20727_Vortrag_Wann_lohnt_sich_diakonische_Arbeit_9-3-2012_II ...
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Werner M. Ruschke<br />
<strong>Wann</strong> „<strong>lohnt</strong>“ <strong>sich</strong> <strong>diakonische</strong> <strong>Arbeit</strong>?<br />
<strong>Vortrag</strong> auf der Konferenz der Kommission für kirchliche Zeitgeschichte und des Instituts für<br />
Diakonie- und Sozialgeschichte an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel „Von der<br />
inneren Mission zur Sozialindustrie? Gesellschaftliche Erfahrungsräume und <strong>diakonische</strong><br />
Erwartungshorizonte im 19. und 20. Jahrhundert“ am 9. März <strong>2012</strong> in Bielefeld-Bethel<br />
Die Frage, wann <strong>diakonische</strong> <strong>Arbeit</strong> <strong>sich</strong> <strong>lohnt</strong> 1 , ist mehrdimensional zu beantworten, um den<br />
unterschiedlichen Sichtweisen und Interessenlagen der <strong>diakonische</strong>n Akteure gerecht zu<br />
werden.<br />
1. Hilfebedürftige<br />
Diakonische <strong>Arbeit</strong> <strong>lohnt</strong> <strong>sich</strong>, wenn hilfebedürftige Menschen in ihrer eigenen Wahrnehm-<br />
ung angemessen beraten, gefördert, begleitet und gepflegt werden. – Was dazu alles nötig ist<br />
und aus welcher Motivation heraus dies geschieht, braucht sie zumindest im Moment akuter<br />
Hilfebedürftigkeit nicht zu interessieren. Dem unter die Räuber Gefallenen im Gleichnis Jesu<br />
(Lukas 10, 25-37) war allein die Tatsache wichtig, dass ihm wirkungsvoll geholfen wurde.<br />
2. Angehörige<br />
Häufig sind es nicht die unmittelbar Betroffenen selber, sondern ihre Angehörigen oder<br />
Zugehörigen, welche einen <strong>diakonische</strong>n Dienst beauftragen und unter Umständen auch<br />
teilweise bezahlen. Die Erwartungen und Anforderungen dieser beiden Gruppen können <strong>sich</strong><br />
durchaus deutlich unterscheiden. – Diakonische <strong>Arbeit</strong> <strong>lohnt</strong> <strong>sich</strong>, wenn Angehörige mit<br />
deren Leistungen zufrieden sind.<br />
3. Kostenträger<br />
Diakonische Leistungen werden in Nordrhein-Westfalen hauptsächlich finanziert durch<br />
Krankenkassen, Pflegekassen, Landschaftsverband, Kommunen oder staatliche Programme. –<br />
Diakonische <strong>Arbeit</strong> <strong>lohnt</strong> <strong>sich</strong> für Kostenträger, wenn diese möglichst viele Leistungen für<br />
möglichst wenig Geld erbringt.<br />
4. Innere Mission<br />
1 Gewidmet sind diese Ausführungen meinem kaufmännischen Vorstandskollegen Wilfried Koopmann.<br />
1
Nun hat allerdings eine Diakonie, die <strong>sich</strong> bewusst als Innere Mission versteht, zwei über die<br />
Gewährung von Hilfe hinausgehende Ziele, nämlich ein individuelles und ein politisches.<br />
Beim individuellen Ziel geht es neben dem körperlichen Wohl von Hilfebedürftigen zugleich<br />
um ihr seelisches Heil. Friedrich v. Bodelschwingh hat das in die einprägsame Formulierung<br />
gekleidet: „Medizin kann man überall einnehmen; dazu ist keine Anstalt nötig. Bethels Ziel<br />
reicht weiter, es reicht in die Ewigkeit.“ 2 Von einem ähnlichen Wollen waren alle diakoni-<br />
schen Gründungen des 19. Jahrhunderts geprägt. Dabei war und ist das Erreichen dieses Ziels<br />
keinesfalls die Regel. Warum soll es der Diakonie heute anders ergehen als Jesus damals?<br />
Von den zehn Aussätzigen, die er einmal heilte (Lukas 17, 11-19), kehrte lediglich ein einzi-<br />
ger zurück, um ihm zu danken. Es wäre zudem eine befremdliche Verzweckung <strong>diakonische</strong>r<br />
Hilfe, wenn Not von Menschen als Mittel zu ihrer Bekehrung benutzt würde. Verstünde<br />
Diakonie <strong>sich</strong> aber als ausschließlich leibsorgliche soziale Tätigkeit, würde sie <strong>sich</strong> vom<br />
biblischen Menschenbild verabschieden und verlöre damit ihre Existenzberechtigung.<br />
Das weitgehend einvernehmliche politische Ziel der Diakonie besteht im 19. Jahrhundert in<br />
der Bekämpfung von Sozialismus und Kommunismus als schärfstem Ausdruck von Gottlosig-<br />
keit. Clemens Theodor Perthes gründet nicht zuletzt deshalb 1854 die erste Herberge zur<br />
Heimat, um Wanderarbeiter vor den demokratischen Ideen von 1848 zu schützen, ist doch<br />
„die wandernde Handwerksbevölkerung zugleich der Heerd, auf welchem mancher politische<br />
Gifttrank gebraut wurde, der von hieraus schnell in weite Teile des Volkslebens verbreitet<br />
wurde.“ 3<br />
Diese Verknüpfung von antidemokratischer Zielsetzung und <strong>diakonische</strong>r <strong>Arbeit</strong> ist hinrei-<br />
chend kritisiert worden. Unabhängig davon hat die Diakonie durchaus auch eine unverzicht-<br />
bare politische Zielsetzung. Johann Hinrich Wichern formuliert zutreffend: „Die innere<br />
Mission will nur der Kirche und dem Staat als der anderen göttlichen Stiftung dienen“ 4 .<br />
Natürlich besteht dabei die Gefahr, den jeweils bestehenden Staat der göttlichen Stiftung<br />
2<br />
Das 15. Jahresfest von Bethel; Mitteilungen Nr. 13 an die Freunde von Bethel und Sarepta bei Bielefeld. 1882,<br />
3. – Für die Ermittlung dieser Fundstelle danke ich Kerstin Stockhecke vom Hauptarchiv der v.<br />
Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel.<br />
3<br />
Clemens Theodor Perthes: Das Herbergswesen der Handwerksgesellen; Gotha 1856, 28. – Zu Perthes vgl.<br />
Werner M. Ruschke: Clemens Theodor Perthes (1809–1867) und das Fortwirken seines <strong>diakonische</strong>n Wollens;<br />
in ders.: Spannungsfelder heutiger Diakonie; Diakonie 4, Stuttgart 2007, 190-204.<br />
4<br />
Johann Hinrich Wichern: Die Rede auf dem Wittenberger Kirchentag; in ders.: Ausgewählte Schriften. Band 1.<br />
Schriften zur sozialen Lage. Herausgegeben von Karl Janssen; GTS 430, Gütersloh 1979, 113.<br />
2
gleichzusetzen oder <strong>sich</strong> in den Dienst restaurativer Tendenzen zu stellen 5 . Gleichwohl trägt<br />
die Diakonie durch ihr Eintreten für Recht und Gerechtigkeit gewollt zum inneren Frieden<br />
einer Gesellschaft und somit zum Wohl des Staates bei.<br />
Diakonische <strong>Arbeit</strong> <strong>lohnt</strong> <strong>sich</strong>, wenn sie beiträgt zum Wohl und Heil einzelner sowie zum<br />
Frieden in der Gesellschaft.<br />
5. Mitarbeitende<br />
Das Gelingen <strong>diakonische</strong>r <strong>Arbeit</strong> hängt wesentlich ab von den menschlichen, fachlichen und<br />
christlichen Fähigkeiten der Mitarbeitenden. Bei den menschlichen Fähigkeiten ist in erster<br />
Linie an Freundlichkeit gedacht, denn genau diese erhofft <strong>sich</strong> die <strong>diakonische</strong> Klientel in fast<br />
allen entsprechenden Umfragen an erster Stelle. In der staatlicherseits überprüften Fachlich-<br />
keit allerdings besteht kein Unterschied zwischen Anbietern sozialer Dienstleistungen, muss<br />
diese doch nach dem jeweils neuesten Stand der Wissenschaft erbracht werden.<br />
Das sie von anderen Anbietern unterscheidende Merkmal der Diakonie ist ihre Christlichkeit,<br />
weshalb sie auf christlich geprägte Mitarbeitende angewiesen ist. Clemens Theodor Perthes<br />
weiß, dass seine Herberge zur Heimat nur dann diakonisch ist, wenn „ein erprobter, bewährter<br />
und, möchte man sagen, geschulter Christ“ 6 ihr vorsteht. Für Bodelschwingh kann „geeigne-<br />
tes Pflegepersonal … nur durch die religiösen Genossenschaften beschafft werden“ 7 , also<br />
durch <strong>diakonische</strong> Schwesternschaften und Bruderschaften. Später stellt <strong>sich</strong> heraus, dass<br />
diese Personengemeinschaften dazu zahlenmäßig auf Dauer nicht in der Lage sind. Heute<br />
steht die Diakonie vor der Frage, wie viele christlich geprägte Mitarbeitende sie zumindest<br />
braucht – oder andersherum: wie viele nicht christlich geprägte oder gar nichtchristliche<br />
Mitarbeitende sie <strong>sich</strong> erlauben kann –, ohne dass ihr Unterscheidungsmerkmal verblasst.<br />
Ohne eine gewisse Anzahl christlich geprägter und prägebereiter Mitarbeitende gibt es keine<br />
institutionalisierte Diakonie.<br />
5<br />
Vgl. Johannes Degen: Diakonie und Restauration. Kritik des sozialen Protestantismus in der BRD; Neuwied<br />
1975.<br />
6<br />
Clemens Theodor Perthes, 68.<br />
7<br />
Friedrich v. Bodelschwingh: Über die öffentliche Fürsorge für Epileptische (1883); in ders.: Ausgewählte<br />
Schriften. Herausgegeben von Alfred Adam. <strong>II</strong>. Veröffentlichungen aus den Jahren 1872 bis 1910; Bielefeld-<br />
Bethel 1964, 66; vgl. 21f.<br />
3
Diakonische <strong>Arbeit</strong> <strong>lohnt</strong> <strong>sich</strong>, wenn Mitarbeitende <strong>sich</strong> – in dieser Reihenfolge! – mit ihrer<br />
Tätigkeit, mit ihrem Dienstgeber, mit der Diakonie und mit der Kirche möglichst weitgehend<br />
identifizieren.<br />
6. Träger<br />
Eine der Hauptaufgaben <strong>diakonische</strong>r Träger ist es, ihre <strong>Arbeit</strong> wirtschaftlich abzu<strong>sich</strong>ern, um<br />
ihre lohnenden <strong>diakonische</strong>n Ziele dauerhaft zu erreichen. – Diakonische <strong>Arbeit</strong> <strong>lohnt</strong> <strong>sich</strong>,<br />
wenn Träger ihre Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich führen.<br />
7. Wirtschaftlichkeit<br />
Jedes einzelne dieser <strong>diakonische</strong>n Ziele enthält eine finanzielle Dimension, die nun heraus-<br />
gestellt wird.. Allerdings gibt es in der Finanzierung der einzelnen <strong>diakonische</strong>n Hilfeange-<br />
boten ein derart unterschiedliches „kompliziertes Zusammenspiel von öffentlichen Mitteln,<br />
Leistungsentgelten, kirchlichen Zuwendungen, Eigenmitteln und anderen Mitteln“ 8 , dass ich<br />
mich beschränke auf die Perspektive eines <strong>diakonische</strong>n Komplexunternehmens mit dem<br />
Schwerpunkt Altenhilfe.<br />
7.1 Gewinnorientierung<br />
Diakonische <strong>Arbeit</strong> <strong>lohnt</strong> <strong>sich</strong>, wenn sie finanzielle Gewinne 9 abwirft und darum dauerhaft<br />
auf wirtschaftliche solide Füße gestellt ist. – Implizit sind damit jene drei Ziele genannt, die<br />
jedes Unternehmen zwingend erreichen muss: Liquidität, Rentabilität und Wachstum 10 . Ohne<br />
jederzeitige kurzfristige Zahlungsfähigkeit droht Insolvenz. Ohne wenigstens mittelfristig<br />
abge<strong>sich</strong>erte Liquidität bleibt ein Unternehmen unrentabel und ist nicht entwicklungsfähig.<br />
Marktkonformes Wachstum schließlich ist nötig, um mit <strong>sich</strong> verändernden Entwicklungen<br />
Schritt zu halten.<br />
7.2 Diakonische Unternehmenspraxis<br />
8<br />
Dierk Starnitzke: Diakonie als soziales System. Eine theologische Grundlegung <strong>diakonische</strong>r Praxis in<br />
Auseinandersetzung mit Niklas Luhmann; Stuttgart 1996, 90-96; Zitat 91. – Vgl. Werner M. Ruschke: Was darf<br />
Diakonie kosten?; in ders.: Einer trage des anderen Last. Plädoyer für eine <strong>diakonische</strong> Theologie und Praxis;<br />
Bielefeld 1997, 97-106; sowie Markus Rückert: Diakonie und Ökonomie. Verantwortung, Finanzierung,<br />
Wirtschaftlichkeit; Gütersloh 1990, 60-139.<br />
9<br />
Vgl. Markus Rückert, 189-193: „Diakonie und Gewinn“.<br />
10<br />
Vgl. Henner Schierenbeck: Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre; München 2003, 62.<br />
4
Dass man von Diakonie als Unternehmen spricht, hat <strong>sich</strong> seit fast 30 Jahren gegen manche<br />
inner<strong>diakonische</strong> Widersprüche eingebürgert 11 . Meine These ist nun, dass zwar die auf<br />
systematischer Reflexion beruhende Theorie einer Diakonie als Unternehmen neu ist, nicht<br />
aber eine <strong>diakonische</strong> Unternehmenspraxis als solche. Zumindest die Anfänge der institutio-<br />
nalisierten Diakonie im 19. Jahrhundert sind durch eindeutiges unternehmerisches Handeln<br />
gekennzeichnet.<br />
Am Anfang eines Unternehmens steht die Idee für ein Produkt. Zu seiner Herstellung benötigt<br />
man Kapital. Es rentiert <strong>sich</strong>, wenn das Produkt vom Markt aufgenommen wird. Ein erfolg-<br />
reiches Unternehmen entwickelt sein Produkt weiter und ergänzt es um zusätzliche Angebote,<br />
was zu einer Erschließung neuer Märkte sowie zum eigenen Wachstum führt.<br />
Am Anfang der institutionalisierten Diakonie des 19. Jahrhunderts stehen die massenhaften<br />
Nöte armer oder kranker oder behinderter Menschen. Durch ihren christlichen Glauben sehen<br />
<strong>sich</strong> Menschen gedrängt, ihnen in besonderen Einrichtungen dauerhaft Hilfe anzubieten. Ihre<br />
Produktidee ist mithin professionelle <strong>diakonische</strong> Hilfe. Zu ihrer Umsetzung tragen wohl-<br />
habende Kaufleute tragen Geld oder Grundstücke für Einrichtungsgründungen zusammen.<br />
Perthes, Staatsrechtsprofessor in Bonn, schreibt dazu erfolgreich adlige ehemalige Studenten<br />
um Spenden an. Bodelschwingh ist ein begnadeter Bettelbrief-Verfasser 12 .<br />
Allerdings reicht dieses Eigenkapital in der Regel lediglich für die unmittelbare Gründungs-<br />
phase, nicht aber für das weitere Wachstum. Das Produkt institutionalisierte Diakonie ist<br />
derart erfolgreich, dass <strong>sich</strong> neue Bedarfe und Märkte von selbst erschließen. Reicht das<br />
Eigenkapital nicht aus, benötigt man Fremdkapital – wobei ja auch das <strong>diakonische</strong> Anfangs-<br />
kapital nichts anderes als geschenktes Fremdkapital ist. Bodelschwingh entschließt <strong>sich</strong><br />
deshalb zu Kreditaufnahmen und zur Ausgabe von Schuldscheinen. Gegenüber Kritikern<br />
verteidigt er dieses Verfahren, denn „eigentlich arbeitet fast alles in der Welt mit fremden,<br />
geborgten Geldern“ 13 . Der gelernte Agrarökonom Bodelschwingh ist in seinem betriebs-<br />
wirtschaftlichen Handeln und bei der Eigenkapitalmehrung derart erfolgreich 14 , dass Bethel<br />
bald auf dem „Weg zum <strong>diakonische</strong>n Großkonzern“ 15 ist.<br />
11 Auslöser war Alfred Jäger: Diakonie als ökonomisches Unternehmen; Bethel 28, Bielefeld 1984, stark<br />
erweitert zu: Diakonie als christliches Unternehmen; Gütersloh 1986, 4. Auflage 1993.<br />
12 Vgl. a.a.O., 589-656: „Kollektenblätter und Aufrufe“.<br />
13 Dürfen christliche Anstalten und Missionsgesellschaften Schulden machen?; a.a.O., 227-238; Zitat 236.<br />
14 Vgl. Hans-Ulrich Grundmann: Wirtschaftliche Aspekte der Betheler Anstaltsentwicklung 1910 bis 1970; in<br />
Matthias Benad / Kerstin Winkler (Hg.): Bethels Mission (2). Bethel im Spannungsfeld von<br />
5
Damit erfüllt eine <strong>diakonische</strong> Unternehmung wie die hier am Beispiel Bethels 16 vorgestellte<br />
alle Kriterien, die für ein Unternehmen konstitutiv sind, nämlich die drei Prinzipien Privat-<br />
eigentum, Autonomie und Gewinnab<strong>sich</strong>t 17 . Dabei ist es unerheblich, ob das Eigentum dabei<br />
tatsächlich in privater Hand ist oder einem Verein gehört. Die Autonomie wird durch die<br />
Selbstbestimmung des Wirtschaftsplanes gewährleistet. Gewinnstreben und -erzielen ist für<br />
die Erschließung neuer <strong>Arbeit</strong>sfelder nötig.<br />
In einer umfassenden Darstellung der deutschen Diakonie aus dem Jahre 1928 können deren<br />
finanzielle Rahmenbedingungen nur eher beiläufig auf drei von 500 Seiten behandelt<br />
werden 18 . Im Nachhinein allerdings erweisen <strong>sich</strong> die Jahrzehnte der Weimarer Republik, des<br />
Dritten Reiches und der frühen Bundesrepublik, in welchem die Freie Wohlfahrtspflege auf<br />
Grund des Subsidiaritätsprinzips als Umsetzungshelferin bei sozialstaatlichen Aufgaben ihre<br />
faktischen Kosten weitestgehend erstattet bekommt, lediglich als Zwischenspiel. Nachdem es<br />
aber seit nunmehr drei Jahrzehnten eine Wende vom Sozialstaat zum Sozialmarkt gegeben<br />
hat, ist Diakonie heute erneut, wenn auch unter anderen Voraussetzungen, unternehmerische<br />
Diakonie.<br />
Dabei gibt es allerdings eine gewichtige Einschränkung. Üblicherweise sind Preiskalkulation<br />
und Gewinnmarge von Wirtschaftsgütern ein Betriebsgeheimnis. Die Freien Wohlfahrtspflege<br />
hingegen ist gleichsam gläsern, weil sie ihre Kostenstruktur bis ins Detail gegenüber Kosten-<br />
trägern aufdecken und rechtfertigen werden muss. Im Verein mit gesetzlichen Vorgaben sind<br />
diese es, welche die Gewinnmöglichkeiten der Diakonie nicht nur reglementieren, sondern<br />
häufig sogar verhindern. Man will zwar den Sozialmarkt, jedoch nicht die marktübliche<br />
Praxis von Gewinnerzielung der Produktanbieter. Man will zwar keine Planwirtschaft, scheut<br />
aber eine soziale Marktwirtschaft ausgerechnet auf dem Sozialmarkt.<br />
7.3 Diakonie als Non-Profit-Organisation<br />
Erweckungsfrömmigkeit und öffentlicher Fürsorge. Beiträge zur Geschichte der v. Bodelschwinghschen<br />
Anstalten Bethel; BWKG 20, Bielefeld 2001, 84f.<br />
15<br />
Vgl. Hans-Walter Schmuhl: Friedrich von Bodelschwingh; rm 50687, Reinbek 2005, 98-113; Zitat 98.<br />
16<br />
Vgl. Wolfram Korn (Hg.): Bethel und das Geld. Die ökonomische Entwicklung der v. Bodelschwinghschen<br />
Anstalten Bethel 1867 – 1998; Bielefeld 1998.<br />
17<br />
Vgl. Wolfgang Domschke / Armin Scholl: Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre; Heidelberg, 4. Auflage<br />
2008, 5.<br />
18<br />
Vgl. Johannes Steinweg: Die Innere Mission der evangelischen Kirche. Eine Einführung in ihr Wesen und ihre<br />
<strong>Arbeit</strong> sowie in ihre Zusammenhänge mit der Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik; Heilbronn 1928, 74-76.<br />
6
Gemeinhin wird die Diakonie den Non-Profit-Organisationen (NPO) zugerechnet. Diese<br />
verfolgen ohne Gewinnab<strong>sich</strong>t ein satzungsgemäß festgelegtes ideelles Ziel; ergibt <strong>sich</strong><br />
trotzdem ein Gewinn, darf dieser nicht ausgeschüttet werden. Vor diesem Hintergrund heißt<br />
es im Gabler-Wirtschaftslexikon: Non-Profit-Organisationen „verkaufen i. d. R. nicht<br />
individuell nutzbare Güter und Dienstleistungen gegen mind. kostendeckende Preise, um auf<br />
Konkurrenzmärkten Gewinne und Rentabilität aus dem investierten Kapital zu erzielen (wie<br />
die Profit-Unternehmung).“ 19 Auch wenn es ein Professor der Wirtschaftswissenschaft ist, der<br />
dies behauptet, muss ich ihm als Pastor der Diakonie entschieden widersprechen: Genau das,<br />
was wir angeblich in der Regel nicht tun, tun wir regelmäßig. Wir verkaufen so gut wie<br />
ausschließlich individuell genutzte Dienstleistungen im Gesundheits- und Sozialwesen, wir<br />
produzieren in unseren Werkstätten für Menschen mit Behinderungen im Auftrag der<br />
Industrie Wirtschaftsgüter, wir bewegen uns auf hart umkämpften Konkurrenzmärkten, wir<br />
brauchen zumindest kostendeckende Preise, wir benötigen darüber hinaus Gewinne.<br />
Kurzum, die nicht zuletzt steuerrechtliche Unterscheidung von Profit- und Non-Profit-<br />
Unternehmen erscheint ange<strong>sich</strong>ts der Entwicklungen des Sozialmarktes stark über-<br />
arbeitungsbedürftig. Und auch die 1994 noch aufgestellte Behauptung, Diakoniemanager<br />
gingen im Unterschied zu Wirtschaftsmanagern „nicht das Risiko ein, ihre Position zu<br />
verlieren, falls sie erfolglos sind“ 20 , entspricht keineswegs mehr heutiger Praxis.<br />
Daraus erwächst meine These: Non-Profit-Unternehmen der Diakonie sind in der Regel<br />
weitgehend ‚normale‘ Unternehmen wie andere Wirtschaftsunternehmen auch, bewegen <strong>sich</strong><br />
auf demselben Markt, bedienen <strong>sich</strong> der gleichen betriebswirtschaftlichen Steuerungs-<br />
mechanismen und haben ähnliche Gewinnziele. Insofern ist die selbstkritische Frage von<br />
Johannes Busch, damals Vorstandsvorsitzender der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel,<br />
nur zu berechtigt, „was denn unsere Einrichtungen überhaupt noch unterscheidet von anderen<br />
säkularen Dienstleistungsunternehmen“ 21 .<br />
7.4 Diakonische Akteure<br />
19<br />
Bernd Helmig: Non-Profit-Organisation (NPO). http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/4696/non-profitorganisation-npo-v9.htnl.<br />
20<br />
Johannes Degen: Diakonie als soziale Dienstleistung; Gütersloh 1994, 81.<br />
21<br />
Johannes Busch: Wie unterscheidet <strong>sich</strong> Diakonie von sozialstaatlicher Fürsorge?; in ders.: Du, wir zwei.<br />
Diakonische Vorträge und Predigten aus Bethel, herausgegeben von Hauke Christiansen, Werner M. Ruschke<br />
und Horst Ullmann; Bielefeld 1992, 9.<br />
7
Ehe diese Frage beantwortet wird, ist zunächst darzustellen, was wirtschaftliches Denken und<br />
Handeln für die einzelnen <strong>diakonische</strong>n Akteure bedeutet.<br />
7.4.1 Hilfebedürftige<br />
Menschen in einer akuten Krise interessiert kaum als allererstes, was die rettende Hilfsaktion<br />
kosten mag und wie sie bezahlt wird. Ist die angestrebt Inanspruchnahme <strong>diakonische</strong>r Hilfe<br />
jedoch planbar, beispielsweise ein ambulanter Pflegedienst oder eine Tagespflege, so wird<br />
durchaus ein Kostenvergleich angestellt. Auch kirchlich gebundene Menschen entscheiden<br />
<strong>sich</strong> für private Pflegeanbieter, wenn diese aufgrund ihrer anderen Tarife kostengünstiger<br />
sind; fast Zweidrittel aller ambulanten Dienste sind daher mittlerweile in privater Hand. Die<br />
Diakonie wird unter Konkurrenzge<strong>sich</strong>tspunkten nur dann gewählt, wenn ein Mehrwert für<br />
sie spricht, der etwa in ihrer Wertegebundenheit bestehen kann. – In der Eingliederungshilfe<br />
können seit 2008 behinderte Menschen über ein durch den Kostenträger gewährtes<br />
Persönliches Budget Leistungen und Leistungserbringer nach eigenen Bedürfnissen<br />
auswählen. Nur wer wirtschaftlich überzeugende Angebote vorhält, kann in diesem<br />
„Verteilungskampf“ 22 bestehen.<br />
7.4.2 Angehörige<br />
Angehörige suchen nach den kostengünstigsten Pflegeheimen. Nur wem es bewusst um den<br />
Mehrwert eines christlich geprägten Hauses geht, wird <strong>sich</strong> für dieses auch dann entscheiden,<br />
wenn es teurer ist. Angehörigen bedanken <strong>sich</strong> gelegentlich ausdrücklich für die gute Pflege<br />
von Elternteilen, um dann deren Wechsel in eine andere Einrichtung mit günstigeren Kosten<br />
zu begründen. Es ist vor allem sogenannten Selbstzahlern nicht zu verdenken, wenn sie auch<br />
an das eigene Portemonnaie denken. Keinesfalls das <strong>diakonische</strong> Profil allein, sondern der<br />
Preis eines Heimaufenthaltes ist mitentscheidend bei der Wahl einer Einrichtung.<br />
Die durch gesetzliche Vorgaben normierten pflegerischen Leistungen sind im Grunde bei<br />
allen Anbietern der Altenhilfe gleich. Unterschiedlich ist die Wertegebundenheit der Träger.<br />
Für Clemens Theodor Perthes steht ange<strong>sich</strong>ts der bestehende Konkurrenzsituation gerade<br />
auch in wirtschaftlicher Hin<strong>sich</strong>t fest: Herbergen zur Heimat können „nur gedeihen, wenn sie<br />
den christlichen Charakter tragen“ 23 . Doch Christlichkeit allein reicht ihm bei weitem nicht<br />
22 Markus Rückert, 11.<br />
23 Clemens Theodor Perthes, 64; das folgende Zitat 48.<br />
8
aus: „Nur wenn die Herberge als Wirthshaus vorzüglich ist, wird ihr der christliche Charakter<br />
nicht schaden.“<br />
7.4.3 Kostenträger<br />
Diese Vorzüglichkeit zeigt <strong>sich</strong> für Kostenträger neben der von ihnen überprüften Qualität<br />
vor allem in <strong>diakonische</strong>r Wirtschaftlichkeit. Diakonie ist deshalb zwingend „kalkulierte<br />
Nächstenliebe“ 24 .<br />
7.4.4 Innere Mission<br />
Die Zeiten, in denen die Diakonie ebenso wie die Caritas den politisch und gesellschaftlich<br />
Verantwortlichen gerade wegen ihrer christlichen Wertegebundenheit ein willkommener und<br />
auch mitunter bevorzugter Partner im sozialpolitischen Umsetzungshandeln war, sind längst<br />
vorbei. Heute ist es häufig allein der Preis, welcher etwa in Ausschreibungsverfahren sozialer<br />
Dienstleistungen für sozial benachteiligte Menschen ausschlaggebend ist. Vor diesem<br />
Hintergrund <strong>sich</strong>ert allein ihre Wirtschaftlichkeit der Diakonie das Überleben; ihre inneren<br />
christlichen Beweggründe verlieren an Bedeutung.<br />
7.4.5 Mitarbeitende<br />
Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind das Kapital der Diakonie. Dieser gelegentlich im<br />
ideellen Sinne gebrauchte Satz ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn die Personalkosten<br />
sind es, die <strong>diakonische</strong> Haushalte entscheidend bestimmen. Im Laufe der Jahrzehnte ist die<br />
Anzahl der Mitarbeitenden im Verhältnis zu den von ihnen gepflegten und betreuten<br />
Menschen rasant gestiegen und mithin auch die entsprechenden Personalkosten. In Bethel 25<br />
beträgt der Anteil von Löhnen und Gehältern an den Gesamtkosten 1910 gerade einmal 11, 2<br />
Prozent, 1920 erst 12,2 Prozent, 1930 bereits 21,1 Prozent, 1955 30,6 Prozent und 1960 dann<br />
39,4 Prozent, um bis 1970 auf 52,2 Prozent anzusteigen. Die Vergleichszahlen der Personal-<br />
aufwandsquote für das Jahr 2011 aus dem Evangelischen Perthes-Werk sind ähnlich auch für<br />
andere <strong>diakonische</strong> Träger gültig; sie betragen in der stationären Altenhilfe 70,4 Prozent, in<br />
der stationären Behindertenhilfe 77,8 Prozent, bei den Hilfen für Menschen in besonderen<br />
sozialen Schwierigkeiten 71 Prozent, in der Sozialberatung 85 Prozent und im Hospiz 86,9<br />
Prozent; in den ambulanten Diensten liegen die Kosten über 90 Prozent.<br />
24 Vgl. Johannes Degen: Kalkulierte Nächstenliebe. Welche Chancen hat die Diakonie auf dem Sozialmarkt?;<br />
Evangelische Kommentare 30.1997, 409-413.<br />
25 Vgl. Hans-Ulrich Grundmann, 86f.<br />
9
In der Gestaltung von Wirtschaftlichkeit sind die Personalkosten eine kaum bewegbare<br />
Schraube, unterliegt doch die westfälische Diakonie einer Tarifbindung an den BAT-KF oder<br />
die AVR. Private Anbieter sind an dieser Stelle deshalb günstiger, weil sie bis auf die Leiten-<br />
den unterhalb dieser Tarifhöhen entlohnen und zumeist auch keine betriebliche Zusatzver-<br />
sorgung anbieten. Von daher können sie <strong>sich</strong> leichter mit der seit Einführung der Pflege-<br />
ver<strong>sich</strong>erung im Jahre 1996 üblichen, verharmlosend Budgetierung genannten, restriktiven<br />
Refinanzierungspraxis leben. Erstattet bekommen die Leistungserbringer nämlich nicht mehr<br />
ihre nachgewiesenen Personalkosten, sondern lediglich einen fiktiven Mittelwert. Im Evange-<br />
lischen Perthes-Werk befinden <strong>sich</strong> fast Zweidrittel aller Mitarbeitenden aufgrund ihres<br />
Lebensalters in der höchsten für sie erreichbaren Tarifstufe und damit deutlich über den<br />
refinanzierten Durchschnittskosten. Zudem sind die <strong>diakonische</strong>n Tarife für Hauswirtschafts-<br />
und Hausreinigungskräfte deutlich teurer als die seitens der Kostenträger bei der Refinanzier-<br />
ung berück<strong>sich</strong>tigten entsprechenden gewerkschaftlichen Tarife.<br />
All dieses hat zur wirtschaftlichen Schieflage von <strong>diakonische</strong>n Trägern bis hin zur Insolvenz<br />
geführt. Sozusagen in Notwehr haben darum einige <strong>diakonische</strong> Träger zum Instrument der<br />
<strong>Arbeit</strong>nehmerüberlassung gegriffen, um zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. Die<br />
sogenannten Leiharbeiter erhalten dabei weniger Geld als die Stammbelegschaft. Dieses<br />
widerspricht zweifelsohne dem Prinzip von gleichem Lohn für gleiche <strong>Arbeit</strong>. Andererseits<br />
<strong>sich</strong>ert es <strong>diakonische</strong> <strong>Arbeit</strong>splätze. Wer in scheinbarer ethischer Makellosigkeit diesen Weg<br />
grundsätzlich verbieten will, übersieht offenbar die Makel der dann fast zwingenden<br />
Alternative, nämlich Ausgründung oder die Fremdvergabe ganzer Leistungsbereiche; nicht<br />
umsonst etwa ist das starke Wachstum der großen Caterer, die deutlich unter Diakonietarifen<br />
zahlen, vor allem durch ihre Erfolge in der stationären Altenhilfe mitbedingt.<br />
Steile ethische Forderungen, die komplexitätsreduziert das durch derartige wirtschaftliche<br />
Gegebenheiten geprägte Entscheidungsgeflecht von diakonisch Verantwortlichen kaum<br />
berück<strong>sich</strong>tigen, handeln aus deren Sicht von verantwortungsfrei bis verantwortungslos und<br />
bieten somit keine ethische Orientierungshilfe. Hilfreich für Verantwortungsträger sind allein<br />
solche Argumentationslinien, welche systembedingte und diakonisch nicht unmittelbare<br />
beeinflussbare wirtschaftliche Tatsachen mitsamt ihrem Ungerechtigkeitsanteil in die<br />
Entwicklung ethischer Kriterien miteinbeziehen.<br />
10
Wer im Bewusstsein eines ethischen Dilemmas den Wert der Unternehmens<strong>sich</strong>erung und<br />
damit des <strong>Arbeit</strong>splatzerhalts höher einschätzt als den der Lohngleichheit und <strong>sich</strong> dabei<br />
seiner Schuldhaftigkeit bewusst ist, kann <strong>sich</strong> berufen auf Michael Walzer, der unter gewissen<br />
Umständen die Notwendigkeit einer pragmatischen Entscheidung über ihre moralische<br />
Bewertung stellt, auch wenn man <strong>sich</strong> dabei schmutzige Hände holt 26 .<br />
Ein weiteres ethisches Dilemma besteht darin, dass auch <strong>diakonische</strong> Träger dem Grundsatz<br />
ambulant vor stationär gerne zustimmen, trifft er doch das Interesse der <strong>diakonische</strong>n<br />
Klientel. Zugleich aber haben diese Träger ein unternehmerisches Eigeninteresse an einer<br />
hohen Auslastung ihrer stationären Einrichtungen. Zu 95 Prozent im Jahresdurchschnitt muss<br />
eine stationäre Altenpflegeeinrichtung belegt sein, damit sie die Investitionskosten voll<br />
refinanziert bekommt, bei den Personalkosten liegt diese Kennzahl sogar erst bei 98 Prozent.<br />
Jede dauerhaft darunterliegende Prozentgröße muss somit zu einer Personalreduzierung und<br />
zu einem Verlust von <strong>Arbeit</strong>splätzen führen. Da Schwankungen in der Bewohnerzahl<br />
aufgrund der hohen Sterberate von jährlich etwa einem Drittel unvermeidbar sind und da <strong>sich</strong><br />
die Personalquote unmittelbar aus den <strong>sich</strong> ändernden Pflegestufen-Eingruppierung ergibt,<br />
bleiben als Ausweg lediglich eine größere Anzahl von Teilzeitverträgen sowie von befristeten<br />
<strong>Arbeit</strong>sverhältnissen; beide werden von Mitarbeitenden in der Regel nicht sehr geschätzt.<br />
Zudem ist nicht auszuschließen, dass ange<strong>sich</strong>ts eines prognostizierten Notstandes an<br />
Pflegekräften es in wenigen Jahren nötig sein wird, in großer Zahl konfessionslose oder<br />
nichtchristliche Mitarbeitende einzustellen; es wird dann diakonisch abzuwägen sein, ob die<br />
eingegangenen Verpflichtungen gegenüber Hilfebedürftigen und Mitarbeitenden schwerer<br />
wiegen als ein erkennbares christliches Profil.<br />
Wer saubere Hände behalten und schuldfrei bleiben will, sollte in der Diakonie keine<br />
wirtschaftliche Verantwortung übernehmen.<br />
8. Kritik an einer wirtschaftlichen <strong>diakonische</strong>n Ausrichtung<br />
Die Kritik an einer wirtschaftlichen <strong>diakonische</strong>n Ausrichtung und die Warnung vor ihr ist so<br />
alt wie die neuzeitliche Diakonie. Friedrich v. Bodelschwingh schreibt 1894 in seinem Testa-<br />
ment für die Stiftungsvorstände: „Nie soll das Geld Königin sein, sondern die Barmherzigkeit.<br />
26 Vgl. Michael Walzer: Political Action: The Problem of Dirty Hands; Philosophy and Public Affairs 2.1973, 160-<br />
180.<br />
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Hierbei werden <strong>sich</strong> die Anstalten auch materiell am besten stehen. Nicht die festen Kapita-<br />
lien, sondern der Glaube soll die Sicherheit ihres Bestehens sein.“ 27 1930 rät Erich Meyer,<br />
Vorsteher der Stiftung Sarepta, zur „Vor<strong>sich</strong>t …, damit die Innere Mission nicht eine<br />
geschäftliche Angelegenheit würde, eine Gefahr, die ja <strong>sich</strong>erlich nicht gering sei.“ 28 Und<br />
Johannes Busch notiert 1995 in einem streckenweise resignierend klingenden Rückblick: „Oft<br />
waren es ökonomische Zwänge, die das Handeln diktierten; Versuche, die Ökonomie der<br />
‚Diakonie‘ dienstbar zu machen, blieben ein Torso.“ 29<br />
Derartigen Bedenken ist gemeinsam, dass sie in der Ökonomie eine Herrin sehen, obwohl sie<br />
doch eigentlich nur Magd 30 sein sollte. In diesem Verständnis ist ökonomisches Handeln<br />
lediglich ein Uneigentliches, ein Hilfsmittel, um das Eigentliche, nämlich das <strong>diakonische</strong><br />
Handeln, zu ermöglichen. Ich halte diese Denkfigur für nicht hinreichend und ersetze sie<br />
durch eine andere, nämlich durch eine <strong>diakonische</strong> Trias.<br />
9. Fachlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Christlichkeit<br />
In der zweiten von acht „Grundaussagen des Evangelischen Perthes-Werkes“ heißt es: „Wir<br />
gestalten unsere <strong>Arbeit</strong> im Spannungsfeld von Fachlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Christlich-<br />
keit.“ Danach hat das dauerhafte Gelingen von institutionalisierter Diakonie zur Voraussetz-<br />
ung, dass Fachlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Christlichkeit <strong>sich</strong> gegenseitig ergänzen.<br />
Keines der drei Elemente hat in diesem Zusammenhang eine Alleinberechtigung, keines eine<br />
größere Bedeutung als ein anderes, keines ist lediglich Akzidenz, jedes ist Essenz von<br />
Diakonie. Wie bei einem Mobile ist das Gleichgewicht der einzelnen Teile auszutarieren,<br />
damit ihre wechselseitig <strong>sich</strong> beeinflussende Beweglichkeit erhalten bleibt. Nur gemeinsam<br />
schaffen Fachlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Christlichkeit die Bedingungen der Möglichkeit<br />
von Diakonie.<br />
10. Lohnende Diakonie<br />
27<br />
Zitiert bei Martin Gerhardt / Alfred Adam: Friedrich von Bodelschwingh. Ein Lebensbild aus der deutschen<br />
Kirchengeschichte. 2. Band. Das Werk; Bielefeld, unveränderter Nachdruck 1980, 695; „Nie“ im Original<br />
gesperrt.<br />
28<br />
Zitiert bei Norbert Friedrich: Johannes Kunze – Diakonie, Ökonomie und Politik; in Matthias Benad / Kerstin<br />
Winkler (Herausgeber): Bethels Mission (2), 60.<br />
29<br />
Johannes Busch: Wir Theologen der ‚Diakonie‘: Reflexion eines Beteiligten; in Hans Bachmann / Reinhard van<br />
Spankeren (Herausgeber): Diakonie: Geschichte von unten. Christliche Nächstenliebe und kirchliche<br />
Sozialarbeit in Westfalen; Bielefeld 1995, 385.<br />
30<br />
Vgl. Markus Rückert, 57: Die Ökonomie „ist die dienende Funktion <strong>diakonische</strong>r <strong>Arbeit</strong>: … oeconomia ancilla<br />
diaconiae.“<br />
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Die Eingangsfrage „<strong>Wann</strong> ‚<strong>lohnt</strong>‘ <strong>sich</strong> <strong>diakonische</strong> <strong>Arbeit</strong>?“ beantworte ich mithin ausgangs<br />
so: Diakonische <strong>Arbeit</strong> <strong>lohnt</strong> <strong>sich</strong>, wenn sie gelingt im gleichgewichteten Zusammenspiel von<br />
Fachlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Christlichkeit.<br />
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