2000-19 Klinik der primären ziliären Dyskinesie (Clinical features of ...
2000-19 Klinik der primären ziliären Dyskinesie (Clinical features of ...
2000-19 Klinik der primären ziliären Dyskinesie (Clinical features of ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
M. Rutishauser<br />
Schweiz Med Wochenschr <strong>2000</strong>;130:705–10<br />
Universitäts-Kin<strong>der</strong>spital bei<strong>der</strong> Basel<br />
Summary<br />
Zusammenfassung<br />
Einleitung<br />
1 Hauptvortrag anlässlich <strong>der</strong> Jahresversammlung<br />
<strong>der</strong> Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie<br />
(Morschach, 24./25. Juni <strong>19</strong>99)<br />
Kongressbeitrag<br />
<strong>Clinical</strong> <strong>features</strong> <strong>of</strong> primary ciliary dyskinesia<br />
Primary ciliary dyskinesia is a recessively inherited<br />
group <strong>of</strong> disor<strong>der</strong>s with abnormal ciliary<br />
activity leading to disturbed mucociliary<br />
clearance. <strong>Clinical</strong> manifestations as early as<br />
the first year <strong>of</strong> life are recurrent rhinitis, otitis<br />
media, sinusitis and lower respiratory tract infections.<br />
Another typical presentation is situs<br />
inversus. Biopsy <strong>of</strong> the ciliated mucosa in the<br />
nose or bronchi is required for study by vital<br />
microscopy and electronmicroscopy to con-<br />
Die primäre ziliäre <strong>Dyskinesie</strong> ist eine autosomal-rezessiv<br />
vererbte heterogene Krankheit,<br />
die als Merkmal eine gestörte Zilienfunktion<br />
hat. Daraus resultiert eine gestörte mukoziliäre<br />
Clearance. Rezidivierende Infekte <strong>der</strong> oberen<br />
und unteren Luftwege meist bereits im ersten<br />
Lebensjahr sind die Folgen. Deshalb sollte bei<br />
rezidivierenden Rhinitiden, Otitiden, Sinusitiden,<br />
Bronchitiden sowie einem Situs inversus<br />
differentialdiagnostisch an diese Krankheit gedacht<br />
werden und mittels Biopsie <strong>der</strong> Nasenbzw.<br />
Bronchialschleimhaut zur Untersuchung<br />
<strong>der</strong> Zilienfunktion und <strong>der</strong> elektronenmikroskopischen<br />
Struktur die Diagnose gesichert<br />
Die ziliäre <strong>Dyskinesie</strong> ist ein seit <strong>19</strong>76 (Afzelius<br />
[1]) besser bekanntes, autosomal-rezessiv<br />
vererbtes heterogenes Krankheitsbild mit einer<br />
gestörten Zilienfunktion. Der früher von Afzelius<br />
geprägte Begriff «immotiles Zilien-Syndrom»<br />
ist heute zugunsten <strong>der</strong> Bezeichnung<br />
<strong>Klinik</strong> <strong>der</strong> <strong>primären</strong> <strong>ziliären</strong><br />
<strong>Dyskinesie</strong> 1<br />
firm the diagnosis. Early diagnosis is important<br />
for initiation <strong>of</strong> rigorous treatment involving<br />
physiotherapy, inhalation with β2-mimetics<br />
and prompt antibiotic treatment to prevent<br />
irreversible damage such as bronchiectasis.<br />
Compared with cystic fibrosis the prognosis is<br />
better, because ol<strong>der</strong> children can compensate<br />
the absent mucociliary clearance with alwaysfunctioning<br />
cough clearance.<br />
Keywords: chronic bronchitis; sinusitis; mucociliary<br />
clearance; ciliary dyskinesia; Kartagener’s<br />
syndrome<br />
werden. So ist eine frühzeitige Behandlung mittels<br />
Atmungsphysiotherapie, Inhalationen mit<br />
β2-Sympathikomimetika und bei Bedarf Antibiotika<br />
möglich, um das Auftreten von irreversiblen<br />
Folgeschäden, vor allem Bronchiektasen,<br />
zu verhin<strong>der</strong>n. Im Gegensatz zur zystischen<br />
Fibrose ist die Langzeitprognose<br />
besser, da ältere Kin<strong>der</strong> die fehlende mukoziliäre<br />
Clearance mit <strong>der</strong> immer intakten Husten-<br />
Clearance ersetzen können.<br />
Keywords: chronische Bronchitis; Sinusitis;<br />
mukoziliäre Clearance; ziliäre <strong>Dyskinesie</strong>; Kartagener-Syndrom<br />
«primäre ziliäre <strong>Dyskinesie</strong>» aufgegeben worden,<br />
weil die Zilien nicht immer unbeweglich<br />
sind, son<strong>der</strong>n auch ein dyskinetisches Schlagmuster<br />
aufweisen können.<br />
Die Häufigkeit wird heute auf 1:<strong>2000</strong>0 geschätzt,<br />
wobei ethnische Unterschiede beste-<br />
Korrespondenz:<br />
Pr<strong>of</strong>. Dr. med. M. Rutishauser<br />
Blauenweg 1<br />
CH-4102 Binningen<br />
705
Abbildung 1<br />
EM-Zilienstruktur.<br />
1: normale Zilie,<br />
2: fehlende Dyneinarme,<br />
3: fehlende «radial-spokes»,<br />
4: Transposition <strong>der</strong> Mikrotubuli.<br />
<strong>Klinik</strong><br />
706<br />
Kongressbeitrag Schweiz Med Wochenschr <strong>2000</strong>;130: Nr <strong>19</strong><br />
hen. Bereits <strong>19</strong>04 erwähnte Siewert [2] ein<br />
Krankheitsbild mit Situs inversus, Bronchiektasen<br />
und Nasenpolypen, bis dann <strong>der</strong> Zürcher<br />
Internist Kartagener [3] <strong>19</strong>33 die Trias: «Situs<br />
inversus – Bronchiektasen – chronische Sinusitis»<br />
beschrieb, heute eine Unterform <strong>der</strong><br />
<strong>primären</strong> <strong>ziliären</strong> <strong>Dyskinesie</strong>. <strong>19</strong>75 fanden<br />
dann Afzelius et al. [4] und Pe<strong>der</strong>sen und<br />
Rebbe [5] immotile Spermien, <strong>der</strong>en Ursache<br />
ein Dyneinarmdefekt war. Ein Jahr später wies<br />
dann Afzelius beim gleichen Patienten die<br />
Kombination Ultrastrukturdefekt <strong>der</strong> Spermien<br />
und zugleich <strong>der</strong> respiratorischen Zilien<br />
nach und prägte den Begriff «immotiles Zilien-<br />
Syndrom». Sleigh [6] än<strong>der</strong>te <strong>19</strong>81 mit Recht<br />
den Namen und bezeichnete die Krankheit als<br />
«primäre ziliäre <strong>Dyskinesie</strong>». <strong>19</strong>81 wurde man<br />
auf die nötige Differentialdiagnose gegenüber<br />
einer sekundären <strong>ziliären</strong> <strong>Dyskinesie</strong> aufmerksam<br />
[7]. Bei fehlen<strong>der</strong> o<strong>der</strong> gestörter Zilienaktivität<br />
kommt es zu einer ungenügenden o<strong>der</strong><br />
fehlenden muko<strong>ziliären</strong> Clearance, was sich<br />
vor allem im Bereich des Respirationstrakts<br />
Die klinischen Symptome sind unabhängig<br />
vom ultrastrukturellen Defekt immer die<br />
gleichen und ergeben sich einerseits aus <strong>der</strong><br />
Dysfunktion, an<strong>der</strong>seits aus <strong>der</strong> Zilienlokalisation.<br />
Die meisten Patienten zeigen bereits nach <strong>der</strong><br />
Geburt Symptome im Sinne eines neonatalen<br />
Atemnotsyndroms, d.h. einer Fruchtwasseraspiration<br />
mit eventueller sekundärer Pneumonie.<br />
Weitere Manifestationen in <strong>der</strong> frühen<br />
Säuglingszeit sind mukopurulente Rhinitiden<br />
und eventuell bereits Otitiden. Eine frühzeitig<br />
festgestellte Dextrokardie o<strong>der</strong> ein totaler Situs<br />
inversus weist ebenfalls in Richtung Ziliendysfunktion.<br />
In letzter Zeit sind auch Zu-<br />
auswirkt. Weil dieser wichtige Abwehrmechanismus<br />
fehlt, kommt es zu rezidivierenden und<br />
chronischen Infekten, d.h. Rhinitiden, Sinusitiden,<br />
Otitiden, Bronchitiden und Pneumonien,<br />
bereits im frühen Säuglingsalter. Bei einer solchen<br />
klinischen Symptomatik sollte man neben<br />
<strong>der</strong> 10mal häufigeren zystischen Fibrose, dem<br />
seltenen angeborenen Immundefekt und angeborenen<br />
Missbildungen im Bereich des Respirationstrakts<br />
deshalb stets auch an eine<br />
«primäre ziliäre <strong>Dyskinesie</strong>» denken.<br />
Motile Zilien gibt es im menschlichen Körper<br />
vor allem im Bereich des Respirationstrakts,<br />
des Mittelohrs, des männlichen und weiblichen<br />
Genitaltrakts, des Ependyms und des Rückenmarkkanals.<br />
Jede bronchiale Epithelzelle enthält etwa 200<br />
Zilien mit 6–7 µm Länge und etwa 0,2 µm<br />
Breite. Die Ultrastruktur <strong>der</strong> Zilien hat typischerweise<br />
im Querschnitt eine «9 + 2»-Konfiguration:<br />
2 zentrale Mikrotubuli und 9 periphere<br />
Doppelmikrotubuli (Abb. 1; 1).<br />
Diese Strukturen, unter dem Betriff Axonema<br />
zusammengefasst, sind in einer zytoplasmatischen<br />
Matrix eingebettet und durch ordnende<br />
Elemente (Radialspeichen, Nexin-Verbindungen)<br />
und Dyneinarme miteinan<strong>der</strong> verbunden.<br />
Die Bewegung <strong>der</strong> einzelnen Zilien ist peitschenschlagartig<br />
mit einer schnellen Aktivphase<br />
und einer langsamen Erholungsphase.<br />
Die koordinierte Bewegung <strong>der</strong> dicht nebeneinan<strong>der</strong><br />
stehenden Zilien geschieht in einer<br />
metachronen Phase, so dass eine För<strong>der</strong>bewegung<br />
entsteht, die gemessen werden kann. Die<br />
Zilien schlagen in einer Frequenz von<br />
10–16/sec. So entsteht eine Geschwindigkeit<br />
<strong>der</strong> muko<strong>ziliären</strong> Clearance von 5–7 mm/min<br />
in <strong>der</strong> Nase und von 10–24 mm/min in <strong>der</strong> Trachea<br />
und grossen Bronchien.<br />
satzmissbildungen wie komplexe Herzfehler,<br />
Ösophagusatresien, biliäre Atresie o<strong>der</strong> ein<br />
Hydrozephalus (Ependym-Zilien?) beschrieben<br />
worden [8].<br />
Später als Kleinkind manifestiert sich die<br />
Erkrankung als klassische Trias: Bronchitis –<br />
Sinusitis – Otitis. Aber auch ein atypisches<br />
Asthma bronchiale, eine Polyposis nasi, unklare<br />
Bronchiektasen o<strong>der</strong> eine Mittelohrschwerhörigkeit<br />
lassen an eine primäre ziliäre<br />
<strong>Dyskinesie</strong> denken. Beim Erwachsenen wird<br />
man eventuell bei einer männlichen Sterilität<br />
o<strong>der</strong> einer extrauterinen Gravidität auf die<br />
richtige Diagnose aufmerksam.<br />
Wie geht man nun vor bei einer klinischen
Fallbeschreibung<br />
Schweiz Med Wochenschr <strong>2000</strong>;130: Nr <strong>19</strong><br />
Kongressbeitrag<br />
Verdachtsdiagnose? Wichtig ist, dass man nach<br />
typischer Anamnese und <strong>Klinik</strong> die entsprechenden<br />
Vorabklärungen mit einem Thorax-<br />
Röntgenbild, eventuell einer Dünnschicht-<br />
Computertomographie (HR-CT), einem Sinus-<br />
Röntgenbild und bei älteren kooperativen<br />
Patienten auch eine Lungenfunktionsprüfung<br />
durchführt. Letztere zeigt wie bei <strong>der</strong> zystischen<br />
Fibrose eine obstruktive Ventilationsstörung<br />
mit einer Lungenüberblähung und<br />
eventuell «trapped air». Hat man die übrigen<br />
als Differentialdiagnose in Frage kommenden<br />
Krankheiten wie die zystische Fibrose, einen<br />
Immundefekt und bronchopulmonale Missbildungen<br />
ausgeschlossen, so sollte als nächster<br />
Schritt die Nasenschleimhautbiopsie zur<br />
Ziliendiagnostik durchgeführt werden. Auch<br />
eine Bronchoskopie mit Bronchialschleimhautbiopsie<br />
erbringt ein identisches Resultat, da <strong>der</strong><br />
gleiche ultrastrukturelle Defekt sowohl in <strong>der</strong><br />
Nase als auch in den Bronchien vorhanden ist.<br />
Wichtig ist, dass die Untersuchung möglichst<br />
in einem infektfreien Intervall durchgeführt<br />
wird. Der früher bei Kin<strong>der</strong>n über 10 Jahren<br />
durchgeführte Saccharin-Test als Screening-<br />
Methode ist heute wie<strong>der</strong> verlassen worden [9].<br />
Ein seit <strong>19</strong>94 mögliches Screening wäre die<br />
Bestimmung des Stickoxids (NO) in <strong>der</strong> Ausatmungsluft<br />
[10]. Dies ist bei <strong>der</strong> <strong>primären</strong><br />
<strong>ziliären</strong> <strong>Dyskinesie</strong> ausserordentlich tief. Bis<br />
Zur Illustration möchte ich nun auf unsere eigenen Patienten, die<br />
wir seit <strong>19</strong>82 beobachten konnten, eingehen (Tab. 1). Beschrieben<br />
wird eine Familie mit 2 betr<strong>of</strong>fenen Schwestern (daneben 3 gesunde<br />
Geschwister) und <strong>der</strong>en Cousin, um die typische Anamnese, <strong>Klinik</strong><br />
und strukturelle Zilienbefunde zu illustrieren.<br />
Die heute 22jährige A. S. wurde einige Stunden nach <strong>der</strong> Geburt wegen<br />
eines Atemnot-Syndroms in unsere <strong>Klinik</strong> verlegt. Aufgrund des<br />
Röntgenbefunds (Abb. 2) wurde eine Aspiration mit beginnen<strong>der</strong><br />
Pneumonie diagnostiziert und entsprechend behandelt. In <strong>der</strong> Folge<br />
litt das Mädchen während des 1. Lebensjahres immer wie<strong>der</strong> an<br />
mukopurulenten Rhinitiden und obstruktiven Bronchitiden. Auch<br />
in den folgenden Jahren wie<strong>der</strong>holten sich zum Teil schwere Infekte<br />
<strong>der</strong> oberen und unteren Luftwege, so dass die Abklärung im Alter<br />
von 5 Jahren erfolgte. Bei <strong>der</strong> klinischen Untersuchung fielen ein<br />
beidseitiger chronischer Tubenmittelohrkatarrh mit vermin<strong>der</strong>tem<br />
Hörvermögen, eine chronische Rhinitis, eine beidseitige Sinusitis<br />
Tabelle 1<br />
30 Patienten (16 Knaben, 14 Mädchen)<br />
mit ziliärer <strong>Dyskinesie</strong> am Basler<br />
Kin<strong>der</strong>spital (von <strong>19</strong>82–<strong>19</strong>98);<br />
Alter bei Diagnosestellung:<br />
4 Tage bis 13 Jahre.<br />
jetzt hat sich <strong>der</strong> NO-Test jedoch noch nicht<br />
als Screening-Test durchgesetzt.<br />
Bei <strong>der</strong> Funktionsanalyse im Lichtmikroskop<br />
<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Biopsie gewonnenen Zilien wird die<br />
Motilität beobachtet und beurteilt. Die Zilienschlagfrequenz<br />
sollte normalerweise nicht unter<br />
10 Hz betragen. Eine Zilienlänge von über<br />
10 µm ist ebenfalls pathologisch.<br />
Zugleich wird auch die elektronenmikroskopische<br />
Struktur <strong>der</strong> Zilien angesehen. Bei 100–<br />
200 analysierten Zilien sollte einer <strong>der</strong> typischen<br />
Strukturdefekte in über 20% gefunden<br />
werden [11]. Folgende häufige Defekte (evtl.<br />
kombiniert) sind bis jetzt gefunden worden<br />
(Abb. 1; 2–4): Dyneindefekte (innere und<br />
äussere Arme) (Abb. 1; 2), Radialspeichendefekte<br />
(Abb. 1; 3), mikrotubuläre Defekte (Abb.<br />
1; 4). Auch auf die Ausrichtung <strong>der</strong> Zilien sollte<br />
geachtet werden, da eine primäre ziliäre <strong>Dyskinesie</strong><br />
auch ohne ultrastrukturelle Defekte<br />
vorkommen kann [12]. Wichtig ist bei <strong>der</strong> Analyse<br />
die Unterscheidung gegenüber sekundären<br />
Zilienverän<strong>der</strong>ungen. Solche Verän<strong>der</strong>ungen<br />
findet man vor allem bei unspezifischen chronischen<br />
Bronchitiden, bei Rauchern, bei <strong>der</strong> zystischen<br />
Fibrose usw. Typisch sind dort «Compound-Zilien»,<br />
Extratubuli und nur wenig periphere,<br />
mikrotubuläre Abnormitäten [13]. Im<br />
Zweifelsfall muss eventuell eine Zilienkultur<br />
durchgeführt werden [14].<br />
maxillaris (Abb. 3) sowie <strong>der</strong> Lungenbefund einer obstruktiven<br />
Bronchitis auf. Das Thorax-Röntgenbild zeigte eine ausgeprägte<br />
Überblähung mit peribronchialen Verän<strong>der</strong>ungen. Bronchoskopisch<br />
fand man eine chronisch eitrige Bronchitis und in <strong>der</strong> Bronchographie<br />
zylindrische Bronchiektasen im linken Unterlappen. Bei <strong>der</strong><br />
Zilienanalyse fand man ein dyskinetisches Schlagmuster mit einer<br />
Frequenz von unter 10 Hz und einem kombinierten ultrastrukturellen<br />
Defekt, d.h. einem Radiärspeichendefekt mit exzentrischer<br />
Lokalisation des zentralen Mikrotubulipaares und einem Fehlen<br />
<strong>der</strong> inneren Dyneinarme. Die im Alter von 8 Jahren erstmals durchgeführte<br />
Lungenfunktion wies eine mittelschwere obstruktive Ventilationsstörung<br />
mit deutlicher Lungenüberblähung auf. Der bis<br />
zum 12. Lebensjahr relativ schwere Verlauf besserte sich in <strong>der</strong><br />
Folge. Regelmässige Inhalationen mit topischen Steroiden und β2-<br />
Sympathikomimetika beeinflussten die sekundäre bronchiale Hyperreaktivität<br />
günstig. Rezidivierende bronchiale Infekte machten zum<br />
klinische Symptome Atemnot-Syndrom 9/30 30%<br />
Rhinitis als Sgl. 30/30 100%<br />
Sinusitis 30/30 100%<br />
Otitis media 23/30 77%<br />
Bronchitis-Pneumonie 30/30 100%<br />
Bronchiektasen 5/30 17%<br />
Situs inversus 10/30 33%<br />
komplexes Herzvitium 1/30 3%<br />
707
708<br />
Abbildung 2<br />
Thorax-Röntgenbild A. S. im Alter von<br />
3 Tagen. Leichte Lungenüberblähung<br />
und feinfleckig-streifige Verän<strong>der</strong>ungen<br />
vor allem in beiden Oberlappen<br />
und im linken Unterlappen.<br />
Abbildung 3<br />
Sinus-Röntgenaufnahme A. S. im Alter von 5 Jahren.<br />
Beidseitig totale Verschattung bei<strong>der</strong> Sinus maxillares.<br />
Sinus frontales noch nicht angelegt.<br />
Abbildung 4<br />
Kongressbeitrag Schweiz Med Wochenschr <strong>2000</strong>;130: Nr <strong>19</strong><br />
Thorax-Abdomen-Übersicht R. S. im Alter von 5 Tagen:<br />
Situs inversus totalis.
Schweiz Med Wochenschr <strong>2000</strong>;130: Nr <strong>19</strong><br />
Teil einen längeren Gebrauch von Antibiotika nötig. Bei einer HR-<br />
CT-Kontrolle mit 21 Jahren sah man keine Progredienz <strong>der</strong> Bronchiektasen<br />
im linken Unterlappen.<br />
Die jetzt 15jährige Schwester R. S. wurde im Alter von 3 Tagen<br />
wegen einer Aspirationspneumonie und einer beidseitigen Rhinitis<br />
in unsere <strong>Klinik</strong> verlegt. Im Thorax-Röntgenbild (Abb. 4) sah man<br />
den typischen Situs inversus des Kartagener-Syndroms. Die Ziliendiagnose<br />
wurde später mittels einer Nasenschleimhautbiopsie gemacht<br />
und zeigte den gleichen kombinierten Defekt wie bei <strong>der</strong><br />
Schwester. Der klinische Verlauf war bis zum 10. Lebensjahr nicht<br />
so schwer wie bei <strong>der</strong> älteren Schwester. Es dominierten Otitiden<br />
und Sinusitiden. Erst später gesellten sich obstruktive Bronchitiden<br />
dazu. Die Lungenfunktion zeigte ebenfalls eine mittelschwere obstruktive<br />
Störung mit leichter Lungenüberblähung. Ein HR-CT<br />
wurde bis jetzt nicht durchgeführt. Die Therapie ist die gleiche wie<br />
bei <strong>der</strong> Schwester.<br />
Der Cousin, <strong>der</strong> jetzt 20jährige P. V., war uns ebenfalls seit dem 1.<br />
Lebensjahr bekannt. Die Zuweisung erfolgte wegen eines neonatalen<br />
Atemnot-Syndroms am ersten Lebenstag. Im Thorax-Röntgenbild<br />
fand man eine Aspirationspneumonie, die sich auch unter Antibiotika<br />
nur langsam zurückbildete. In <strong>der</strong> Folge, d.h. in den ersten<br />
2 Lebensjahren, traten dann gehäuft Otitiden, Rhinitiden und<br />
Therapie<br />
Abbildung 5<br />
Thorax-Röntgenbild P. V. im Alter von 18 Jahren:<br />
deutliche Lungenüberblähung und peribronchiale<br />
Verän<strong>der</strong>ungen vor allem hilusnah.<br />
Kongressbeitrag<br />
Grundpfeiler <strong>der</strong> Behandlung ist wie bei <strong>der</strong><br />
zystischen Fibrose die Sekretmobilisation sowie<br />
die Prävention und Behandlung <strong>der</strong> rezidivierenden<br />
respiratorischen Infekte. Für die<br />
Sekretelimination sind eine intensive Atem-<br />
Physiotherapie (autogene Drainage, Flutter,<br />
PEP-Maske) und eine antiobstruktive Inhalationstherapie<br />
(β2-Sympathikomimetika) mittels<br />
Düsen-Vernebler nötig. Die Therapie <strong>der</strong><br />
bakteriellen Atemwegsinfekte (hauptsächlich<br />
Pneumokokken und Haemophilus influenzae)<br />
besteht aus einer frühzeitigen konsequenten<br />
antibiotischen Therapie, eventuell während<br />
vor allem obstruktive Bronchitiden mit ausgeprägter Asthma-Symptomatik<br />
auf. Im Alter von 4 Jahren wurde die pneumologische<br />
Abklärung durchgeführt, wo man per Zufall die Verwandtschaft<br />
zur früher abgeklärten Cousine A. S. realisierte. Bei <strong>der</strong> klinischen<br />
Untersuchung fand man bei P. V. einen chronischen Tubenmittelohrkatarrh,<br />
eine chronische Rhinitis und Sinusitis maxillaris sowie<br />
bei <strong>der</strong> physikalischen Lungenuntersuchung den typischen Befund<br />
einer obstruktiven Bronchitis. Die Bronchoskopie zeigte wie bei <strong>der</strong><br />
Cousine A. S. eine teilweise deformierende, chronisch eitrige Bronchitis,<br />
in <strong>der</strong> Bronchographie jedoch noch keine Bronchiektasen. Im<br />
Alter von 7 Jahren wurde die Lungenfunktionsdiagnostik nachgeholt,<br />
die eine schwere obstruktive Störung mit ausgeprägter<br />
Lungenüberblähung zeigte. In <strong>der</strong> Folge blieb bei P.V. die Asthmasymptomatik<br />
im Vor<strong>der</strong>grund und besserte sich unter regelmässiger<br />
Inhalation mit β2-Sympathikomimetika und topischen Steroiden.<br />
Rezidivierende bronchopulmonale Infekte wurden jeweils längere<br />
Zeit mit Antibiotika behandelt. Zurzeit ist <strong>der</strong> pulmonale Zustand<br />
befriedigend. P.V. treibt regelmässig Sport und absolviert erfolgreich<br />
eine Handwerkerlehre. Das Thorax-Bild im Alter von 18 Jahren<br />
ist auf Abbildung 5 zu sehen. Im HR-CT finden sich noch keine<br />
Bronchiektasen.<br />
längerer Zeit. Zur Überwachung <strong>der</strong> bakteriellen<br />
Besiedelung sind bei älteren Kin<strong>der</strong>n<br />
regelmässige Sputumkontrollen nötig. Eine<br />
Impfung gegen Pneumokokken ist empfehlenswert.<br />
Bei rezidivierenden Otitiden und Sinusitiden<br />
sind unbedingt fachspezifische ORL-<br />
Konsilien indiziert (Gehörkontrollen, Paukendrainage,<br />
Sinus-Spüldrainage, Polypektomie<br />
usw.).<br />
Im Gegensatz zur zystischen Fibrose ist die Husten-Clearance<br />
normal. Dies erklärt auch den<br />
günstigeren Verlauf mit zunehmendem Alter.<br />
Mit frühzeitiger Diagnosestellung und konse-<br />
709
Literatur<br />
710<br />
Kongressbeitrag Schweiz Med Wochenschr <strong>2000</strong>;130: Nr <strong>19</strong><br />
quenter konservativer Therapie können heute<br />
sicher Bronchiektasen vermieden werden. Im<br />
Gegensatz zur zystischen Fibrose ist die<br />
Lebensqualität <strong>der</strong> Patienten mit primärer<br />
ziliärer <strong>Dyskinesie</strong> nicht wesentlich eingeschränkt<br />
und die Lebenserwartung kaum vermin<strong>der</strong>t.<br />
Ausblick in die Zukunft<br />
In <strong>der</strong> heterogenen Gruppe <strong>der</strong> Zilienfunktionsstörungen<br />
sind heute noch viele Faktoren<br />
unbekannt. Deshalb ist eine Intensivierung<br />
1 Afzelius BA. A human syndrome caused by immotile cilia.<br />
Science <strong>19</strong>76;<strong>19</strong>3:317–9.<br />
2 Siewert A. Über einen Fall von Bronchiektasie bei einem<br />
Patienten mit Situs inversus viscerum. Berl Klin Wochenschr<br />
<strong>19</strong>04;41:139–41.<br />
3 Kartagener M. Zur Pathogenese <strong>der</strong> Bronchiektasen. I. Mitteilung:<br />
Bronchiektasen bei Situs inversus viscerum. Beitr<br />
Klin Tuberk <strong>19</strong>33;83:498–501.<br />
4 Afzelius BA, Eliasson R, Johnson O, Lindholmer C. Lack <strong>of</strong><br />
dynein arms in immobile human spermatozoa. J Cell Biol<br />
<strong>19</strong>75;66:225–32.<br />
5 Pe<strong>der</strong>sen H, Rebbe H. Absence <strong>of</strong> arms in the axoneme <strong>of</strong><br />
immotile human spermatozoa. Biol Reprod <strong>19</strong>75;12:541–4.<br />
6 Sleigh MA. Primary ciliary dyskinesia [letter]. Lancet <strong>19</strong>81/II:<br />
476.<br />
7 Afzelius BA. “Immotile cilia” syndrome and ciliary abnormalities<br />
induced by infection and injury. Am Rev Respir<br />
Dis <strong>19</strong>81;124:107–9.<br />
8 Gemou Engesaeth V, Warner JO, Bush A. New associations<br />
<strong>of</strong> primary ciliary dyskinesia syndrome. Pediatr Pulmonol<br />
<strong>19</strong>93;16:9–12.<br />
9 Stanley P, Macwilliam L, Greenstone M, Mackay I, Cole P.<br />
Efficacy <strong>of</strong> a saccharin test to detect abnormal mucociliary<br />
clearance. Br J Dis Chest <strong>19</strong>84;78:62–5.<br />
<strong>der</strong> Forschung nötig. Bei den eingeschränkten<br />
Patientenzahlen in den verschiedenen Zentren<br />
kann nur eine koordinierte internationale Zusammenarbeit<br />
weiterführen. Neue diagnostische<br />
Möglichkeiten wie Zilienkulturen zur<br />
Unterscheidung von sekundären Verän<strong>der</strong>ungen<br />
[15] und die Möglichkeit <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong><br />
verschiedenen verantwortlichen Gene sind<br />
dabei hilfreich. Daraus ergibt sich später auch<br />
Definition <strong>der</strong> <strong>ziliären</strong> Strukturverän<strong>der</strong>ungen<br />
und ihrer Untergruppen (Mutationen) sowie<br />
die Möglichkeit einer eventuellen kausalen<br />
Therapie.<br />
10 Lundberg JON, Nordvall SL, Weitzberg E, Kollberg H,<br />
Alving K. Primarily nasal origin <strong>of</strong> exhaled nitric oxide and<br />
absence in Kartagener’s syndrome. Eur Respir J <strong>19</strong>94;7:<br />
1501–4.<br />
11 Jorissen M, Cassiman JJ. Relevance <strong>of</strong> the ciliary ultrastructure<br />
in primary ciliary dyskinesia. A review. Am J Rhinol<br />
<strong>19</strong>91;5:91–101.<br />
12 De Iongh R, Rutland J. Orientation <strong>of</strong> respiratory tract cilia<br />
in patients with primary ciliary dyskinesia, bronchiectasis<br />
and in normal subjects. J Clin Pathol <strong>19</strong>89;42:613–9.<br />
13 Lurie M, Rennert G, Goldenberg S, Rivlin J, Greenberg E,<br />
Katz I. Ciliary ultrastructure in primary ciliary dyskinesia<br />
and other chronic respiratory conditions: the relevance <strong>of</strong><br />
microtubular abnormalities. Ultrastruct Pathol <strong>19</strong>92;16:<br />
547–53.<br />
14 Jorissen M, Betrand B. Ciliary dyskinesia in the nose and<br />
paranasal sinus. Acta Otolaryngol Belge <strong>19</strong>97;51:353–60.<br />
15 Gibbons BH, Asai DJ, Tang W-JY, et al. Phylogeny and<br />
expressions <strong>of</strong> axonemal and cytoplasmic dynein genes in sea<br />
urchins. Mol Biol Cell <strong>19</strong>94;5:57–70.