tionen. Menschen aus aller Herren Länder mit verschiedenen Weltanschauungen sind hierher gezogen. Ein großer Markt der Möglichkeiten. In dieser bunten Gesellschaft herrschen besondere Marktgesetze. Warum werden manche nicht gesund, obwohl sie beten? Wer »etwas verkaufen« will, muss sich zeigen und darf nicht im Verborgenen existieren. Man muss auf die Pauke hauen. Das birgt die Gefahr eines marktschreierischen Christentums. Da ist der Effekt manchmal wichtiger als die Substanz. Außerdem: Wer am Markt Erfolg haben will, braucht ein Alleinstellungsmerkmal: Was haben nur wir und die anderen nicht? Manche in Korinth sagen: »Das Alleinstellungsmerkmal der Christen ist unsere ‚Power’. Das Reich Gottes ist schon hier und heute da. Man kann es sehen durch vorzeigbare Heilungen.« Das ist bereits eine diesseitige »Wellness«-Erfahrung. Die Gegner des Apostels sagen: »Die irdischen Machtdemonstrationen Christi sind unser wichtigstes Potential. Und in den Rahmen dieser Unternehmenskultur passt du, lieber Paulus, leider nicht ganz rein. In deinen Briefen bist du zwar sehr überzeugend, aber wenn die Leute dich sehen und du schmerzverzerrt vor ihnen stehst, dann macht das jede ‚public relation’ kaputt. So etwas Gebrechliches kann doch nicht wirklich von Jesus sein. Wenn du richtig glauben würdest, würdest du strahlen und strotzen vor Gesundheit!« Und nun erzählt Paulus – ähnlich wie ich gerade – ganz offen von seiner Erkrankung. Er hat offensichtlich eine chronische Kolik. Immer wieder überfallen ihn brennende Schmerzen, die wie ein Stachel im Fleisch sind. Paulus erklärt sich die Krankheit mit den hohen Offenbarungen, die er bereits haben durfte. Vielleicht– so deutet er – ist ihm diese Krankheit gegeben, dass er sich nicht überhebe, sondern spürbar erlebt: »Ich lebe noch nicht im Paradies.« Er sucht eine Erklärung und bittet gleichzeitig darum, dass die Krankheit vorbei geht. Er ringt mit Gott: »Dreimal habe ich wegen dieser Krankheit Gott angegangen, gefleht, gebeten.« Die Zahl drei ist hier mehr als nur ein Zahlwort. »Drei« ist die erste Zahl in der Zahlenfolge, die einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat, deswegen gilt sie als Zahl der Vollkommenheit. Das heißt: Mit ganzer Person, mit Leib, Geist und Seele hat Paulus mit Gott gerungen, doch ihm wurden die Schmerzen nicht genommen. Warum wurde sein Gebet nicht erhört? Sagt Jesus im Johannesevangelium nicht, dass alles, was wir in seinem Namen erbitten werden auch geschehen soll (Joh 16,23)? Warum wird Paulus und werden so viele andere Menschen nicht gesund, obwohl sie beten? Im Markusevangelium steht die Geschichte von der Heilung des Gelähmten (Mk 2,1- 12) relativ am Anfang, als hätte sie etwas Vorzeichenhaftes für alles Folgende. Der gelähmte Mann wird von seinen Freunden durchs Dach hindurch Jesus direkt »vor die Füße gelegt«. Dann heißt es: »Als Jesus ihren Glauben sah, da sagte er zu dem Gelähmten: dir sind deine Sünden vergeben.« Wenn wir nur um Gesundung bitten, erbitten wir zu wenig, er will uns viel mehr geben, die Heilung unserer Person. Gott will das Heil der Welt Der zitternde Jesus betet im Garten Gethsemane: »Vater, lass doch diesen bitteren Kelch an mir vorübergehen.« Aber was wäre geschehen, wenn ihm diese Bitte gewährt worden wäre, wenn Jesus nicht am Kreuz, sondern vielleicht vierzig Jahre später friedlich in seinem Bett gestorben wäre? Hätte es dann Erlösung für die Sünde der Welt gegeben? Ihm als Person wäre für eine gewisse Zeit geholfen gewesen, aber Millionen andere wären zugrunde gegangen. Gott will das Heil für die Welt, das ist viel mehr als die Bitte, die Jesus in diesem schwachen Moment ausgesprochen hat. Genauso bei Paulus: Was wäre gewesen, wenn Gott ihn erhört hätte und er wäre gesund geworden? Hätte dann Christus noch so glaubwürdig durch ihn hindurch scheinen und ihn zum Apostel der Völker gebrauchen können? Dreimal habe ich den Herrn darum gebeten, doch er hat mir nur gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Das Wort »Gnade« kommt aus dem Althochdeutschen und heißt soviel wie: Gott ist dir genaht. Gnade ist das Alleinstellungsmerkmal der christlichen <strong>Gemeinde</strong>. In Jesus Christus ist uns Gott nahe, näher als in jeder Religion dieser Welt. Und wo wir krank sind, leer sind, da ist Raum für ihn in unserem Herzen. Wo Christus in uns wohnt, da werden wir seinem Bilde gleich gestaltet, da zeigt er sich durch uns hindurch (Röm 8,28-30). Das Bild Jesu ist nicht das Bild eines »Supermanns«, der ständig lächelt und keine Probleme hat. Das Bild Jesu Christ, ist das Bild des Gekreuzigten. Wo er da ist, ist auch das Kreuz da. Deswegen können unsere tiefsten Stunden die erfülltesten sein. Auf der Intensivstation begegne ich einer sterbenden Frau. Sie fragt mich jammernd: »Warum habe ich solche Schmerzen!« Ich habe sechs Jahre Theologie studiert und bin trotzdem in dieser Situation völlig sprachlos. Nach einer Weile antworte ich unsicher: »Ich kann Ihnen nicht sagen, warum Sie diese Schmerzen leiden müssen, aber ich weiß, dass Jesus für Sie ans Kreuz gegangen ist!« Ich komme mir hilflos vor, merke aber plötzlich, wie das Gesicht dieser Frau sich entspannt und fast ein wenig Strahlen in die Augen kommt: »Ja«, sagt sie, »Jesus kennt meine Schmerzen. Er hat mich lieb!« Diese Frau hat erlebt, was Gnade ist, dass Gott ganz nah ist. In dieser Nacht ist sie nicht gesund geworden, aber sie durfte heil werden und im Frieden heimgehen zu dem Herrn, der alle Tränen abtrocknet. Jesus macht nicht nur gesund. Er will uns viel mehr geben. Er will uns heil machen in der Ganzheit unserer Person. Wir dürfen den Herrn um Gesundung bitten und ihm unser ganzes Herz ausschütten (Psalm 62,9), sicherlich auch mehr als dreimal. Dann aber sollen wir einen Strich unter das Gebet machen und sagen: »Dein Wille geschehe!« 6 7