the life of the machines - Vladimir Stoupel
the life of the machines - Vladimir Stoupel
the life of the machines - Vladimir Stoupel
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Mehr als durch Kriege, religiöse und politische Umbrüche<br />
wurde das Lebensgefühl der Neuzeit durch die<br />
Industrialisierung grundlegend umgewälzt. Der Einbruch<br />
der Maschine in die Lebenswelt des Menschen, die zunehmende<br />
Dominanz der Maschinen in den Arbeitsprozessen,<br />
reflektierten Malerei und Literatur bereits im 19. Jahrhundert.<br />
In der Musik – der vermeintlich romantischsten<br />
aller Künste – fand eine Auseinandersetzung mit den<br />
sozialen wie materiellen und geistigen Implikationen<br />
dieses Wandels allerdings erst mit großer Verspätung, im<br />
Anschluß an den ersten Weltkrieg statt. In den zwanziger<br />
Jahren, jener „herrlich männlichen Epoche“, als der sie<br />
der Maschinen-Fetischist Fernand Léger apostrophierte,<br />
hielt das Maschinenzeitalter dann mit Vehemenz Einzug<br />
in Konzert- und Opernhäuser. Eine Oper wie „Maschinist<br />
Hopkins“ des Schreker-Schülers Max Brand eroberte sich<br />
Ende der zwanziger Jahre die Spielpläne und erreichte<br />
Aufführungszahlen wie nur Kreneks „Johnny spielt<br />
auf“. Honeggers Eisenbahn-Stück „Pacific 213 (1923)<br />
oder Alexander Mossolovs „Die Eisengießerei“ (1926-<br />
28) sorgten international für Furore. Als Höhepunkt<br />
der musikalischen Auseinandersetzung mit der Welt<br />
der Maschinen gilt George An<strong>the</strong>ils „Ballet mécanique“<br />
(1924). Die Auslotung der Möglichkeiten quasi-maschineller<br />
Organisation musikalischer Parameter (ostinates<br />
Repetieren und blockartiges Aneinanderreihen rhythmisch<br />
dominierter Bausteine), die An<strong>the</strong>il in den vorausgegangenen<br />
Klavierwerken der frühen 20er Jahre<br />
erprobte, wurde darin im großen Format umgesetzt. Mit<br />
dem Einsatz von Propellergeräuschen und Alarmsirenen<br />
tat An<strong>the</strong>il ein Übriges, um seinem Ruf als bilderstürmerischer<br />
„Bad Boy <strong>of</strong> Music“ gerecht zu werden: 10 Jahre<br />
nach Stravinskys „Sacre“ brauchte die Musikwelt einen<br />
neuen Skandal.<br />
Der Topos der Maschinenmusik übte – auch weniger<br />
vordergründig – einen wesentlichen Einfluß aus auf die<br />
Generation der Nachromantiker, zu deren geistigem<br />
Inventar sie gehörte wie der Jazz, die archaische<br />
Rhythmik der folkloristischen Werke Strawinskys, Atonalität<br />
und Dodekaphonie. Aus späterer Sicht scheint<br />
die Faszination dieser Generation von Komponisten<br />
durch das kalte Leben der Maschinen allerdings <strong>of</strong>t zu<br />
einseitig und zu positiv aus dem Blickwinkel des russischen<br />
Futurismus und Suprematismus interpretiert. Die<br />
hier projektierte Zusammenstellung einiger Werke des<br />
Klavierrepertoires vornehmlich aus der ersten Hälfte<br />
des 20.Jahrhunderts möchte deshalb das Ohrenmerk<br />
lenken auf die äußerst vielseitige, <strong>of</strong>t ambivalente Haltung<br />
der Künstler auf den Pulsgeber des neuen Lebensrhythmus,<br />
als der die Maschine verstanden wurde.<br />
So entstanden An<strong>the</strong>ils Maschinen-inspirierte Klaviersonaten<br />
und Kammermusikwerke der frühen 20er Jahre<br />
unter dem Eindruck zweier Träume von 1922, in denen<br />
die Schrecken der Vernichtungsmaschinerie des ersten<br />
Weltkriegs in die apokalyptischen Szenen einer neuen,<br />
globalen Menschheitsdämmerung projiziert werden:<br />
„Ungeheure Mengen toter und sterbender Maschinen<br />
eines entsetzlichen Zukunftskrieges lagen zerstört, um-<br />
geworfen, zu Fetzen zersprengt auf dem Schlachtfeld<br />
eines sintfluthaften Untergangs.“ Anders dagegen Wladyslaw<br />
Szpilmans Klaviersuite „Das Leben der Maschinen“:<br />
„in ihr ist der „musikalische Transfer des sich mechanisch<br />
Perpetuierenden nicht geprägt von Macht und<br />
Bedrohung, es sind eher gut gelaunt surrende, freche,<br />
manchmal hämische Maschinchen, wie zum Leben erwachte<br />
Uhrwerke: sie gewinnen ein individuelles charakteristisches<br />
Eigenleben, die interagieren.“ (Günter Herzfeld).<br />
Komponiert wurde sie nach dem durch die politischen<br />
Umstände erzwungenen Abbruch des Klavierstudiums<br />
bei Artur Schnabel 1933 in Berlin, im Jahr der nationalsozialistischen<br />
Machtergreifung, mit der der countdown<br />
zu dem von An<strong>the</strong>il vorausgeahnten neuen Weltkrieg<br />
zu laufen begann. Für Szpilman, den genialen Pianisten<br />
und Komponisten jüdischer Abstammung, führte er<br />
in die Hölle seines – von Polanski in „Der Pianist“ genial<br />
und ergreifend verfilmten – Überlebens-kampfes im Warschauer<br />
Ghetto.<br />
Was An<strong>the</strong>il von der modernen Klavierliteratur nach<br />
Chopin und Liszt behauptete, sie sei „essentially virtuoso,<br />
exploring <strong>the</strong> limits <strong>of</strong> <strong>the</strong> modern keyboard, as<br />
well as <strong>the</strong> limits <strong>of</strong> <strong>the</strong> composer’s invention in <strong>the</strong><br />
purely musical sense“, weist direkt auf Conlon Nancarrow,<br />
den großen und lange Zeit verkannten Pionier der mechanischen<br />
Klaviermusik, der nach seiner Entdeckung<br />
in den 70er Jahren nachhaltigen Einfluß auf die Avantgarden<br />
Amerikas und Europas nahm. Mit seinen durch<br />
Lochkarten gesteuerten Pianolas setzte er sich über<br />
die „natürlichen“ Grenzen des lebenden Interpreten<br />
hinweg und erkundete mit ultravirtuosen, polyrhythmischen<br />
und polymetrischen Tonkaskaden das Feld pianistischer<br />
Illusionistik. Wenige zeitgenössische Klaviervirtuosen<br />
haben den nancarrowschen Fehdehandschuh<br />
aufgehoben, haben ihre Technik an den Klavier-Transkriptionen<br />
seiner Werke für Pianola gemessen, – und<br />
sind damit den Beweis angetreten, daß der Gradus ad<br />
Parnassum ein Jahrhundert nach Scriabin, Godowsky,<br />
Leschetitzki, Medtner und H<strong>of</strong>fmann noch nicht zu Ende<br />
beschritten ist.<br />
Frank Harders-Wu<strong>the</strong>now<br />
Mechanische Klaviere dienten ursprünglich allein der<br />
Wiedergabe von originärer Klaviermusik – mit Ergebnissen,<br />
die den ersten akustischen Aufnahmen weit überlegen<br />
waren. So war es nur folgerichtig, daß bedeutende<br />
Pianisten (z. B. Ferruccio Busoni, Josef H<strong>of</strong>mann und<br />
Sergej Rachmaninow) ihr Spiel auf Klavier-Rollen (die auf<br />
mechanischen Klavieren abgespielt wurden) festhielten.<br />
Der Amerikaner Conlon Nancarrow zog daraus die ebenso<br />
eigenwillige wie revolutionäre Konsequenz, das mechanische<br />
Klavier als neuartiges Kompositionsmedium zu vereinnahmen.<br />
Mithilfe eines speziellen Stanzwerk-zeuges<br />
entwickelte er ein Verfahren, das es ihm erlaubte, direkt<br />
auf Klavierrollen zu komponieren (vergleichbar der Lochung<br />
von Streifen oder Karten bei älteren Computern).<br />
Dadurch ließen sich Texturen mit extrem raschen Tempi,<br />
ungewöhnlicher Klangdichte und komplexen Rhythmen<br />
12 13