der Papa so ein bisschen merkwürdig guckt, gehen die<br />

Mädchen doch gleich zur Sache über. Kurz nach <strong>dem</strong> Gong der<br />

Tagesnachrichten wissen ihre Eltern von der kleinen, verlassenen<br />

Katze, die nur ein paar h<strong>und</strong>ert Meter von ihrer Wohnung entfernt<br />

lebt. Der Papa guckt nun noch etwas merkwürdiger. Er sieht aber<br />

nicht weiter streng aus. Die Mama hat ein paar Fältchen in die Stirn<br />

gezogen. Im Fernsehen geht es um die Entwicklung einer neuen<br />

18


Fabrik in Deutschland mit Hilfe von asiatischen Geldern. Kurz nach<br />

<strong>dem</strong> Wetterbericht schaltet die Mama den Apparat ab.<br />

„Ja Kinder, ihr wisst doch, wir haben den Robi <strong>und</strong> der ist doch<br />

schon so alt. Ob der sich mit einer kleinen Katze verträgt? Wir<br />

haben auch nur eine kleine Wohnung <strong>und</strong> kein großes Haus.“<br />

Die Mama argumentiert noch ein wenig. Sie schaut dann zu Ihrem<br />

Mann hinüber, der in Gedanken gerade den Luftdruck für die neuen<br />

Fahrzeuge berechnet.<br />

„Ach Papa, denk doch mal was aus der Kleinen werden würde,<br />

wenn wir ihr nicht helfen.“<br />

Beide Kinder beschreiben nochmals ganz ausführlich, wie sie die<br />

kleine Katze vor <strong>dem</strong> sicheren Hungertod gerettet hatten.<br />

Der Papa streckt die Brust etwas nach vorn aus. Er sieht jetzt<br />

zufrieden zu seinen Töchtern hin.<br />

„Gut gemacht! Vielleicht gehört die Katze aber doch jeman<strong>dem</strong>.<br />

Habt ihr sie auch nicht angefasst?“, fällt ihm ein.<br />

Er schlägt vor, am morgigen Tag im Tierheim nachzufragen.<br />

„Wollte sie denn euer Futter überhaupt? Vielleicht ist sie krank?<br />

Seit ihr auch nicht zu nahe heran gegangen?“, will die Mama dann<br />

noch wissen.<br />

„Wir haben schon <strong>auf</strong>gepasst“, beruhigen die Mädchen ihre Eltern.<br />

Hoffnung spricht aus ihren Gesichtern. Sogleich bereiten sie die<br />

Schmatzer <strong>auf</strong> die Wangen ihrer Eltern vor. Kreischend fallen sie<br />

um deren Hälse.<br />

„Danke, Mama!“, knutsch, knutsch.<br />

„Vielen Dank, Papa!“, knutsch.<br />

Nun sucht man zu viert in Büchern alles zum Thema Katzen. Am<br />

Computer informiert man sich, wie Katzen gemeinsam mit H<strong>und</strong>en<br />

19


auskommen können <strong>und</strong> studiert Erfahrungsberichte im Internet.<br />

Kurz vor <strong>dem</strong> Gong der Spätnachrichten ist man sich dann einig:<br />

Wenn die kleine Katze beim Tierarzt gewesen ist, ges<strong>und</strong> sei <strong>und</strong><br />

sonst nieman<strong>dem</strong> gehöre, dürfe sie vorerst gastweise in die<br />

Wohnung kommen. Sie müsse aber von den Kindern gepflegt <strong>und</strong><br />

gefüttert werden. Danach geht man zu Bett <strong>und</strong> der Papa träumt von<br />

einer Katze, welche am Steuer eines neuartigen Automobils sitzt.<br />

„Sie hat zwar keine ansteckenden Krankheiten, sie ist aber völlig<br />

abgemagert. Das Fell muss auch erst nachwachsen. Da hilft nur viel<br />

Pflege <strong>und</strong> gutes Futter.“<br />

Der Tierarzt, der sich noch immer über die kleine Katze beugt, sieht<br />

ernst aber verständnisvoll zu den beiden Mädchen hinüber, die<br />

angespannt seinen Worten lauschen.<br />

­ Schon heute Morgen hatten die Eltern beim Tierheim angerufen.<br />

Dort wurde aber keine Katze vermisst. Sie könnten aber gern noch<br />

einige andere Katzen oder H<strong>und</strong>e bekommen, sagte man ihnen.<br />

Dann wurden auch noch einige Nachbarn befragt, ob denn jemand<br />

etwas wisse <strong>und</strong> ein Kätzchen vermisst werde. Aber ohne Erfolg.<br />

Gemeinsam mit <strong>dem</strong> Papa lockten die Kinder das Kätzchen dann in<br />

ein kleines Katzenkörbchen <strong>und</strong> waren ansch<strong>ließ</strong>end zur nächsten<br />

Tierarztpraxis gefahren. Es klappte auch deswegen so gut, weil<br />

Anna die Idee gehabt hatte, ein Stückchen Wurst in das Körbchen<br />

zu legen. Das verfehlte seine Wirkung nicht. Angelockt vom Futter<br />

war die kleine Katze zitternd in das Körbchen gestiegen, wo sie das<br />

erste Mal in ihrem Leben eine kuschelige Decke vorfand. Das<br />

Katzenkörbchen hatten die Eltern schweigsam vom Dachboden<br />

geholt, so als wollten sie die Erinnerungen an vergangene Zeiten<br />

nicht wieder erwecken. ­<br />

20


„Darf sie in unseren Betten schlafen?“, will Anna wissen.<br />

„Ist sie ein Mädchen oder ein Junge?“, fragt Teresa plötzlich.<br />

Der Tierarzt, ein erfahrener Mann mittleren Alters, schaut kurz zum<br />

Vater hinüber. Dann erklärt er, welches Futter am geeignetsten<br />

wäre, das die kleine Katze viel Ruhe <strong>und</strong> ein warmes<br />

Schlafplätzchen benötige. Er würde sie heute noch nicht impfen,<br />

weil sie zu schwach wäre. Aber in einigen Wochen sollte sie dann<br />

eine Schutzimpfung gegen alle möglichen Katzenkrankheiten<br />

bekommen.<br />

Der Tierarzt verabschiedet sich, gibt noch eine Creme mit <strong>und</strong> sagt<br />

absch<strong>ließ</strong>end zu den Mädchen:<br />

„Es ist ein Katzenmädchen. Später kann sie natürlich auch mal in<br />

euren Betten schlafen.“<br />

Als sie die Praxis verlassen drücken die Kinder das Katzenkörbchen<br />

fest an sich, um es auch ja nicht fallen zu lassen. Schon lange haben<br />

sie sich den Namen für ihre kleine Katze ausgedacht.<br />

„<strong>Susi</strong>“, flüstert Anna in das Körbchen. Teresa nickt freudestrahlend:<br />

„<strong>Susi</strong> sollst Du heißen.“<br />

Die Mädchen sind glücklich.<br />

<strong>Susi</strong> erwachte aus ihrer Träumerei. Nur wenig Zeit war vergangen,<br />

seit sie eingedöst war. Die angerosteten Dosen, die mit<br />

Wasserresten gefüllten Flaschen aus ihrem Traum, be<strong>saß</strong> sie noch<br />

gut in Erinnerung. Zu groß war der Durst eines Tages geworden.<br />

Weil sie nicht mehr weiter wusste, trank sie damals Regenwasser<br />

aus Pfützen, Blechdosen <strong>und</strong> fortgeworfenen Flaschen. Sie suchte in<br />

der Gegend um die großen Wohnhäuser herum nach Resten von<br />

Essbarem. <strong>Susi</strong> wusste nicht mehr genau wie sie in diese Gegend<br />

gekommen war. Sie konnte sich nur ganz dunkel an einen<br />

21


Menschen erinnern, der sie einfach hatte l<strong>auf</strong>en lassen <strong>und</strong> dann<br />

verschw<strong>und</strong>en war. In den Nächten war es draußen noch sehr kalt.<br />

<strong>Susi</strong> war damals ein kleines Katzenkind. Sie fror erbärmlich. Oft<br />

schrie sie vor Kälte <strong>und</strong> Hunger. Aber viele der großen Menschen<br />

eilten über die nahen Gehwege an ihr vorbei, ohne sie zu beachten.<br />

Zum Glück fand sie dann dieses Versteck unter einem Baum <strong>und</strong><br />

freute sich am Tage <strong>auf</strong> jeden Sonnenstrahl, der ihrem kleinen<br />

Körper neues Leben gab.<br />

Die Tage wurden milder <strong>und</strong> jetzt, nach so langer Zeit, kam es ihr<br />

so vor, als hätte sie damals schon immer unter <strong>dem</strong> Baum mit den<br />

dichten Zweigen gewohnt. Eines Tages kamen dann zu ihrer<br />

Rettung diese beiden netten Kinder. Es war wirklich Glück, denn<br />

bald wurde sie liebevoll in die Welt der Menschen <strong>auf</strong>genommen.<br />

<strong>Susi</strong> war dankbar.<br />

22


2. In der Schule<br />

Ein paar Hefte mit ``Die Blöddels`` ­ Comics zum Sammeln ­ liegen<br />

noch <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Schulhof als die Pause vorbei ist. Die Kinder haben<br />

sich ausgetobt <strong>und</strong> sind nun wieder <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Weg in ihre<br />

Klassenzimmer.<br />

„Wir haben sie <strong>Susi</strong> genannt.“<br />

Die Mädchen der zweiten Klasse nicken tief beeindruckt, als Teresa<br />

ihre Geschichte erzählt hat.<br />

„Wir haben drei Katzen <strong>und</strong> sogar zwei Pferde“, lässt sich da lässig<br />

ein Junge vernehmen, der das Gespräch belauscht hat. Tobias, der<br />

Junge, schaut Teresa herablassend an, wobei er mit herab<br />

gezogenen M<strong>und</strong>winkeln den Kopf in seinen speckigen Nacken<br />

schiebt.<br />

24


„Außer<strong>dem</strong> hab ich mein eigenes Reitpferd. Und fünf Schweine<br />

haben wir auch <strong>und</strong> die schlachten wir sogar selbst!“<br />

„Die hast Du wohl alle alleine gegessen du Riesenklops, was?“, ruft<br />

ein Mädchen.<br />

Nun lachen sogar einige Jungs. Tobias wird rot vor Wut. Seine<br />

Eltern haben den größten Bauernhof weit <strong>und</strong> breit. Das muss er<br />

sich hier nicht gefallen lassen. Er hat seine Schweine zu Hause<br />

schon oft angefasst <strong>und</strong> auch mal <strong>auf</strong> einem Pferd gesessen. Am<br />

liebsten isst er natürlich bei ``MC. Schwabbel``, so einem tollen<br />

Schnellrestaurant. Aber keiner weiß es ja, dass er dort immer sein<br />

Taschengeld ausgibt. Und nun? Diese Teresa schindet mit einer<br />

Katze mehr Eindruck als er mit seinem ganzen Bauernhof.<br />

Weil er Teresa aber wegen ihrer blonden Haare <strong>und</strong> <strong>dem</strong> breiten<br />

Lächelm<strong>und</strong> insgeheim so gern hat, dreht er sich um <strong>und</strong> macht so,<br />

als wäre nichts gewesen.<br />

„So ein Angeber“, sagt Silvana <strong>und</strong> jetzt nickt Teresa. Sie freut sich<br />

über die Unterstützung. Silvana ist ihre Fre<strong>und</strong>in. Und dann ist noch<br />

Anika ihre Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> Maxi <strong>und</strong> Maja. Manchmal ändert sich das<br />

auch ab <strong>und</strong> zu, weil die Mädchen immer wieder neue Gruppen<br />

bilden. Die Kinder wollen sich noch etwas erzählen aber ihre<br />

Lehrerin Frau Kuchenstück betritt den Raum. Der Unterricht<br />

beginnt. Heute geht es um das Thema Haustiere. Teresa reißt den<br />

Arm hoch:<br />

„Katzenmädchen.“<br />

Die Klasse lacht. Frau Kuchenstück sagt: „Richtig <strong>und</strong> natürlich<br />

auch Katzenjungs. Wer weiß wie die heißen?“<br />

Das Wort Kater hat Teresa natürlich auch schon einmal gehört aber<br />

Katzenmädchen gefällt ihr einfach besser. Sie schreibt eifrig alle<br />

25


Haustiere mit, die die Lehrerin von den Kindern abfragt. In<br />

Gedanken ist sie aber zu Hause, bei ihrer kleinen <strong>Susi</strong>.<br />

Die St<strong>und</strong>e ist vorbei. Teresa wartet vor <strong>dem</strong> flachen Schulgebäude<br />

<strong>auf</strong> ihre große Schwester.<br />

­ Anna geht in die dritte Klasse, obwohl sie schon zehn ist. Die<br />

Eltern hatten sie nach der Einschulung ein Jahr <strong>auf</strong> eine private<br />

Schule mit anderen Bildungsverfahren geschickt. Anna gefiel das<br />

damals nicht so recht <strong>und</strong> so durfte sie wieder an eine allgemeine<br />

Schule gehen. Anna ärgerte sich manchmal, dass einige Mitschüler<br />

dachten, sie wäre wegen ihres Altersvorsprungs sogar einmal sitzen<br />

geblieben. Das änderte sich aber schnell, als diese Mitschüler dann<br />

merkten, was für eine hilfsbereite Schülerin sie ist. Jetzt lernte sie<br />

so schnell <strong>und</strong> f<strong>ließ</strong>end, dass es eine Freude war. Das Jahr kam ihr<br />

eben doch zu Gute. Die Eltern meinten oft, dass es für viele Kinder<br />

besser wäre, sie später einzuschulen, besonders wenn sie die<br />

Jüngsten im Jahrgang wären. In der Klasse sind aber auch noch<br />

andere, ältere Kinder, die aus fernen Ländern eingewandert sind.<br />

Diese Kinder haben es manchmal sehr schwer, weil sie die Sprache<br />

nicht richtig verstehen. Anna hilft ihnen dann oft. ­<br />

Anna hat ihre Fre<strong>und</strong>in Lisa im Schlepptau als sie Teresa sieht.<br />

Silvana wohnt auch in der Nähe <strong>und</strong> schon machen sie sich zu viert<br />

<strong>auf</strong> den Heimweg.<br />

26


3. Der Fahrradausflug<br />

Das Wetter ist einfach w<strong>und</strong>ervoll. Die paar Wolken hängen träge<br />

am Himmel <strong>und</strong> die Sonne wärmt die Haut. Die Luft ist angenehm<br />

warm. Von allen Seiten hören die Kinder das Surren <strong>und</strong> Summen,<br />

das Zwitschern <strong>und</strong> Trällern. Sie strampeln <strong>auf</strong> ihren Fahrrädern am<br />

28


nahen Fluss entlang. Der kühle Duft des Flußwassers mischt sich<br />

mit <strong>dem</strong> Blütenduft der vielen Pflanzen <strong>und</strong> Blumen. Rechts <strong>und</strong><br />

links vom Fluss ziehen sich kniehohe Rasenflächen mit einzelnen<br />

Bäumen dahin. Dazwischen befinden sich kleine Gruppen<br />

dunkelgrüner Sträucher mit lila Blüten. Sie geben der Umgebung<br />

ein malerisches Aussehen.<br />

„Schaut euch nur den Rhododendron an!“, ruft die Mama, die als<br />

erste fährt. Neben ihr läuft hechelnd H<strong>und</strong> Robi an der L<strong>auf</strong>leine.<br />

„Guckt mal, die vielen Enten!“<br />

Teresa will irgendwo hinzeigen muss sich dann aber, wegen des<br />

Gleichgewichts, doch an ihrem kleinen Kinderfahrrad festhalten.<br />

Dabei eiert sie beträchtlich hin <strong>und</strong> her. Der H<strong>und</strong> bellt kurz als er<br />

die Enten erkennt, ist dann aber vom L<strong>auf</strong>en zu müde, um sich<br />

richtig hinein zu steigern.<br />

„Pass bloß <strong>auf</strong>, Teresa!“, schreit der Papa von hinten.<br />

„Wenn Du hinfällst, könntest Du Dir in den kurzen Hosen alles<br />

<strong>auf</strong>schlagen. Guck nach vorn!“<br />

„Jaha, aber guck mal da, die Enten“, schreit Teresa wieder von<br />

vorn.<br />

„Wir machen gleich ´ne Pause“, ruft der Papa zurück <strong>und</strong> beginnt<br />

wieder ein Lied zu pfeifen, welches er schon eine halbe St<strong>und</strong>e<br />

pfeift <strong>und</strong> deswegen immer zurück bleibt. Sch<strong>ließ</strong>lich hatte er<br />

gestern Geburtstag. Auch deshalb geht es ihm heute noch nicht ganz<br />

so gut.<br />

„Sie haben bestimmt Junge“, hört man jetzt auch Anna.<br />

„Was ist denn nun mit den Enten? Ich will jetzt zu den Enten. Zu<br />

den Enten! Nun haltet doch mal endlich an!“<br />

Teresas, vom Radeln erhitztes Gesicht, dreht sich vorwärts zur<br />

Mama <strong>und</strong> rückwärts zu ihrem Papa. Sie droht schon wieder ins<br />

29


Eiern zu geraten. Von vorn kommt nun auch noch Gegenverkehr.<br />

Das Pfeifen bricht ab. Man verlangsamt die Fahrt. Die Mama hat<br />

schon eine Bank an einem herrlichen Rhododendron entdeckt. Alle<br />

machen Pause <strong>und</strong> Robi bekommt Wasser. Teresa hopst los <strong>und</strong><br />

sucht ihre Enten.<br />

„Sie sind da hinten. Ich geh mal gucken!“<br />

Und schon ist sie weg.<br />

„Sei vorsichtig <strong>und</strong> pass <strong>auf</strong>!“, ruft die Mama hinterher.<br />

Aber kurz dar<strong>auf</strong> plätschert es schon aus Teresas Richtung. Kaum<br />

zehn Meter weiter steht sie plötzlich bis zu den Knien im Schlamm,<br />

genau da, wo es eigentlich noch nach Flussufer aussah.<br />

„Au, oh je!“<br />

Das Bild von <strong>Susi</strong>, daheim im trockenen Körbchen, geht ihr jetzt<br />

durch den Kopf.<br />

„Ich stecke, ich klebe fest! Ich sehe sie. Sie sind da drüben.“<br />

Teresa rudert mit den Armen durch die Luft, kommt frei <strong>und</strong> geht<br />

sogar noch einige Schritte weiter ins Wasser.<br />

Der Papa springt schnell zum Ufer. Auch die Mama rennt los.<br />

„Es ist ganz flach. Bleibt ruhig. Ich mache das schon“, sagt der<br />

Papa.<br />

Schnell zieht er sich die Schuhe aus <strong>und</strong> krempelt sich die<br />

Hosenbeine hoch. Das Wasser ist wirklich nicht tief, aber eine dicke<br />

Schlammschicht bedeckt den Boden der Flußrandung. Bei je<strong>dem</strong><br />

Schritt sacken die Füße tief in diesen Morast ein. Schnell ist der<br />

Papa die letzten zwei, drei Meter bei Teresa.<br />

„Sie sind weg“, hört er immer wieder.<br />

„Ja, wenn du so rumschreißt, Teresa. Komm!“<br />

Er greift die Tochter an der Hand <strong>und</strong> zieht sie an sich.<br />

30


„Komm her Schatz“, sagt auch die Mama vom Ufer aus <strong>und</strong> zieht<br />

ihre Tochter den letzten Meter aus <strong>dem</strong> Wasser.<br />

„Sie sind aber weg, weg, weg!“<br />

„Ja das macht doch nichts“, beruhigt die Mama. „Wir entdecken<br />

ganz bestimmt neue Tiere <strong>und</strong> sehen noch viele Entchen, nicht<br />

wahr?“<br />

Teresa hat Kugelaugen. Aufgeregt zeigt sie <strong>auf</strong> ihre Füße. „Sie sind<br />

weg ..., meine Schuhe!“<br />

Kurz dar<strong>auf</strong> hört man ein Klatschen.<br />

­ Der Papa hatte das Gleichgewicht verloren, war ausgerutscht <strong>und</strong><br />

steckte nun fluchend, mit einer Körperseite im Schlamm. Zum<br />

Glück konnte er sich mit einer Hand noch geradeso abstützen. ­<br />

Die andere Körperseite sieht aber noch ganz trocken aus.<br />

„Oh nein, so ein Mist“, sagt der Papa leise <strong>und</strong> ruft laut: „Kein<br />

Problem, ich habe nur nach den Schuhen gesucht. Ich kann sie aber<br />

leider doch nicht finden.“<br />

Und schmatzend zieht er den Arm aus der Pampe. Dann richtet er<br />

sich mühsam <strong>auf</strong>. Seine rechte Körperseite ist von Kopf bis Fuß<br />

schwarz. Aus seinem verschmierten Gesicht dringt ein verzerrtes<br />

Lachen. Kurze Zeit später ist aber auch er am Ufer, wo ihn alle ganz<br />

ernst anblicken.<br />

„Du warst einfach zu schwer. Deshalb bist zu tief eingesackt“,<br />

tröstet ihn Anna.<br />

„Zu schwer? Möglich, ja ­ schade nur, dass ich die Schuhe nicht<br />

gef<strong>und</strong>en habe, na ja.“<br />

Der Papa kratzt sich den Dreck ab. Dann setzt er sich zum Trocknen<br />

in die Sonne. Kurz unterhält man sich über <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> ob es ihr, allein<br />

zu Hause, auch gut gehen würde. Es gibt Würstchen <strong>und</strong> danach<br />

31


Apfelkuchen. Kühle Limonade hat die Mama in der Thermokanne<br />

vorbereitet.<br />

Dann geht die Fahrt weiter <strong>und</strong> es wird ein w<strong>und</strong>erschöner Ausflug.<br />

Nur der Papa guckt immer so zur Seite, wenn ihn die Leute wegen<br />

seiner deutlich befleckten Hose so komisch beäugen.<br />

Einige Zeit später sind, ganz nah am Ufer, dann auch einige<br />

Entenpaare mit ihren Jungen zu sehen. Die jungen Entchen sind<br />

winzig. Sie folgen in einer Reihe hinter ihren Eltern. Teresa ist<br />

begeistert. Sie strengt sich sogar an, ruhig zu bleiben, damit sie die<br />

Enten lange genug beobachten kann. Sogar einige schwarze<br />

Blässhühner kommen neugierig im Wasser vorbei geschwommen.<br />

Auf <strong>dem</strong> Kopf tragen diese ein weißgraues Hornschild <strong>und</strong> sind<br />

deshalb gut zu erkennen. Auf <strong>dem</strong> Rückweg sammeln die Kinder<br />

mit der Mama einen großen Strauß mit Wiesenblumen. Sie beeilen<br />

sich nach Hause zu kommen, denn <strong>Susi</strong> wartet schon.<br />

­ Einige Wochen waren also vergangen. <strong>Susi</strong> erholte sich gut. Die<br />

vielen Stellen, wo ihr das Fell ausgegangen war, wurden sorgsam<br />

eingecremt. Sie bekam viel Fisch, manchmal sogar roh, ganz nach<br />

ihrem Katzengeschmack. Anna guckte immer, dass die großen<br />

Gräten auch wirklich alle heraus genommen waren. Dazu gab es<br />

mageres Fleisch. Ab <strong>und</strong> zu durfte sie beim großen H<strong>und</strong> Robi ein<br />

Stück aus seinem H<strong>und</strong>enapf probieren. Robi kannte Katzen von<br />

früher. Von Anfang an war er fre<strong>und</strong>lich zu <strong>Susi</strong> gewesen. Einige<br />

Tage nach ihrer Ankunft durfte Robi zu ihr ins Zimmer. Er hatte das<br />

Körbchen beschnüffelt, mit <strong>dem</strong> Schwanz gewedelt <strong>und</strong> das kleine<br />

Katzenkind begrüßt. <strong>Susi</strong> bekam auch ihre eigene Katzentoilette.<br />

Die Mädchen füllten immer abwechselnd neue Streu in die Toilette.<br />

Dabei gab es natürlich doch mal ein paar kleine ``Streitileinchen``,<br />

32


wer denn nun dran wäre oder wer nicht. <strong>Susi</strong> wohnte nun also<br />

richtig in der Wohnung der Menschen. Schnell hatte sie ihre<br />

Lieblingsplätze <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Fensterbrett</strong> <strong>und</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Kopfkissen im<br />

oberen Kinderbett gef<strong>und</strong>en. ­<br />

Aber schauen wir was sich noch zutrug, in <strong>Susi</strong>s neuer Welt! �<br />

33


4. Die Sommerferien<br />

„Schaut mal, wie das Fell gewachsen ist!“<br />

„Oh ja, ich sehe es auch!“<br />

„Die rosa Haut wächst zu!“<br />

34


„Sie ist ja auch bald drei oder sechs Monate oder so!“<br />

Vier Augenpaare beugen sich über die wollige Decke <strong>auf</strong> der <strong>Susi</strong><br />

liegt. Die kleine Katze schnurrt. Sie lässt sich mit zugekniffenen<br />

Augen streicheln. Annas Fre<strong>und</strong>in Lisa <strong>und</strong> Teresas Fre<strong>und</strong>in<br />

Silvana sind zu Besuch. Sie haben soeben gemeinsam ihre<br />

Haus<strong>auf</strong>gaben erledigt. Bald würden auch die Sommerferien<br />

beginnen, <strong>auf</strong> die man sich schon so freut.<br />

„Sie sieht so süß aus“, sagt Teresa, die mit seitwärts geneigtem<br />

Kopf ihre <strong>Susi</strong> streichelt. Die Mädchen spielen mit der kleinen<br />

Katze, die jetzt schon reflexartig ihre Krallen ausfährt.<br />

„Sie ist auch geimpft <strong>und</strong> meine Eltern haben ihr das verfilzte Fell<br />

ausgekämmt <strong>und</strong> abgeschnitten.“<br />

Anna macht beim Sprechen eine Bewegung, als hätte sie einen<br />

Riesenkamm in ihrer Hand.<br />

„Wisst ihr?“, <strong>und</strong> sie nickt den Fre<strong>und</strong>innen zu, „wir haben ihr am<br />

Anfang mal Lachsfisch gegeben. Ja, <strong>und</strong> da hat sie riesengroße<br />

Kulleraugen bekommen, weil sie so ´was Gutes noch nie gesehen<br />

hat. Dann hat sie alles zu schnell runter geschlungen.“<br />

„Und dann hat sie alles wieder ausgekotzt“, gibt Teresa wichtig<br />

dazu.<br />

Lisa verzieht etwas den M<strong>und</strong>.<br />

„Aber die zweite Portion hat sie vertragen.“<br />

Die Mädchen lachen. Sie denken wieder an die Ferien.<br />

„Fahrt ihr irgendwo hin weg?“, fragt Lisa.<br />

„Wahrscheinlich zu meiner Oma in Deutschland“, sagt Silvana die<br />

nicht gern viel redet.<br />

„Wir fahren zu den Pyramiden in die Wüste. Dort gibt es Kamele<br />

aber kein Wasser.“<br />

35


Lisa beschreibt mit den Händen das Aussehen der Pyramiden <strong>und</strong><br />

erzählt was sie sonst noch weiß.<br />

<strong>Susi</strong> hat jetzt die Ohren gedreht. Sie ist ganz wach geworden <strong>und</strong><br />

scheint <strong>auf</strong>merksam zu lauschen.<br />

„In den ``Pymaniden`` drin gibt’s bestimmt Wasser für die Kamele.<br />

Die müssen da nur mal gucken gehen“, ist sich Teresa ganz sicher.<br />

Sie selbst würde aber bestimmt nicht dahin fahren, wo es nicht mal<br />

Wasser gäbe.<br />

„Fahrt ihr auch nach Berlin?“, fragt Anna.<br />

„Ich glaub nicht. Das ist zu weit weg von den Pyramiden. Aber<br />

vielleicht später“, antwortet Lisa. Lisa nimmt einen Schluck<br />

Limonade <strong>und</strong> krault <strong>Susi</strong> den Bauch.<br />

„Wir wollen wahrscheinlich nach Berlin. Da gibt es jetzt die neue<br />

Regierung. Die haben da auch ganz neue Häuser gebaut. Meine<br />

Eltern wollen das mal sehen.“<br />

Anna beschreibt ausführlich, was sie von Berlin weiß <strong>und</strong> erzählt<br />

auch vom Zoo <strong>und</strong> vom Fernsehturm.<br />

„Duhu, der Turm wackelt sogar wenn starker Wind ist. Man merkt<br />

es aber nicht. Es ist aber trotz<strong>dem</strong> sicher da oben. Und da ganz oben<br />

kann man Eis essen. Die ganze Etage dreht sich, wenn man da in<br />

<strong>dem</strong> Café sitzt.“<br />

„Ist ja toll! Da war doch mal Krieg in Berlin nicht?<br />

Oder was ist da im Krieg passiert?“, fragt Lisa mit grüblerischem<br />

Blick zu Anna.<br />

„Im Krieg da ist die Oma geboren“, wirft Teresa ein.<br />

Sie weiß genau das ihre Oma <strong>und</strong> ihr Opa in der Nähe von Berlin<br />

wohnen.<br />

„Wahrscheinlich machen wir nur ein paar kurze Fahrten, so für ein<br />

paar Tage“, sagt Anna.<br />

36


„Wir haben ja auch unsere <strong>Susi</strong> <strong>auf</strong> die wir <strong>auf</strong>passen müssen.“<br />

„Habt ihr eigentlich Angst vor den Zeugnissen?“, will Silvana jetzt<br />

plötzlich wissen.<br />

Sie ist nicht die Beste <strong>und</strong> nun, kurz vor den Ferien, macht sie sich<br />

ständig Sorgen über ihre Zensuren. Vielleicht würde sie in<br />

Mathematik nur eine knappe drei haben oder es käme noch<br />

schlimmer. Fragend sieht sie zu den Mädchen <strong>und</strong> Hilflosigkeit<br />

macht sich in ihren Augen breit.<br />

„Ach was, Silvana. Du hast dich doch immer angestrengt <strong>und</strong> geübt<br />

hast du auch immer. Da kannst du es eben nicht besser machen,<br />

wenn du alles versucht hast.“<br />

Anna hatte ihr oft geholfen <strong>und</strong> tröstet sie jetzt mit einem Arm um<br />

ihre Schultern. Silvanas erstes Schluchzen verschwindet langsam.<br />

Die einzige Träne kullert alleine über die Wange <strong>und</strong> trocknet rasch<br />

in ihrer Kleidung.<br />

Später geht man gemeinsam mit <strong>Susi</strong> <strong>auf</strong> die große Wiese vor das<br />

Haus. <strong>Susi</strong> darf jetzt schon jeden Tag draußen spazieren gehen, so<br />

wie es sich für eine richtige Katze gehört. Die Mädchen necken sie<br />

mit einem Wollfaden, den sie an ein Holzstückchen geb<strong>und</strong>en<br />

haben. Immer wieder rast <strong>Susi</strong> aus ihrer Deckung unter <strong>dem</strong><br />

Gebüsch hervor <strong>und</strong> versucht den Wollfaden zu erhaschen. Sie geht<br />

dabei in Lauerstellung. Dann wackelt sie ganz langsam mit <strong>dem</strong><br />

Hinterteil. Gleich dar<strong>auf</strong> schießt sie mit dunklen Pupillen <strong>auf</strong> den<br />

Faden los.<br />

„Sie übt jetzt jagen <strong>und</strong> ihre Schnelligkeit“, erklärt Anna.<br />

Die Mädchen spielen dann noch ``Gummihopse`` <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>en sich<br />

sogar mit ein paar Jungen an, die zwei Bälle mitgebracht haben.<br />

<strong>Susi</strong> sitzt im Gras, spielt noch ein wenig <strong>und</strong> beobachtet dabei das<br />

lustige Treiben der Kinder.<br />

37


­ Vor einigen Tagen hatte es dann die Zeugnisse gegeben <strong>und</strong> auch<br />

Silvana war mit vielen Dreien ganz gut weg gekommen. Viele<br />

Kinder waren schon in die Ferien abgefahren. ­<br />

Anna <strong>und</strong> Teresa sind zufrieden. Teresa freut sich besonders <strong>auf</strong><br />

ihre Zwei in Mathe, weil sie den Umgang mit den vielen Zahlen<br />

doch ganz schön üben musste. Anna freut sich <strong>auf</strong> ihre Zwei in<br />

Sport, weil sie trotz ihrer Größe eben nicht so sportlich ist, wie sie<br />

immer gerne sein möchte. ­ Kein Kind war übrigens sitzen<br />

geblieben. Auch Frau Kuchenstück hatte recht zufrieden ausgesehen<br />

<strong>und</strong> einen großen Kuchen in der Klasse verteilt. ­<br />

Morgen würden sie also nach Berlin fahren <strong>und</strong> später auch ihre<br />

Großeltern besuchen.<br />

„Ach <strong>Susi</strong>chen, jetzt müssen wir dich allein lassen. Aber wir<br />

bleiben ja nur drei Tage. Dann kommen wir wieder zu dir zurück.“<br />

Anna hat den Kopf zu <strong>Susi</strong> nach unten gebeugt, so dass ihre Haare<br />

das Kätzchen fast verdecken. Die kleine Katze schaut Anna mit<br />

verklärtem Blick an. Sie kommt jetzt ganz nah heran <strong>und</strong> beginnt<br />

die Nase des Mädchens abzulecken. Die kleine, rauhe Katzenzunge<br />

geht ganz behutsam vor. Anna lässt es sich eine Weile gefallen. Es<br />

ist warm <strong>und</strong> feucht <strong>und</strong> kitzelt.<br />

„Du bist ja eine richtige kleine Schlecki­<strong>Susi</strong>. Feine <strong>Susi</strong>.“<br />

„Ich will auch mal“, sagt Teresa <strong>und</strong> lässt sich hinab.<br />

<strong>Susi</strong> putzt nun aber ihre Pfötchen. Deshalb muss Teresa etwas<br />

warten bis sie dran ist.<br />

<strong>Susi</strong> hat an Rücken <strong>und</strong> Schwanz silbergraues Fell bekommen. Ihr<br />

Bauch, der Hals sowie der untere Teil ihrer Beine <strong>und</strong> die Pfoten<br />

sind weißgrau. Von den Ohren aus, am hinteren Kopf, wird das Fell<br />

über ihr Gesicht immer heller <strong>und</strong> geht dann f<strong>ließ</strong>end in die helle<br />

38


Farbe an Hals <strong>und</strong> Brust über. Ihre w<strong>und</strong>erschönen Katzenaugen<br />

sind ganz gelb geworden. Sie werden von einigen langen, weißen<br />

Wimpern umgeben. Die Vorderseite ihres Näschens ist rosarot <strong>und</strong><br />

wie die Zehenballen ohne Fell. Die langen Barthaare sehen den<br />

Wimpern ähnlich <strong>und</strong> sind etwas breiter als der Kopf.<br />

„Ist sie denn nun eine ``Angola``?“<br />

„Eine Halbangora, Teresa, oder wahrscheinlich auch nur eine<br />

Viertelangora vielleicht. Karthäuser hat sie möglicherweise auch in<br />

sich, wegen der Augen glaube ich.“<br />

„Was ist Karthäuser, Anna?“<br />

­ Anna hatte schon vor Tagen im Lexikon nachgeschaut <strong>und</strong> die<br />

Fotos <strong>und</strong> Merkmale dort mit ihrer <strong>Susi</strong> verglichen. ­<br />

„Die haben ganz lange Beine <strong>und</strong> meist so richtig gelbe Augen. Die<br />

Karthäuser­Katzen sehen aber ganz anders aus als die Angora. Guck<br />

dir mal die Bilder hier an, Teresa!“<br />

Anna hat ein Buch hervor geholt. Beide betrachten jetzt interessiert<br />

die Abbildungen. <strong>Susi</strong>s Aussehen passt aber zu keinem der Bilder<br />

genau. Und so einigen sich die Mädchen, dass sie eine ``Viertel­<br />

Angora, Viertel­Karthäuser, Viertel­Normalehauskatze <strong>und</strong> Viertel­<br />

Weißnochnichtkatze`` haben.<br />

­ Der moderne ICE­ Zug rauschte nur so dahin. In einigen St<strong>und</strong>en<br />

waren sie schon in Berlin. Teresa hatte Kinderprogramm gehört.<br />

Anna erk<strong>und</strong>ete gemeinsam mit <strong>dem</strong> Papa den Zug. Die Mama war<br />

eingeschlafen <strong>und</strong> später spielten alle ein Kartenspiel. Mit der S­<br />

Bahn waren sie noch bis ins Zentrum der Hauptstadt gefahren. Dort<br />

besuchten sie das Naturkun<strong>dem</strong>useum. Zuerst wollte man ins<br />

geschichtliche Pergamonmuseum. Die Kinder wollten aber lieber<br />

Tiere sehen <strong>und</strong> zwei Museen waren einfach zu viel. Beeindruckt<br />

39


von den neuen Erlebnissen, den vielen Leuten <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Verkehr der<br />

Großstadt, war Teresa kurz nach einer Currywurst mit Brötchen<br />

eingeschlafen. Der Papa musste sie nun durch die Stadt tragen.<br />

Nach einer St<strong>und</strong>e erreichten sie aber die Unterkunft. Die Mama<br />

rief kurz ihre Fre<strong>und</strong>in Sylvia an <strong>und</strong> erfuhr, dass mit <strong>Susi</strong> alles in<br />

Ordnung wäre. Sylvia, als beste Fre<strong>und</strong>in der Mama, hatte die<br />

Betreuung von <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> Robi übernommen. Anna war erleichtert<br />

<strong>und</strong> der Papa auch, als er Teresa ins Bett legte. Die Eltern gingen<br />

am Abend noch essen. Das Restaurant war im gleichen Hotel. Anna<br />

durfte mit <strong>und</strong> verdrängte dabei ihre Müdigkeit. Es gab einige<br />

Gänge mit Fleischstückchen verschiedener Art, mal süß mal sauer,<br />

viel Gemüse <strong>und</strong> eine scharfe Suppe. Dazu gab es immer recht viel<br />

Reis. Die Eltern erklärten Anna, dies wäre ein Chinesisches Essen<br />

oder zumindest eines mit asiatischen Gewürzen. Anna fragte dann<br />

noch, ob Katzen oder H<strong>und</strong>e mit verarbeitet worden seien. Sie hatte<br />

da mal etwas von asiatischen Eßgewohnheiten gehört.<br />

„Nein!“ Die Eltern lachten.<br />

Viel gäbe es noch über Berlin zu erzählen. Aber das wäre eine<br />

andere Geschichte.<br />

Am nächsten Tag erreichte man die Heimat der Großeltern. In einer<br />

kleinen Stadt, nahe der polnischen Grenze, hatten diese sich schon<br />

vor Jahren ein Häuschen selbst gebaut. Aber so richtig selbst<br />

gebaut, mit Hand <strong>und</strong> Stein <strong>und</strong> Spaten. Das Haus war ihr ganzer<br />

Stolz. Jahrelang wurde es fertig gebaut, erweitert, renoviert <strong>und</strong> was<br />

sonst noch mit einem Haus möglich ist. Der Opa hatte sogar die<br />

Einfahrt in den Garten mit echten Bodenf<strong>ließ</strong>en ausgestattet. Das<br />

be<strong>saß</strong> nun wirklich niemand in der Gegend. Feldsteine schmückten<br />

das vollunterkellerte, zweiterassige Haus. Es lag mitten in einem<br />

40


prächtigen Garten der höchsten Pflegestufe. Die allerletzte<br />

Errungenschaft, eine eigene Heimsauna mit extra Saunaraum,<br />

machte den Großeltern wirklich viel Freude.<br />

Der Opa nutzte auch mehrere Zimmer im Keller wie ein Museum.<br />

Dort verwaltete <strong>und</strong> ordnete er diverse Sammlungen aller Art.<br />

Darunter gab es seltene Münzen <strong>und</strong> mindestens fünfzigtausend<br />

Briefmarken. ­<br />

„Opa, sind die echt?“<br />

„Die sind aus Silber, Anna. Vom letzten Kaiser.“<br />

„Hast Du auch goldene?“<br />

„Hab ich auch. Aber nicht so viele. Die sind aber schon mehr wert.“<br />

„Wie viel denn so?“<br />

„Wie viel die wert sind?“<br />

„Ja?“<br />

„Ja so, ja ... sie sind wert so, vielleicht etwas mehr als ... äh ... “<br />

Der Opa klatscht die gebreiteten Hände zusammen <strong>und</strong> zieht mit<br />

einem Hhm­Laut die M<strong>und</strong>winkel nach unten. Dann wackelt er<br />

dazu abwägend mit <strong>dem</strong> Kopf.<br />

„Eine ist vielleicht soviel wert, wie dein Fahrrad Anna, in etwa.“<br />

„Willst du mein Fahrrad auch haben?“, fragt Teresa <strong>und</strong> hält eine<br />

große, goldene Münze in der Hand.<br />

Der Opa lacht herzhaft. Hatte er doch das kleine Kinderfahrrad,<br />

welches ihm gerade angeboten wurde, vor Jahren selbst zusammen<br />

gebaut.<br />

„Aber nein, Teresa.“<br />

„Man müsste einen Schatz finden, so wie in den alten<br />

Piratengeschichten. Das wäre was, nicht? Und da müssten die<br />

Goldstücke so zu H<strong>und</strong>erten aus einer alten Truhe raus gucken.<br />

41


Alles würde funkeln <strong>und</strong> glänzen.“ Anna redet gedankenversunken.<br />

Sie hat dabei einen fernen, verzauberten Blick angenommen.<br />

„Und Edelsteine müssten dabei sein <strong>und</strong> Schmuck.“<br />

Der Opa freut sich über die Phantasie der Enkeltochter <strong>und</strong> hört ihr<br />

gerne weiter zu. Anna:<br />

„Das gibt’s aber fast nur im Märchen, nicht?“<br />

Anna lacht wehmütig nickend <strong>und</strong> ihr Fernwehblick kommt<br />

langsam wieder ins Zimmer zurück.<br />

„Halt, Moment mal“, sagt da der Opa.<br />

„Ich habe da eine Geschichte. Die ist sogar in unserer Familie<br />

passiert. Es geht sogar um Gold. Gold, welches bis heute<br />

wahrscheinlich noch niemand gef<strong>und</strong>en hat.“ Der Opa macht eine<br />

geheimnisvolle Pause. Die Mädchen sind sofort bei der Sache.<br />

„Was? Gold, das niemand gef<strong>und</strong>en hat, ach erzähl mal, bitte!“<br />

„Ja, erzähl mal, Opa!“<br />

„Ja das war nämlich so. Vor vielen Jahren hatte ich auch eine<br />

Oma“.<br />

„Also die Mama von deiner Mama?“, fragt Anna.<br />

„Ja. Und meine Oma hat damals gleich hinter der Grenze <strong>auf</strong> der<br />

anderen Seite des Flusses gewohnt. Früher gehörte das noch zu<br />

Deutschland. Die Stadt war damals mit Brücken über <strong>dem</strong> Fluss<br />

verb<strong>und</strong>en. Auch war unsere Stadt recht wohlhabend <strong>und</strong> auch die<br />

Oma, also meine Oma, konnte sich ein kleines Haus leisten. Da gab<br />

es noch nicht solche Wohnblöcke wie heute. Dann fing der Krieg an<br />

<strong>und</strong> der Mann von der Oma musste in den Krieg.“<br />

„Schade, kam der Mann später wieder?“ fragt Anna nachdenklich.<br />

„Ich glaube ja. Aber ich weiß es nicht genau.“<br />

Der Opa schaut zur Seite. „So <strong>und</strong> dann wurde das Land, also<br />

Deutschland, von Osten her von den Russen besetzt. Die meisten<br />

42


Leute mussten flüchten. Nun konnte ja jeder nur ein bisschen<br />

mitnehmen, ein paar Sachen zum Anziehen vielleicht. Viele hatten<br />

ja auch noch Kinder bei sich. Alles wurde <strong>auf</strong> so kleine Holzwagen<br />

geladen <strong>und</strong> man ging dann über den Fluss in Richtung Westen.“<br />

„Zu Fuß?“, will Teresa wissen.<br />

„Ja zu Fuß, meistens viele h<strong>und</strong>ert Kilometer.“<br />

„Oh“, sagt Anna <strong>und</strong> denkt an den ICE.<br />

Der Opa erzählt weiter:<br />

„Ja <strong>und</strong> viele Leute dachten auch, sie würden bald zurückkehren<br />

oder ihr Geld <strong>und</strong> Schmuck wären unterwegs nicht sicher. Gerade<br />

deswegen haben sie ihr Geld oder andere wertvolle Sachen bei sich<br />

zu Hause vergraben. Die Oma hat das auch vergraben, direkt in<br />

ihrem Garten. Und zwar einen Steintopf voll mit Goldmünzen <strong>und</strong><br />

wahrscheinlich noch andere Sachen. So liegt es bis heute vergraben.<br />

Schon über sechzig Jahre.“<br />

Die Mädchen rühren sich kaum. Sie starren den Opa an. Anna<br />

spricht als Erste: „Und warum hat es dann keiner mehr geholt?“<br />

„Wahrscheinlich hat es keiner mehr gef<strong>und</strong>en. Das ganze Haus <strong>und</strong><br />

der Garten wurden zerstört. Die Oma ist wohl unterwegs krank<br />

geworden. Auch ihr Mann kam wahrscheinlich nicht mehr zurück.<br />

Ich weiß es auch nicht so genau. Ich habe es auch nur von meinem<br />

Bruder gehört <strong>und</strong> der war viel älter als ich.“<br />

„Wie alt warst du denn da, Opa?“<br />

Teresa schaut ihren Opa teilnahmsvoll an.<br />

„Ich war erst vier Jahre damals <strong>und</strong> das war 1945, glaube ich.“<br />

„Wozu wurde da der Krieg eigentlich gemacht?“<br />

„Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich haben einige Menschen nicht<br />

genug bekommen. Ich weiß es nicht. Aber so war das damals.“<br />

„Jetzt liegt das Gold da schon so viele Jahre vergraben, was?“<br />

43


„Ja.“<br />

Anna überlegt <strong>und</strong> fragt dann: „Du Opa, weißt du nicht wo das ist?<br />

Wir können es doch suchen fahren?“<br />

„Das ist nicht so einfach. Ich war schon mit meinem Bruder vor<br />

vielen Jahren drüben in Polen. Wir haben auch das Gr<strong>und</strong>stück<br />

gef<strong>und</strong>en. Es hat sich mit den Jahren aber alles verändert. Vom<br />

Haus keine Spur mehr <strong>und</strong> der Garten ist riesengroß. Man müsste<br />

alles umgraben. Aber ob das Erfolg hätte? Und dann gehört der<br />

Garten jetzt zu Polen <strong>und</strong> nicht mehr zu uns. Aber macht euch da<br />

mal keine Gedanken. Gold wird ja nicht alt.“<br />

Der Opa lacht wieder. Auch Anna <strong>und</strong> Teresa sind wieder guter<br />

Dinge.<br />

„Wir holen ein Goldsuchgerät <strong>und</strong> fahren hin“, fällt es Anna noch<br />

ein.<br />

„Das wollte dein Papa auch schon machen, vor fünf<strong>und</strong>zwanzig<br />

Jahren.“<br />

Der Opa erhebt sich. „Kommt nun, wir gehen hoch zum Essen. Es<br />

gibt was ganz Leckeres.“<br />

Auf <strong>dem</strong> Weg vom Keller nach oben dreht sich Teresa plötzlich zu<br />

Anna um <strong>und</strong> sagt: „Du Anna?“<br />

„Ja?“<br />

„Vorhin hast du doch den Schatz da gef<strong>und</strong>en, beim Erzählen.“<br />

„Den Schatz? Ach so, ja.“<br />

„Der Pirat würde dir dann bestimmt seine Keule <strong>auf</strong> den Kopf<br />

hauen wenn du seine Schatzkiste mit <strong>dem</strong> Gold nehmen würdest,<br />

oder?“<br />

„Was? ­ Ja ganz bestimmt, Teri.“<br />

44


Am nächsten Tag fährt man dann doch gucken, wo das Gold liegen<br />

könnte. ­ Die Oma hatte zwar die besten Puddings, Götterspeisen<br />

<strong>und</strong> sonstigen Köstlichkeiten zubereitet; die Mädchen gaben aber<br />

keine Ruhe <strong>und</strong> wollten ein echtes „Goldsuchabenteuer“. ­<br />

„Na schön, wir machen dann gleich einen Ausflug. Ich brauche<br />

auch noch etwas vom Markt.“<br />

Die Oma klappt die Autotür zu <strong>und</strong> der Opa startet den Wagen.<br />

„Wir haben gar keinen Spaten mit“, brummelt Anna.<br />

Der Opa lacht.<br />

Nach kurzer Zeit ist man an der Grenze, über den Fluss <strong>und</strong> somit in<br />

Polen.<br />

„Das sieht ja hier genauso aus, wie bei uns?“<br />

„Ja, na die Häuser sehen schon etwas anders aus, Anna. Außer<strong>dem</strong><br />

gibt es auch noch viele Ruinen. Schaut mal da drüben, die Brücke!<br />

Die wurde 1945 zerstört <strong>und</strong> nicht mehr <strong>auf</strong>gebaut.“<br />

„Ja, sehe ich“, sagt Anna.<br />

„Gibt’s hier auch Katzen?“, fragt Teresa.<br />

„Bestimmt Teresa, jede Menge. Die können sogar polnisch<br />

sprechen“, witzelt ihre Schwester.<br />

Teresa wirft Anna mit verdrehten Augen einen ``Blödiblick`` zu.<br />

Dabei wackelt sie ruckartig mit <strong>dem</strong> Kopf, um den Blödiblick zu<br />

verstärken.<br />

„Do­och Anna! Manche Tiere können bestimmt sprechen. Wir<br />

können sie nur nicht verstehen. Wirst du ja sehen, wenn ich erst mit<br />

<strong>Susi</strong> spreche.“<br />

Teresa ist jetzt so überzeugt, dass sie gerade nichts <strong>auf</strong> der Welt von<br />

ihrer Meinung abbringen würde. Ihr Gesicht ist vor Erregung schon<br />

zwei Stufen röter geworden.<br />

45


„Du kannst ja schon immer üben“, zieht Anna ihre Schwester weiter<br />

<strong>auf</strong>.<br />

„Mach ich auch!“, jodelt Teresa.<br />

„Miau heißt guten Tag <strong>und</strong> Miau­miau <strong>auf</strong> Wiedersehen, Teri.“<br />

„Anna sei jetzt endlich ruhig!“<br />

Teresa ist kurz vor einem Wutausbruch. Unglücklich schaut sie zu<br />

Boden.<br />

„Nun streitet euch doch nicht! Komm zu mir Teresa!“<br />

Die Oma, die neben den beiden sitzt, spricht besänftigend. Sie zieht<br />

Teresa zu sich <strong>und</strong> drückt sie. Dann meint sie: „Klar können die<br />

sprechen. Was sonst? Die Tiere müssen sich ja auch verständigen.<br />

Sonst würden die ja gar nicht wissen was sie machen sollen, nicht<br />

wahr? Wollt ihr ein Bonbon oder lieber etwas zum Trinken?“<br />

Teresa wirkt beruhigt <strong>und</strong> sieht triumphierend zu Anna, der es aber<br />

nichts weiter ausmacht.<br />

„Na ja Teri, es wäre schon schön, wenn sich alle in der gleichen<br />

Sprache verstehen könnten“, sagt Anna versöhnend.<br />

„Ihr Beiden könnt ja schon immer anfangen“, meint die Oma <strong>und</strong><br />

reicht Bonbons aus.<br />

„Ah, Kirsche, mag ich. Kommt jetzt bald das Gold?“<br />

Teresa schiebt sich das Bonbon rein <strong>und</strong> alle lachen wieder.<br />

Eher kommt nach einigen Sandwegen eine gottverlassene Gegend,<br />

wie man sagen würde. Das mögliche Gr<strong>und</strong>stück ist bald gef<strong>und</strong>en<br />

aber total zugewachsen. Es gibt weder Spuren eines Zaunes noch<br />

Anzeichen einer ehemaligen Bebauung. Eigentlich ist es die reine<br />

Wildnis mit ein paar großen alten Bäumen. Die Mädchen sind etwas<br />

enttäuscht. Dann l<strong>auf</strong>en sie ein bisschen im Gestrüpp herum. Sie<br />

verstehen jetzt aber, warum es nicht so einfach ist, mal eben so ein<br />

bisschen Gold einzusammeln.<br />

46


„Hier brauchen wir einen Bagger“, sagt Teresa.<br />

„Und ein Goldsuchgerät mit Sieb. Aber wir kommen später<br />

wieder.“ Diesmal ist sich Anna ganz sicher.<br />

Ganz in der Nähe befindet sich ein uralter Friedhof, dessen Gräber<br />

mit <strong>dem</strong> Jahr 1945 enden.<br />

„Vor vielen Jahren ist hier der letzte Tote bestattet worden“, erklärt<br />

der Opa leise. Behutsam schaut er nach bekannten Namen.<br />

Teresa läuft es kalt den Rücken herunter <strong>und</strong> Anna betrachtet die<br />

verwitterten Grabsteine <strong>und</strong> kühlen Marmorplatten. Die Mädchen<br />

gehen gemeinsam durch die verschlissenen Wege, mitten durch die<br />

Reihen der Gräber. In Stein gehauene Daten einer längst<br />

vergangenen Zeit liegen stumm vor ihnen.<br />

„Ich will hier wieder weg, Anna“, flüstert Teresa ängstlich.<br />

„Ja komm, halte dich fest! Lass meine Hand nicht los!“<br />

Teresa läuft jetzt immer dicht bei Anna <strong>und</strong> dreht sich öfter um.<br />

Zum Glück scheint die Sonne. Auch Anna ist froh, als der kurze<br />

R<strong>und</strong>gang über den alten Friedhof endlich vorbei ist.<br />

Das bunte Markttreiben, eine halbe St<strong>und</strong>e später, ist da schon eher<br />

nach ihrem Sinn. Sie schauen sich hier etwas um <strong>und</strong> essen da eine<br />

Kleinigkeit. Nach einem Spaziergang durch das kleine Dorf fährt<br />

man wieder zurück, über den Fluss <strong>und</strong> über die Grenze.<br />

Der Abschied ist gekommen. Noch ein Geschenk hier noch ein paar<br />

nette Worte dort. Bald würde man sich, mit den Großeltern, daheim<br />

bei Anna <strong>und</strong> Teresa wieder sehen. Und schon rollt der Zug in<br />

Richtung Heimat, zurück zu <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> zurück zu Robi.<br />

47


5. Robis Geschichte<br />

Man schreibt das Jahr 1988. Ein großes Mädchen eilt in Hosenrock<br />

<strong>und</strong> kurzer Bluse den Weg entlang. Eigentlich ist sie schon bald<br />

eine junge Frau oder junges Mädchen, wie man sagt. Ihre braunen<br />

Haare sind mit einem Holzkamm zusammen gesteckt. M<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

Augen sind leicht geschminkt. In der Handtasche hat sie das Bild<br />

eines Fre<strong>und</strong>es. Heute würden ihre Verwandten zu Besuch<br />

kommen. Ihr Opa, ein lustiger Typ der immer verschmitzt lacht,<br />

wollte am Abend eine Grillparty veranstalten.<br />

Die junge Frau erreicht den Garten <strong>und</strong> die Oma empfängt sie.<br />

Freudiges Bellen ist zu hören. Die Verwandten haben ihre Hündin<br />

Leila mitgebracht. Leila aber hat ihre drei jungen H<strong>und</strong>ewelpen<br />

mitgebracht.<br />

„Die sind aber niedlich“, sagt die junge Frau <strong>und</strong> streichelt die<br />

Kleinen.<br />

48


„Wie alt sind sie denn schon?“<br />

„Dreieinhalb Monate werden die bald. Aber sie sind schon ganz<br />

selbständig.“<br />

Der Onkel erzählt über Leila, die kleinen H<strong>und</strong>e <strong>und</strong> wie sie bisher<br />

<strong>auf</strong>gewachsen sind.<br />

Der Opa schaut geheimnisvoll aus <strong>und</strong> lächelt ständig. Neben ihm<br />

stehen viele Flaschen, mit den verschiedensten Getränken. Er hat<br />

Holz <strong>und</strong> Holzkohle angezündet <strong>und</strong> pflegt das kleine Feuer.<br />

Spieße mit Fleisch <strong>und</strong> Würstchen liegen bereit. Dann kommt auch<br />

die Oma <strong>und</strong> bringt noch ein paar Stühle <strong>und</strong> Salat mit.<br />

„Wollen wir anfangen“, sagt die Oma. Sie hat gute Laune, weil der<br />

Opa heute mit abwaschen dran ist <strong>und</strong> Spülmaschinen hier noch<br />

unbekannt sind.<br />

Die Spieße werden übers Feuer gehalten. Es riecht nach<br />

Gebratenem <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Rauch der Holzkohle. Wie gegrillt eben. Der<br />

Opa reißt Witze, dass die Gartenstühle klappern <strong>und</strong> der Onkel<br />

versucht mitzuhalten. Die älteren Frauen lachen teilweise<br />

sirenenartig <strong>auf</strong> <strong>und</strong> erzählen von früher.<br />

Die junge Frau spielt mit den H<strong>und</strong>en. Sie bleibt etwas abseits vom<br />

allgemeinen Trubel. Eine Kassette mit „Blue System“ (das ist der,<br />

der später die so genannten ``Supersingers`` im Fernsehen mit<br />

aussuchen wird) dudelt in einem Radiorecorder.<br />

So ein ganz lieber ``Wuschel­Knuddel`` sitzt da <strong>auf</strong> einmal <strong>auf</strong><br />

ihrem Schoß. Der Wuschelknudel will gar nicht mehr weg. Er hat<br />

ein dunkelgraues Fell <strong>und</strong> sieht aus wie ein übergroßer Wollball mit<br />

Gesicht.<br />

„Du bist ja ein Lieber. Wie heißt du denn?“<br />

49


Der Wuschelknudel gibt aber keine Antwort <strong>und</strong> lässt sich weiter<br />

streicheln. Sein Herz pocht <strong>und</strong> die junge Frau kann das Pochen an<br />

ihrer Hand spüren.<br />

„Komm mal was essen, Mädchen!“, ruft die Oma.<br />

Der kleine H<strong>und</strong> darf mit <strong>und</strong> schon sitzen sie am Tisch. Der Onkel<br />

guckt kurz zum Welpen hin. Dann nickt er zustimmend zum Opa.<br />

Das junge Mädchen schaut den kleinen H<strong>und</strong> verliebt an:<br />

„Guckt mal, wie wuschelig der ist. Und die Nase ist ganz glitschig.<br />

Ach ist der süß!“<br />

Die Flaschen sind etwas leerer. Die Augen des Opas, der den<br />

ganzen Nachmittag so geheimnisvoll getan hatte, blitzen. Nun<br />

platzt er heraus:<br />

„Weißt du warum Dein Onkel hier ist meine Kleine, na?“<br />

„Nein?“<br />

Sie ahnt aber die Überraschung.<br />

„Wegen der H<strong>und</strong>e?“<br />

„Genauhau“, singt der Opa <strong>und</strong> lacht in allen Oktaven.<br />

„Wir sind doch jetzt schon älter mit der Oma <strong>und</strong> da hat uns dein<br />

Onkel einen H<strong>und</strong> mitgebracht. Als Gartenwächter sozusagen.“<br />

Der Opa gießt die Gläser nach.<br />

„Das ist aber schön, Opa“, freut sich die Enkelin.<br />

Die Oma, die das Wort „Oma“ aus <strong>dem</strong> M<strong>und</strong>e des Opas nicht so<br />

gern vernommen hat, sagt zur Enkelin:<br />

„Du kannst natürlich jeden Tag mit ihm gehen <strong>und</strong> mit ihm spielen,<br />

wenn du willst.“<br />

„Ja, aber wie soll er denn heißen?“<br />

Sie überlegen.<br />

„Wuschel fändt ich schön.“ Die junge Frau denkt unwillkürlich an<br />

ihren letzten Fre<strong>und</strong>.<br />

50


„Der bleibt aber nicht so klein <strong>und</strong> wird noch ganz schön groß“,<br />

bemerkt der Onkel.<br />

„Ja, stimmt.“<br />

„Nennen wir ihn doch Robi“, schlägt die Oma vor.<br />

„Das ist wenigstens ein richtiger H<strong>und</strong>ename.“<br />

Sie denkt dabei an ihre Jugend, als sie auch schon mal einen H<strong>und</strong><br />

be<strong>saß</strong>. Dann lernte sie ja den Opa kennen.<br />

Man diskutiert noch eine Weile über verschiedene H<strong>und</strong>enamen <strong>und</strong><br />

bleibt dann sch<strong>ließ</strong>lich doch bei Robi, schon um der Oma einen<br />

Gefallen zu tun.<br />

Noch lange sitzen sie dann zusammen, in der lauen Abendluft des<br />

Sommers 1988.<br />

Die Zeit verging. Die Fre<strong>und</strong>e hatten gewechselt. Der H<strong>und</strong> war<br />

geblieben. Robi ging jeden Tag mindestens zwei S<strong>und</strong>en spazieren.<br />

Er bestand sogar dar<strong>auf</strong>, in<strong>dem</strong> er hechelte <strong>und</strong> mit <strong>dem</strong> Schwanz<br />

wackelte <strong>und</strong> sich ständig in der Nähe des Gartentores oder der<br />

Haustür <strong>auf</strong>hielt. Als stattlicher Hun<strong>dem</strong>ann (Rüde) musste er sich<br />

ja auch bei den H<strong>und</strong>edamen sehen lassen <strong>und</strong> ihnen seine<br />

Aufwartung machen. Robi spielte mit anderen H<strong>und</strong>en. Er lief um<br />

die Wette mit Menschen <strong>und</strong> seinesgleichen. Er fing <strong>und</strong> brachte<br />

Stöckchen. Er bewachte den Garten <strong>und</strong> vergrub Knochen in die<br />

Gartenbeete. Er wälzte sich im Dreck <strong>und</strong> <strong>ließ</strong> sich dann das Fell<br />

wieder auskämmen. Er lernte all die Dinge, die ein H<strong>und</strong> lernen<br />

muss <strong>und</strong> fühlte sich einfach h<strong>und</strong>ewohl. Die junge Frau mit den<br />

braunen Haaren war jetzt sein eigentliches Frauchen geworden.<br />

Wenn sie kam, wedelte er mit <strong>dem</strong> Schwanz <strong>und</strong> sah erwartungsvoll<br />

an ihr empor. Er mochte ihren frischen Duft, die vielen<br />

Fleischknochen die sie mitbrachte <strong>und</strong> ihre ausgelassene Art.<br />

51


Kurze Zeit später heiratete die junge Frau <strong>und</strong> Robi durfte mit in die<br />

Wohnung der neuen Familie ziehen.<br />

Bald dar<strong>auf</strong> kam ein kleines Mädchen zur Welt, welches Anna<br />

genannt wurde. Schon immer hatte Robi Gesellschaft gehabt. Er<br />

konnte es sich gar nicht ohne Katzen <strong>und</strong> andere Mitgefährten<br />

vorstellen. Das kleine Baby machte ihm deshalb Spaß <strong>und</strong> später<br />

wurden sie gute Kameraden. Der Mann der jungen Frau nahm ihn<br />

oft mit in den Wald. Dort konnte er nach Herzenslust herum tollen,<br />

jagtähnliche Angriffe <strong>auf</strong> die viel schnelleren Vögel unternehmen<br />

<strong>und</strong> sich einfach hun<strong>dem</strong>äßig austoben.<br />

Die kleine Anna spielte Pferdchen mit ihm <strong>und</strong> er <strong>ließ</strong> sich auch<br />

willig vor einen Kinderschlitten spannen. Am liebsten aß er<br />

Hühnerknochen oder Rippchen mit viel Fleisch dran. Außer<strong>dem</strong><br />

mochte er Nudeleintöpfe mit Fleischstückchen oder auch mal Reis<br />

mit Fisch. Das neuartige Trockenfutter ging ja auch mal zu<br />

vertragen, war aber eher nicht so sein Geschmack. So verging die<br />

Zeit. Bald dar<strong>auf</strong> wurde dann noch ein Mädchen geboren.<br />

(Wie war doch gleich der Name des Mädchens?)<br />

52


6. Lady Marmelade<br />

54


„Es war total dunkel <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Friedhof, müsst ihr euch vorstellen.<br />

Nur die Blitze haben gezuckt <strong>und</strong> unheimliche Geräusche waren da<br />

zu hören. So wie das Atmen von Toten. Und dann hat man erst die<br />

ganzen Grabsteine gesehen, im unheimlichen Licht der Blitze. Mit<br />

ganz alten Zahlen dr<strong>auf</strong> so von vor 200 Jahren <strong>und</strong> so. Das war voll<br />

geistermäßig. Aber wir wollten unbedingt an das Gold kommen <strong>und</strong><br />

sind weiter gegangen. Anna ist dann hängen geblieben an so ´nem<br />

Grab, weil der Stein sich zur Seite bewegt hat.“<br />

Teresa erzählt vor der Klasse. Tobias hat die M<strong>und</strong>winkel nach<br />

unten geklappt <strong>und</strong> schluckt ab <strong>und</strong> zu.<br />

„Habt ihr das Gold gef<strong>und</strong>en? Was habt ihr da im Grab gesehen, als<br />

es <strong>auf</strong>ging?“<br />

„Ich konnte Anna gerade noch zur Seite ziehen, als der Grabstein<br />

umgefallen ist. Und dann haben wir einen ganz ekligen Totenkopf<br />

gesehen, nur so die Knochen <strong>und</strong> darunter eine Schale mit Deckel.<br />

Aber nur ganz kurz, gerade als ein neuer Blitz kam. Es war aber<br />

sofort wieder dunkel <strong>und</strong> dann begann auch noch der Regen. Ich bin<br />

dann mit meiner Schwester schnell wieder zurück gel<strong>auf</strong>en, als wir<br />

dann noch das grausige Stöhnen hörten.“<br />

„Da war bestimmt das Gold versteckt, in <strong>dem</strong> Grab“, nuschelt<br />

Tobias mit belegter Stimme.<br />

„Aber wir gehen nächstes Jahr wieder hin, hat mein Opa gesagt <strong>und</strong><br />

dann finden wir bestimmt das Gold.“<br />

„Möchtest du einen Kaugummi oder zwei?“, fragt Tobias. Er hält<br />

Teresa die ganze Packung hin.<br />

„Klar doch, gib mal einen rüber!“<br />

­ Die Kinder erzählten den ganzen Unterricht über ihre Erlebnisse<br />

vom Urlaub. Was da alles so zusammen kam ­ man hätte ein Buch<br />

55


darüber schreiben können. In Ägypten, bei den Pyramiden hatte es<br />

doch Wasser gegeben <strong>und</strong> Maja war das erste Mal mit einem<br />

Flugzeug gereist. Frau Kuchenstück erklärte allen den neuen<br />

St<strong>und</strong>enplan. Die Lehrerin wies feierlich dar<strong>auf</strong> hin, dass die Kinder<br />

jetzt schon der dritten Klasse angehörten <strong>und</strong> somit große Kinder<br />

wären.<br />

Einige Klassenräume weiter wurde die neue 4a eröffnet. Es wurde<br />

ebenfalls feierlich dar<strong>auf</strong> hingewiesen, dass man jetzt zu den<br />

ältesten Schülern der Gr<strong>und</strong>schule gehören würde <strong>und</strong> sich deshalb<br />

besonders verantwortungsvoll verhalten solle. Anna schaute<br />

sogleich verantwortungsvoll <strong>auf</strong> ihren neuen St<strong>und</strong>enplan <strong>und</strong><br />

stellte fest, dass sie Dienstag <strong>und</strong> Donnerstag zwei St<strong>und</strong>en mehr<br />

haben würde als im letzten Jahr. So begann das neue Schuljahr <strong>und</strong><br />

es gab wirklich viel Neues zum Lernen. Beide Mädchen wurden<br />

beim Schwimmtraining angemeldet. So gingen sie nun zusätzlich<br />

jede Woche einmal in die große Schwimmhalle trainieren. ­<br />

„Gitschi, Kitschi, ja, ja data, lalala­lalalaha.“<br />

Teresa zuckt eigenwillig im Rhythmus ihres eigenen Gesangs <strong>und</strong><br />

betont besonders stark das ``data``.<br />

Teresa singt die Melodie, die ihr so gefällt, das siebte oder neunte<br />

Mal. Sie dreht sich dabei um ihre eigene Achse. Ihr ganzer Körper<br />

vibriert. Sie schwingt Hüften <strong>und</strong> Schultern durch die Gegend <strong>und</strong><br />

lässt gleichzeitig ihren Kopf ohne festen Halt herum trullern. Dabei<br />

verdreht sie noch die Augen. Es sieht so aus, als wäre sie voll weg.<br />

<strong>Susi</strong> ist lieber ein paar Meter weiter weg gegangen. Aus sicherer<br />

Entfernung betrachtet sie das Mädchen. <strong>Susi</strong> ist schon ordentlich<br />

gewachsen. Sie kennt alle Verstecke in der Wohnung. Ihre<br />

Lieblingsspeise ist jetzt Hähnchenbrustfilet roh, oder Fischfilet,<br />

56


etwas angewärmt aber nicht gekocht. Ab <strong>und</strong> zu gibt es auch mal<br />

Dosenfutter. Das gibt sie aber auch gern an Robi weiter.<br />

„... Gitschi, Kitschi ja­ ja data ...“<br />

­ Vor einigen Tagen war <strong>Susi</strong> wieder mal spazieren gegangen. Da<br />

kam doch so eine <strong>auf</strong>geplusterte „Vollangora“ vorbei <strong>und</strong> hatte sie<br />

beleidigt. Ja, sie hatte <strong>Susi</strong> eine Unechte <strong>und</strong> Kurzfell genannt. <strong>Susi</strong><br />

hatte es genau gehört.<br />

„Ist denn so was die Möglichkeit“, meinte <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> hatte zu der<br />

großen Aufgeblasenen gesagt, sie würde mit ihrem langen Fell als<br />

Straßenfeger gehen können. Dar<strong>auf</strong>hin hatte die große Angora nur<br />

schnippisch ``gelachmauzt``: „Gehen sagst du? Ich lasse mich lieber<br />

tragen <strong>und</strong> gehe nur zu meinem Vergnügen. Außer<strong>dem</strong> bekomme<br />

ich, immer wenn ich will, Gourmethäppchen in Sahnesoße von<br />

``Shela``. Tja Kleines, da staunst du, was?“<br />

Sie schaute kurz nach oben, zwinkerte mit ihren Augen <strong>und</strong><br />

klatschte einmal mit ihrem Schwanz <strong>auf</strong> den Boden. Schon wurde<br />

sie von einem Menschen hoch gehoben <strong>und</strong> in einem echten<br />

Kinderwagen mit Sonnenschirm davon gefahren. <strong>Susi</strong> fand das aber<br />

ganz schön <strong>auf</strong>geblasen <strong>und</strong> wollte später Robi davon erzählen.<br />

„Was es doch so alles gibt ­ Katze, Katze.“ –<br />

„Gitschi, Kitschi ..., och.“ Teresa kann nicht mehr. Zufrieden lässt<br />

sie sich in einen Sessel fallen. Die Tür öffnet sich <strong>und</strong> Anna kommt<br />

ins Zimmer.<br />

„Anna?“<br />

„Ja, Teri?“<br />

„Heute kommen die ``Supersingers`` wieder im Fernsehen.“<br />

„Echt?“<br />

(Die ``Echtsage­Macke`` ging gerade um <strong>und</strong> �)<br />

57


„Ja, guckst du mit? Ich will unbedingt Vanessa sehen mit <strong>dem</strong><br />

Gitschi da, du weißt schon.“<br />

„Das Lied heißt ´Lady Marmelade´, Teresa.“<br />

„Echt? Marmelade?“<br />

„Echt!“<br />

„Cool!“ (�die ``Cool­Macke`` auch.)<br />

„Da kommt doch der, der immer solche ``hammermäßigen``<br />

Sprüche ablässt, nicht?“<br />

„Ja ich weiß schon. Der hat früher auch mal gesungen, hat Papa<br />

erzählt.“<br />

„Echt?“<br />

Ja, mit so ´nem na ..., der sah ganz süß aus, hat Mama gesagt. Und<br />

der hatte so lange dunkle Haare. Aber der mit den Sprüchen ist<br />

irgendwie cooler, nicht Teri?“<br />

„Ich find Vanessa am besten <strong>und</strong> den Alexander.“<br />

„Echt?“<br />

„Ja echt“, sagt der Papa <strong>und</strong> kommt ins Zimmer.<br />

­ Eigentlich hatte er ja angefangen, die Supersingers zu gucken,<br />

also die Sendung wo angeblich die besten Sänger gesucht werden.<br />

Aber die Mädchen interessierten sich eben dafür <strong>und</strong> nun schaute<br />

man das schon mehrere Wochen. Es war ja auch lustig, jedenfalls<br />

anfangs. ­<br />

„Räumt bitte noch euer Zimmer <strong>auf</strong>, wenn ihr gucken wollt! Es gibt<br />

auch gleich Essen. Übrigens finde ich Juliet am besten.“<br />

Damit geht er wieder <strong>und</strong> Teresa beginnt, irgendwelche<br />

Zeichnungen <strong>und</strong> Spielsachen in den Schreibtisch hinein zu stopfen.<br />

Die Supersingers beginnen <strong>und</strong> der mit den coolen Sprüchen haut<br />

auch heute wieder so ein paar Dinger heraus. Dabei leckt er sich<br />

immer so schmatzmäßig über die Lippen. Dann kommt endlich<br />

58


„Lady Marmelade“ <strong>und</strong> Teresa singt: „Gitschi, Kitschi ...“ Dabei<br />

tanzt sie <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Sofa stehend mit, dass die Federn quietschen.<br />

59


7. Weihnachten<br />

­ Ja, es war eine schöne Zeit. Alles nahm seinen L<strong>auf</strong>. Die Mädchen<br />

lernten fleißig. <strong>Susi</strong> kletterte <strong>auf</strong> meterhohe Bäume <strong>und</strong> der Papa<br />

hatte irgendwie sein Geschäft mit den Druckluftautos vermasselt.<br />

Jedenfalls kam er eines Tages am frühen Morgen von einer<br />

Geschäftsreise zurück <strong>und</strong> sah ziemlich fertig aus. Was <strong>auf</strong> der<br />

Reise nach Italien passierte bleibt aber Geschäftsgeheimnis.<br />

Der Herbst war ins Land gekommen <strong>und</strong> nun ging es schon wieder<br />

in Richtung Weihnachten, wie alle Jahre. Aber zuerst waren da<br />

noch die Geburtstage. Anna hatte, die Mama hatte <strong>und</strong> die Oma <strong>und</strong><br />

der Opa in <strong>dem</strong> Haus an der Grenze feierten auch Geburtstag.<br />

Anna lud sich zu Ihrem Geburtstag fünf Mädchen aus ihrer Klasse<br />

ein. Nach <strong>dem</strong> üblichen Kuchenessen ging es ins Kino. Danach<br />

machte der Papa Hausdisco <strong>und</strong> die Mädchen tanzten zu Cola <strong>und</strong><br />

fetziger Musik. ­<br />

„Ich will auch Geburtstag haben.“<br />

Teresa schielt etwas, aber nur etwas neidvoll <strong>auf</strong> den ganzen Trubel<br />

um ihre Schwester. ­ Anna bekam sogar ein Paket von den<br />

Großeltern. Für Teresa war natürlich auch etwas dabei. ­<br />

„Du hast erst nächstes Jahr wieder Teresa, im Mai.“<br />

„Och, da muss ich ja noch so lange warten, mensch.“<br />

Na macht doch nichts, da bleibst du wenigstens noch ein Weilchen<br />

acht.“<br />

61


Teresa guckt <strong>auf</strong> die Uhr an ihrem Handgelenk:<br />

„Wisst ihr, man müsste die Zeit vor­ oder zurückstellen können.<br />

Das wäre was, nicht?“<br />

Teresa überlegt sich gerade, wie oft sie dann Geburtstag haben<br />

könnte.<br />

„Ja Teri, das geht doch nicht. Das gibt’s doch nur im Märchen?“<br />

„Wieso geht das nicht?“<br />

„Wie willst du denn die Zeit verstellen?“<br />

„Komm mit zu uns tanzen!“<br />

Die Mädchen reden liebevoll <strong>auf</strong> Teresa ein <strong>und</strong> schon tanzt sie<br />

zwischen den älteren Mädchen in der Mitte. Der Papa tanzt dann<br />

auch noch mit <strong>und</strong> wie man sieht, könnte er auch mal wieder etwas<br />

für seine Figur machen.<br />

In dieser Nacht träumt Anna, <strong>Susi</strong> könne sprechen <strong>und</strong> würde ihr<br />

etwas Wichtiges sagen. Am nächsten Morgen schreckt sie hoch. Sie<br />

kann sich zwar nicht mehr genau an ihren Traum erinnern, geht<br />

aber etwas unruhig zu <strong>Susi</strong> gucken. <strong>Susi</strong> ist schon wach. Sie sitzt<br />

<strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Fensterbrett</strong>. Als hätte sie Anna erwartet, streckt sie sich<br />

<strong>dem</strong> Mädchen entgegen. Anna streichelt <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> denkt an ihren<br />

Traum. Die Katze schnurrt <strong>und</strong> betrachtet das Gesicht des<br />

Mädchens. Für den Bruchteil einer Sek<strong>und</strong>e geht ein kleines<br />

Funkeln über <strong>Susi</strong>s Augen. Anna bemerkt es aber nicht weiter. Die<br />

schwarzen Pupillen der Katze sind vom Tageslicht zu schmalen<br />

Schlitzen geworden.<br />

Zu Weihnachten sind die Großeltern angereist. Der Opa will mal<br />

mit in die Jugenddisco gehen. Gemeinsam mit <strong>dem</strong> Papa, der sich ja<br />

für völlig jugendlich hält, verschwinden sie dann tatsächlich am<br />

62


Abend in Richtung Discotempel. So am Morgen, um fünf Uhr,<br />

kommen sie dann etwas verquollen zurück. Der Opa fasst sich<br />

immer an die Seite <strong>und</strong> sein graues Haar steht wirr vom Kopf ab.<br />

Aber schön war’s doch.<br />

Am nächsten Tag gehen alle in die Stadt. Die Oma k<strong>auf</strong>t noch eine<br />

riesige Gans ein. Der Opa freut sich schon <strong>auf</strong> das viele Fett. Den<br />

Mädchen ist die Gans ganz egal. Sie wollen natürlich <strong>auf</strong> den<br />

Weihnachtsmarkt <strong>und</strong> fahren Babykarussel, weil gerade nichts<br />

anderes da ist. Außer<strong>dem</strong> kann man sich Schlittschuhe ausleihen<br />

<strong>und</strong> die nahe Eisfläche benutzen. Überall duftet es weihnachtlich<br />

nach Gebäck <strong>und</strong> Gewürzen. Weihnachtsmusik <strong>und</strong> Gesänge<br />

erklingen durch die Straßen. Die meisten Leute essen <strong>und</strong> trinken<br />

was das Zeug hält.<br />

„Kommt ihr noch mit ins ``K<strong>auf</strong>dichtot``?“, fragt der Papa. Er meint<br />

damit diesen Riesensupermarkt, wo man kaum mehr raus kommt,<br />

wenn man einmal drin ist.<br />

„Bringst du uns bitte ein paar Fruchtgummis mit?“, ruft Teresa.<br />

„Ja <strong>und</strong> Mais für die Popcorns!“, wünscht sich Anna.<br />

„Mache ich, bis gleich, “ sagt der Papa.<br />

Dann geht er mit der Oma in den Supermarkt. Die Leute kommen<br />

ihnen mit Bergen von Taschen entgegen. Eine Frau hat sogar gleich<br />

zwei volle Eink<strong>auf</strong>swagen bei sich. Sie hängt jetzt mit breiten<br />

Armen zwischen den Eink<strong>auf</strong>swagen, als mache sie Flugversuche.<br />

Sie kreischt. Der eine Wagen will nun überhaupt nicht mehr in ihre<br />

Richtung. Später knallt es dann auch noch so. Wahrscheinlich ist sie<br />

irgendwo dagegen gefahren. Überall leuchten die Werbeschilder.<br />

Aus den Lautsprechern werden mit singender Stimme Produkte<br />

angeboten, die man unbedingt haben sollte müssen. Mit<br />

63


angespannten Mienen hasten die meisten Leute ihrem<br />

vermeidlichen Glück <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Heiligabend entgegen.<br />

„Wenn das der Jesus wüsste“, sagt der Opa leise, so das es keiner<br />

hört. Dann dreht er sich stirnrunzelnd um <strong>und</strong> schaut den Kindern<br />

beim Schlittschuhfahren zu.<br />

Später fährt man mit <strong>dem</strong> Bus zurück <strong>und</strong> besch<strong>ließ</strong>t, die letzte<br />

Strecke des Weges zu l<strong>auf</strong>en. Das wäre förderlich für den Appetit.<br />

Es liegt ziemlich viel Schnee <strong>und</strong> die Mädchen wollen der Oma <strong>und</strong><br />

<strong>dem</strong> Opa noch zeigen, wo sie immer Schlitten fahren.<br />

„Kommt, ich zeig euch den Hang! Der geht ganz weit den Berg<br />

hinunter.“ Anna hat sich vorn umgedreht, läuft rückwärts <strong>und</strong> zeigt<br />

mit <strong>dem</strong> Arm über ihre Schulter.<br />

„Da rodeln wir immer. Meine Fre<strong>und</strong>innen gehen auch da hin“, fügt<br />

Teresa hinzu.<br />

Die Großeltern folgen den Enkeln den Berg entlang. Der kleine<br />

Pfad, der tief in den Schnee getreten ist, wird immer schmaler. Jetzt<br />

kann man nur noch hintereinander gehen <strong>und</strong> muss <strong>auf</strong>passen, dass<br />

man nicht daneben tritt. Schräg nach unten dehnt sich eine<br />

riesengroße, schneebedeckte Fläche aus. Weiter vorn ist auch die<br />

Rodelbahn zu erkennen.<br />

„Es ist aber nicht sehr steil hier“, bemerkt der Opa <strong>und</strong> macht<br />

Witze. Die Oma hält die Eink<strong>auf</strong>stüte mit der riesigen Gans ganz<br />

fest <strong>und</strong> versucht beim L<strong>auf</strong>en die Höhe ihrer Absätze der<br />

Schneeschicht anzupassen. Schon stehen sie an der Rodelbahn, die<br />

sich mit vielen, kleinen Abfahrten über einige Meter in die Breite<br />

zieht. Die zu Eis gewordene Oberfläche glitzert an vielen Stellen in<br />

der Sonne. Große <strong>und</strong> kleine Kinder toben bunt durcheinander.<br />

Einige fahren sogar <strong>auf</strong> tellerähnlichen Plastikschüsseln oder<br />

64


Rennbobs den Berg hinab. Andere kommen mit roten Gesichtern<br />

<strong>und</strong> l<strong>auf</strong>enden Nasen den Berg wieder hin<strong>auf</strong> geklettert.<br />

Anna trifft Lisa <strong>und</strong> auch Teresa kennt einige Mädchen.<br />

„Wie geht’s dir Lisa?“<br />

„Gut, <strong>und</strong> dir?“<br />

„Auch gut, meine Großeltern sind zu Besuch.“<br />

„Schön, meine kommen erst Silvester.“<br />

„Jaha.“<br />

Und schon sind sie mitten drin im winterlichen<br />

``Schlittenfahrgewühl``.<br />

„Wir holen nachher auch unsere Schlitten“, ruft Teresa. Schwubs ­<br />

schon sitzt sie bei jeman<strong>dem</strong> mit oben <strong>und</strong> rodelt los.<br />

­ Die Oma putzte gerade ihre Brille, als es passierte. Die Tasche mit<br />

der Gans war ihr vom Handgelenk gerutscht. Sie versuchte noch,<br />

danach zu greifen aber es war schon zu spät. ­<br />

„Aaaah! Nei­ein!“, ruft sie <strong>und</strong> saust, den Kopf nach vorn, die<br />

Rodelbahn hinab ihrer Gans hinterher.<br />

­ Sie hatte versucht, sich zu bücken <strong>und</strong> die Gans <strong>auf</strong>zuheben. Dabei<br />

war die Gans aber aus der Tüte gerutscht <strong>und</strong> <strong>auf</strong> die Rodelbahn<br />

geraten. Die Absätze hatten <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> glatten Eis ihr Übriges getan<br />

<strong>und</strong> die Oma war kopfüber gleich in eine gute Rutschposition<br />

gekommen. So rutschte sie mit winterlichem Bauchkontakt los. Der<br />

Abstand zwischen der Gans <strong>und</strong> der Oma betrug aber immer noch<br />

einige Meter. ­<br />

„Hilfe!“<br />

Die Oma hat ihre Arme jetzt ganz nach vorn ausgestreckt.<br />

Eigentlich steuert sie den Berg ganz gut hinab. Die vor ihr dahin<br />

rutschende Gans hat es aber deutlich besser.<br />

„Schnell, einen Schlitten!“<br />

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Der Opa greift sich reflexartig den Schlitten, den man ihm hinhält<br />

<strong>und</strong> stößt sich mit kräftigem Anl<strong>auf</strong> ab.<br />

„Ich komme“, schreit er <strong>und</strong> jagt der Oma hinterher.<br />

„Halt aus, ich rette dich. Ich komme!“<br />

Durch die Unebenheiten des Berges ist die Oma aber doch schon<br />

etwas langsamer geworden. Sie dreht sich etwas seitlich <strong>und</strong><br />

versucht die unfreiwillige Rutschfahrt abzubremsen. Teresa, die ihr<br />

von unten entgegen kommt, schaut sie ungläubig an, kann sie aber<br />

auch nicht bremsen. Die Gans ist auch schon ganz nah <strong>und</strong> der Berg<br />

wird zum Glück flacher. Hinter sich hört sie es schreien „ich<br />

komme“ <strong>und</strong> fühlt sich schon besser. Auch Anna hat sich einen<br />

Schlitten geschnappt, ist unterwegs <strong>und</strong> will mithelfen, ihre Oma zu<br />

retten.<br />

Der Opa rattert über die Berghuckel. Dabei vollführt er wilde<br />

Sprünge <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Schlitten. Er ist aber schneller als die Oma,<br />

kommt näher <strong>und</strong> kann ihren Fuß vom Schlitten aus fassen. Einen<br />

Augenblick später kommt eine Eiskuhle mit Miniberg. Der Opa<br />

kippt um. Der Schlitten fährt alleine weiter. Nun rutscht er<br />

ebenfalls, in leichter Querlage, die letzten Meter des Berges hinab.<br />

Kurze Zeit später endlich, bremst ein breites Gebüsch die<br />

Rutschparty. Der Opa landet neben der Oma in den Sträuchern.<br />

Beide werden vom herabfallenden Schnee fast zugedeckt.<br />

­ Anna war hinterher gefahren. Sie kam an das Gebüsch <strong>und</strong> hob<br />

kurz davor die Gans <strong>auf</strong>, die unversehrt im Schnee lag. ­<br />

Wo war nur ihre Oma geblieben? Und der Opa war auch weg?<br />

Aber da hört sie schon die leisen Stimmen der Großeltern. Die<br />

Zweige öffnen sich <strong>und</strong> der Opa kommt gemeinsam mit der Oma<br />

aus <strong>dem</strong> Schnee gewatet. Der Opa trägt sie fast <strong>und</strong> gibt ihr noch<br />

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einen zweiten oder dritten Kuss. Sie sind zwar beide voller Schnee,<br />

sehen aber erleichtert aus.<br />

„Ist ja ganz schön lang, eure Bahn“, keucht der Opa.<br />

„Ja, aber nicht besonders steil, oder?“, entgegnet Anna lächelnd.<br />

„Habt ihr euch auch nichts getan?“<br />

Die Oma tastet erst jetzt ihren Rücken ab. Aber nur ihr Mantel hat<br />

ein paar Schlieren <strong>und</strong> die Brille ist weg. Sogar der Absatz vom<br />

Stiefel ist noch dran.<br />

„So ein Glück, das hätte ja ... “<br />

Und die Oma erzählt, was alles hätte passieren können. Anna ist<br />

froh, dass es den beiden gut geht. Gemeinsam gehen sie den Berg<br />

hin<strong>auf</strong>. Aber ganz langsam. Oben wartet Teresa mit der Brille in der<br />

Hand.<br />

Anna hat plötzlich in Gedanken das Bild von <strong>Susi</strong> vor Augen. Die<br />

Katze bewegt sonderbar die Lippen <strong>und</strong> hat eine Pfote gehoben.<br />

Ihre Augen werden immer heller, beginnen magisch­gelb zu<br />

leuchten. Sie leuchten immer mehr <strong>und</strong> ...<br />

„ Anna kommst du?“<br />

„Was? Ja, ich komme.“<br />

„Frohe Weihnachten!“ Kling.<br />

„Frohe Weihnachten!“ Klong.<br />

„Frohe Weihnachten, zum Wohl!“ Klingklong.<br />

„Auch dir frohe Weihnachten!“ Klinklangklong.<br />

„Ja, frohe Weihnachten wünsche ich euch auch!“ Lach.<br />

„Ostern ist auch bald, nicht?“<br />

(„Frohe Weihnachten.“ Miau.<br />

„Frohe Weihnachten.“ Wauwau.)<br />

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­ Weihnachten wurde ganz lustig. Die meisten Witze machte man<br />

natürlich über die Oma <strong>und</strong> die Gans. Der Opa aß Gänsefett. Der<br />

Papa spielte <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Akkordeon <strong>und</strong> die Mädchen sangen dazu „Oh<br />

Tannenbaum“. Jeder hatte auch ein paar kleine Geschenke für die<br />

anderen vorbereitet. <strong>Susi</strong> bekam eine neue Kuscheldecke <strong>und</strong> die<br />

Mama bekam ein teures Parfüm von ``Klo. Klo. Bordell``.<br />

Wieder waren einige Monate vergangen. Silvester feierte man noch<br />

mit Knallern <strong>und</strong> Leuchtfontänen. Das neue Jahr breitete sich mit<br />

Schnee <strong>und</strong> Kälte aus. Ganz langsam wurden die Tage aber schon<br />

wieder länger. Ein Hauch von Frühling kündigte sich an, als die<br />

ersten Schneeglöckchen hervor lugten <strong>und</strong> Tauwasser von den<br />

Dächern der Häuser rann.<br />

Aber jetzt begann eine Serie der unglaublichsten Ereignisse. So<br />

unglaublich war es, dass es einfach <strong>auf</strong>geschrieben werden musste.<br />

Hören wir also was weiter geschah, bei Anna <strong>und</strong> Teresa in der<br />

kleinen Stadt, nicht weit entfernt. ­<br />

68


8. Die Sprache der Tiere<br />

<strong>Susi</strong> schnurrte <strong>und</strong> hörte <strong>auf</strong> das Geräusch, das vom anderen<br />

Zimmer hinter <strong>dem</strong> Flur her kam. Robi, der Mischlingsh<strong>und</strong>,<br />

machte sich da wohl an einem Knochen zu schaffen, den er tags<br />

zuvor von den Menschen bekommen hatte. <strong>Susi</strong> hatte viel von Robi<br />

gelernt. Obwohl sie sich anfangs vor diesem zotteligen Gesellen,<br />

der mehrfach so groß wie sie selbst war, fürchtete, hatte sie sich im<br />

L<strong>auf</strong>e der Zeit gut mit ihm angefre<strong>und</strong>et. So gut, dass sie viele<br />

gemeinsame Gespräche führten <strong>und</strong> sogar Ausflüge zusammen<br />

unternahmen. Robi hatte ihr die Sprache der Vierbeiner beigebracht.<br />

Auch in vielen anderen wichtigen Sachen war er ihr Lehrer<br />

gewesen. ­ Die uralte Sprache der Vierbeiner ist viele tausend Jahre<br />

alt. Fast alle Tiere <strong>auf</strong> der großen Welt, mit mindestens vier Beinen,<br />

verstehen diese Sprache. Von Art zu Art <strong>und</strong> Generation zu<br />

Generation wird die Sprache immer persönlich weiter gegeben <strong>und</strong><br />

dabei kaum verändert. Nur einige Dialekte entstanden mit der Zeit,<br />

was mit der Art des Körperbaus <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Aussehen der Tiere zu<br />

tun hat. ­<br />

Bei den Menschen sollte es ja sogar h<strong>und</strong>erte, verschiedene<br />

Sprachen geben, hatte Robi einmal erzählt. Diese Sprachen wären<br />

aber so kompliziert, dass es nur den allerklügsten Tieren gelang,<br />

einen Teil davon zu verstehen. Wo diese allerklügsten Tiere lebten<br />

<strong>und</strong> wer sie waren, wusste aber keiner so genau.<br />

Die nur angelehnte Tür zum Zimmer öffnete sich einen Spalt.<br />

„Hallo Schlecki!“ Robi war hinein gekommen <strong>und</strong> schaute mit<br />

seinen dunkelbraunen Augen zu <strong>Susi</strong> hoch, die immer noch <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />

69


<strong>Fensterbrett</strong> <strong>saß</strong>. Schlecki war einer der Spitznamen von <strong>Susi</strong>. Ihre<br />

Angewohnheit, an allen möglichen Gegenständen zu lecken <strong>und</strong> zu<br />

schlecken, besonders wenn es sich um Flaschen handelte, hatte <strong>Susi</strong><br />

diesen zweiten Namen eingebracht.<br />

<strong>Susi</strong> sprang das erste Mal seit einigen St<strong>und</strong>en vom <strong>Fensterbrett</strong>,<br />

stupste Robi mit ihrem Kopf schmeichelnd in die Seite <strong>und</strong> sagte<br />

mit leichtem H<strong>und</strong>eakzent: „Wie geht’s Robi, was machen deine<br />

Augen?“<br />

„Ach ganz gut, danke. Die Augen sind wirklich nicht mehr die<br />

besten aber dafür funktioniert meine Nase immer noch<br />

hervorragend.“<br />

Wie zum Beweis schnupperte er ein wenig an <strong>Susi</strong>s duftigem Fell<br />

Dann setzte er sich zu ihr <strong>auf</strong> den Teppich. <strong>Susi</strong> schleckte ihm<br />

behutsam das linke Ohr an.<br />

„Wie alt bist du eigentlich Rob?“<br />

„Ich werd` wahrscheinlich bald vierzehn, wenn es draußen wieder<br />

kalt ist.“<br />

„Woher weißt du das?“<br />

„Ich habe es mir so ungefähr gemerkt. Es war bisher erst<br />

dreizehnmal richtig kalt <strong>und</strong> das weiße Wasser ging dann über eine<br />

lange Zeit nicht mehr weg. So wird wohl die Zeit gemessen. Das hat<br />

mir mal ein allerklügster H<strong>und</strong> erzählt.“<br />

„Und wie alt bin ich?“, fragte <strong>Susi</strong>, die es mit Unbehagen an die<br />

lange kalte Zeit erinnerte.<br />

„Als du zu uns kamst, hatte die warme Zeit schon angefangen. Jetzt<br />

ist es auch schon wieder etwas wärmer. Also wirst du bald eins<br />

werden, kleine Schlecki.“<br />

Robi schaute sanft zu <strong>Susi</strong>, die sein Ohr nun fast ganz abgeschleckt<br />

hatte. Eine dicke Fliege setzte sich <strong>auf</strong> <strong>Susi</strong>s Rücken, so dass diese<br />

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unwillkürlich mit <strong>dem</strong> Fell zuckte. Die Fliege sagte etwas, doch<br />

nuschelte sie die Sprache der Vierbeiner so schlecht, dass weder<br />

<strong>Susi</strong> noch Robi sie verstehen konnten. <strong>Susi</strong> begab sich leicht<br />

tänzelnd in die Küche, während sich Robi <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Teppich<br />

ausstreckte. Es gefiel ihr, dass sie nun bald eins werden würde <strong>und</strong><br />

soviel hatte sie verstanden.<br />

Eine lange kalte Zeit <strong>und</strong> eine lange warme Zeit waren zusammen<br />

eins. Der erste Abschnitt in <strong>Susi</strong>s Leben. Doch jetzt hatte sie<br />

wirklich Hunger bekommen <strong>und</strong> schaute nach ihrem Teller. Gleich<br />

dar<strong>auf</strong> polterte es draußen <strong>auf</strong> der Treppe. Der Schlüssel drehte sich<br />

im Schloss <strong>und</strong> Teresa stand <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Flur.<br />

„Hallo <strong>Susi</strong>, hallo Robi!“<br />

Kurze Zeit dar<strong>auf</strong> kam auch Anna aus der Schule zurück. Sie war<br />

noch ins nahe gelegene Geschäft gegangen, um Milch zu besorgen.<br />

„So, hier hast du deine Milch.“ Anna stellte den Teller neben <strong>Susi</strong>,<br />

die ihr schon schmeichelnd um die Beine gefahren war.<br />

Teresa bereitete gleichzeitig das Futter vor. Robi bekam Nudeln mit<br />

Fleischstücken. <strong>Susi</strong> erhielt einen <strong>auf</strong>getauten Hering. Dann<br />

schälten sich die Kinder eine rote Mango ab. Der Saft tropfte <strong>und</strong><br />

lief ihnen durch die Finger, als sie die süße Frucht vernaschten.<br />

71


9. Die Klassenfahrt<br />

Das Gerangel um die besten Sitzplätze hielt sich in Grenzen. Die<br />

Kinder hatten schon in der Bahnhofsvorhalle kleine Gruppen<br />

gebildet. Nun stiegen sie in den Zug, der sie in die Großstadt<br />

bringen sollte. Frau Kuchenstück, Herr Teebecher sowie einige<br />

Eltern begleiteten die Mädchen <strong>und</strong> Jungen der dritten <strong>und</strong> vierten<br />

Klasse. Die Sonne war gerade so richtig <strong>auf</strong>gegangen. Obwohl es<br />

noch recht kühl war spürte man, dass der Frühling nahte.<br />

Herr Teebecher zählte noch mal alle Kinder durch. Alle da, alles<br />

stimmte. Die Fahrt begann. Diverses Obst, Joghurts, Tomaten,<br />

Gurken, Knäcke­ <strong>und</strong> sonstigen Brote kamen zum Vorschein. Die<br />

Kinder machten sich sogleich über ihre ´´Mampfpakete´´ her. Die<br />

Verpflegung hatten die Eltern vorher abgesprochen <strong>und</strong> größtenteils<br />

einheitlich zusammengestellt. Bis <strong>auf</strong> ein paar Bonbontüten,<br />

schmierige Schokoküsse <strong>und</strong> Klebriegel sah alles recht ges<strong>und</strong> aus.<br />

Das registrierten auch erleichtert die beiden Lehrer. Schon war die<br />

erste Haltestelle vorüber. Frau Kuchenstück beugte sich über ein<br />

Notizbuch. Dann gab sie allen, die es im nahen Umkreis verstehen<br />

konnten, nochmals die Tagesplanung bekannt.<br />

„Zuerst machen wir, wie gesagt, eine kleine Stadtbesichtigung, aber<br />

nicht zu lange. Dann geht’s <strong>auf</strong> die erste Plattform des *Münsters.<br />

Das macht Herr Teebecher mit denen, die sich’s zutrauen <strong>und</strong> von<br />

den Eltern die Erlaubnis haben. Die anderen schauen sich das Innere<br />

der Kirche an. Nach <strong>dem</strong> Mittagessen besuchen wir dann ein<br />

Museum. Mal sehen wie viel Zeit dann noch bleibt.“<br />

„Ach, es wird sich schon niemand langweilen“, ergänzte Herr<br />

Teebecher, der dazu gekommen war.<br />

73


„Außer<strong>dem</strong> ist im Museum ein ganz neuer Bereich für<br />

Gastausstellungen eingerichtet worden. Für einige Zeit sollen jetzt<br />

sogar Kunstgegenstände aus <strong>dem</strong> *Pergamonmuseum zu sehen<br />

sein“, erzählte er weiter.<br />

Begeistert beschrieb Herr Teebecher dann minutenlang einige<br />

Kunstschätze von Weltrang. Anna hörte den Ausführungen zu.<br />

Wenn Herr Teebecher erst einmal ins Reden gekommen war, dann<br />

gab es kein zurück. Es hörte sich aber wirklich alles interessant an.<br />

Sie musste dabei an Ihre Goldschätze denken, die sie sich in den<br />

Ferien gewünscht hatte. Teresa fielen die Piraten <strong>und</strong> Opas Gold<br />

auch wieder ein. Tobias, Martin <strong>und</strong> einige andere Jungs spielten<br />

``Gamegirl``. Sie hatten die Spiele un<strong>auf</strong>fällig in den Hosentaschen<br />

mit geführt.<br />

„Die Dinger werden aber nachher ausgemacht“, donnerte sie Herr<br />

Teebecher auch schon an. Dann erklang auch noch so ein dämlicher<br />

Klingelton eines Handys, dessen Verursacher aber nicht zugeordnet<br />

werden konnte.<br />

Feiner Wasserdampf, der sich in die Morgenluft erhoben hatte, lag<br />

über der Donau als beide Schulklassen in der Großstadt eintrafen.<br />

„... Lisa, Tobias, Anna.“ Frau Kuchenstück zählte die restlichen<br />

Kinder <strong>auf</strong>, die den Kirchturm des Ulmer Münsters noch mit<br />

besteigen würden.<br />

„Geht bitte auch rüber zum Herrn Teebecher!“<br />

Dann winkte sie mit <strong>dem</strong> Arm.<br />

„Alle anderen kommen mit mir mit.“<br />

Sie drehte sich um, ging als erste voran, gefolgt von ihrer Gruppe<br />

<strong>und</strong> zwei Eltern. Frau Kuchenstück wollte die Kinder einmal um die<br />

riesige Kirche führen. Dabei wollte sie etwas zu Geschichte <strong>und</strong><br />

74


Bauwerk erklären. Ansch<strong>ließ</strong>end sollten die Schüler dann Ausschau<br />

nach den anderen halten, die in der Zwischenzeit <strong>auf</strong> der<br />

Aussichtsplattform angekommen sein würden. Herr Teebecher,<br />

zwei weitere Eltern <strong>und</strong> der kleinere Teil der Kinder wagten<br />

unterdessen den Aufstieg. Teresa merkte mit einem Mal, dass ihr<br />

das Treppensteigen ganz schön in die Knie ging. Zwanzig, dreißig<br />

Meter höher wurde die Gruppe immer stiller. War zuerst noch<br />

lautes Schwatzen zu hören, lugte man nun immer vorsichtiger durch<br />

die offenen Teile des Gemäuers nach unten. Herr Teebecher legte<br />

eine kleine Pause ein. Er erklärte Baustil <strong>und</strong> Anlass der Errichtung<br />

der Kirche.<br />

Die starken Wände mit den großen harten Steinen würden durch das<br />

ungeheure Gewicht <strong>und</strong> die meisterliche Bauart halten. Teresa<br />

stellte sich vor was passieren würde, wenn so ein ungeheurer Stein<br />

heraus bräche.<br />

Um sich von der Höhe abzulenken, erzählte sich Anna mit Lisa.<br />

„Das macht ihr nichts aus, dass sie allein zu hause ist. Sie ist doch<br />

schon groß. Was denkst du, wie <strong>Susi</strong> schon die Bäume hoch klettert.<br />

Ihre Augen leuchten sogar im Dunkeln“<br />

Hat <strong>Susi</strong> denn keine Angst, dass sie runterfällt?“, entgegnete Lisa<br />

ängstlich.<br />

„Nee, die hat doch Krallen. Damit ..., och mir wird schlecht. Lisa,<br />

guck bloß nicht runter!“<br />

„Nicht nach unten gucken“, rieten jetzt auch die Erwachsenen.<br />

Anna nahm es sich fest vor. Teresa sagte gar nichts mehr. Sie war<br />

fast die Jüngste. Dennoch wollte sie durchhalten. Die kleinen engen<br />

Treppen<strong>auf</strong>gänge breiteten sich aus. Schon erreichte man die erste<br />

Aussichtsplattform. Gut spürbar pfiff der Wind durch die offenen<br />

Mauern. Von oben sah eben doch alles schon ganz anders aus.<br />

75


„Wir sind so vierzig Meter hoch, höchstens“, erklärte jemand.<br />

„Es geht aber noch an die h<strong>und</strong>ert Meter weiter hin<strong>auf</strong>, glaube ich“,<br />

fügte Herr Teebecher hinzu. Er sprach nun aber auch nicht mehr<br />

ganz so laut.<br />

Die Aussicht war aber auch aus dieser Höhe schon prächtig. Die<br />

Kinder erkannten, wo sie vorhin gewesen waren. Sie beobachteten<br />

die Menschen, die unter ihnen <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> großen Platz umher liefen.<br />

Eine Gruppe winkte Ihnen begeistert zu.<br />

Teresa zeigte nach unten. Sie konnte deutlich die Gesichter ihrer<br />

Schulkameraden erkennen. Nun freute sie sich besonders, dass sie<br />

<strong>auf</strong> den Turm mitgegangen war.<br />

Zu Mittag gab es Nudeln mit Tomatensoße vom nahe gelegenen<br />

Imbißladen. Die Kinder tauschten sich über ihre Erlebnisse aus.<br />

Nächstes Jahr oder schon vorher, vielleicht mit den Eltern, wollte<br />

man wieder kommen. Nach ein paar kräftigen Schluck zu trinken<br />

ging es dann weiter.<br />

Das große Stadtmuseum lag ein paar Straßen entfernt. Zu Fuß gut<br />

erreichbar, liefen die Kinder in kleinen Gruppen die Innenstadt<br />

entlang.<br />

Wie aus einer anderen Welt empfing sie das Museum. Im<br />

mittelalterlichen Stil, gab es die interessantesten <strong>und</strong> seltensten<br />

Gebrauchsgegenstände der Vergangenheit zu betrachten. Uralte<br />

Tassen, Tröge, jeglicher erdenkliche Haushaltskram <strong>und</strong> die<br />

merkwürdigsten Utensilien der früheren Generationen waren dabei.<br />

Gekennzeichnet waren all die Ausstellungstücke mit Angabe zu<br />

Verwendungszweck <strong>und</strong> geschätztem Herstellungsjahr. Dazu kamen<br />

Schmuck, Münzen, Gemälde ja sogar Waffen. Sogar eine eigene<br />

Bibliothek mit kleinen verwinkelten Zimmern gab es im Keller des<br />

76


Museums. Darin waren Bücher zu finden, die mit ihren<br />

verschnörkelten Buchrücken aussahen, als wären sie aus der Gruft<br />

der Ewigkeit daselbst geschöpft. Das Museum war für<br />

Leihausstellungen erweitert worden. Herr Teebecher fand dann<br />

auch einige wahre Schätze, wie er sagte, aus <strong>dem</strong><br />

Pergamonmuseum. Diese Leihgaben schienen aber so wertvoll zu<br />

sein, dass sie durch Absperrungen <strong>und</strong> Glasscheiben geschützt<br />

wurden. Herr Teebecher begeisterte sich sofort. Er begann eifrig,<br />

die meist goldglänzenden Schätze unter die Lupe zu nehmen. Die<br />

meisten Kinder umringten ihn. Sie staunten gemeinsam über die<br />

kunstvoll gearbeiteten Sachen aus einer anderen Zeit.<br />

(Du solltest auch mal in so ein Museum fahren! Wer? Ja Du!)<br />

Anna folgte <strong>auf</strong>merksam den Erklärungen von Frau Kuchenstück.<br />

Sie erzählte gerade über die schwierigen Lebensbedingungen im<br />

späten Mittelalter. Die Herstellung von Stoffen, Kleidern sowie<br />

ganz normalen Gebrauchsgegenständen zählte damals zu den<br />

<strong>auf</strong>wendigen, mühevollen Arbeiten der Menschen. Krankheiten <strong>und</strong><br />

Seuchen machten das tägliche Handwerk der einfachen Leute<br />

besonders erschwerlich. Dazu kamen immer wieder kriegerische<br />

Auseinandersetzungen der Völker, deren Anlässe oft mit <strong>dem</strong><br />

dogmatischen Weltbild ihrer Religionsführer <strong>und</strong> Herrscher<br />

zusammen hingen.<br />

Die Lehrerin erzählte:<br />

„Die Menschen waren zu unwissend. Eine große Rolle spielte auch<br />

der Aberglaube. Viele glaubten damals an Hexen, Geister <strong>und</strong><br />

Dämonen. Dieser Aberglaube bildete möglicherweise die Gr<strong>und</strong>lage<br />

für die späteren Märchen.“<br />

Frau Kuchenstück wurde jetzt mehr <strong>und</strong> mehr von einer Schar<br />

neugieriger Kinder umgeben. Sie freute sich über das rege Interesse.<br />

77


„Gab es denn dort keine Schulen?“, fragte Lisa.<br />

„Aber Ärzte gab es doch bestimmt, wegen den Krankheiten!“, rief<br />

Martin dazwischen.<br />

„Es gab schon Ärzte. Nur waren sehr viele Krankheiten unbekannt.<br />

Bakterien, die Seuchen auslösten, ihr wisst ja die unsichtbaren<br />

Mikroorganismen, konnten erst viel später entdeckt werden.“<br />

„Als das Mikroskop erf<strong>und</strong>en wurde?“, fragte Martin wieder.<br />

„Ja, erst dann. Und deshalb wurden damals auch so viele Menschen<br />

schwer krank. Sie erkrankten an Infektionen, die heute längst<br />

heilbar sind.“<br />

„Ach so.“<br />

„Ein paar Schulen gab es natürlich auch schon, Lisa. Oftmals<br />

mussten die Eltern aber Schulgeld an den Lehrer bezahlen, wenn sie<br />

überhaupt Geld dafür hatten. Erst dann konnten die Kinder<br />

Unterricht erhalten. Die Schulzeit war zu<strong>dem</strong> recht kurz, nur das<br />

Nötigste. Oft auch mussten die Kinder den Eltern zu hause helfen<br />

oder frühzeitig in den Städten arbeiten. Nur so konnten sich viele<br />

ernähren <strong>und</strong> hatten ein kleines Auskommen. F<strong>ließ</strong>endes Wasser,<br />

Heizung, Strom <strong>und</strong> vieles was ihr aus der heutigen Zeit gewohnt<br />

seit, gab es einfach noch nicht.“<br />

„Kein Fernsehen, kein Gamegirl oder wenigstens Kino?“, rief<br />

Tobias mit entsetzter Stimme.<br />

Er war etwas ins Nachdenken gekommen über sein Butterbrot mit<br />

``nur Käse`` dr<strong>auf</strong>. Er hatte das Käsebrot vorhin achtlos<br />

weggeworfen.<br />

„Nein“, lachte Frau Kuchenstück, „nicht mal ´ne Schallplatte.“<br />

„Gamegirl im Mittelalter? Also wirklich Tobias. Du hast aber heute<br />

wirklich einen an der Waffel!“, empörte sich Maja in Richtung<br />

Tobias.<br />

78


Martin stupste den Fre<strong>und</strong> an. Damit gab er ihm zu verstehen, dass<br />

er sich vor den Mädchen nicht so blamieren dürfe. Tobias schaute<br />

verärgert zurück. Dann holte er sich erst mal einen Schokoriegel<br />

``Dickers`` raus.<br />

„Und was ist eine Schallplatte?“, wollte Silvana nun wissen.<br />

Fragend drehte sie sich zu Martin um.<br />

„Ja eine Platte halt, mit Schall dr<strong>auf</strong>. Ist doch ganz einfach.“<br />

Martin reckte beim Sprechen den Kopf nach oben. Er bemühte sich,<br />

seinen besten ``Durchsehblick`` abzugeben. Frau Kuchenstück fiel<br />

für einen kurzen Moment die so genannte „Pisastudie“ ein.<br />

Silvana <strong>und</strong> ein Teil der Kinder schauten aber so, als genüge ihnen<br />

Martins Erklärung zur Schallplatte. Nur einige lachten.<br />

Anna fragte: „Frau Kuchenstück?“<br />

„Ja Anna?“<br />

„Sie meinen also, die Märchen sind dann aus <strong>dem</strong> Aberglauben der<br />

Leute an Geister <strong>und</strong> Hexen entstanden?“<br />

„Ich glaube schon. Vieles hat man sich im L<strong>auf</strong>e der Zeit dazu<br />

gereimt oder ausgedacht. Ein paar Wahrheiten sind auch noch mit<br />

eingeflossen. Dadurch entstanden dann die Sagen oder die Märchen,<br />

so wie sie bis heute überliefert sind.“<br />

Frau Kuchenstück nickte nachdenklich. Anna kannte schon viele<br />

Märchen. In einigen ging es sogar recht brutal zu. Andere Märchen<br />

dagegen waren wirklich zauberhaft. Auf jeden Fall machte es Spaß,<br />

Märchen zu lesen. Anna fühlte sich hier im Museum, inmitten der<br />

uralten Sachen, der Märchenwelt näher als sonst irgendwo.<br />

„Na ja, das sind eben nur Märchen, fern der Wirklichkeit. Aber wie<br />

ihr seht Kinder hat es die Dinge, die hier ausgestellt sind, früher<br />

wirklich gegeben. Kommt, wir gehen weiter!“<br />

79


„Teresa?“<br />

„Teereesa! Habt ihr Teri gesehen?“<br />

Anna schaute fragend um sich. Sie wartete <strong>auf</strong> ihre kleine<br />

Schwester. Der R<strong>und</strong>gang durch das Museum war fast vorbei. Die<br />

kleinen, verstreuten Gruppen der Kinder trafen sich nun wieder in<br />

der Nähe des Eingangs. Die Mädchen erzählten sich über die vielen<br />

Schmucksachen <strong>und</strong> die goldbestickten Stoffe; die Jungs<br />

schwärmten von den alten Schwertern <strong>und</strong> Rüstungen.<br />

Kurz zuvor:<br />

Teresa bew<strong>und</strong>erte auch einige Sachen. Anfangs war sie noch<br />

intensiv mit einigen Mitschülern im Museum herum geschlendert.<br />

Weil aber alles so fertig hingestellt aussah, war es ihr mit der Zeit<br />

immer langweiliger geworden. Ihr fehlte irgendwie die Bewegung<br />

in der Ausstellung. Nun, nach h<strong>und</strong>erten Metallschüsseln <strong>und</strong><br />

ähnlichen Sachen, wollte sie lieber selbst etwas erk<strong>und</strong>en oder<br />

Pause machen.<br />

„Ich geh mal <strong>auf</strong> Toilette. Bis gleich.“<br />

„Die ist im Keller, bei der alten Bibliothek, Teresa!“, rief ihr<br />

jemand zu.<br />

„Gut.“<br />

Also beschloss sie, zuerst <strong>auf</strong> die Toilette zu gehen. Leicht<br />

summend spielte sie ein bisschen am Wasserhahn herum. Dann<br />

klappte sie die Tür rhythmisch hin <strong>und</strong> her <strong>und</strong> stellte fest, dass die<br />

Tür anders als der Klodeckel klang.<br />

Auf <strong>dem</strong> Flur hatte jemand das Licht ausgemacht. Aber dort hinten<br />

war es ja heller. Teresa bewegte sich in Richtung Lampenlicht.<br />

Erstaunt darüber, dass sie nicht <strong>auf</strong> die Treppe gelangt war, fand sie<br />

sich in einem verwinkelten, niedrigen Raum mit Regalen, voll von<br />

Büchern wieder. Von ihren Mitschülern ­ keine Spur. Sie ging ein<br />

80


paar Schritte weiter. Neugierig schaute sie sich um. Der Raum war<br />

zwar nicht hoch, schien aber trotz<strong>dem</strong> groß zu sein. Er dehnte sich<br />

mit vielen Nischen <strong>und</strong> Ecken soweit aus, dass Teresa kein Ende<br />

erkennen konnte. Wahrscheinlich waren die Kellergewölbe<br />

untereinander verb<strong>und</strong>en. Überall standen alte Holz­ oder<br />

Metallregale, die bis an die Decke reichten. Die Mitte des Raumes<br />

war mit mehreren Regalreihen zugestellt, so dass auch hier nur ein<br />

schmaler Hauptgang blieb. Schwarzbraune Buchrücken mit<br />

verstaubten Einbänden schimmerten im Dusellicht. Es roch leicht<br />

schimmlig. Auch die Luft war hier viel kühler als oben. Aus<br />

gelblichen Lampen leuchteten die wenigen Glühbirnen nur schwach<br />

von der Decke. Zu<strong>dem</strong> war die Decke an vielen Stellen mit<br />

Spinnweben übersät. Teresa schauderte es. Sie stand hier allein im<br />

Keller, inmitten uralter Bücher. Ihr fiel der Friedhof wieder ein <strong>und</strong><br />

sie wünschte sich, Anna wäre wenigstens bei ihr. In diesem Moment<br />

hörte sie Schritte die sich rasch näherten.<br />

„Na, wenigstens ein paar Leute“, dachte sie. Sogleich fühlte sie sich<br />

nicht mehr so allein. Eigentlich wäre sie ja sofort umgekehrt. Doch<br />

wenn ein paar Leute kamen, konnte sie es in <strong>dem</strong> düsteren Raum ja<br />

noch etwas aushalten. Spannend war es noch dazu. Sie wollte sich<br />

aber nicht entdecken lassen. Deshalb huschte sie schnell einige<br />

Reihen weiter in eine Lücke, hinter die Regale. Zur Not wollte sie<br />

sagen, dass sie sich verl<strong>auf</strong>en hätte.<br />

Zwei Männer betraten den Raum. Stimmen erklangen:<br />

„Mach aber die Tür zu! Komm! Es muss hier irgendwo sein. Was<br />

sagen die Koordinaten?“<br />

„Sie haben dieses Haus ermittelt.“<br />

„Dann müssen wir suchen. Los, fangen wir hinten an!“<br />

81


Die Tür fiel zu. Teresa <strong>saß</strong> in ihrem Versteck. Die Männer gingen<br />

los <strong>und</strong> steuerten einige Meter an Teresa vorbei, quer durch den<br />

Raum, zum hinteren Teil des Gewölbes. Das Licht einer<br />

Taschenlampe flammte <strong>auf</strong>.<br />

Teresa bemerkte plötzlich ein leichtes Herzklopfen. Sie drückte sich<br />

eng in den kleinen Zwischenraum in <strong>dem</strong> sie stand. Kalt spürte sie<br />

die Wand hinter sich. Sandiger Putz rieselte <strong>auf</strong> ihre Haare. Wieder<br />

erklangen die Stimmen: „Und wenn jemand merkt, dass es weg<br />

ist?“<br />

„Ach was, es ist doch nur zeitlich hier. Es ist überhaupt nicht<br />

registriert. Wenn ich es erst gef<strong>und</strong>en habe sind wir sicher.“<br />

Teresa hörte das Geräusch, von sich <strong>auf</strong>einander stapelnden<br />

Büchern. Sie versuchte etwas zu erkennen <strong>und</strong> strengte sich an,<br />

durch die Regale hindurch zu sehen. Um sich einen schlitzbreit<br />

Platz zu verschaffen, schob sie einige Bücher zur Seite. Die Bücher<br />

waren groß <strong>und</strong> schwer. Sie trugen verschnörkelte Aufschriften,<br />

teils in goldiger Schrift. Die Aufschriften vermochte Teresa nicht zu<br />

entziffern.<br />

„Klatsch“. Ein Buch war weg gerutscht <strong>und</strong> zur Seite umgefallen.<br />

Teresa spürte jetzt deutlich ihren Herzschlag. Sie duckte sich sofort<br />

wieder tief in ihre Ecke.<br />

„Huch, auweia. Ich bin ein Mäuschen, ja nur ein kleines, lalalala“,<br />

flüsterte sie sich selbst zu.<br />

„Hast du das gehört, da drüben?“<br />

„Was ist denn nun schon wieder? Nimm mir mal die Bücher von<br />

oben ab <strong>und</strong> suche dann da drüben weiter!“<br />

„Hast du nicht das Klappern da gehört?“<br />

82


„Nein, habe ich nicht. Mensch, hier gibt es doch bestimmt auch<br />

Mäuse. Schon mal gehört davon? Außer<strong>dem</strong> hab ich ´ne Kanone<br />

mit“<br />

„Ich geh trotz<strong>dem</strong> mal gucken, oder?“<br />

„Nun bleib bloß bei dir, wegen <strong>dem</strong> bisschen Rascheln. Mach jetzt<br />

endlich! Wir müssen das Kastenbuch finden. Gucke nach einem<br />

Metallrücken mit einer Katze dr<strong>auf</strong>! Fass es aber bloß nicht an! Das<br />

mache ich mit einem Spezialhandschuh.“<br />

„Ja, gut Boss.“<br />

Teresa hatte jedes Wort gehört. Die eine Stimme klang hart <strong>und</strong><br />

gereizt. Die andere Stimme hörte sich eher leicht einfältig an. Zu<br />

gern hätte sie sich jetzt oben noch h<strong>und</strong>erte Metallteller oder<br />

Schüsseln angeschaut. Minuten waren erst vergangen. Es kam ihr<br />

trotz<strong>dem</strong> endlos lange vor. Sie überlegte: Die beiden Männer<br />

suchten also ein ganz bestimmtes Buch. Vom Museum konnten sie<br />

aber kaum sein. In der Art wie sie sprachen, passten die beiden eher<br />

in die alten Gangsterfilme, von denen sie schon einige gesehen<br />

hatte. Und der eine hatte wirklich Kanone gesagt. Teresa schluckte<br />

<strong>und</strong> merkte, wie sie eiskalte Hände bekam. Noch hatten die Männer<br />

sie nicht bemerkt. Sollte sie sich zeigen? Das wäre aber viel zu<br />

gefährlich. Teresa beschloss deshalb weiter auszuharren, komme<br />

was da wolle. Was mochten die bloß suchen. Ein Kastenbuch? Was<br />

sollte das bloß sein?<br />

Erneut erklang eine Stimme: „Der Koordinator ist aber auch nicht<br />

perfekt. Zuerst schickt er uns in ein Kornfeld <strong>und</strong> jetzt in diese<br />

dunkle, gruftige Bibliothek. Verflucht! Alles nur wegen der<br />

verdammten Tarnung.“<br />

In diesem Moment öffnete sich die Tür. Zwei Damen sowie ein<br />

elegant gekleideter Herr betraten den vorderen Teil der alten<br />

83


Bibliothek. Sie sprachen englisch, wie Teresa erkannte.<br />

Wahrscheinlich waren es Touristen, die sich für alte Bücher oder<br />

Schriften interessierten. Die Damen vertieften sich zusehends in ein<br />

Gespräch mit <strong>dem</strong> Herrn. Dabei begannen sie gemeinsam, einige<br />

Bücher in den vorderen Regalen <strong>auf</strong>zuschlagen. Teresa schielte<br />

angespannt durch die Regale. Plötzlich erklang leise die<br />

ungeduldige Stimme eines der Männer: „Mist noch mal! Die stehen<br />

wie die Götzen da vorn herum. Das bringt heute nichts mehr. Los,<br />

pack zusammen, wir hauen ab! Später suchen wir weiter.“<br />

Teresa hörte die Stimmen <strong>und</strong> Geräusche der Männer nur wenige<br />

Meter von sich entfernt. Bücher wurden hastig wieder <strong>auf</strong>gestapelt.<br />

Die Taschenlampe erlosch. Sie sah kurz <strong>auf</strong> den Hauptgang hinüber.<br />

Im Halbdunkel erkannte sie zwei, in lange Mäntel gekleidete<br />

Gestalten, die hastig an ihr vorbei eilten. Die Touristen im vorderen<br />

Teil des Raumes nahmen kaum Notiz. Schon klappte die Tür <strong>und</strong><br />

die Männer waren verschw<strong>und</strong>en.<br />

Teresa fiel ein Stein vom Herzen. Sie atmete erst einmal tief durch.<br />

Dann trat sie vorsichtig aus der Nische zwischen den Regalen<br />

hervor. <strong>Susi</strong> fiel ihr ein. Zum Glück würde sie ihr Kätzchen bald<br />

wieder sehen. Ihr Schuh war <strong>auf</strong>gegangen. Sie bückte sich, um die<br />

Schnürsenkel zu binden. Da rollten ihre zuckerfreien Bonbons aus<br />

der Hosentasche heraus <strong>und</strong> blieben einige Meter weiter, kurz vor<br />

<strong>dem</strong> Hauptgang liegen. Mit offenem Schuh hob Teresa die Bonbons<br />

<strong>auf</strong>, wäre fast weiter gegangen, hockte sich nun aber doch hin. Und<br />

da sah sie es, beim Binden des Schnürsenkels. Es stand direkt vor<br />

ihr, in der vorletzten Reihe des Regals, ganz unten, kurz über <strong>dem</strong><br />

Fußboden. Auf <strong>dem</strong> Buchrücken war deutlich die Kontur einer<br />

Katze zu erkennen. Das Buch sah merkwürdig metallisch aus. Es<br />

waren auch keine Papierseiten zu sehen. Nein, es erinnerte eher an<br />

84


zwei zusammengelegte Deckel oder eine Kassette. Die Kontur der<br />

Katze war goldfarben, der Einband oder die Oberfläche schwarzsilbrig.<br />

Teresa überlegte wie merkwürdig das Buch doch aussehe. So eines<br />

hatte sie noch nie gesehen. Ihr fiel das Wort ``Kastenbuch`` der<br />

beiden Männer ein, das sie kurz zuvor gehört hatte.<br />

„Na, anfassen kann aber nicht schaden, wenn ich schon mal hier<br />

bin“, sagte sie dann zu sich selbst. Dabei spähte sie nach allen<br />

Seiten. Sie würde es auch gleich wieder zurück stellen. Überdies<br />

machte sie die Katze <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Buchrücken neugierig.<br />

Teresa griff mit der rechten Hand zu, spürte ein leichtes Kribbeln<br />

<strong>auf</strong> der Haut <strong>und</strong> zog das Buch aus <strong>dem</strong> Regal in der alten<br />

Bibliothek. Ein Kälteschauer durchfuhr sie. Das Metall fühlte sich<br />

hart <strong>und</strong> kalt an, noch kälter als Teresas Hände. Ansonsten tat sich<br />

aber nichts. Es gab weder Seiten zum Blättern, noch konnte man das<br />

Buch irgendwie öffnen. Teresa bemerkte aber eine feine Naht,<br />

welche sich längs <strong>und</strong> gleichmäßig um den Bereich des Buches zog,<br />

wo eigentlich die Seiten sein sollten. Wahrscheinlich doch eine Art<br />

Klappstelle, dachte sie. Auf der Vorderseite des Einbandes<br />

erkannte sie eine geometrische Figur, die sie schon einmal in der<br />

Schule gesehen hatte. In der Figur gab es noch eine andere Figur,<br />

aber in umgekehrter Form. Beide Figuren waren wie eingraviert.<br />

Mit <strong>dem</strong> Finger <strong>ließ</strong>en sich die Linien wie Abdrücke erfühlen.<br />

Teresa drehte <strong>und</strong> wendete das so seltsame ``Kastenbuch`` nach<br />

allen Seiten. Was sollte wohl die Katze <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Buchrücken<br />

bedeuten? Es war einfach auch zu dunkel, um Details genau zu<br />

erkennen. Vorn standen auch noch die Leute oder Touristen.<br />

Außer<strong>dem</strong> konnte niemand wissen, ob <strong>und</strong> wann die Männer<br />

zurückkommen würden. Eben ein altes, merkwürdiges Buch dachte<br />

85


Teresa bei sich. Langsam wurde sie etwas ruhiger. Oben würde man<br />

bestimmt schon <strong>auf</strong> sie warten. Das Erlebte reichte ihr nun völlig.<br />

Auch fühlte sie sich plötzlich sehr allein. Schnell stellte sie das<br />

eigenartige Buch zurück, schob es aber ein Stück tiefer ins Regal,<br />

als sie es vorgef<strong>und</strong>en hatte.<br />

Dann schlich sie langsam <strong>dem</strong> Ausgang entgegen. Eine Dame<br />

bemerkte sie <strong>und</strong> schaute sie durch ihre große Brille verw<strong>und</strong>ert an.<br />

Teresa sagte schnell:<br />

„WC, äh Waterclosed“, <strong>und</strong> verschwand flugs durch die Tür.<br />

Erleichtert erkannte sie den richtigen Weg <strong>und</strong> erreichte fröstelnd<br />

den Aufgang.<br />

„Sie kommt da hinten, Anna!“<br />

Anna drehte sich zu Martin um, der ihr zugerufen hatte.<br />

„Ach ja, ich sehe sie, zum Glück. Danke, Martin!“ Teresa kam<br />

heran <strong>und</strong> <strong>auf</strong>geregt redete Anna weiter:<br />

Wir wären fast ohne dich losgegangen. Wo warst Du bloß, Teresa?“<br />

„Auf der Toilette <strong>und</strong> dann hab ich Bücher angeguckt, als die<br />

Männer gekommen sind.“<br />

„Welche Männer denn?“, fragte Anna weiter.<br />

„Na die, die das Kastenbuch gesucht haben, mit der Katze dr<strong>auf</strong>.“<br />

„Was für ein Buch?“<br />

„Na das Kastenbuch aus Metall oder aus Gold oder was weiß ich.“<br />

„Geht’s dir auch wirklich gut Teresa?“, erk<strong>und</strong>igte sich Anna mit<br />

vorsichtig­besorgtem Blick.<br />

Frau Kuchenstück war auch dazu gekommen. Sie fasste Teresa an<br />

die Stirn. „Fühlt sich so eigenartig kalt an. Also Fieber ist es nicht.“<br />

„Mir ist nur kalt“, zitterte Teresa. „Hunger habe ich auch.“<br />

86


Teresa wurde nun durch die Reihen der Kinder gelotst <strong>und</strong> erhielt<br />

viele teilnahmsvolle Blicke. Tobias schenkte ihr extra einen<br />

``Dickers``. Nach einem Weilchen erholte sie sich wieder von ihrem<br />

Kellerausflug.<br />

Kurze Zeit später wurde durchgezählt <strong>und</strong> die Schüler ver<strong>ließ</strong>en das<br />

Museum. Unterwegs wurde in Unmengen erzählt, geschwatzt <strong>und</strong><br />

getratscht. Die Kinder hatten insgesamt einen schönen Tag erlebt.<br />

Sie waren viel gel<strong>auf</strong>en, hatten viel Neues gesehen. Die Lehrer <strong>und</strong><br />

Eltern waren zufrieden. Noch bevor die Abendsonne die Wolken<br />

am Horizont in ihr rotes Licht hüllte, war die Heimfahrt geschafft.<br />

Jeder freute sich <strong>auf</strong> sein Zuhause.<br />

87


10. Das geheimnisvolle Kastenbuch<br />

„Gib es sofort her! Soll ich erst meine Kanone raus holen? Mach<br />

Kleine! Ich bekomme es sowieso.“<br />

Düsteres Licht, Spinnweben, dazwischen faustgroße Spinnen. Die<br />

starrten sie mit gelben Augen an. Eine riesige Gestalt mit<br />

schwarzem Mantel beugte sich nieder. Sie wollte fliehen. Es ging<br />

nicht. Nur weg. Mit aller Kraft stemmte sie sich vom Buchregal ab.<br />

Da war der Kopf, verdeckt von einem großen Hut, ganz nahe<br />

88


gekommen. Zwei knochige Hände griffen nach ihr. Voll Entsetzen<br />

schaute sie unter den Hut der Gestalt. Anstelle des Gesichts klaffte<br />

ein schwarzes Loch. Sie strampelte. Das Buchregal fiel um. Ein<br />

silbriges Buch mit einer Katze dar<strong>auf</strong> leuchtete unwirklich <strong>auf</strong>. Das<br />

Buch rutschte weg. Aber die knochigen Hände kamen wieder näher.<br />

Nur weg ... dahinter zum Licht.<br />

Teresa war hoch geschreckt. Als sie richtig zu sich kam, <strong>saß</strong> sie<br />

kerzengerade im Bett. Ihre Stirn war nass geschwitzt. Anna stand<br />

am Lichtschalter, den sie wohl gerade betätigt hatte.<br />

„Du hast so im Bett herum gewackelt, dass ich dachte, ich mache<br />

lieber das Licht an. Gesprochen hast du auch irgend­ etwas. Geht’s<br />

dir gut?“<br />

„Ja, ja ich glaub wegen <strong>dem</strong> Buch, Anna. Ein schlechter Traum<br />

meine ich. Ich hab dir ja gestern noch von den Männern da im<br />

Museum erzählt.“<br />

Teresa war jetzt ganz wach geworden. Sie atmete immer noch<br />

hastig. Doch das Licht im Zimmer wirkte beruhigend. Sie trank<br />

einen Schluck Mineralwasser. Dann überprüfte sie schnell ihre<br />

Kuscheltiere, die durchaus noch an ihrem Platz waren. Auch <strong>Susi</strong><br />

lag zusammengerollt <strong>auf</strong> ihrer Decke.<br />

„Du Anna, wie spät ist es denn?“<br />

Anna war inzwischen wieder zurück ins Bett gekrochen. Sie<br />

schliefen beide in einem Doppelstockbett. Von oben entgegnete sie:<br />

„Es ist gleich halb fünf, Teri. Wir haben noch Zeit. Komm schlaf´<br />

weiter! Wir lassen die kleine Lampe an.“<br />

Erst jetzt fiel Anna ein, dass auch sie irgendetwas von einem<br />

silbrigen Buch geträumt hatte. Wahrscheinlich kam es von Teresas<br />

Erzählung.<br />

„Du Teri, hat das Buch bei dir im Traum auch so geleuchtet?“<br />

89


„Wieso? Hast du auch was geträumt? Meinst du wie Silber<br />

geleuchtet?“ Teresa setzte sich wieder <strong>auf</strong>.<br />

„Ja so ähnlich aber auch gelb <strong>und</strong> die Katze hat wie Gold<br />

geglänzt?“<br />

„Ja, die Katze war wie aus Gold! Das Buch ist dazu immer so<br />

geschwebt, nicht? Woher weißt du das, Anna?“<br />

„Keine Ahnung, Teri. Ist ja verrückt, was? Ein Schwebebuch das<br />

leuchtet. Und jetzt haben wir fast noch das Gleiche geträumt.“<br />

Anna <strong>saß</strong> nun auch in ihrem Bett. Die Mädchen unterhielten sich<br />

weiter über ihre merkwürdigen Träume.<br />

„Du hast doch gesagt, da wäre so ein Dreieck oben gewesen,<br />

nicht?“<br />

„Ja <strong>und</strong> noch ein kleines Dreieck in <strong>dem</strong> großen drin. Das<br />

Katzenzeichen war ja nur <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Buchrücken.“<br />

„Hast du was mit <strong>dem</strong> Buch gemacht, Teri?“<br />

„Nein, es ging ja nicht <strong>auf</strong>. Ich hab es bloß angefasst <strong>und</strong> ein paar<br />

Mal umgedreht.“<br />

„Komisch, na ja das ist eben die Aufregung. Du hast dich bestimmt<br />

zu sehr gefürchtet. Komm, wir stehen <strong>auf</strong>! Es ist gleich sechs Uhr.<br />

Ich kann sowieso nicht mehr schlafen. Da kann ich gleich noch ein<br />

bisschen für Mathe lernen."<br />

„Mir ist schon wieder so kalt, Anna. Ich werde gleich warme Milch<br />

trinken.“<br />

Die Mädchen erhoben sich aus den Betten. Beim Zähneputzen<br />

trafen sie <strong>auf</strong> ihre Eltern, die auch gerade <strong>auf</strong>gestanden waren.<br />

„Na ihr zwei, so früh <strong>auf</strong>? Wollt ihr warme oder kalte Milch, oder<br />

lieber Tee?“, fragte der Papa.<br />

„Ganz viel warme Milch mit Honig, bitte.“<br />

„Für mich kalte Milch bitte“, bestellte Anna.<br />

90


Zum Frühstück gab es dann Haferflocken, Quark, ein paar Stücke<br />

frische Ananas sowie die gewünschten Getränke.<br />

„Du siehst aber heute recht blass aus, Teresa?“<br />

Die Mama war ins Zimmer gekommen. Besorgt schaute sie ihre<br />

Tochter an.<br />

„Tut dir was weh? Oder hast du dich vielleicht erkältet, bei eurer<br />

Reise gestern?“<br />

„Nee, mir ist nur so kalt. Ich weiß auch nicht warum.“<br />

Die Mama nahm Teresas Hand <strong>und</strong> sagte:<br />

„Die ist wirklich eiskalt. Na wenn’s nicht besser wird oder du<br />

bekommst Fieber, dann gehen wir vielleicht doch mal zum Arzt.<br />

Deine Augen glänzen auch ein bisschen. Vielleicht eine Art<br />

Schüttelfrost.“<br />

Teresa trank zwei Tassen ihrer warmen Milch. Sie fühlte sich sofort<br />

besser. Ihr kam es aber vor, als würde nicht der Frühling sondern<br />

der Winter beginnen. Irgendwie sehnte sie sich ganz unbewußt<br />

nach jeder Art von Wärme.<br />

„Teresa kannst du mir heute mal dein Dreieck borgen? Ich finde<br />

meines nicht“, rief Anna aus <strong>dem</strong> Kinderzimmer.<br />

„Ja, guck mal in meine Schultasche, vorn irgendwo.“<br />

Anna suchte in der Tasche ihrer Schwester. Sie konnte aber auch<br />

dort kein Dreieck finden. Wo die Dinger bloß sind, dachte sie.<br />

Gerade heute würde sie zum Zeichnen für Geometrie so ein Dreieck<br />

benötigen. Da fiel ihr Blick <strong>auf</strong> die Rucksäcke, die sie gestern beim<br />

Ausflug benutzt hatten. Ein paar Malstifte nahmen sie ja immer mit.<br />

Aber die Zeichendreiecke? Anna öffnete aber doch ihren Rucksack,<br />

um sich zu vergewissern. Ein Block <strong>und</strong> ein paar Stifte kamen ihr<br />

entgegen. Danach griff sie in Teresas Rucksack <strong>und</strong> fand auch kein<br />

Dreieck. Plötzlich fühlte sie unter irgendwelchen Stoffteilen etwas<br />

91


Hartes. Bestimmt hatte Teresa wieder mal irgendwelche Dosen,<br />

Löffel oder sonst etwas über Wochen gehortet <strong>und</strong> nicht<br />

ausgepackt. Anna griff tiefer. Sie zog die Stoffstücken mitsamt<br />

einem recht schweren Gegenstand aus <strong>dem</strong> Rucksack. Nun aber<br />

erschrak sie <strong>und</strong> erstarrte <strong>auf</strong> der Stelle. Dann riss sie die Augen<br />

<strong>auf</strong>. In ihrer Hand, unter einer alten Strumpfhose kam ein silbrig<br />

glänzendes Buch zum Vorschein. Es ähnelte der Verpackung einer<br />

Videokassette oder buchartigen Schatulle. Anna konnte deutlich das<br />

Profil einer Katze <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> uralten Buchrücken erkennen. Die Katze<br />

glänzte goldfarben. Annas Hände zitterten vor Aufregung. Deutlich<br />

spürte sie eine Welle der Kälte, die in sie strömte. Anna brachte<br />

kein Wort heraus <strong>und</strong> spreizte die Finger reflexartig nach vorn aus.<br />

Sie <strong>ließ</strong> das Buch einfach wieder zurück in den Rucksack fallen.<br />

Dann schob sie diesen mit <strong>dem</strong> Fuß in eine Ecke <strong>und</strong> stellte noch<br />

einen Stuhl davor. Gebannt starrte sie noch zweimal in die Ecke mit<br />

<strong>dem</strong> Sack. Ihre Schwester würde doch nicht etwa ... Fluchtartig<br />

ver<strong>ließ</strong> sie dann das Zimmer.<br />

„Nein hab ich wirklich nicht, Anna! Glaub mir doch! Ich hab es<br />

gleich wieder zurück gestellt. Wirklich!“<br />

Teresa kullerten die Tränen die Wange hinab. Sie standen etwas<br />

abseits <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Schulhof. Die große Pause war fasst vorbei. Anna<br />

sprach eindringlich mit ihrer Schwester. „Vielleicht wolltest du es<br />

nur zurück stellen oder das Buch ist aus Versehen in den Rucksack<br />

gerutscht. Du hast dich doch gebückt, oder?“<br />

„Ja schon. Der Rucksack war aber die ganze Zeit <strong>auf</strong> meinem<br />

Rücken. Ich wollte da unten so schnell wie möglich weg. Ich hab’s<br />

nicht mitgenommen.“<br />

92


Teresa schüttelte wiederholt den Kopf. Dann sah sie Anna mit<br />

verweinten Augen unglücklich an.<br />

Anna sah den hilflosen Blick in ihren Augen. Ihre Schwester hatte<br />

mal ein paar Kaugummis unbemerkt mitgenommen, aus einem<br />

Supermarkt. Sie war damals aber noch so klein <strong>und</strong> es war bestimmt<br />

keine böse Absicht. Eher waren die Kaugummis damals an Teresa<br />

vorbei gekommen.<br />

„Gut ich glaub dir schon, Teri. Hier nimm mal mein Taschentuch.<br />

Vielleicht hat jemand das Buch unbemerkt in deinen Rucksack<br />

geschmuggelt, um es später abzuholen.“<br />

„Ja bestimmt, Anna.“ Teresa wischte sich die Tränen ab.<br />

„Aber, was sollen wir jetzt machen? Die werden im Museum<br />

denken, ich hätte es gestohlen.“<br />

Anna dachte mit gespitzten Lippen nach.<br />

„Du, wir schaffen es einfach wieder zurück. Am Wochenende<br />

machen wir doch immer einen Ausflug. Wir erzählen Mama <strong>und</strong><br />

Papa wie schön es an der Donau war. Vielleicht kommen sie mit ins<br />

Museum. Ah, ich hab’s. Wir sagen das die Gastausstellung nur noch<br />

am Wochenende zu sehen ist <strong>und</strong> wir sollen einen Aufsatz darüber<br />

schreiben. Dann kommen sie bestimmt mit <strong>und</strong> wir stellen das Buch<br />

einfach ins Regal zurück, ja?“<br />

Teresa beruhigte sich etwas. Wohl fühlte sie sich jedoch nicht in<br />

ihrer Haut. Wie war das verflixte Ding bloß in ihre Tasche<br />

gekommen? Das Buch musste einfach schnell zurück. Daran führte<br />

kein Weg vorbei. Erst dann wäre sie wieder zufrieden.<br />

„Ja gut, Anna. Machen wir es so. Aber sag niemand etwas. Mir ist<br />

so furchtbar kalt. Komm wir gehen rein.“<br />

Auch Anna fühlte sich nicht besonders wohl. Kalte Schauer liefen<br />

ihr über den Rücken. Sie schüttelte sich im Unterricht wie bei einer<br />

93


Grippe <strong>und</strong> spürte regelmäßig eine Gänsehaut <strong>auf</strong> ihren Armen.<br />

Plötzlich durchzuckte sie der Gedanke, dass das ständige<br />

Kältegefühl etwas mit <strong>dem</strong> geheimnisvollen Kastenbuch zu tun<br />

haben könnte. Sie hatte das Buch ja heute am frühen Morgen kurz<br />

berührt. Eigentlich nur einmal. Ja <strong>und</strong> erst dann ging es mit den<br />

Kälteschauern los. Teresa klagte ja auch ständig. Sollte das ganze<br />

wirklich mit <strong>dem</strong> Buch im Zusammenhang stehen? Vielleicht sogar<br />

eine unbekannte Krankheit? Das wäre ja furchtbar. Dann fiel ihr<br />

noch ein, dass die beiden Männer, die Teresa beschrieben hatte, das<br />

Buch suchen könnten. Und das vielleicht nicht nur in der alten<br />

Bibliothek. Anna schüttelte sich wieder. Trotz der<br />

Kälteempfindungen versuchte sie, <strong>dem</strong> Unterricht zu folgen.<br />

Gleich nach der Schule machten sich die beiden Mädchen eilig <strong>auf</strong><br />

den Weg zurück nach Hause. Die Mittagssonne wärmte ihre<br />

Gesichter. Unbewußt streckten sie sich <strong>dem</strong> Sonnenlicht entgegen.<br />

„Sie sind kernges<strong>und</strong> würde ich sagen. Kein Fieber oder Husten. Im<br />

Gegenteil ­ sie kommen mir eher etwas unterkühlt vor.“<br />

Der Arzt schaute <strong>auf</strong> das Thermometer. Dabei schüttelte er den<br />

Kopf.<br />

„Nur etwas über sechs<strong>und</strong>dreißig Grad, ist ja merkwürdig.<br />

Vielleicht haben sie ein bisschen Vitaminmangel, jetzt im Frühjahr.<br />

Geben sie ihnen viel frisches Gemüse, auch Obst <strong>und</strong> Säfte dazu!<br />

Wenn sich nichts ändert, kommen sie bitte in zwei Wochen noch<br />

einmal wieder!“ Dann wandte er den Blick zur Mutter <strong>und</strong><br />

verabschiedete sich.<br />

94


„Kommt, wir holen gleich neues Gemüse <strong>und</strong> ein paar<br />

Vitaminsäfte! Ich <strong>und</strong> der Papa können auch etwas davon<br />

gebrauchen.“ Damit gingen die Mama, Anna <strong>und</strong> Teresa eink<strong>auf</strong>en.<br />

„Du, Mama?“<br />

„Ja, Schatz?“<br />

„Machen wir am Wochenende wieder einen Ausflug?“<br />

„Ja wahrscheinlich. Wenn es euch besser geht. Ich weiß bloß noch<br />

nicht genau wohin.“<br />

„Können wir nicht in das Museum fahren?“<br />

„Wohin?“<br />

„In das Museum, wo wir schon beim Schulausflug waren.“<br />

Teresa schaute beim Sprechen zu ihrer Schwester, als suche sie<br />

deren Unterstützung.<br />

Anna begann:<br />

„Mama, dahin wo die Kunstschätze aus <strong>dem</strong> Pergamonmuseum zu<br />

Gast sind. Nur noch dieses Wochenende. Wir sollen auch eine<br />

Arbeit darüber schreiben. Ihr solltet das auch mal sehen. Außer<strong>dem</strong><br />

haben wir es von der Zeit her gar nicht geschafft, alles<br />

anzugucken.“ Sie schilderte das Museum. Teresa nickte ab <strong>und</strong> zu<br />

<strong>und</strong> ergänzte die Ausführungen ihrer Schwester.<br />

„Ja, warum nicht. Ich bespreche es heute Abend mit eurem Papa.“<br />

Am gleichen Abend schon wurde der Familienausflug <strong>auf</strong> den<br />

nächsten Samstag festgelegt. Die Kinder hatten gemeint, dass<br />

Sonntag zu viele Leute unterwegs wären oder das Museum hätte<br />

schon geschlossen. Der Rucksack aber, mit <strong>dem</strong> geheimnisvollen<br />

Buch, wurde vorsichtig in einem leeren Schrankfach versteckt. Mit<br />

einer Decke verhüllt würden ihn die Eltern kaum finden.<br />

„Bis gleich. Wir gehen mit Anna nur mal schnell <strong>auf</strong> die Toilette.“<br />

95


„Soll ich euch begleiten?“, fragte die Mama.<br />

„Nein, nein. Das ist nicht weit. Wir sind gleich zurück.“<br />

Teresa trabte schon die Treppe hinab, so dass ihr Anna kaum folgen<br />

konnte. Schnell erkannte sie den dunklen Gang. Sie erreichten die<br />

alte Bibliothek. Vorsichtig traten sie ein.<br />

„Ist ja total dunkel hier.“<br />

„Ja Anna, leise!“<br />

Sie lauschten angespannt. Bis <strong>auf</strong> ihre eigenen Schritte war aber<br />

kein weiteres Geräusch zu hören.<br />

„Ich glaube wir sind allein, komm!“<br />

Teresa zog die Schwester durch die Gänge zwischen den vielen<br />

Regalen<br />

„Hier unten warst du eine St<strong>und</strong>e alleine, Teresa? Na danke.“<br />

Sie waren im hinteren Teil der Bibliothek angekommen. Mühsam<br />

versuchte sich Teresa, an den Bücherregalen zu orientieren. Eine<br />

Taschenlampe mitzunehmen, wäre besser gewesen. Ihnen fiel <strong>auf</strong>,<br />

dass viele Bücher unordentlich eingeräumt waren. Einige lagen<br />

sogar kreuz <strong>und</strong> quer in den Regalen herum, gerade so, als hätte<br />

jemand darin gewühlt.<br />

„Da ist es. Ja, es war hier, in der Nähe des Ganges.“<br />

Teresa bückte sich. Sie tastete mit den Fingern nach unten.<br />

„Gib es her!“, flüsterte sie.<br />

Anna hatte sich extra einen Wollhandschuh mitgebracht. Sie zog<br />

das so merkwürdige Buch aus ihrem Rucksack. Teresa schob es<br />

schnell in die kleine Lücke im unteren Regalfach. Als sie wieder<br />

<strong>auf</strong>stand seufzte sie erleichtert:<br />

„Zum Glück, komm, schnell weg hier!“<br />

Anna folgte ihr, schrie aber sogleich grell <strong>auf</strong>. Ihr Schrei hallte<br />

durch den Keller. War da nicht ein Schatten über die Wand<br />

96


geglitten? Die kleine, alte Lampe über einem Regal wackelte vor<br />

ihr. Ihr fielen sofort die Männer wieder ein. Bloß raus hier unten.<br />

Die Mädchen beschleunigten ihre Schritte <strong>und</strong> hasteten zur Tür<br />

zurück. Kurz hinter ihnen huschte dann etwas über den Gang.<br />

Vielleicht war es eine Maus, die sich vor den Stimmen gefürchtet<br />

hatte?<br />

Gut gelaunt trat man die Heimreise an. Den Eltern war der Ausflug<br />

mit den langen Spaziergängen gut bekommen. Der Papa betastete<br />

den leichten Speckansatz an seinem Bauch <strong>und</strong> nickte zufrieden.<br />

Die Mama studierte ein Prospekt aus <strong>dem</strong> Museum. Teresa<br />

entwickelte langsam wieder ihr altes Temperament, obwohl ihre<br />

Augen immer noch glänzten. Anna las in einem Lexikon über<br />

Katzen. Sie hatte ihre Jacke im Zug anbehalten.<br />

Zum Abendessen gab es die größte Gemüse­ <strong>und</strong> Obstplatte aller<br />

Zeiten. Die Eltern bereiteten alles gemeinsam vor. Große, blaue<br />

Weintrauben r<strong>und</strong>eten die mangostreifen­ <strong>und</strong> ananasgeschmückten<br />

Teller ab. Roter Paprika, Tomaten mit Zwiebelringen sowie jede<br />

Menge grüner Salat bildeten die Gemüsefront. Der Saft wurde mit<br />

einer Handpresse direkt aus kiloweise Orangen gepresst. Dazu gab<br />

es Quark mit Leinöl, Eiersalat <strong>und</strong> Heringshappen <strong>auf</strong><br />

Leinsamenbrot. Robi <strong>und</strong> <strong>Susi</strong> waren auch angerückt, um sich die<br />

Heringsstücke nicht entgehen zu lassen.<br />

Etwa zur gleichen Zeit, ganz in der Nähe:<br />

„Mr. XX7? Können sie mich hören? Hier ist General Bomb.“<br />

„Rums.“ Es bumste etwas am Telefon.<br />

97


„Ja Sir, ich höre sie. Ich habe sie in der Leitung <strong>auf</strong> Supersecurity<br />

über unseren Satelliten Blackbaby.“<br />

„Gut. Haben sie das Kastenbuch?“<br />

„Leider nein, Sir. Wir ... “<br />

„Was, sie haben es nicht gef<strong>und</strong>en?“<br />

„Noch nicht, Sir.“<br />

„Was heißt noch nicht? Sie haben doch den Koordinator. Wo sind<br />

sie jetzt?“<br />

„Sir, in Deutschland.“<br />

„Und wo in Deutschland, verdammt noch mal?“<br />

General Bomb schrie jetzt sichtlich erregt ins abhörsichere Telefon.<br />

„In Süddeutschland, in der Nähe von Stuttgart, Sir.“<br />

„Mr. X, äh XX... ! Können sie sich denn keinen vernünftigen<br />

Namen zulegen, sie Mensch?“<br />

„Sir, den Namen gaben sie mir doch wegen der Tarnung.“<br />

„Ich? Ja, ja also Mr. äh... XXY, sie wissen doch genau wie wichtig<br />

die Mission ist. Der Ministrator erwartet Erfolge. Sogar der<br />

Präsidentator hat sich schon dafür interessiert. Wissen sie eigentlich<br />

was das bedeutet?“<br />

„Nein, Sir?“<br />

„Es geht um ein sehr wichtiges Projekt von höchstem Interesse, sie<br />

Schwachkopf! Ich muss nachher gleich die Forschungsbasis<br />

unterhalb von Las Ve..., äh, äh ich meine natürlich, ich muss in der<br />

Wüste anrufen. Holen sie mir das Buch, Mann!“<br />

„Sir, aber das Signal vom Koordinator ist seit gestern schwächer<br />

geworden. In der Bibliothek war es auch nicht. Wir haben alles<br />

durchgesucht.“<br />

Es folgte eine kurze Pause. Dann hörte man ein paar gurgelnde<br />

Laute, denen ein kräftiger Wutausbruch nacheilte. Mr. XX7 kannte<br />

98


seinen zornigen Chef <strong>und</strong> hielt deshalb das Satellitentelefon etwas<br />

vom Ohr ab. Nach einer knappen Minute hatte sich General Bomb<br />

aber wieder etwas beruhigt <strong>und</strong> sagte:<br />

„Hören sie! Unsere Forschungen haben ergeben, dass sich das<br />

Energiefeld des Kastenbuches immer mehr sch<strong>ließ</strong>t, wenn es höhere<br />

Lebewesen berühren. Wir wissen nicht genau warum das so ist. Der<br />

Koordinator empfängt dann immer schwächere Signale. Vermeiden<br />

sie also, sollten sie es finden, den direkten Kontakt. Benutzen Sie<br />

immer die Spezialhandschuhe! Und jetzt suchen sie endlich weiter!<br />

Das Zeitfenster, äh die, äh Zeit bleibt sch<strong>ließ</strong>lich nicht stehen. In<br />

drei Tagen erwarte ich ihre Meldung über die Frequenz zero­zeroseven­two,<br />

äh über SS­ Blackbaby, klar?“<br />

„Sir, klar äh, ja Sir.“<br />

Der nächste Tag begann. Die Kinder waren wie gewohnt<br />

<strong>auf</strong>gestanden. Teresa stellte sich gleich unter die warme Dusche. Ihr<br />

Kältegefühl wollte einfach nicht verschwinden. Gestern hatte sie<br />

aber bemerkt, dass ihr jegliche Art von Wärme <strong>und</strong> besonders<br />

Sonnenlicht sofort wohl taten. Sie stand noch mit <strong>dem</strong> Handtuch in<br />

der Hand im Bad als Anna herein stürzte. Mit zitternder Stimme rief<br />

Anna:<br />

„Es ist wieder da, Teri! Das Buch! Ich hab es gerade in meinem<br />

Rucksack entdeckt.“<br />

Teresa entglitt das Badetuch. Entgeistert schauten sich die Mädchen<br />

an. Für einen Moment herrschte Stille. Anna stand wie geschockt an<br />

der Badtür. Sie konnte es einfach nicht glauben. Angst kam <strong>auf</strong>.<br />

Teresa fragte fassungslos:<br />

„Das Kastenbuch? Es ist wieder da? Einfach so?“<br />

„Ja.“<br />

99


„Oh nein! Das kann doch nicht war sein.“<br />

„Doch Teri. Ich hab dreimal nachgeschaut, um es einmal zu<br />

glauben.“ Anna senkte den Kopf. Sie w<strong>und</strong>erte sich über ihren<br />

eigenen Humor in dieser Lage. Teresa war kaum bei der Sache, als<br />

sie das Badetuch langsam wieder <strong>auf</strong>hob.<br />

„Ist ja wie verhext! Nun siehst du es selber. Warte, ich komme<br />

gleich raus.“<br />

Teresa zog sich ihre Kleidung über. Dann schlichen sie in das<br />

Kinderzimmer zurück. Alles war wie immer. Nur das<br />

geheimnisvolle silbrige Buch war da.<br />

„Wir können doch nichts dafür“, meinte Anna leise.<br />

„Stimmt. Das Buch hat uns eben gern. Es will halt nicht weg.“<br />

Teresa zuckte beim Sprechen hilflos mit den Schultern. Was immer<br />

das Buch bei ihnen wollte ­ es tat ihnen ja nichts.<br />

„Wollen wir’s nicht doch lieber Mama <strong>und</strong> Papa zeigen“, fragte sie<br />

dann aber ihre Schwester.<br />

„Das glaubt uns doch eh keiner, Teri. Die werden alle sagen, wir<br />

hätten es gestohlen. Komm, wir gehen erst mal in die Schule! Dann<br />

überlegen wir weiter.“<br />

­ Nun passiert es wirklich nicht alle Tage, dass fremde Bücher<br />

<strong>auf</strong>tauchen, die man Kilometer weit weg abgestellt oder gar nicht<br />

mitgenommen hat. Trotz<strong>dem</strong> verschwand im L<strong>auf</strong>e des Tages die<br />

größte Aufregung über das ungeheure Ereignis. Teresa dachte sogar<br />

mal einige St<strong>und</strong>en nicht an das Buch. Anna überlegte hin <strong>und</strong> her,<br />

konnte aber auch nicht zu einem klaren Ergebnis kommen.<br />

Niemand aber fragte den Tag über nach einem Buch. Auch kein<br />

Museum rief an. So schlimm konnte es also gar nicht sein mit <strong>dem</strong><br />

Buch. Sie hatten es ordnungsgemäß ins Regal gestellt, genau wie<br />

100


Teresa schon vor einer Woche, als sie es entdeckte. Und wenn das<br />

Buch nicht in der Bibliothek bleiben wollte, bitte schön, dann war<br />

es seine eigene Schuld. ­<br />

Am Nachmittag gingen sie schon viel gelassener zu Werke.<br />

„Wir schauen uns das erst mal ganz genau an, Teresa. Mein Plan ist,<br />

dass wir das Buch einfach mal untersuchen. Vielleicht ist es ein<br />

W<strong>und</strong>erbuch. Oder was meinst du?“<br />

Teresa bekam ganz große Augen <strong>und</strong> meinte:<br />

„Stelle dir vor Anna, es ist ein Zauberbuch oder so etwas. Ich<br />

wünsch´ mir dann gleich ein Pferd oder ein, einen Dinosaurier.“<br />

„Ja klar, Dinosaurier.“ Anna tippte sich an die Stirn. „Zauberbuch<br />

glaube ich aber nicht. Es hat ja nicht mal Seiten. Aber irgendetwas<br />

muss ja an <strong>dem</strong> Ding dran sein, was?“<br />

Sie holten das Buch aus <strong>dem</strong> Rucksack. Vorsichtig legten sie es <strong>auf</strong><br />

den Schreibtisch in ihrem Zimmer. Es mochte etwa zwei Kilo<br />

wiegen. Für ein normales Buch war es sicher zu schwer. Der<br />

Durchmesser betrug vielleicht vier bis fünf Zentimeter. Alles war<br />

schwarz­silbrig, bis <strong>auf</strong> die Katze <strong>und</strong> die Dreiecksfiguren. Anna<br />

fuhr mit <strong>dem</strong> Finger über die Katze <strong>und</strong> spürte deutlich die<br />

Erhebungen wie bei einem Relief.<br />

„Mach mal bitte die Jalousie runter, Teresa!“<br />

Und genau wie sie es vermutet hatten, leuchtete die Katzenfigur in<br />

einem matten Gelbton, als es im Zimmer dunkler wurde.<br />

„Wie Gold, nicht?“<br />

„Ja, so ähnlich.“<br />

Sie pochten mit den Fingern gegen das Buch. Es klang dumpfmetallisch.<br />

Behutsam legten sie die Hände <strong>auf</strong> die Oberfläche. Kühl<br />

stieg es in die Finger, obwohl es im Raum nicht kalt war.<br />

101


Nun wandten sie sich den Dreiecken zu. Im Gegensatz zum<br />

Katzenrelief lagen diese wie eingraviert, etwas unterhalb der<br />

Oberfläche. Die Farbe der Umrandungen war auch goldschimmernd,<br />

wirkte aber durch die schmalen Linien dunkler.<br />

„Sieht gleich lang aus. Die Seiten ­ meine ich.“<br />

Anna nahm ein Lineal. Damit vermaß sie die Seiten der Dreiecke.<br />

Sie be<strong>saß</strong>en haargenau die gleiche Länge.<br />

„Ja weißt du was das darstellt, Teresa?“ Anna fiel ihr<br />

Mathematikunterricht ein.<br />

„Nein?“<br />

„Du, das ist ein gleichseitiges Dreieck! Ja! Die Unterseite läuft<br />

parallel zur unteren Buchkannte. Die beiden anderen Seiten gehen<br />

gleichmäßig ausgerichtet zur Spitze. Sieht aber auch aus wie die<br />

Seite einer Pyramide.“<br />

„Von mir aus. Eine Babypyramide hat sie aber auch noch drin. Da<br />

gibt´s doch die Kamele, nicht?“ Teresa sprach <strong>und</strong> war fast wieder<br />

die alte.<br />

Genau in der Mitte des Pyramidendreiecks lief eine Linie <strong>und</strong> teilte<br />

das Dreieck parallel zur unteren Seite. Dann zogen sich, von den<br />

Begrenzungen aus, zwei Seiten nach unten. Sie trafen in einer<br />

Spitze direkt in der Mitte <strong>auf</strong> der unteren Seite des großen Dreiecks<br />

zusammen. So konnte man also vier *Dreiecke gleicher Größe<br />

erkennen.<br />

*So fanden Anna<br />

<strong>und</strong> Teresa<br />

102


die Dreiecke vor<br />

„Stimmt, Teresa! Das kleine Dreieck ist sogar etwas heller. Guck<br />

mal! Auf <strong>dem</strong> Kopf steht es auch.“<br />

Teresa <strong>saß</strong> etwas weiter weg. Sie drehte ihren Kopf, um die Figuren<br />

genauer betrachten zu können.<br />

„Na wenn ich so gucke, steht die kleine Pyramide gerade <strong>und</strong> die<br />

große Kopf.“ Das Wort Pyramide gefiel ihr recht gut.<br />

„Ja, na eben“, bestätigte Anna, „wie man das Buch halt dreht.“<br />

Anna begann, das Buch um seine Achse zu drehen. Sie bewegte es<br />

langsam <strong>und</strong> wollte die Kopf stehenden Dreiecke beobachten.<br />

„Sieh nur, die Katze!“<br />

Teresa war <strong>auf</strong>gesprungen. Sie zeigte <strong>auf</strong>geregt <strong>auf</strong> den<br />

Buchrücken, der Anna gerade abgewandt war. Die Farbe der Katze<br />

war jetzt viel intensiver geworden. Wie helles Gold glänzte das<br />

Relief.<br />

„Sie leuchtet richtig, Anna! Schau nur! Das ist ja verrückt!“<br />

Anna beugte sich über das Buch. Tatsächlich konnte man meinen,<br />

ein Lichtsignal ginge von der goldenen Katze aus. Sie schob das<br />

Buch etwas weiter. Das Leuchten wurde matter. Langsam merkten<br />

die Mädchen, dass die Helligkeit des Katzenreliefs mit der<br />

Drehrichtung des Buches zu tun hatte. Immer wenn die eine Spitze<br />

des großen Dreiecks in eine besondere Lage oder Richtung kam,<br />

verstärkte sich das Leuchten. Stimmte diese Richtung nicht, wurde<br />

es schwächer oder verschwand bis <strong>auf</strong> einen geringen Rest.<br />

103


Auf einmal klingelte es an der Haustür. Die Mädchen schreckten<br />

hoch, so sehr waren sie in ihre Entdeckung versunken. Teresa lugte<br />

durch die Gardine, machte aber das Fenster nicht <strong>auf</strong>. Ein paar<br />

Jungen standen <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Gehweg. Sie trugen Bälle in der Hand.<br />

Sicher wollten sie spielen <strong>und</strong> hatten deshalb geklingelt. Auf der<br />

anderen Straßenseite bauten zwei Männer an einer Toreinfahrt.<br />

Dann klingelte es nochmals, allerdings an der Wohnungstür. Anna<br />

näherte sich etwas der Tür, öffnete aber nicht. Im Hausflur<br />

entfernten sich Schritte. Keinesfalls wollten sie jetzt spielen oder<br />

jemanden zu Besuch bekommen. Teresa fielen auch die Männer aus<br />

<strong>dem</strong> Keller wieder ein.<br />

„Ganz ruhig, ich bin ja nicht nervös“, sagte sie leise vor sich hin.<br />

Danach experimentierten sie noch ein bisschen weiter. Es gelang<br />

nur nicht, in irgendeiner Weise an den Inhalt des Buches zu<br />

kommen. Sicher gab es diesen Inhalt. Sie vermuteten es jedenfalls.<br />

Welchem Zweck diente eine leuchtende Katzenabbildung? Wozu<br />

waren die Dreiecke da? Sie mussten doch einen Sinn erfüllen, wie<br />

das ganze Buch auch? Es taten sich Fragen über Fragen <strong>auf</strong>. Anna<br />

kniff die Augen zusammen: „Du Teresa? Die Kälte hat auch was<br />

damit zu tun.“<br />

„Glaubst du?“<br />

„Ja, jetzt schon. Hier ist alles möglich. Hast du gemerkt, dass es mit<br />

<strong>dem</strong> ständigen Frieren erst anfing, als wir das Buch angefasst<br />

hatten?“<br />

„Ah, ja stimmt, Anna. Ich bekomme schon wieder Angst. Hör bloß<br />

<strong>auf</strong>!“<br />

„Bleib ruhig! Mehr ist ja nicht passiert, Teri. In der Sonne merke<br />

ich fast überhaupt kein Kältegefühl. Und du?“<br />

„Ja, mich zieht es auch immer in die Wärme, stimmt.“<br />

104


„Wir müssen einfach öfter in die Sonne gehen“, überlegte Anna.<br />

„Aber was hat das denn mit <strong>dem</strong> Buch zu tun, das uns so kalt ist?“<br />

Teresa sprach schon wieder etwas gequält.<br />

„Ich weiß es doch auch nicht. Morgen sehen wir weiter. Komm, wir<br />

packen es wieder gut weg!“<br />

Am Abend, im Bett, besprachen sie sich noch lange. Sollten sie<br />

noch einmal ins Museum fahren? Was sollten sie ihren Eltern dazu<br />

sagen <strong>und</strong> ob das Sinn hätte? Vielleicht später. Ein merkwürdiges<br />

Buch wollte also nicht von ihnen weichen. Dazu strahlte es ständig<br />

Kälte aus, die sich möglicherweise <strong>auf</strong> die Personen übertrug, die es<br />

berührten. Nun leuchtete es auch noch, wenn man es drehte. Hier<br />

war aber jetzt auch wirklich alles möglich. Das machten sich die<br />

beiden tapfer klar. Wieder einmal einträchtig, beschlossen sie<br />

heraus zu finden, was es mit Buch <strong>und</strong> Dreiecken <strong>auf</strong> sich hatte.<br />

Teresa erfand zu später St<strong>und</strong>e dann noch den Begriff<br />

``Kühlmetallunbekanntbuch mit Goldkatzendrehleuchteffekt``.<br />

105


11. Die Verfolger<br />

Martin trottete gelangweilt die Straße entlang. Die Haus<strong>auf</strong>gaben<br />

waren erledigt. Er war heute schneller fertig geworden als sonst.<br />

Die Sprache bereitete ihm gewiss noch Schwierigkeiten, wie er sich<br />

selbst zugestand. Erst vor einem halben Jahr war er, gemeinsam mit<br />

Eltern <strong>und</strong> Geschwistern, aus Russland gekommen. Soviel er<br />

wusste, war seine Familie ehemals deutscher Abstammung. Vor<br />

etlichen Jahren siedelten sich die Vorfahren, aus Schlesien<br />

kommend, in Russland an. Irgendwo in <strong>dem</strong> riesigen Land in der<br />

Nähe der Wolga fanden sie eine neue Heimat. Martin wusste keine<br />

genauen Einzelheiten. Selbst die Oma, die lieber russisch sprach,<br />

erzählte auch nur, was sie selbst gehört hatte. Es musste jedenfalls<br />

eine lange, abenteuerliche Zeit voller Entbehrungen gewesen sein.<br />

Als sie in der kleinen Stadt in Deutschland eintrafen, erweckte das<br />

natürlich viele neue Hoffnungen. Es begann zu<strong>dem</strong> ein ganz neues<br />

Leben. Alles war ungewohnt. Die eng bebauten Straßen, der viele<br />

106


Verkehr, die neuen Gesichter in der Schule. Der Rummel in der<br />

Stadt <strong>und</strong> in den Eink<strong>auf</strong>smärkten war nicht zu vergleichen mit <strong>dem</strong><br />

ruhigen Leben im Dorf, aus <strong>dem</strong> Martin kam. Hier gab es so<br />

unendlich viele verlockende Sachen zu k<strong>auf</strong>en, die er noch nie<br />

gesehen hatte. Alles schien in Deutschland organisierter <strong>und</strong><br />

schneller abzul<strong>auf</strong>en. Trotz<strong>dem</strong> fehlte ihm manchmal die erhabene<br />

Weite, die Ruhe der russischen Landschaft, voll von Geheimnissen<br />

<strong>und</strong> Abenteuer.<br />

Nach einiger Zeit gewöhnte sich der Junge aber an die neue Heimat.<br />

Weil er jetzt täglich die Schule besuchen konnte, besserten sich<br />

auch rasch seine Sprachkenntnisse. Anfangs schauten ihn manche<br />

Schüler noch verw<strong>und</strong>ert an, wenn er mit seinem harten Akzent<br />

sprach. Einige Jungs mieden ihn sogar. Doch jetzt hatte er schon ein<br />

paar Fre<strong>und</strong>e gewonnen, besonders unter den Mädchen.<br />

Als er vor einer halben St<strong>und</strong>e vor <strong>dem</strong> Haus bei Teresa klingelte,<br />

erhoffte er sich, ihre hübschen blonden Haare zu sehen. Vielleicht<br />

würde sie mit ihm zum Spielplatz gehen oder am nahe gelegen<br />

Waldrand nach seltenen Steinen suchen.<br />

Weil aber niemand öffnete <strong>und</strong> die anderen Jungen nicht mit ihm<br />

spielen wollten, ging er jetzt ziellos seines Weges.<br />

Nach der Bushaltestelle überquerte er die Straße. Er traf <strong>auf</strong> die<br />

kleine Brücke über <strong>dem</strong> schmalen Fluss. Einen Moment<br />

beobachtete er die sanfte Strömung. Sogar einige Fische waren im<br />

seichten Wasser zu erkennen. Da packte ihn <strong>auf</strong> einmal eine harte<br />

Hand von hinten. Er drehte sich erschrocken um.<br />

Vor ihm standen zwei große Männer in schwarzen Mänteln. Sie<br />

trugen Hüte mit breiten Krempen. Die abgedunkelten Gläser ihrer<br />

Brillen blitzen im Sonnenlicht. Die Hand lockerte sich etwas <strong>und</strong><br />

Martin vernahm eine scharfe, laute Stimme:<br />

107


„Junge, hör mal her! Ist hier in der Nähe eine Schule? Wir müssen<br />

da etwas abgeben.“<br />

Martin war etwas zusammen gezuckt. Die Männer sahen nicht sehr<br />

vertrauensvoll aus. Sie be<strong>saß</strong>en weder Gepäck noch eine Tasche.<br />

„Nun mach mal den M<strong>und</strong> <strong>auf</strong>! Du gehst doch sicher auch zur<br />

Schule, oder?“<br />

Natürlich wusste er wo die Schule war. Doch ein inneres Gefühl<br />

mahnte ihn, diesen Männern besser vorsichtig zu begegnen.<br />

„Sie, sie suchen eine Schule?“<br />

„Ja eine Schule. Ist hier eine in der Gegend?“, krächzte jetzt der<br />

andere Mann.<br />

Martin war schon ein ganzes Stück in Richtung Stadt gegangen.<br />

Aber seine Schule an diese Kerle preisgeben? ­ Nein, das wollte er<br />

bestimmt nicht.<br />

„Ja, hier gibt es viele Schulen in der Nähe. Eine ist am Bahnhof,<br />

eine ist zwei Straßen weiter <strong>und</strong>...“<br />

Martin zählte alle möglichen Schulen mit passenden Straßennamen<br />

<strong>auf</strong>. Einige hatte er selbst noch nicht gehört. Er versuchte dabei,<br />

überzeugend zu klingen. Das Gesicht des einen Mannes zeigte nun<br />

zunehmend eine gereizte Stimmung. Er tippte seinen Kumpanen<br />

an.<br />

„Du!“, winkte er, <strong>und</strong> sie drehten sich etwas zur Seite.<br />

Martin verstand trotz<strong>dem</strong> jedes Wort.<br />

„In der Schule sollen Fahrten stattgef<strong>und</strong>en haben. Ausflüge in das<br />

Museum. Ich hab die Meldung vorhin über Blackbaby rein<br />

bekommen. Frage du ihn noch mal!“<br />

Sie drehten sich wieder <strong>dem</strong> Jungen zu.<br />

„Du Junge!“, krächzte der kleinere Mann.<br />

108


„Weißt du etwas über Klassenfahrten? Habt ihr Ausflüge gemacht<br />

oder warst du sogar selbst bei einem Ausflug mit dabei?“<br />

Er griff Martin an seiner Jacke, zog ihn an sich <strong>und</strong> kam mit seinem<br />

Kopf ganz nah an den Jungen heran. Martin sah vor sich die gelben<br />

Zähne des Mannes. Auch erkannte er unter dessen Kinn eine Narbe<br />

oder einen Schnitt.<br />

„Ausflug? Nein, wir machen unseren Wandertag noch, mit <strong>dem</strong><br />

Fahrrad.“<br />

Der Mann <strong>ließ</strong> ab, schien aber immer noch nicht zufrieden zu sein.<br />

Währenddessen hielt der größere Mann ein kleines, längliches Gerät<br />

in der Hand <strong>und</strong> drückte ständig dar<strong>auf</strong> herum.<br />

„Der Koordinator empfängt seit gestern noch schwächere Signale.<br />

Verdammt noch mal! Es kann jetzt fast überall hier in der Nähe<br />

sein. Wenn wir alle Schulen absuchen dauert das noch Wochen.<br />

Hoffentlich berühren es nicht auch noch mehr.“<br />

Der Krächzmann nickte <strong>und</strong> schlug vor, neue Instruktionen<br />

einzuholen. Ohne einen Gruß drehten sich die beiden Männer um.<br />

Schnellen Schrittes liefen sie dann wieder zurück in Richtung Stadt.<br />

Martin stand noch wie gebannt <strong>auf</strong> der Brücke. Beim Wort Ausflug<br />

klingelten bei ihm die Alarmglocken, wie man so sagt. Klar konnte<br />

er sich gut an seinen letzten Klassenausflug in die Großstadt<br />

erinnern. Er wusste zwar nicht was die Männer beabsichtigten; aber<br />

das die etwas abgeben wollten, in einer Schule, schien ihm nur ein<br />

Vorwand gewesen zu sein. Wenigstens hatten sie ihm nichts getan.<br />

Das war wichtiger als alles andere. Er verspürte nun keine Lust<br />

mehr, allein weiter zu l<strong>auf</strong>en. Lieber wollte er zu Hause sein<br />

angefangenes Abenteuerbuch weiter lesen. Er drehte um <strong>und</strong> ging<br />

langsam den Weg zurück.<br />

109


Bei Robi <strong>und</strong> <strong>Susi</strong>:<br />

Das letzte Stück Hähnchenbrustfilet wollte sie noch mit Robi teilen.<br />

Der war aber heute tatsächlich so satt, dass er mal ablehnte, obwohl<br />

das selten vorkam. Lang ausgestreckt lag er schon <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />

Teppichrand im Wohnzimmer.<br />

„Vielleicht später, <strong>Susi</strong>. Oder iss Du es doch noch! Ich kann nicht<br />

mehr.“<br />

Robi sprach recht träge. Zu gern machte er nach einem deftigen<br />

Mahl ein schönes Schläfchen. In seinem Alter konnte er sich das<br />

wirklich erlauben.<br />

„Du hast wieder mal zu schnell gefuttert. Jetzt bist du schlapp <strong>und</strong><br />

willst schlafen, nicht?“<br />

„Ja, ich will mich noch etwas ausruhen. Heute Abend ist noch<br />

H<strong>und</strong>eclub.“<br />

<strong>Susi</strong> wusste natürlich, dass sich Robi alle paar Wochen mit<br />

befre<strong>und</strong>eten Kollegen aus der Nachbarschaft traf. Sie fragte aber<br />

trotz<strong>dem</strong>: „H<strong>und</strong>eclub?“<br />

„Ja, weißt du doch. Wir treffen uns kurz nach Sonnenuntergang. Da<br />

will ich fit sein. Sogar ein allerklügster H<strong>und</strong> aus der Nachbarschaft<br />

soll dabei sein.“<br />

„Wie willst du denn da hinkommen Rob? Also von der Leine los<br />

kommen?“<br />

„Ich werde sehen, dass ich mit den Kindern gehen kann. Da haue<br />

ich mal kurz ab. Es ist wichtig heute Abend. Es geht um Aktivitäten<br />

im Rentenalter.“<br />

Robi zog die Pfoten hoch. Dann stützte er sich etwas <strong>auf</strong>, so dass es<br />

aussah, als hätte er seine Müdigkeit überw<strong>und</strong>en.<br />

„Die armen Kinder. Sie werden dich bestimmt suchen“, bedauerte<br />

<strong>Susi</strong>.<br />

110


„Die Kinder gehen immer <strong>auf</strong> den Spielplatz. Die merken das dann<br />

kaum, weil sie soviel mit sich selbst zu tun haben. Ich bleibe auch<br />

nur kurz. Vielleicht so lange, wie das Wasser des Flusses von der<br />

kleinen Brücke bis in die Nähe unserer Straße braucht.“<br />

(Bedenke bitte, dass in der Vierbeinersprache Angaben zu<br />

verschiedenen Maßen mit Vergleichen umschrieben werden.)<br />

„Ro­ob?“<br />

„Wau­ja­wau?“<br />

„Ich habe eine Idee. Ich kann dir sogar helfen, heute.“<br />

„Fein, dann erzähle mal!“<br />

<strong>Susi</strong> war nun ganz in die Nähe ihres wuscheligen Fre<strong>und</strong>es<br />

gekommen. Von der Länge des Fells passten sie wirklich gut<br />

zusammen. Nur war <strong>Susi</strong>s Katzenfell wesentlich weicher. Sie setzte<br />

sich einfach <strong>auf</strong> den großen H<strong>und</strong>. Mit den Vorderpfoten begann<br />

sie, seinen Hinterkopf zu massieren. Das sah natürlich drollig aus.<br />

Robi half es aber gegen seine Verspannungen in den Schultern.<br />

Auch für sein Augenlicht im Alter wäre es gut, sagte er immer. <strong>Susi</strong><br />

massierte so gut, dass er früher ernsthaft überlegt hatte, das<br />

Schnurren zu erlernen. Aber wie wäre er da bei seinesgleichen<br />

angeschaut worden. So begnügte er sich mit einem keuchenden<br />

Grunzen.<br />

„Wie willst du mir heute Abend helfen, <strong>Susi</strong>?“<br />

<strong>Susi</strong> schien aber noch zu überlegen. Sie zog etwas an den<br />

H<strong>und</strong>eohren gerade. Dann machte sie noch eine klatschende<br />

Rückenmassage, in<strong>dem</strong> sie ihre Schwanzspitze <strong>auf</strong> Robis Rücken<br />

niederprasseln <strong>ließ</strong>. Sch<strong>ließ</strong>lich rückte sie wieder ganz dicht an sein<br />

rechtes Ohr. Leise flüsterte sie ihrem Gefährten den Plan zu. Robi<br />

nickte schwanzwedelnd. Er schien einverstanden zu sein.<br />

111


„Wirklich, eine gute Idee. Die Kinder sollen ja auch keinen Ärger<br />

bekommen. Wenn du mir hilfst, machen wir es heute Abend so.“<br />

Nun sollte man noch wissen, dass selbst Robi als gut erzogener<br />

H<strong>und</strong> öfter mal ausbürstete. Er kam zwar immer zurück, machte<br />

auch keinen Schaden, musste aber doch ab <strong>und</strong> zu von Herrchen<br />

oder Frauchen gesucht werden. Dabei wollte er sich doch nur mit<br />

anderen Kollegen oder Damen treffen. Na ja, so sind nun mal die<br />

H<strong>und</strong>e.<br />

Die Zeichenst<strong>und</strong>e war zu Ende. Der Pausenlärm zum<br />

Unterrichtsschluss in der dritten Klasse fing an.<br />

„Nicht vergessen, wer fertig ist, die Zeichnungen bitte draußen an<br />

den langen Leinen im Flur befestigen! Ich helfe euch gleich dabei.“<br />

Frau Kuchenstück zeigte in Richtung Flur. Ihr ausgestreckter Arm<br />

fuhr, eine Linie beschreibend, <strong>auf</strong> <strong>und</strong> ab. Diese Woche waren ihre<br />

Schüler dran. Jede Klasse konnte, über das Jahr verteilt, ihre kleinen<br />

Kunstwerke, Zeichnungen <strong>und</strong> Basteleien im Schulhaus ausstellen.<br />

Das diente der Verschönerung des Gebäudes <strong>und</strong> als künstlerischer<br />

Anreiz für die Schüler. Dadurch waren mit der Zeit richtige kleine<br />

Wettbewerbe entstanden.<br />

„Mein kleines Abenteuer“ war das heutige Thema gewesen. Die<br />

Kinder sollten so ihre ganz speziellen Abenteuererlebnisse zu<br />

112


Papier bringen. Teresa verkniff es sich geradeso, kein unheimliches<br />

Buch zu zeichnen. Zu gern hätte sie ihr Abenteuer preisgegeben.<br />

Leider wäre das aber zu riskant gewesen. Anna <strong>und</strong> sie hatten<br />

zu<strong>dem</strong> abgemacht, vorläufig zu schweigen. Selbst die<br />

geheimnisvolle Lichtstrahlung, die sie erst gestern entdeckten,<br />

musste Teresa nun für sich behalten.<br />

So hatte sie beschlossen, wenigstens die unheimlichen Männer mit<br />

den langen Mänteln zu zeichnen. Das Bild war recht gut gelungen.<br />

Das ganze Blatt hatte sie vorher grau getönt. Erst dann kamen die<br />

Details hinzu. In der Mitte leuchtete eine Lichtquelle <strong>und</strong> gleich<br />

daneben waren zwei schwarze, Hüte tragende Gestalten zu<br />

erkennen. Durch den dunklen Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> das Licht, wirkten<br />

die Personen wie Schatten an einer Wand. Es sah alles schön<br />

gruselig aus. Teresa war zufrieden. Weil ihr Hintergr<strong>und</strong> zuerst<br />

trocknen musste, war sie fast als Letzte fertig geworden. Obwohl sie<br />

ständig fror, ging sie doch recht froh gelaunt zur Tür hinaus. Ihr<br />

Bild wäre bestimmt ein Blickfang. Etwas über Kopfhöhe spannten<br />

sich die Fotoleinen in mehreren Reihen durch den Schulflur. So war<br />

es auch möglich, eine zweiseitige Zeichnung zu fertigen <strong>und</strong> zu<br />

betrachten. Teresa fand eine freie Stelle, die ihr für eine<br />

Präsentation günstig erschien. Doch wie staunte sie, als sie keine<br />

zwei Meter weiter ein ähnliches Bild entdeckte. Deutlich waren<br />

zwei Gestalten mit den markanten Mänteln zu erkennen. Nur der<br />

Hintergr<strong>und</strong> war eher hell. So gab es aber mehr Details zu sehen.<br />

Was für ein Zufall, überlegte sich Teresa. Sie trat näher. Die Kinder<br />

durften ihre Namen oder nur die Anfangsbuchstaben <strong>auf</strong> die Bilder<br />

setzen. In der Ecke, ganz am Rand, sah sie es dann. Nur ein kleiner<br />

Buchstabe war zu erkennen. Auch gab es nur einen in der Klasse,<br />

der so hieß.<br />

113


„Deer?“<br />

Teresa sprach jetzt leise vor sich hin. Sie murmelte:<br />

„Wie kann gerade der fast das gleiche malen?“<br />

Schnell machte sie ihre Zeichnung am anderen Ende der Galerie<br />

fest. Dann nahm sie Ihre Mappe <strong>und</strong> trabte zum Hof hinaus.<br />

Draußen kamen ihr zwei Männer mit Mänteln <strong>und</strong> Krawatte<br />

entgegen. Sie bemerkten nicht, wie ängstlich das Mädchen zu ihnen<br />

hinüber schaute.<br />

Kurze Zeit später erreichte sie die Jungs. Martin ging als letzter. Er<br />

freute sich <strong>und</strong> blieb stehen. Teresas Haare waren zerzaust, so<br />

schnell war sie gerannt.<br />

„Martin, Martin! Warte mal!“<br />

„Ja was hast du denn so eilig?“<br />

„Martin, hast du tatsächlich das Bild mit den Männern gemalt?“<br />

„Ja klar.“<br />

„Woher kennst du die denn?“<br />

„Die wollten in irgendeine Schule <strong>und</strong> haben was von Ausflug<br />

geredet.“<br />

Teresas Augen nahmen einen unruhigen Blick an. Fast angstvoll<br />

fragte sie weiter:<br />

„Wo hast du sie kennen gelernt?“<br />

„Gestern, <strong>auf</strong> der kleinen Brücke über <strong>dem</strong> Fluss. Du weißt ja wo<br />

das ist.“<br />

„Was ist dir noch <strong>auf</strong>gefallen?“<br />

„Warum bist du so <strong>auf</strong>geregt, Teresa?“<br />

„Sag schon, was haben sie gesprochen?“<br />

„Der eine Mann hat an so einem Ding gedrückt <strong>und</strong> was von<br />

Koordi... Koordinator oder so ähnlich erzählt. Und gekrächzt hat der<br />

eine, beim Sprechen.“<br />

114


Teresa zuckte zusammen. Sie wusste sehr wohl, dass die kleine<br />

Brücke kaum einen Kilometer weit von ihrer Wohnung entfernt lag.<br />

Der Koordinator musste auch irgendetwas mit <strong>dem</strong> Buch zu tun<br />

haben. Sie erinnerte sich. Das Wort war damals in der Bibliothek<br />

gefallen. Wenn Martin die beiden gestern so nah gesehen hatte,<br />

bedeutete das allergrößte Gefahr. Schnell musste sie Anna warnen.<br />

Ihr Schritt beschleunigte sich.<br />

Martin hastete neben ihr her. Er w<strong>und</strong>erte sich über das Mädchen.<br />

Sonst war sie immer so keck, strahlte Selbstvertrauen aus, wie kaum<br />

eine andere. Heute aber wirkte sie eher hilflos <strong>und</strong> verwirrt. Er<br />

fragte sie noch einige Male, was sie denn bedrücken würde <strong>und</strong> ob<br />

sie die besagten Männer auch getroffen hätte. Teresa lenkte aber<br />

immer vom Thema ab, so dass er es sch<strong>ließ</strong>lich <strong>auf</strong>gab.<br />

Sie fühlte sie sich aber in Begleitung von Martin wohler, als sie<br />

zusammen heim liefen. Gleich würde sie Anna alles erzählen. Ob<br />

Martin ihnen vielleicht sogar helfen könnte ­ ?<br />

„Teri, er hat zwar die beiden Typen gesehen, aber vom Kastenbuch<br />

weiß er doch nichts.“<br />

„Ja stimmt.“<br />

Anna überlegte weiter:<br />

„Wenn wir ihn einweihen, erzählt er es vielleicht jeman<strong>dem</strong> weiter.<br />

Es könnte sich dann erst recht herum sprechen.“<br />

„Was sollen wir aber machen, Anna? Ob die uns finden können?“<br />

Die Mädchen <strong>saß</strong>en gemeinsam <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> untersten Bett im<br />

Kinderzimmer. Sie besprachen sich schon eine Weile. Teresa hatte<br />

von Martin <strong>und</strong> den zufällig, ähnlichen Zeichnungen erzählt. Anna<br />

machte es besonders Sorge, dass die Männer schon in ihrer Stadt,<br />

ganz in der Nähe <strong>auf</strong>getaucht waren. Es war klar, dass sie das<br />

115


Kastenbuch suchten. Sie waren die Verfolger. Das Buch aber lag<br />

hier im Kinderzimmer, hinter einer Schranktür im Rucksack<br />

versteckt. Sie selbst also <strong>und</strong> ihre Schwester waren die Verfolgten.<br />

Anna riss sich aus ihren Gedanken los <strong>und</strong> sagte:<br />

„Die werden solange suchen bis sie es finden. Kannst du wetten.<br />

Warum wären sie sonst bis in unsere Stadt gekommen?“<br />

„Anna, wir müssen etwas machen. Der eine hat doch<br />

wahrscheinlich eine Pistole dabei. Die werden nicht fre<strong>und</strong>lich<br />

verschwinden, wenn sie das Buch bei uns finden.“<br />

„Genau Teri, wir müssen es verstecken. Es muss schnellstens aus<br />

der Wohnung raus.“<br />

Anna hielt den Finger an die Stirn <strong>und</strong> überlegte angestrengt weiter.<br />

„Wenn ich nur wüsste wohin damit. Es ist doch kein normales<br />

Buch.“<br />

In diesem Augenblick klingelte es an der Wohnungstür. Ein Blick<br />

durch das Guckloch zeigte Martin. Der Junge stand, nach unten<br />

blickend, an der Tür. Eine Hand an der Hüfte, hielt er sich mit der<br />

anderen am oberen Türrahmen fest. Er wirkte ungeduldig, während<br />

er mit <strong>dem</strong> rechtem Fuß <strong>auf</strong> den Boden pochte. Nun klingelte er<br />

nochmals.<br />

„Soll ich <strong>auf</strong>machen? Es ist nur Martin.“ Teresa stand fragend an<br />

der Türklinke.<br />

„Ja, lass ihn doch rein! Vielleicht weiß er noch was Wichtiges.“<br />

Anna schaute <strong>auf</strong> ihre Armbanduhr. Es war erst zwei Uhr, am<br />

frühen Nachmittag.<br />

Als sie die Tür öffneten, fiel Martin fast in die Wohnung hinein.<br />

„Hallo Anna auch“, keuchte er. Dann sprach er abgehackt: „Ich hab<br />

sie gesehen. Gerade. Unten <strong>auf</strong> der Kreuzung. Sie sind es. Wie<br />

gestern <strong>auf</strong> der Brücke.“<br />

116


Damit <strong>ließ</strong> er sich in einen Stuhl fallen <strong>und</strong> war im Kinderzimmer<br />

gelandet.<br />

„Siehst du, sie kommen“, schrie Teresa ängstlich. Sie schaute zu<br />

Anna.<br />

„Wir müssen das Buch weg bringen, Anna! Mach doch mal was!“<br />

Martin verstand immer noch nicht, was hier eigentlich vorging.<br />

Vorhin hatte er über Teresa ihr merkwürdiges Verhalten <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />

Schulweg nachgedacht. Als er dann hinunter <strong>auf</strong> die Hauptstraße<br />

ging, kamen ihm doch tatsächlich die Männer von gestern entgegen.<br />

Sie trugen einen großen Koffer bei sich, aus <strong>dem</strong> zwei<br />

Metallantennen ragten. Noch einmal wollte er den Beiden nicht<br />

begegnen. So drehte er schnell um, dachte an Teresa <strong>und</strong> rannte die<br />

Straße zurück. Nun <strong>saß</strong> er Teresa gegenüber, die sich gerade<br />

verstohlen an ihre Lippen gefasst hatte. Anna blickte ihre Schwester<br />

vorwurfsvoll an.<br />

Martin berichtete: „Sie sind in unsere Straße eingebogen. Ein<br />

Weilchen später hätten sie mich bestimmt wieder erkannt. Der<br />

Riesenkoffer hat sie aber beschäftigt.“<br />

„In unsere Straße?“, fragte Anna entsetzt.<br />

„Ein Riesenkoffer?“, stotterte Teresa bleich.<br />

„Etwa eine Bombe?“ Teresas Phantasie kannte keine Grenzen mehr.<br />

Anna huschte ans Fenster zur Straße.<br />

Martin fragte zu Teresa blickend: „Was für eine Bombe? Was<br />

meinst du damit? Und welches Buch muss weggebracht werden? Ihr<br />

kennt die Männer besser, stimmts?“ (Sprechweise <strong>und</strong> Akzent von<br />

Martin werden zum besseren Verständnis angepasst.)<br />

„Weißt du noch, als ich aus der Bibliothek gekommen bin, bei<br />

unserer Klassenf...?“ Weiter kam Teresa aber nicht.<br />

117


In dieser Sek<strong>und</strong>e schrie Anna am Fenster <strong>auf</strong>. Auf der anderen<br />

Straßenseite, keine fünfzig Meter von ihnen entfernt, standen sie.<br />

Auch Teresa war jetzt zum Fenster gesprungen.<br />

Durch die unmittelbare Nähe zur eigenen Wohnung flößten ihnen<br />

die Gestalten jetzt noch mehr Furcht ein. Sie hantierten, schwarz<br />

bemäntelt, mit <strong>dem</strong> Koffer oder großen Kasten. Dabei drehten sie<br />

sich in alle Richtungen.<br />

Nun ging alles sehr schnell. Von Angst erfüllt rannte Anna zum<br />

Schrank. Sie öffnete den Rucksack, nahm das Buch <strong>und</strong> legte es <strong>auf</strong><br />

den Schreibtisch.<br />

„Schnell, hole eine Tüte oder zwei aus der Küche, Teresa! Sie<br />

dürfen unsere Rucksäcke nicht finden.“<br />

Martin starrte <strong>auf</strong> das komische Buch. Teresa rannte in die Küche.<br />

Anna stand sofort wieder am Fenster. Die Männer waren jetzt bis<br />

<strong>auf</strong> ihre Straßenseite gekommen. Sie fuchtelten mit den Armen <strong>und</strong><br />

zeigten in verschiedene Richtungen. Anna trampelte <strong>auf</strong> der Stelle.<br />

Teresa durchwühlte die Plastiktüten.<br />

„Los! Erstmal schnell in den Keller! Und raus aus der Wohnung,<br />

mit <strong>dem</strong> Buch.“<br />

Anna redete hastig, während sie angespannt hinter der Gardine<br />

stand. Laut hallten ihre Worte durch alle Zimmer. Die Männer<br />

draußen unterhielten sich mit ein paar unbekannten Leuten. Anna<br />

schien es, als würde sie die Stimmen der Fremden gleich selbst<br />

hören. Teresa stürzte mit den Tüten in der Hand ins Kinderzimmer.<br />

Martin stand mit irritiertem Blick vor ihr. Er hielt das Buch in den<br />

Händen. Seine Augen glänzten so merkwürdig hell.<br />

„Hier, ich wollte dir nur helfen. Mach die Tüte <strong>auf</strong>! Wieso leuchtet<br />

es?“<br />

118


Das Buch rutschte in die eilig hingehaltene Tüte. Es war keine Zeit<br />

zu verlieren. Anna versuchte noch schnell, ihre Mama anzurufen.<br />

Das Telefon gab aber keinen Mucks von sich.<br />

„Nimm deine Schlüssel mit, Teresa! Martin, komm du auch!“<br />

Sie sah Martin <strong>und</strong> ihre Schwester aus <strong>dem</strong> Kinderzimmer l<strong>auf</strong>en.<br />

Schon hielt sie die Wohnungstür geöffnet.<br />

Hastig zogen sie sich Schuhe <strong>und</strong> Jacken über. Teresa griff nach ein<br />

paar großen Bananen. Für den Notfall, dachte sie.<br />

Die panische Stimmung griff auch <strong>auf</strong> Martin über. Buch <strong>und</strong><br />

Männer gehörten irgendwie zusammen. Das begriff er. Weil ihm<br />

aber so entsetzlich kalt geworden war, stellte er keine weiteren<br />

Fragen. Kurze Zeit später befanden sich die drei im Keller des<br />

Hauses. Nur ein Stück weiter befand sich der Ausgang <strong>auf</strong> den Hof.<br />

Teresa hielt den Schlüssel bereit. Bei Gefahr wollten sie sofort das<br />

Haus durch diesen Hinterausgang verlassen, war ihre Verabredung.<br />

Die beiden Schatten, die lautlos an der Hauseingangstür vorbei<br />

huschten, konnten sie von ihrer Lage aus nicht sehen.<br />

Währenddessen:<br />

„Es ist doch wirklich zum Verrücktwerden! Gerade war das Signal<br />

wenigstens noch ein bisschen zu empfangen. Ach, diese ganze<br />

Technik taugt auch nichts.“<br />

„Hast du eine genaue Richtung ausgemacht?“, krächzelte der<br />

kleinere Mann.<br />

„Quatsch nicht dummes Zeug! Eine genaue Richtung, bei den<br />

schwachen Signalen?“<br />

„Hhm, ja, hm“, machte es <strong>und</strong> der Kleinere glotzte mit<br />

eingezogenem Kopf <strong>auf</strong> den Kasten.<br />

119


„Seit heute früh rennen wir nun schon mit <strong>dem</strong> Hyperverstärker<br />

durch diese Stadt. Das Ding ist zwar durch den Satelliten<br />

unterstützt, doch wer weiß was der alles empfängt. Der Koordinator<br />

allein hat schon gestern nicht mehr funktioniert.“<br />

Der größere Mann ärgerte sich noch ein bisschen weiter. Nervös<br />

fummelte er dabei an den vielen Knöpfen des Kastens. Die<br />

Antennen drehte er in alle Richtungen. Selbst ein Spiegel, der wie<br />

eine Schüssel aussah, war zu erkennen.<br />

„Was schlägst du nun vor, XX7?“, meinte der, der geglotzt hatte.<br />

„Ich denke, ich rufe heute Abend den General an. Soll er<br />

entscheiden. Wir haben unser Bestes getan. Komm nun! Die Leute<br />

da drüben gucken schon so komisch. Außer<strong>dem</strong> ist das Signal ganz<br />

weg, obwohl ich schwören könnte, dass wir vor ein paar Minuten<br />

ganz nahe dran waren. Es ist aber auch zum ...!“ XX7 gab ein<br />

würgendes Geräusch von sich.<br />

„Sag den Leuten doch wir, äh ­ kontrollieren die Kamine!“, sagte<br />

der Kleinere. „Oder sage wir sind Schornsteinfeger!“<br />

Gereizt verzog XX7den M<strong>und</strong>.<br />

„So dummes Zeug glaubt dir doch nicht mal ein Kind, du Blöd... äh,<br />

XX0.“<br />

Er wusste das Beleidigungen im Dienst verboten waren. Deshalb<br />

hob er sich die Beschimpfung für später <strong>auf</strong>. Wen sollten sie nur<br />

suchen? Auch mussten sie sich etwas besser tarnen. Würden sich<br />

denn die anderen Geheimdienstleute wirklich in einer so kleinen<br />

Stadt wie dieser <strong>auf</strong>halten? Wer auch immer das Kastenbuch gerade<br />

be<strong>saß</strong>, war wirklich schwer zu finden, überlegte XX7. Hoffentlich<br />

waren es nicht die Araber oder die Chinesen. Verhandlungen wären<br />

dann sehr schwierig. Der andere Geheimdienst operierte jedenfalls<br />

äußerst geschickt. XX7 glaubte wenig an die Technik des<br />

120


Hyperverstärkers. Vielleicht war es gar nicht sinnvoll, hier weiter<br />

zu suchen? Es handelte sich möglicherweise um ein<br />

Ablenkungsmanöver der Anderen? Der Koordinator sollte ja<br />

unfehlbar sein, wurde ihm gesagt. Er würde direkt zum Buch<br />

gehören. Nur zeigte der jetzt leider keine einzige Koordinate mehr<br />

an. Na, heute Abend würde er mit General Bomb alles besprechen.<br />

„Los XX0, fahr die Antennen ein! Wir gehen vorläufig ins Hotel<br />

zurück.“<br />

121


„Ja <strong>und</strong> wenn man es in eine bestimmte Richtung dreht, leuchtet die<br />

Katze stärker. Das ist alles was wir wissen“, beendete Anna ihren<br />

Bericht.<br />

Martin stand noch ganz unter <strong>dem</strong> Eindruck des Gehörten. Er<br />

schüttelte sich immer wieder zwischen etlichen Kälteschauern.<br />

Sie <strong>saß</strong>en eng aneinander gedrückt bei den Fahrrädern im<br />

Kellerraum. In der Mitte, direkt zwischen ihnen, lag das Buch.<br />

Martin staunte genauso wie die beiden Mädchen vor einigen Tagen.<br />

Angst <strong>und</strong> Neugier hielten sich bei ihm in der Waage.<br />

Sie redeten leise, fast flüsternd, um nicht die kleinste Veränderung<br />

im Hausflur zu verpassen. Von draußen waren keine Geräusche zu<br />

hören. Auch im Treppenhaus war es still geblieben. Teresa machte<br />

den Vorschlag, nach <strong>Susi</strong> zu sehen. Sie wollte dazu vom<br />

Kellerausgang aus, einmal um das ganze Haus gehen. So wäre es<br />

möglich, ganz nebenbei Erk<strong>und</strong>igungen anzustellen.<br />

„Wir gehen lieber wieder hoch“, warf Anna ein.<br />

„Da haben wir wenigstens zwei Türen zwischen uns <strong>und</strong> der<br />

Straße.“<br />

„Na gut, Anna. Aber was ist mit Martin? Er hat das Buch vorhin<br />

auch angefasst?“<br />

Anna schaute Martin prüfend an:<br />

„Kannst du schweigen? Niemand darf etwas erfahren!“<br />

Der Junge nickte nur mit <strong>dem</strong> Kopf. Dann sagte er, von den<br />

Ereignissen sichtlich ermattet:<br />

„Ja, kann ich. Niemand erfährt etwas.“<br />

Martin musste es schwören. Kein Wörtchen von <strong>dem</strong>, was er<br />

erfahren hatte, durfte er nun weiter erzählen. Vorsichtig schlichen<br />

sich die drei die Treppe wieder hin<strong>auf</strong>. Alles schien ruhig zu sein.<br />

Leise öffneten sie die Wohnungstür, als würde sie etwas Fremdes<br />

122


erwarten. Genauso vorsichtig lugte Anna durch die Gardine des<br />

Fensters. Sie entdeckte aber nur ein paar spielende, kleinere<br />

Kinder. Seltsamer Weise ging jetzt auch das Telefon wieder. Die<br />

Mama meldete sich zuerst. Sie gab ein paar Hinweise zu den<br />

anfallenden Hausarbeiten. Außer<strong>dem</strong> würde sie später heim<br />

kommen. Anna war froh ihre Stimme zu hören. Wenn sie doch nur<br />

etwas ihren Eltern sagen könnten, fiel es ihr ein. Dieser kurze<br />

Gedanke verschwand aber sofort, als sie den Telefonhörer wieder<br />

<strong>auf</strong>legte. Teresa <strong>und</strong> Martin <strong>saß</strong>en schon wartend um das Buch, als<br />

sie mit ein paar warmen Getränken ins Kinderzimmer kam.<br />

„Sie scheinen weg zu sein“, stellte Teresa erleichtert fest.<br />

„Gef<strong>und</strong>en haben sie uns jedenfalls nicht.“<br />

„Sie können aber wieder kommen. Vergesst das nicht!“, fügte<br />

Martin schnell hinzu.<br />

„Das dürfen wir aber nicht zulassen“, entgegnete Anna. „Das Buch<br />

muss schnellstens aus <strong>dem</strong> Haus verschwinden.“<br />

Schon eine Weile überlegte sie, wo sie das Buch verschwinden<br />

lassen könnten.<br />

Betrübt schaute Teresa nun zu Boden, schüttelte den Kopf <strong>und</strong><br />

sagte: „Es kommt doch sowieso zurück, egal wo wir es hin<br />

schaffen. Es ist aber auch zu dumm.“<br />

„Das kann es doch aber nicht geben, dass ein Buch ständig macht<br />

was es will“, ergänzte Anna mit genervter Stimme.<br />

Sie waren jetzt zu dritt. Martin wohnte nur einen Hauseingang<br />

weiter. Selbst wenn das Buch zu Martin zurückkäme, wäre das<br />

immer noch keine Lösung. Dass die Männer sie nicht gef<strong>und</strong>en<br />

hatten, konnte Zufall sein. Auch konnte es an deren unzulänglicher<br />

Technik liegen. Sie würden sich sicherlich neue Geräte besorgen<br />

<strong>und</strong> bestimmt zurückkehren. Es musste eine schnelle Lösung<br />

123


gef<strong>und</strong>en werden. Teresa blickte immer noch nach unten. Plötzlich<br />

fiel ihr der Dachboden ein.<br />

„Es kommt ja möglicherweise immer zu uns zurück, nicht?<br />

„Ja.“<br />

„Wahrscheinlich.“<br />

„Wir könnten aber die Höhe verändern. Warum nicht <strong>auf</strong> das Dach<br />

mit <strong>dem</strong> Ding?“<br />

„Teri, das Buch sendet doch bestimmt ein Signal aus. Wie ein<br />

Funksignal meine ich, für die, die es suchen. Und dieser<br />

Koordinator empfängt es dann. Wenn wir es <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Dach<br />

unterbringen, ist das Signal vielleicht besonders stark, wegen der<br />

Höhe.“<br />

„Funksignal?“<br />

„Ja wie beim Radioempfang.“ Martin erklärte jetzt alles, was er zu<br />

Funkwellen wusste.<br />

„Ach so. Und wenn wir es vergraben?“ , fragte Teresa wieder.<br />

Martin fiel aber auch nichts mehr ein. So trank er wortlos den<br />

heißen Tee. Anna, die ebenfalls gegrübelt hatte, richtete sich nach<br />

vorn <strong>auf</strong>, sah beide an <strong>und</strong> erklärte nun ihre Idee:<br />

„Zuerst verstecken wir das Buch irgendwo hier im Keller. Falls die<br />

Männer gleich zurückkommen sollten, wissen wir natürlich von<br />

nichts. Es muss uns dann ja nicht gehören“. Anna machte eine<br />

scheinheilige Geste.<br />

„Ja <strong>und</strong> dann?“, drängelte Teresa.<br />

„Heute Abend gehen wir doch mit Robi, nicht?“<br />

„Ja.“<br />

„So, da nehmen wir das Buch dann mit. Vorher packen wir es gut<br />

ein, schön geschützt in einen Karton mit drei Tüten. Wir wissen ja<br />

noch nicht, ob es wirklich immer zurückkommt, oder?“<br />

124


„Nein, wissen wir nicht“, schlürf.<br />

„Genau <strong>und</strong> damit es erst mal hier weg ist, wegen <strong>dem</strong> Signal,<br />

verstecken wir es bei den großen Containern, hinter <strong>dem</strong> Spielplatz.<br />

Da wird es auch nicht nass.“<br />

Weil keiner im Moment <strong>auf</strong> die Straße wollte oder einen besseren<br />

Einfall hatte, beschlossen sie also, das Buch mit Einbruch der<br />

Dunkelheit hinter <strong>dem</strong> Spielplatz zu verstecken. Martin sollte gegen<br />

acht Uhr draußen warten. Nach dieser Abmachung landete das<br />

Kastenbuch vorerst im Keller, in einem alten Schrank <strong>und</strong> Martin<br />

ging zu sich nach Hause.<br />

Anna <strong>und</strong> Teresa begannen mit der Hausarbeit. Es waren immer nur<br />

ein paar kleine Aufgaben. Meistens sollte Teresa zum Bäcker gehen<br />

oder etwas <strong>auf</strong>räumen. Anna reinigte dafür öfter das Geschirr,<br />

räumte die Spülmaschine ein <strong>und</strong> aus oder bediente den<br />

Staubsauger.<br />

Heute wollten sie aber alles gemeinsam machen. Vor allem zum<br />

Bäcker traute sich Teresa nicht allein. Sie bereiteten <strong>dem</strong> H<strong>und</strong> sein<br />

neues Futter vor. Robi schlief immer noch <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Teppich im<br />

Wohnzimmer. <strong>Susi</strong> hatten sie mittags, gleich nach der Schule,<br />

hinaus gelassen. Nun <strong>saß</strong> sie aber wieder vor der Tür <strong>und</strong> wartete<br />

<strong>auf</strong> Einlass.<br />

„Na <strong>Susi</strong>chen, warst du schön spazieren?“<br />

Teresa wollte die Katze liebkosen. <strong>Susi</strong> schlängelte sich etwas um<br />

die Beine des Mädchens, bemerkte aber gleich die offene Tür ins<br />

Kinderzimmer. Mit zwei, drei Katzensätzen war sie <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />

richtigen Weg zum warmen <strong>Fensterbrett</strong>. Doch etwas schien sie<br />

heute abzulenken. Sie glitt zurück, sprang <strong>auf</strong> den Stuhl zum<br />

Schreibtisch, <strong>und</strong> erreichte das Kastenbuch. Die Kinder hatten ja<br />

125


vergessen, es weg zu packen. Mit ihrer Pfote betastete sie das Buch<br />

von allen Seiten. Sie nahm dabei immer nur eine Pfote. So<br />

vorsichtig <strong>und</strong> kurz tippte <strong>Susi</strong> an, wie es Katzen eigentlich immer<br />

nur dann machen, wenn sie Wasser vorfinden. Teresa war hinterher<br />

geeilt. Erschrocken wollte sie <strong>Susi</strong> aus der Nähe des Buches<br />

verdrängen. Die Katze war aber schon <strong>auf</strong> den Schreibtisch<br />

gesprungen. Schleichend umr<strong>und</strong>ete sie das Buch immer wieder.<br />

Sogleich bemerkte Teresa, wie laut die Katze heute schnurrte.<br />

Immer wieder stupste sie mit der Pfote gegen das Buch, als wollte<br />

sie es bewegen. Sie schaffte es aber nicht. Teresa fiel etwas ein.<br />

Langsam drehte sie selbst das Buch, bis das Katzenprofil kräftig<br />

leuchtete. <strong>Susi</strong>s Bewegungen wurden nun noch intensiver. Sie<br />

schmuste mit <strong>dem</strong> Kopf am Katzenprofil herum. Die Nähe des<br />

Buches schien ihr offensichtlich sehr zu gefallen. Als Teresa sie<br />

endlich zu sich hob merkte sie, wie die Augen der Katze gelber als<br />

sonst leuchteten. Mit <strong>Susi</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Arm drehte sie mit der anderen<br />

Hand das Buch schnell zurück. Eine angenehme Wärme, wie schon<br />

seit Tagen nicht mehr, strömte Teresa entgegen. Sie wollte noch<br />

nach Anna rufen, doch diese vollkommene Zufriedenheit, die sie<br />

jetzt nach all der Aufregung empfand, machte sie sofort schläfrig.<br />

W<strong>und</strong>erbare, angenehme Wärme umhüllte sie. Eine friedliche,<br />

glückliche Stimmung <strong>ließ</strong> sie kurz dar<strong>auf</strong> sanft einschlummern.<br />

Wenig später:<br />

„Teresa, komm wir gehen zum Bäcker“, klang es aus der Küche.<br />

Das Geschirr stand eingeräumt in den Küchenschränken. Sie hatte<br />

sogar den Boden gekehrt. Nun wollte Anna noch schnell gemeinsam<br />

mit ihrer Schwester ein Roggenbrot holen. Weil Teresa nicht gleich<br />

antwortete, ging sie über den Flur, öffnete die nur angelehnte Tür<br />

<strong>und</strong> staunte nicht schlecht, als sie in das Kinderzimmer kam. Teresa<br />

126


<strong>saß</strong> zusammen gesunken im Sessel neben <strong>dem</strong> Schreibtisch. Ihr<br />

Kopf war nach hinten gerutscht, der M<strong>und</strong> etwas geöffnet. Anna<br />

erschrak zuerst. Doch dann sah sie, dass Teresa schlief, ganz sanft,<br />

mit einem Lächeln um die M<strong>und</strong>winkel. Die Ruhe im Zimmer<br />

wurde nur durch die gleichmäßigen Atemzüge des Mädchens<br />

unterbrochen. Auch <strong>Susi</strong> schien zu schlafen. Sie lag zusammen<br />

gerollt <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Schreibtisch. Erst jetzt bemerkte Anna, dass <strong>Susi</strong><br />

fast das ganze Kastenbuch mit ihrem Körper abdeckte. Sie trat<br />

näher. Die Katze hob den Kopf, schnurrte <strong>und</strong> schaute das Mädchen<br />

an. Etwas Magisches lag dabei in ihrem Blick. Anna meinte einen<br />

kurzen Moment, eine Botschaft in diesen Augen zu lesen. („Guten<br />

Tag, Anna!“) Ja, geradezu etwas Übernatürliches oder sogar<br />

Menschliches ging in diesem Augenblick von <strong>Susi</strong> aus. Anna<br />

beschlich ein sonderbares Gefühl als sie <strong>Susi</strong>s Kinn kraulte.<br />

„Du bist ja eine. Liegst mitten <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> W<strong>und</strong>erbuch <strong>und</strong> schnurrst.“<br />

Anna griff nach <strong>dem</strong> Buch. Gleichzeitig streichelte sie immer noch<br />

<strong>Susi</strong>. Das Mädchen spürte sofort, wie eine wohlige Wärme in sie<br />

strömte. Es war viel angenehmer, als das ständige Frösteln der<br />

letzten Tage, an das sie sich schon gewöhnt hatte. Sie w<strong>und</strong>erte sich<br />

kurz über die Wärme. Dann wurde ihr schläfrig, so dass sie gähnen<br />

musste. <strong>Susi</strong> streckte sich, machte einen Katzenbuckel, ver<strong>ließ</strong> aber<br />

nur langsam den Schreibtisch. Anna wollte sich nieder setzen, so<br />

glücklich­müde fühlte sie sich. Dabei betrachtete sie aber unbewusst<br />

das Buch. Ihr fielen wieder die Männer ein, die es suchten <strong>und</strong><br />

verfolgten. Ja natürlich ­ sie wollten sich doch heute Abend noch<br />

mit Martin treffen. Anna fuhr hoch, schüttelte ihren Kopf, bewegte<br />

mehrmals die Augenlider, so dass die Müdigkeit wich. Schnell<br />

packte sie das Kastenbuch ein <strong>und</strong> legte es ins Schrankversteck<br />

zurück. Dann betrachtete sie erneut Teresa. Die arme Teri war wohl<br />

127


von den Ereignissen der letzten Tage so mitgenommen, dass sie<br />

einfach viel Ruhe brauchte. Sollte sie ruhig noch ein Weilchen in<br />

ihrem Sessel schlafen. Anna öffnete ein wenig das Fenster. Frische,<br />

laue Frühlingsluft strömte in das Zimmer. Dann deckte sie eine<br />

kleine Wolldecke über Teresas Beine <strong>und</strong> ging guter Laune zum<br />

Bäcker.<br />

128


129


12. Drei Ausflüge <strong>und</strong> ein Abflug<br />

„Ich bin einfach von selbst eingeschlafen.“<br />

„Das kam bestimmt von der wohligen Wärme oder weil du so<br />

geschafft warst, Teri.“<br />

„Kann sein, aber <strong>Susi</strong> hat das Buch auch berührt.“<br />

„Stimmt, sie lag oben, als ich rein gekommen bin.“<br />

Die Mädchen <strong>saß</strong>en im Kinderzimmer. Keine zwei St<strong>und</strong>en waren<br />

vergangen. Sie fühlten sich ausgezeichnet. Teresa meinte fast, sie<br />

hätte st<strong>und</strong>enlang geschlafen. Das beengende, kühle Körpergefühl<br />

war einfach verschw<strong>und</strong>en. Ihre Unterhaltung drehte sich natürlich<br />

um die letzten Ereignisse.<br />

„Anna, denk doch mal an das leuchtende Katzenrelief am Buch!“<br />

„Hab ich auch schon überlegt. <strong>Susi</strong> hat es berührt. Wir haben es<br />

berührt <strong>und</strong> ... “<br />

„Schon war die Kälte weg, stimmts?“<br />

„Ja Teri, zum Glück. Ich hab dann richtig gute Laune bekommen.<br />

Müde war ich vorher aber auch, so wie du.“<br />

„Warum wollte aber <strong>Susi</strong> gleich zum Buch?“<br />

„Wahrscheinlich das Katzensymbol. Es scheint einen<br />

Zusammenhang zu geben.“<br />

130


„Anna, du meinst, wenn wir <strong>und</strong> <strong>Susi</strong> das Buch gleichzeitig<br />

anfassen, wird es warm?“<br />

„Na zumindest nicht kalt. Denk doch mal zurück! Als wir die<br />

Buchoberfläche das erste Mal berührten, war doch keine <strong>Susi</strong> oder<br />

überhaupt eine Katze dabei. Wir fühlten dann immer diese Kälte in<br />

uns. Dann haben wir uns daran gewöhnt.<br />

„Ja stimmt <strong>und</strong> jetzt?“<br />

Teresa schaute beeindruckt <strong>auf</strong> ihre große Schwester.<br />

„Vielleicht ist das jetzt wieder der normale Zustand, Teresa. Die<br />

gleichzeitige Berührung von uns <strong>und</strong> <strong>Susi</strong> hat die Kälte<br />

möglicherweise verhindert oder <strong>auf</strong>gehoben.“<br />

„Das gibt doch keinen Sinn, Anna! Kälte, Wärme, <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> das<br />

Leuchten in eine Richtung?“<br />

Teresa sprach mit scherzhaft, singender Stimme. Sie betonte dabei<br />

die Silben mit kurzen Kopfbewegungen.<br />

„Hast du Richtung gesagt?“, fragte Anna <strong>auf</strong>geregt.<br />

„Ja, Richtung, Leuchten, Wärme, Kälte, <strong>Susi</strong>, Gangster“, blödelte<br />

Teresa weiter.<br />

„Wart´ mal, du!“<br />

Teresa: „Ja, warten, leuchten... <strong>Susi</strong> ...“<br />

„Eine Richtung! Das Dreieck zeigt eine bestimmte Richtung. Das<br />

muss es sein Teresa! Warte, wir sehen es gleich.“<br />

Anna war schon <strong>auf</strong>gesprungen. Sie öffnete den Schrank.<br />

Vorsichtig tippte sie ein paar Mal gegen den Buchrücken, als<br />

erwartete sie einen Kälteschlag. Aber nichts geschah. Sie richteten<br />

(drehten) das Buch nach <strong>dem</strong> stärksten Leuten des Profils aus. Die<br />

obere Spitze des großen Dreiecks zeigte etwas schräg in Richtung<br />

Fenster. Die Sonne des Spätnachmittags schien von der anderen<br />

Seite quer ins Zimmer herein.<br />

131


„Ob es zum Fenster hinaus will? Vielleicht will es sich sonnen?“,<br />

fachsimpelte Teresa.<br />

„Die Sonne kommt jetzt etwa von Südwesten. Es ist auch bald<br />

Abend.“ Anna sprach <strong>und</strong> beobachtete dabei Sonne <strong>und</strong> Dreiecke.<br />

„Unser Fenster ist also im Süden?“, fragte Teresa.<br />

„Ja, etwa in Südrichtung, glaube ich. Guck mal <strong>und</strong> die Spitze geht<br />

etwas weiter rüber. Aber sie ist südlich gerichtet.“<br />

„Also Süden.“<br />

„Genau, Teri! Egal was es mit <strong>dem</strong> Buch <strong>auf</strong> sich hat. Es weist von<br />

uns aus in eine südliche Richtung. Dann erst ist das Leuchten der<br />

Katze am intensivsten.“<br />

„Und warm! Es ist es doch viel wärmer da im Süden, nicht Anna?<br />

„Ja freilich, es gibt sogar Wüsten.“<br />

„Und es gibt auch so wenig Wasser da, nicht?<br />

„Ja, du meinst …?“<br />

„Wo es aber so wenig Wasser gibt, sind doch die Kamele <strong>und</strong><br />

die ...“ Teresa klatschte vor Aufregung die Hände zusammen. „Die<br />

Pyra... na, Pyra...!“<br />

„Die Pyramiden, meinst du bestimmt!“<br />

„Ja, die Pyramiden!“<br />

Gleichzeitig, wie <strong>auf</strong> Kommando, betrachteten sie jetzt die<br />

abgebildeten Dreiecke <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Buch. Sollten es wirklich<br />

Darstellungen von Pyramiden sein? Waren sie <strong>dem</strong> Rätsel jetzt<br />

endlich näher gekommen?<br />

„Wir müssen Martin Bescheid sagen“, fiel es Anna ein.<br />

„Schnell, hol ihn zu uns, Teri! Er soll das Buch auch anfassen<br />

kommen. Wir wissen ja nicht, wie lange das alles so bleibt. Ich<br />

warte mit <strong>Susi</strong> hier <strong>auf</strong> euch.“<br />

132


„Gut, ich hole ihn zum Aufwärmen“, lachte Teresa, die seit ihrem<br />

Schlaf sichtlich <strong>auf</strong>gelebt war.<br />

„Bis gleich.“<br />

Munter <strong>und</strong> bester Laune sprang sie die Treppen hinab. Selbst die<br />

Hut­Männer beängstigten sie im Moment nicht.<br />

Martin wohnte ja nicht weit. Was für ein <strong>auf</strong>regender Tag doch<br />

heute war. Wenn sie das jeman<strong>dem</strong> erzählen würde; kein Mensch<br />

würde ihr je glauben. Sie klingelte unten links. Eine alte Frau mit<br />

Kopftuch schaute aus <strong>dem</strong> Fenster.<br />

„Ah, Teresa, guten Tag.“ Die Frau hustete mehrmals <strong>und</strong> sprach<br />

gebrochen weiter:<br />

„Martin soll kommen, nach hause. Du sagen ihm!“<br />

„Er ist nicht bei uns, Frau ...“ Teresa schaute <strong>auf</strong> das Namensschild,<br />

konnte aber den Namen nicht entziffern.<br />

„Wo dann ist?“<br />

„Er war bei uns. Vor zwei St<strong>und</strong>en ist er jedoch wieder gegangen.“<br />

Teresa zeigte wie zum Beweis zwei Finger nach oben.<br />

„Aber ist gleich Abend <strong>und</strong> essen muss kommen.“<br />

Teresa schaute <strong>auf</strong> ihre kleine Uhr. Es war gleich sechs. Sie wusste<br />

aber nicht, wo Martin noch hingegangen war. Sie zuckte zu der Frau<br />

am Fenster mit den Schultern <strong>und</strong> rief:<br />

„Ich sage ihm Bescheid, wenn ich ihn sehe, ja?“<br />

Die alte Frau sagte etwas, was Teresa nicht verstand. Dann bewegte<br />

sie noch ihre Arme, winkte kurz <strong>und</strong> schloss hinter sich das Fenster.<br />

Wo sollte Martin hingegangen sein? Na es war erst sechs Uhr. Sie<br />

wollten sich etwa gegen acht treffen, dachte Teresa. Jetzt sah sie<br />

auch ihre Mama um die Ecke biegen <strong>und</strong> lief ihr freudig entgegen.<br />

Gleich würden sie sich etwas unterhalten. Auch das Abendessen<br />

wartete schon.<br />

133


Was geschah aber zwischendurch?<br />

„Hören Sie XX6, äh... 7! Ich habe keine Geduld mehr. Seit über<br />

einer Woche sitzen sie schon in Deutschland herum.“<br />

„Sir, erlauben sie, Sir.“<br />

„Unterbrechen sie mich gefälligst nicht!“<br />

„ General, wir ... “<br />

„Ruhe!“<br />

„haben alles ... “<br />

„Ruhe!“<br />

„abgesu... “<br />

„Ruhe verdammt noch ma­al!“<br />

Es klapperte recht gewaltig im Telefonhörer. Dann gab es ein paar<br />

schlürfige Geräusche <strong>und</strong> mit einem Mal war der General<br />

verstummt. Mr. XX7 machte sich <strong>auf</strong>richtig Sorgen.<br />

„General Bomb? Hallo?“<br />

Sein Satellitentelefon schien in Ordnung zu sein. Kurz schaltete er<br />

<strong>auf</strong> die Reserveleitung zu Blackbaby 2 um. Aber auch hier war kein<br />

anderer Empfang möglich. Der General war ein lang gedienter<br />

Mann von fast siebzig Jahren. Vielleicht hatte er wieder Probleme<br />

mit <strong>dem</strong> Kreisl<strong>auf</strong>? Außer<strong>dem</strong> regte er sich immer so <strong>auf</strong>. Für seine<br />

Ges<strong>und</strong>heit war dies bestimmt nicht förderlich. Ein langer Pfeifton<br />

erklang jetzt aus <strong>dem</strong> Hörer. Dann war eine lispelnde, unklare<br />

Stimme zu hören.<br />

„Mr. XX... ?“<br />

„Sir, ja, Sir?“<br />

134


Wieder pfiff es nochmals kurz. Dann knackte es einige Male<br />

hintereinander, so als würden Zähne oder ein Gebiss schnell<br />

zusammen geschlagen.<br />

„So, ich habe sie wieder drin, äh, ich meine, ich habe sie wieder<br />

dran am Telefon.“ Der General betastete seinen Vorderkiefer.<br />

„Gut, Sir. Wie geht es ihnen?“<br />

„Gut natürlich, bis <strong>auf</strong> das dämliche Hörgerä... äh, ich meine den<br />

Hörer <strong>und</strong> diese neue Satellitentechnik. So jetzt aber zur Sache,<br />

klar?“<br />

„Natürlich, Sir.“<br />

„Sie haben die beste Technik dort drüben. Zwei Satelliten stehen zu<br />

ihrer Verfügung <strong>und</strong> sie finden das Kastenbuch nicht? Das kann<br />

doch nicht sein!“<br />

„Sir, wir hatten heute sogar den Koordinator mit <strong>dem</strong><br />

Hyperverstärker zusammen geschaltet, ``hyperverkoordiniert``<br />

sozusagen.“<br />

„Ja <strong>und</strong>? Wo ist das Ergebnis?“<br />

„Das Signal ist einfach abgebrochen. Wir haben alles probiert.“<br />

General Bomb dachte etwas nach. Dann sagte er leise <strong>und</strong> etwas<br />

ruhiger: „Wahrscheinlich haben es schon zu viele berührt. Wir<br />

wissen bisher nicht, wie viele es überhaupt sein dürfen. Aber<br />

wahrscheinlich ist das Signal deshalb weg. Der Koordinator zeigt<br />

dann nichts mehr an. Da nutzt die beste Verstärkung nichts. Tja,<br />

was machen wir denn da ...?“ Nachdenklich fummelte der General<br />

am Knopf seines Hörgerätes.<br />

„Mr. XX?“<br />

„Ja, Sir?“<br />

„Bevor sie zurück kommen ­ noch ein Versuch. Gehen sie etwa zum<br />

Standpunkt der letzten Signale! Suchen sie sich einen höher<br />

135


gelegenen Platz! Wir schalten Ihnen genau gegen 21.00 Uhr MESZ<br />

(Sommerzeit, Mitteleuropa) die Yellowbaby 1 zu. Sie ist dann über<br />

Europa. Vielleicht bekomme ich auch noch ein paar andere<br />

Schaltungen vom Öl­ <strong>und</strong> Rohstoffministrator. Klar?“<br />

„Klar, Sir! Sollen wir den Hyperverstärker aktivieren?“<br />

„Moment, ich frage mal die Techniker ...knack, knack, knack,<br />

klapper, pfeif. Dummes Gebiss!“<br />

„Sir, was sagten sie?“<br />

„Genau, knack, knack. Stellen sie den Minispiegel <strong>auf</strong><br />

Automatikempfang! Benutzen sie die gelbe Symbolreihe am<br />

Verstärker! Der Spiegel richtet sich dann selber <strong>auf</strong> den Satelliten<br />

aus. Machen sie auch den Monitor an!“<br />

„Wie bei Blackbaby?“<br />

„Ja, aber die gelben Symbolschalter benutzen, Mann!“<br />

„Was kann der andere Satellit besser, Sir?“<br />

„Die Yellowbaby 1 kann zum Beispiel Gold in kleinen Mengen<br />

orten. Aus 1000 km Höhe. Es darf nur nicht zu tief vergraben<br />

liegen.“<br />

„Sie findet Gold?“<br />

„Ja Mann! Und Gold ist <strong>auf</strong> jeden Fall am Kastenbuch,<br />

wahrscheinlich auch im Buch. Aber glauben sie ja nicht, dass sie<br />

jetzt Gold suchen könnten. Sie bekommen die Schaltung höchstens<br />

für einige Minuten. Die Satellitennutzung kostet ein Vermögen.“<br />

„Ja Sir, selbstverständlich.“<br />

General Bomb überlegte nun selbst, leicht verträumt, wie schön es<br />

wäre, wenn er einen solchen Satelliten für sich beanspruchen<br />

könnte. Früher, ja das waren noch Zeiten. Alles gab es sofort <strong>und</strong><br />

<strong>reichlich</strong> zugeteilt. Seit aber die Rohstoffpreise ständig stiegen, war<br />

es immer schwieriger geworden, sich einen Spürsatelliten aus <strong>dem</strong><br />

136


Wirtschaftssektor auszuleihen. Was die Nutzung wirklich kostete,<br />

wusste er aber eigentlich nicht. Vielleicht sollte er einmal mit <strong>dem</strong><br />

mächtigen Rohstoffministrator essen gehen?<br />

Es würde zwar kaum etwas nützen, nach so einer kleinen Menge<br />

Gold, für so kurze Zeit aus so großer Entfernung zu suchen. Aber er<br />

brauchte den Bericht für den Verteidigungsministrator. Und darin<br />

musste stehen das er, General Bomb, heldenhaft jede Möglichkeit<br />

genutzt hatte, das Zielobjekt zu finden.<br />

„Nun fangen sie an, Mr. XX, äh ...7! Prüfen sie den Hyperverstärker<br />

<strong>und</strong> seien sie genau Punkt 21.00 Uhr bereit! Gehen sie aber<br />

vorsichtig vor! Man hat sie heute schon beobachtet, wurde mir<br />

berichtet. Versuchen sie es auch noch mal mit <strong>dem</strong> Koordinator!<br />

Verhypern, äh verkoordinieren sie sich aber nicht! Unsere<br />

Telefonverbindung bleibt SS­Blackbaby, alte Frequenz. Auf<br />

Wiedersehen, knack, knack, knack, ...“<br />

„Auf Wiedersehen, knack, Sir.“<br />

„Du hast ja einen Appetit, Teresa?“, staunte der Papa.<br />

Ihr habt euch wohl draußen richtig ausgetobt, was?“<br />

„Ja Papa, heute war wirklich viel los.“<br />

Teresa schob sich gerade mit beiden Händen Salatblätter rein.<br />

Gleichzeitig hielt sie zwischen ihren Fingern Schwarzbrot mit<br />

Paprikawurst. Anna liebäugelte mit <strong>dem</strong> dritten Ei. Hart gekocht<br />

mochte sie Eier besonders gern.<br />

„Die beiden sehen richtig erholt aus“, freute sich auch die Mama.<br />

„Was macht das Frösteln?“<br />

„Alles weg, Mama“, schmatz, schmatz.<br />

„Ach zum Glück! Wenigstens habt ihr keine Frühjahrsgrippe.“<br />

137


„Gibst du mir bitte noch das Ei rüber?“<br />

Die Mama gab das Ei rüber <strong>und</strong> beobachtete ihre beiden Töchter<br />

sichtlich zufrieden. Wie gern würde sie auch wieder mal etwas<br />

erleben. Sich mal richtig austoben; sie lächelte bei diesem<br />

Gedanken. Schon oft hatte sie überlegt, ob ihr Leben denn nun<br />

immer so weiter l<strong>auf</strong>en würde. Alles war geplant. Alles war<br />

abgesteckt. Eigentlich wiederholte sich auch immer alles. Die<br />

Arbeit, der Haushalt, der Ehemann, mal ein Treffen hier, mal ein<br />

Ausflug dort. In ein paar Jahren wären ihre Töchter erwachsen.<br />

Sofort dachte sie an die kleinen Babysachen, die sie sorgsam im<br />

Schrank <strong>auf</strong>bewahrte. Nun begann wenigstens die warme Jahreszeit<br />

<strong>und</strong> alle waren zum Glück ges<strong>und</strong>. Gedankenverloren schaute sie zu<br />

ihrem Mann.<br />

Der betrachtete sie lustig <strong>und</strong> wirkte irgendwie erwartungsvoll.<br />

„Hast du heute aber wirklich gut gemacht, das Essen. Und es ist<br />

Frühling. Bald können wir wieder baden gehen. Und ins Kino<br />

müssen wir gehen. Ja, wir müssen unbedingt wieder mal ausgehen.“<br />

Die Mama lachte etwas mit den Augen. Der Papa machte wohl<br />

Witze. Während der Papa sprach, tätschelte er die Schulter der<br />

Mama.<br />

Anna las in der Tageszeitung. Dabei fragte sie:<br />

„Wisst ihr was heute kommt?“<br />

„Nein.“<br />

„Wo?“<br />

„Im Kino, meine ich.“ Anna schaute vom Lesen hoch.<br />

„Was kommt denn nun?“<br />

„Der Film heißt ``Die zwei Agenten in Lederhose``, eine Komödie<br />

ab 16 Jahren.“<br />

„Schade“, sagte Teresa, „warum erst ab 16 Jahren?“<br />

138


„Das ist speziell nur für die Eltern, Teri“, erklärte Anna leise. Dann<br />

gab sie ihrer Schwester mit einem Handzeichen zu verstehen, dass<br />

sie jetzt lieber nicht so viel reden solle.<br />

„Eine Komödie?“, fragte der Papa.<br />

„Ja hier, lies selbst!“<br />

Anna reichte <strong>dem</strong> Papa die Zeitung herüber.<br />

„Das wäre bestimmt etwas für dich <strong>und</strong> Mama.“<br />

„Genau! Die zwei Agenten ­ das hört sich doch echt gut an“,<br />

witzelte der Papa.<br />

Dann beugte er sich mit schmachten<strong>dem</strong> Blick zur Mama <strong>und</strong><br />

flötete: „Würdest du mit mir heute in eine Komödie, ich meine ins<br />

Kino gehen?“<br />

Die Mama lachte jetzt noch zusätzlich mit <strong>dem</strong> M<strong>und</strong>.<br />

Dieses Angebot hatte sie nicht erwartet. Dann schlug sie den Kopf<br />

nach hinten, so dass ihre Haare eine wilde Drehung vollführten. Der<br />

Papa sah sie listig an. Dabei lachte er breit. Der Mama schien die<br />

Idee aber zu gefallen. Sie schaute sich kurz in der R<strong>und</strong>e um <strong>und</strong><br />

sagte mit Schmollm<strong>und</strong>:<br />

„Gut, ich gehe jetzt ins Bad. Außer<strong>dem</strong> muss ich mir noch die<br />

Haare machen <strong>und</strong> ein schönes Kleid aussuchen. Räumt doch bitte<br />

den Tisch ab! Und geht nachher noch mit <strong>dem</strong> H<strong>und</strong>, ja?“<br />

Schon war sie <strong>auf</strong>gestanden <strong>und</strong> stand an der Tür.<br />

„Ach so, wann fängt ´s denn an, mein lieber Mann?“ Ihr Kopf<br />

drehte sich zurück. Auch die Haare wippten wieder raffiniert.<br />

„Ja, also ... ja gleich. Wann immer du willst.“<br />

„Fein, bis gleich.“ Die Tür klappte zu.<br />

Der Papa machte schnell die Pfannen sauber. Anna räumte das<br />

Geschirr ab <strong>und</strong> überlegte, dass ihr Plan <strong>auf</strong>gehen würde. Der<br />

139


Abend wäre also frei. Teresa dachte an den Film <strong>und</strong> überlegte was<br />

sie alles machen würde, wenn sie erst 16 Jahre alt wäre.<br />

„Geht mit Robi aber bevor es ganz dunkel ist <strong>und</strong> nicht zu lange<br />

Fernsehen, ja?“<br />

„Gut Papa, machen wir. Wir l<strong>auf</strong>en eine große R<strong>und</strong>e um den<br />

Spielplatz, ja?“<br />

„Ja gut. Ich kann mich doch <strong>auf</strong> euch verlassen, oder? Na ihr wart ja<br />

schon öfter mal ein paar St<strong>und</strong>en allein. Und keine Streichhölzer<br />

anzünden! Die Kerzen bleiben aus, ja?“<br />

„Ja.“<br />

Und Finger weg vom Elektroherd <strong>und</strong> vom Bügeleisen, klar?“<br />

„Klar.“<br />

Die Mama kam nach einiger Zeit (ca. eine St<strong>und</strong>e) aus <strong>dem</strong> Bad. Sie<br />

sah mit <strong>dem</strong> neuen Lidschatten w<strong>und</strong>erschön aus. Dann machte sich<br />

der Papa schick. Keine halbe St<strong>und</strong>e später waren die Eltern <strong>auf</strong><br />

<strong>dem</strong> Weg ins Kino.<br />

Sie standen schon <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Gehweg. Robis struppiger Schwanz ging<br />

eilig hin <strong>und</strong> her. Auffordernd zog er an der Leine. Natürlich wollte<br />

er viel ausl<strong>auf</strong>en. Seine Augen drehten sich immer etwas rückwärts.<br />

Mit hechelnder Zunge erwartete er, dass die Mädchen ihm folgen<br />

würden. <strong>Susi</strong> hatte es da leichter. Vorhin <strong>saß</strong> sie noch dicht gedrängt<br />

an der Wohnungstür. Jetzt tänzelte sie noch ein bisschen um Robis<br />

Kopf, hielt ihren buschigen Schwanz lang nach oben ausgestreckt,<br />

<strong>und</strong> lief dann in Richtung eines schmalen Pfades <strong>dem</strong> nahen Wald<br />

zu.<br />

„Wo er nur bleibt“, w<strong>und</strong>erte sich Anna. „Es ist schon acht durch.“<br />

„Ich kann den H<strong>und</strong> kaum noch halten“, stöhnte Teresa. „Nimm du<br />

ihn mal! Er zieht mich sonst weg.“<br />

140


„Teri, wollen wir noch mal klingeln?“<br />

„Lieber nicht. Vielleicht darf Martin nicht mehr raus. Komm, wir<br />

gehen lieber!“<br />

So gingen sie über die Straße. Anna hatte Mühe, den H<strong>und</strong> ruhig zu<br />

halten. Der Verkehr war aber schon ruhiger geworden. Sie<br />

erreichten den schmalen, bergigen Pfad hinter den letzten Häusern.<br />

Hier begann ein kleiner Aufstieg durch bewaldetes Gebiet. Die<br />

Mädchen kannten den Weg. Die anbrechende Dämmerung störte sie<br />

kaum. Es ging teilweise steil nach oben.<br />

Teresa wollte nun doch wieder den H<strong>und</strong>, um sich ziehen zu lassen.<br />

Eine Stofftasche hing an Annas Hand. Sie achtete sorgsam dar<strong>auf</strong>,<br />

die Tasche möglichst gerade zu halten.<br />

Kurze Zeit später machten sie den H<strong>und</strong> von der Leine ab. Robi<br />

jagte sofort los, bellte munter <strong>und</strong> drehte große Kreise. Plötzlich<br />

raschelte es links neben Anna. Sie blickte <strong>auf</strong> die Sträucher am<br />

Wegrand. Bewegten sich da nicht etwas die knospenden Zweige?<br />

Den H<strong>und</strong> schien das Rascheln aber nicht zu interessieren <strong>und</strong> sie<br />

setzten ihren Weg fort. Langsam lichtete sich der Wald. Direkt <strong>auf</strong><br />

der kleinen Berghöhe erreichten die Mädchen ihr Ziel. Jetzt, im<br />

Halbdunkel, wirkte der Spielplatz größer. Die gesamte Freifläche<br />

war mit Spielgeräten <strong>und</strong> Sandkästen ausgestattet. Nur zwei<br />

einzelne Lampen, an der nahen Straße gelegen, spendeten etwas<br />

Licht herüber. Hinter der schmalen Straße begann die nächste<br />

Wohnsiedlung. Sie liefen noch eine R<strong>und</strong>e um den ganzen Platz.<br />

Dort drüben befanden sich auch die Container für Wertstoffe.<br />

„Willst du das Buch wirklich in solch einen Container legen?“,<br />

fragte Teresa skeptisch.<br />

Anna wusste es nun auch nicht mehr so genau <strong>und</strong> antwortete: „Die<br />

Container werden heute sicher nicht mehr abgeholt. Und wenn das<br />

141


verflixte Ding sowieso zurückkommt, ist es doch egal. Ich will aber<br />

heute in Ruhe schlafen, Teresa.“<br />

Robi, der immer noch frei lief, spitzte die Ohren, <strong>saß</strong> kurz still <strong>und</strong><br />

jagte dann in die Richtung davon, aus der sie gekommen waren.<br />

„Hoffentlich haut der jetzt nicht ab“, sagte Anna besorgt.<br />

„Robi, hierher! Kommst du her!“<br />

Anna wusste, dass es nicht viel nutzte, einem H<strong>und</strong> hinterher zu<br />

l<strong>auf</strong>en. Deswegen versuchte sie es mit strenger Stimme <strong>und</strong> blieb<br />

<strong>auf</strong> ihrem Platz stehen. Teresa besah sich schon die Schaukel.<br />

Gleich dar<strong>auf</strong> kam das Bellen aber wieder näher <strong>und</strong> hinter Robi<br />

tauchte eine Gestalt <strong>auf</strong>. Im Halbdunkel erkannten sie dann Martin,<br />

der schon mit den Armen winkte. Anna machte inzwischen den<br />

H<strong>und</strong> an einer Bank fest.<br />

„Hallo Teresa, hallo Anna! Habt ihr es mit?“<br />

„Ja. Zum Glück bist du es, Martin!“, rief ihm Teresa entgegen.<br />

„Ja, zum Glück, wo warst du denn? Es ist schon“, Anna schaute <strong>auf</strong><br />

ihre beleuchtete Uhr, „gleich halb neun.“<br />

„Ich war noch in der Stadt, in der Bibliothek. Da habe ich einen<br />

Bildband gef<strong>und</strong>en, über die Pyramiden <strong>und</strong> über die Länder da, im<br />

Süden.“ Martin atmete immer noch hastig.<br />

„Da gucken wir morgen gleich rein, ja?“, nickte Anna zu Martin,<br />

obwohl es immer dunkler wurde.<br />

„Ich habe schon einiges gelesen. Deswegen bin ich auch zu spät<br />

gekommen. Meine Oma weiß nicht mal, dass ich hier bin. Ich muss<br />

euch unbedingt etwas zeigen.“<br />

Martin holte ein (echtes) Buch hervor, bemerkte aber gleich wie<br />

dunkel es schon war. Er schaute sich um <strong>und</strong> zeigte über die Straße:<br />

„Kommt! Wir gehen da rüber, hinter die Container. Da ist eine<br />

Straßenlampe. Hier sieht man ja bald nichts mehr.“<br />

142


Anna war jetzt sofort das Kastenbuch in ihrer Tasche eingefallen<br />

<strong>und</strong> sie sagte zu Martin:<br />

„Du, schnell, berühre es mal bevor wir es verstecken!“<br />

Gleichzeitig schilderte sie ihm kurz, was sich am Nachmittag noch<br />

zugetragen hatte. Martin berührte die silbrige Oberfläche. Auch das<br />

Katzenprofil fasste er an <strong>und</strong> sie drehten das Buch in alle<br />

Richtungen. Es leuchtete gespenstisch, aber nichts geschah diesmal.<br />

Martin empfand weder frohe Müdigkeit noch wärmende<br />

Fröhlichkeit.<br />

„Wie das leuchtet“, staunte Teresa immer wieder.<br />

„Nichts.“ Martin zog die Hände wieder zurück.<br />

„Wahrscheinlich fehlt <strong>Susi</strong>“, sagte Anna etwas enttäuscht.<br />

Eigentlich hatte sie schon so etwas geahnt. Nun war es also klar,<br />

dass zwischen <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Kastenbuch ein geheimnisvoller<br />

Zusammenhang bestand.<br />

„Ich will aber schaukeln“, <strong>ließ</strong> sich Teresa gelangweilt hören.<br />

„Gut Teri, wir schaffen nur das Kastenbuch zum Container <strong>und</strong><br />

kommen gleich wieder zurück.“<br />

„Ich geh aber jetzt schaukeln“, forderte Teresa weiter. Endlich<br />

wollte sie die Spielgeräte im Halbdunkel ausprobieren.<br />

„Dann schaukele du schon <strong>und</strong> wir gehen allein, ja?<br />

„Gut, beeilt euch aber!“<br />

„Ja, bis gleich, Teri.“<br />

„Bis gleich.“<br />

Anna <strong>und</strong> Martin gingen los. Robi beobachtete die Kinder von der<br />

Bank aus. Anna fiel jetzt der H<strong>und</strong> ein. Sie drehte sich kurz um <strong>und</strong><br />

rief:<br />

„Und schau mal nach Robi, beim Spielen!“<br />

Teresa <strong>saß</strong> aber schon <strong>auf</strong> ihrer geliebten Schaukel.<br />

143


Nur Minuten vorher hatten sich die Zweige der Sträucher etwas<br />

auseinander geschoben. Lautlos war ein Schatten über den<br />

Spielplatz gehuscht. Vom Klettergerüst zur Wippe, dann am Rande<br />

des Sandkastens entlang, schob sich der Schatten unmerklich voran.<br />

Ganz in der Nähe heulten einige H<strong>und</strong>e. Ein sanfter Abendwind<br />

säuselte um das junge Gras an der Bank. Robi schnupperte etwas,<br />

konnte aber nichts erkennen oder hören. So duckte er sich hinter die<br />

Bank zurück. Einige Schritte weiter unterhielten sich die Kinder.<br />

Wie aus <strong>dem</strong> Nichts tauchten zwei gelbe Augen vor ihm <strong>auf</strong>.<br />

„Hallo Rob“, flüsterte es.<br />

„<strong>Susi</strong>? Fein, das du kommst.“<br />

„Ich hab es dir doch heute früh versprochen. Dreh dich mal ein<br />

bisschen um, mit deinem Kopf“<br />

Robi legte den Kopf etwas zur Seite. <strong>Susi</strong> konnte nun an das<br />

Halsband gelangen. Den Haken der Leine vermochte sie nicht zu<br />

lösen. Das Halsband aber, welches nur recht lose angelegt war,<br />

konnte sie mit den Krallen öffnen. Geschickt stellte sie sich dabei<br />

an; sch<strong>ließ</strong>lich hatten sie es heute einige Male geübt. Nach ein paar<br />

Pfotengriffen war Robi frei.<br />

„Soll ich das Halsband wieder sch<strong>ließ</strong>en?“, fragte sie ihren großen<br />

Fre<strong>und</strong>.<br />

„Lieber nicht, <strong>Susi</strong>. Falls die Kinder nach mir suchen, w<strong>und</strong>ern sie<br />

sich noch mehr.“<br />

„Wann wirst du zurück sein, Rob?“<br />

Robi schaute zum Himmel. Dann beugte er sich zu <strong>Susi</strong> <strong>und</strong><br />

flüsterte: „Es geht nur leichter Wind. Bevor die kleine Wolke dort<br />

oben den Mond erreicht, bin ich zurück.“<br />

144


„Gut Rob, viel Spaß heute bei eurem Treffen.“<br />

<strong>Susi</strong> schaute nach der Wolke. Die Worte „bis gleich“ von Teresa<br />

klangen in diesem Moment herüber. <strong>Susi</strong> sah, wie das Mädchen<br />

eilig <strong>auf</strong> die nahe gelegene Schaukel zu steuerte.<br />

Dann bekam sie von Robi noch einen Ohrschlecker. Sie<br />

verabschiedeten sich <strong>und</strong> ihr H<strong>und</strong>efre<strong>und</strong> verschwand in der<br />

anbrechenden Dunkelheit. <strong>Susi</strong> sah jetzt fast alles noch genau so gut<br />

wie am Tage. Die Farben verblassten zwar, aber die Sehschärfe<br />

wurde umso besser. Alles schimmerte nur viel grünlicher. Jetzt war<br />

<strong>Susi</strong>s Zeit. Lautlos <strong>und</strong> mit katzenartigen Bewegungen war sie in<br />

kürzester Zeit wieder am Waldrand. Hier wollte sie bis zu Robis<br />

Rückkehr <strong>auf</strong> Entdeckung gehen.<br />

Als die Kinder kurz dar<strong>auf</strong> die Container erreichten, war Anna<br />

erleichtert. Martin suchte ein fast gefülltes Fach aus. So konnte man<br />

die Stofftasche auch jederzeit wieder finden. Anna schob die Tasche<br />

mit <strong>dem</strong> Buch seitlich am inneren Containerrand zwischen die<br />

vielen Verpackungsreste. Sie merkte sich die Stelle genau. Sie<br />

standen jetzt in der Nähe einer Straßenlampe. Martin wollte ihr<br />

noch einige Abbildungen aus seinem neuen Buch zeigen. Lautlos<br />

fuhren ein, zwei Autos an ihnen vorbei. Anna schaute über die<br />

Straße zurück. Sie glaubte die Bewegungen der Schaukel zu<br />

erkennen <strong>und</strong> machte sich Sorgen um Teresa.<br />

„Martin, wir können uns doch morgen das Buch angucken. Teri ist<br />

ganz allein. Komm wir gehen lieber wieder zurück!“<br />

Wieder fuhr ein Auto an ihnen vorüber <strong>und</strong> hielt gleich in der Nähe<br />

des Spielplatzes.<br />

„Martin, komm! Morgen reicht es auch noch.“<br />

145


„Na gut, meine Oma wird sowieso wütend sein.“<br />

Sie drehten um. Erst jetzt erlosch das Licht des geparkten<br />

Fahrzeuges am Spielplatz. Die Türen klappten. Teresa schaukelte<br />

noch immer. Anna <strong>und</strong> Martin waren in der Dunkelheit weiter<br />

gel<strong>auf</strong>en. In diesem Augenblick stockte ihnen aber der Atem. Anna<br />

taumelte. Erst jetzt erkannten sie die Lage. Keine zehn Meter weiter<br />

waren sie einfach aus einem Auto gestiegen. Da standen sie, direkt<br />

vor Ihnen.<br />

„Oh nein, ich glaub es nicht“, flüsterte Anna erschüttert.<br />

„Doch sie sind es“, stotterte Martin zurück.<br />

„Bist du sicher? Suchen die nach uns?“<br />

Martin gab aber keine Antwort mehr. Er hatte diese Männer schon<br />

zweimal ganz aus der Nähe gesehen. Anna hoffte noch irgendwie<br />

<strong>auf</strong> ein W<strong>und</strong>er. Doch es half nichts. Umkehren oder wegl<strong>auf</strong>en?<br />

Das würde auch nichts bringen. Es wäre sofort verdächtig. Ein<br />

Stückchen weiter befand sich auch noch Teresa <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Spielplatz.<br />

Und sie war jetzt das Wichtigste, dachte Anna.<br />

„Martin, wir müssen zu Teresa. Bleib ganz still! Ich mache das.“<br />

Anna nahm allen Mut zusammen. Unbedingt musste sie ihre kleine<br />

Schwester schützen. Kurz entschlossen zog sie Martin an ihre Seite<br />

<strong>und</strong> schritt den Langmänteln geradewegs entgegen. Die hatten sie<br />

erst jetzt bemerkt. Es schien sie aber nicht weiter zu stören. Zum<br />

ersten Mal hörte Anna die laute, befehlende Stimme des einen:<br />

„Nimm den Verstärker raus! Ich stelle ihn dann ein.“<br />

„Können wir denn hier parken?“, krächz, krächz.<br />

„Na ja natürlich. Hier ist doch kein Mensch.“<br />

„Aber die zwei Kinder, die da kommen?“<br />

„Na dann kommen die eben. Mach jetzt! Es ist gleich zehn vor<br />

neun. Du weißt doch, dass wir nicht viel Zeit haben.“<br />

146


Die Kinder waren nun <strong>auf</strong> gleicher Höhe mit <strong>dem</strong> Fahrzeug<br />

angekommen <strong>und</strong> befanden sich direkt neben den Männern. Auf<br />

<strong>dem</strong> Gehweg stand ein großer Kasten mit mehreren Antennen <strong>und</strong><br />

vielen Knöpfen. Seitwärts, vom Auto aus gesehen, begann die große<br />

freie Fläche mit <strong>dem</strong> Spielplatz. Anna schaute intuitiv hin<strong>auf</strong> zum<br />

Himmel. Nur einige kleine Wolken in der Nähe des Mondes waren<br />

zu erkennen. Ansonsten leuchteten schon die ersten Sterne durch<br />

die Dunkelheit. Noch einen Schritt <strong>und</strong> Anna stand direkt vor <strong>dem</strong><br />

größeren Mann. Sie sahen sich in die Augen.<br />

„Guten Abend, werte Herren. Sie sind bestimmt das berühmte<br />

Forscherteam, von <strong>dem</strong> alle erzählen, nicht?“<br />

„Was für Team?“, entfuhr es <strong>dem</strong> Mann. Verdutzt schaute er <strong>auf</strong><br />

das Mädchen.<br />

„Es steht doch in allen Zeitungen. Sie erforschen doch die“, Anna<br />

schaute wieder zum Himmel, „die Mondgravitation <strong>und</strong> die, die<br />

Rotation der Sterne, nicht?“<br />

Anna lächelte so gut sie konnte. Martin hatte sich den Kragen hoch<br />

geschoben <strong>und</strong> blickte nach unten. Die Männer schauten sich<br />

gegenseitig etwas dümmlich an. Anna gab ihnen aber keine Zeit<br />

zum Antworten. Mit aller Kunst plapperte sie weiter:<br />

„Ach, ich bew<strong>und</strong>ere sie. Sie sind so berühmt. Später will ich auch<br />

mal Astrologe, äh Astronom werden.“<br />

„Natürlich ­ die Mondgravitation erforschen wir“, sagte der kleinere<br />

Mann <strong>und</strong> streckte sich, schief lächelnd, zu voller Größe <strong>auf</strong>. Der<br />

Große schaute ihn abstrafend an.<br />

„Wie schön, dass sie sogar unseren Spielplatz für ihre Forschungen<br />

benutzen. Hier ist eine gute Sicht <strong>und</strong> nichts versperrt den Himmel,<br />

nicht?“<br />

„Wollt ihr nicht lieber nach Hause gehen, Kinder?“<br />

147


XX7 hatte nur noch wenige Minuten Zeit. Die Yellobaby 1 sollte<br />

sich gleich in Position befinden. Er konnte sich jetzt nicht noch <strong>auf</strong><br />

ein Gespräch mit Kindern einlassen. Vielleicht beobachtete sie ja<br />

gerade der andere Geheimdienst. Vielleicht würden auch noch<br />

andere Leute hier vorbei kommen oder spazieren gehen. Da fiel ihm<br />

plötzlich ein, dass ihm die Kinder durchaus als Tarnung dienen<br />

könnten. Er könnte sie in <strong>dem</strong> Glauben lassen, er <strong>und</strong> XX0 machten<br />

mit <strong>dem</strong> Hyperverstärker irgendwelche Himmelsbeobachtungen<br />

oder Untersuchungen. Käme jemand vorbei, würde es so weniger<br />

<strong>auf</strong>fallen. Sie könnten ja durchaus von einer Schule sein. Genau!<br />

Und morgen ginge es sowieso zurück. Heute war hier ihr letzter<br />

Einsatz. XX7 war inzwischen ganz nah an die Kinder heran getreten<br />

<strong>und</strong> räusperte sich:<br />

„Ja Mädel, wir machen heute einige Messungen <strong>und</strong> ein paar<br />

Fotografien. Wenn ihr noch Zeit habt, könnt ihr mit dabei sein. Wer<br />

ist eigentlich der Junge dort?“<br />

Anna <strong>ließ</strong> sich die Überraschung über die unerwartete Einladung<br />

nicht anmerken <strong>und</strong> antwortete artig:<br />

„Toll, gern gucken wir zu. Der Junge, das ist mein Fre<strong>und</strong>. Er kann<br />

leider nicht richtig sprechen, weil er eine ansteckende Krankheit im<br />

Hals hat.“<br />

Martin zuckte zusammen. Anna fasste sich an ihren Hals.<br />

„Eine ansteckende Krankheit hat er?“<br />

„Ja, na manche stecken sich aber auch nicht an“, fügte Anna rasch<br />

hinzu. Ihr fiel ein, dass sie sich fast selbst eingeladen hatte. Es wäre<br />

bestimmt klüger gewesen zu verschwinden. Die Männer waren aber<br />

mit ihrer Technik beschäftigt <strong>und</strong> gingen nicht weiter <strong>auf</strong> die Kinder<br />

ein.<br />

148


Martin hustete etwas. Er gab sich Mühe, so ansteckend wie möglich<br />

zu wirken <strong>und</strong> sein Gesicht nicht direkt zu zeigen. Zu gern wäre er<br />

jetzt bei seiner Oma. Die Dunkelheit schützte ihn aber. Der eine<br />

Mann hantierte immer noch an <strong>dem</strong> Kasten herum. Wieder schauten<br />

die Männer <strong>auf</strong> die Uhr.<br />

„Kommt Kinder, wir gehen jetzt dort rüber <strong>auf</strong> die freie Fläche!“<br />

Mit Herzklopfen folgten sie den Männern. Konnten sie nun mehr<br />

erfahren? Anna w<strong>und</strong>erte sich, dass sie nicht einmal nach ihren<br />

Vornamen gefragt wurden. Auch war klar, dass es sich hier nicht<br />

um eine nächtliche Sternenbeobachtung handeln würde. Gleich am<br />

Rande des Spielplatzes blieben sie dann stehen. Einige Meter weiter<br />

begann fast völlige Dunkelheit. Eine Taschenlampe flammte <strong>auf</strong>.<br />

Anna versuchte, die Schaukel zu erkennen. Von Teresa war aber<br />

nichts zu hören oder zu sehen. „Sie hat sich bestimmt versteckt“,<br />

dachte Anna. Sie kannte doch ihre flinke Schwester.<br />

Ein Bildschirm, ähnlich einem Computer­Monitor, leuchtete <strong>auf</strong>.<br />

Knöpfe wurden gedreht, Hebel <strong>und</strong> Schalter umgelegt. Eine kleine<br />

Empfangsschüssel begann sich langsam <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Kasten zu drehen.<br />

„XX... äh Doktor, es ist gleich soweit.“<br />

„Gut. Zeichnen sie die Ergebnisse optisch <strong>und</strong> akustisch <strong>auf</strong> die<br />

Festplatte.“<br />

„Akustisch?“<br />

„Gravitätisch, meinte ich. Und achten sie <strong>auf</strong> die, äh Rotation!“<br />

Martin hörte das Einsetzen der Kirchenglocke zur vollen St<strong>und</strong>e. Er<br />

wünschte sich nur noch, dass die Sache hier so schnell wie möglich<br />

beendet wäre. Anna hatte sich, als wäre es das Normalste der Welt,<br />

zwischen die Männer gehockt <strong>und</strong> beobachtete den Bildschirm. Es<br />

summte etwas in <strong>dem</strong> Kasten. Dann flossen verschiedene Daten<br />

über den Monitor. Der kleine Spiegel drehte sich nur noch<br />

149


unmerklich. Diverse gelbe Anzeigen leuchteten <strong>auf</strong>. In der Ferne<br />

bellten einige H<strong>und</strong>e. Nach <strong>und</strong> nach erschienen h<strong>und</strong>erte,<br />

goldfarbene Punkte <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Monitor. Die Männer gerieten in<br />

Aufregung.<br />

Es kamen immer mehr Punkte <strong>und</strong> auch strichartige Abbildungen<br />

dazu.<br />

„Sind das die Sterne?“, fragte Anna mit unschuldiger Stimme.<br />

„Nun, es ist mehr die Rotationsverschiebung der Sterne oder die<br />

Bahnen, die durch die Gravitation koor... äh kooperieren, also<br />

gemeinsam sich ablenken.“<br />

„Aha, ach so ist das.“<br />

„Zeichne die Bilder <strong>auf</strong>!“, sagte der Große zu seinem Kollegen.<br />

„Wir brauchen auch die genauen Positionen des Gol... äh, der<br />

Sterne.“<br />

Auf <strong>dem</strong> Monitor wurde es nun immer gelber. Sicher waren schon<br />

an die tausend gelbe Markierungen zu erkennen. Darunter erkannte<br />

man ganz schwach eine Art Landkarte. Ein blaugrüner Faden<br />

schlängelte sich durch das Bild.<br />

„Kann man das auch vergrößern?“, fragte Anna weiter.<br />

„Ich denke schon“, erwiderte der Kleinere, der sich insgeheim über<br />

das nette Mädchen freute. Er machte ein Standbild. Dann trennte er<br />

einen winzig kleinen Bildausschnitt ab <strong>und</strong> vergrößerte ihn. Anna<br />

zählte den Vergrößerungsfaktor mit. Bei einem Faktor von<br />

fünftausend, waren von den gelben Punkten nur noch<br />

verschwommene Farbflecke zu erkennen.<br />

„Es ist einfach zu weit weg <strong>und</strong> die Mengen sind zu gering“, sagte<br />

der Große. „Da nutzt uns auch der beste Satell..., ich meine die<br />

beste Sattelantenne nichts.“<br />

150


Anna hatte ganz genau hingeschaut. Einige gelbe Flecke <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />

Monitor sahen in der Vergrößerung etwas ringförmig aus. Für diese<br />

Deutung musste man aber wirklich eine gute Vorstellungsgabe<br />

besitzen. Plötzlich klingelte ein Telefon. Der Klingelton war die<br />

Musik „Goodbye Jonny“.<br />

Der Große griff in seine Tasche.<br />

„Hallo? Ja Sir, ... was? Abgebrochen, Sir? Sofort abgebrochen?<br />

Gut, Sir! ... Ja, habe ich verstanden, Sir! ... Nein, bringt keinen<br />

Erfolg ... Das glaube ich auch, Sir. Morgen, ja ... mit <strong>dem</strong><br />

Flugzeug. Klar, Sir ... goodbye.“<br />

Schlagartig verschwanden die gelben Pünktchen vom Bildschirm.<br />

Die Männer sahen nach oben, als würden sie etwas vermissen. Dann<br />

begannen sie einzupacken.<br />

„Das war’s Kinder“, sagte der Große.<br />

„Wir haben unsere Forschungen beendet. Erzählt aber bitte nichts<br />

darüber. Es muss alles noch ausgewertet werden.“<br />

Bei sich selbst dachte XX7 aber schon an den bevorstehenden<br />

Heimflug. Ein schöner, langer Urlaub wartete <strong>auf</strong> ihn. Das nächste<br />

Mal wollte er sehen, dass er einen normalen Auftrag bekäme. Ein<br />

verschw<strong>und</strong>enes, rätselhaftes Buch zu jagen, war nicht so seine<br />

Sache. Zum Glück hatten sie gegen den fremden Geheimdienst<br />

durchgehalten. Die „Anderen“ waren aber auch raffiniert. Das<br />

Kastenbuch war bestimmt längst außer Landes <strong>und</strong> hier, in dieser<br />

kleinen Stadt, lief nur das Ablenkmanöver. XX7 war sich da ganz<br />

sicher. Nun wollte er noch ein paar alte Verpackungen <strong>und</strong> Müll<br />

loswerden. Da sah er die Container stehen. Auch XX0 musste mit<br />

anpacken. Sie trugen ihr Zeug bis zum ersten Container <strong>und</strong><br />

stopften es in irgendwelche Fächer. Anna <strong>und</strong> Martin sahen<br />

151


angespannt aus der Ferne zu. Sie standen noch immer in der Nähe<br />

des Autos. Niemand hörte wie ein kleines längliches Gerät, welches<br />

sich im Auto befand, einige Sek<strong>und</strong>en lang leise <strong>auf</strong>piepste.<br />

Die Männer kehrten zurück <strong>und</strong> räumten den Rest ihrer Ausrüstung<br />

ins Fahrzeug.<br />

Anna fragte vorsichtig: „Wollen Sie denn schon abreisen?“<br />

„Ja, müssen wir sogar. Morgen früh schon geht unser Flugzeug.“<br />

„Schade“, sagte Anna mit bedauerlichem Tonfall.<br />

Dann verabschiedeten sie sich.<br />

„Tschüs Kinder!“<br />

„Auf jeden Fall wünschen wir ihnen einen guten Flug. Und vielen<br />

Dank, dass wir zuschauen durften, tschüs.“ Anna bemühte sich, ihre<br />

Stimme so harmlos wie möglich klingen zu lassen.<br />

Martin hustete noch mal richtig laut.<br />

In der Nähe bellte ein H<strong>und</strong>.<br />

Im Kino wurde laut gelacht.<br />

Die Türen klappten wieder <strong>und</strong> das Auto fuhr fast geräuschlos<br />

davon.<br />

Anna hätte fast gejubelt. Martin hopste nach oben. Sie seufzten vor<br />

Erleichterung. Die ganze Last der letzten St<strong>und</strong>e fiel mit einem Mal<br />

von Ihnen.<br />

„Man muss nur richtig nett sein, was?“, lachte Anna.<br />

„Wie hast du das nur gemacht?“, w<strong>und</strong>erte sich Martin <strong>und</strong><br />

schüttelte den Kopf.<br />

„Ich weiß es auch nicht genau. Ich hab nur an Teri gedacht.“<br />

Anna schaute <strong>auf</strong> die Uhr. Es war kurz vor zehn.<br />

„Komm schnell!“<br />

152


Sie rannten zurück <strong>auf</strong> den Spielplatz. Robi bellte. Teresa war hinter<br />

einem Baum hervor gekommen <strong>und</strong> lief ihnen schon entgegen. „Ich<br />

hab einiges mitgehört. Sie fliegen ab“, rief sie.<br />

Glücklich umarmten sie sich.<br />

„Es ist so schön, dass du da bist, Teresa“, sprach Anna ganz gerührt<br />

<strong>und</strong> drückte immer wieder ihre kleine Schwester.<br />

„Anna war großartig“, sagte Martin.<br />

Robi wedelte mit <strong>dem</strong> Schwanz <strong>und</strong> zog ungeduldig am Halsband.<br />

Nach <strong>dem</strong> Kastenbuch wollten sie nun nicht mehr sehen. Anna<br />

machte die Leine von der Bank ab. Schnell liefen sie den schmalen<br />

Weg hinab. Etwas weiter vorn konnten sie schon die erste Lampe<br />

ihrer Wohngegend erkennen. Völlig müde von diesem <strong>auf</strong>regenden,<br />

langen Tag erreichten sie in der elften St<strong>und</strong>e ihre Hauseingänge.<br />

Martin schlich schnell zu sich hinein. Die Mädchen waren ruckzuck<br />

ausgezogen <strong>und</strong> gewaschen. Robi legte sich <strong>auf</strong> seine Decke. Kurze<br />

Zeit später lagen die Kinder in ihren Betten <strong>und</strong> schliefen sofort ein.<br />

So hörten sie nicht mehr, wie nur Minuten später die Eltern die Tür<br />

<strong>auf</strong>schlossen.<br />

„Na, du Agent“, scherzte die Mama leise.<br />

„War lustig nicht?“, flüsterte der Papa <strong>und</strong> gab ihr einen Kuss.<br />

Beide öffneten sie behutsam die Tür zum Kinderzimmer. Vorsichtig<br />

beugten sie sich über die Betten. Die Mädchen träumten friedlich.<br />

„Schade, dass ihr nicht die zwei Agenten im Film gesehen habt“,<br />

flüsterte der Papa noch leiser. Dann schlossen sie die Tür.<br />

Ein grauer Schatten huschte geräuschlos um die dunkle Hausecke.<br />

Die Nacht war noch lang.<br />

153


(Was meinst Du, was Anna gesehen haben könnte, als sie die gelben<br />

Vergrößerungen <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Monitor betrachtete?)<br />

154


155


13. >ZWISCHEN< Eis <strong>und</strong> Blaubeerbrause<br />

Teresa leckte das schmelzende Eis ab. Sie war sorgfältig dar<strong>auf</strong><br />

bedacht, dass nichts über den Rand lief.<br />

Langsam drehte sie die Knusperwaffel <strong>und</strong> beobachtete die kleinen<br />

Nuss­Stückchen im Eis. Links <strong>und</strong> rechts <strong>saß</strong>en Leute im Freien.<br />

Anna lutschte Erbeer­ <strong>und</strong> Martin Schokoeis. Vor einer Weile<br />

waren sie mit <strong>dem</strong> Fahrrad gekommen. Das erste Mal in diesem<br />

Jahr. Das kleine Eiscafe war auch erst seit ein paar Tagen<br />

geöffnet. Sonniges, mildes Frühlingswetter wirkte belebend <strong>auf</strong> alle<br />

Sinne. Es duftete nach Kaffee <strong>und</strong> leckeren Früchten. Sahnetorten<br />

<strong>und</strong> sonstige Genüsse wurden bestellt.<br />

Galant flitzte der dunkel gelockte Kellner zwischen den Gästen hin<br />

<strong>und</strong> her. Eine beleibte Frau wurde mit Hilfe von zwei Männern <strong>auf</strong><br />

eine breite Bank gesetzt, weil ihr ein Stuhl nicht ausreichte. Als ihre<br />

Torte mit einer Portion Extrasahne anschwebte, ging ein Leuchten<br />

über ihr Gesicht. Alles war heute erlaubt. Die Sonne wärmte die<br />

Haut <strong>und</strong> die Zeit schien still zu stehen. Es war Frühling geworden.<br />

Anna studierte in <strong>dem</strong> Buch, welches Martin mitgebracht hatte.<br />

Besonders staunte sie über die Abbildungen der Pyramiden.<br />

Möglicherweise gab es ja gerade hier den Zusammenhang mit <strong>dem</strong><br />

geheimnisvollen Kastenbuch. Schon heute Morgen in der Schule<br />

waren sie zu dieser Ansicht gelangt. Als Anna heute etwas früher<br />

wach geworden war, bemerkte sie sogleich den Lichtschein im<br />

Zimmer. Das Buch lag fein säuberlich genau in der Mitte des<br />

Schreibtisches. Es war nicht im Rucksack. Es war nicht bei Martin.<br />

156


Nein, es lag wie von Geisterhand getragen wieder bei ihnen im<br />

Kinderzimmer. Nur die Stofftasche fehlte. Die Welt war eigentlich<br />

wieder in Ordnung, dachte Anna ironisch bei sich. Selbst <strong>Susi</strong>, die<br />

in der Früh von ihrem Nachtausflug zurückgekehrt war, setzte sich<br />

nach <strong>dem</strong> Fressen gleich wieder <strong>auf</strong> das Buch <strong>und</strong> schnurrte<br />

behaglich. Bevor die Kinder in die Schule gingen, wurde Martin<br />

noch geholt <strong>und</strong> im Beisein von <strong>Susi</strong> „<strong>auf</strong>getaut“. Weil er so müde<br />

wurde, flößte man ihm noch einen Kaffee aus der Kanne der Eltern<br />

ein. Keiner wusste aber, wem sie die Normalisierung ihres<br />

Temperaturempfindens zu verdanken hatten. Alles ganz normal,<br />

oder?<br />

Den einzigsten Anhaltspunkt, den sie überhaupt be<strong>saß</strong>en, war das<br />

Leuchten des Katzenreliefs. Gemeinsam mit Teresa hatten sie den<br />

Zusammenhang mit der Himmelsrichtung entdeckt. Zweifellos<br />

verstärkte eine südlich gerichtete Buchlage die Lichtstrahlung.<br />

Doch wozu leuchtete es überhaupt?<br />

„Ob die abgeflogen sind?“, fragte Teresa nebenher. Ihr Eis war jetzt<br />

bis zum Waffelrand geschrumpft.<br />

„Ich denke schon“, antwortete Anna nachdenklich. „Sie waren<br />

jedenfalls nicht so gefährlich, wie wir dachten.“<br />

„Na mir hat es gereicht, Anna. Wer waren die überhaupt?“<br />

„Was weiß ich, Teri. Vielleicht Agenten oder Spione.“<br />

Anna fielen jetzt Filmszenen ein, wo sie solche Agenten gesehen<br />

hatte. Sie erinnerte sich, dass ein Film den sie kannte ``Goldeier``<br />

oder so ähnlich hieß.<br />

„Hauptsache, sie sind weg <strong>und</strong> kommen nicht mehr zurück. Teresa,<br />

ich habe überlegt, ob wir das Kastenbuch nicht ganz normal zurück<br />

schaffen sollten. Wir können doch alles so erzählen, wie es wirklich<br />

war. Was kann uns schon passieren?“<br />

157


„Meinst du?“<br />

„Ja, das ist bestimmt besser.“<br />

„Aber du musst es ja nicht gerade Mama <strong>und</strong> Papa erzählen, Anna.“<br />

„Meinst du?“<br />

„Ja, ich denke schon.“<br />

„Wenn sich die nächste Gelegenheit ergibt, Teri, fahren wir hin <strong>und</strong><br />

schaffen es direkt in das Museum, ja?“<br />

„Ja gut.“<br />

Martin, der immer noch gelesen hatte, schaute jetzt hoch. Er wartete<br />

das Gespräch der Mädchen ungeduldig ab <strong>und</strong> sagte: „Nehmen wir<br />

einmal an, es handelt sich wirklich um die Darstellung von<br />

Pyramiden, ja?“<br />

„Ja.“<br />

„Das Buch oder die eine Spitze zeigt doch nach Süden, habt ihr<br />

gesagt.“<br />

„Die Katze leuchtet intensiv, wenn die eine Spitze in Südrichtung<br />

zeigt.“ Teresa nickte zustimmend.<br />

„Gut, oder so. Nach meinem Schulatlas liegt, von uns aus gesehen,<br />

das Land der Pyramiden im Süden. Dieses Land heißt Ägypten.<br />

Kennt ihr den Namen?“<br />

„Habe ich schon mal gehört“, bestätigte Anna.<br />

„Ich dachte das Land heißt Kamel. Das steht sogar <strong>auf</strong> den<br />

Schachteln da oben.“ Teresa beobachtete einen hustenden,<br />

dampfenden Mann, der mit <strong>dem</strong> Inhalt solch einer Schachtel<br />

hantierte. Ein Kamel <strong>und</strong> eine Pyramide waren dar<strong>auf</strong> abgebildet.<br />

Der Mann fand es offenbar angenehm, so stinkend herum zu<br />

dampfen.<br />

„Ja, Teresa, Kamele gibt es auch da.“<br />

158


„Schade dass es hier keine gibt.“ Teresa schaute immer noch zu<br />

<strong>dem</strong> rauchenden Mann.<br />

Martin fügte hinzu: „Die Kamele können sehr lange ohne Wasser<br />

auskommen. Deswegen können sie besonders in der Wüste<br />

überleben. Und Ägypten hat auch viel Wüste.“<br />

„Können sie auch ohne Rauch auskommen?“<br />

„Wer, die Kamele?“, lachte Anna.<br />

Anna, du hast doch ein Katzenlexikon, nicht?“<br />

„Ja, Martin.“<br />

„Wisst ihr was ich heraus bekommen habe?“<br />

„Nein?“<br />

„Ja was denn?“<br />

„In <strong>dem</strong> Buch über Ägypten, was ich gestern ausgeliehen habe steht<br />

zum Beispiel, dass die Katzen dort besonders verehrt wurden. Ich<br />

habe heute noch mal nachgelesen.“<br />

„Was?“ Teresa verdrückte das letzte Stück Waffel. Erst jetzt war sie<br />

voll bei der Sache.<br />

„Na die Katzen waren dort heilige Tiere. Wie in anderen Ländern<br />

eben die Rinder.“ Martin sah die beiden Mädchen an <strong>und</strong> erzählte<br />

was er alles gelesen hatte.<br />

„Ist ja echt interessant, Martin. Könnte es sein, dass... Ja! Vielleicht<br />

geht <strong>Susi</strong> deswegen so gern in die Nähe des Buches. Meinst du<br />

wirklich es zeigt einen Weg nach Ägypten?“ Anna sprach <strong>auf</strong>geregt<br />

<strong>und</strong> erinnerte sich wie <strong>Susi</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Buch gelegen hatte. Eis tropfte<br />

von ihrer Waffel.<br />

„Genau <strong>und</strong> wir haben uns erst besser gefühlt, als wir gemeinsam<br />

mit <strong>Susi</strong> das Kastenbuch berührten“, pflichtete ihr Martin bei.<br />

„Und warum war uns erst kalt. Und warum ist uns das Ding nicht in<br />

die Schule hinterher gekommen. Warum ist es überhaupt zu uns<br />

159


gekommen? Immer diese ganzen Bücher!“ Teresa warf mit<br />

ungeklärten Fragen nur so um sich.<br />

„Wir wissen es doch auch nicht, Teresa.“ Anna schaute ihre<br />

Schwester an. Dann fuhr sie fort:<br />

„Ich muss unbedingt mal das Ägyptenbuch lesen. Martin, kannst du<br />

es mir heute Abend bitte ausleihen?“<br />

„Natürlich, gern.“<br />

„Ich geb dir dafür das Katzenlexikon. Morgen tauschen wir unsere<br />

Erkenntnisse wieder aus, ja?“<br />

„Ja gut.“<br />

Teresa verdrehte ihre Augen so ungleichmäßig, schielend wie<br />

möglich <strong>und</strong> gluckste ständig: „Katzenbuch <strong>und</strong> Kastenbuch <strong>und</strong><br />

Ägyptenbuch... <strong>und</strong> noch ein Buch.“<br />

Anna musste herzhaft lachen. Sie wandte sich zu Martin: „Martin?<br />

Kannst du noch die Lage genau bestimmen? Ich meine den<br />

geografischen Längen­ <strong>und</strong> Breitengrad von Ägypten. Damit<br />

können wir die Richtung noch mal genau überprüfen.“<br />

Martin verstand, was Anna wollte. Weil er sich sehr für Geografie<br />

interessierte, würde ihm das ein leichtes sein.<br />

Nun bekam Teresa noch Appetit <strong>auf</strong> eine dritte Kugel. Sie schaute<br />

unbehaglich <strong>auf</strong> das eine grüne Eis, das so aussah wie die Farbe in<br />

ihrem Tuschkasten. Deswegen wollte sie lieber Vanille probieren.<br />

Vom Verkäufer <strong>ließ</strong> sie sich bestätigen, dass es kein Kunsteis wäre.<br />

Die beleibte Frau mit der Schlagsahne hatte inzwischen dreifachen<br />

Nachschlag geordert <strong>und</strong> fast verspeist. Auf einmal rülpste sie laut<br />

los. Dann <strong>ließ</strong> sie sich von ihren zwei Begleitern, halb tragend, zum<br />

nahe gelegenen Cabriolet bringen. Dabei pupste sie gewaltig.<br />

Jedenfalls klang es so.<br />

Anna blinzelte in die Sonne <strong>und</strong> <strong>ließ</strong> ihre Gedanken schweifen:<br />

160


Viel hatte sie schon über Katzen gelernt. Damals, als sie die kleine<br />

<strong>Susi</strong> retteten, sammelte sie danach alle Informationen zum Thema<br />

Katzen. Die Eltern hatten ihr dar<strong>auf</strong>hin mehrere Bücher gek<strong>auf</strong>t.<br />

Darunter war auch ein Lexikon mit w<strong>und</strong>erschönen Bildern. Sie<br />

wusste, dass Katzen eigentlich zu den Raubtieren gehörten <strong>und</strong><br />

oftmals alleine jagten. Nur so konnten sie sich das Überleben in der<br />

Wildnis sichern. Die Beziehung zum Menschen war eine lange<br />

Geschichte. Sie dauerte zwar wesentlich kürzer als zwischen<br />

Mensch <strong>und</strong> H<strong>und</strong>, doch war diese Gemeinschaft immer mit<br />

gegenseitiger Achtung verl<strong>auf</strong>en. In den Ländern um das<br />

Mittelmeer, in Vorderasien, in der islamischen Welt <strong>und</strong> in China,<br />

waren Katzen äußerst beliebt. Man bew<strong>und</strong>erte den perfekten<br />

Körperbau <strong>und</strong> die elastische Kraft der Tiere. Die Unabhängigkeit<br />

<strong>und</strong> der Lebenswille der Katze sind sprichwörtlich. Durch ihre<br />

Eigenschaften kann selbst eine allein gelassene, erwachsene Katze<br />

fast zu jeder Zeit überleben. Sie sch<strong>ließ</strong>t sich dann anderen<br />

Wildkatzen an. Die weit verbreitete Annahme, Katzen wären<br />

egoistische Einzelgänger stimmt keinesfalls. Gern bevorzugen sie<br />

die Gemeinschaft. Selbst mit H<strong>und</strong>en fre<strong>und</strong>en sie sich an. Nur im<br />

Mittelalter wurden, im Zuge der sinnlosen Hexenverfolgungen,<br />

auch die Katzen gejagt. In diesem, sich tatsächlich christlich<br />

benennenden Europa herrschte zu jener Zeit die so genannte<br />

*Inquisition. Die Katze geriet in den Verdacht, die Menschen vom<br />

dogmatisch­festgelegten Glauben abzulenken <strong>und</strong> in Verbindung<br />

mit der Wiedergeburt des Teufels zu stehen. Im Zeichen des<br />

Kreuzes, angestiftet von den damaligen Kirchenoberen, wurden die<br />

armen Tiere jahrzehntelang gesch<strong>und</strong>en, totgeschlagen <strong>und</strong> sogar<br />

bei lebendigem Leibe verbrannt <strong>und</strong> gekreuzigt. Von den verfolgten<br />

Menschen ganz zu schweigen. Zum Glück ging aber auch diese<br />

161


finstere Zeit in Europa vorüber. Die Katzen wurden nun als<br />

nützliche Helfer gegen Mäuse­ <strong>und</strong> Rattenplagen eingesetzt.<br />

Solche Plagen herrschten früher nicht nur in Gebäuden <strong>und</strong><br />

Vorratskellern, sondern auch <strong>auf</strong> großen Schiffen. Einige<br />

Seefahrernationen erkannten die unersetzliche Bedeutung der Tiere,<br />

so dass kein Schiff ohne Katzen ausl<strong>auf</strong>en durfte. Später, bis in die<br />

heutige Zeit, blieben die Katzen eines der beliebtesten Haustiere<br />

überhaupt. Als Seelengefährte, Mäusejäger oder Spielkameraden<br />

hatten sie die Herzen der Menschen <strong>auf</strong> der ganzen Welt erobert...<br />

„War echt lecker“, <strong>ließ</strong> sich Teresa hören.<br />

Anna erwachte langsam aus ihren Gedanken. Das Stimmengewirr<br />

der Leute an den Nachbartischen holte sie wieder ein. Noch immer<br />

schien die Sonne. Martin las in seinem Buch, als wollte er nichts<br />

verpassen. Der Mann mit der Kamelschachtel trank jetzt Bier <strong>und</strong><br />

guckte auch etwas kamelig. Anna gähnte leicht <strong>und</strong> streckte dann<br />

die Hände verschränkt über <strong>dem</strong> Kopf aus.<br />

„Kommt, es wird langsam Zeit! Nachher läuft noch ein schöner<br />

Film <strong>und</strong> lesen will ich auch noch.“<br />

„Ich geh nur mal pullern“, sagte Teresa.<br />

„Das du aber nicht wieder eine Bibliothek findest“, warnte sie Anna<br />

scherzend.<br />

Martin steckte das Buch ein. Teresa kam wieder <strong>und</strong> kurze Zeit<br />

später <strong>saß</strong>en sie <strong>auf</strong> ihren Rädern. Welch schönes Gefühl es doch<br />

war, wieder durch die Natur zu fahren. Unterwegs kam es Teresa in<br />

den Sinn, dass es bald Mai wäre. Sie hatte sich heute genau den<br />

Kalender angeguckt. Und Anfang Mai, schon in ein paar Tagen, war<br />

ja ihr Geburtstag. Endlich hatte sie Geburtstag! Was würde sie da<br />

162


nicht alles machen. Froh <strong>und</strong> ein Liedchen summend, trat sie etwas<br />

stärker in die Pedalen.<br />

Zur gleichen Zeit, irgendwo in oder unter der Wüste, oder in der<br />

Nähe oder unter Las Vegas (USA).<br />

„General Bomb, darf ich ihnen Professor Twostone vorstellen?“<br />

„Gern, Sir.“<br />

Professor Twostone ­ das ist Mr. Bomb, unser erfahrenster<br />

General.“<br />

Der Ministrator stand zwischen den beiden ungleichen Herren <strong>und</strong><br />

machte sie bekannt. General Bomb hatte sich bei den Worten<br />

„erfahrenster General“ sofort nach oben gestreckt <strong>und</strong> schwellte nun<br />

seine Brust nach vorn. Das Knacken im Rückrat überspielte er mit<br />

zackigem Hackenschlag seiner Stiefel. Der Professor schaute lässig<br />

aus seinem gutmütigen Gesicht. Er schien von der blitzenden<br />

Uniform des Generals nicht besonders beeindruckt zu sein.<br />

„Guten Tag, General.“<br />

„Guten Tag, Sir äh... Professor.“<br />

Professor Twostone kratzte sich bedächtig am Hinterkopf. Sein<br />

Blick richtete sich <strong>auf</strong> den Ministrator. Sie kannten sich schon viele<br />

Jahre. In dieser Zeit war der Ministrator selten mit hohen Militärs<br />

zu Besuch gekommen.<br />

„Was verschafft mir denn die Ehre deines Besuches mein lieber<br />

Frank?“ Der Professor schaute den Ministator mit vorgeschobenem<br />

Kopf spitzbübisch an.<br />

Der Ministrator schaute wegen der persönlichen Anrede Twostones<br />

etwas besorgt zum General hinüber. Der blickte jedoch militärisch,<br />

163


teilnahmslos <strong>und</strong> dachte an seine baldige Pensionierung. Nur seine<br />

Augenbraue zuckte etwas.<br />

„Nun es ist so“, wandte sich der Ministrator an General Bomb.<br />

„Professor Twostone leitet auch unsere Basis zur Erforschung der<br />

Raumzeit. Außer<strong>dem</strong> ist er bedeutender Verdienstträger bei der<br />

Weiterentwicklung der Quantentheorie in Verbindung mit der<br />

praktischen Anwendung der Molekularverschiebung bei der,<br />

der ...“, der Ministrator holte Luft <strong>und</strong> einen langen Zettel aus der<br />

Innentasche seines eleganten Anzuges, „bei der Erforschung der<br />

ursprünglichen Dimensionsgestaltung im physikalischen<br />

Verständnis des Universums <strong>und</strong> der ...“<br />

(Einige weitere Ausführungen folgten. Wegen der Vielzahl der<br />

unerklärlichen Begriffe bleiben diese aber hier unerwähnt.) Als der<br />

Ministrator dann fertig war, sah er Hilfe suchend zum Professor.<br />

„Ja so ähnlich, Frank. Nur bin ich mir nicht sicher, ob es nicht doch<br />

die Feldtheorie gewesen sein könnte. Aber das ist schon zu lange<br />

her. Kommen sie doch erst einmal, meine Herren! Setzen wir uns in<br />

meinen Leseraum. Dort können wir uns ungestört unterhalten“<br />

Professor Twostones Lachen klang jugendlich. Er zeigte mit <strong>dem</strong><br />

Arm nach oben <strong>und</strong> schritt seinen Besuchern voraus.<br />

Der Ministrator schaute bedeutungsvoll zum General.<br />

„Es gilt weiterhin ´´Security­Stepup 4``, sie verstehen?“<br />

„Ja natürlich, Sir.“<br />

Der General atmete tief durch. Er fühlte sich regelrecht wohl.<br />

Security 4 war seine Welt. Alles lief so streng geheim, dass es eine<br />

Freude war. Schon vorhin, als sie die bunte Stadt ver<strong>ließ</strong>en <strong>und</strong> in<br />

geheimen Wegen in immer geheimere Bereiche tief unter den<br />

Straßen vordrangen, rechnete er mit Sicherheitsstufe drei. Aber<br />

Stufe vier? Das war es, was sein Herz wirklich begehrte. Ein<br />

164


hochmodernes Labyrinth von Laboratorien, Räumen, ja eine ganz<br />

neue Welt tat sich hier unter der Erde <strong>auf</strong>. Ähnlich den Decks eines<br />

großen Schiffes, ging es bis zu zweih<strong>und</strong>ert Meter nach unten. Eine<br />

echte Parkanlage wuchs hier unter <strong>dem</strong> Licht des neuesten ``UV­<br />

Spektral­Mobilsystems Sahara``. Es gab Sportanlagen <strong>und</strong> sogar<br />

einen künstlichen Badesee mit Wellengenerator. Eben eine Stadt<br />

unter der Stadt. Wie groß sie wirklich war, konnte man nur ahnen.<br />

Wo die geheime Stadt genau begann oder endete, wusste auch<br />

niemand. Die geheimen Forschungsstationen waren natürlich so gut<br />

getarnt, dass selbst General Bomb nicht vermochte, die Eingänge zu<br />

erkennen. Genugtuung verschaffte ihm aber das leise Rauschen der<br />

Klima­ <strong>und</strong> Sauerstoffanlagen.<br />

So schritten sie etwa eine Viertelst<strong>und</strong>e durch die künstliche Welt.<br />

Angeführt vom beschwingt trabenden Professor, erreichten die drei<br />

Männer einen gläsernen Lift.<br />

„Noch tiefer?“, fragte der Ministrator.<br />

„Aber nein, Frank. Heute fahren wir mal nach oben.“<br />

Professor Twostone schaute jetzt heiter um sich.<br />

„Oder denken sie, meine Herren, ich will ständig bei Kunstlicht<br />

sitzen?“<br />

„Aber die Geheimhaltung, Professor!“<br />

„Ach weißt du was. Die Schatulle ist doch sowie schon wieder<br />

weg.“<br />

„Sie ist weg?“<br />

„Das Militär hat doch den Kontakt zum Zielobjekt verloren, oder?“<br />

Twostone buchstabierte langsam Ziel­ob­jekt <strong>und</strong> blickte in seiner<br />

spitzbübischen Art fragend in die R<strong>und</strong>e. General Bomb schien<br />

etwas betreten zu sein, antwortete aber gleich:<br />

165


„Professor Twostone, wir haben alles getan, was vorläufig in<br />

unserer Macht stand. Möglicherweise gab es auch noch andere<br />

Geheimdienste, die sich interessierten.“<br />

„An wen denken sie dabei?“, fragte jetzt der Ministrator.<br />

Bombs Augenbraue zuckte nervös. „Nur nicht <strong>auf</strong>regen“, dachte er.<br />

Seinem Gebiss würde es nicht gut bekommen. Er wusste es<br />

natürlich nicht im Geringsten, wer sich da noch interessierte. Ihm<br />

fielen seine Leute ein, <strong>und</strong> wie sie das Kastenbuch gesucht hatten.<br />

„Sir, schwer zu sagen. Hm... Araber oder Chinesen vielleicht.<br />

Möglicherweise sogar die Deutschen selbst.“<br />

„Die Deutschen? Sie meinen wegen der Koordinaten?“<br />

„Ja, ja immer die Deutschen“, fiel der Professor dazwischen.<br />

„Vielleicht bekommen wir neuen Kontakt zum Kastenbuch, äh zur<br />

Schatulle“, versuchte der General auszuweichen.<br />

„Immerhin waren wir in Süddeutschland nahe dran.“<br />

Professor Twostone lachte schallend <strong>auf</strong>:<br />

„Kastenbuch haben sie es also genannt? Ha, ha, ha!“<br />

„Nun, wegen der Tarnung.“ Der General wirkte wieder verlegen.<br />

Auch schien ihm das Kunstlicht nicht zu bekommen. Der Professor<br />

schüttelte mit <strong>dem</strong> Kopf.<br />

„Nun, glauben sie wirklich, dass ein solches gewaltiges Instrument<br />

dar<strong>auf</strong> wartet, wieder gef<strong>und</strong>en zu werden? Schon die Zeitschleife<br />

zu unterbrechen war mehr als schwierig!“<br />

„Was bezeichnen sie genau mit Instrument?“<br />

„Ich erzähle ihnen oben mehr. Kommen sie bitte! Und machen sie<br />

sich auch keine Sorgen wegen der Sicherheit. Hier unten wird man<br />

wesentlich öfter abgehört, vermute ich.“<br />

„Meinen sie wirklich“, fragte der Ministrator.<br />

„Ja, Frank, leider. Kennst du das nicht aus deinem Ministerium?“<br />

166


„Brauchen sie denn keine Geräte oder eine gewisse Technik?“,<br />

überlegte der General.<br />

„Die Schatulle ist weg. Was soll ich ihnen technisch zeigen? Ich<br />

fürchte, wir müssen uns zurzeit mit einigen theoretischen<br />

Auffassungen begnügen.“<br />

„Glauben sie, das reicht, einige Theorien?“ Der Ministrator schien<br />

auch nicht ganz zufrieden.<br />

„Aber Frank, hier unten ist doch alles Theorie. Dreißig Jahre habe<br />

ich überlegt, aus welchen Teilchen die Teilchen <strong>auf</strong>gebaut sind, aus<br />

denen die kleinsten Teilchen der Atome bestehen.“<br />

„Aha“, sagte der Ministrator. „Diese Teilchen meinen sie also. Und<br />

zu welchem Ergebnis sind sie gekommen?“<br />

Der Professor breitete stirnrunzelnd die Hände auseinander.<br />

„Zu keinem, ha, ha ..., zu keinem Ergebnis.“<br />

Dann ging er etwas in die Knie <strong>und</strong> lachte wieder aus vollem Hals.<br />

Gleich hielt er sich aber schützend die Hand vor den M<strong>und</strong>.<br />

„Oh, Verzeihung meine Herren.“<br />

Vorsichtig neigte er den Kopf zu den beiden Besuchern: „Ich darf<br />

nicht so laut lachen, sonst wird wieder die Alarmanlage ausgelöst.“<br />

Der Ministrator <strong>und</strong> sein General schauten sich fragend an.<br />

Zumindest fühlte sich General Bomb vergleichsweise etwas besser.<br />

Trotz der gigantischen Forschungsstadt konnte selbst der<br />

angesehene Professor kein Ergebnis bei seinen Teilchen erzielen.<br />

Dieser Umstand wirkte irgendwie beruhigend, auch wenn es bloß<br />

um ein paar kleine Teilchen ging.<br />

Die Lifttür schloss sich. Der Professor meldete sich mit seiner<br />

Stimme am System an. Er benannte eine kurze Buchstaben­<br />

Zahlenkombination. Der Lift hob geräuschlos ab. Gleich dar<strong>auf</strong><br />

färbten sich die Scheiben milchgrau.<br />

167


„Tarnung aktiviert“, tönte eine nette Frauenstimme. Leise Musik<br />

erklang. In der einen Ecke der Kabine erschienen <strong>auf</strong> einem<br />

länglichen Minitisch drei Getränkebecher. Der Professor fuhr sich<br />

durch sein blondes Haar, welches wirr vom Kopf abstand. Selbst<br />

sein Schnauzbart war blond. Man konnte weder das Alter schätzen<br />

noch erkennen, was hinter <strong>dem</strong> blauäugigen, fre<strong>und</strong>lichen Gesicht<br />

mit der hohen Stirn vorging. Trinkend beobachtete General Bomb<br />

diesen eigenwilligen Mann. Irgendwo, glaubte er, musste er ihn<br />

schon einmal gesehen haben.<br />

„Tarnung einseitig deaktiviert, Null­Ebene erreicht“, erklang wieder<br />

die nette Stimme. Sogleich wurde der Blick <strong>auf</strong> die umliegende<br />

Gegend frei.<br />

„Das, das ist ja ein Kasino?“, w<strong>und</strong>erte sich der General. Sein Blick<br />

eilte nach allen Seiten. Überall waren Spielautomaten <strong>und</strong><br />

Roulettetische zu erkennen.<br />

„Ja General, wir fahren direkt durch, getarnt natürlich“, erklärte der<br />

Ministrator beiläufig.<br />

„Natürlich, Sir.“<br />

Der Ministrator sprach erklärend weiter:<br />

„Es ist nur eine kleine Spielbank für die Angestellten <strong>und</strong> die<br />

höheren Mitarbeiter. Also ich war auch schon mal hier, also<br />

natürlich rein dienstlich. Die großen Kasinos liegen ein Stück<br />

weiter. Na sie wissen ja, die ganze Stadt ist voll davon.“<br />

„Ja grässlich, diese ganze Neonwerbung“, warf der Professor ein.<br />

Der Ministrator entgegnete schnell:<br />

„Sie wissen doch, Professor, irgendwie müssen wir die<br />

Forschungskomplexe <strong>und</strong> das Ganze da unten auch bezahlen.“<br />

Der Professor gab aber keine Antwort mehr. In etwa fünfzig Metern<br />

Höhe erreichten sie den Wohnkomplex der umfangreichen<br />

168


Hotelanlage. Sie stiegen aus. Twostone führte sie <strong>auf</strong> eine reizvolle<br />

Terrasse. Eine Art Dachgarten schloss sich nahtlos an. Nur einige<br />

Palmen <strong>und</strong> ein paar Sitzgelegenheiten bot dieser unbedachte<br />

Vorbau. Ähnlich einem riesigen Balkon zierten Blumenkästen die<br />

Brüstungen.<br />

„Hier ist ihr Leseraum?“<br />

„Ja, General. Hier ist mein Leseraum.“<br />

Professor Twostone zeigte <strong>auf</strong> eine <strong>bequem</strong>e Sitzecke aus Holz.<br />

Dann holte er Bleistifte <strong>und</strong> Papier hervor. Der Ministrator setzte<br />

sich als erster, schaltete kurz den Wanzenscanner<br />

(Abhörerkennungssystem) mit der neuesten Software von<br />

``Antispion`` ein <strong>und</strong> schien beruhigt. General Bomb warf noch<br />

einen Blick <strong>auf</strong> die ständig wachsende Stadt unter ihm. Er lobte die<br />

phantastische Aussicht <strong>und</strong> den klaren Himmel.<br />

„Können wir dann?“, fragte der Ministrator <strong>und</strong> blickte die beiden<br />

anderen Herren <strong>auf</strong>fordernd an.<br />

Professor Twostone stellte noch eine Flasche Blaubeerbrause neben<br />

den eingeschalteten Wanzenscanner. Das Fachgespräch begann:<br />

(Solltest du etwas nicht verstehen, ist das normal.)<br />

„Sehen sie eine Möglichkeit, Professor?“<br />

„Nun, ich fürchte, die Chancen für das Wider<strong>auf</strong>finden der<br />

Schatulle (Kastenbuch) stehen nicht sehr gut.“<br />

„Weswegen?“<br />

„Stellen sie sich es so vor! Es ist uns vermutlich gelungen, vor<br />

kurzer Zeit in eine Zeitverschiebung einzugreifen. Dabei wurden<br />

zwei Objekte getrennt. Zum einen der Koordinator. Zum anderen<br />

die Schatulle. Ich würde diese Schatulle auch als Reiseschatulle<br />

oder Instrument zur Zeitverschiebung bezeichnen.<br />

„Sie meinen wie ein Fahrzeug, ja?“<br />

169


„Ja so ähnlich, Frank. Nur fehlt uns der Fahrer. Wer oder was auch<br />

immer die Schatulle in Bewegung gesetzt hat, ist bisher unbekannt.“<br />

„Vielleicht ein Ufo oder ein anderes unbemanntes Objekt?“, <strong>ließ</strong><br />

sich der General hören.<br />

„Glaube ich eher nicht.“<br />

„Wovon gehen sie also aus?“<br />

„Bei unseren Untersuchungen zum ``Hyperraumschweif`` gab<br />

es ...“<br />

„Was für ein Ding?“<br />

„Also, bei der Ortung der Reiseschatulle, wie ich sie hier im Institut<br />

nenne, hinter<strong>ließ</strong> diese Spuren <strong>auf</strong> ihrer Reise. Diese Spuren<br />

wiederum lassen dar<strong>auf</strong> sch<strong>ließ</strong>en, dass kohlestoffhaltige Formen<br />

mit in der Zeitschleife unterwegs waren <strong>und</strong> noch sind. Zumindest<br />

brachte dieses Ergebnis die Analyse mit <strong>dem</strong> ``Molekül­<br />

Nanoanalyser``.“ Der Professor nahm einen Schluck<br />

Blaubeerbrause.<br />

„Gute Blaubeeren“, lobte er.<br />

Der Ministrator drehte unwillig den Kopf.<br />

„Haben sie denn jetzt keine anderen Sorgen als ihre Blaubeeren?“<br />

„Doch, Frank, die Brause ist bald alle.“ Ein schallendes Gelächter<br />

erklang. Der General konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen <strong>und</strong><br />

schaute verstohlen zum Ministrator, der fassungslos den Kopf<br />

schüttelte.<br />

„Fahren sie fort, Professor! Glauben sie an eine Lebensform?“<br />

„Es wäre durchaus möglich. Zumindest hat dieses Ding jemand<br />

gebaut <strong>und</strong> in Bewegung gesetzt.<br />

„Außerirdische? Nicht das noch!“ Der General stellte sich gerade<br />

Aliens vor.<br />

170


„Soweit würde ich nicht gehen, General. Der Koordinator gehört<br />

wahrscheinlich zur Schatulle. Und er besteht aus ganz normalen<br />

Rohstoffen von unserer lieben Mutter Erde.“<br />

Wieder lachte der Professor.<br />

„Die Schatulle haben wir ja leider nicht in die Hand bekommen,<br />

sondern nur <strong>auf</strong> den Bildschirm. Sie wissen ja ­ hier vermute ich<br />

natürlich die meisten Geheimnisse.“<br />

„Was haben sie vorhin gemeint, als sie sagten die Schatulle würde<br />

nicht warten oder sie wäre wieder weg?“<br />

„Ich glaube“, fuhr der Professor fort, „das wir diese<br />

Zeitverschiebung zwar unterbrochen, aber nicht <strong>auf</strong>gehoben haben.<br />

Nach unseren physikalphoton...“<br />

„Ja, ja ist schon gut. Geht es nicht einfacher?“, unterbrach ihn der<br />

Ministrator genervt <strong>und</strong> winkte ab.<br />

„Also, nach unseren Erkenntnissen wird die Zeitschatulle ihr<br />

beabsichtigtes Ziel ansteuern <strong>und</strong> ganz plötzlich wieder<br />

verschwinden, wenn sie nicht schon verschw<strong>und</strong>en ist.“<br />

„Na, wenigstens haben die anderen Geheimdienste auch nichts<br />

davon“, dachte der General. Sollte seinetwegen das Ding für immer<br />

verschwinden.<br />

„Professor, meinen sie eine Art Vorprogrammierung mit Ziel?“<br />

„Sehr gut, General! So meine ich es. Sehen sie, wir haben die<br />

Zeitschleife künstlich mit unserem Hyperraum..., also unserer<br />

Technik unterbrochen. Nehmen wir dazu noch an, eine intelligente<br />

Lebensform, zum Beispiel ein Mensch aus der Zukunft oder aus der<br />

Vergangenheit, hat eine Zeitreise unternehmen wollen, verstehen sie<br />

mich?“<br />

„Ja, es geht gerade noch so“, stöhnte General Bomb.<br />

171


„Dann hätte dieser Mensch ein Ziel eingegeben, weil er sicher nicht<br />

ziellos gereist wäre. Und dieses Ziel war sicher nicht unsere jetzige<br />

Zeit oder gar ein Besuch in Las Vegas. Verstehen sie das?“<br />

„Aber ein Mensch aus der Zukunft oder aus der Vergangenheit?<br />

Das hört sich ja wieder alles schier unmöglich an!“, rief der<br />

Ministrator. Natürlich hatte er schon von Zeitreisen gehört. Nur war<br />

das bisher immer in Filmen oder Büchern vorgekommen.<br />

„Ach was meinst du Frank, was alles möglich ist, was eigentlich<br />

unmöglich ist. Nimm erst mal einen Schluck Blaubeerlimonade!“<br />

„Ja, gib her Alfred äh, ich meine danke, Professor!“ Der Ministrator<br />

duzte sich eigentlich mit <strong>dem</strong> Professor, seit sie gemeinsam, zuerst<br />

das Kasino <strong>und</strong> dann die Ladybar besucht hatten. Vor General<br />

Bomb wollte er aber dienstlich, korrekt erscheinen. Dem General<br />

schien das aber nicht weiter <strong>auf</strong>zufallen. Er beobachtete, wie sich<br />

die Palmenblätter <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Dachgarten im Winde wiegten <strong>und</strong><br />

verglich das ein bisschen mit seiner geplanten Pensionierung.<br />

Der Professor malte eine Art „Acht“ <strong>auf</strong> ein Blatt Papier. Dann hielt<br />

er es in verschiedene Richtungen <strong>und</strong> sagte:<br />

„Wir kennen noch nicht genau den Aufbau der Zeitschleife. Auf<br />

jeden Fall hat sie mehrkreisige Formen. Würde eine Zeit­Raum­<br />

Koordinate erst einmal festgelegt <strong>und</strong> die Molekularverschiebung<br />

begänne, könnte man diesen Vorgang eigentlich nicht ändern oder<br />

<strong>auf</strong>halten. Unserer Auffassung nach konnten wir die Schatulle nur<br />

aus der Schleife holen, weil sie nicht aus organischen Materialien<br />

bestand, oder weil organisches Leben beim Zugriff nicht zugänglich<br />

für unsere Technik war. Die Zeitreise wäre aber in diesem Fall noch<br />

nicht abgeschlossen. Sollte sich tatsächlich Leben in der<br />

Zeitschleife bef<strong>und</strong>en haben, würde diese Lebensform unweigerlich<br />

einen Raum­Zeitpunkt X erreichen. An diesem Punkt begänne die<br />

172


Umkehr in der Zeitschleife. Eine mögliche Person wäre ja immer<br />

noch mitten in der Reise. Sie würde sich dann theoretisch haargenau<br />

über den Punkt bewegen, wo wir die Schatulle raus holten. Das<br />

wäre wiederum der Zeitpunkt, wo die Schatulle automatisch<br />

verschwinden würde. Das von uns künstlich erzeugte Zeitloch oder<br />

Zeitfenster schlösse sich. Schatulle <strong>und</strong> eine mögliche Lebensform<br />

würden ihr Ziel so <strong>und</strong> so erreichen. Fraglich ist nur, wann <strong>und</strong> mit<br />

welcher Verzögerung. Leider sind wir im Moment nur die<br />

Beobachter dieser Vorgänge. Mehr eigentlich nicht. “<br />

Der Ministrator stöhnte:<br />

„Und warum ist diese Schatulle gerade in Deutschland<br />

angekommen <strong>und</strong> warum gab es keine Berichte darüber?<br />

„Es könnte Zufall sein. Vielleicht auch wurden diese Koordinaten<br />

schon einmal im Raum­Zeit­Gefüge benützt. Vielleicht schon vor<br />

Jahren oder vor Jahrh<strong>und</strong>erten. Ich glaube nicht, dass in<br />

Deutschland überhaupt etwas bemerkt wurde. Die haben ja jetzt<br />

auch andere Sorgen. Unbekannte Zeitreisende sind dort bisher auch<br />

noch nicht <strong>auf</strong>getaucht, soviel ich weiß.“<br />

Professor Twostone machte jetzt eine Pause. Er holte ein großes<br />

Taschentuch aus seiner weiten Hose.<br />

„Tja, das klingt ja alles verrückt, Professor“. Der Ministrator goss<br />

sich jetzt selbst Limonade nach. Dann lachte er sarkastisch,<br />

murmelte etwas wie „Zeitreisende“ <strong>und</strong> schüttelte abwechselnd den<br />

Kopf oder das Brauseglas.<br />

„Was schlagen sie also vor?“<br />

„Wir sollten den Schwerpunkt unserer Arbeit dar<strong>auf</strong> ausrichten,<br />

kleine Zeitschwankungen zu erkennen <strong>und</strong> zu untersuchen. Das<br />

können wir hier in der Forschungsbasis. So kommen wir wieder an<br />

173


die Sache rann. Zusätzlich könnte ich noch einige finanzielle Mittel<br />

<strong>und</strong> mindestens drei Satelliten benötigen.<br />

„Drei Satelliten zusätzlich?“ Der Ministrator blickte erneut unwillig<br />

zur Seite.<br />

„Na, du hast mich gefragt. Aber das mit den Satelliten können wir<br />

später noch klären.“<br />

„Ja wahrlich, Professor. Das klären wir lieber später.“<br />

Ein Blick zum General zeigte, dass sich dieser verträumt sonnte.<br />

„General Bomb?“<br />

„Sir, äh ja Sir?“ Der General fuhr hoch.<br />

„Noch heute arbeiten wir einen Plan aus! Auch der Geheimdienst<br />

muss mit einbezogen werden. Vielleicht taucht die Schatulle doch<br />

noch in irgendeinem Land <strong>auf</strong>. Die Angelegenheit ist zu wichtig.“<br />

„Gut Sir. Wie sieht es mit meiner Pensionier... “<br />

„Wo denken sie hin. Vorläufig brauche ich ihre Fähigkeiten ganz<br />

besonders.“<br />

„Ja Sir.“<br />

„Danke General.“<br />

Der Ministrator schaute <strong>auf</strong> seine goldene Uhr von ``Kullerex``.<br />

„Professor sagen sie uns bitte noch, wann nach ihren Berechnungen<br />

die Zeitschatulle ganz verschwinden könnte, angenommen<br />

natürlich, sie ist überhaupt noch da!“<br />

„Moment.“ Den Professor ziepte etwas in der Nase. Dar<strong>auf</strong> hin<br />

versuchte er sein Glück mit <strong>dem</strong> kleinen Finger. Schnipp, schon<br />

war’s weg, das Ding.<br />

„Also, wie gesagt, wenn sie vor zwei Tagen noch Signale <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />

Koordinator empfangen haben, kommt es eigentlich nur <strong>auf</strong> die<br />

Ausdehnung der Zeitschleife an. Rein theoretisch natürlich, könnte<br />

174


die Schatulle schon weg gewesen sein, als die Signale ganz<br />

<strong>auf</strong>hörten. Aber wissen sie, was mir mehr Sorgen macht?“<br />

„Nein?“<br />

„Möglicherweise gab es direkte Berührungen mit Leben, also auch<br />

mit Menschen. Und das könnte zu Energieausgleichungen oder<br />

Schwankungen im Raum­Zeit­Feld geführt haben. Dies würde dann,<br />

theoretisch gesehen, den Umkehrpunkt in der Zeitschleife <strong>und</strong> das<br />

Verschwinden der Zeitschatulle beeinflussen. So könnte die<br />

Schatulle auch noch einige Tage länger in unserer Raumzeit<br />

bleiben. Leider fehlen uns genaue Messergebnisse, weil wir uns <strong>auf</strong><br />

neuem Gebiet befinden.“ Der Professor zuckte beim Sprechen seine<br />

Schultern nach oben.<br />

„Könnte es Gefahren für die Menschheit geben?“<br />

„Glaube ich weniger. Das Raum­Zeit­Feld war sicher nicht für<br />

große Personenmengen <strong>auf</strong>gebaut. Vielleicht für einige. Aber wer<br />

weiß.“<br />

„Aha. Gut Professor. Ich danke ihnen für die wichtigen<br />

Informationen. Bitte arbeiten sie weiter! Morgen bekommen sie<br />

weitere Instruktionen.“<br />

„Gut. Was wird mit den anderen l<strong>auf</strong>enden Projekten?“<br />

„Welche meinen sie genau?“<br />

„``Selfcloning`` <strong>und</strong> ``For ever young``, du weißt schon, Frank.“<br />

Automatisch fasste sich der Professor Alfred Twostone beim<br />

Sprechen an seine blonden Haare.<br />

„Ach ja, geben sie die Projekte vorläufig zur Vertretung in gute<br />

Hände. Aber beobachten sie trotz<strong>dem</strong> alles weiterhin!“<br />

Der Ministrator griff sich ebenfalls an sein makellos, braunes Haar<br />

<strong>und</strong> erhob sich. Auch der General ver<strong>ließ</strong> jetzt seinen <strong>bequem</strong>en<br />

Platz. Sein Haar war allerdings kaum noch da <strong>und</strong> ansonsten grau.<br />

175


Als sie kurz vor <strong>dem</strong> Ausgang zur Terrasse waren, setzte hinter<br />

ihnen ein leicht zwitscherndes Geräusch ein. General Bomb eilte<br />

zurück. Er starrte <strong>auf</strong> den Wanzenscanner der fleißig fiepte. Das<br />

Softwareupdate von ``Antispion`` war bereits mehrere St<strong>und</strong>en<br />

überfällig.<br />

Als sie den Geheimgang des riesigen, unterirdischen Komplexes<br />

ver<strong>ließ</strong>en, wartete ihr geheimes Fahrzeug. Die Rückfahrt zum<br />

nächsten, geheimen Militärflughafen begann.<br />

Der Ministrator hatte mit Absicht <strong>auf</strong> einen Helikopter verzichtet.<br />

Als sich die Ziffern des elektronischen Nummernschildes bereits<br />

zum dritten Male geändert hatten, sagte General Bomb<br />

nachdenklich:<br />

„Irgendwoher kenne ich den Professor. Ich weiß nur nicht warum er<br />

so blond ist. Ich glaube früher war er mal grau, oder?“<br />

„Ach, machen sie sich keine Sorgen“, entgegnete der Ministrator.<br />

Die Zeiten haben sich eben geändert. Kommen sie! Wir nehmen ein<br />

Entspannungsbad im Bordpool. Bis zum Flughafen ist es noch ein<br />

ganzes Stück. Die Wüste ist groß.“<br />

Damit schaltete er <strong>auf</strong> Vollautomatik <strong>und</strong> zog sich die Jacketjacke<br />

aus. Dann lachte er <strong>und</strong> sagte mehr zu sich selbst: „Ja, nun ist er<br />

eben blond.“<br />

(Welche Vergangenheit könnte der Professor haben?)<br />

176


14. Kleine Ägyptologie<br />

„... <strong>und</strong> der ist blond, kann ich dir sagen. Ich hab ihn ganz nah<br />

gesehen. Und gelächelt hat der. Na bestimmt färbt er sich die Haare.<br />

Dann haben sogar alle mitgesungen.“<br />

Die Oma erzählte <strong>auf</strong>geregt am Telefon. Gestern war sie<br />

gemeinsam mit <strong>dem</strong> Opa beim ``Musikusknödel`` gewesen.<br />

„Und ihr habt ganz vorn gesessen?“, fragte Anna.<br />

„Ungefähr in der fünften Reihe. Aber es war wirklich schön. Eine<br />

ganz andere Atmosphäre als im Fernsehen. Und wie geht es euch?<br />

Was macht die Schule? Spielt ihr schön mit <strong>Susi</strong>?“<br />

„Klar, machen wir. Danke, uns geht es gut. Zum Glück ist es<br />

endlich Frühling, nicht?“<br />

„Ja, es wurde wirklich wieder Zeit. Meinem Rücken geht’s auch<br />

schon besser. Anna sag mal ...?“<br />

„Ja?“<br />

„Teresa hat doch in drei Tagen Geburtstag, nicht?“<br />

„Ja, ich glaub´ schon.“<br />

„Wir haben wieder ein Paket abgeschickt.<br />

„Oh, schön.“<br />

177


„Versteckt es aber bis zum Geburtstag, falls es eher kommt, ja? Für<br />

dich ist auch etwas dabei.“<br />

„Ja gut. Du Oma?“<br />

„Ja mein Kind?“<br />

Weißt du etwas über Ägypten <strong>und</strong> Katzen?“<br />

„Wie kommst du denn dar<strong>auf</strong>, Mädchen?“<br />

„Ach nur so. Ich hab hier so ein Buch über Ägypten. Da will ich<br />

heute noch rein gucken.“<br />

„Ach so na gut. Ich will auch noch meinen Krimi weiter lesen.“<br />

„Was <strong>ließ</strong>t du denn gerade?“<br />

„Das Buch heißt ``Mord <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Nil``. Ich geb dir noch den Opa,<br />

ja?“<br />

„Mord <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Nil? Ja gut Oma.“<br />

Also mach ´s gut, Anna. Bis bald.“<br />

„Tschüs Oma, bis bald.“ Anna hörte wie es im Telefon raschelte.<br />

„Na, Anna?“<br />

„Hallo Opa!“<br />

„Ich habe schon gehört, du willst etwas über Ägypten wissen. Habt<br />

ihr das gerade im Unterricht?“<br />

„Nein, mich interessiert das, auch wegen der Katzen.“<br />

„Hm, na über Katzen in Ägypten weiß ich eigentlich nichts. Wie<br />

heißt denn Dein Buch?“<br />

„Warte mal!“<br />

Anna las den Titel:<br />

„Es heißt ``Götter im Lande der Pharaonen``.“<br />

„Hört sich ja interessant an“, bemerkte der Opa <strong>und</strong> fuhr fort:<br />

„Ich weiß, da gab es viele Götter. Besonders der Sonnengott wurde<br />

sehr verehrt.“<br />

„Der Sonnengott?“<br />

178


„Ja RE heißt der. Aber interessant sind auch die Pyramiden <strong>und</strong><br />

deren Errichtung. Die Geschichte von Ägypten zieht sich ja über<br />

Tausende von Jahren hin. Dazu gibt es eine ganze Wissenschaft für<br />

sich. Na <strong>ließ</strong> mal selber! Du kannst mir ja dann was beibringen“<br />

Der Opa lachte durchs Telefon. Er freute sich über seine Enkelin.<br />

Dass sie immer gern las, fand er einfach gut <strong>und</strong> besser als jedes<br />

Computerspiel. Anna wollte sich gerade von ihrem Opa<br />

verabschieden, als es im Telefonhörer merkwürdig knisterte. Für<br />

einen kurzen Augenblick glaubte sie, ein ganz leises, fernes Stöhnen<br />

zu hören. Unwillkürlich lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken.<br />

„Du, Opa, bist du noch dran?“<br />

„Ja, was hast du denn? Du hörst dich <strong>auf</strong> einmal so ängstlich an?“<br />

„Ach nichts. Ich glaube ich bin schon müde. Na ich werd` mich<br />

gleich hinlegen.“<br />

„Ja mache das! Schade, dass wir nicht so viel Sonne ab bekommen.<br />

Dann brauchte ich nicht die hohen Strompreise zahlen.“<br />

„Was meinst du, Opa?<br />

„Ach nur so, mir fiel bloß etwas ein.“<br />

„Ach so, tschüs Opa.“<br />

„Tschüs Anna.“<br />

„Ja <strong>und</strong> schlaf gut, tschüs!“<br />

Es sollte also tatsächlich einen Katzengott gegeben haben, vielmehr<br />

eine Göttin. Diese neue Erkenntnis be<strong>saß</strong> sie nun. Nach<strong>dem</strong> sie <strong>und</strong><br />

ihre Schwester die südliche Ausrichtung des Kastenbuches (von<br />

ihrem Standpunkt aus) entdeckten <strong>und</strong> die Dreiecke für Symbole<br />

von Pyramiden hielten, waren sie überhaupt erst <strong>auf</strong> Ägypten<br />

gekommen. Martin brachte den Namen des nordafrikanischen<br />

Landes erstmals ins Spiel. Der Vergleich der geografischen Lage im<br />

179


Schulatlas, von Deutschland aus nach Ägypten, bestätigte auch die<br />

südöstliche Richtung. Die Richtung nämlich, die zur höchsten<br />

Leuchtaktivität des Katzensymbols <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Buchrücken führte. Lag<br />

hier nun der Schlüssel zur Erklärung des Ganzen? Anna überlegte<br />

weiter. Immer wieder schaute sie sich das Bild der Katzengöttin an.<br />

Das Fachbuch über Ägypten lag <strong>auf</strong>geschlagen vor ihr <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />

Kopfkissen. Sie stützte ihren Kopf mit der Handfläche ab. Die Stille<br />

des Zimmers wirkte beruhigend. Nur ganz leise war das Murmeln<br />

des Fernsehers durch die Wände zu hören. Es kam von dort, wo sich<br />

Teresa gerade bei den Eltern einen Film ansah. Auch Robi <strong>und</strong> <strong>Susi</strong><br />

<strong>saß</strong>en oder lagen wahrscheinlich gerade im Wohnzimmer. Das<br />

Kastenbuch befand sich gut verpackt im hinteren Schrankteil,<br />

dessen Tür ein Stuhl verdeckte. Anna nahm einen Schluck Milch,<br />

zog ihr Kopfkissen etwas nach oben <strong>und</strong> vertiefte sich in das<br />

Ägyptenbuch:<br />

BASTET wurde sie genannt. Dargestellt wurde die Göttin in der<br />

Form eines menschlichen, weiblichen Körpers mit einem<br />

Katzenkopf. Ihr heiliges Tier war die Katze. Anna dachte sofort an<br />

<strong>Susi</strong>. Die Ägypter im Gebiet der Stadt Bubastis (unteres Ägypten)<br />

verehrten die Katzengöttin über viele Jahrh<strong>und</strong>erte. In jener Zeit,<br />

also vor etwa 3500 bis 4000 Jahren, wurden Katzen zu Ehren ihrer<br />

Göttin BASTET sogar angebetet. Dabei fanden Zeremonien <strong>und</strong><br />

große Feste statt. Die heiligen Katzen wurden nur mit den besten<br />

Fischen aus <strong>dem</strong> Nil <strong>und</strong> anderen erlesenen Speisen gefüttert. Sie<br />

erhielten kostbare Quartiere. Sogar Schmuck wurde ihnen<br />

zugeordnet. Niemand durfte ihnen etwas zu Leide tun. Kleinste<br />

Missachtungen oder gar Verletzungen der heiligen Tiere wurden<br />

mit höchsten Strafen geahndet. Eine verstorbene Katze ging<br />

180


gleichsam zu ihrer Göttin über. Man wickelte sie in ein Leinentuch,<br />

balsamierte ihren Körper mit Zedernöl <strong>und</strong> verabschiedete sie <strong>auf</strong><br />

ihre Reise in das Reich der Ewigkeit.<br />

Mit Beginn der 21. Dynastie, also etwa vor 3000 Jahren, begann die<br />

*Mumifizierung der Katzen. Durch dieses Verfahren sollten sie für<br />

die Nachwelt erhalten werden. Bis heute fand man fast zwanzig<br />

Katzenfriedhöfe in den Heiligtümern der Katzengöttin BASTET, in<br />

der Stadt Bubastis (Nildelta) <strong>und</strong> in der Gegend um die Stadt<br />

Sakkara. Tausende von erhaltenen Katzenmumien zeugen von der<br />

Ehrfurcht, die man diesem Tier huldigte.<br />

Anna überlegte laut: „Wenn das schon die 21. Dynastie ist, 1000<br />

Jahre vor Christus, was war da früher nicht schon alles in den<br />

anderen Dynastien passiert?“<br />

Sie bemerkte, dass sie im hinteren Teil des Buches las, gerade dort,<br />

wo sie die Abbildung der Katzengöttin entdeckt hatte. Obgleich das<br />

Katzenprofil des Kastenbuches mit <strong>dem</strong> Bildnis der Göttin nicht<br />

überein stimmte, wie sie fand, war doch ihr Interesse nun erst recht<br />

geweckt. Fasziniert vom Mythos der Jahrtausende, begann sie über<br />

die ersten Seiten des Buches zu blättern:<br />

Ganze 8000 Jahre lag es zurück, als das Gebiet des heutigen<br />

Ägypten besiedelt wurde. Viehzucht <strong>und</strong> Ackerbau begannen.<br />

Besonders das Niltal konnte die Menschen wegen des fruchtbaren<br />

Bodens gut ernähren. ­ Das riesige Mündungsdelta des Flusses<br />

durchzieht seit Urzeiten Unterägypten. Mit sieben Flussarmen, die<br />

ins Mittelmeer münden, krönt der Nil seine Bedeutung als<br />

Lebensader des Landes. ­ Fluss<strong>auf</strong>wärts, etwa ab <strong>dem</strong> heutigen<br />

Kairo, begann Oberägypten. Durch den Zusammenschluss der<br />

Bauern im Kampf gegen die häufigen Überschwemmungen<br />

entstanden Gaue (Gebiete mit Kanalsystemen), die von G<strong>auf</strong>ürsten<br />

181


verwaltet wurden. (G<strong>auf</strong>ürst = Kanalbauer) Leider gab es auch zu<br />

diesen Zeiten schon Streit. Die G<strong>auf</strong>ürsten bekriegten sich. ­<br />

Wahrscheinlich be<strong>saß</strong>en sie durch ihre Verwaltungsposition zu viel<br />

Zeit, dachte Anna. ­<br />

Etwa um 3000 vor Christus wurde Ober­ <strong>und</strong> Unterägypten<br />

vereinigt. Herrscher wurde Menes, der 1. Pharao aller Zeiten. (Der<br />

Titel Pharao bedeutet etwa "großes Haus“.) Erst dadurch, dass der<br />

Pharao einen Großteil der Ernte bekam, konnte er Reichtum<br />

ansammeln.<br />

­ Das muss wohl der Anfang des heutigen Steuersystems gewesen<br />

sein, überlegte Anna. ­<br />

So entstand langsam die Kultur mit Architektur (Baukunst)<br />

Bildhauerei, Malerei <strong>und</strong> Staatswesen. Schon zu früher Zeit<br />

entwickelte sich der Totenkult, der die Menschen das ganze Leben<br />

mit der Ausgestaltung ihres Grabes beschäftigte. Die Pharaonen<br />

zelebrierten diesen Totenkult durch den Bau der gigantischen<br />

Pyramiden in besonderem Maße. Somit begann die 1. Dynastie etwa<br />

3030 vor Christus <strong>und</strong> endete als Frühdynastische Zeit mit der 6.<br />

Dynastie ca. 2200 Jahre vor Christus. Die nächsten Dynastien waren<br />

die bedeutendsten. Sie umfassten das alte Reich, eine erste<br />

Zwischenzeit <strong>und</strong> das Mittlere Reich bis zur 17. Dynastie.<br />

Ab <strong>dem</strong> alten Reich wuchs die Macht der Pharaonen ins<br />

Unermessliche. Ägypten erreiche die Regierungsform der absoluten<br />

*Monarchie. Alle Macht ging vom Pharao aus. Er er<strong>ließ</strong> alle<br />

Gesetze <strong>und</strong> wurde sogar als höheres Geistwesen, als Mittler<br />

zwischen Himmel <strong>und</strong> Erde angesehen. Aus den G<strong>auf</strong>ürsten wurden<br />

die damaligen Beamten, die Verwalter <strong>und</strong> Staatsdiener. Sie<br />

unterstanden alle <strong>und</strong> in allen Belangen <strong>dem</strong> mächtigen Pharao. Die<br />

Grabstätten vieler ägyptischer Pharaonen des alten Reiches wurden<br />

182


als gigantische Pyramiden verewigt. Diese unvergleichlichen<br />

Bauwerke haben die Jahrtausende überstanden. Es wird vermutet,<br />

dass zehntausende Menschen gleichzeitig beim Bau solcher Kolosse<br />

beteiligt waren. Um die tonnenschweren Steinquader zu<br />

transportieren, wählte man Bauplätze in der Nähe des Nils <strong>und</strong><br />

errichtete riesige Rampen. Teilweise wurde an einem einzigen<br />

Bauplatz mehr als zwanzig Jahre gearbeitet. ­ Die bekanntesten<br />

Pyramiden stammen aus der Zeit der 4. Dynastie, um 2630 – 2525<br />

vor Christus. Die größte ist die Cheops­Pyramide bei Gizeh. Mit<br />

einer Gr<strong>und</strong>fläche von 230 mal 230 Metern war sie vor 4500 Jahren<br />

etwa 146 Meter hoch. Durch Verwitterung ist sie heute aber immer<br />

noch 137 Meter hoch. ­ Anna stellte sich zum Vergleich die Größe<br />

eines Fußballfeldes vor. ­ Ganz in der Nähe befinden sich noch zwei<br />

weitere Bauwerke. Die Chephren­Pyramide, welche fast genauso<br />

groß ist <strong>und</strong> die Mykerinos­Pyramide mit ca. 65 Metern Höhe. Die<br />

Form der Pyramide mit ihrer einen Spitze symbolisiert die<br />

Verbindung zwischen der Ewigkeit <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Irdischen. Eine andere<br />

Deutung wäre der unbedingte Machtanspruch des einen Pharao an<br />

der Spitze, getragen von einem riesigen Volk, das ihm diese Macht<br />

von unten ermöglicht. Insgesamt gibt es in Ägypten ungefähr 80<br />

bekannte Pyramiden. Viele dienen als letzte Ruhestätte, die mit<br />

kostbaren Schätzen gefüllt wurden. Den Verstorbenen sollten so<br />

Geschenke <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Weg in die Totenwelt mit gegeben werden. Die<br />

beeindruckendsten Grabstätten der Welt befinden sich im Tal der<br />

Könige. Über 60 Gräber sind dort in Stein verewigt. Bekannte<br />

Pharaonen wie Tutanchamun <strong>und</strong> Ramses wurden dort begraben. Im<br />

L<strong>auf</strong>e der folgenden Jahrh<strong>und</strong>erte wurden die Gräber aber immer<br />

wieder von Grabräubern geplündert. Schätze <strong>und</strong> *Reliquien von<br />

unglaublichem Wert verschwanden <strong>und</strong> gingen so <strong>dem</strong> Kulturerbe<br />

183


der Menschheit verloren. Die berühmtesten Pyramidenbaumeister<br />

wie zum Beispiel Cheops, gaben den Pyramiden auch ihre Namen. ­<br />

Dagegen waren die meisten Ägypter einfache Bauern. Sie führten<br />

ein bescheidenes Leben. Auf ihren kleinen Feldern in Nilnähe<br />

bauten sie Getreide, Früchte <strong>und</strong> Gemüse an. Nach <strong>dem</strong> Prinzip der<br />

Selbstversorgung <strong>und</strong> Vorratswirtschaft züchteten sie Ziegen,<br />

Schafe <strong>und</strong> Rinder. Die allgemeine Lebenserwartung war leider<br />

nicht sehr hoch. Kinderreichtum war deswegen willkommen. Die<br />

Rolle der Frau gegenüber <strong>dem</strong> Mann war fast gleichgestellt. ­ Anna<br />

überlegte, was das heißen sollte. ­<br />

Eine wichtige Rolle kam der Religionsausübung zu. Es gab eine<br />

ganze Anzahl von Göttern, die alle eine gewisse Aufgabe erfüllten.<br />

Jede Gottheit be<strong>saß</strong> ihren eigenen Tempel. In den Tempeln waren<br />

die Statuen der jeweiligen Götter <strong>auf</strong>gestellt. Auch der Pharao be<strong>saß</strong><br />

seine bestimmten Statuen. In den Tempeln wurde dann zu den<br />

Göttern gebetet. Rituale fanden statt <strong>und</strong> Opfergaben wurden<br />

erbracht. Diese bestanden aus Speisen Getränken, Parfümen,<br />

Blumen <strong>und</strong> weiteren wertvollen Dingen. So sollte der jeweilige<br />

Gott beschwichtigt werden, um zu Glück <strong>und</strong> Wohlstand<br />

beizutragen. Bei Prozessionen (Schauumzüge) wurde die jeweilige<br />

Statue aus <strong>dem</strong> Tempel geholt. Man trug sie verhüllt durch die<br />

Straßen, weil sie vom Volk außerhalb der Tempelanlagen nicht<br />

gesehen werden sollte.<br />

Anna machte eine kurze Pause. Sie erinnerte sich wieder an die<br />

Katzengöttin BASTET. Sie blätterte ein wenig weiter <strong>und</strong> kam zum<br />

Verzeichnis der Götter. Es war schön gemütlich hier im warmen<br />

Bett. Die kühle Milch bildete dazu einen angenehmen Kontrast.<br />

184


Schnell naschte sie noch ein paar Züge durch den Trinkhalm,<br />

wechselte ihre Stützhand für den Kopf <strong>und</strong> las weiter:<br />

BASTET wurde als Göttin der Liebe, Fruchtbarkeit, der Stärke <strong>und</strong><br />

des Guten bezeichnet. Ihre Aufgabe bestand darin, bei Nacht die<br />

Sonne zu bewachen. Als Katze des Mondes sollte sie die Schlange<br />

der Finsternis, die Todfeindin der Sonne bekämpfen. Als Gemahlin<br />

(Frau) des höchsten Gottes, des Sonnengottes RE, war sie<br />

gleichzeitig Mutter des Löwengottes MAHES. ­ Anna erwog, dass<br />

sie als angetraute Frau des höchsten Gottes besonders mächtig<br />

gewesen sein musste. ­<br />

Anfangs wurde BASTET mit Löwenkopf dargestellt. Im Mittleren<br />

Reich wurde die Katze dann offiziell zum heiligen Tier der<br />

BASTET erklärt. Die Darstellung des Löwenkopfes wich der eines<br />

Katzenkopfes mit weichen, fre<strong>und</strong>lichen Zügen. Zu Ehren der<br />

Göttin wurde Musik <strong>und</strong> Tanz <strong>auf</strong>geführt. Prozessionen <strong>und</strong><br />

Zeremonien fanden statt.<br />

Anna wandte sich <strong>dem</strong> wichtigsten Gott zu. In Ägypten galt RE zu<br />

allen Zeiten als oberster Gottvater. Er wurde in Menschengestalt mit<br />

Falkenkopf dargestellt. Besonders kennzeichnend ist die große<br />

Sonnenscheibe über seinem Haupt. Als Gott der Morgen, ­ Mittags­<br />

<strong>und</strong> Abendsonne kann er verschiedene Erscheinungsformen<br />

annehmen. Nach <strong>dem</strong> Schöpfungsmythos <strong>saß</strong> er eines Morgens als<br />

göttliches Kind in einer Lotusblüte <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> heiligen See. Als er<br />

weinte, entstanden aus seinen Tränen die ersten Menschen.<br />

„Wie romantisch“, seufzte Anna laut <strong>auf</strong>.<br />

Dem Sonnengott RE fast gleichgestellt residierte der Gott AMUN,<br />

besonders zur Zeit des Mittleren Reiches, über seinem Volk. Er war<br />

der Gott der Zeugung, der Viehherden <strong>und</strong> Weiden, ein Licht­ <strong>und</strong><br />

185


Orakelgott. Er wurde als Menschengestalt mit blauer Hautfarbe<br />

dargestellt. In den Händen trug er ein Götterzepter <strong>und</strong> das<br />

Henkelkreuz als Symbol des Lebens.<br />

Besonders in Oberägypten wurde schon frühzeitig OSIRIS verehrt.<br />

Er galt als oberster Toten­, Sonnen­, Nilstrom­ <strong>und</strong><br />

Vegetationsgott, war gesetzgebend <strong>und</strong> beeinflusste die<br />

Götterverehrung. Er wurde von Seth ermordet <strong>und</strong> zerstückelt. Nun<br />

ist er der Richter der Unterwelt <strong>und</strong> Herr über das Totenreich. ­<br />

Anna fröstelte es etwas, als sie die Beschreibung zu OSIRIS las. ­<br />

Noch viele weitere Götter waren in Ägypten bekannt, wie zum<br />

Beispiel: SCHU ­ als Luftgott <strong>und</strong> Gott der <strong>auf</strong>gehenden Sonne;<br />

PACHT ­ eine vernichtende Naturgöttin; NEITH ­ als ursprüngliche<br />

Kriegsgöttin; MATH – die Göttin der Wahrheit, Gerechtigkeit <strong>und</strong><br />

Weltordnung; MIYSIS – der Löwengott; MEHIT – die<br />

Löwengöttin, ISIS – Mutter­ <strong>und</strong> Himmelsgöttin; THOTH – der<br />

ursprüngliche Mondgott; AKER – der löwengestaltige Erdgott<br />

sowie HAH – die Vergötterung der Endlosigkeit <strong>und</strong> Ewigkeit.<br />

„Aha“, sagte Anna in Gedanken versunken.<br />

Geräusche drangen durch die Wand. Anna meinte, Teresas helle<br />

Stimme zu hören. Sie schaute <strong>auf</strong> die Uhr. Es war gleich 21.00 Uhr.<br />

Sie schüttelte sich etwas <strong>und</strong> musste gähnen. Das viele neue Wissen<br />

steigerte ihre Müdigkeit. Aber sie fühlte sich dabei zufrieden.<br />

Natürlich war es nicht möglich, in einigen St<strong>und</strong>en die gesamte<br />

Geschichte Ägyptens zu studieren. Dennoch, dieser kleine Einblick<br />

<strong>und</strong> das Gelesene wirkten äußerst interessant. Dass Katzen sogar<br />

angebetet wurden, hätte sie nicht gedacht. Sie klappte das Buch zu.<br />

Morgen könnte sie ja weiter lesen. Wieder drangen<br />

Stimmengeräusche durch die Wand. Anna wurde neugierig. Was<br />

mochten ihre Leute im Wohnzimmer wohl machen? Weil sie auch<br />

186


noch <strong>auf</strong> die Toilette wollte, stand sie <strong>auf</strong> <strong>und</strong> ging einfach gucken.<br />

Teresa befand sich voll im Ratefieber. Auch die Eltern waren ganz<br />

bei der Sache. Im Fernsehen lief die bekannte Sendung ``Wer<br />

bekommt die Million?``. Anna setze sich dazu.<br />

„Schön dass du kommst!“, rief die Mama.<br />

„Hast du fleißig gelernt?“<br />

„Pst, pst“, machte Teresa.<br />

Anna nickte nur <strong>und</strong> zog zur Bestätigung die Lippen nach vorn. In<br />

der Fernsehsendung ging es gerade um 128.000 Euro. Die Ratestufe<br />

schien schwer, weil auch die Joker schon weg waren. Der<br />

Moderator, ein pfiffiger Typ, wirkte völlig unbeeindruckt. Er<br />

witzelte mit <strong>dem</strong> Kandidaten. Nicht sehr witzig dagegen wirkte der<br />

Kandidat.<br />

„Das bekommt sowie so keiner raus“, flüsterte Teresa.<br />

„Ja wer soll das schon wissen“, bemerkte auch der Papa.<br />

„Für soviel Geld muss es ja schwer sein“, meinte die Mama.<br />

„Wie heißt denn die Frage?“, wollte Anna nun wissen.<br />

„Ach“, der Papa atmete angestresst, „der Gegenspieler irgendeiner<br />

Göttin. Ich kenn´ nicht mal die Göttin.“<br />

„Sag doch mal die Frage, Papa!“<br />

„Moment!“, gab der Papa zurück. „Es geht weiter.“<br />

Der pfiffige Moderator im Fernsehen schaute <strong>auf</strong> die Uhr. Dann<br />

wurde der Kandidat <strong>auf</strong>gefordert, sich zu entscheiden oder<br />

auszusteigen. Immer angespannter sah dieser jetzt aus.<br />

„Ich wiederhole die Frage jetzt zum letzten Mal“, sagte der<br />

Moderator. „Sie wissen, es geht um 128.000 Euro?“<br />

Es folgte ein zittriges „Ja“ des Kandidaten.<br />

187


„Also, welche Gottheit wurde der Göttin BASTET ungerechter<br />

Weise gleichgestellt obwohl die Gottheit eigentlich als Gegenspieler<br />

wirkte?“<br />

Noch bevor überhaupt jemand etwas sagen konnte erklärte Anna:<br />

„Nun es war natürlich die Göttin SACHMET, die Gegenspielerin<br />

von Bastet. Sie stellte die zerstörerische Kraft der Sonne dar <strong>und</strong><br />

galt im Gegensatz zu BASTET als bösartig <strong>und</strong> blutrünstig.“<br />

Anna blickte cool in die R<strong>und</strong>e.<br />

Dem Papa fiel fast die Erdnuss aus der Hand. Alle starrten <strong>auf</strong><br />

Anna. Die Mama sagte verw<strong>und</strong>ert:<br />

„Du hast dir ja nicht mal die Auswahlbegriffe angeguckt?“<br />

In diesem Moment gab der Kandidat <strong>auf</strong>. Die Blicke richteten sich<br />

wieder <strong>auf</strong> den Fernseher.<br />

„Nun, es wäre SACHMET gewesen“, gab der Moderator beiläufig<br />

bekannt. „Aber wer konnte das schon wissen. Gleich sind wir<br />

wieder da.“<br />

Es begann Werbung.<br />

„Ich glaub` es ja nicht“, sagte Teresa baff. Tief beeindruckt blickte<br />

sie <strong>auf</strong> Anna.<br />

„Wie hast du das bloß gewusst?“<br />

„Ich hab das mal gelesen.“<br />

„Tja, das hat sie wohl von mir“, meinte der Papa blinzelnd.<br />

„Wa­as?“, zischte es scharf aus der Richtung der Mama.<br />

„Ich meine, dass sie gerne liest.“<br />

„Nein, es ist eher meine Erziehung“, bestimmte die Mama.<br />

„Aber ich würde sagen, ein bisschen auch meine ...“ Einige Minuten<br />

vergingen.<br />

„Die Werbung ist zu Ende!“ Teresa wies mit <strong>dem</strong> Zeigefinger in<br />

Richtung Bildschirm.<br />

188


Anna lächelte <strong>und</strong> fragte, wer noch ein Getränk aus der Küche<br />

wünsche. Dann ging sie schnell aus <strong>dem</strong> Wohnzimmer, um die<br />

Getränke zu zubereiten.<br />

Wieder bei <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> Robi:<br />

„Schade, dass es mit deinen Augen nicht besser wird“, sagte <strong>Susi</strong><br />

mitleidig. „Gern würde ich dir ein bisschen von der Kraft meiner<br />

Augen abgeben.“<br />

„Wie nett von dir, kleine <strong>Susi</strong>. Aber so ist es nun einmal. Nichts ist<br />

unendlich <strong>und</strong> alles hat seine Zeit.“<br />

„Ach Robi, sprich nicht so. Komm, wir gehen etwas zusammen<br />

spielen! Wir haben noch soviel Zeit, wirst du sehen.“<br />

<strong>Susi</strong> zog an Robis Schwanzspitze. Doch ihr großer Fre<strong>und</strong> hing<br />

wehmütigen Gedanken nach. Es wäre vergeblich, ihn jetzt zu<br />

necken. So ging sie ins Wohnzimmer.<br />

Zwei Wespen, die durch das angeklappte Fenster ins Zimmer<br />

geraten waren, stritten sich lautstark, wer denn nun am Fehlflug<br />

schuld sei. <strong>Susi</strong> setzte sich in die Nähe der Insekten <strong>und</strong> beobachtete<br />

sie. Wahrscheinlich fanden sie nicht mehr den Weg nach draußen.<br />

Die Eine schrie die Andere ständig mit einem Namen an. Die<br />

Andere schrie die Eine ebenfalls mit <strong>dem</strong> gleichen Namen an. Das<br />

Surren der Flügelpaare übertönte mitunter ihre Unterhaltung. „Ob<br />

die den gleichen Namen haben?“, überlegte <strong>Susi</strong>. Viel zu wenig<br />

wusste sie vom riesigen Volk der Insekten.<br />

Hinter ihr kam Robi nun doch ins Zimmer. Man sah ihm an, dass er<br />

sich bemühte, einen munteren Eindruck zu machen. Doch gelang<br />

ihm dies nur unbeholfen. Sein Schwanz wackelte nur lustlos <strong>und</strong> in<br />

halber Höhe.<br />

189


„Deine neue Futtersorte mit Möhren hilft bestimmt. Wenn du viel<br />

davon isst, geben dir die Kinder bestimmt wieder neues davon.“<br />

„Ja“, seufzte der H<strong>und</strong>, „du meinst es gut mit mir, ich weiß.“<br />

„Natürlich, Rob. Auch wenn du jetzt vierzehn bist, soll es dir ja gut<br />

gehen.“<br />

<strong>Susi</strong> dachte nach. Ihre Ohren drehte sie dabei in alle Richtungen.<br />

Wieso nur konnte sie eine Maus im Dunkeln erkennen, noch dazu<br />

über eine Strecke solang wie das ganze Haus? Dagegen sah Robi<br />

schon am Tage wenig. Weshalb waren die Lebewesen mit so<br />

unterschiedlichen Fähigkeiten ausgestattet? War das ein Zufall?<br />

Gleichzeitig registrierte sie unbewußt genau die Richtung, aus der<br />

das Surren der Wespenflügel kam. Blitzschnell könnte sie dort sein.<br />

Sie würde dafür nicht einmal genau hinsehen müssen. Schon einmal<br />

gelang es ihr, mit einer einzigen Bewegung eine freche Fliege zu<br />

fangen. Sie <strong>ließ</strong> die Fliege aber wieder frei, weil die Fliege ihr<br />

versprochen hatte, sich nicht mehr <strong>auf</strong> ihre Nase zu setzen. Warum<br />

also be<strong>saß</strong> sie alle diese Eigenschaften. Warum zum Beispiel<br />

blicken die Spinnen durch acht Augen?<br />

„Du, Robi?“<br />

„Was hast du, meine Kleine?“<br />

„Warum bin ich so, wie ich bin?“<br />

Robi wiegte den Kopf hin <strong>und</strong> her. Es sah fast so aus, als lächle er<br />

etwas. Dann sagte er:<br />

Jedes Wesen hat seine Bestimmung. Jede Art hat ihre Familie. Alles<br />

hat einen Sinn. Es ist bestimmt nichts umsonst. Und du hast die Art,<br />

<strong>Susi</strong>, die aus deiner Familie kommt, von deinen Urahnen. So wie<br />

ich meine Urahnen habe.<br />

„Aber wo kommen meine Urahnen her?“ <strong>Susi</strong> setzte sich nahe an<br />

Robi. Auch fiel ihr jetzt wieder der kastenförmige Gegenstand ein,<br />

190


der sie vor ein paar Tagen, vom Schreibtisch der Kinder aus, so<br />

magisch angezogen hatte. Robi dachte an seine Vorfahren.<br />

„Die Urahnen gab es schon als der Mond noch viel jünger war.<br />

Keiner kann genau sagen, wann das war.“<br />

„Vielleicht ist alles Zufall?“, fragte <strong>Susi</strong>.<br />

„Ob Zufall oder Schicksal, wer weiß das schon genau. Jedenfalls<br />

sind wir so <strong>auf</strong> die Welt gekommen, wie wir sind. Wenn wir nicht<br />

da wären, würden wir es nicht mal merken.“<br />

„Oder wir wären Wespen oder Spinnen“, ergänzte <strong>Susi</strong>.<br />

„Dann würden wir es aber auch so hinnehmen müssen, <strong>Susi</strong>.“<br />

„Ja ..., also bin ich so, weil ich so <strong>und</strong> nicht anders bin, oder?“<br />

Robi überlegte <strong>und</strong> nickte dann zustimmend.<br />

„Ja, so ist es wahrscheinlich, <strong>Susi</strong>.“<br />

„Rob?“<br />

„Ja <strong>Susi</strong>?“<br />

„Vielleicht solltest du mehr Fisch, am besten mit Haut essen. Ich<br />

glaube, dass ist gut für die Sehkraft.“<br />

„Da hast du Recht. Ich kann es probieren. Aber es sind nicht nur<br />

meine Augen, die mir Sorgen machen.“<br />

„Was bedrückt dich sonst noch?“<br />

„Ach weißt du, es ist so: An <strong>dem</strong> Abend als das Treffen stattfand,<br />

wo du mir geholfen hast, erzählte ein allerklügster H<strong>und</strong>. Er<br />

berichtete darüber was mit Alten oder Kranken von uns passiert.<br />

Nur sehr wenige sind bisher zurückgekommen. Es ist schrecklich.“<br />

„Was passiert denn?“<br />

„Willst du das wirklich hören?“<br />

„Ich werde auch mal alt, Robi.“<br />

„Na gut. Also wenn die Menschen sich entscheiden, dass sie uns<br />

loswerden wollen, bringen sie uns zu den Weißkitteln. Dort werden<br />

191


Mittel verabreicht, von denen bisher niemand wieder <strong>auf</strong>gewacht<br />

ist. So erzählte der allerklügste H<strong>und</strong>.“<br />

„Das ist wirklich schrecklich“, sagte <strong>Susi</strong> mitfühlend.<br />

Robi erzählte weiter:<br />

„Ich verstehe es ja noch bei einer schweren Krankheit. Aber es<br />

sollen auch schon junge H<strong>und</strong>e betroffen gewesen seien, nur weil<br />

die Menschen keine Zeit mehr hatten oder verreisten.“<br />

„Nun verstehe ich auch, warum du dir solche Sorgen machst.“<br />

„Na ja, ich bin schon recht alt <strong>Susi</strong>. Aber mir ging es bisher immer<br />

sehr gut. Das muss man auch sagen. Und du hast ja noch dein<br />

ganzes Leben vor dir.“<br />

„Zerbrich dir lieber nicht den Kopf, Robi! Alles hat einen Sinn.“<br />

„Stimmt, <strong>Susi</strong>. Lass uns von etwas anderem reden!“<br />

Robis Schwanz bewegte sich langsam wieder in die Höhe. <strong>Susi</strong><br />

sprang zum Fenster. Mit einer Pfote schob sie vorsichtig die<br />

Gardine beiseite. Die eine <strong>und</strong> die andere Wespe drehten noch eine<br />

summende R<strong>und</strong>e. Dann erkannten sie den freien Weg zum Fenster.<br />

Die Eine kam ganz nah an <strong>Susi</strong>s Gesicht, so dass <strong>Susi</strong> ihre<br />

Facettenaugen erkannte. Sie stand gleichsam in der Luft.<br />

„Hab Dank für deine Hilfe“, summte sie.<br />

„Wir werden deine Fre<strong>und</strong>e sein, wenn du uns brauchst.“<br />

Dann drehte sie zur Anderen ab <strong>und</strong> beide verschwanden in die<br />

Freiheit.<br />

192


193


194


15. Der Geburtstag <strong>und</strong> die Nacht des Professors<br />

Am morgigen Tage sollte es nun endlich soweit sein. Teresas<br />

Geburtstag stand unmittelbar bevor. Jeder wusste es schon. Ihre<br />

Fre<strong>und</strong>innen wussten es, die Nachbarn wussten es <strong>und</strong> auch die<br />

nette Bäckersfrau. Und Teresa trug natürlich auch noch kräftig dazu<br />

bei, dass es auch jeder wirklich richtig wusste. Etwa seit <strong>dem</strong><br />

Ausflug zum Eiskaffee, sah man sie nur noch gut gelaunt durch die<br />

Gegend hopsen. Lächelnd, mit einem Liedchen <strong>auf</strong> den Lippen,<br />

befand sie sich in ihrer eigenen Vorfreude­Welt. Mit Lalalala­<br />

Gesinge <strong>und</strong> Selbstgesprächen unterhielt sie ihre Umgebung. Klar<br />

wirkte das etwas <strong>auf</strong>gekratzt, aber sie freute sich eben. Und<br />

sch<strong>ließ</strong>lich war es Mai geworden. Die Welt war schön. Selbst das<br />

geheimnisvolle Kastenbuch konnte sie da nicht ablenken. (Das lag<br />

übrigens gut eingepackt im hinteren Schrankfach.) Die<br />

Einladungskarten waren gut angekommen. Teresa hatte den Text<br />

selbst gestaltet <strong>und</strong> auch die große 9 mit der Hand gemalt. Ihre<br />

Schwester brauchte ihr dieses Jahr kaum noch zu helfen, so gut<br />

konnte sie bereits Texte gestalten. Fünf Einladungen durfte sie,<br />

mindestens zehn Gäste wollte sie. Da wurde dann doch noch ganz<br />

schön mit den Eltern gehandelt, bis feststand, <strong>auf</strong> welche<br />

Kapazitäten sich die Geburtstagsfeier ausdehnen dürfe. Außer<strong>dem</strong><br />

wurde beschlossen, <strong>Susi</strong>s Geburtstag an Teresas Ehrentag<br />

anzukoppeln, weil man das Katzenmädchen vor einem knappen Jahr<br />

zu sich genommen hatte.<br />

„Nun hast du das erste Mal Geburtstag, <strong>Susi</strong>. Da feiern wir<br />

zusammen“, redete Teresa eifrig dr<strong>auf</strong> los. Sie machte sich gerade<br />

für die Schule fertig <strong>und</strong> sortierte dabei ihre Hefte. <strong>Susi</strong> <strong>saß</strong> gleich<br />

195


neben der Schultasche. Sie beobachtete wie das Mädchen mit den<br />

vielen Sachen hantierte. Als ein Heftumschlag raschelte, sauste sie<br />

los <strong>und</strong> machte einen Purzelbaum über die Tasche. Teresa berührte<br />

<strong>Susi</strong>s Bauch <strong>und</strong> knuddelte sie durch. In spielerischer Manier<br />

strampelte die Katze mit den Hinterpfoten. Gleichzeitig kaute sie an<br />

Teresas Hand herum. Geschickt versuchte Teresa, den scharfen<br />

Krallen auszuweichen.<br />

„Na na, nicht so wild!“, lachte sie.<br />

Anna rief vom Bad aus:<br />

„Bist du fertig Teri? Komm, wir müssen los!“<br />

„Ja, gleich. Ich spiele nur noch mit <strong>Susi</strong>.“<br />

„Nimm sie gleich mit raus! Es wird wieder schön sonnig heute.“<br />

„Gut.“<br />

Die Mädchen achteten dar<strong>auf</strong>, dass in der Wohnung alles seine<br />

Ordnung hatte. Anna prüfte, ob die Elektrogeräte auch ausgeschaltet<br />

wären. Dann nahmen sie ihre Schlüssel, putzten noch kurz die<br />

Schuhe <strong>und</strong> ver<strong>ließ</strong>en wie jeden Morgen die Wohnung. <strong>Susi</strong><br />

trappelte noch einige Meter mit. Zur Verabschiedung blieb sie dann<br />

<strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Zaunpfahl sitzen. Martin <strong>und</strong> einige Schüler aus der<br />

Nachbarschaft gesellten sich dazu. Von der emsig plappernden<br />

Teresa angeführt, erreichten die Kinder die Schule.<br />

Die fünfte St<strong>und</strong>e begann. Anna <strong>saß</strong> zurückgelehnt in der<br />

Schulbank. Gerade noch war es in Mathe r<strong>und</strong> gegangen. Der kleine<br />

Test konnte ihr aber nicht wirklich etwas anhaben. Dafür hatte sie<br />

gestern zu gut geübt. Vor ihr lag die kleine Jeanshose, die sie schon<br />

vor Wochen gemeinsam mit der Mama ausgesucht hatte. Deutlich<br />

erkannte man den flippigen Schlaghosenstil. Frau Creationarini, die<br />

196


Lehrerin für künstlerische Gestaltung, schwebte durch die<br />

Sitzreihen.<br />

„Bitte immer <strong>auf</strong> die innere Stimme hören, ja? Lasst euer Herz<br />

sprechen! Fühlt ihr die Schönheit?“<br />

Frau Creationarini stand mit geschlossenen Augen im Zimmer. Sie<br />

hielt die Hände ausgebreitet. Dabei wippte sie <strong>auf</strong> ihren Füßen vor<br />

<strong>und</strong> zurück. Ihre Frisur war mehrschichtig­mehrfarbig. Die Kinder<br />

sahen der Lehrerin in lockerer, heiterer Stimmung zu. Vor ihnen<br />

lagen die verschiedensten Gegenstände die zur künstlerischen<br />

Bearbeitung, in Form von Farbdrucken, vorgesehen waren. Meist<br />

kurzärmlige Shirts oder andere Bekleidungsstücke waren das. Lisa<br />

schaute etwas schüchtern nach rechts <strong>und</strong> links. Doch dann legte sie<br />

selbstbewusst eine riesige Unterhose <strong>auf</strong> den Tisch, die sie ihrem<br />

Opa entwendet hatte. Diese Unterhose wollte sie nun bedrucken <strong>und</strong><br />

später <strong>dem</strong> Opa schenken. Einige kicherten. Frau Creationarini<br />

erzählte mit malerischen Gesten über Formen, Farben <strong>und</strong><br />

Faszinationen. Das Wesen ihrer meditativen Erscheinung umgab<br />

dabei ein perfektes Styling neuester Mailländer Mode, gepaart mit<br />

<strong>dem</strong> Touch des Extravaganten. Ja, ein Hauch der *Inspiration lag in<br />

der Luft, ausgelöst von der bloßen Anwesenheit der Lehrerin.<br />

Lisa betrachtete ihre Unterhose. Sie wollte Kartoffeldrucke dar<strong>auf</strong><br />

ausführen. Anna fand ihre Jeans zum Bedrucken einfach zu schade.<br />

Deshalb überlegte sie, wie sie den Stoff anders gestalten könnte.<br />

Dabei blieb ihr Blick an Frau Creationarini hängen. Natürlich war<br />

nicht erkennbar, welche Art Kleidungsstücke die Lehrerin denn nun<br />

wirklich trug, <strong>und</strong> ob es sich zum Beispiel um einen Rock oder eine<br />

Hose handelte. Doch faszinierten Anna die ganzen Kettchen, vielen<br />

Glitzerperlen <strong>und</strong> sonstigen Utensilien am Edelfummel der<br />

197


Madame. Das sah schick aus. Das sah irgendwie gut aus. So etwas<br />

wollte sie gern an der Hose haben.<br />

Sie meldete sich.<br />

„Ja mein Kind?“, flötete es aus <strong>dem</strong> zarten M<strong>und</strong> der Lehrerin.<br />

Schmuck rasselte teuer.<br />

„Frau Creationarini, können sie mir bitte sagen, was sie dort an<br />

ihrem Kostüm haben?“<br />

„Ah, du meinst meine ``Creationi`` von Raffalini? Ist sie nicht<br />

zauberhaft? Ach, der Raffalini ist schon zauberhaft“, schwärmte die<br />

Kunstlehrerin.<br />

Dabei drehte sie entzückt den Kopf hin <strong>und</strong> her. Ihre Augenlider<br />

klapperten. ­ Immer wenn sie an Raffalini dachte, wurde ihr heiß<br />

<strong>und</strong> ganz anders zu Mute. ­<br />

„Also der Stoff ist ... “<br />

Nun ging es richtig los. Frau Creationarini begann einen<br />

zauberhaften Vortrag über die Welt, die sie so sehr verzauberte,<br />

nämlich über die Modewelt. Dies würde sicher eine Viertelst<strong>und</strong>e<br />

oder länger dauern. Auch deshalb war die Lehrerin bei den Schülern<br />

so beliebt. Einige blickten wohlwollend <strong>auf</strong> ihre Armbanduhren. Es<br />

gab aber auch immer soviel Neues <strong>und</strong> Kreatives zu erfahren,<br />

wirklich also.<br />

„... der Stoff ist wirklich immer das Wichtigste. Ihr müsst ihn<br />

berühren <strong>und</strong> anfühlini...!“<br />

Frau Creationarini erzählte mit Begeisterung, wie sie die Mailänder<br />

Mo<strong>dem</strong>essen besuchte <strong>und</strong> wie sie die Hand von Raffalini habe<br />

schütteln dürfen, als sie die letzte ``Creationi`` des Meisters erwarb.<br />

Selbst mit <strong>dem</strong>, eine markante Sonnenbrille tragenden,<br />

grauzöpfigen Übervater der Mode, Carlos Magerfeld, <strong>saß</strong> sie schon<br />

einmal an einem Tisch zusammen. Auch erzählte sie über ihre<br />

198


italienischen Vorfahren. Gespannt lauschten die Kinder. Sie<br />

erfuhren nun auch von den vielen so genannten *Accessoires, die<br />

einem Kleidungsstück erst den unverwechselbaren Charakter geben.<br />

­ Die Einzigartigkeit einer Bekleidung besteht also aus <strong>dem</strong> guten,<br />

passenden Stoff, der Art des Zuschnittes <strong>und</strong> der richtigen<br />

Verarbeitung, ergänzt mit den speziellen Accessoires, überlegte<br />

Anna. ­<br />

Warum war die Lehrerin nicht selbst Modedesigner geworden<br />

fragte sie sich, während Frau Creationarini, seelig lächelnd, ihren<br />

Vortrag langsam beendete. Weil der Unterrichtsschluss kurz bevor<br />

stand, meldete sich Anna nochmals <strong>und</strong> sprach das Thema<br />

Accessoires in Bezug <strong>auf</strong> ihre Jeanshose an. Frau Creationarini<br />

betrachtete die Hose <strong>und</strong> versprach, gleich im Anschluss an die<br />

St<strong>und</strong>e ein paar geeignete Kettchen <strong>und</strong> Glitzersteine zu besorgen.<br />

Lisas Unterhose zierten nun herrliche, gelbe Drucke in<br />

Bananenform, so dass ihr Opa topmodisch aussehen würde. Als die<br />

St<strong>und</strong>e dann endete, bekam Anna von Frau Creationarini eine ganze<br />

Handvoll mit Kettchen, Knöpfen <strong>und</strong> Glitzerzeugs geschenkt. Die<br />

Lehrerin gab ihr noch ein paar Hinweise zum Anbringen der<br />

Verzierungen <strong>und</strong> wünschte Anna absch<strong>ließ</strong>end viel Glück bei ihrer<br />

eigenen Kreation. Anna freute sich. Nun konnte sie das geplante<br />

Geburtstagsgeschenk für Teresa doch noch nach ihrem Geschmack<br />

kreativ vorbereiten.<br />

„Frau Creationarini hat gesagt, dass wir wahrscheinlich sogar eine<br />

eigene Modenschau machen werden. Wahrscheinlich noch vor den<br />

großen Ferien.“<br />

„Ist ja echt stark“, staunte Teresa.<br />

199


„Und was wollt ihr da anziehen, Anna?“<br />

„Na, wir nehmen unsere alten Sachen <strong>und</strong> arbeiten die ein bisschen<br />

um. Oder wir verwenden alte Bettlaken zum selber nähen von<br />

eigener Mode.“<br />

„Bettlaken? Da kannst du ja gleich als Nachtgespenst gehen“, lachte<br />

Teresa.<br />

Anna lachte ebenfalls. Sie befanden sich <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Weg von der<br />

Schule nach Hause. Die Stofftasche mit der Schlaghose drin, trug<br />

sie <strong>auf</strong> der von Teresa abgewandten Seite. Teresa besprach sich<br />

noch mit Maja, weil es noch nicht ganz klar war, ob Maja morgen<br />

Nachmittag zur Geburtstagsfeier kommen könne. Die anderen<br />

Mädchen hatten schon längst alle zugesagt. Teresa wollte<br />

ursprünglich mit ihren Gästen ins Kino gehen. Dann kam ihr die<br />

Idee einer Schnitzeljagd im Wald. Nun fand sie den Gedanken an<br />

eine Modenschau besonders verlockend. Freilich hatte ihr gerade<br />

erst Anna die Anregung dazu gegeben. Es war aber auch schwierig,<br />

das Richtige auszusuchen. Die Eltern erwarteten natürlich eine<br />

gewisse Planung. Teresa verwarf also den Gedanken an eine so<br />

kurzfristig angesetzte Modenschau <strong>und</strong> blieb erst einmal beim<br />

Kinobesuch mit Schnitzeljagd <strong>und</strong> Tanzparty. Die Modenschau<br />

wollte sie aber <strong>auf</strong> alle Fälle nachholen.<br />

Kurze Zeit später begrüßte sie <strong>Susi</strong>, die diesmal <strong>auf</strong> der kleinen<br />

Bank in der Nähe des Wohnhauses gewartet hatte. Zum Mittagessen<br />

machten sich die Kinder eine leckere Pizza. Die war zwar<br />

eingefroren, erhielt aber durch ein paar Zutaten­Accessoires in<br />

Form von Käse, frischen Tomaten <strong>und</strong> Gewürzen ihre eigene<br />

Geschmackskreation. Die gesamte Wohnung duftete.<br />

200


„Was machen wir denn nun mit <strong>dem</strong> Kastenbuch?“, fiel es Anna<br />

nach zwei großen Stücken Pizza ein. Sie wickelte den<br />

geschmolzenen Käse um die Gabel <strong>und</strong> blickte kauend zu Teresa.<br />

„Ach ja, das Kastenbuch. Ich hab schon gar nicht mehr daran<br />

gedacht. Komisch nicht?“, w<strong>und</strong>erte sich Teresa.<br />

Sie pustete <strong>auf</strong> ihre heiße Pizza <strong>und</strong> versuchte schmatzarm zu essen.<br />

Schmatzen mochte sie nicht besonders gern.<br />

„Na vergessen hab ich ´s nicht. Teri.“<br />

„Wir können es ja <strong>auf</strong>sägen. Dann sehen wir was drin ist.“ Teresa<br />

sägte jetzt mit <strong>dem</strong> Messer über den harten Pizzarand <strong>und</strong> stellte<br />

sich gleichzeitig ein <strong>auf</strong>gesägtes Buch vor.<br />

„Ach Quatsch! Aufsägen, das bringt doch nichts. Außer<strong>dem</strong> wissen<br />

wir immer noch nicht, wem es gehört.“ Anna sprach energisch<br />

weiter: „Weißt du was?“<br />

„Ja Anna, äh ... nein?“<br />

„Wir warten noch deinen Geburtstag ab. Und dann zeigen wir es<br />

einfach Mama <strong>und</strong> Papa. Wir haben doch nichts Schlimmes getan.<br />

Also können wir es auch erzählen. Ich glaube, das ist die beste<br />

Lösung.“<br />

Teresa schmatzte nun doch selbst etwas. Sie schaute<br />

gedankenverloren durch die Küche <strong>und</strong> war eigentlich schon bei<br />

ihrer Geburtstagsfeier.<br />

„Teresa, hörst du?“<br />

„Ja?“<br />

„Wir zeigen das Kastenbuch einfach unseren Eltern, ja?“<br />

„Ja, das ist am besten. Das hätten wir aber gleich machen können.“<br />

Anna überlegte kurz <strong>und</strong> sagte: „Na dann machen wir es eben jetzt.<br />

Den einen Tag kann es ja noch warten.“<br />

201


Weil Teresa nicht besonders gesprächig wirkte, vermied es Anna,<br />

weiter über das Thema zu reden. Sollte nun erst einmal der<br />

Geburtstag stattfinden.<br />

Nach den Haus<strong>auf</strong>gaben beschloß Teresa Inliner zu fahren. Anna<br />

zog sich ins Schlafzimmer der Eltern zurück, weil sie dort das<br />

nötige Nähzeug vorfand. Als die Mama kam, war sie mit <strong>dem</strong><br />

Annähen der Kettchen fast fertig. Die Mama half ihr aber noch bei<br />

den kleinen Details <strong>und</strong> beim Anbringen der Glitzersteine.<br />

Gemeinsam betrachteten sie dann die originelle, fertige Jeans.<br />

Später wurde noch Geschenkpapier geholt <strong>und</strong> auch die anderen<br />

Geschenke wurden liebevoll eingepackt. <strong>Susi</strong> durfte natürlich nicht<br />

vergessen werden. Weil sie ja morgen offiziell eins wurde, sollte<br />

zuerst eine Extratorte gefertigt werden. Bekanntermaßen essen<br />

Katzen aber nicht so gerne Torten. Deswegen sollte <strong>auf</strong> Teresas<br />

Riesentorte neben der 9 noch extra eine 1 senkrecht angebracht<br />

werden <strong>und</strong> <strong>auf</strong> die halbe Torte mit Sahnecreme das Wort SUSI<br />

geschrieben werden. Bei der praktischen Ausführung stellte sich<br />

aber heraus, dass sich die 1, die wiederum aus Wiener Würstchen<br />

geformt wurde, schlecht zur Sahnetorte passte. So <strong>ließ</strong> man es<br />

sch<strong>ließ</strong>lich bei <strong>dem</strong> Wort SUSI <strong>auf</strong> der Torte <strong>und</strong> gestaltete noch<br />

extra einen Spezialitätenteller mit <strong>Susi</strong>s Lieblingsspeisen. Aus der<br />

Mitte des Tellers ragte dann tatsächlich eine stolze ``Wiener<br />

Würstchen­Eins`` in die Höhe. Wie diese Wurstzahl Stabilität<br />

erlangte, damit sie nicht umfiel, ist bisher nicht bekannt geworden.<br />

Geburtstag:<br />

Ein w<strong>und</strong>erschöner Morgen kündigte sich an. Die Vöglein sangen<br />

schon eine ganze St<strong>und</strong>e <strong>und</strong> das Licht der ewigen Sonne wechselte<br />

gerade von rötlich <strong>auf</strong> gelb. Teresa erwachte ganz schnell. Sie<br />

konnte es kaum erwarten, in das Wohnzimmer zu gehen. Heute bin<br />

202


ich endlich neun, ging es ihr immer wieder durch den Kopf. Na gut,<br />

ihre Schwester war schon zwei Jahre älter, aber neun war doch auch<br />

schon ganz schön viel. Mit den Füßen drückte sie immer wieder<br />

gegen den Lattenrost des oberen Bettes. Das Bett begann zu federn<br />

wobei es Teresa Spaß machte, ihre Schwester so zu wecken. Als<br />

erstes schaute <strong>Susi</strong> mit <strong>dem</strong> Kopf über den Bettrand nach unten. Die<br />

Katze streckte sich sorgfältig <strong>und</strong> begann die kleine Leiter nach<br />

unten zu klettern. Teresa fing sie <strong>auf</strong> halbem Wege ab, nahm sie in<br />

beide Hände <strong>und</strong> hielt sie, selbst immer noch <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Rücken<br />

liegend, hoch.<br />

„<strong>Susi</strong>, du bist heute eins <strong>und</strong> weißt du warum?“ Teresa lachte <strong>und</strong><br />

wackelte mit der Katze hin <strong>und</strong> her.<br />

„Weil ich heute neun Jahre bin.“<br />

<strong>Susi</strong> schien das aber nicht weiter zu beeindrucken. Sie schnurrte<br />

<strong>und</strong> wollte dann zur Tür.<br />

„Wahrscheinlich ist sie schon ein bisschen älter. Aber das macht ja<br />

nichts“, <strong>ließ</strong> sich da Anna hören.<br />

Teresa sang lachend:<br />

“Neun, neun, neun. Heute bin ich neun. Und ihr werdet seh´n, bald<br />

da bin ich zehn. Anna musste nun auch lachen. „Ja, mit <strong>Susi</strong><br />

zusammen bist du jetzt schon zehn. Herzlichen Glückwunsch,<br />

Teresa“<br />

Die Tür öffnete sich <strong>und</strong> die Eltern standen im Kinderzimmer.<br />

Teresa wurde ausgiebig beglückwünscht <strong>und</strong> abgeküsst. Der Papa<br />

kitzelte sie durch, so dass sie lachkrampfartig quietschte <strong>und</strong> immer<br />

wieder versuchte, sich unter der Bettdecke vor den Kitzelfingern zu<br />

verstecken. Auch Anna war an der Reihe, so dass das<br />

Doppelstockbett mächtig wackelte. Nun war es gute Tradition,<br />

einem Geburtstagskind kurz die Augen zu verbinden <strong>und</strong> zum<br />

203


Geburtstagstisch zu führen. Lustig sah es aus, als man von Teresas<br />

Gesicht nur noch den großen Lachm<strong>und</strong> sehen <strong>und</strong> hören konnte.<br />

Ein breites Seidentuch verhüllte den Rest. Fleißige Hände hatten am<br />

Abend zuvor den Geburtstagstisch vorbereitet. Als Teresa das Tuch<br />

entfernt wurde, staunte sie über die liebevolle Dekoration, die vielen<br />

Geschenke <strong>und</strong> die Torte. Alle sangen ein kleines Geburtstagslied.<br />

Neun Kerzen brannten. Die Eltern erzählten ein bisschen wie die<br />

Zeit vergangen wäre <strong>und</strong> erinnerten an das letzte Jahr. Anna nahm<br />

eine zehnte Kerze, stellte sie feierlich neben den Teller mit der<br />

Würstcheneins. Sie erinnerte an die kleine <strong>Susi</strong> <strong>und</strong> die Ereignisse<br />

vor über einem Jahr. Teresa zog sich die schicken Jeans an. <strong>Susi</strong><br />

biss ein Stückchen Wiener Wurst ab.<br />

„Tja <strong>und</strong> du wirst dieses Jahr noch zwölf, nicht?“, meinte die Mama<br />

nachdenklich zu Anna. Anna nickte bloß <strong>und</strong> bemerkte den<br />

verklärten Blick ihrer Mama.<br />

„Wird Papa nicht bald vierzig oder fünfzig?“, <strong>ließ</strong> sich die<br />

vergnügte Teresa vernehmen. Sogleich schnitt der Papa eine<br />

dümmliche Grimasse <strong>und</strong> meinte, er wolle das Frühstück<br />

vorbereiten gehen.<br />

Nun war es auch Tradition, beim Geburtstag eines Kindes <strong>dem</strong><br />

Geschwisterkind ebenfalls ein kleines Geschenk zukommen zu<br />

lassen. Zumindest in den jüngeren Geschwisterjahren war durch<br />

diese Strategie so manches neidvolle Tränchen über unerfüllte<br />

Erwartungen gespart worden. Zwar war das jetzt nicht mehr<br />

unbedingt nötig, doch am Ende des Tisches lag ein nicht kleines<br />

Paket wor<strong>auf</strong> mit großen Buchstaben ANNA <strong>und</strong> SUSI stand. Anna<br />

öffnete <strong>und</strong> strahlte. Die modische Jeanshose mit <strong>dem</strong> vielen<br />

Glitzerflimmer gefiel ihr sofort. Aber noch mehr freute sie sich über<br />

den fast zwei Meter hohen Kratzbaum für <strong>Susi</strong>, der nur noch<br />

204


zusammengebaut werden brauchte. Wie immer war sie glücklich,<br />

wenn andere etwas bekamen oder sie andere erfreuen konnte.<br />

Diesmal freute sie sich für ihre Schwester <strong>und</strong> ihre <strong>Susi</strong>. Das sprach<br />

für ihr gutes Herz. Kurze Zeit später war der Kratz­ <strong>und</strong><br />

Kletterbaum <strong>auf</strong>gebaut <strong>und</strong> bis an die Zimmerdecke stabilisiert. Die<br />

Kinder gingen ins Bad <strong>und</strong> die Mama ging in die Küche.<br />

Der Papa, der seine Zeit als Jäger <strong>und</strong> Sammler zu vermissen<br />

schien, schaute sich ein bisschen im Zimmer um. Unerwartet stellte<br />

er dabei fest, dass der eine Schrank irgendwie verbaut aussah.<br />

Deshalb wollte er unbedingt einen Blick in diesen Schrank werfen.<br />

Langsam öffnete er deshalb die Schranktür, nach<strong>dem</strong> er den Stuhl<br />

beiseite geschoben hatte. In gebückter Haltung sah er ein paar<br />

Schulbücher, dahinter eine Plastiktüte. Ganz plötzlich war auch <strong>Susi</strong><br />

am Schrank <strong>auf</strong>getaucht. Der Papa, dessen rechte Hand schon im<br />

Schrank steckte, war aber langsamer als die Katze. Mit einem Satz<br />

sprang <strong>Susi</strong> an ihm vorbei <strong>und</strong> erreichte die raschelnde Tüte zuerst.<br />

In diesem Moment klingelte das Telefon. Der Papa, die Hand im<br />

Schrank an der Katze, hielt inne, drehte den Kopf in Richtung<br />

Telefon <strong>und</strong> rief:<br />

„Das werden Oma <strong>und</strong> Opa sein.“ Sogleich fiel ihm ein, dass er für<br />

das Frühstück zuständig war. Deshalb griff er geschickt nach <strong>Susi</strong>,<br />

die irgendwie in den Schrank geschlüpft war.<br />

„<strong>Susi</strong>, nun geh doch lieber <strong>auf</strong> deinen neuen Kratzbaum! Ich muss<br />

in die Küche.“ Er bückte sich tiefer. Erstaunt bemerkte er, wie es im<br />

Schrankinnern gelb leuchtete. Die Augen der Katze waren magisch<br />

<strong>auf</strong> ihn gerichtet. Benommen hörte er hinter sich die Tür gehen. Mit<br />

einem Ruck richtete sich der Papa wieder <strong>auf</strong>, fühlte sich sogleich<br />

weniger benommen <strong>und</strong> hielt, den Blick ungläubig <strong>auf</strong> seine ins<br />

Zimmer tretende Tochter gerichtet, <strong>Susi</strong> in der Hand.<br />

205


„Was machst du denn hier?“, fragte Anna erschrocken. Sofort<br />

bemerkte sie den offenen Schrank.<br />

„Ja ich ­ ich glaube es leuchtet da drin. Vielleicht brennt etwas?“<br />

Der Papa guckte irritiert um sich.<br />

„Es brennt?“ Anna schluckte <strong>und</strong> guckte auch irritiert um sich.<br />

Durch ihren Kopf rasten die Gedanken. Nun musste sie wohl alles<br />

erzählen.<br />

„Nein, nein ... aber es hat geleuchtet“. Der Papa zeigte zum<br />

Schrank. <strong>Susi</strong>, immer noch <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Arm des Papas, gab ein paar<br />

quärgelnde Laute von sich <strong>und</strong> wurde <strong>auf</strong> den Kratzbaum gesetzt.<br />

Aber ganz oben. Anna schritt zum Schrank.<br />

„Ja weißt du Papa, wir ..., also ich <strong>und</strong> Teresa ...“<br />

„Ja?“<br />

Wir wollten euch da mal was erzählen.“<br />

„Komisch, es leuchtet gar nicht mehr.“ Der Papa, der sich <strong>dem</strong><br />

Schrank auch wieder genährt hatte, schüttelte immer wieder den<br />

Kopf. Dann tastete er mit den Händen die Innenwände ab. In die<br />

Bücher wollte er aber nicht greifen, zumal ihn das Gefühl beschlich,<br />

es wären nicht seine Bücher <strong>und</strong> er müsse noch frühstücken.<br />

„Ja, also was wolltest du mir da gerade erzählen?“, fragte er seine<br />

Tochter.<br />

„Also, wir waren doch damals im Museum, nicht?“<br />

„Kommt ihr endlich mal zum Frühstück!?“, klang es da <strong>und</strong>uldsam<br />

aus <strong>dem</strong> Nebenzimmer.<br />

Der Papa schaute <strong>auf</strong> seine Uhr.<br />

„Komm Anna! Wir gehen erst einmal frühstücken. Die Zeit ist<br />

schon knapp <strong>und</strong> die Schule fängt bald an.“<br />

„Ja aber ... “<br />

206


„Wir können uns ja heute Abend unterhalten. Da haben wir alle<br />

mehr Zeit.“ Der Papa schloss die Schranktür.<br />

„Ja, stimmt. Vielleicht hast du Sonnenlicht im Schrank gesehen,<br />

eine Reflexion oder sogar eine Erscheinung. Anna lächelte wieder<br />

etwas. Der Papa lächelte auch. Etwas merkwürdig zwar, aber er<br />

sagte nichts mehr zu <strong>dem</strong> Ganzen. Da fiel Anna noch etwas ein:<br />

„Du, Papa? Ist dir vorhin irgendwie kalt geworden?“<br />

„Was, kalt geworden? Nein, ich habe nur Hunger.“<br />

„Zum Glück“, nuschelte Anna erleichtert.<br />

Als beide das Wohnzimmer betraten, war Teresa gerade mit <strong>dem</strong><br />

Telefonieren mit ihren Großeltern fertig. Die Mama brachte<br />

dampfenden Kakao herein.<br />

„Komisch“, sagte Teresa. „Kurz bevor ich den Hörer <strong>auf</strong>gelegt<br />

habe, hat es so merkwürdig gestöhnt.“<br />

„Was, es hat gestöhnt, im Telefon?“ Anna blickte ihre Schwester<br />

unruhig an.<br />

„Ja. Der Opa hat mir gratuliert <strong>und</strong> dann habe ich solche<br />

eigenartigen, blubbernden Geräusche gehört, ganz aus der Ferne.“<br />

„Vielleicht ging es <strong>dem</strong> Opa nicht gut oder er hat Magenprobleme“,<br />

meinte die Mama. „Obwohl, hatte der nicht sonst immer mit <strong>dem</strong><br />

Kopf?“<br />

„Ist ja ein interessanter Tag heute. Mal stöhnt es <strong>und</strong> mal leuchtet<br />

es“, bemerkte der Papa in ironischem Tonfall.<br />

„Es leuchtet?“, fragte die Mama.<br />

„Ja, die Erscheinung im Schrank hat bei mir gerade geleuchtet.“<br />

„So, so bei dir hat es gerade geleuchtet, im Schrank.“<br />

„Selbstverständlich hat es geleuchtet. Sonst hätte ich ja auch das<br />

Frühstück zu Ende gemacht.“<br />

207


„Freilich.“ Die Mama nickte mit <strong>dem</strong> Kopf. Dabei sah sie den Papa<br />

etwas mitleidig an. Dann atmete sie tief durch <strong>und</strong> das Aroma ihres<br />

Kaffees ein. Anna beobachtete un<strong>auf</strong>hörlich ihren Papa, konnte aber<br />

keine Anzeichen einer Unterkühlung feststellen.<br />

„Aber ist doch egal. Lasst uns endlich frühstücken!“, <strong>ließ</strong> sich da<br />

Teresa hören. Ihr Humor <strong>und</strong> die Freude über ihren Geburtstag<br />

vertrieben schnell die Merkwürdigkeiten des jungen Tages.<br />

Sch<strong>ließ</strong>lich hatte sie schon mehr erlebt als ein bisschen Stöhnen<br />

oder Leuchten.<br />

„Am Abend müssen wir es ihnen sagen. Papa war heute früh schon<br />

ganz nah dran.“<br />

“Ja gut Anna. Aber jetzt bereiten wir erst einmal die<br />

Geburtstagsfeier vor. Du weißt doch ­ um kurz vor drei kommen die<br />

Gäste.“<br />

„Na gut, fangen wir an! Zuerst die ganzen Teller <strong>und</strong> das Geschirr,<br />

Teresa.“<br />

208


Die Mädchen begannen den Tisch zu schmücken. Es war gerade<br />

kurz nach Mittag. Beide waren schnell vom Unterricht<br />

zurückgekommen. In beiden Klassen war heute die letzte St<strong>und</strong>e<br />

ausgefallen. Es fehlten wohl auch gerade gleichzeitig zwei Lehrer in<br />

der Schule. Trotz des schönen Sonnen<strong>auf</strong>gangs, schien sich das<br />

Wetter gegen Mittag rasch zu ändern. Wie aus <strong>dem</strong> Nichts waren<br />

große Wolken <strong>auf</strong>getaucht, die sich immer mehr verdichteten.<br />

Schon begann sich der Himmel, über weiß <strong>auf</strong> grau zu verfärben.<br />

Die wenigen, blauen Wolkenlücken wurden immer kleiner. Ein<br />

kühler Wind erhob sich <strong>und</strong> stetig sank die Lufttemperatur.<br />

Zur gleichen Zeit irgendwo in der Wüste oder unter Las Vegas,<br />

Nevada. (kurz nach Mitternacht, Pazifik­Standart­Zeit)<br />

Ein langer Arbeitstag lag hinter Professor Twostone.<br />

Wieder einmal hatte er in der geheimen Stadt unter der Wüste, in<br />

den geheimen Forschungsabteilungen seines weltweit einzigartigen,<br />

so modernen Forschungsinstitutes mit seinen vielen hochrangigen<br />

Mitarbeitern geforscht. Es war diskutiert, analysiert, experimentiert<br />

<strong>und</strong> durchaus qualifiziert auch noch meditiert worden. Leider<br />

gelang es wie immer nicht, hinter die letzten Geheimnisse der<br />

Atome zu kommen. Der Professor hatte sich schon manches Mal<br />

gefragt, ob es wirklich um die letzten Geheimnisse der Atome ging<br />

oder ob hier erst eine ganz neue Welt begann, von der niemand<br />

wirklich etwas ahnte. Möglicherweise war es für einen Menschen<br />

auch gar nicht möglich, die wahre Erkenntnis über das Universum<br />

zu erlangen? Wo kommt die *Materie her? Warum dreht sich alles<br />

um das andere? Was war vor <strong>dem</strong> Universum? Was kommt danach?<br />

209


Und welche Rolle spielt die Zeit? Es war schon schwer genug, das<br />

zu erklären, was man täglich vor sich sah. Alle diese Fragen hatte er<br />

sich schon so oft in seinem Leben gestellt. Wie oft auch glaubte er<br />

sich seinem Ziel schon so nah, bevor er eines Besseren belehrt<br />

wurde. Insgeheim beneidete er manchmal die einfachen Menschen,<br />

die sich ihres täglichen Daseins <strong>auf</strong> natürliche Art erfreuten. Früher,<br />

als er jünger war, hatte ihn schon der Gedanke erschreckt, dass er,<br />

der angesehene Professor, im unendlichen Spiel der Zeit nur ein<br />

winziges, für Mikrosek<strong>und</strong>en <strong>auf</strong>leuchtendes Staubkorn voll<br />

zweifelnder Erkenntnis bleiben würde. Ja, im Vergleich zu den<br />

Ehrfurcht einflößenden Jahrmilliarden, den *Dimensionen des<br />

Kosmos <strong>und</strong> der Atome, fühlte er sich manchmal unendlich hilflos<br />

<strong>und</strong> klein. Dennoch hatte er sich immer geweigert, die<br />

Unendlichkeit an sich anzuerkennen. Nur deshalb beschloss er<br />

damals, sein Leben in den Dienst der Wissenschaft zu stellen. Die<br />

Zeit floss aber un<strong>auf</strong>haltsam dahin. Und nieman<strong>dem</strong> war es bisher<br />

gelungen, den Zeitfluss genau zu erklären oder gar zu beeinflussen.<br />

Der Professor seufzte leise. Seine, einer Badewanne ähnlichen,<br />

*Anti­Aging­Wanne, dessen Funktionsweise er im Projekt „For<br />

ever young“ mit entwickelt hatte, lief <strong>auf</strong> Hochtouren. Das mit<br />

speziellen Extrakten angereicherte Spezialwasser umspielte seinen<br />

Körper <strong>und</strong> leistete gute Dienste. Das extra <strong>auf</strong> sein Alter<br />

abgestimmte Lichtspektrum reiner, <strong>auf</strong>gearbeiteter Sonnenenergie<br />

flutete, natürlich in *Lichtgeschwindigkeit, aus den hoch<br />

komplizierten Leuchtstrahlern der Anti­Aging­Wanne. Jeder<br />

Zellpunkt des Körpers wurde mit der richtigen Dosis Energie<br />

versorgt, vitalisiert <strong>und</strong> ausgeglichen. Ein kleiner Computer aus der<br />

neuen ``Humancheck­Serie`` steuerte diese Prozesse in<br />

Mikrosek<strong>und</strong>en. Ein übersichtlicher Bildschirm bot die Kontrolle<br />

210


über die Antiaging­Behandlung. Unsichtbare Sensoren analysierten<br />

Zellteilungen <strong>und</strong> Ernährungszustand. Der Telomerinduktor, der<br />

kürzlich in Deutschland entwickelt wurde, stabilisierte die<br />

*Telomerase im Erbgut der *DNA der großen Zellverbände. Der<br />

Professor beobachtete das wechselnde Farbspiel der Lichtimpulse<br />

aus reiner Sonnenenergie. Sein blondes Haar wurde merklich um<br />

einige Töne heller. Er lachte <strong>und</strong> fühlte sich sogleich wieder jünger.<br />

So konnte er der Zeit wohl noch einige Jahre abringen. Gerade<br />

wollte er über sein neues Projekt ``Gehirnbooster`` gegen die, leider<br />

weltweit ansteigende Anzahl von *Alzheimererkrankungen<br />

nachdenken, als eine fre<strong>und</strong>liche Frauenstimme gar nicht so<br />

monoton aus Richtung Antiaging­Computer mitteilte:<br />

„Ges<strong>und</strong>heitscheck <strong>und</strong> Behandlung abgeschlossen.<br />

Organfunktionen soweit in Ordnung, leichter Muskelabbau in der<br />

Rückenmuskulatur, leichter Hormonminderhaushalt, leichte<br />

arterielle Fettablagerungen, leicht erhöhte Zuckerwerte durch eine<br />

zuckerhaltige Trinksubstanz, Gehirn bei 95 Prozent Volumen <strong>und</strong><br />

36 Prozent maximaler Auslastung, geschätztes Alter ­ 50 Jahre.<br />

Wünschen Sie eine umfassende Auswertung mit leichtem<br />

Aktivplan?“<br />

Der Professor schaute <strong>auf</strong> die fast geleerte Flasche mit<br />

Blaubeerbrause light die neben der Wanne stand <strong>und</strong> sagte:<br />

„Danke, Programm Ende.“<br />

Dann erhob er sich, freute sich über seine Antiagingwanne <strong>und</strong><br />

überlegte, warum er sein Gehirn trotz jahrzehntelangen Trainings<br />

nie über 40 Prozent bekam. Leicht beschwingt, ein altes deutsches<br />

Volkslied <strong>auf</strong> den Lippen, machte er sich <strong>auf</strong> den Weg in seine<br />

Privatgemächer. Dort wollte er sich noch ganz genüsslich ein<br />

Hähnchenbrustfilet mit Algengemüse gönnen.<br />

211


Doch der Professor kam nicht sehr weit. Schon <strong>auf</strong> den Gängen der<br />

Forschungsabteilung bemerkte er eine gewisse Betriebsamkeit,<br />

welche nicht zur nächtlichen Zeit passte. Und richtig, schon kurze<br />

Zeit später erreichte ihn der Ruf eines diensthabenden Mitarbeiters<br />

aus der Sektion Zeitforschung. Zum Glück war es in der gleichen<br />

Abteilung, so dass der Professor nur ein paar Minuten bis zum<br />

Kontrollterminal brauchte. Eilig zog er sich den bereitgelegten,<br />

<strong>bequem</strong>en <strong>und</strong> trotz<strong>dem</strong> eleganten Forschungsanzug der Marke<br />

``Professors in working`` an. Schon stand er bei seinen Mitarbeitern<br />

der Nachtschicht. Es war jetzt kurz nach 1.00 Uhr.<br />

„Was gibt´s denn, Herrschaften?“<br />

Eine Mitarbeiterin schaute den Professor vergötternd an.<br />

„Gut, dass sie so schnell gekommen sind. Wir haben soeben<br />

wichtige Signale empfangen. Möglicherweise kommen diese direkt<br />

von der Zeitschatulle. Unsere Aufzeichnungsgeräte ...“<br />

„Das ist ja eine Überraschung. Na endlich, ich dachte schon, das<br />

Ding ist längst weg. Haben Sie Blaubeerbrause?“<br />

Dem Professor wurde seine Brause gereicht. Nach einem großen<br />

Schluck fegte der Professor in höchstem Forschungs­ <strong>und</strong><br />

Erkenntnisdrang durch seine Forschungssektion. Sein blondes Haar<br />

wallte wie eine Mähne um seinen Kopf <strong>und</strong> sein komplexes Gehirn<br />

erreichte bestimmt wieder eine Höchstleistung. In kürzester Zeit<br />

machte er sich ein Bild. Die Techniker hatten Mühe, die<br />

Frageströme ihres Professors zu befriedigen. Schon zehn Minuten<br />

später setzte er sich erleichtert <strong>auf</strong> seinen Chefsessel, klatschte in<br />

die Hände <strong>und</strong> sprach:<br />

„Die Zeitschleife kommt wieder zurück. Zumindest können wir<br />

damit die Schatulle genau orten. Die Zeitverschiebung nimmt ihren<br />

212


L<strong>auf</strong> <strong>und</strong> das Zeitfenster wird sich wieder kurz öffnen. Genau wie<br />

ich es mir vorgestellt habe.“<br />

„Wo war sie denn, die Schatulle?“, wollte jemand wissen.<br />

„Nun, sie war wieder unterwegs oder nicht mehr zu koordinieren.<br />

Aber jetzt kommt sie wahrscheinlich genau über den Punkt zurück,<br />

wo wir sie verloren haben. Beobachten sie bitte alle<br />

Aufzeichnungen <strong>und</strong> geben sie die Daten in den Zentralcomputer!“<br />

Die Techniker begannen wieder mit der Arbeit. Berechnungen<br />

wurden durchgeführt <strong>und</strong> Monitore dokumentierten Daten mit<br />

höchster Präzision.<br />

„Wie viele Satelliten haben wir?“, fragte der Professor.<br />

„Die Blackbaby 1 <strong>und</strong> die Blackbaby 2 über Europa.“<br />

„Gut, schalten sie beide zusammen! Was macht unser<br />

Sicherheitssystem in der Basis?“<br />

„Die Station hier ist für Unbefugte völlig abgeschirmt.“<br />

„Gut. Verbinden Sie mich mit <strong>dem</strong> Verteidigungsministrator über<br />

diese Codenummer hier!“<br />

Um 4.28 Uhr (Eastern Standard Time) wusste der<br />

Verteidigungsministrator in Washington bescheid. Und obwohl er<br />

noch um 2.28 Uhr (Ostzeit) drei Gläschen Sekt mit seiner neuen<br />

Fre<strong>und</strong>in getrunken hatte, war er voll bei der Sache <strong>und</strong> stellte nach<br />

kurzem Abwägen der Situation noch einen dritten Satelliten, den<br />

Professor Twostone anforderte, zur Verfügung. Sch<strong>ließ</strong>lich gelang<br />

es noch kurz vor 5.00 Uhr, ebenfalls Ostzeit, General Bomb <strong>und</strong><br />

den Geheimdienst zu informieren, der, weil er sein Gebiss nicht<br />

gleich fand, erst gegen 5.10 Uhr offiziell zu sprechen war. Wegen<br />

der Sicherheit <strong>und</strong> um nicht große Datenmengen über die Ereignisse<br />

ins *Pentagon übertragen zu müssen, einigte man sich <strong>auf</strong> eine<br />

Dreierkonferenz via Nachrichtensatellit mit Kernpunkt Professor<br />

213


Twostone in Nevada. Außer<strong>dem</strong> gab es auch nur hier die nötigen<br />

ultrakomplexen, hochmodernen, strenggeheimen Forschungsgeräte.<br />

So konnte man die Dinge ständig verfolgen, beurteilen <strong>und</strong><br />

Entscheidungen treffen. Der Professor war begeistert. Ständig<br />

rannte er, mit seiner Blaubeerbrause in der Hand, zwischen seinen<br />

Mitarbeitern hin <strong>und</strong> her.<br />

Es hatte also keine St<strong>und</strong>e gedauert <strong>und</strong> Forschung, Politik <strong>und</strong><br />

Militär arbeiteten eng zusammen. Der Professor informierte die<br />

anderen Herren ausgiebig. Nach den Berechnungen, die er mit<br />

seinen Mitarbeitern zusammenfasste, würde sich das Zeitfenster<br />

etwa gegen 4.30 Uhr (Pazifische Standartzeit) öffnen. Die<br />

Zeitschleife wäre in Echtzeit wieder da <strong>und</strong> befände sich genau über<br />

<strong>dem</strong> Punkt, an <strong>dem</strong> man die Schatulle verloren hatte. Ob es aber<br />

wirklich so kommen würde, blieb natürlich abzuwarten. Etwas<br />

weniger beeindruckt zeigte sich General Bomb, der wegen seines<br />

zeitigen Aufstehens noch etwas durchhing. Schon wieder war ihm<br />

dieses Kastenbuch oder diese Schatulle in die Quere gekommen.<br />

Und das noch vor seiner Pensionierung. Er <strong>ließ</strong> sich seine schlechte<br />

Laune aber nicht anmerken <strong>und</strong> schaute angespannt von einem der<br />

Monitore in die Forschungsbasis. Der Ministrator hatte gute Laune,<br />

schon wegen seiner neuen Fre<strong>und</strong>in.<br />

„Professor, sagen sie uns doch bitte, ob sich das Zeitfenster wieder<br />

in Süddeutschland öffnen wird <strong>und</strong> ob wir die Schatulle diesmal<br />

finden werden!“<br />

Der Professor blieb kurz zwischen zwei *Nanoanalysern stehen <strong>und</strong><br />

rief <strong>auf</strong>geregt:<br />

„Es wird sich öffnen. Es wird sich öffnen. Wahrscheinlich genau<br />

<strong>auf</strong> den Punkt. Der Zeitfluss ist eine exakte Sache. Die Zeit macht<br />

keine Fehler.“<br />

214


„Haben wir Leute dort?“, fragte der Ministrator weiter.<br />

General Bomb zuckte zusammen. Die Frage war offensichtlich an<br />

ihn gerichtet.<br />

„Nein, haben wir wahrscheinlich nicht“, beantwortete sich der<br />

Ministrator selbst die Frage. Der General atmete <strong>auf</strong>. Schon zuckte<br />

seine Augenbraue wieder.<br />

„Schicken sie Leute hin!“, riet der Professor.<br />

„Unsere aktiven Agenten sind zu weit weg“, meldete sich nun der<br />

General. „Selbst wenn wir noch zwei S<strong>und</strong>en Zeit haben, fehlt uns<br />

die passende Ausrüstung.“<br />

„Was schlagen sie also vor?“, drängte der Ministrator.<br />

„Wir sollten den deutschen Geheimdienst benachrichtigen, natürlich<br />

unter höchster Sicherheitsstufe. Außer<strong>dem</strong> haben wir dort<br />

amerikanische Mitarbeiter.“<br />

Dem General war die Antwort nicht leicht gefallen. Doch einige<br />

seiner besten Agenten, die für einen Einsatz in Frage kämen, waren<br />

zurzeit wirklich nicht in Deutschland.<br />

Der Ministrator überlegte stirnerunzelnd <strong>und</strong> zeigte sein skeptisches<br />

Gesicht. Würden sie eine andere Nation mit in diese Sache hinein<br />

ziehen, könnte die Geheimhaltung darunter leiden. Es gab aber<br />

kaum eine andere Möglichkeit, zumal es <strong>auf</strong> 2.30 Uhr Pazifikzeit<br />

ging. Und damit hatten sie nach den Berechnungen des Professors<br />

keine zwei St<strong>und</strong>en mehr.<br />

„Was sagen sie Professor?“<br />

„Ja mir ist es egal. Hauptsache wir finden das Ding endlich.“<br />

„Welches Ding meint der eigentlich?“, fragte die junge<br />

Mitarbeiterin, die den Professor so vergötternd angeguckt hatte. Der<br />

Professor musste unwillkürlich lachen.<br />

215


„Ich zeige es ihnen, wenn wir es haben, versprochen. Holen sie mir<br />

bitte noch eine Brause?“<br />

„Natürlich Professor ­ danke, danke.“<br />

Der Ministrator, der angestrengt <strong>und</strong> dabei zu Boden blickend<br />

überlegt hatte, richtete sich jetzt zu voller Größe <strong>auf</strong>, zog seine<br />

Krawatte zu <strong>und</strong> begann über seinen Monitor in die<br />

Forschungsbasis zu sprechen:<br />

„Sir General Bomb, verständigen sie sofort unter Security­Stepup 5<br />

den deutschen Innenministrator mit seinem Geheimdienst. Legen sie<br />

unsere Führungsabsichten der Operation dar <strong>und</strong> sorgen sie dafür,<br />

dass einige unserer Leute dabei sind!“<br />

„Selbstverständlich, Herr Ministrator!“ Der General sprang vom<br />

Stuhl, so dass sein Gesicht für kurze Zeit nicht im Bildschirm zu<br />

sehen war. Dabei klatschte er die Hacken so laut zusammen, dass<br />

die Lautsprecher trotz Satellitenübertragung surrten. Der Professor<br />

lachte.<br />

Dann sprach der Ministrator mit gehobener, fast feierlicher Stimme<br />

weiter:<br />

„Ich möchte mich ganz besonders an sie, sehr geehrte Mitarbeiter<br />

unseres Forschungsinstitutes unter der Leitung unseres berühmten<br />

Professor Twostone, wenden.“<br />

In der Forschungsbasis wurde es beachtlich leiser.<br />

„In einigen S<strong>und</strong>en können sie vielleicht Zeugen eines historischen<br />

Momentes werden. Noch nie ist es bisher gelungen, in eine Raum­<br />

Zeit­Verschiebung direkt einzugreifen. Ihre Forschungsabteilung<br />

hat nun die weltweit erste Gelegenheit, ein so genanntes Zeitfenster<br />

unmittelbar vor sich zu haben <strong>und</strong> auch ­ äh hinein zu schauen.<br />

Erste Forschungsergebnisse liegen ja bereits vor. Dafür <strong>und</strong> im<br />

Namen der Regierung gebührt Ihnen höchste Anerkennung. Ich<br />

216


itte sie, in den nächsten St<strong>und</strong>en wie bisher, ihr Bestes im Dienste<br />

der Wissenschaft <strong>und</strong> im Dienste unserer Nation zu geben! Bitte<br />

unterstützen sie alle Professor Twostone, wo immer es ihnen<br />

möglich ist!<br />

Professor, halten sie mich <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> L<strong>auf</strong>enden! Das wäre alles.“<br />

Ein kleines Tränchen rann der besagten jungen Mitarbeiterin über<br />

die Wange. Mit zittrigen Fingern hielt sie die Blaubeerbrauseflasche<br />

umklammert.<br />

„Danke, danke“, sagte der Professor bescheiden.<br />

„Auf jeden Fall geben wir unser Bestes.“<br />

In der Forschungsbasis begann wieder reges Leben. H<strong>und</strong>ert Meter<br />

höher rollten die Roulettekugeln durch die Nacht von Las Vegas. Es<br />

war jetzt 3.00 Uhr in der Wüstenstadt.<br />

217


Berlin, Ministerium für Inneres, 3. Etage, 13.13 Uhr. (MESZ)<br />

„Wir haben ein dringendes Anliegen aus <strong>dem</strong> Pentagon mit<br />

Sicherheitsstufe 5.“ Die Sekretärin sprach telefonisch mit einem<br />

Sachbearbeiter in der mittleren Leitungsebene des Staatssekretärs.<br />

„Sicherheitsstufe 5 sagten sie? Aus <strong>dem</strong> Pentagon?“<br />

„Ja, aus <strong>dem</strong> Pentagon.“<br />

„Oh, tut mir leid. Aber dafür bin ich nicht zuständig. Bei<br />

Sicherheitsstufe 5 muss direkt <strong>dem</strong> Minister zugestellt werden. Auf<br />

Wiedersehen.“<br />

Schon klickte der Telefonhörer ein.<br />

Die Sekretärin, eine junge Mitarbeiterin, aber doch schon einiges<br />

gewohnt, versuchte es sofort in der Leitungsebene des Ministers.<br />

Leider war die Leitung besetzt. Die Sekretärin versuchte eine<br />

andere Nummer. Doch es half nichts. Wahrscheinlich waren alle<br />

noch zum Mittagessen unterwegs. Sie legte die Nachricht aber <strong>auf</strong><br />

Fax <strong>und</strong> E­Mail, bevor sie dann endlich auch selbst zum Essen ging.<br />

Sch<strong>ließ</strong>lich war heute schönes Wetter.<br />

13.20 Uhr: Das Faxgerät bei der Chefsekretärin des Staatssekretärs<br />

geriet in Bewegung. Das war aber auch alles was in Bewegung<br />

geriet. Das Büro war leer.<br />

„Darf ich sie heute Abend in die Oper einladen?“ Der Staatssekretär<br />

promenierte soeben mit einer jungen Unbekannten einige Straßen<br />

vom Ministerium entfernt durch eine Parkanlage. Er trug einen<br />

Sommerhut <strong>und</strong> einen seiner teuersten Anzüge.<br />

218


„Aber gern“, flüsterte die Unbekannte verführerisch. Der<br />

Staatssekretär lächelte galant, rekelte sich vornehm <strong>und</strong> <strong>ließ</strong> das<br />

Gold seiner Massivuhr unter seinem Jacketärmel hervor blitzen.<br />

„Und sie sind sogar Minister?“, himmelte ihn die junge Frau an.<br />

„Nicht ganz aber fast. Schauen sie! Dort residiere ich.“<br />

Der Staatssekretär zeigte in die Richtung des Ministeriums als sein<br />

Telefon klingelte.<br />

„Oh“, hauchte die junge Dame, „es ist w<strong>und</strong>ervoll.“<br />

Der Staatssekretär telefonierte kurz. Dann sagte er: „Entschuldigen<br />

sie mich bitte bis heute Abend. Der Dienst ruft, leider. Aber ich<br />

bringe sie noch zu einem Taxi. Un<strong>auf</strong>fällig schob er der Dame einen<br />

großen grünen Geldschein hin. Die junge Frau tat so, als merke sie<br />

nichts vom Geldschein als sie ihn einsteckte <strong>und</strong> verabschiedete<br />

sich mit hingebungsvollem Lächelblick, als das Taxi wie <strong>auf</strong><br />

Bestellung eintraf.<br />

Es war 13.52 Uhr als der Staatssekretär endlich in seinem Büro<br />

ankam. Das Fax lag <strong>auf</strong> seinem Schreibtisch.<br />

„Es ist Sicherheitsstufe 5, direkt aus <strong>dem</strong> Pentagon“, erklärte seine<br />

Chefsekretärin.<br />

„Oh, Stufe 5? Dafür sind wir nicht mehr zuständig. Es muss aber<br />

direkt zum Minister.“<br />

„Den Minister habe ich schon vor einigen Minuten zu erreichen<br />

versucht. Er ist wohl in einer dringenden Sitzung glaube ich.<br />

Jedenfalls möchte er nicht gestört werden, sagten mir seine<br />

Mitarbeiter.“<br />

„Dann hat er wohl recht“, lächelte der Staatssekretär zu seiner<br />

Sekretärin zurück. „Wollen sie einen Kaffee? Ich mache ihn auch<br />

selbst, nur für sie.“<br />

Die Chefsekretärin errötete leicht.<br />

219


„Herr Staatssekretär, sollten wir nicht doch versuchen den Minister<br />

zu verständigen. Ich meine, sie wissen doch wegen der<br />

Dienstrichtlinien zu Sicherheitsstufe 5 wäre es vielleicht besser ...“<br />

„Na gut, trinken wir den Kaffee später. Stellen sie mich bitte<br />

durch!“<br />

Einige Minuten später sprang ein Mitarbeiter der höchsten<br />

Leitungsebene <strong>und</strong> des engsten Stabes des Ministers <strong>auf</strong>geregt von<br />

seiner Kloschüssel hoch, von der man ihn geholt hatte <strong>und</strong> jagte in<br />

Richtung Sitzungssaal. Keine Minute später erschien der Minister<br />

umringt von seinen engsten Mitarbeitern <strong>und</strong> ordnete eine sofortige<br />

Krisensitzung in seinem Büro an. Es war 14.03 Uhr als die<br />

Bildleitung ins Pentagon stand. General Bomb, der über die<br />

Zeitverzögerung fürchterlich erregt war, wurde ausgiebig beruhigt.<br />

Man versicherte <strong>dem</strong> General höchste Einsatzkompetenz <strong>und</strong> beste<br />

Zusammenarbeit <strong>und</strong> einen w<strong>und</strong>erschönen, späteren<br />

Erholungsurlaub <strong>auf</strong> Einladung des Ministers. Der Staatssekretär<br />

trank gerade Kaffe. Gleichzeitig liefen in Süddeutschland die<br />

Telefone heiß. Der Minister hatte verordnet, sofort eine<br />

Spezialeinheit des Geheimdienstes unter amerikanisch­deutscher<br />

Führung in die kleine Stadt am Fluss zu entsenden.<br />

Es klingelte. Martin stand vor der Tür. Er wollte den Mädchen<br />

helfen, den Geburtstag vorzubereiten. Über die Einladung von<br />

Teresa freute er sich sehr. Zwar hatte sich das Wetter rapide<br />

verschlechtert <strong>und</strong> mit der geplanten Schnitzeljagd würde es nun<br />

vielleicht doch nichts werden. Aber das störte besonders Teresa<br />

nicht so sehr. Sie wollte einen schönen Geburtstag feiern. Und am<br />

Abend sollte es ja noch ins Kino gehen. Die Mädchen begrüßten<br />

Martin. Zu dritt machten sie sich an den Rest der Arbeiten.<br />

220


„Schaut nur wie sich die Wolken verdunkeln!“, sagte Anna.<br />

„Es gibt bestimmt Regen“, meinte Martin.<br />

„Oder ein Gewitter, so richtig mit Donner <strong>und</strong> dicken Blitzen“,<br />

ergänzte Teresa.<br />

„Dann spielen wir eben Geisterparty oder wir ...“<br />

„Wir machen eine Hexenfeier“, kam Teresa Annas Ausführungen<br />

zuvor.<br />

Martin schaute etwas ängstlicher. Er deutete zum Fenster <strong>auf</strong> die<br />

immer dunkler werdenden Wolkenwände.<br />

Die Kinder öffneten das Fenster. In der Ferne konnte man schon<br />

einzelne Blitze erkennen, die lautlos den Himmel durchschnitten.<br />

Die Luft lag zwischen einigen Böen noch trügerisch ruhig. Aber die<br />

Temperatur hatte doch stark abgenommen. Es war unverkennbar,<br />

dass ein starkes Unwetter heran nahte.<br />

„Seht nur! Robi hat sich unter <strong>dem</strong> Tisch versteckt“, rief Anna.<br />

Teresa <strong>und</strong> Martin schauten nach unten. Tatsächlich. Der H<strong>und</strong> <strong>saß</strong><br />

mit eingezogenem Schwanz ganz an die Wand gedrückt. Als man<br />

ihn rief, winselte er leise. <strong>Susi</strong> <strong>saß</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Fensterbrett</strong> <strong>und</strong> schaute<br />

geradewegs in die immer dunkler werdenden Wolkenschichten.<br />

Draußen erhob sich langsam aber kraftvoll der Sturm. Anna<br />

schaltete das Licht ein. Es war jetzt 14.17 Uhr. Kurze Zeit später<br />

meldete sich der Papa am Telefon <strong>und</strong> wies <strong>auf</strong> das nahende<br />

Unwetter hin. Die Kinder sollten die Elektrogeräte abschalten <strong>und</strong><br />

die Netzstecker heraus ziehen. Der Fernseher sollte auch<br />

ausbleiben.<br />

„Na schön“, meinte Teresa. „So hab ich es mir zwar nicht<br />

vorgestellt, aber was sollen wir machen?“<br />

221


„Gegen das Wetter kann man sowieso nichts machen“, meinte auch<br />

Anna. Die letzten Worte Annas wurden schon durch erstes Grollen<br />

<strong>und</strong> Donnern übertönt.<br />

„Es wird schon nicht so lange dauern“, versuchte Martin die<br />

Mädchen zu beruhigen. Anna zog die Stecker der Elektrogeräte<br />

heraus. Teresa half ihr dabei. Dann zündeten sie einige Kerzen an<br />

<strong>und</strong> befestigten sie gut an den Kerzenhaltern. Teresa schaute etwas<br />

betrübt aus. Draußen zuckten die Blitze. Verstärkt setzte auch der<br />

Regen ein. Die Bäume wiegten sich mit ihren jungen Blättern im<br />

Takt der Sturmböen. Die Macht des Windes griff geräuschvoll um<br />

sich. Es pfiff <strong>und</strong> heulte. Das Donnern wurde ohrenbetäubend <strong>und</strong><br />

folgte den Blitzen immer schneller. Die Kinder <strong>saß</strong>en dicht<br />

zusammen. Sie sprachen nicht mehr sehr viel, sondern lauschten<br />

<strong>dem</strong> gewaltigen Treiben der Naturgewalten. Teresa goss allen<br />

Blaubeerlimonade ein. Sie versuchte, so gelassen wie möglich zu<br />

erscheinen, obwohl ihr der Gedanke an eine Hexenparty nun nicht<br />

mehr so passend vorkam. Inmitten des wütenden Gewitters erklang<br />

plötzlich das durchdringende Dröhnen von Motoren.<br />

„Was ist denn das für ein Geräusch?“, fragte Anna leise.<br />

„Haben wir eigentlich einen Blitzableiter am Haus?“, fragte Martin.<br />

„Meinst du ein Blitz könnte hier einschlagen?“ fragte Teresa noch<br />

leiser.<br />

„Natürlich haben wir einen Blitzableiter“, beruhigte Anna ihre<br />

Schwester. „Du brauchst keine Angst zu haben.“<br />

Teresa <strong>saß</strong> neben Robi <strong>auf</strong> der Erde <strong>und</strong> streichelte den H<strong>und</strong>, der<br />

schon einige Male jämmerlich gewinselt hatte. Robi konnte das mit<br />

<strong>dem</strong> Blitzableiter ja nicht wissen, überlegte Teresa. Da war sie im<br />

Vorteil <strong>und</strong> das beruhigte sie wieder. Anna war ans Fenster<br />

getreten. Der Regen klatschte, vom stark böigen Wind getragen,<br />

222


prasselnd an die Scheiben. Selbst <strong>Susi</strong> war unter <strong>dem</strong> Bett im<br />

Kinderzimmer verschw<strong>und</strong>en.<br />

„Seht nur, da draußen sind Hubschrauber!“ Anna tippte an die<br />

Scheibe. „Sogar mehrere. Wer fliegt denn bei solchem Wetter hier<br />

herum?“<br />

Auch Teresa <strong>und</strong> Martin wagten einen Blick nach draußen.<br />

Tatsächlich befanden sich, vielleicht nur fünfh<strong>und</strong>ert Meter von<br />

ihnen entfernt in Richtung Hauptstraße, mehrere Hubschrauber in<br />

der Luft. Während der zahlreichen Blitze leuchteten sie<br />

gespenstisch <strong>auf</strong>. Das Dröhnen ihrer Motoren mischte sich<br />

gemeinsam mit <strong>dem</strong> Gewitterdonner zu einem unheimlichen<br />

Konzert.<br />

„Warum fliegen sie nicht weiter?“, rief Teresa <strong>auf</strong>geregt durch den<br />

Lärm.<br />

„Sie suchen da wohl etwas“, gestikulierte Anna. „Schaut mal! Da<br />

sind auch so viele Leute <strong>auf</strong> der Straße. Das sieht ja aus wie<br />

Uniformen oder Kampfanzüge.“<br />

Ein riesiger Blitz tauchte das Zimmer in grelles Licht. Erschrocken<br />

wichen die Kinder vom Fenster zurück. Gleich dar<strong>auf</strong> donnerte es<br />

ohrenbetäubend. Robi winselte laut <strong>auf</strong>. Fast gleichzeitig schrie<br />

Teresa <strong>auf</strong>. Entsetzt starrte sie <strong>auf</strong> den Schrank im Kinderzimmer,<br />

der in einem hellen, gelben Licht stand. Es war genau 14.31 Uhr.<br />

223


Hoch oben, über <strong>dem</strong> irdischen Szenario, sendeten die Blackbaby­<br />

Satelliten im Verband mit der Redbaby­ Alpha lautlos ihre präzisen<br />

Daten nach Nevada. Im Kontrollzentrum der<br />

Zeitforschungsabteilung stieg die Spannung ins Unermessliche. Der<br />

Krisenstab in Berlin, General Bomb im Pentagon <strong>und</strong> der<br />

Ministrator in Washington verfolgten das Spektakel zeitgleich. Auf<br />

einem Monitor konnte man Hubschrauber inmitten eines schweren<br />

Gewitters erkennen. Pausenlos kamen Nachrichten direkt vom<br />

Kommandanten der Einsatzstaffel.<br />

„Wir brauchen die genauen Koordinaten“, wurde immer wieder aus<br />

Deutschland mitgeteilt. Professor Twostone sprang wie ein<br />

Verrückter hin <strong>und</strong> her. Seine Haare standen zu Berge. Laut rief er:<br />

„Der Hyperraumschweif ist da! Unsere Geräte haben ihn erfasst. Es<br />

muß gleich soweit sein. Genau wie ich es voraus gesagt habe. Nun<br />

haben wir die genauen Koordinaten. Lenken sie ihre Männer genau<br />

<strong>auf</strong> das eine Haus dort!“ Der Professor betrachtete seinen<br />

Spezialmonitor, der über die Satelliten ständig mit Daten gefüttert<br />

wurde.<br />

„Das Zielobjekt befindet sich ... Moment, ich habe es gleich.“ Ein<br />

riesiger Blitz glitt über die Livemonitore.<br />

„Verdammt noch mal, ich werde hier noch wahnsinnig!“, schrie der<br />

Professor <strong>und</strong> sprang wieder in die Luft. „Das Zielobjekt befindet<br />

sich genau im Haus Nummer“, er schaute <strong>auf</strong> eine Detailkarte der<br />

deutschen Stadt, die ihm ein Techniker vorbereitet hatte, „in Haus<br />

224


Nummer 14. Ja, suchen sie dort <strong>und</strong> blocken sie die Schatulle<br />

sofort mit Spezialfaserfolie ab!“<br />

Kurz w<strong>und</strong>erte er sich, was die Schatulle gerade in Haus Nummer<br />

14 machte. Dem General ging es ebenso.<br />

Die Anweisungen wurden blitzschnell zum Einsatzkommando vor<br />

Ort weitergeleitet.<br />

„Moment!“ Der Professor winkte zu einem Mitarbeiter. „Justieren<br />

sie die Redbaby­Alpha noch einmal genau im Infrarotbereich nach<br />

<strong>und</strong> gehen sie bis <strong>auf</strong>s Äußerste heran!“ Dann beugte er sich sofort<br />

wieder über seinen Monitor. Schon wenige Sek<strong>und</strong>en später<br />

erkannte sein geübtes Auge die Situation.<br />

„Dort ist Leben, wahrscheinlich Menschen! Eine Wohnung! Klar, es<br />

ist ein bewohntes Haus! Mein Gott, ich habe hier fünf winzige<br />

Punkte im Infrarotbereich entdeckt. Holen sie zuerst die Menschen<br />

dort raus, schnell, schnell! Es ist zu gefährlich, wenn sich die<br />

Zeitschleife nähert!“ Dann sank er erschöpft nieder. Das Dilemma<br />

war, dass sich die Zeitschatulle nur im Zusammenhang mit <strong>dem</strong><br />

Auftauchen der Zeitschleife genau koordinieren <strong>ließ</strong>. Der Professor<br />

wusste das. Auch deswegen war die Zeit zum Auffinden der<br />

Schatulle so knapp bemessen. Es war jetzt 4.33 Uhr nach<br />

Pazifikzeit.<br />

Inmitten von zuckenden Blitzen schmiegten sich die Kinder dicht<br />

aneinander. Teresa zitterte. Dramatischer konnte ihr Geburtstag<br />

nicht sein. Martin schluchzte. Auch Anna kämpfte mit den Tränen.<br />

Vor ihnen leuchtete der Kinderzimmerschrank in einer nie geahnten<br />

Helligkeit. Eine eigenartige Benommenheit ergriff sie. Keiner war<br />

fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Draußen dröhnten die<br />

Helikopter <strong>und</strong> <strong>auf</strong>geregte Stimmen waren, von der Straße her,<br />

225


deutlich zu hören. Robi sprang zu den Kindern, als erhoffte er sich<br />

bei Ihnen Schutz.<br />

„Es ist das Kastenbuch, das verdammte Kastenbuch“, schrie Anna<br />

ohnmächtig durch den Lärm. „Nichts wie raus hier!“.<br />

Doch es war längst schon zu spät. Das Kastenbuch schwebte mitten<br />

im Zimmer. Ein geheimnisvoller Sog ging durch den Raum. Wie<br />

von einem Strudel wurden die drei Fre<strong>und</strong>e gemeinsam mit Robi<br />

immer näher an das Kastenbuch heran gezogen. Sie sträubten sich<br />

nach Leibeskräften. Doch es half nicht. Dann sanken sie zu Boden.<br />

Anna sah mit unnatürlicher Wahrnehmung, wie sich <strong>Susi</strong> zu ihnen<br />

gesellte <strong>und</strong> mit überirdisch, hell­glänzenden Augen <strong>dem</strong> Buch<br />

zustrebte. Verzweifelt legte sie ihre Arme um Teresa <strong>und</strong> Martin.<br />

Die Kinder schrieen immer wieder laut <strong>auf</strong>. Ein unheimliches,<br />

gleißendes Licht durchströmte die gesamte Wohnung. Es war<br />

unmöglich, noch etwas zu erkennen. Das Licht formte sich zu einer<br />

Art Schleife in deren Zentrum sich ein Wirbel <strong>auf</strong>baute. Anna hörte<br />

sich noch schreien: „Augen zu!“ Einen Moment später erfasste sie<br />

der gewaltige Energiewirbel <strong>und</strong> <strong>ließ</strong> sie mit <strong>dem</strong> Licht<br />

verschmelzen.<br />

Es war 14.36 Uhr. Nur wenige Minuten später stürmten Einsatzleute<br />

in die Wohnung. Sie konnten außer einer starken Abkühlung der<br />

Raumtemperatur nichts Ungewöhnliches feststellen. Das<br />

Kastenbuch konnte nicht gef<strong>und</strong>en werden.<br />

Ende<br />

226


227


228


Nachwort<br />

Liebe kleine <strong>und</strong> große Leser!<br />

Ich bedanke mich für Eure Treue. Anna, Teresa <strong>und</strong> Martin, unsere<br />

tapferen Gefährten, sind verschw<strong>und</strong>en. Gemeinsam mit ihren<br />

Tierfre<strong>und</strong>en Robi <strong>und</strong> <strong>Susi</strong> verschwanden sie für immer in der<br />

Ewigkeit der Zeit. Sie wurden gleichsam vom Licht <strong>auf</strong>gesogen.<br />

Aber ist es wirklich für immer? Auf welche Reise sind sie wohl<br />

gegangen? Werden sie jemals wieder zurückkehren oder zusammen<br />

spielen können? Wenn wir es uns gemeinsam wünschen <strong>und</strong> daran<br />

glauben, sehen wir unsere Helden bestimmt wieder. Die Zukunft<br />

aber liegt in den Sternen, oder?<br />

Der Autor © 2007 by Ingo Raup<br />

229


Worterklärungen<br />

Das Pergamonmuseum ist Teil des Museumsensembles <strong>auf</strong> der Berliner<br />

Museumsinsel. Es wurde zwischen 1910 <strong>und</strong> 1930 nach Plänen von<br />

Alfred Messel <strong>und</strong> Ludwig Hoffmann erbaut. Heute beherbergt es die<br />

Antikensammlung, das Vorderasiatische Museum <strong>und</strong> das Museum für<br />

Islamische Kunst. Das Pergamonmuseum war z.B. 2005 mit etwa 960.000<br />

Besuchern das meistbesuchte Berliner Museum <strong>und</strong> das am besten<br />

besuchte deutsche Kunstmuseum.<br />

Das Ulmer Münster ist die im gotischen Stil errichtete Hauptkirche der<br />

ehemals freien Reichsstadt Ulm. Der 161,50 Meter hohe Turm ist der<br />

höchste Kirchturm der Welt. Es ist ein evangelisches Gotteshaus <strong>und</strong><br />

gehört (wie auch etwa der Kölner Dom) zu jenen gotischen Kirchen in<br />

Deutschland, die erst Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts vollendet wurden. Aus<br />

<strong>dem</strong>, ursprünglich als katholisches Gotteshaus errichteten Münster, wurde<br />

nach der Einführung der Reformation in Ulm ­ die Bürger entschieden<br />

sich 1530 in einer Abstimmung für die Reformation ­ die größte<br />

230


protestantische Kirche der Welt. Der Hauptturm kann über 768 Stufen bis<br />

zu einer Höhe von 143 Metern bestiegen werden, wo den Besucher ein<br />

schönes Panorama über die Stadt <strong>und</strong> ihre Umgebung erwartet.<br />

In einem Inquisitionsverfahren, eingeleitet durch die damalige<br />

Katholische Kirche stand die inquisitio (lat.: Befragung, Untersuchung)<br />

zur Ermittlung der möglichst durch Geständnis zu offenbarenden<br />

„Wahrheit ­ notfalls durch Folter“ ­ im Vordergr<strong>und</strong>, <strong>und</strong> nicht die<br />

Anklage. Vor <strong>dem</strong> Inquisitionsgericht hatten Sachbeweise keine<br />

Gültigkeit. Das heißt, zum Beweis von Schuld oder Unschuld gab es nur<br />

die Möglichkeit der Aussage von Zeugen.<br />

Die Mumifizierung ist eine künstlich vom Menschen betriebene Technik<br />

zur Konservierung eines Körpers, Körperteils eines Menschen oder eines<br />

Tiers unter bestimmten, meist trockenen Bedingungen. Wird ein ganzer<br />

Körper mumifiziert, spricht man von einer Mumie.<br />

Der Begriff Monarchie stammt vom griechischen μοναρχία<br />

(monarchía) ab, das sich aus den Wörtern μόνος (monos = „ein“) <strong>und</strong><br />

άρχειν (archein = „herrschen“) zusammensetzt, <strong>und</strong> bedeutet<br />

„Alleinherrschaft“. Er bezeichnet eine Staats­ bzw. Regierungsform, bei<br />

der ein Monarch oder eine Monarchin das Amt des Staatsoberhauptes inne<br />

hat (<strong>und</strong> bildet somit das Gegenstück zur Republik).<br />

Absolute Monarchie<br />

In dieser Form besitzt der Monarch <strong>dem</strong> Anspruch nach die alleinige<br />

Staatsgewalt. Der Monarch ist „legibus solutus“ (lateinisch für „von den<br />

Gesetzen losgelöst“), das bedeutet, dass er den Gesetzen, die er selbst<br />

231


erlässt, nicht untersteht. Das bekannteste Beispiel für den Anspruch <strong>auf</strong><br />

absolute Herrschaft des Monarchen ist der Sonnenkönig Louis XIV.,<br />

dessen Selbstverständnis „L'état, c'est moi“ (zu deutsch „Der Staat, das<br />

bin ich“) als geradezu prototypisch für diese Entwicklung angesehen<br />

werden kann.<br />

Eine Reliquie (lateinisch Überbleibsel) ist ein Gegenstand religiöser<br />

Verehrung, besonders ein Körperteil oder Teil des persönlichen Besitzes<br />

eines Heiligen. Eine Sonderform sind Berührungsreliquien, also<br />

Gegenstände wie Kleidungsstoffe, mit denen der Heilige in Berührung<br />

kam oder gekommen sein soll.<br />

Unter Inspiration (von lat.: inspiratio = Beseelung, Einhauchen von<br />

Leben, Ausstatten mit Geist) versteht man allgemeinsprachlich jene<br />

mentale Kraft, die neue Ideen hervorbringt. Inspiration bezeichnet häufig<br />

auch ein Erlebnis, das als Auslöser für eine neue Idee angesehen wird,<br />

z.B. die Begegnung mit einem Menschen, eine Reise oder ein Traum.<br />

Menschen, die Künstler oder Wissenschaftler inspirieren, nennt man<br />

Musen.<br />

Das Wort Accessoire (frz. Accessoire) ist ein altfranzösisches Lehnwort<br />

in der deutschen Sprache. Die wörtliche Übersetzung ist Zubehör oder<br />

Beiwerk. Hauptsächlich wird die Bezeichnung Accessoire seit <strong>dem</strong> 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert als Sammelbegriff für funktionales <strong>und</strong> dekoratives<br />

modisches Beiwerk historischer <strong>und</strong> zeitgenössischer Kleidung, wie<br />

beispielsweise Hüte, Gürtel, Handschuhe, Fächer, Schirme, Taschen,<br />

Tücher <strong>und</strong> Schmuck verwendet.<br />

232


Das Pentagon ist der Hauptsitz des US­amerikanischen<br />

Verteidigungsministeriums. Mit seinen je 280 Meter langen Außenwänden<br />

besitzt das Pentagon eine Gr<strong>und</strong>fläche von 135.000 Quadratmeter. Damit<br />

soll es vor <strong>dem</strong> Flughafen Tempelhof in Berlin <strong>und</strong> <strong>dem</strong> Parlamentspalast<br />

in Rumäniens Hauptstadt Bukarest (65.000 Quadratmeter Gr<strong>und</strong>fläche)<br />

das größte Gebäude der Welt sein. Das Pentagon ist eingebettet in 50 ha<br />

Park­ <strong>und</strong> Rasenfläche. Es liegt am Potomac River in Arlington (Virginia)<br />

direkt neben <strong>dem</strong> Nationalfriedhof Arlington an der Grenze zu<br />

Washington (D.C.). Trotz einer Gesamtlänge aller Korridore von knapp<br />

17,5 Meilen (ca. 28,2 km) ist jeder Punkt im Bau von je<strong>dem</strong> anderen<br />

Punkt innerhalb des Gebäudes in unter 7 Minuten erreichbar.<br />

Materie (lat.: materia = Stoff) ist eine allgemeine Bezeichnung für alles<br />

Stoffliche, was uns umgibt <strong>und</strong> aus <strong>dem</strong> wir selbst bestehen.<br />

Mit <strong>dem</strong> Begriff Dimension werden in der Physik die drei<br />

Raumdimensionen bezeichnet. Der Raum ist dreidimensional. Durch ein<br />

Koordinatensystem kann man die Position eines Objektes im Raum mit<br />

drei Angaben eindeutig bestimmen.<br />

Auch die Zeit wird als Dimension bezeichnet. In der Relativitätstheorie<br />

werden die drei Dimensionen des Raumes mit der der Zeit zu einer<br />

vierdimensionalen Raumzeit vereinigt. Zur Positionsbestimmung in der<br />

Raumzeit ist daher neben den drei Raumkoordinaten noch die Angabe<br />

eines Zeitpunktes nötig, insgesamt also vier Größen.<br />

Der Begriff Anti­Aging, auch Altershemmung, ist eine Bezeichnung für<br />

Maßnahmen, die zum Ziel haben, die biologische Alterung der Menschen<br />

hinauszuzögern, die Lebensqualität im Alter möglichst lange <strong>auf</strong> hohem<br />

233


Niveau zu erhalten <strong>und</strong> auch das Leben insgesamt zu verlängern.<br />

Verwendet wird dieser Begriff in der Medizin, von<br />

Ernährungswissenschaftlern, der Nahrungsergänzungsmittelindustrie, von<br />

Kosmetikherstellern <strong>und</strong> auch teilweise im Zusammenhang mit<br />

Schönheitsoperationen.<br />

Als Lichtgeschwindigkeit (Formelzeichen c von lat. celeritas:<br />

„Schnelligkeit“) bezeichnet man die Ausbreitungsgeschwindigkeit des<br />

Lichts <strong>und</strong> anderer elektromagnetischer Wellen. Sie ist in Materie stets<br />

kleiner als im leeren Raum (Vakuum). Dieser größtmögliche Wert von c,<br />

die Vakuumlichtgeschwindigkeit (Formelzeichen: c0, oft aber stattdessen<br />

nur: c ) stellt eine Naturkonstante dar, die in der Physik eine zentrale Rolle<br />

spielt <strong>und</strong> deren Entdeckung weit reichende Konsequenzen für die<br />

physikalische Weltsicht <strong>und</strong> unser Verständnis von Raum <strong>und</strong> Zeit hat.<br />

Sie ist nach Einsteins Relativitätstheorie die maximal erreichbare<br />

Geschwindigkeit, nicht nur von Licht, sondern auch von jeder anderen<br />

Form der Energie, Information oder Wirkung.<br />

Wenn in der Physik der Begriff „Lichtgeschwindigkeit“ verwendet wird,<br />

ist meistens die Naturkonstante c0 ­ nämlich die<br />

Vakuumlichtgeschwindigkeit gemeint. Sie wurde nach vielen historisch<br />

erfolglosen Versuchen erstmals von Ole Romer im Jahr 1676 erfolgreich<br />

nachgewiesen. Aber erst Einstein erkannte, dass diese Geschwindigkeit<br />

ein bedeutendes physikalisches Merkmal des Universums ist. Sie beträgt<br />

exakt 299.792.458 Meter pro Sek<strong>und</strong>e.<br />

Die Telomerase ist ein Enzym des Zellkerns bestimmter Zellen, das aus<br />

einem Protein <strong>und</strong> einem langen RNA­Anteil besteht. Es stellt die<br />

Endstücke der Chromosomen, die so genannten Telomere, wieder her.<br />

Bei jeder Zellteilung geht ein Stück der Telomere verloren. Die<br />

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Telomerase verhindert durch die Wiederherstellung der Telomere, dass<br />

die Chromosomen mit jeder Zellteilung kürzer werden, was sch<strong>ließ</strong>lich<br />

zum Zelltod führen würde.<br />

In den meisten normalen Zellen ist die Aktivität der Telomerase nicht<br />

nachweisbar. Aktiv ist die Telomerase nur bei einzelligen Organismen<br />

sowie in Zellen der Keimbahn <strong>und</strong> Embryonalzellen bei mehrzelligen<br />

Organismen. Der Traum der Wissenschaft besteht darin, durch gezielten<br />

Eingriff <strong>auf</strong> die Telomere, die Lebenserwartung der Menschen erheblich<br />

zu verlängern.<br />

Die in allen Lebewesen vorkommende Desoxyribonukleinsäure ist die<br />

Trägerin der Erbinformation. Sie enthält die Gene, also die<br />

Bauanleitungen für andere Zellbestandteile wie Ribonukleinsäuren (RNA)<br />

<strong>und</strong> Proteine, welche für die biologische Entwicklung <strong>und</strong> das Überleben<br />

der Zelle notwendig sind. Im deutschen Sprachgebrauch wird die<br />

Desoxyribonukleinsäure zunehmend mit der englischen Abkürzung DNA<br />

(deoxyribonucleic acid) bezeichnet.<br />

Die Alzheimer­Krankheit (Morbus Alzheimer) ist eine fortschreitende<br />

Demenz­Erkrankung (lat. <strong>dem</strong>ens: ohne Geist sein, „verwirrt“) des<br />

Gehirns, die vorwiegend im Alter <strong>auf</strong>tritt <strong>und</strong> mit einer fortschreitenden<br />

Abnahme von Hirnfunktionen einhergeht. Die Krankheit beginnt mit<br />

geringer, anscheinend zufälliger Vergesslichkeit <strong>und</strong> endet im Verlust des<br />

Verstandes. Sie ist eine Erkrankung des Alters <strong>und</strong> tritt nur selten vor <strong>dem</strong><br />

60. Lebensjahr <strong>auf</strong>.<br />

Da der Anteil der Älteren in der Bevölkerung der westlichen<br />

Industrienationen immer mehr zunimmt, steigt auch die Häufigkeit der<br />

Personen mit Alzheimer. Man schätzt, dass bei den 65­Jährigen etwa 2 %<br />

betroffen sind. Bei den 70­Jährigen sind es bereits 3 %, bei den 75­<br />

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Jährigen 6 % <strong>und</strong> bei den 85­Jährigen zeigen etwa 20 % Symptome der<br />

Krankheit. Der Kampf gegen die Erkrankung ist eine wichtige<br />

Angelegenheit der heutigen Gesellschaft geworden.<br />

Nanoanalyser = Forschungsgerät.<br />

Unter Nanowissenschaften werden Forschungen bezeichnet, die sich mit<br />

Materialien im Nanometer­Maßstab befassen. Nano kommt von<br />

altgriechisch nannos ("der Zwerg") <strong>und</strong> bezeichnet bei Maßeinheiten den<br />

Milliardensten Teil der Einheit. Also sind eine Milliarde Nanometer ein<br />

Meter.<br />

Schon heute spielen die Nanomaterialien eine wichtige Rolle, die zumeist<br />

<strong>auf</strong> chemischem Wege oder mittels mechanischer Methoden hergestellt<br />

werden. Einige davon sind kommerziell verfügbar <strong>und</strong> werden in<br />

handelsüblichen Produkten eingesetzt. Das momentan absehbare Ziel der<br />

Nanotechnologie ist die weitere Miniaturisierung geeigneter Produkte<br />

sowie die industrielle Erzeugung neuartiger Werkstoffe.<br />

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