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Wieviel Milch braucht der Mensch?

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<strong>Wieviel</strong> <strong>Milch</strong> <strong>braucht</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>?<br />

Zuschriften aus dem Leserkreis haben vita sana sonnseitig leben bewogen, zwei Ernährungsexpertinnen nach dem<br />

gesundheitlichen Nutzen von Kuhmilch und von <strong>Milch</strong>produkten zu befragen. Zur Verfügung gestellt haben sich die dipl.<br />

Ernährungsberaterin Regula Thut Borner, die bei <strong>der</strong> Organisation Schweizer <strong>Milch</strong>produzenten SMP tätig ist sowie die<br />

freiberuflich tätige Ernährungsberaterin und Diätistin Maria Schelbert. Beiden Fachfrauen wurden die gleichen Fragen<br />

gestellt.<br />

„Wenn es ums Essen geht, kocht jedes Land sein eigenes Süppchen“, witzelte <strong>der</strong> Ernährungswissenschaftler und<br />

Buchautor Udo Pollmer jüngst in einer Ausgabe von NZZ Folio. Pollmer ist wissenschaftlicher Leiter des Europäischen<br />

Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften. Weiter im Pollmer-Text:“Aber nicht nur je<strong>der</strong> Staat hat eigene<br />

Regeln, son<strong>der</strong>n auch jede Zeit. Denn die Empfehlungen werden in regelmässigen Abständen überarbeitet. Gerade hier<br />

gilt das alte Bonmot, dass unsere Erkenntnisse von heute die Irrtümer von morgen sind“.<br />

Udo Pollmers pikante Aussagen wollen in keiner Weise die Sachkenntnisse <strong>der</strong> beiden Interviewpartnerinnen tangieren.<br />

Sie sollen lediglich den Hinweis geben, dass wissenschaftliche Untersuchungen und Informationen zur Ernährung zwar<br />

wichtig sind, aber im Verlaufe <strong>der</strong> Zeit häufig dem Wandel unterliegen. In letzter Instanz muss jedes Individuum selbst<br />

entscheiden: Die Anregung, man solle auf den eigenen Körper hören, gilt ganz gewiss auch auf dem Gebiet <strong>der</strong> Ernährung<br />

– also ebenso beim Konsum von <strong>Milch</strong> und <strong>Milch</strong>produkten.<br />

Gehören <strong>Milch</strong> und <strong>Milch</strong>produkte zu einer ausgewogenen Ernährung?<br />

Regula Thut Borner: Im Kulturkreis <strong>der</strong> Alpenlän<strong>der</strong> gehören <strong>Milch</strong> und <strong>Milch</strong>produkte seit Jahrhun<strong>der</strong>ten zu den<br />

Grundnahrungsmitteln. Sie haben auch in nahrungsknappen Zeiten immer eine gute Energie- und Eiweissversorgung<br />

gewährleistet. Dank ihres grossen und vielfältigen Angebotes an Inhaltsstoffen konnte die <strong>Milch</strong> damals wie heute in vielen<br />

Bereichen stets eine gute Nährstoffversorgung anbieten – beispielsweise Eiweiss, Fett, Kohlenhydrate, Vitamine und<br />

Mineralstoffe. <strong>Milch</strong> und <strong>Milch</strong>produkte vermitteln in <strong>der</strong> Ernährung eine sichere Nährstoffzufuhr: Mit relativ wenig kann man<br />

viel erreichen. Wer diese Produktegruppe aus <strong>der</strong> Ernährung verbannt, ohne dass für entsprechenden Ersatz gesorgt<br />

würde, risikiert auf die Dauer Mangelerscheinungen.<br />

Maria Schelbert: <strong>Milch</strong> ist für den <strong>Mensch</strong>en nicht unbedingt lebensnotwendig, übrigens kommen auch an<strong>der</strong>e Kulturen<br />

gut ohne <strong>Milch</strong> aus. Störend finde ich von <strong>der</strong> Werbung eingesetzte Hinweise wie etwa „ohne <strong>Milch</strong> geht nichts.“ Bei<br />

<strong>Milch</strong>produkten stellt sich jeweils die Frage <strong>der</strong> Wertigkeit – <strong>Milch</strong> wird ja heute nicht nur pasteurisiert, son<strong>der</strong>n auch<br />

zusätzlich homogenisiert. Weiter kann die <strong>Milch</strong> je nach Verwendungszweck uperisiert, pulverisiert, sterilisiert, mit Zucker<br />

eingedickt, respektiv auch in ihre Einzelbestandteile zerlegt werden... usw.<br />

Aus dem solcherart aufbereiteten Urprodukt <strong>Milch</strong> kommen in grossen Mengen industriell verarbeitete, teilweise stark<br />

gezuckerte und mit Zusatzstoffen versetzte Fertigprodukte auf den Markt – beispielsweise <strong>Milch</strong>schnitte, Schmelzkäse in<br />

verschiedenen Geschmacksrichtungen, Früchte-Joghurts, Light-Produkte usw., Produkte also, die sicher nicht in dem Sinn<br />

zu einer ausgewogenen Ernährung gehören.<br />

Entscheidend ist immer auch, ob die Produkte biologisch o<strong>der</strong> konventionell hergestellt worden sind und ob und wie weit<br />

sie sich vom Urprodukt entfernt haben. Im Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, haben die Kühe Auslauf und im Sommer<br />

halten sie sich auf <strong>der</strong> Alp auf: Die <strong>Milch</strong>, die auf diese Weise gewonnen und direkt zu Alpkäse verarbeitet wird, hat mit<br />

Sicherheit eine höhere Wertigkeit als die weit verbreitete Handelsware.<br />

Ist die Wirkung von Trinkmilch auf den menschlichen Organismus die gleiche wie bei <strong>Milch</strong>produkten wie Käse,<br />

Butter, Joghurt usw.?<br />

RTB: Nein, weil <strong>Milch</strong> ein Grundangebot an Nährstoffen hat, das sich je nach Verarbeitung - also etwa durch Säuerung<br />

beim Joghurt o<strong>der</strong> durch den Reifeprozess beim Käse – in <strong>der</strong> Zusammensetzung verän<strong>der</strong>t. Bei Joghurt wird die<br />

Verdaulichkeit erhöht, bei Käse kommt es zu einer Nährstoffkonzentration und zu einer Erweiterung <strong>der</strong> Vitamine. Butter<br />

und Rahm würde ich weniger zu den kalzium- und eiweissspendenden <strong>Milch</strong>produkten zählen, weil hier vor allem die<br />

Fettkomponenten zählen und an<strong>der</strong>e Nährstoffe weit weniger stark vertreten sind.<br />

MS: Beifügen möchte ich, dass gesäuerte <strong>Milch</strong>produkte wie auch Quark o<strong>der</strong> Frischkäse vielen Leuten besser<br />

bekommen als Trinkmilch. Bei den angesäuerten <strong>Milch</strong>produkten wird die <strong>Milch</strong> mit Bakterien, resp. mit Lab eingedickt, was<br />

eine teilweise Vorverdauung des Eiweissanteils bewirkt und den <strong>Milch</strong>zucker zum grössten Teil abbaut.<br />

Mit weissem Zucker angereicherte <strong>Milch</strong>produkte haben Genusscharakter und sollten dementsprechend als „Genussmittel“<br />

gehandhabt werden.<br />

Auch bei den vielen leckeren Käsesorten fällt es schwer, das richtige Mass zu finden. Käse ist im Prinzip ein mit Salz<br />

angereichertes Eiweisskonzentrat und stellt, je nach Beschwerdebild, eher eine Belastung des Organismus dar.<br />

„<strong>Milch</strong>produkte“ ist ein sehr dehnbarer und weiter Begriff. Entscheidend über die Wirkung <strong>der</strong> einzelnen <strong>Milch</strong>produkte ist<br />

die Naturbelassenheit (hohe Wertigkeit) und die Berücksichtigung <strong>der</strong> individuellen Verträglichkeit. *


Besteht bei <strong>der</strong> physiologischen Wirkung von <strong>Milch</strong> und <strong>Milch</strong>produkten ein Unterschied zwischen Kuh-, Schaf-<br />

und Ziegenmilch?<br />

RTB: Selbstverständlich bestehen da Unterschiede, denn die Zusammensetzung <strong>der</strong> jeweiligen <strong>Milch</strong> ist ausgerichtet auf<br />

die Aufzucht: Ein Kalb hat an<strong>der</strong>e Bedürfnisse als ein Geisslein. Der Unterschied bezieht sich auf den Eiweiss-, den<br />

Fettgehalt und auf die Zusammensetzung <strong>der</strong> Vitamine und Mineralstoffe, jede <strong>Milch</strong> hat ihre Eigenheit. Wenn mit<br />

„physiologischer Wirkung“ die Verdaulichkeit angesprochen wird, bestehen kaum Unterschiede. <strong>Milch</strong> gehört insgesamt zu<br />

den am besten verdaulichen Nahrungsmitteln.<br />

MS: Sind zur Abwechslung <strong>Milch</strong>produkte erwünscht so können Schaf- o<strong>der</strong> Ziegenmilch häufig die bessere Lösung sein.<br />

Beide <strong>Milch</strong>arten durchlaufen bisher weniger Verarbeitungsprozesse und sind überdies weniger schleimbildend. Der<br />

höhere Kaseingehalt <strong>der</strong> Kuhmilch kann bei entsprechen<strong>der</strong> Sensibilität u.a. zu einer Schwellung <strong>der</strong> Lymphdrüsen o<strong>der</strong> zu<br />

Hautirritationen führen. Alles, was vom Darm nicht richtig abgebaut und von <strong>der</strong> Leber nicht vollständig entgiftet werden<br />

kann, geht ins Blut über und muss vom Lymphsystem abgebaut werden. Sind auch die Lymphknoten überlastet, können<br />

diese anschwellen. Wasser zur Verdünnung des schädigenden Anteils eingesetzt und in <strong>der</strong> Folge kommt es zu<br />

Wasseransammlungen im Körper.<br />

Wie äussert sich <strong>Milch</strong>unverträglichkeit?<br />

RTB: <strong>Milch</strong>unverträglichkeit ist ein zu wenig differenzierter Begriff, denn es treten verschiedene Arten auf. Zu erwähnen ist<br />

die <strong>Milch</strong>zuckerunverträglichkeit, die auf einen Mangel an michlzuckerverdauendem Enzym zurückzuführen ist – nicht<br />

wenige <strong>Mensch</strong>en haben die Veranlagung, früher o<strong>der</strong> später und in mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> grossem Masse eine<br />

<strong>Milch</strong>zuckerunverträglichkeit zu entwickeln. Allerdings kommt ein vollständiger Ausfall <strong>der</strong> erwähnten Enzyme nur ganz<br />

selten vor. Bei einem teilweisen Ausfall muss abgeklärt werden, welche <strong>Milch</strong>produkte dem bestehenden<br />

Verdauungspotential doch noch angepasst sind. Vorübergehend können Verdauungsprobleme bei <strong>Mensch</strong>en auftreten, die<br />

jahrelang <strong>Milch</strong> und <strong>Milch</strong>produkte gemieden haben und <strong>der</strong>en Organismus sich erst wie<strong>der</strong> angewöhnen muss.<br />

Die <strong>Milch</strong>eiweissallergie ist eine Stoffwechselreaktion auf <strong>Milch</strong>-Eiweiss, die im Blut nachgewiesen werden kann und nach<br />

wissenschaftlicher Erkenntnis eher im Säuglings- und Kleinkindesalter auftritt. Im grossen Feld <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Naturheilkunde<br />

definierten <strong>Milch</strong>unverträglichkeiten wird gerne von Allergien gesprochen. Im medizinischen Sinn geht es dabei aber nicht<br />

um Allergien, so dass ich eher von Hypersensibilität sprechen möchte. Hierbei gibt <strong>der</strong> Körper zu verstehen, dass er sich<br />

im aktuellen Zeitpunkt geschwächt fühlt und mit <strong>der</strong> Einnahme von überaus wirkungsvollen Nahrungsmitteln überfor<strong>der</strong>t ist<br />

– meist geht es um <strong>Milch</strong> o<strong>der</strong> Getreide. Ist die Konstitution wie<strong>der</strong> gestärkt, können auch potente Nahrungsmittel wie<strong>der</strong><br />

verdaut werden. Bei Unverträglichkeiten sollte man ohnehin weniger von bestimmten Produkten ausgehen, son<strong>der</strong>n vom<br />

Befinden des jeweiligen <strong>Mensch</strong>en, von <strong>der</strong> individuellen Stoffwechselsituation.<br />

MS: Man muss zunächst deutlich unterscheiden zwischen Unverträglichkeit und Allergie. <strong>Milch</strong>unverträglichkeit äussert<br />

sich beispielsweise mit Blähungen, es können Krämpfe, kolikartige Schmerzen o<strong>der</strong> Durchfall auftreten. Es geht hier somit<br />

um direkte Reaktionen im Verdauungstrakt, hervorgerufen zum Beispiel durch eine Intoleranz von <strong>Milch</strong>zucker. Allergische<br />

Reaktionen dagegen laufen übers Immunsystem: Hier geht es um eine Reaktion auf <strong>Milch</strong>eiweiss. Dennoch ist eine<br />

Infektanfälligkeit (Bronchitis, Mittelohrenentzündung, Nebenhöhlenkatarrh...) keine Allergie, kann aber eine Reaktion auf<br />

<strong>Milch</strong>eiweiss sein.<br />

Ekzemartige Hautausschläge können mit einer <strong>Milch</strong>eiweiss-Allergie in Zusammenhang stehen.<br />

Von weiteren möglichen Reaktionen auf Zusatzstoffe in den verschiedenen <strong>Milch</strong>produkten müsste in diesem<br />

Zusammenhang allerdings auch noch ausführlich gesprochen werden.<br />

Welchen gesundheitlichen Wert hat Stutenmilch, die oft bei Unverträglichkeit von Kuhmilch empfohlen wird?<br />

RTB: Stutenmilch gehörte nie in unseren Kulturkreis, sie gehört in Zentralasien zum Nahrungsangebot. Es ist deshalb<br />

nicht einzusehen, weshalb sie als Ersatz empfohlen werden sollte, zumal sie schwer erhältlich und teuer ist. Stutenmilch ist<br />

übrigens an<strong>der</strong>s zusammengesetzt als Kuhmilch und in <strong>der</strong> Literatur werden Fälle beschrieben, in denen auf Stutenmilch<br />

im Gegensatz zu Kuhmilch allergische Reaktionen auftraten.<br />

MS: Es kann sein, dass Stutenmilch – ein sehr teures Produkt – dann eingesetzt wird, wenn ein Baby we<strong>der</strong> Kuh-, noch<br />

Schaf- noch Ziegenmilch verdauen kann und die Eltern keine industriell verarbeitete Muttermilchersatz-Präparate<br />

wünschen. Bei Erwachsenen ist Stutenmilch unwesentlich.


Säuglingen wird manchmal als Ersatz für Muttermilch o<strong>der</strong> als Folgemilch Kuh-, Ziegen- o<strong>der</strong> Schafmilch gegeben.<br />

Ist dagegen etwas einzuwenden – und wenn ja, weshalb?<br />

RTB: Man darf doch davon ausgehen, dass heute die meisten Frauen ihr Kind stillen. Ein Problem ist manchmal die<br />

Stilldauer, denn die Ausgestaltung des Mutterschaftsurlaubs ist in unserem Lande nicht so, dass nach <strong>der</strong> Geburt alle<br />

Mütter während 6 Monaten ihr Kind voll stillen können. Ich empfehle im Bedarfsfall industriell hochwertig hergestellte<br />

Muttermilchersatzpräparate. <strong>Milch</strong>, ob von Kuh, Schaf o<strong>der</strong> Ziege, entspricht nicht den Bedürfnissen des Säuglings. Die<br />

Zusammensetzung und die hygienischen Bedingungen lassen sich nicht so lückenlos kontrollieren, wie dies eben<br />

notwendig wäre.<br />

MS: Das Gebiet <strong>der</strong> Säuglingsernährung gehört nicht zu meinem beruflichen Erfahrungsbereich. Ich kann hier lediglich die<br />

Empfehlung des Arztes Dr. med. M.O. Bruker weitergeben: Er empfiehlt als Folgemilch Frischkorn- und<br />

Frischkornmandelmilch.<br />

Osteoporose, <strong>der</strong> Abbau <strong>der</strong> Knochensubstanz vor allem bei <strong>der</strong> alternden Frau, ist ein hormonell und<br />

konstitutionell bedingtes Leiden. Hat ein hoher Anteil von <strong>Milch</strong> und <strong>Milch</strong>produkten in <strong>der</strong> Ernährung mit einem<br />

entsprechenden Kalzium-Anteil einen therapeutischen o<strong>der</strong> zumindest präventiven Effekt?<br />

RTB: Die Natur hat alles darauf angelegt, um <strong>Milch</strong> und <strong>Milch</strong>produkte als sehr gute Kalziumquellen anzubieten. <strong>Milch</strong><br />

enthält keinen einzigen Stoff, <strong>der</strong> die Aufnahme von Kalzium im Körper behin<strong>der</strong>n würde – im Gegensatz zu guten<br />

pflanzlichen Kalziumquellen, die durch einen Anteil an Nahrungsfasern und bestimmten Säuren die Kalziumresorption<br />

einschränken. Lässt man <strong>Milch</strong> und <strong>Milch</strong>produkte im Ernährungsplan aus, muss man einen grossen Aufwand betreiben,<br />

um den gleichen Effekt zu erzielen, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> <strong>Milch</strong> ganz einfach zu erreichen ist: Es ist praktisch nicht möglich, jeden Tag<br />

<strong>der</strong>art viel Broccoli, Sesamsamen o<strong>der</strong> Getreide zu sich nehmen, damit <strong>der</strong> nötige Kalziumanteil gewährleistet ist. Diesen<br />

Anteil können Sie sich mit 2 Dezilitern <strong>Milch</strong>, einem Becher Joghurt und etwa 40 g Käse pro Tag problemlos zuführen.<br />

Oft hört man, dass an <strong>Milch</strong>weiweiss gebundenes Kalzium für den Körper wertlos sei. Da handelt es sich um ein<br />

physiologisches Ammenmärchen: In jedem Nahrungsmittel ist Kalzium an ein Eiweiss gebunden, und in jedem Fall wird<br />

das Eiweiss im Magen durch die Magensalzsäure und die eiweissabbauenden Enzyme denaturiert – so wird das Kalzium<br />

frei und im Darm aufgenommen. In <strong>der</strong> <strong>Milch</strong> kommen keine Phytinsäuren und keine Oxalsäure vor, die beispielsweise in<br />

Spargeln auftritt.<br />

MS: In aller Deutlichkeit: „Mit Kalzium allein gibt’s noch keine Knochen!“ Der Knochenaufbau wie auch die Erhaltung <strong>der</strong><br />

Knochensubstanz sind abhängig von einer in sich ausgewogenen Anzahl von Stoffen wie: Spurenelemente, Mineralstoffe,<br />

Vitamine, Enzyme/Fermente usw. Osteoporose ist nicht in erster Linie eine Kalziummangel-Krankheit, son<strong>der</strong>n eine<br />

Verwertungsstörung in Bezug auf Kalzium, die wie<strong>der</strong>um wesentlich vom Säure-Basen-Gleichgewicht im Körper abhängig<br />

ist.<br />

Viel zu wenig wird darauf hingewiesen, dass <strong>der</strong> Industriezucker im Osteoporosegeschehen einen negativen Einfluss<br />

ausübt. Zucker, weil sehr säurebildend, reisst im Stoffwechselvorgang viel Kalzium an sich. Er ist, vereinfacht gesagt, ein<br />

eigentlicher Kalziumräuber. Frauen, die zur Osteoporose-Vorbeugung süsse Früchte- Joghurts essen, tun sich also keinen<br />

Dienst.<br />

Es genügt also nicht, sich nur auf ein „Mehr“ an Kalzium in Form von <strong>Milch</strong> und <strong>Milch</strong>produkte zu konzentrieren, um dann<br />

die restliche Ernährungweise wie gewohnt beizubehalten. Es geht darum, die eigene Ernährung differenzierter zu<br />

betrachten und säurebildende Komponenten wie unter an<strong>der</strong>em einen hohen Anteil an raffinierten Kohlenhydraten<br />

(Süssigkeiten, weisse Teigwaren, geschälter Reis, helles Brot...) sowie übermässiger Eiweisskonsum (Fleisch, Fisch, Eier,<br />

Käse, Quark...) zu reduzieren, resp. einzelne Nahrungsmittel sogar ganz zu vermeiden.


Eiweiss-Überernährung begünstigt die Übersäuerung des Organismus. Sollten im Sinne eines Söure-Basen-<br />

Gleichgewichts <strong>der</strong> Konsum von Fleisch, Eiern und Fisch reduziert und stattdessen vermehrt <strong>Milch</strong> und<br />

<strong>Milch</strong>produkte genossen werden?<br />

RTB: Die beste Massnahme für die Harmonisierung des Säure-Basen-Gleichgewichts besteht darin, dass man mehr Obst<br />

und Gemüse isst. Die oftmals zitierten 5 Portionen Obst und Gemüse liefern einen ausreichenden Anteil an Basen. Zu den<br />

Säurelieferanten gehören Fleisch, Fisch, aber auch Getreide und Hülsenfrüchte und bei den <strong>Milch</strong>produkten ist es <strong>der</strong><br />

Käse, <strong>der</strong> Säure aufweist. Ein ausgezeichneter Basenlieferant ist Molke, <strong>der</strong> Säureanteil <strong>der</strong> <strong>Milch</strong> ist niedrig. Es geht hier<br />

um das gesunde Mass, und die effizienteste Art des Ausgleichs wäre wie gesagt ein hoher Anteil an Früchten und<br />

Gemüse.<br />

Wählt man in Bezug auf das Säure-Basen-Thema den naturwissenschaftlichen Ansatz, dann untersucht man die<br />

basenliefernden Mineralstoffe in einem Nahrungsmittel und die säureliefernden Anteile wie Aminosäuren. Aus diesen<br />

beiden Faktoren wird eine Rechnung aufgestellt und erkannt, dass Früchte und Gemüse gute Basenlieferanten sind. Der<br />

naturheilkundliche Ansatz ist völlig an<strong>der</strong>s, er geht von <strong>der</strong> Elementenlehre aus. Da wird oft vor sauren Früchten, vor Essig<br />

o<strong>der</strong> <strong>Milch</strong>säure gewarnt, weil man von den Geschmacksrichtungen süss, sauer, salzig, bitter usw. ausgeht. Nach diesem<br />

Ansatz verursacht alles, was sauer und salzig ist, im Körper eine Überhitzung und zugleich eine höhere Säureproduktion –<br />

folglich sollte auf Früchte verzichtet werden. Diese beiden unterschiedlichen Sichtweisen werden oft miteinan<strong>der</strong><br />

verwechselt und erzeugen dann ein unübersichtliches Durcheinan<strong>der</strong> von Meinungen.<br />

MS: Ob ein Nahrungsmittel als basisch o<strong>der</strong> als sauer eingestuft werden kann, hängt von seinem Mineralstoffgehalt ab.<br />

<strong>Milch</strong> enthält den sauren Mineralstoff Phosphor, aber auch Kalzium, <strong>der</strong> zu den basischen Mineralstoffen gehört – und sie<br />

enthält Eiweiss. Die Frage ist immer, wie <strong>der</strong> Körper dieses Eiweiss verarbeiten kann und wie hoch insgesamt <strong>der</strong> Anteil an<br />

Eiweiss in <strong>der</strong> Ernährung ist.<br />

Ein Übermass an Eiweiss belastet die Leber und wird sauer verstoffwechselt. Es ist somit nicht möglich, mit eiweisshaltiger<br />

<strong>Milch</strong> und <strong>Milch</strong>produkten einer Übersäuerung entgegen zu steuern – obwohl <strong>Milch</strong> an sich als ein basisches<br />

Nahrungsmittel bezeichnet wird.<br />

Bei den basischen Mineralstoffen sollte man sich nicht nur auf Kalzium konzentrieren, son<strong>der</strong>n beispielsweise auch an<br />

Kalium o<strong>der</strong> Eisen denken und eben grundsätzlich die gesamte Ernährungsweise differenziert betrachten.<br />

Damit Ernährung nicht kompliziert wird, empfehle ich so o<strong>der</strong> so, die Ernährungsweise ganzheitlich - nicht einseitig aus<br />

dem „Säuren-Basen-Blickwinkel“ her zu betrachten.<br />

Vielmehr tragen biologisch erzeugte, wenig verarbeitete Lebensmittel vorwiegend pflanzlicher Art zur Gesun<strong>der</strong>haltung<br />

unseres Körpers bei, also: Gemüse und Obst (rund 1/3 roh), Getreide, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Nüsse, Kernen/ Samen,<br />

kaltgepresste Öle, frische Kräuter und Gewürze. Eine bekömmliche Zubereitung von Getreide und Hülsenfrüchten ist sehr<br />

wichtig. Im Speiseplan können auch geringe Mengen an <strong>Milch</strong>, <strong>Milch</strong>produkten, Fleisch, Fisch und Eiern enthalten sein.<br />

Beim Einkauf tierischer Lebensmittel sollte auf <strong>der</strong>en Herkunft geachtet werden.<br />

Der Tagesbedarf <strong>der</strong> oben erwähnten Lebensmittel-Gruppen ist individuell zu betrachten.<br />

Hat die Lactose-Intoleranz, die sich oft mit Blähungen, Schmerzen im Verdauungstrakt o<strong>der</strong> Aufstossen äussert,<br />

unmittelbar mit dem Konsum von <strong>Milch</strong> und <strong>Milch</strong>produkten zu tun?<br />

RTB: Grundsätzlich enthält jede <strong>Milch</strong> Lactose, somit ist ein <strong>Mensch</strong> mit einer Lactose-Intoleranz nicht in <strong>der</strong> Lage, <strong>Milch</strong><br />

o<strong>der</strong> <strong>Milch</strong>produkte beschwerdelos zu verdauen. Wie schon erwähnt, besteht aber oft nur eine teilweise Intoleranz. Wird<br />

dann <strong>Milch</strong> getrunken, nimmt man das Getränk relativ schnell auf, so dass auch relativ schnell eine grössere Menge<br />

<strong>Milch</strong>zucker in den Darm gelangt – und <strong>der</strong> ist dann überfor<strong>der</strong>t. Joghurt o<strong>der</strong> Quark werden dagegen meist<br />

löffelchenweise und oft auch noch zusammen mit Brot gegessen: Der Verdauungsprozess wird so verlangsamt und die<br />

Verträglichkeit nimmt dadurch zu.<br />

Keine Lactose enthält <strong>der</strong> Käse, sie wird beim Reifeprozess abgebaut. Käse kann somit auch von <strong>Mensch</strong>en mit<br />

Lactoseunverträglichkeit problemlos gegessen werden.<br />

MS: Bei Unverträglichkeit gilt es herauszufinden, welche <strong>Milch</strong>produkte vertragen werden und welche Beschwerden<br />

bereiten. Oft werden gesäuerte <strong>Milch</strong>produkte bereits vertragen, weil ein grosser Teil <strong>der</strong> Lactose abgebaut ist. Auch bei<br />

bestimmten Käsesorten wird die Lactose während des natürlichen Reifeprozesses abgebaut.<br />

Man darf aber nicht vergessen, dass auch viele Fertigprodukte wie etwa Instant-Salatsaucen, Fertigsaucen o<strong>der</strong> Glaçe<br />

<strong>Milch</strong>zucker enthalten, ebenso viele Wurstwaren o<strong>der</strong> manchmal auch Bündnerfleisch. Wem eine Lactose-<br />

Unverträglichkeit zu schaffen macht, muss beim Einkauf sehr sorgfältig die Angaben über Inhaltsstoffe studieren – und am<br />

besten eine gute Lupe zur Hand haben.


Was halten Sie vom Hinweis, dass bei chronischen Atemwegs-Erkrankungen <strong>Milch</strong> und <strong>Milch</strong>produkte die<br />

Verschleimungstendenz för<strong>der</strong>n?<br />

RTB: Auch hier muss man genau darauf achten, von welchem Punkt aus man argumentiert. Ist jemand erkältet, verän<strong>der</strong>t<br />

sich <strong>der</strong> Speichel, er wird zäher und klebriger. <strong>Milch</strong> und auch an<strong>der</strong>e Nahrungsmittel, etwa Orangensaft, verstärken das<br />

klebrige Mundgefühl und scheinen den Vorgang des Schluckens zu behin<strong>der</strong>n, <strong>der</strong> Rachentrakt scheint verschleimt zu<br />

werden. Ist die Erkältung beendet, normalisiert sich <strong>der</strong> Speichel, das Gefühl des Verschleimens ist verschwunden.<br />

Im naturheilkundlichen Umfeld <strong>der</strong> Traditionellen Chinesischen Medizin o<strong>der</strong> des indischen Ayurvedasystems spricht man<br />

von Verschleimungen und einer Verschlackung <strong>der</strong> Lymphen, die für den Abtransport <strong>der</strong> Giftstoffe zuständig sind. Es wird<br />

gesagt, dass <strong>Milch</strong> bei bestimmten Konstitutionstypen – also keineswegs grundsätzlich! – verschleimend wirken kann. Wir<br />

befinden uns da in einem an<strong>der</strong>en Denksystem, dessen Therapieansätze ebenfalls vom abendländischen Denksystem<br />

abweichen.<br />

Die Weisung „<strong>Milch</strong> wirkt verschleimend, trinken Sie ja keine <strong>Milch</strong>“, ist eine geradezu verheerende Vereinfachung – ich<br />

sage dies auch aus dem Blickwinkel meiner zusätzlichen Ausbildung als Ayurveda-Therapeutin. Auf dem Weg über das<br />

alte ayurvedische Medizinsystem und die Traditionelle Chinesische Medizin sind bestimmte Denkansätze und Therapien<br />

auch zu uns gelangt und hier angepasst worden. Wichtig ist jedoch, dass man sich im angestammten Lebensumfeld<br />

zurecht findet und dass man Nahrungsmittel zu sich nimmt, die im eigenen kulturellen Umkreis gedeihen. Man sollte also<br />

nicht stur Papaya essen, weil diese in Indien als gesundes Nahrungsmittel gelten. Wir sollten viel mehr die uns<br />

zugänglichen Entsprechungen suchen. Lei<strong>der</strong> ist bei uns viel Wissen verloren gegangen.<br />

MS:Aus eigener Erfahrung halte ich sehr viel von dieser Theorie. Sie kann aber nicht verallgemeinert werden.<br />

<strong>Mensch</strong>en, die in früher Kindheit schon anfällig auf Erkältungen, Infekte, Bronchitis und Mandelentzündungen gewesen<br />

sind, sollten massvoll umgehen mit <strong>Milch</strong> und <strong>Milch</strong>produkten. Die Umstellung auf eine naturbelassene Ernährung, sowie<br />

<strong>der</strong> individuell angepasste Umgang mit <strong>Milch</strong> und <strong>Milch</strong>produkten kann bei diesen <strong>Mensch</strong>en wesentlich zu einer besseren<br />

Gesamtkonstitution beitragen.<br />

Ein volkstümliches Argument von <strong>Milch</strong>-Gegnern lautet, Kuhmilch sei von <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> Aufzucht von Kälbchen<br />

zugedacht worden und sei deshalb als Nahrungsmittel für <strong>Mensch</strong>en ungeeignet. Was halten Sie davon?<br />

RTB: Dieser Gedankengang hat zwei Wurzeln. Zum einen kommt er von <strong>der</strong> Fit for Life-Bewegung, zum an<strong>der</strong>n ist er ein<br />

Argument, das von <strong>der</strong> sehr reaktionären Tierschutzszene immer wie<strong>der</strong> vorgetragen wird und zu dem man im Internet<br />

seitenweise Ausführungen herunterladen kann.<br />

Bei <strong>der</strong> Ernährung kann man in guten Treuen verschiedener Meinung sein. Ich meine aber, dass man es nie am Respekt<br />

vor den Nahrungsmitteln und dem <strong>Mensch</strong>en mitsamt seiner Gesundheit fehlen lassen sollte – und dieser Respekt fehlt<br />

bei <strong>der</strong> These, <strong>Milch</strong> sei ausschliesslich eine Nahrung für Kälbchen. Die Evolution zum <strong>Mensch</strong>en hat ja wesentlich damit<br />

zu tun, dass es gelungen ist, aus <strong>der</strong> Natur und von Tieren Nahrung zu gewinnen. Wir sind nun einfach nicht so konzipiert,<br />

dass wir im Winter nackt unter Tannen kauern und Haselnüsse kauen können.<br />

Das geäusserte Argument halte ich auch für eine Kränkung für jeden Bauern, für die 34.000 <strong>Milch</strong>produzenten in unserem<br />

Land, die mit Liebe und Sorgfalt Nahrungsmittel herstellen. Diese Respektlosigkeit löst bei mir immer Betroffenheit aus.<br />

MS: Sollte man vielleicht argumentieren, Fleisch sei nicht für <strong>Mensch</strong>en gedacht, weil nur Raubtiere Fleischfresser sind?<br />

O<strong>der</strong> mache ich etwas falsch, wenn ich Nüsse esse, die doch zum Nahrungsangebot des Eichhörnchens gehören würden?<br />

Wollte man fundamentalistisch sein, müsste man sagen, dass ausser <strong>der</strong> Muttermilch alles, was wir zu uns nehmen, von<br />

einer Aussenwelt stammt und deshalb artfremd ist, also etwa auch Kartoffeln und Kopfsalat. Zum Glück ist <strong>der</strong><br />

menschliche Körper in <strong>der</strong> Lage, den Salat und die Kartoffeln in kleinste Bestandteile zu zerlegen und zu körpereigenen<br />

Materialien umzuwandeln. Am besten kann <strong>der</strong> Körper diese Arbeit bewältigen, wenn wir möglichst naturbelassene<br />

Lebensmittel zu uns nehmen. Die Betonung liegt auf „Lebens-Mitteln“, nicht auf irgendwelchen künstlich hergestellten<br />

Nahrungsmitteln.

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