JOSEPH BEUYS - Materialien
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Joseph Beuys - Der Schamane<br />
Alexander Reindl, 2011/12<br />
Schwerpunkt im Fach Stilkunde
Inhaltsverzeichnis<br />
Beuys Beziehung zum Tier - Beuys der Schamane .................................................................. 1-2<br />
„Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt ...“ .................................................................. 3-4<br />
I like America and America likes Me .................................................................................... 5-6<br />
<strong>Materialien</strong> ..................................................................................................................... 7-8<br />
Filz .............................................................................................................................. 7<br />
Fett ............................................................................................................................. 7<br />
Honig ........................................................................................................................... 7
Beuys Beziehung zum Tier - Beuys der Schamane<br />
Der Künstler Joseph Beuys wollte, mit seiner am Schamanen<br />
orientierten, mystischen Person, Zeichen für die<br />
Zukunft setzen. Laut Definition wird ein Schamane als<br />
Medizinmann und Zauberer angesehen, zu dessen religiösen<br />
und metaphysischen Aufgaben Krankenheilung,<br />
Rituale, Prophetie und soziale Regulierung gehören. Der<br />
Schamane besitzt materielle und spirituelle Kräfte und<br />
gilt als Vermittler zwischen den Menschen und der Welt<br />
der Götter. Einem Schamanen geht es darum, Dinge zu<br />
ergründen und erfahren, die nichts mit dem Rationalen<br />
oder der Vernunft zu tun haben. Joseph Beuys hatte<br />
durchaus Anküpfungspunkte an diese mystische Gestalt<br />
gefunden. Beuys äußerte sich:<br />
„Andere bezeichnen gewisse Elemente, wie auch mein Verhalten,<br />
meine Aktionen und viele Charaktere in den Zeichnungen<br />
als Schamanismus. Ich akzeptiere das ja sogar.<br />
Ich sage aber nur in dem Sinne, dass ich nicht durch den<br />
Schamanismus auf den Tod hinweise, sondern umgedreht:<br />
durch den Schamanismus weise ich auf den Todescharakter<br />
unserer Gegenwart hin. Ich weise aber zugleich darauf<br />
hin, dass der Todescharakter der Gegenwart in der Zukunft<br />
überwindbar ist.“ 1)<br />
Die Legenden, die sich um seine Person umgeben und erschaffen,<br />
beruhen zum Großteil auf der Geschichte seiner<br />
Rettung nach seinem Flugzeugabsturz im 2. Weltkrieg.<br />
Auch sein Äußeres hatte Erkennungswert. Zu seinen charakteristischen<br />
Kleidungsstücken zählten der Filzhut und<br />
die Anglerweste. Als Accessoires trug Beuys ein Hasenkiefer<br />
als Krawattennadel und Hasenköttelchen in der<br />
Brusttasche. Brigitte Marschall vergleicht den Hut mit<br />
einer Maske, dessen Träger eins wird mit dem Symbol. Die<br />
Bedeutung der Maske, deren Ursprung im Kult liegt, ist<br />
für den Träger von großer Bedeutung. Durch sie werden<br />
ihm religiöse Kräfte und Kräfte der Natur übertragen. 2)<br />
Joseph Beuys‘ Intention, die Kunstwelt und die Gesellschaft<br />
zu reformieren, sind auf depressive Erschöpfungszustände<br />
zurückzuführen, an denen der Künstler 1955<br />
litt. Während seiner Krise wäre es ihm wie einem Schamanen<br />
gelungen, sich selbst zu heilen. Beuys verstand<br />
sich selbst nie als Heiler im direkten Sinne, sondern als<br />
Person, die ihre Mitmenschen mit Hilfe der Kunst zur<br />
Selbstheilung anregt. Kunst war für ihn Medizin, Therapie,<br />
er ging sogar soweit sie als Salbe oder Pille zu bezeich-<br />
nen. Von der Idee des Künstlers als Heiler distanzierten<br />
sich seine Künstlerkollegen im Nachkriegsdeutschland,<br />
da auch die Nationalsozialisten behaupteten, sie wollten<br />
Deutschland heilen.<br />
Beuys sagte: „Krankheiten sind fast immer auch geistige<br />
Krisen im Leben, wo alte Erfahrungen und Denkvorgänge<br />
abgestoßen beziehungsweise zu durchaus positiven Veränderungen<br />
umgeschmolzen werden.“ 3) Diesen Erneuerungsvorgang<br />
übertrug er auf die Kunst, auf die Gesellschaft,<br />
auf die Politik und auf sein Verständnis eines demokratischen<br />
Staates. Diese Denkvorgänge fasste er unter dem<br />
„Erweiterte Kunstbegriff“ zusammen. Seine Kunst sollte<br />
die althergebrachte Trennung zwischen Kunst, Leben und<br />
Politik aufheben. So stellte er die Gleichung auf: Kunst<br />
= Mensch = Kreativität = Freiheit. Dies besagt, dass der<br />
Mensch als kreatives Wesen auch ein freies Wesen ist.<br />
Das zentrale Anliegen von Beuys war die Erweiterung des<br />
tradtionellen Kunstbegriffs bis hin zu einer „anthropologischen<br />
Kunst“, in der der Mensch Mittel- und Ausgangspunkt<br />
ist. Die Wirkungsbereiche der Kunst wurden auf alle<br />
menschlichen Tätigkeitsbereiche ausgedehnt. Der traditionellen<br />
Kunst warf er vor, nur schöne Bilder produziert<br />
und bestenfalls aufklärerisch gewirkt, nicht aber auf die<br />
Gesellschaft unmittelbar eingewirkt zu haben. Er dagegen<br />
wollte Bewusstsein bilden, die Ideale „Demokratie, Geist,<br />
Solidarität“ verwirklichen und die Gesellschaft zu einem<br />
„Sozialen Organismus“ formen. Der Prozess des kreativen<br />
Denkens und politischen Handelns war wichtiger als das<br />
Herstellen des eigentlichen Kunstobjektes. Geheimnisvoll<br />
und eigenartig waren seine Werke. Er wollte alte Denkstrukturen<br />
aufbrechen, die er als zu einseitig und rational<br />
kritisierte. Mit der provokanten Veränderung der gewohnten<br />
Logik des Betrachters wollte er ihn zu Beobachtungen<br />
führen.<br />
Am Beispiel des Tieres vesuchte Beuys, eine künstlerische<br />
Strategie der Partizipation zu entwickeln. Er strebte danach,<br />
das Wesen und das Bewusstsein der Tiere mit dem<br />
der Menschen für seine Gesellschaftsutopie in Einklang zu<br />
bringen. Der materialistisch geprägte Mensch sollte Intuition<br />
und Imagination, Fähigkeiten, die er der Tierwelt<br />
zuschrieb, wieder gewinnen. Typisch für seine Arbeiten<br />
aus den Fünfzigerjahren waren Themenschwerpunkte wie<br />
Rationalismuskritik, Kristallformen, Kristallisationspro-<br />
1) Beuys im Gespräch mit Heiner Bastian und Jeannot Simmen, in: Rotterdam 1979, S.32. Zur Thematik des Schamanismus bei Beuys vgl. u.a.<br />
Heller 1984; Goodrow 1991; Graevenitz 1991; Müller 1994; Kuspit 1995; Fischer-Lichte 2000; Krems 2008; Bochardt-Birbaumer 2010<br />
2) 176 vgl. Brigitte Marschall und Martin Fichter: Theater nach dem Holocaust. Documentartheater, Popästhetik und Happening.<br />
Wien, 2006. S. 214.<br />
3) Adriani, Götz; Konnertz, Winfried; Thomas, Karin: Joseph Beuys, Köln 1993. S.40.<br />
1
Beuys Beziehung zum Tier - Beuys der Schamane<br />
zesse sowie Tiere und erdbezogene Themen. In verschiedenen<br />
prägnanten Tiermotiven, die er entwickelte, wie<br />
Hase, Hirsch, Elch, Biene, vereinte er mythische Bezugspunkte<br />
zum Menschen.<br />
Zunächst suchte er in der Zeichnung und in der Skulptur<br />
experimentell die Zwischenform zwischen Mensch und<br />
Tier, bis er schließlich in seinen Aktionen dem wirklichen<br />
Tier begegnete oder selbst als Tiermensch erschien. In<br />
der romantischen Moderne wurde erstmals die Frage nach<br />
dem Wesen des Tieres in einen metaphysischen Diskurs<br />
hineingeführt, der eine anthropologische Sicht auf das<br />
Tier ermöglichte. Die Vorstellungen aus dem deutschen<br />
Idealismus, Goethes Weltbetrachtung, Nietzsches Philosophie<br />
und die eklektische Anthroposophie von Rudolf<br />
Steiner waren für die von Beuys metaphysische Auffassung<br />
vom Tier von wesentlicher Bedeutung. Nach der<br />
Auffassung von Nietzsches „noch nicht fixiertes Menschentier“<br />
bleibt der Mensch, solange er das Tier bis zur<br />
Vernichtung nur verdrängt und (oder das Tier in sich)<br />
nicht zum Menschen erlöst, ein gebundenes, unfreies<br />
Wesen. Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelte Joseph<br />
Beuys seine umfassende Vorstellung vom Künstlermenschen<br />
als Freiheitswissenschaft. Um zu diesem höheren<br />
Menschen zu kommen, muss der Mensch über das Seil<br />
gehen, das sich zwischen Tier und Übermensch spannt. 4)<br />
Dieser Weg in die Freiheit war ein Weg der Tat, den Beuys<br />
als handelnder und organisierender Künstler beschritten<br />
hatte. In den Aktionen von Beuys bekamen die Tiere auf<br />
der einen Seite zeichenhaften Charakter: Sie standen als<br />
Symbole für verschiedene Inhalte. Ihre Verhaltensweisen<br />
wurden andererseits als Repräsentation menschlicher Eigenschaften<br />
benutzt.<br />
Beuys ging es in seiner „Tierarbeit“ um die Heilung des<br />
Menschen von seiner materialistischen Ausrichtung. Dabei<br />
spielte das Tier, wie auch die Pflanze und das Mineralische,<br />
eine voraussetzende Rolle in der seelischen<br />
Gesamtentwicklung des Menschen. In seiner gesamten<br />
Kunst zeigte Joseph Beuys große Feinfühligkeit gegenüber<br />
der Natur als belebtem und geisterfülltem Organismus.<br />
Dazu dienten seiner Meinung nach Mythologie und<br />
Schamanismus.<br />
4) Martin Heidegger schreibt bezogen auf Nietzsches Übermenschen „Der Mensch ist, wenn er nicht bei der Art des bisherigen Menschen stehen<br />
bleibt, ein Übergang; er ist eine Brücke; er ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch.“ Martin Heidegger, Was heißt Denken?, Stuttgart<br />
1992, S.41<br />
2
„Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“<br />
Auffällig ist, dass besonders in den aktionistischen Werken<br />
von Beuys, die sich dem Tier zuwenden, die Sprache<br />
zum eigentlichen Thema wird. „Wie man dem toten Hasen<br />
die Bilder erklärt“ ist eines der prägnantesten Beispiele.<br />
Der Künstler unternahm den Versuch, eine philosophische<br />
Kommunikation mit einem Tier den gleichen Wert zuzuschreiben,<br />
den ein intellektuelles menschliches Gegenüber<br />
verdiente.<br />
Josep Beuys nahm seinen Hut ab und ließ seinen Kopf<br />
mit Honig einreiben und Blattgold ummanteln. Er folgte<br />
damit zeremoniellen Praktiken, bei denen Maske und<br />
Maskierung die Verwandlung in eine andere Gestalt mit<br />
überindividuellen und spirituellen Fähigkeiten anzeigen.<br />
Die archaische Maske der Reinheit gestattete es Beuys,<br />
das Gespräch mit dem noch im Status der Reinheit verharrenden<br />
Tier einzugehen. Die verwendeten Materialen<br />
waren typisch für Beuys und verfügten über eine eigene<br />
Bedeutungstradition. Der Kopf als Sitz des Denkens wurde<br />
durch die Materialen Honig und Gold aufgewertet und erhielt<br />
durch die Vergoldung eine spirituelle Aussstrahlung.<br />
Gold und Honig stehen nicht nur für Reichtum, sondern<br />
verweisen auch auf Lebendigkeit, das Sinnliche. Die <strong>Materialien</strong><br />
durchdringen den Geist und beleben ihn. Gold<br />
hatte für Beuys überhöhenden Charakter. In der griechischen<br />
Mythologie galt Gold auch als Farbe des Todes und<br />
Zeichen der Todesnähe. Honig stand in der Theorie von<br />
Joseph Beuys für die Repräsentation des Denkens. Beuys<br />
sagte über seine Vorstellungen der Funktion von Honig:<br />
„Mit Honig auf dem Kopf tue ich natürlich etwas, was mit<br />
Denken zu tun hat. Die menschliche Fähigkeit ist nicht,<br />
Honig abzugeben, sondern zu denken, Ideen abzugeben.<br />
Das wird jetzt parallel gesetzt. Dadurch wird der Todescharakter<br />
des Gedanken wieder lebendig gemacht. Denn Honig<br />
ist zweifelsohne eine lebendige Substanz.“ 5) Die Maske aus<br />
Gold und Honig war substanzieller Bestandteil der Aktion.<br />
Beuys stellte den Transformationsgedanken in den<br />
größeren zyklischen Zusammenhang von Geburt und Tod,<br />
Tod und Auferstehung.<br />
Ablauf<br />
Die Aktion „Wie man einem toten Hasen die Bilder erklärt“<br />
fand am 26. November 1965 in der Galerie Schmela<br />
in Düsseldorf anlässlich der Eröffnung der ersten Einzelausstellung<br />
von Beuys „... irgend ein Strang ...“ statt. Zuächst<br />
war die Galerie mit der Ausstellung für die Besucher<br />
geschlossen. Die Zuschauer hatten lediglich durch ein<br />
Fenster Einblick und bekamen nur mit, dass da irgend etwas<br />
passierte. Die Aktion dauerte zwei bis drei Stunden.<br />
Joseph Beuys saß mit dem Rücken zum Fenster auf einem<br />
Schemel. Das Bein des Schemels war mit Filz umwickelt,<br />
unter ihm lagen ein Mikrofon, ein Knochen und eine Filzsohle.<br />
Beuys‘ Kopf war vollkommen mit Honig und Blattgold<br />
bedeckt, Gold im Wert von 200 DM. In seinen Armen<br />
hielt er einen toten Hasen, den er ansah. Nach einiger<br />
Zeit stand Joseph Beuys auf und ging mit dem Hasen zu<br />
den Bildern, von deren Betrachtung die Zuschauer ausgeschlossen<br />
waren. Er führte den Hasen durch den Raum<br />
und es sah so aus, als würde er dem Hasen die Kunstwerke<br />
erklären. Der Künstler ließ den Hasen mit seiner Pfote<br />
die Bilder berühren und sprach dabei mit ihm. Er hob<br />
das Kinn des Hasen, als wolle er auf bestimmte Details<br />
5) Rappmann, Rainer; Schata, Peter; Harlan, Volker: Soziale Plastik. <strong>Materialien</strong> von Joseph Beuys, Achberg, 1976. S.61.<br />
3
„Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“<br />
aufmerksam machen. Am rechten Fuß trug Joseph Beuys<br />
eine Eisensohle, die durch ein Mikrophon verstärkt, ein<br />
klackerndes Geräusch beim Gehen erzeugte. Anschließend<br />
wurden die Türen der Galerie für das Publikum geöffnet<br />
und Beuys nahm erneut seinen Platz auf dem Schemel<br />
ein. Dort blieb er bis zum Ende sitzen und wurde so zum<br />
Teil der Ausstellung und von den Besuchern wie eines der<br />
Ausstellungsstücke betrachtet.<br />
Beuys ging es nicht um ein Verstehen im rationalen Sinn,<br />
es sollte vielmehr ein Verstehen durch Gefühle und Intuition<br />
über das Unbewusste zum Ausdruck kommen. Er<br />
selbst sagte „Ich erkläre sie ihm, weil ich sie nicht Leuten<br />
erklären mag ... Ein Hase versteht mehr als viele menschliche<br />
Wesen mit ihrem sturen Rationalismus ... Ich sagte<br />
ihm, dass er die Bilder nur gerade ansehen müsse, um<br />
zu verstehen, was wirklich wichtig an ihnen ist. Der Hase<br />
weiß vermutlich besser als der Mensch, dass Richtungen<br />
wichtig sind.“ 6) Die Menschen verlangten seiner Meinung<br />
nach angesichts geheimnisvoll erscheinender Dinge wie<br />
der Kunst stets nach rationalen Ausdeutungen, die jedoch<br />
nicht ausreichten. Es ging ihm in seiner Kunst nicht<br />
um das analytische Begreifen, sondern um das intuitive<br />
Erfassen.<br />
Die zentralen Materialen dieser Aktion waren Hase, Gold<br />
und Honig. Das Motiv vom Hasen hatte in Beuys Werk<br />
6) Schneede, Uwe M.: Joseph Beuys. Die Aktionen, Bonn 1994. S.103<br />
7) Wedewer, Romain: Über Beuys, Düsseldorf, 1972. S.31<br />
8) Gespräch mit Richard Hamilton für die BBC, aufgezeichnet am 26. Februar 1972<br />
wechselnde Bedeutungen. In dieser Aktion stellte der<br />
Hase das positive Gegenbild zum einseitig entwickelten<br />
Menschen dar. Der Hase war das Inbild für einen im Ursprünglichen<br />
noch vorzufindenden reicheren Zustand. Er<br />
war für Joseph Beuys auch ein Zeichen für Neuentstehung,<br />
Veränderung und Entwicklung: „Der Hase hat direkt<br />
eine Beziehung zur Geburt [...] Für mich ist der Hase ein<br />
Symbol für die Inkarnation.“ 7) Durch seine hakenschlagende<br />
Schnelligkeit stand der Hase auch für jenen Bewegungsmoment,<br />
der unabdingbar schien zur Überwindung<br />
der bestehenden geistigen Erstarrung. „Die Idee, einem<br />
Tier etwas zu erklären, fördert den Sinn für das Geheimnis<br />
der Welt und der Existenz, der die Imagination anspricht.<br />
Wie gesagt, noch ein totes Tier bewahrt stärkere Kräfte der<br />
Intuition als manche menschliche Wesen mit ihrem unerbitterlichen<br />
Rationalismus.“ 8)<br />
In dem sich Joseph Beuys dem Publikum verweigerte,<br />
indem er es aussperrte und ihm die Kommunikation versagte,<br />
aber eine Kommunikation ablaufen ließ, wollte er<br />
den Prozess der Imagination sowohl vorführen als auch<br />
beim Publikum in Gang setzten. Im Rückgriff auf mythische<br />
und scharmanistische Muster stellte sich Beuys<br />
symbolisch als Lehrer im Geistigen dar. Er entzog sich<br />
den Menschen , um indirekt dennoch auf sie einzuwirken,<br />
er führte eine geistige Verbindung zum Tier vor, die allen<br />
anderen versagt war.<br />
4
I like America and America likes Me<br />
Dem Galeristen René Block gelang es, zur Eröffnung<br />
seines Hauses in Manhattans Künstlerviertel Soho Josef<br />
Beuys für die dreitägige Aktion „I like America and<br />
America likes Me“ nach Amerika zu holen. Vom 21. bis<br />
25. Mai 1974 täglich von zehn bis achtzehn Uhr zeigte<br />
Beuys diese Aktion in der Galerie seines Künstlerkollegen.<br />
Joseph Beuys ließ sich über diese Zeit in einem Raum<br />
mit einem Kojoten einschließen. Der Kojote „Litte John“<br />
war Partner in seiner Aktion. Schon Beuys` Ankunft in<br />
Amerika war Teil der Inszenierung. Um zu vermeiden,<br />
dass er amerikanischen Boden betritt, ließ er sich am<br />
Kenneyflughafen in New York in Filz einrollen und in einem<br />
verhangenen Krankenwagen direkt zu Block‘s Galerie<br />
fahren und sich auf einer Bahre in diese tragen zu lassen.<br />
Während seines Aufenhalts im Rahmen seiner Aktion „I<br />
like America and America likes me“ sollte Amerika seine<br />
Sinne nicht berühren.<br />
Abgeschieden von der kapitalistischen Außenwelt, inmitten<br />
von Wolkenkratzern, hupenden Autos und Sirenen versuchte<br />
Joseph Beuys Zugang zu einer „Bestie“ zu finden.<br />
Joseph Beuys hatte bei sich nur Lederhandschuhe, eine<br />
Triangel, eine Taschenlampe, einen Spazierstock und eine<br />
große Filzbahn. Er betrat den Aktionsraum durch eine Tür<br />
in einer Maschendrahtwand, hinter der sich das Publikum<br />
befand. Beuys erschien wie ein Schäfer komplett in Filz<br />
gehüllt mit einem Hirtenstock. Beuys ließ den Filzmantel<br />
vom Tier herunterreißen. Er näherte sich dem Kojoten<br />
und lockte ihn. Beuys stapelte während seiner Aktion<br />
Ausgaben der Tageszeitung Wall Street Journal. Das für<br />
den Kojoten ausgelegte Stroh wurde vom Tier nicht wahrgenommen.<br />
„Littel John“ machte es sich auf den Zeitungen<br />
gemütlich, auf denen das Tier wunschgemäß Wasser<br />
ließ. Hin und wieder schlug Beuys die Triangel. Im Laufe<br />
der Tage fasste das Tier zunehmends Vertrauen und erwartete<br />
morgens schon den Menschen und passte sich dessen<br />
Aktionsrythmus an. Langsam baute sich eine Beziehung<br />
zwischen Mensch und Tier auf. Als Beuys nach drei Tagen<br />
die Aktion beendete, umarmte er den Kojoten zum Abschied<br />
und verstreute das Stroh im Raum. Der Künstler<br />
ging wie er gekommen war. Mit Krankenwagen, Sirenen<br />
und in Filz eingehüllt verließ Joseph Beuys Amerika.<br />
5
I like America and America likes Me<br />
Kojote<br />
Der Kojote repräsentierte für Beuys ein Amerika, das noch<br />
ein unproblematisches Zusammenleben von Mensch und<br />
Tier kannte - das präkolumbianische. Bis die weißen Kolonisatoren<br />
die Indianer und den Kojoten aus ihrem Terrain<br />
vertrieben, war der Koyote Freund des Menschen. Der<br />
Kojote gehört zu einer in Nordamerika heimischen Hundeart,<br />
die einem Wolf ähnelt. Von den nordamerikanischen<br />
Ureinwohnern wird der Kojote als ein heiliges Tier verehrt<br />
und spielt im Schöpfungsmythos der Ureinwohner Nordamerikas<br />
eine aktive Rolle in der Entstehung der Welt.<br />
Beuys sagte „Da habe ich ein Tier genommen, das für die<br />
amerikanische Psyche eine große Rolle spielt, den Kojoten.<br />
Er steht als Repräsentant für die unbewältigte Vergangenheit<br />
des Mordes an den Indianern und wird von den Amerikanern<br />
heute noch gehasst“ 9) Der Kojote verkörperte nicht<br />
nur das Gute oder das Böse, sondern sowohl das Gute als<br />
auch das Böse. Er vereinigte alles in sich, er konnte alle<br />
Sprachen, er überwand alle Hindernisse. Wurde er in Zorn<br />
versetzt, brachte er Strafen und Krankheiten unter die<br />
Menschen. Mit rituellen Prozedoren konnte der Kojote allerdings<br />
beschwichtigt werden und befreite von Krankheit<br />
und Übeln. Mit diesem Status des Tieres zwischen Mythos<br />
und Realität arbeitete Beuys in seiner New Yorker Aktion.<br />
Der Kojote war für Beuys der Vertreter der Amerikaner<br />
und der einzige Berührungspunkt, den Beuys mit sich in<br />
Kontakt treten ließ. Der Kojote stand für die unterdrückte<br />
Seele, zugleich repräsentierte er das Natürliche, das<br />
Beuys an sich heranließ. Innerhalb der Performance trat<br />
das Tier sowohl als unkontrollierbarer Faktor, als ästhetisches<br />
Objekt oder als „vermenschlichtes Subjekt“ auf.<br />
9) Beuys in: Logo 1982, S.4<br />
10) Schneede, Uwe M.: Joseph Beuys. Die Aktionen, Bonn 1994. S.334<br />
Beuys ging es darum, „den Dialog des Menschen mit dem<br />
Naturreich wieder in Gang zu bringen. Es darf nicht nur<br />
eine Kommunikation zwischen den Menschen geben, sondern<br />
sie muß auch mit anderen Wesen stattfinden.“ 10) Er<br />
wollte den Menschen daran erinnern, dass er den natürlichen<br />
Bezug zur Welt verloren hat und den Umgang mit<br />
der Natur erneut erlernen muss. Um diese Erinnerung zu<br />
wecken, setzte er den schamanenhaften Charakter ein.<br />
Beuys und Amerika<br />
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatte in Europa die<br />
Rezeption der amerikanischen Künste eingesetzt. Zunächst<br />
war der Abstrakte Expressionismus im Vordergrund,<br />
anschließend hatte die Pop Art große Erfolge und<br />
Wirkungen in der Bundesrepublik Deutschland. Europäische<br />
Kunst fand hingegen in den Vereinigten Staaten<br />
kein Interesse mehr. Mit Beuys Erscheinen änderte sich<br />
allerdings die Situation. Joseph Beuys wurde zum Wegbereiter<br />
für eine intensive Aufnahme deutscher Kunst<br />
in den Vereinigten Staaten. Joseph Beuys wurde in den<br />
Siebziger Jahren mehrfach um Ausstellungen in Amerika<br />
gebeten. Er verweigerte sich lange, da er unter anderem<br />
nicht mit Kunstwerken im üblichen Sinn in den amerikanischen<br />
Kunstmarkt eintreten wollte. Andererseits hatte<br />
er nicht in den USA auftreten wollen, so lange das Land<br />
kriegerisch im Vietnam aktiv war. Ein Großteil der europäischen<br />
Intellektuellen hatte ein skeptisches Verhältnis<br />
zu den Vereinigten Staaten. Bei seinem ersten Besuch<br />
1974 ging es Beuys allein darum, mit der Erläuterung und<br />
Diskussion der Sozialen Plastik und von der notwendigen<br />
Erneuerung der Gesellschaft zunächst einmal gedanklich<br />
den Boden zu bereiten.<br />
6
<strong>Materialien</strong><br />
Beuys‘ Aktionen erschienen dem Betrachter paradox und<br />
seltsam. <strong>Materialien</strong> wie Filz, Fett und Honig tauchten im<br />
wiederkehrenden Rhythmus auf. Er wollte sein Publikum<br />
daran gewöhnen, in diesen <strong>Materialien</strong> nicht nur das Materielle,<br />
sondern auch das Geistige wahrzunehmen. Vor<br />
allem haben die beiden <strong>Materialien</strong> Filz und Fett einen<br />
stark persönlichen Hintergrund. Als er im zweiten Weltkrieg<br />
als Sturzkampfflieger eingesetzt wurde, stürzte er<br />
1943 in einem Schneesturm ab. Beuys war bewusstlos<br />
und überlebte nur, weil er von Tartaren gefunden wurde.<br />
Sie pflegten seine schweren Wunden mit tierischem<br />
Fett und wickelten ihn in Filz ein, um ihn zu wärmen.<br />
Von diesen tiefschürfenden Ereignissen stark beeinflusst,<br />
benutzt er diese <strong>Materialien</strong>, um seine plastische Theorie<br />
darzustellen.<br />
Er setzte die von ihm verwendeten <strong>Materialien</strong> mit den in<br />
ihnen vorhandenen Eigenschaften gezielt ein, um seine<br />
Theorien zu veranschaulichen. Dabei spielten die Aggregatzustände<br />
der <strong>Materialien</strong> eine entscheidende Rolle.<br />
Feste Stoffe können geschmolzen und zu einer Flüssigkeit<br />
verwandelt werden, Gase können zu Festkörpern werden.<br />
Flüssigkeiten, die verdampfen, werden gasförmig,<br />
umgekehrt werden Gase durch Kondensation flüssig. Die<br />
Fähigkeit zur Transformation war immer ein wichtiger Bestandteil<br />
seiner Arbeiten. Jospeh Beuys verwendete <strong>Materialien</strong>,<br />
die einen niedrigen Schmelzpunkt haben, also<br />
sich schon bei Raumtemperatur dem flüssigen Zustand<br />
nähern, zur Veranschaulichung des Veränderungsprinzips<br />
von Denken und Handeln. Kombinationen von <strong>Materialien</strong><br />
und ihren Eigenschaften ergeben wieder neue Formen<br />
und Energien können entstehen. Es ist Bewegung<br />
vorherrschend, die er als treibende Kraft sieht. Dieses<br />
Denkmodell war zuvor schon von Goethe aufgekommen.<br />
Beuys sieht in diesen Bewegungen ein Vorbild für die<br />
Veränderungen im Bezug auf die Gesellschaft. Er sieht<br />
diese Veränderungsprozesse der Aggregatzustände seiner<br />
Materalien auf die Gesellschaft übertragen und versucht<br />
die Gesellschaft durch die Formprozesse zu einem Besseren<br />
hin zu bewegen.<br />
Filz<br />
Filz besteht aus Wolle und Tierhaaren, die durch Wärme<br />
und Wasser zusammengepresst und gewalkt werden, so<br />
11) Adriani, Götz; Konnertz, Winfried; Thomas, Karin: Joseph Beuys, Köln 1994. S.29 ff.<br />
dass die Wolle verfilzt. Filz hat eine chaotische Gewebestruktur.<br />
Filz ist Isolator und Wärmebewahrer, er verhindert<br />
Unterkühlung. Filz verkörpert für Beuys die beiden<br />
Gegenpole Chaos und Ordnung. Filz hat eine innere chaotische<br />
Struktur und eine äußere feste Form. Diese beiden<br />
Pole stehen im Denken von Beuys auch für Wärme (Chaos)<br />
und Kälte (Ordnung). Um von einem Pol zum anderen<br />
zu gelangen, benötigt es Bewegung. Diese Bewegung ist<br />
gleich bedeutend mit seiner Kunst, die den Menschen<br />
zurück zur Wärme führen soll. Wärme bedeutet also für<br />
ihn hier nicht mehr physische Wärme, sondern soziale,<br />
geistige und evolutionäre Wärme.<br />
Fett<br />
Fett ist als Inbegriff des organischen Lebens zu verstehen.<br />
Fett beschäftigte Joseph Beuys vor allem wegen<br />
seiner plastischen Qualitäten und seiner leichten Veränderbarkeit.<br />
Fett war für ihn der Gegenpol für Stein und<br />
Kristall mit ihrer Unveränderlichkeit. Fett ist erwärmt<br />
amorph, sogar flüssig, in erkaltetem Zustand nimmt es<br />
eine feste Form an. Fett ist, wie auch Filz Wärme- und<br />
Energiespeicher, ein Lebenselement. Als Lebens- und<br />
Überlebensmittel hängt Fett zudem eng mit dem menschlichen<br />
Körper zusammen. Fett liefert Energie und bewirkt<br />
innerkörperliche Transformationsprozesse. Fett verkörpert<br />
eine Idee - die Idee der Plastik. Beuys griff zu diesem außergewöhnlichen<br />
Material in der Kunst, das befremdlich<br />
auf den Betrachter wirkte und so den schamanistischen<br />
Ruf des Künstlers Joseph Beuys verstärkte.<br />
Honig<br />
Honig wird nicht nur als Nahrungsmittel, sondern auch<br />
als Heilmittel verwendet. Er ist ein Material des ständigen<br />
Übergangs zwischen flussig und fest, geformt und ungeformt.<br />
Honig eignet sich deswegen eher für Gedankenexperimente<br />
als für konkrete Plastiken. Auch die Bienen<br />
haben einen Bezug zu Ritus und Mythologie. „Der Wärmeorganismus<br />
des Bienenstaates ist zweifellos das wesentlichste<br />
Element, daß ich Wachs und Fett in Zusammenhang<br />
gebracht habe mit den Bienen. Das, was mich an der Biene<br />
oder vielmehr an ihrem Lebenssystem interessiert hat, ist<br />
die gesamte Wärmeorganisation eines solchen Organismus,<br />
und innerhalb dieser Wärmeorganisation gibt es eben plastische<br />
Ausformungen.“ 11)<br />
7
<strong>Materialien</strong><br />
Durch seine Arbeiten wollte Beuys Wärme erzeugen, die<br />
die erstarrten Verhältnisse, Gegebenheiten oder Vorstellungen<br />
erweicht und somit anschließend neu formt. Es<br />
muss also zunächst Chaos herrschen, damit etwas entstehen<br />
kann. Sein erweiterter Kunstbegriff überträgt dieses<br />
Kälte-Bewegung-Wärme-System auf die Gesellschaft.<br />
Beuys erwartete von seinen Betrachtern, dass sie versuchten,<br />
eher intuitiv zu verstehen, als mit Rationalität<br />
erklären zu wollen. Seine Werke sollten für Verwirrung<br />
sorgen, um damit neues Denken zu erwecken. „Denken ist<br />
Plastik. Der aus der Kreativität herausgebildete Gedanke ist<br />
schon ein Kunstwerk, eine Plastik.“ 12)<br />
In der unermüdlichen Vermittlung seiner Vorstellungen,<br />
die auch ins Politische hineinwirken sollten, lebte Beuys<br />
in äußerster Konsequenz seinen eigenen Kunstbegriff.<br />
„Jeder Mensch hat jeden Tag die Möglichkeit,<br />
etwas Positives zu tun. Da braucht er gar nicht die<br />
Hoffnung, sondern er kann einfach nur seine<br />
Wahrnehmung bestätigen.“ 13)<br />
12) Lunau, Sybille-Kathrin: Kunst zwischen Pathologie und Erlösung - Zur Anwendung und Erweiterung der Kunst bei Franz Rosenzweig und<br />
Joseph Beuys, Münster 1997. S.185.<br />
13) Joseph Beuys, S. 262<br />
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Quellenverzeichnis<br />
• Schneede: Joseph Beuys Die Aktionen, Verlag Gerd Hatje, Ostfildern-Ruit bei Stuttgart 1994<br />
• Adriani, Götz; Konnertz, Winfried; Thomas, Karin: Joseph Beuys, Dumuont Buchverlag Köln, Köln 1994.<br />
• Christiane Hoffmans: Beuys Bilder eines Lebens, Seemann Verlag, Leipzig 2009<br />
• Schirmer, Mosel: Joseph Beuys, 2010<br />
• Schirmer, Mosel: Franz Marc und Joseph Beuys, Im Einklang mit der Naturw<br />
• Groener, Fernando; Kandler, Rose-Marie (Hrsg.): 7000 Eichen. Joseph Beuys, Köln 1987<br />
• Ruhrberg, Schneckenburger, Fricke, Honnef: Kunst des 20. Jahrhunderts<br />
• Wenzel, Angela: Joseph Beuys, Düsseldorf 1993<br />
• Lunau, Sybille-Kathrin: Kunst zwischen Pathologie und Erlösung - Zur Anwendung und Erweiterung der Kunst bei Franz Rosenzweig<br />
und Joseph Beuys, Münster 1997<br />
• www.7000eichen.de<br />
• www.wikipedia.org/wiki/Joseph_Beuys<br />
• http://www.kultur-punkt.ch/ereignisse/er-moyland-beuys06-11.htm