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„Campaigning British Style“ - Initiative ProDialog

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„Campaigning British Style“

DER WAHLKAMPF IN GROSSBRITANNIEN 2010


Zusammenfassung

Am 6. Mai 2010 wurde in Großbritannien eine neue Regierung gewählt. Das Ergebnis

der Wahlen schien lange klar. Die konservative Partei genoss einen scheinbar

uneinholbaren Vorsprung. Doch dann legte Labour in der Gunst der Wähler kurzfristig

zu, um vor der Wahl wieder an Boden zu verlieren. Unterstützt durch die ersten TV-

Duelle in der britischen Geschichte erwuchs den beiden Parteien eine weitere ernstzunehmende

Konkurrenz: Die Liberalen. Das Ergebnis der Wahl kennen wir. Keine der

etablierten Parteien konnte die absolute Mehrheit erringen.

Dennoch konnten die Parteien, im Vergleich zur letzten Wahl, mehr Bürgerinnen und

Bürger mobilisieren ihre Stimme abzugeben. Im Vergleich zum Jahr 2005 konnte die

Wahlbeteiligung in Großbritannien um 4 % gesteigert werden.

Campaigning British Style – Der Wahlkampf in Großbritannien 2010, beschreibt und

analysiert die Wahlkämpfe der drei Parteien und ihrer Kandidaten.

Das Ergebnis der Studie: Durch das Novum im britischen Wahlkampf, die TV-Duelle,

wurde eine größere Anzahl an potentiellen Wählerinnen und Wählern erreicht und

zumindest kurzfristig ein starkes Interesse an der Wahl ausgelöst.

Neben dem traditionellen „Canvassing“, dem Wahlkampf an der Haustür, haben sich die

Parteien mehr denn je bemüht, mit Hilfe neuer Informations- und Kommunikationstechnologien

– und einem besonderen Schwerpunkt auf den Sozialen Netzwerken –

direkt auf die Wählerinnen und Wähler zuzugehen. Direkter Kontakt und Dialog standen

im Vordergrund.

2

1


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis 4

1. Einleitung 5

2. Die Parteien 8

3. Das britische Wahlsystem – relatives Mehrheitswahlrecht 11

4. Der Wahlkampf 14

4.1 Labour 17

4.2 Die Tories 22

4.3 Die LibDems 27

4.4 Die TV-Duelle 29

5. Fazit 34

6. Links zum Thema: 36

4

3


Abbildungsverzeichnis

Graphik 1: Wahlbeteiligung in %, 1992-2010 5

Graphik 2: Wahlinteresse in % und Wahrscheinlichkeit der Stimmabgabe 6

Graphik 3: Prozentanteile der Parteien an der Gesamtzahl der Wähler 7

Graphik 4: Ergebnis der Wahl am 06.05.2010 in Großbritannien 7

Graphik 5: Imagewerte von Gordon Brown: Juli 2007 bis März 2010 17

Graphik 6: Werte der Blitzumfrage des TV-Senders ITV zu den TV Duellen 31

Graphik 7: Welcher Parteivorsitzende machte den besten Wahlkampf? 32

Graphik 8: Welcher Kandidat hinterließ den besten Eindruck in den TV-Debatten? 33

Tabelle 1: Parteien, Kandidaten und Kernthemen im Wahlkampf 2010 ........................ 10

Tabelle 2: Die umkämpften Wahlkreise ......................................................................... 12

Tabelle 3: Wahlkampfkommunikation in historischer Perspektive ................................. 1 4

4

5


1. Einleitung

Nach 13 Jahren Labour-Regierung, davon zehn Jahre unter Tony Blair und drei Jahren

unter seinem weniger glücklich agierenden Nachfolger Gordon Brown, kam der

Regierungswechsel in Großbritannien für Wenige überraschend. Dennoch wurde die

Wahl am 06. Mai 2010 zum britischen Unterhaus in den Umfragen als eng umkämpft

gewertet – womit sechs Monaten zuvor keiner der Experten gerechnet hätte. Das

Ergebnis schien lange eine klare Angelegenheit zu sein. Die konservative Partei genoss

lange einen deutlichen Vorsprung. Doch dann legte Labour in der Gunst der britischen

Wählerinnen und Wähler zu, verlor jedoch kurz vor der Wahl wieder an Boden.

Daneben sahen sich die beiden großen Parteien im Laufe des Wahlkampfs mit den

Liberaldemokraten unter Nick Clegg mit einer ernstzunehmenden Konkurrenz

konfrontiert.

Wie wir aus der Wahlkampfforschung wissen, mobilisieren Wahlkämpfe zu Wahlen mit

äußerst unklarem Ausgang die Bürgerinnen und Bürger in besonderem Maße. So auch

aktuell in Großbritannien: die Wahlbeteiligung lag im Vergleich zu den Parlamentswahlen

im Jahre 2005 um annähernd 4 % höher bei 65, 1 % (vgl. Graphik 1).

Graphik 1: Wahlbeteiligung in %, 1992-2010

Quelle: British Election Study & BBC

6

5


Dieser Wert ist zwar immer noch weit von der Wahlbeteiligung Anfang der 1990er Jahre

entfernt, aber dennoch als ein beachtliches Ergebnis und auch als Wahlkampferfolg zu

werten, wenn man die Vorkommnisse in der jüngsten politischen Vergangenheit der

Briten betrachtet. Im Skandal um Spesenabrechnungen haben die Parlamentarier im

vergangenen Jahr gezeigt, wie sie sich an den Steuergeldern ihrer Wählerinnen und

Wähler zu bereichern versuchen. Erschwerend hinzu kam der Skandal um Damian Mc

Bride, einem engen Berater von Gordon Brown, der am 11. April zurücktreten musste,

da er in E-Mails, die von Downing Street 10 an Journalisten und Blogger abgesendet

wurden, konservative Politiker verleumdete.

Auch das allgemeine Interesse der britischen Bevölkerung an der Wahl konnte während

des Wahlkampfes erheblich gesteigert werden, wie aus Graphik 2 hervorgeht. Innerhalb

eines sehr kurzen Wahlkampfes – in Großbritannien ist der Wahlkampf gesetzlich auf

fünf Wochen begrenzt – konnte die Wahrscheinlichkeit der Stimmabgabe von 45 % auf

knapp 60 % gesteigert werden.

Graphik 2: Wahlinteresse in % und Wahrscheinlichkeit der Stimmabgabe

Quelle: British Election Study

Wie die Graphik auch zeigt, haben die erstmals stattgefundenen TV-Duelle ein starkes

Interesse an der Wahl ausgelöst, welches nach der jeweiligen Debatte allerdings wieder

schnell abflaute.

7

6


Als Sieger ging die Konservative Partei (Conservatives) um David Cameron aus der

Wahl hervor. Betrachtet man die Prozentanteile der Parteien an der Gesamtzahl der

Wähler, lagen sie mit 36 % aller abgegebenen Stimmen weit vor Labour mit 29 % und

den Liberaldemokraten mit 23 %.

Graphik 3: Prozentanteile der Parteien an der Gesamtzahl der Wähler

Quelle: http://bes.utdallas.edu/2009/

Die Conservatives konnten 306 Wahlkreise für sich entscheiden und erhielten somit 306

Sitze im Unterhaus. Allerdings reichte diese Anzahl nicht für eine absolute Mehrheit.

Hierfür wären mindestens 326 Sitze nötig gewesen.

Graphik 4: Ergebnis der Wahl am 06.05.2010 in Großbritannien

Quelle: http://news.bbc.co.uk

8

7


Im Folgenden wird der Wahlkampf in Großbritannien dargestellt und aufgearbeitet. Zu

diesem Zweck werden im weiteren Verlauf die Wahlkampfstrategien der einzelnen

Parteien erläutert und untersucht. Unser Augenmerk liegt dabei sowohl auf den

Akteuren – den Parteien und Kandidaten – als auch auf der konkreten Ausgestaltung

des Wahlkampfes. Welche Elemente und Instrumente spielten im Wahlkampf 2010 eine

zentrale Rolle in der Wähleransprache?

2. Die Parteien

Die Labour Party ist eine der zwei großen Parteien des Vereinigten Königreichs. Die

Partei wurde 1900 als Labour Representation Committee (LRC) gegründet und setzte

sich zu diesem Zeitpunkt aus Gewerkschaften und sozialistisch orientierten Parteien wie

der „Independent Labour Party“ sowie der Fabian Society zusammen.

Seit Anfang der 1990er Jahre ändert die Partei vor allem unter Tony Blair, der ab 1994

Parteivorsitzender war, ihre Ausrichtung (New Labour). Statt für Klassenkampf bis hin

zum Fernziel Sozialismus oder Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, der Umverteilung

von Reich zu Arm und der Gewerkschaftsnähe steht New Labour heute für eine

pragmatische Politik (von Blair auch als Third Way bezeichnet) und die Befürwortung

der freien Marktwirtschaft, die Wohlstand und soziale Sicherung durch Wirtschaftswachstum

zu erreichen versucht. Kritiker werfen New Labour vor, damit linke Ideale

verraten zu haben und eine Politik zu verfolgen, die sich kaum von der der

konservativen Margaret Thatcher unterscheidet.

Kandidat der Labour Party war der amtierende Premierminister James Gordon Brown –

seit dem 27. Juni 2007 Premierminister des Vereinigten Königreichs. Er erhielt am 17.

Mai die Unterstützung von 313 der 353 Parlamentsmitglieder seiner Partei. Daraufhin

bestimmte ihn das Labour-Exekutivkomitee offiziell zum Nachfolger von Tony Blair, der

am 24. Juni auf einem Sonderparteitag in Manchester das Amt des Parteiführers an

Brown übergab.

9

8


Die Conservative and Unionist Party, meist nur Conservative Party genannt, besteht seit

dem 19. Jahrhundert und ist der klassische Gegenspieler der Labour Party.

Die Konservative Partei bildete sich um 1830 aus einer lockereren Gruppierung, der

Tory Party, weshalb die Konservativen auch heute noch als Tories bezeichnet werden.

Die Konservativen beschreiten meist einen nationalistischeren Weg als die Labour Party

und stehen z. B. europäischen Gemeininteressen eher ablehnend gegenüber.

David William Donald Cameron ist seit dem 6. Dezember 2005 der Parteivorsitzende

der Conservative Party und damit Oppositionsführer und direkter Kontrahent von

Gordon Brown. Er gilt als junger und dynamischer, unverbrauchter Charakter, dem

exzellente rhetorische Fähigkeiten und eine erstklassige Selbstdarstellung nachgesagt

werden. Allerdings geriet er bei radikalkonservativen Mitgliedern seiner Partei in die

Kritik, da er – so seine Kritiker - durch seine politischen Zielsetzungen die letzten

wirklichen Unterschiede zwischen den Tories und der linksgerichteten Labour Party

verwische.

Die Liberal Democrats sind die drittgrößte Partei des Landes. Sie gingen 1988 aus der

Vereinigung von Liberal Party und Social Democratic Party hervor. Die damit verbundene

Hoffnung, mit der Conservative und der Labour Party gleichzuziehen, erfüllte

sich nicht. Allerdings stellen die Liberal Democrats mehrere kommunale Regierungen.

Innenpolitisch treten sie für eine Stärkung der unter der Labour-Regierung im Rahmen

der Terrorismus- und Verbrechensbekämpfung eingeschränkten Bürgerrechte und eine

Verbesserung der Leistungen des öffentlichen Dienstes ein. Außenpolitisch sind die

Liberaldemokraten als die Partei zu sehen, welche sich am ehesten gesamteuropäischen

Interessen aufgeschlossen zeigt.

Seit dem 18. September 2007 ist der am 7. Januar 1967 in Chalfont St Giles, Buckinghamshire

geborene Nicholas William Peter Clegg Vorsitzender der Partei. Er wurde

1999 für die Liberal Democrats bei der Europawahl überraschend gewählt und damit

Abgeordneter des Europaparlaments, dem er bis 2004 angehörte. Clegg entschied sich,

für die Britischen Unterhauswahlen zu kandidieren und gewann 2005 einen Abgeordnetensitz

im Unterhaus.

10

9


Für welche Themen standen nun die drei Parteien im aktuellen Wahlkampf? Welches

inhaltliche Angebot gab es an die Wählerinnen und Wähler?

Tabelle 1: Parteien, Kandidaten und Kernthemen im Wahlkampf 2010

Partei Kandidat Zentrale Themen

Labour Gordon

Brown

Conservatives David

Cameron

Liberal

Democrats

1. Wiederaufbau der Britischen Wirtschaft

2. Reform und Schutz des öffentlichen Dienstes

3. Erneuerung des politischen Systems

1. Einwanderungsproblematik

2. Rolle Großbritanniens in der EU

3. Stopp der Neuverschuldung

Nick Clegg 1. Verbesserung der Bildung

2. Das Gesundheitssystem den Anforderungen des

21. Jahrhunderts anpassen

3. Verpflichtungen zum Stopp des Klimawandels

eingehen

Quelle: Manifestos der jeweiligen Parteien

Wie wir Tabelle 1 entnehmen können, standen die drei Parteien klar für inhaltlich

unterschiedliche Kernthemen. Während Labour ganz klar den Schwerpunkt auf den

Aufbau und die Erholung der britischen Wirtschaft setzte (als Amtsinhaber war Gordon

Brown in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise auch hauptverantwortlich für dieses

Thema), setzten die Konservativen auf das in Großbritannien immer wieder heiß

diskutierte Thema der Einwanderung(sproblematik) sowie die Rolle Großbritanniens in

der Europäischen Union. Die Liberaldemokraten dagegen sahen eine Verbesserung des

Bildungssystems und den Kampf gegen den Klimawandel als ihr zentrales Anliegen. Die

Wählerinnen und Wähler hatten also klare inhaltliche Alternativen.

Bevor wir einen genaueren Blick auf die Wahlkampfkommunikation der einzelnen

Parteien werfen, bedarf es eines kurzen Abriss über das britische Wahlsystem, aus dem

sich klare Vorgaben für den Wahlkampf ableiten lassen.

11

10


3. Das britische Wahlsystem – relatives Mehrheitswahlrecht

In Großbritannien wird nach dem relativen Mehrheitswahlrecht gewählt. In insgesamt

650 Wahlkreisen wird das Mandat an den Kandidaten vergeben, für den die meisten

Wähler gestimmt haben. Die Stimmen der unterlegenen Kandidaten fallen somit weg,

da es nur Direktmandate und keine Listenplätze gibt. So kann ein Kandidat im ungünstigsten

Fall mit z. B. 34 % der Stimmen einen Wahlkreis gewinnen, selbst wenn die

anderen Kandidaten jeweils 33 % erhalten. Der Kandidat würde einen Sitz im Unterhaus

bekommen, obwohl 2/3 der Wähler gegen ihn gestimmt hätten. Weitet man dies auf alle

650 Wahlkreise aus, so kann eine Partei theoretisch mit nur 34 % aller abgegebenen

Stimmen alle 650 Plätze im Unterhaus besetzen. Es wäre also eine absolute Mehrheit

möglich, ohne auch nur annähernd die Stimmmehrheit errungen zu haben.

Eine Änderung des britischen Wahlsystems war auch Thema während des

Wahlkampfes, wobei das Thema in der britischen Politik nicht neu ist. Bereits nach der

Wahl 2005 warb die Initiative „Charter88.org.uk für eine Änderung des britischen

Wahlsystems.

Kampagne nach der Wahl zum Unterhaus 2005

Für den Wahlkampf bedeutet dies, dass er besonders intensiv in Wahlkreisen stattfindet,

die als Wechselwahlkreise gelten und hier verbissen um jede einzelne Stimme gekämpft

wird. Betrachtet man die geographische Lage der umkämpften Wahlkreise, so fällt auf,

dass diese besonders im Süd-Westen des Landes, in den Midlands und im Großraum

London zu finden sind.

12

11


Im Süd-Westen kämpften hauptsächlich die Liberaldemokraten und die Konservativen

um die Sitze im Unterhaus, wohingegen in den Midlands und im Londoner Ballungs-

raum sich Labour und die Conservatives die Sitze streitig machten. Auch sind häufig in

größeren Städten wie Birmingham oder Manchester entsprechend umkämpfte

Wahlkreise zu finden. Insgesamt konnten in Großbritannien 92 solcher Wahlkreise aus-

gemacht werden. Diese sind in Tabelle 2 aufgeführt.

Tabelle 2: Die umkämpften Wahlkreise 1

Wahlkreis Parteien

St Ives Conservatives/LibDems

Camborne & Redruth Conservatives/LibDems

Truro & Falmouth Conservatives/LibDems

St Austell & Newquay Conservatives/LibDems

Cornwall North Conservatives/LibDems

Cornwall South East Conservatives/LibDems

Devon West & Torridge Conservatives/LibDems

Plymouth Moor View Labour/Conservatives

Newton Abbot Conservatives/LibDems

Exeter Labour/Conservatives

Somerton & Frome Conservatives/LibDems

Dorset West Conservatives/LibDems

Dorset Mid & Poole North Conservatives/LibDems

Chippenham Conservatives/LibDems

Weston-Super-Mare Conservatives/LibDems

Stroud Labour/Conservatives

Swindon South Labour/Conservatives

Southampton Test Labour/Conservatives

Southampton Itchen Labour/Conservatives

Eastleigh Conservatives/LibDems

Romsey & Southampton North Conservatives/LibDems

Oxford West & Abingdon Conservatives/LibDems

Winchester Conservatives/LibDems

Hove Labour/Conservatives

Brighton Pavilion Labour/Green

Brighton Kemptown Labour/Conservatives

Eastbourne Conservatives/LibDems

Hastings & Rye Labour/Conservatives

Watford Conservatives/LibDems

St Albans Conservatives/LibDems

Thurrock Labour/Conservatives

Newport West Labour/Conservatives

Gower Labour/Conservatives

Cardiff North Labour/Conservatives

Montgomeryshire Conservatives/LibDems

Vale of Clwyd Labour/Conservatives

Arfon Labour/Plaid Cymru

1

Als eng umkämpft haben wir diejenigen Wahlkreise definiert, in denen der Unterschied zwischen dem Erstplatzierten

und Zweitplatzierten


Ynys Mon Labour/Plaid Cymru

Delyn Labour/Conservatives

Streatham Labour/Lib Dems

Solihull Conservatives/LibDems

Birmingham Edgbaston Labour/Conservatives

Dudley North Labour/Conservatives

Walsall North Labour/Conservatives

Telford Labour/Conservatives

Great Grimsby Labour/Conservatives

Sherwood Labour/Conservatives

Gedling Labour/Conservatives

Nottingham South Labour/Conservatives

Broxtowe Labour/Conservatives

Erewash Labour/Conservatives

Derby North Labour/Conservatives

City of Chester Labour/Conservatives

Wirral South Labour/Conservatives

Wirral West Labour/Conservatives

Weaver Vale Labour/Conservatives

Newcastle-under-Lyme Labour/Conservatives

Amber Valley Labour/Conservatives

Ashfield Labour/Lib Dems

Chesterfield Labour/Lib Dems

Sheffield Central Labour/Lib Dems

Scunthorpe Labour/Conservatives

Lincoln Labour/Conservatives

Bolton West Labour/Conservatives

Cheadle Conservatives/LibDems

Oldham East & Saddleworth Labour/Lib Dems

Burnley Labour/Lib Dems

Blackpool South Labour/Conservatives

Blackpool North & Cleveleys Labour/Conservatives

Lancaster & Fleetwood Labour/Conservatives

Morecambe & Lunesdale Labour/Conservatives

Middlesbrough South & Cleveland East Labour/Conservatives

Carlisle Labour/Conservatives

Berwick-upon-Tweed Conservatives/LibDems

Croydon Central Labour/Conservatives

Richmond Park Conservatives/LibDems

Brentford & Isleworth Labour/Conservatives

Ealing Central & Acton Labour/Conservatives/Lib Dems

Harrow East Labour/Conservatives

Hendon Labour/Conservatives

Sutton & Cheam Conservatives/LibDems

Brent Central Labour/Lib Dems

Hammersmith Labour/Conservatives

Hampstead & Kilburn Labour/Conservatives/Lib Dems

Westminster North Labour/Conservatives

Dagenham & Rainham Labour/Conservatives

Tooting Labour/Conservatives

Eltham Labour/Conservatives

Quelle: http://ukpolitics.telegraph.co.uk/

14

13


4. Der Wahlkampf

Wahlkämpfe werden immer wichtiger. Blicken wir auf die zentralen Ergebnisse der

Wahl(kampf)forschung, so nennt das Ann-Arbor-Modell drei Faktoren, welche die

Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger maßgeblich beeinflussen: Parteiidentifikation,

Themen und Kandidaten. Da die Parteiidentifikation in den letzten Jahrzehnten

in allen etablierten Demokratien deutlich zurückgegangen ist, gewinnen

Kandidaten und Themen massiv an Bedeutung. Und diese werden vor allem im

Wahlkampf vermittelt.

Bevor wir die Wahlkämpfe der drei Parteien und ihrer Kandidaten genauer betrachten 1 ,

soll an dieser Stelle kurz auf die Entwicklung politischer Wahlkämpfe und Wahlkampfführung

eingegangen werden. Die Wahlkampfforschung macht drei Wahlkampftypen

aus: vormodernen Wahlkampf, modernen Wahlkampf und professionalisierten Wahlkampf.

Tabelle 2 fasst diese Entwicklung zusammen.

Tabelle 3: Wahlkampfkommunikation in historischer Perspektive

Vormoderne

Wahlkämpfe

(1920-45)

Moderne

Wahlkämpfe

(1945-1990)

Professionalisierte

Wahlkämpfe

(seit 1990)

Parteityp Massenpartei Volkspartei Medienpartei

Kommunikationsinstrument

Zielgruppe Sozial homogene

Gruppe, Mitglieder

Parteiorganisation Medien, vor allem TV Direktmarketing, neue IuK-

Technologien

Gesamte

Bevölkerung

Einzelne Wählersegmente

Rolle der Medien Dienend Beeinflussend Konkurrierende Akteure

Kommunikationscharakter

Mobilisieren Konvertieren und

mobilisieren

Konvertieren und

mobilisieren

Der vormoderne Wahlkampf zeichnet sich durch starke Parteiidentifikation und -bindung

der Bürgerinnen und Bürger ab. Die Partei musste in sozial homogene Gruppen hinein

kommunizieren mit dem Ziel, die eigene Klientel zu mobilisieren.

1 Die vorliegende Analyse basiert auf den Ergebnissen der British Election Study und eigenen

Internetrecherchen sowie der Analyse der TV-Duelle. Ferner besteht eine enge Kooperation und

Austausch mit britischen Kollegen (Prof. Dr. Rachel Gibson, University of Manchester, Dr. Steven Ward,

Salford University). Leider stehen britische Parteien dem Austausch mit der Wissenschaft nicht so

aufgeschlossen gegenüber, wie dies aus Deutschland bekannt ist. Unsere direkten Anfragen bei den

Parteien blieben bisher erfolglos.

15

14


Hauptkommunikationsinstrumente waren Veranstaltungen, Gespräche und die Medien

(Print und Radio), die zu dieser Zeit zumeist den Parteien untergeordnet waren.

Der moderne Wahlkampf hingegen zeichnet sich durch die zunehmende Auflösung der

Parteibindungen – im Zuge der Individualisierung und Fragmentierung der Gesellschaft

– sowie durch das neue Medium Fernsehen aus. Politik wird personalisierter vermittelt.

Um ihren Wahlerfolg zu sichern, müssen Parteien nicht nur die eigene Klientel

mobilisieren, sie müssen auch versuchen, die Wähler anderer Parteien und Nichtwähler

zu konvertieren.

Seit 1990 beobachtet die Wahlkampfforschung einen neuen Typus: die professionalisierten

Wahlkämpfe. Die charakteristischen Eigenschaften dieser Wahlkämpfe sind zielgruppenspezifische

Ansprache der Wählerinnen und Wähler sowie die Nutzung von

neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK-Technologien). Empirisch

zu beobachten ist die (wieder) zunehmende Bedeutung der direkten Kommunikation

zwischen Parteien bzw. Kandidaten und Wählern – ermöglicht durch die neuen IuK-

Technologien. Hierauf möchten wir im Folgenden genauer eingehen, da diese Form der

Kommunikation auch ein wichtiges, zentrales Element der Wahlkampfstrategien in

Großbritannien war.

Direkte Kommunikation: high tech mit high touch

Direkte Wähleransprache wirkt. Wählerinnen und Wähler lassen sich in erster Linie im

persönlichen Gespräch überzeugen. Hier liegt das große Potential der neuen Medien –

die flächendeckende Organisation der direkten Wähleransprache. Barack Obamas

Wahlkampfstrategen haben dies sehr früh erkannt und erfolgreich genutzt. Ein Großteil

der Anweisungen an die Wahlkampfhelfer kam täglich – in der heißen Phase des

Wahlkampfes nahezu stündlich – über das Internet. So entstand „high tech“ mit „high

touch“. Nachdem per Email die Aufträge eingingen, wurden die zahlreichen Unterstützer

aufgefordert aktiv zu werden: Freunde anzurufen, weitere Unterstützer zu mobilisieren,

von Tür zu Tür zu ziehen oder aber zu einer Wahlkampfveranstaltung zu gehen, um den

Spitzenkandidaten anzufeuern.

Obamas politische Kampagne ging somit nach dem Konzept des Multi-Level-Marketing

vor, das Firmen wie Tupperware oder Amway schon lange sehr erfolgreich anwenden:

16

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Jeder Freiwillige ist selbstständiger Repräsentant und zuständig für die Anwerbung und

Betreuung weiterer Freiwilliger. So entwickelt sich eine pyramidenartige Kommuni-

kationsstruktur, die dafür sorgt, dass mit jeder zusätzlichen Ebene der Verbreitungsgrad

steigt.

Entscheidend ist bei dieser Pyramide nicht nur die Spitze, sondern vor allem auch der

Unterbau: International vergleichende empirische Studien zeigen, dass Bürgerinnen und

Bürger durchaus bereit sind, sich für gemeinschaftliche Belange zu engagieren und vor

allem lokal zu organisieren, wenn sie sich direkt angesprochen fühlen. Der Effekt der

direkten Kommunikation wird bei YouTube, Facebook und ähnlichen Medienplattformen

deutlich. Mit Hilfe dieser Instrumente werden die Bürgerinnen und Bürger von der Politik

dort abgeholt, wo sie sich bewegen: in ihren Freundeskreisen, in ihren Wohnorten, im

Internet. Wichtig ist auch, dass diese Form der aktiven Beteiligung keine langfristige

Verpflichtung bzw. Bindung an eine Partei beinhaltet. Man hat sich möglicherweise in

einen Email-Verteiler eingetragen, Parteimitglied ist man jedoch noch lange nicht. Dies

kommt der zunehmenden Orientierung der Bürgerinnen und Bürger an spezifischen

Themen zu Gute. Man unterstützt nicht mehr eine Partei mitsamt Programm und

Personals, sondern einen inhaltlichen Punkt, der einem ganz persönlich am Herzen

liegt: den Atomausstieg etwa oder die Stammzellenforschung. Gleichzeitig steigt mit

dem persönlichen Engagement des Bürgers auch die Wahrscheinlichkeit, dass er zur

Wahl geht und der Partei, deren Anliegen er unterstützt hat, auch seine Stimme gibt.

Es waren diese dialogorientierten Instrumente, es war „high tech“ mit „high touch“, die in

Großbritannien bei allen drei Parteien die Kommunikationsstrategie bestimmten.

„On message“: Auf die Botschaft kommt es nach wie vor an!

Seitdem die Bedeutung und Wirkung von Wahlkämpfen erkannt wurde, haben auch die

politischen Botschaften einen Wandel erfahren. Kurz und prägnant müssen sie sein,

möglichst auf ein Wahlplakat passen. Ein Argument, das nicht in einer SMS von 160

Zeichen dargestellt und verbreitet werden kann, eignet sich nicht als Wahlkampfthese.

Allerdings hat diese Entwicklung auch zu Fehleinschätzungen geführt. Die berühmte

These des Medientheoretikers Marshall McLuhans, „The medium is the message“

salopp übersetzt mit „Auf die Verpackung kommt es an“, gilt mittlerweile als überholt.

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Inhalte spielen nach wie vor eine wichtige Rolle, die Wirkung eines prächtig inszenierten

Parteitags verpufft, wenn das politische Programm zu kurz kommt. Gewählt wird, wer

authentisch wirkt. Dabei ist entscheidend, dass Person, Partei und Programm

zusammenpassen. Dieser Dreiklang bestimmt, wie glaub- und vertrauenswürdig eine

Partei ist.

4.1 Labour

Ausgangspunkt für die Analyse des Wahlkampfes der Labour Party bilden die

Popularitätswerte des Premierministers und Labour-Kandidaten Gordon Brown.

Graphik 5 zeigt die Kompetenzwerte sowie den Imagewert Gordon Browns in den

vergangenen drei Jahren. Zwei Entwicklungen lassen sich festmachen: Sowohl die

Kompetenzzuschreibung als auch der Imagewert fallen im Untersuchungszeitraum

(2007-2010) massiv ab: Während Brown auf einer Skala von 0-10 im Jahre 2007 noch

ein Kompetenzwert von 5,8 zugeschrieben wurde, verzeichnet die Umfrageforschung

2010 nur noch 4,1. Der Imagewert des Labour-Kandidaten entwickelt sich auf

niedrigerem Niveau in ähnliche Richtung – lediglich nach dem Zusammenbruch der

Investmentbank Lehman Brothers lässt sich ein vorübergehender Anstieg der Werte

beobachten. Für einen Amtsinhaber eine äußerst alarmierende Entwicklung.

Graphik 5: Imagewerte von Gordon Brown: Juli 2007 bis März 2010

Quelle: British Election Study

18

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Der allgegenwärtige Slogan, mit dem die regierende Labour Party in den Wahlkampf

zog lautete „Fighting for your future“, und war somit der einzige Parteislogan, der nicht

den Wandel direkt propagierte (siehe Konservative und Liberaldemokraten).

Zwar lässt sich anhand des Parteiprogramms feststellen, dass Labour gewisse

Veränderungen im Land vorsah, allerdings ist der Begriff „Change“ seit dem äußerst

erfolgreichen Wahlkampf Barack Obamas derart als Forderung zu einem Regierungs-

wechsel vorbelastet dass die Entscheidung Labours, „Change“ nicht direkt in den

Slogan mit einzubeziehen, logisch erscheint. Dennoch ist es für eine Regierungspartei

sehr ungewöhnlich, in ihren Kernbotschaften nicht auf zurückliegende Erfolge hin-

zuweisen. Amtsinhaberwahlkämpfe zeichnen sich im Regelfall durch ein stark

retrospektives Element aus, d.h. sie stellen bisherige Regierungserfolge in den

Vordergrund (Beispiele sind Helmut Kohl und die Wiedervereinigung, George W. Bush

und 9/11, Bill Clinton und der konsolidierte Haushalt).

Der Online-Auftritt der Labour Party war erkennbar auf die Sozialen Netzwerke

Facebook und Twitter und damit auf direkte Kommunikation und Dialog mit den Bürgern

ausgerichtet.

Insgesamt wurde in der Webpräsenz, vor allem in den Sozialen Netzwerken auf starke

emotionale und visuelle Effekte gesetzt.

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Direkt auf der Startseite wurde auf die Aktivitäten der Labour Party auf Facebook und

Twitter hingewiesen und zum „kontaktieren“ aufgerufen („Post a link on facebook“ oder

„Follow us on twitter“). Hier waren täglich mehrere Beiträge von Gordon Brown und

anderen Parteimitgliedern zu finden, welche von den Nutzern kommentiert werden

konnten.

Das Netzwerk von YouTube wurde ebenfalls für den Wahlkampf der Labour Party

herangezogen. Neben diversen Videos von öffentlichen Auftritten des Premierministers

wurde eigens ein Video produziert, in welchem das Parteimanifest in kurzen, per

Zeichentrick animierten Episoden auf spielerische und einprägsame Weise den

Wählerinnen und Wählern näher gebracht wurde.

Auf der offiziellen Internetseite der Partei fanden interessierte Besucher neben

Erläuterungen zu den einzelnen Kampagnen, umfangreiche Informationen zu Freiwilligenengagement

(„How can I help?“) und zum Parteiprogramm („50 steps to a fairer future

for all“).

Interessierte konnten auf der Website T-Shirts und weitere Wahlkampfartikel erwerben

sowie verschiedene Newsletter abonnieren. Die Informationen in den Newslettern

wurden auf die jeweiligen Wahlkreise angepasst, d.h. hier erfolgte eine zielgruppenspezifische

Ansprache.

Darüber hinaus nutzte die Labour Party ein äußerst wirkvolles Element der

Mobilisierung und machte die eigenen Unterstützer zu Botschaftern für die Partei.

20

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Unter der Rubrik „Why I’m joining Labour…“. erklärten Anhänger der Labour Party,

warum sie Anhänger der Partei sind: “I joined the Labour Party because I disagree

fundamentally with being governed by the Conservatives.” „I want to support a party

which will make Britain better for everyone“ waren solche Zitate. Insgesamt gab es 50

dieser Zitate, die auf der Startseite in Abständen von ca. fünf Sekunden eingeblendet

wurden.

Hinzu kam das so genannte AudioBoo. In diesem Audio Boo war es möglich, sich

Audiodateien zu bestimmten Themen anzuhören: „Talia, a student, on why she’s voting

labour on May 6th“. Nicht nur Labour-Anhänger, sondern auch Mitglieder des Wahl-

kampfteams waren hier zu hören, unter anderem Gordon Brown persönlich. Unterstützt

wurde dieses Feature noch durch Google-Maps. Durch das Anwählen einer Audiodatei

wurde automatisch angezeigt, von wo im Vereinigten Königreich dieses Zitat stammt.

Klickte man in der Landkarte ein Icon an, so wurde automatisch das dazu gehörende

Zitat eingespielt.

Ein weiterer zentraler Punkt der Internetpräsenz der Labour Party war das „Manifesto“,

also das Programm der Partei, welches wie bereits erwähnt als Download zur

Verfügung stand. Die zentralen Themen des Labour-Manifestos wurden auf der Website

prominent kommuniziert. Zum einen soll die Wirtschaft wieder aufgebaut werden und

der Lebensstandard der Briten allgemein erhöht werden, was unter der Rubrik „Rebuilt

economy“ zusammengefasst wurde. Diesem Punkt wurde im ausführlichen Manifesto

allerdings nicht ganz so viel Platz eingeräumt wie den folgenden, was unter anderem

daran liegen mag, dass die Labour Party sich aufgrund ihrer langjährigen Regierungszeit

nicht aus der Verantwortung im Hinblick auf den Niedergang der britischen Wirt-

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schaft stehlen kann. Ein umfassenderer Punkt auf der Programmliste war „Protect public

services + strenghtening society“. Unter dieser Prämisse waren sämtliche Themen wie

Familienpolitik, Bildung, Gesundheitspolitik aber auch Kriminalitätsprävention und Einwanderungspolitik

zusammengefasst.

Die dritte Headline bildet „New politics“, und bezog sich auf demokratische Reformen

und einen Ausblick auf die globale Zukunft des Vereinigten Königreichs.

Auch abseits des World Wide Web betrieb die Labour Party Wahlkampf. Und zwar mit

Hilfe der Parteimitglieder und Aktivisten direkt vor Ort, wie unter „The Labour Party on

Flickr“ verdeutlicht wird.

So wurde gerade in den heiß umkämpften Wahlkreisen an jede Tür geklopft, in der

Hoffnung, dass jemand öffnet und sich in ein Gespräch verwickeln lässt – das so

genannte „canvassing“ oder auch „door stepping“. Wenn niemand öffnete, fand eben ein

Foto des Kandidaten und das Parteiprogramm seinen Weg in den Briefkasten. Die

altbekannten und bewährten Elemente des vormodernen Wahlkampfes, nämlich der

direkte Kontakt zu und das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürger, wurde hier mit

Elementen der professionalisierten Wahlkampfführung kombiniert. Man suchte den

direkten Kontakt zum Bürger, wohl wissend, dass diese Strategie die größte Wirkung

entfalten kann.

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Ausgerechnet bei diesem wichtigen Kampf um jede Stimme direkt vor Ort, quasi direkt

am Wähler, leistete sich Amtsinhaber Gordon Brown einen Fauxpas, der die engagierte

und aufreibende Arbeit seiner Aktivisten auf der Türschwelle mit einem Schlag zunichte

machte. Nach einem arrangierten Gespräch mit der langjährigen Labour Anhängerin

Gillian Duffy äußerte er sich abfällig über die Rentnerin.

Duffy hatte Brown während des persönlichen Gesprächs immer wieder kritische Fragen

zu den Themen Rekordverschuldung, Einwanderung und Studiengebühren gestellt.

Anschließend bezeichnete Brown Gillian Duffy als „borniert“. Allerdings war zu diesem

Zeitpunkt das Mikrofon eines Fernsehsenders an seinem Revers noch nicht

ausgeschaltet. Welch gefundenes Fressen eine solche Aussage eines sich im Wahlkampf

befindlichen Spitzenpolitikers für die Medien ist, liegt auf der Hand. Ebenso die

Entrüstung, die Brown im ganzen Land entgegen schlug.

Die Sorgen einer Rentnerin derart zu verspotten, dafür hatte kein Wähler im Vereinigten

Königreich Verständnis. Der um Schadensbegrenzung bemühte Brown entschuldigte

sich zwar umgehend persönlich in einem halbstündigen Gespräch bei Gillian Duffy, dies

dürfte sein Ansehen in der Öffentlichkeit allerdings nicht in ausreichendem Maße wieder

hergestellt haben.

4.2 Die Tories

„Time for a change“ – „Zeit für einen Wandel“ war der Slogan der Konservativen Partei,

der Millionen Wählerinnen und Wählern aus dem Herzen sprach: „Change Politics,

Change Economy, Change Society“. Wandel, das steht für Wechsel und Veränderung

und war bereits das Schlagwort, das Barack Obamas Wahlkampf weltberühmt machte.

Hier lässt sich beinahe eine Tradition erkennen. So nutzte Bill Clinton im Jahr 1992 den

Begriff „Change“ ebenfalls als Wahlkampfslogan.

Betrachtet man die Kampagnen der Konservativen, so fällt auf, dass auch hier ein

großes Augenmerk auf die Onlinekommunikation gelegt wurde.

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Auf der Homepage gab es für Interessierte zahlreiche Möglichkeiten, sich das

Parteiprogramm und weitere ausführliche Informationen zu den Standpunkten der

Konservativen anzusehen und herunterzuladen („Manifesto“, „Contract with you“,

„Where we stand“ usw.).

Ergänzt wurde das Wahlprogramm durch einen „Vertrag“ mit dem Britischen Volk. Unter

dem Titel „Contract with you“ wurde auf der Homepage der Tories ein von David

Cameron unterschriebener Brief veröffentlicht, der die Kernpunkte (und Versprechen)

des Wahlprogramms der Konservativen auf einer Seite übersichtlich darstellte. Dieser

Brief verdeutlicht einmal mehr die persönliche direkte Ansprache der Wählerinnen und

Wähler. Die drei Hauptprämissen des Wahlkampfes und damit auch des Briefes waren,

wie bereits oben erwähnt: „Change Politics, Change Economy, Change Society“. Der

politische Wandel sollte demnach vor allem durch eine höhere Transparenz innerhalb

des politischen Geschehens und bei Ausgaben sowie einer stärkeren lokalpolitischen

Kompetenz vorangetrieben werden. Auch eine Kürzung von Politkerbezügen und das

„Einfrieren“ von Teilen der Gehälter über einen Zeitraum von fünf Jahren sollten dazu

beitragen. Wandel bezüglich der Wirtschaft sollte laut der Konservativen Partei vor

allem durch eine grünere, das heißt ökologischere Wirtschaft, eine verbesserte

Unterstützung von arbeitsuchenden Briten und eine stärker kontrollierte Immigrationspolitik

erreicht werden. Um den Wandel der Gesellschaft zu ermöglichen sprachen sie

sich darüber hinaus für eine bessere Unterstützung von Familien, höhere Standards in

öffentlichen Schulen und ein effektiveres Gesundheitssystem aus.

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Der Kampf gegen die Kriminalität und eine höhere staatliche Rente komplettieren den

Wandel nach Ansicht der Konservativen.

Daneben fanden sich auf der Website aktuelle News, Videos des Parteivorsitzenden

und der Shop, in welchem es Anhängern der Partei möglich war, „Fanartikel“ zu ordern.

Angefangen bei der obligatorischen blauen Rosette über T-Shirts bis hin zu Kaffeetassen

und Buttons. Der Shop erinnerte stark an den Fanshop eines Fußballvereins

oder einer Rockband. Im „Blue Blog“ bestand für interessierte Bürgerinnen und Bürger

die Möglichkeit, aktuelle Blogeinträge von konservativen Politikern zu lesen. Es fanden

sich täglich neue Blogeinträge, in denen die aktuelle Lage, Photos, aber auch soziale

Projekte uvm. kommentiert wurden.

Herzstück der Homepage war die Rubrik „Get involved“. Hier fand der interessierte

Bürger alles, um über den Wahlkampf immer auf dem neuesten Stand zu sein und sich

selbst aktiv mit einzubringen. Von exklusiven Email-Updates über SMS-Abonnements,

bis hin zu Jobangeboten sowie Angeboten und umfassenden Informationen zum

freiwilligen Engagement und Mitgliedsanträgen für die Partei.

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Um sich als freiwilliger Unterstützer an der Kampagne zu beteiligen, war es lediglich

erforderlich, unter der Rubrik „Get involved“ seine Kontaktdaten und die gewünschte

Aktivität anzugeben. Daraufhin trat ein lokaler Mitarbeiter des Wahlkampteams mit der

entsprechenden Person in Kontakt und lieferte weitere Informationen.

Eine weitreichende Verknüpfung mit den beiden großen Sozialen Netzwerken Facebook

und Twitter war ebenfalls Teil der Online-Kampagne. Auf beinahe jeder Seite der

Homepage wurde auf eine Verlinkung zu den beiden Netzwerken hingewiesen („Follow

us on twitter/facebook“) und so versucht diese zu Multiplikatoren zu machen.

Bei Facebook hatten registrierte Nutzer die Chance, in einen regen Dialog mit anderen

Facebook-Nutzern einzusteigen. Mehrmals täglich wurden von David Cameron neue

Beiträge, Photos und Videos geposted, zu welchen sich in der Regel weit über 50

Kommentare finden ließen.

In der Regel reagierte Cameron auch auf diese Beiträge, so dass man hier nicht nur von

Information, sondern von einem wirklichen Dialog mit den Bürgern sprechen kann.

Des Weiteren war die Konservative Partei auch mit einer Vielzahl an Plakatkampagnen

in den Wahlkampf gezogen. Trotz eines starken Fokus auf Onlinepräsenz und Online-

kontakt, gab es somit auch bei den Tories den „klassischen“ Wahlkampf in Form von

Plakaten, Flyern, Ansteckbuttons, Fähnchen usw. Zudem machten die Aktivisten und

Parteimitglieder der Konservativen in den Monaten vor der Wahl mit ihren blauen

Rosetten am Revers, Plakaten und Transparenten in den jeweiligen Wahlkreisen

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Stimmung für ihren Kandidaten. So wurde auch bei den Tories gerade in den heiß

umkämpften Wahlkreisen an jede Tür geklopft, in der Hoffnung auf ein Gespräch, an

dessen Ende der Gewinn einer Wählerstimme steht.

In den letzten Wochen kurz vor der Wahl kam es sogar vor, dass Kandidaten eines

umkämpften Wahlkreises von den Kollegen aus anderen, sicher geglaubten Wahlkreisen

(z.B. Chelsea and Fulham) unterstützt wurden. Denn wie bereits erwähnt,

bedeutet nur eine einzige Stimme mehr als der Kontrahent einen Sitz im Unterhaus. Aus

diesem Grund war auch zu beobachten, dass die Aktivisten der Tories sich immer

weiter einem breiteren Publikum öffneten, sogar Minderheiten und Randgruppen in

Gespräche verwickeln wollten um die sie früher einen großen Bogen gemacht hätten.

Mit Shaun Bailey schickte man sogar einen farbigen mit jamaikanischen Wurzeln in das

Rennen um die Sitze im Unterhaus.

Die Koservativen führten aber auch einen sehr aggressiven Wahlkampf GEGEN Labour

– das so genannte „negative campaiging“. Beispielsweise war eine Kampagne gezielt

auf die Aufschwungspläne von Premierminister Brown ausgerichtet und verdeutlichte

was die Konservativen von diesen Plänen hielten. Auf dem Plakat war eine triste, dürre

Landschaft zu sehen. Darin war ein einziges grünes Pflänzchen zu erkennen, welches

drohte von einem Springerstiefel mit der Aufschrift „jobs tax“ zertreten zu werden.

Ein weiteres Element des „negative campaigning“ war eine Plakatkampagne, die den

amtierenden Premierminister mit einer riesigen Schere zeigte. Mit dem Titel „Stopp

Browns NHS cuts“ sollte verdeutlicht werden, dass es unter einer Tory-Regierung keine

weiteren Einschnitte im britischen Gesundheitssystem geben wird.

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Unterstützt wurden sämtliche dieser Kampagnen allerdings wieder online. Auf der

offiziellen Partei-Website war zu beinahe jeder Kampagne ein Video mit Stimmen der

jeweiligen Kampagnenleiter zu finden.

So fand sich zur, von den Konservativen initiierten, „Mathe-Taskforce“ ein

Informationsvideo von Carol Vorderman, der Leiterin dieser Taskforce, in welchem sie

ihre Pläne zur Verbesserung der Mathematikstandards in Großbritannien erläuterte.

Ergänzend hatten die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, im Internet Petitionen

und Unterstützerlisten zu den jeweiligen Kampagnen und Themenschwerpunkten zu

unterschreiben und somit das jeweilige Anliegen aktiv zu unterstützen.

Ein sehr interessanter Aspekt des Konservativen Wahlkampfes war allerdings auch die

Tatsache, dass die zu Rupert Murdochs Konzern News Corp. gehörenden Zeitungen,

darunter die „Times“, aber auch die Revolverblätter „Sun“ und „News of the World“, in

den letzten Wochen des Wahlkampfes mehr oder weniger offensichtlich Wahlkampf für

die Konservative Partei machten, wobei die „Sun“ im September 2009 gar eine

eindeutige Wahlempfehlung für die Tories ausgab.

4.3 Die LibDems

Wie die konservative Partei setzten auch die Liberaldemokraten auf den „Wandel“.

„Change that works for you – building a fairer Britain“ war der Slogan, der auf allen

Plakaten und Flyern der Partei zu lesen war.

Das bereits bei den beiden großen Parteien beschriebene Bedürfnis nach einem engen

„Online-Kontakt“ zu den Wählern zeigte sich auch bei den Liberaldemokraten ganz

deutlich. Auf der parteieigenen Website wurden umfangreiche Informationen zum

Download präsentiert. Besucher der Website fanden eine übersichtliche und nutzerfreundliche

Darstellung der Kernpunkte der Politik. Zudem hatten Interessierte die

Option, sich für verschiedene Newsletter anzumelden, in die Partei einzutreten oder sich

als Freiwilliger zu engagieren.

Wie die anderen Parteien zeigte die Partei ausgeprägte Präsenz bei den Sozialen

Netzwerken Facebook, Twitter und YouTube.

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Allerdings war es den Anhängern der Liberaldemokraten sogar möglich, sich Video-

Apps auf das iPhone oder Blackberry zu laden.

Ein Wahlprogramm fehlte selbstverständlich auch bei den Liberaldemokraten nicht. Die

Partei um Nick Clegg ließ ähnlich wie die Labour Party einen Film produzieren, allerdings

in stark personalisierter Form. Interessierte konnten sich das Video nach Themengebieten

individuell zusammenstellen und herunterladen.

Wiederum wurde hier der potentielle Wähler direkt angesprochen und konnte unter den

Rubriken Your job“, „Your world“, „your say“, „Your community“, „Your family“, „Your

life”, „Your money” und „4 key policies“ wählen. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit,

sich unter der Rubrik „What we stand for“ das vollständige Programm der Partei als

Manifest herunterzuladen.

Ein großer Unterschied in der Kampagnenführung der Liberaldemokraten bestand

allerdings darin, dass die Kampagnen in einer weitaus geringeren Zahl direkt gegen

Gordon Brown oder die Labour Party gerichtet waren. Auf „negative campaigning“ bzw.

„confrontational campaigning“ wurde fast gänzlich verzichtet. Die Liberaldemokraten

beschränkten sich meist darauf, ihre Standpunkte und Ideen in kurzen präzisen Slogans

mitzuteilen:

„Giving hope back to young people – Nick Clegg launches youth job pledge”, „If you

want real change, vote for it – the liberal democrats“ oder “My personal guarantee” von

Nick Clegg sind Beispiele hierfür. Nur in seltenen Fällen wurde in der Kampagne direkt

auf die Labour Party Bezug genommen („Labour has let down everyone who wants a

fairer Britain“).

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4.4 Die TV-Duelle

Das große Novum im diesjährigen Wahlkampf waren ohne Zweifel die TV-Duelle

zwischen den Spitzenkandidaten der drei Parteien. In unserem Medien- und Fernsehzeitalter

ist es schwer vorstellbar, dass Großbritannien erst in diesem Jahr das Format

des TV-Duells aufgenommen hat. Ein paar Zahlen zum Vergleich: In Schweden gab es

1948 die erste Debatte, Australien zog 1958 nach. Eine der bekanntesten TV-Debatten

der Anfänge war die Kennedy-Nixon-Debatte aus dem Jahre 1960. In Deutschland gab

es 1969-1987 die so genannten Elefantenrunden, TV-Debatten amerikanischer Prägung

kennen wir seit 2002 auf nationaler Ebene; sie werden aber auch auf Länderebene

immer prominenter – wie das jüngste Beispiel in NRW gerade gezeigt hat.

TV-Debatten werden häufig als das wichtigste Einzelereignis im Zuge einer Kampagne

angesehen – nicht ganz zu Unrecht. Sie bringen Millionen von Zuschauern vor die Fernsehschirme:

in Deutschland waren es 2x15 Millionen in 2002, 21 Millionen in 2005 und

14 Millionen 2009. Die Kandidaten stellen hier in 90-120 Minuten die wichtigsten Punkte

ihres Wahlprogramms vor und haben die einzigartige Gelegenheit, eine breite Masse zu

erreichen OHNE den Filter der Journalisten. „get your message across“ heißt es hier.

Aus der Debattenforschung lassen sich folgende Ergebnisse festhalten: TV-Duelle

haben durchaus einen Effekt. Bürgerinnen und Bürger werden mobilisiert und in die

politische Diskussion einbezogen – allerdings flaut dieser Effekt einige Tage nach dem

Duell auch wieder ab.

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Vor allem aber gibt ein TV-Duell den Kandidaten, die bisher noch nicht so sehr im

medialen Rampenlicht standen (wie der Parteiführer der Liberaldemokraten) die ein-

malige Chance, sich einem breiten Publikum vorzustellen und den eigenen

Bekanntheitsgrad zu vergrößern.

Im aktuellen Wahlkampf in Großbritannien gab es insgesamt drei TV Duelle, in denen

sich die Spitzenkandidaten der drei Parteien direkt gegenüber standen. Die erste Live-

Debatte beim Sender ITV, welche 90 Minuten dauerte und am 15. April 2010, also drei

Wochen vor der Wahl stattfand, handelte zunächst schwerpunktmäßig innenpolitische

Fragen ab. Im Abstand von je einer Woche folgte eine zweite Runde zum Thema

Außenpolitik (22. April 2010) auf dem Sender Sky News und zum Abschluss ein Schlagabtausch

über die Wirtschaftspolitik auf BBC am 29. April 2010.

Aufgrund der Premiere dieses Mediums und der daraus resultierenden hohen Aufmerksamkeit

ist es notwendig, den TV-Duellen ein eigenes Kapitel zu widmen.

Mit großer Spannung wurde das erste TV-Duell erwartet. Die Spannung gründete in der

Tatsache, dass Gordon Brown normalerweise das Rampenlicht scheut. Der 59 Jahre

alte Premier galt – anders als sein 43 Jahre alter Konkurrent Cameron – als nicht

besonders telegen und eher langweilig. Er hatte dem Duell nur auf großen Druck der

Opposition zugestimmt. Was in den USA und Deutschland vor Wahlen bereits Tradition

hat, gab es in Großbritannien bisher noch nie. Selbst der telegene Tony Blair, Browns

Vorgänger, konnte einer TV-Debatte in letzter Sekunde aus dem Weg gehen. Im

aktuellen Wahlkampf engagierten deshalb sowohl Brown als auch Cameron Berater aus

den USA, die bereits bei Barack Obamas Wahlkampf als Rhetorikberater tätig waren.

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Ein weiterer Grund für die Spannung war, dass vor der Parlamentswahl noch viele

britische Wähler unentschlossen waren. Der Anteil der „late deciders“, also derjenigen,

die eine Woche vor der Wahl noch keine Entscheidung getroffen haben, für wen sie ihre

Stimme abgeben, lag bei 32 %. Anders formuliert: 1/3 der wahlberechtigten Bevölkerung

war offen für Kampagneneffekte! Der Auftritt der Kandidaten bei den Diskussionsrunden

im Fernsehen sollte ihnen nun die Entscheidung erleichtern.

Eine weitere an die TV-Duelle geknüpfte Hoffnung war, politisch eher uninteressierte

Bürger, die sich bislang dem Wahlkampf entzogen hatten, mit einzubeziehen und ihr

Interesse zu wecken. David Cameron, der mit einem großen Umfragevorsprung seiner

Partei in die TV-Duelle ging, wiederum hoffte, im Zuge der Debatten seinen Vorsprung

nicht einzubüßen.

Die Regeln für die Duelle waren strikt: 200 Zuschauer wurden für die Sendung ausgewählt.

Sie durften vorher Fragen einreichen, aus welchen eine sorgfältige Auswahl

getroffen wurde. Es durfte zwischendurch nicht gebuht oder geklatscht werden.

Nach einem eher steifen Start im ersten Duell auf ITV, bei dem die Kandidaten in kurzen

Stellungnahmen ihre zentralen Anliegen vortragen konnten, entwickelte sich schnell

eine lebendige Diskussion. Es war der Außenseiter Nick Clegg, welcher sich in der

ersten Fernsehdebatte profilieren konnte. In Blitzumfragen nach der Live-Debatte am

späten Donnerstagabend erklärten laut der Umfrage der Sun 51 % Clegg zum Sieger.

29 % stimmten für Cameron, 19 % für Brown.

Graphik 6: Werte der Blitzumfrage des TV-Senders ITV zu den TV Duellen

Bei der Umfrage von ITV erhielt Clegg 43 % Zustimmung. Cameron kam hier auf 26 %,

Brown auf 20%.

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Ein Grund für Cleggs Erfolg war sein beeindruckendes Gedächtnis für Namen und

Gesichter. Er sprach sämtliche Personen, die ihm aus dem Publikum Fragen stellen

durften, mit Vornamen an, was seine Kontrahenten im Zuge dessen zu kopieren ver-

suchten. Gepaart mit seiner selbstsicheren und eloquenten Art war dies ein Baustein zu

seinem Überraschungserfolg. Er war quasi über Nacht zum politischen Superstar aufge-

stiegen und die Liberaldemokraten gewannen in Umfragen deutlich an Boden. Dies

unterstreicht auch eine Graphik der „British Election Studies“ der Universität Essex.

Graphik 7: Welcher Parteivorsitzende machte den besten Wahlkampf?

(7. April bis 5. Mai)

Quelle: http://bes.utdallas.edu/2009/

Beobachter hatten erwartet, dass Nick Clegg nach seinem überraschenden Erfolg zu

sehr unter Druck geraten würde, was sich auf seinen Auftritt im zweiten TV-Duell

auswirken würde. Aber auch im zweiten Duell zur Außenpolitik gelang es ihm ein gutes

Bild abzugeben. Nach der Sun-Umfrage konnte zwar David Cameron mit 36 % die

meisten Zuschauer auf seine Seite ziehen, Nick Clegg folgte aber beinahe gleich auf mit

32 %. Bei einer repräsentativen Umfrage für den Sender ITV lag Clegg jedoch sogar bei

33 %, Cameron und Brown bei jeweils 30 %.

Inhaltlich ging es bei der zweiten Debatte, wie bereits erwähnt, um außenpolitische

Themen. Cameron machte erneut die europakritische Linie seiner Partei deutlich,

während Brown ihn beschuldigte, Großbritannien damit zu isolieren.

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Weitere Streitthemen waren der Einsatz in Afghanistan, Atomwaffen und auch der

anstehende Besuch des Papstes. Im dritten und letzten TV-Duell gerieten die

Kontrahenten in wirtschaftspolitischen Fragen aneinander. Zunächst räumte Brown ein,

Fehler gemacht zu haben, wobei er sich auch auf seinen Ausrutscher bezog, bei dem er

eine Wählerin als "borniert" bezeichnet hatte, obwohl sein Mikrofon noch nicht abge-

schaltet worden war. Seinem Rivalen Cameron warf er vor, mit seinen drastischen

Sparplänen zur Bekämpfung des Rekorddefizits die Erholung des Landes aufs Spiel zu

setzen. Cameron warf Brown seinerseits vor, die britische Wirtschaft vom Finanzsektor

abhängig gemacht zu haben. Der Vorsitzende der Konservativen versprach, er werde

nicht zulassen, dass die Banken noch einmal so "unverantwortlich" handeln könnten.

Graphik 8: Welcher Kandidat hinterließ den besten Eindruck in den TV-Debatten?

Quelle: British Election Studies

In der Schnellumfrage des Senders ITV News kam Cameron auf 35 %, Clegg auf 33 %

und Brown auf nur 24 % Zustimmung. Einer weiteren Schnellumfrage für die Zeitung

"The Sun" zufolge hielten 41 % der befragten Zuschauer Cameron für den Sieger.

Wie in Graphik 8 zu sehen ist, bestätigen die ermittelten Daten der British Election

Studies den Gesamteindruck der angesprochenen Blitzumfragen Allerdings lässt sich

hier feststellen, dass Clegg aufgrund dieser Daten das dritte TV-Duell weitaus deutlicher

als Verlierer beendete, als dies die Daten der Blitzumfragen erwarten ließen.

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5. Fazit

Folgende Punkte möchten wir festhalten:

Alle drei Parteien haben einen enormen Schwerpunkt auf die Onlinepräsenz und die

direkte Kommunikation mit ihren Wählerinnen und Wählerinnen gelegt und sich in

diesem Punkt technisch und bezüglich der Ausstattung und Gestaltung kaum

unterschieden. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf den Sozialen Netzwerken und der

damit verbundenen Möglichkeit zum Dialog.

Vergleicht man den in Großbritannien betriebenen Aufwand der Parteien im Onlinebereich

mit dem in Deutschland, sind klare Unterschiede erkennbar. Während das

Thema Onlinewahlkampf in Deutschland noch vergleichsweise stiefmütterlich behandelt

wird, setzt man in Großbritannien bereits in einem sehr hohen Maße auf die webbasierte

Kommunikation und die daraus resultierende Nähe und den direkten Kontakt zu

den Wählerinnen und Wählern.

Die Parteien und Kandidaten verließen sich aber nicht ausschließlich auf die neuen

Medien, die für erfolgreiche Mobilisierung entscheidende Verknüpfung von Online- und

Offline-Kommunikation war zu beobachten. Konkret bedeutet dies, dass auch in

Großbritannien die drei Parteien nicht ohne die klassische „Ochsentour“ auskamen. Die

drei Spitzenkandidaten waren insgesamt fünf Wochen mit ihren Wahlkampfteams in

Bussen, Bahnen und Flugzeugen unterwegs, immer bemüht, eine große Anzahl an

Pressevertretern im Schlepptau zu haben, um möglichst eine weitreichende

Berichterstattung in den Medien zu erhalten. Nick Clegg eilte in seinem gelben „battle

bus“ kreuz und quer durch Großbritannien, von Termin zu Termin, von Veranstaltung zu

Veranstaltung. Die Gespräche und Interviews mit der Presse erfolgten meist während

der Fahrt, aus Gründen der Zeitersparnis. Zudem wurde verstärkt auf die eigenen

Anhänger zur Mobilisierung der Wählerinnen und Wähler gesetzt. Die britischen

Parteien machten sich die Erkenntnis zunutze, dass die glaubwürdigsten und damit

besten Botschafter für die eigene Partei ihre Mitglieder und Unterstützer sind.

Die TV-Duelle waren das Novum im britischen Wahlkampf und gerade deshalb kommt

ihnen eine besondere Bedeutung bei. Die drei Fernsehdebatten und insbesondere die

daraus resultierende Berichterstattung in sämtlichen Medien haben einen wichtigen

Beitrag zu dieser bereits angesprochenen „ungewöhnlichen Wahl“ geleistet.

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Durch die Debatten wurde eine größere Anzahl an potentiellen Wählerinnen und

Wählern erreicht und die Themen des Wahlkampfs konnten weitreichender gestreut und

verbreitet werden. Zumindest kurzfristig konnte das Interesse der Bevölkerung an der

Wahl gesteigert werden. Dennoch blieb das allgemeine Interesse mit circa 9,4 Mio. Zuschauern

weit hinter den Erwartungen der Fernsehsender zurück. Der TV-Sender ITV,

welcher das erste Duell übertrug und eigens auf doppelseitigen Zeitungsannoncen ein

„Drama zur besten Sendezeit“ versprach, erwartete laut einem Bericht des Spiegels

ganze 20 Mio. Zuschauer.

War dieser Wahlkampf ein Erfolgreicher für eine der drei Parteien? Was ist überhaupt

ein erfolgreicher bzw. ein „guter“ Wahlkampf? Ist es ähnlich wie beim Fußball: nur das

Ergebnis zählt? So einfach ist es nicht. Die Parteien müssen ihren Wahlkampf an den

Zielen, die sie hierfür formulierten, messen lassen. In dieser Hinsicht haben alle drei

Parteien verloren: Brown und Labour sind nicht mehr an der Regierung, Cameron hat

zwar mit den Konservativen den Wechsel geschafft, aber regiert nicht alleine. Und auch

Clegg und die Liberaldemokraten hatten sich ein besseres Ergebnis erhofft. Aus der

Perspektive muss man den Wahlkampf als „nicht erfolgreich“ bezeichnen.

Wenn es aber den Wahlkämpfern gelungen ist, Bürgerinnen und Bürger wieder näher

an die Politik zu bringen, wenn mehr Bürger über Politik sprechen und diskutieren als

dies zuvor der Fall war, dann hat der Wahlkampf einen positiven, nachhaltigen Effekt.

Und dies scheint auf den ersten Blick so zu sein. 2 Die Parteien haben sich mehr denn je

bemüht, mit Hilfe neuer IuK-Technologien auf Wählerinnen und Wähler zuzugehen:

„high tech“ mit „high touch“. Der direkte Kontakt und der direkte Dialog standen im

Vordergrund. Wie nachhaltig dieser sich auch in Nichtwahlkampfzeiten gestaltet, wird

die nahe Zukunft zeigen.

2 Die Ergebnisse der British Election Study sind hierzu noch nicht verfügbar. (Stand 24. Mai 2010)

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6. Links zum Thema:

http://www.conservatives.com/

http://www2.labour.org.uk/home

http://www.libdems.org.uk/home.aspx

http://bes.utdallas.edu/2009/

http://news.bbc.co.uk/2/shared/election2010/results/

http://ukpolitics.telegraph.co.uk/

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