Sans-Papiers-Kinder Interview-Manual - Schweizerisches Rotes Kreuz
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Lizentiatsarbeit zu <strong>Sans</strong>-<strong>Papiers</strong>-<strong>Kinder</strong>n von Lisa Weiller Fallanalysen<br />
4.4.2. Azad gibt Einblick in seine Lebenswelt<br />
Azad möchte lieber spielen als erzählen. Die <strong>Interview</strong>erin versucht immer wieder von<br />
neuem, Azad zu Erzählungen aus seinem Leben zu animieren. Doch er weicht aus, spricht<br />
von seiner Zeichnung oder sagt, er möge nicht mehr sprechen, sei müde, wolle spielen.<br />
Azad ist noch sehr klein, es ist für ihn sehr anstrengend, alles zu verbalisieren. Deutsch zu<br />
sprechen kostet ihn zusätzliche Mühe und die Fragen der <strong>Interview</strong>erin sind nicht sehr<br />
einfach zu beantworten. Vielleicht fällt es Azad auch schwer zu erzählen, weil seine Mutter<br />
gleich nebenan auf dem Balkon ist und jederzeit wieder reinkommen kann. Im Gegensatz zu<br />
den anderen <strong>Interview</strong>s hat die <strong>Interview</strong>erin weniger Zeit und Raum, um alleine mit dem<br />
Kind zu sprechen. Umso wichtiger wurde das Beobachtungsprotokoll, aber auch die<br />
Erzählungen der Mutter, um die Daten des <strong>Interview</strong>s und den Einblick in Azads Lebenswelt<br />
zu ergänzen.<br />
Azad besucht sowohl den <strong>Kinder</strong>garten als auch die Tagesschule gerne. Wichtig für ihn ist,<br />
dass er dort spielen kann. Azad spielt sehr gerne und kann sich dabei gut alleine<br />
beschäftigen. Des Weiteren sind der <strong>Kinder</strong>garten und die Tagesschule Orte, die er<br />
gemeinsam mit seinem guten Freund Hassan besucht. Gemeinsam mit Hassen kann Azad<br />
alles Mögliche spielen und manchmal nach draussen gehen, sie wohnen in der Nähe von<br />
einander. Ausser Hassan hat Azad keine Freunde, von denen er erzählt. Er hat nur einen<br />
Freund, aber einen guten. Azad wünscht sich eine Schwester. Er sieht, wie andere <strong>Kinder</strong><br />
viel gemeinsam mit ihren Geschwistern unternehmen und sehnt sich danach, dies auch tun<br />
zu können. Dafür würde er auch etwas investieren, er würde das Baby wickeln und füttern,<br />
wenn er nur eine Schwester bekäme.<br />
Mit Stolz präsentiert Azad all seine Spielsachen: eine Wasserpistole, die nicht mehr richtig<br />
funktioniert, sie ist beim Spielen kaputt gegangen; zwei Masken, eine Spidermanmaske und<br />
eine selbst gemachte Gipsmaske, Azad hat die Spidermanmaske mit dem Gummizug der<br />
anderen Maske repariert; ein batteriebetriebenes Miniklavier; ein kleines Kaleidoskop; ein<br />
Spielauto; ein paar Legosteine und einen ‚Otomaten’, einen Münzautomaten. Letzteres ist<br />
ein hölzernes Kästchen, in das man eine Münze reinstecken kann und mit einer einfachen<br />
Mechanik ein kleines Etwas dafür rauskommt. Azad hat grosse Freude an seinem Otomaten.<br />
Er hat ihn nicht selbst gemacht, sondern zum Geburtstag bekommen, inklusive ein paar<br />
kleinen Münzen. Mit dem Otomaten kann sich Azad sehr lange verweilen. Immer wieder<br />
bastelt er daran herum, damit er wieder so läuft, wie er sollte. Er spielt dabei mit seinem<br />
Geld, was ihm, im Gegensatz zu seiner Mutter, gut gefällt. Das Geld, das Azad besitzt, hat er<br />
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