Hebammen im Auslandeinsatz Les sages-femmes en mission à l ...
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Am schl<strong>im</strong>mst<strong>en</strong> war<strong>en</strong> die Schüsse<br />
in der Nacht ...<br />
– ein Interview mit Martina Gisin, Basel<br />
Martina Gisin<br />
ist <strong>Hebamm<strong>en</strong></strong>fachverantwortliche<br />
MSc und arbeitet<br />
in der Geburts- und Schwanger<strong>en</strong>abteilung<br />
am Universitätsspital<br />
Basel. Sie nahm<br />
in d<strong>en</strong> vergang<strong>en</strong><strong>en</strong> 10 Jahr<strong>en</strong><br />
als Hebamme bei Entwicklungshilfeeinsätz<strong>en</strong><br />
in<br />
Afghanistan (Mai 2000 bis<br />
Dezember 2000 zur Zeit der Talibanregierung), in<br />
Somalia (Mai 2011 bis Februar 2002), in Sierra Leone<br />
(Oktober 2002 bis März 2003) teil. Im Oktober<br />
2010 war sie <strong>im</strong> Auftrag der DEZA (Direktion für<br />
Entwicklung und Zusamm<strong>en</strong>arbeit) und dem<br />
Schweizerisch<strong>en</strong> Trop<strong>en</strong>- und Public Health-Institut<br />
für ein<strong>en</strong> einwöchig<strong>en</strong> Kurzeinsatz in Moldawi<strong>en</strong>.<br />
Wolfgang Wettstein: Frau Gisin, Sie<br />
war<strong>en</strong> an verschied<strong>en</strong><strong>en</strong> Ort<strong>en</strong> der Welt<br />
als Hebamme tätig. Für welche Organisation<strong>en</strong><br />
war<strong>en</strong> Sie <strong>im</strong> Ausland tätig?<br />
Martina Gisin: In Afghanistan, in Somalia<br />
und in Sierra Leone arbeitete ich <strong>im</strong><br />
Auftrag von Médecins Sans Frontières. In<br />
Moldawi<strong>en</strong> war ich mit Prof. Ir<strong>en</strong>e Hösli,<br />
<strong>im</strong> Auftrag der DEZA und dem Trop<strong>en</strong>und<br />
Public Health-Institut der Universität<br />
Basel. Der Einsatz dauerte eine Woche<br />
und wir war<strong>en</strong> <strong>im</strong> Rahm<strong>en</strong> des «Moldova<br />
Swiss Perinatology Project» in der Frau<strong>en</strong>klinik<br />
des Spitals in Chis¸ inău, der Hauptstadt<br />
Moldawi<strong>en</strong>s.<br />
Welche Aufgab<strong>en</strong> hatt<strong>en</strong> Sie jeweils<br />
währ<strong>en</strong>d Ihr<strong>en</strong> Auslandeinsätz<strong>en</strong>?<br />
In Afghanistan, Somalia und Sierra<br />
Leone habe ich Lai<strong>en</strong>hebamm<strong>en</strong> und<br />
<strong>Hebamm<strong>en</strong></strong> ausgebildet, sowie Geburt<strong>en</strong>-<br />
und Schwanger<strong>en</strong>abteilung<strong>en</strong> aufgebaut<br />
– und in Somalia war ich ganz besonders<br />
mit der Beschneidung der Frau<strong>en</strong><br />
und d<strong>en</strong> gesundheitlich<strong>en</strong> und psychisch<strong>en</strong><br />
Problem<strong>en</strong>, die daraus <strong>en</strong>tsteh<strong>en</strong>,<br />
konfrontiert. Im Projekt in Moldawi<strong>en</strong><br />
steht die klinische Qualitätsverbesserung<br />
in der Klinik <strong>im</strong> Z<strong>en</strong>trum, mit dem<br />
Schwerpunkt auf die Geburtshilfe sowie<br />
die Förderung der Rolle der Hebamme.<br />
D<strong>en</strong>k<strong>en</strong> Sie daran, Moldawi<strong>en</strong> ist das<br />
ärmste Land Europas, die Zustände sind<br />
<strong>im</strong> Geg<strong>en</strong>satz zur Schweiz sehr einfach<br />
und dürftig. Die empfohl<strong>en</strong><strong>en</strong>, aufgeführt<strong>en</strong><br />
Medikam<strong>en</strong>te fehl<strong>en</strong> oft, die Bett<strong>en</strong><br />
sind sehr veraltet, sanitäre Anlag<strong>en</strong><br />
und besteh<strong>en</strong>de Stromanschlüsse funk-<br />
16 Hebamme.ch<br />
12/2011 Sage-femme.ch<br />
tionier<strong>en</strong> nur teilweise und es gibt kaum<br />
Desinfektionsmittel.<br />
Wie hab<strong>en</strong> sich die Einsätze in d<strong>en</strong><br />
verschied<strong>en</strong><strong>en</strong> Ländern voneinander<br />
unterschied<strong>en</strong>? Welcher Einsatz war<br />
der schwierigste?<br />
Afghanistan, Somalia und Sierra Leone<br />
sind Kriegs- und Konfliktgebiete. Alle Länder<br />
sind sehr arm, von jahrelangem Bürgerkrieg<br />
geprägt, in d<strong>en</strong><strong>en</strong> kaum Rechtssicherheit<br />
besteht. Eine funktionier<strong>en</strong>de<br />
Zivilgesellschaft gibt es nach unserem Verständnis<br />
nicht. Die Rolle, die Situation der<br />
Frau<strong>en</strong> ist geprägt von Unterdrückung,<br />
Gewalt und Ohnmacht. Sie hab<strong>en</strong> kaum<br />
Aussicht<strong>en</strong> auf ein selbstbest<strong>im</strong>mtes<br />
Leb<strong>en</strong> – und ich versuche dabei nicht mit<br />
einer «europäisch<strong>en</strong> Brille» auf diese Länder<br />
zu schau<strong>en</strong>. Aber die Situation der<br />
Frau<strong>en</strong> und der Mädch<strong>en</strong> hat mich <strong>im</strong>mer<br />
wieder sehr beschäftigt, ja, trotz all dem<br />
Schön<strong>en</strong>, das ich mit ihn<strong>en</strong> erleb<strong>en</strong> durfte,<br />
auch <strong>im</strong>mer wieder beel<strong>en</strong>det.<br />
In all dies<strong>en</strong> Ländern muss man unter<br />
einfachst<strong>en</strong> Bedingung<strong>en</strong> leb<strong>en</strong>. Oft ohne<br />
Strom, ohne fliess<strong>en</strong>des Wasser ...<br />
Der Einsatz in Somalia war der schwierigste<br />
und gefährlichste von all<strong>en</strong>. Wir<br />
hatt<strong>en</strong> ein<strong>en</strong> bewaffnet<strong>en</strong> Leibwächter,<br />
der uns 24 Stund<strong>en</strong> begleitete. Diese absolute<br />
Willkür, dieser Raum ohne Recht,<br />
die Gewalt, die Angst vor dem Ander<strong>en</strong> –<br />
am schl<strong>im</strong>mst<strong>en</strong> war<strong>en</strong> die Schüsse in der<br />
Nacht, jede Nacht, keine Nacht in der man<br />
in Ruhe schlaf<strong>en</strong> konnte... auch jetzt,<br />
Jahre danach, sind Tage wie der 1. August<br />
und der 1. Januar mit d<strong>en</strong> Feuerwerk<strong>en</strong><br />
keine schön<strong>en</strong> Tage mehr – ich gehe ins<br />
Bett und verstopfe mir die Ohr<strong>en</strong>.<br />
In Afghanistan, zur Zeit der Talibanregierung,<br />
war das Leb<strong>en</strong> der Frau<strong>en</strong> auch<br />
geprägt von Unterdrückung und Hoffnungslosigkeit.<br />
Ich musste mit einem<br />
Kopftuch auf die Strasse, mit einem Mann<br />
durfte ich nur über ein<strong>en</strong> Übersetzer sprech<strong>en</strong>,<br />
ein<strong>en</strong> Mann anschau<strong>en</strong> durfte ich<br />
nicht, aber es herrschte nicht so eine<br />
unmittelbare Willkür und Angst wie in<br />
Somalia. Nachdem ich der Frau eines<br />
Oberhaupts der Taliban bei der Geburt geholf<strong>en</strong><br />
hatte, g<strong>en</strong>oss ich auch ein<strong>en</strong> gewiss<strong>en</strong><br />
Respekt und Schutz.<br />
In Sierra Leone, das Land ist ja von<br />
einem jahrelang<strong>en</strong> Bürgerkrieg zerrüttet,<br />
schockierte mich ganz besonders die<br />
Gleichgültigkeit bzw. das völlige Fehl<strong>en</strong><br />
des Zusamm<strong>en</strong>halts unter d<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>,<br />
kein «füreinander einsteh<strong>en</strong>». Ich<br />
weiss, nach Jahr<strong>en</strong> des Krieges sind die<br />
M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> geprägt von all dem Schl<strong>im</strong>m<strong>en</strong>,<br />
das sie seh<strong>en</strong> und erleb<strong>en</strong> musst<strong>en</strong>,<br />
die Zivilgesellschaft in Sierre Leone war<br />
dadurch aufgelöst. Mein Auftrag war es,<br />
eine Geburtsabteilung aufzubau<strong>en</strong>. Das<br />
war sehr schwierig, d<strong>en</strong>n die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />
sah<strong>en</strong> nicht ein, wozu das d<strong>en</strong>n gut sei,<br />
d<strong>en</strong>n Aufgebautes konnte am nächst<strong>en</strong><br />
Tag bereits wieder zerstört sein.<br />
In Moldawi<strong>en</strong> war ich, trotz der Armut<br />
und der w<strong>en</strong>ig<strong>en</strong> Zukunftschanc<strong>en</strong>, die<br />
die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> hab<strong>en</strong>, überrascht. Die<br />
Gastfreundschaft war gross und wir<br />
wurd<strong>en</strong> herzlich empfang<strong>en</strong>. Die Männer<br />
sind bei d<strong>en</strong> Geburt<strong>en</strong> oft dabei, Still<strong>en</strong><br />
wird sehr gefördert, aus der gross<strong>en</strong><br />
Not werd<strong>en</strong> oft Tug<strong>en</strong>d<strong>en</strong> – das heisst,<br />
man <strong>im</strong>provisiert, schaut zueinander, die<br />
Frau<strong>en</strong> sind tapfer und versuch<strong>en</strong>, das<br />
Beste aus der jeweilig<strong>en</strong> Situation zu<br />
mach<strong>en</strong>.<br />
Welche Tipps und Ratschläge könn<strong>en</strong><br />
Sie <strong>Hebamm<strong>en</strong></strong> geb<strong>en</strong>, die sich für ein<strong>en</strong><br />
<strong>Auslandeinsatz</strong> interessier<strong>en</strong>?<br />
Wichtig ist, dass man über mehrere<br />
Jahre Berufserfahrung verfügt, um<br />
schwierige Situation<strong>en</strong> fachlich und persönlich<br />
besser zu meistern, vor allem bei<br />
Einsätz<strong>en</strong> in Kris<strong>en</strong>- und Konfliktgebiet<strong>en</strong>.<br />
Die Einsätze sind zwar eine grosse<br />
Chance, ein<strong>en</strong> etwas ander<strong>en</strong> Blick auf<br />
die Welt zu find<strong>en</strong>, d<strong>en</strong> Horizont zu erweitern,<br />
aber man sollte sich der hart<strong>en</strong><br />
Arbeits- und Leb<strong>en</strong>sumstände bewusst<br />
sein.<br />
Welche persönlich<strong>en</strong> Fähigkeit<strong>en</strong> sollte<br />
man mitbring<strong>en</strong>?<br />
Über Fremdsprach<strong>en</strong>k<strong>en</strong>ntnisse muss<br />
man verfüg<strong>en</strong>, vorzugsweise Englisch<br />
und Französisch oder Spanisch. Zudem<br />
braucht es viel Idealismus und eine grosse<br />
Bereitschaft zu persönlichem Engagem<strong>en</strong>t,<br />
d<strong>en</strong>n die Arbeit vor Ort ist zwar<br />
faszinier<strong>en</strong>d, aber eb<strong>en</strong> auch sehr anstr<strong>en</strong>g<strong>en</strong>d.<br />
Respekt, Toleranz, Bescheid<strong>en</strong>heit<br />
und Interesse an fremd<strong>en</strong> Kultur<strong>en</strong><br />
muss man mitbring<strong>en</strong>, und off<strong>en</strong><br />
sein, Neues zu lern<strong>en</strong>. Man sollte sich der<br />
Risik<strong>en</strong> für die eig<strong>en</strong>e Gesundheit und die<br />
eig<strong>en</strong>e Sicherheit bewusst sein.