der Alufräsen - Tune
der Alufräsen - Tune
der Alufräsen - Tune
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
SERIE: Made in Germany<br />
Symphonie<br />
<strong>der</strong> <strong>Alufräsen</strong><br />
Seine Produkte heißen »Geiles Teil«, »Schwarzbrenner« und »Starkes<br />
Stück«, sind Kultobjekte <strong>der</strong> Rennrad-Szene. Sein »Würger«-Schnellspanner<br />
schaffte es bis ins Weltall. Seine Nabenspanner patentierte er<br />
nicht, kein Teil <strong>der</strong> Radsportindustrie wurde häufiger kopiert. Was ist<br />
das Erfolgsgeheimnis von Uli Fahl, Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Edelschmiede <strong>Tune</strong>?<br />
Frisch aus <strong>der</strong> Fräse: Tag für Tag baut das 14<br />
Mann kleine <strong>Tune</strong>-Team die Teile in Handarbeit.<br />
Ein paar Starallüren hätte man schon erwartet. Vielleicht<br />
eine dicke Armbanduhr, einen breiten Chefsessel<br />
o<strong>der</strong> teure Schuhe. Uli Fahl, Chef von <strong>Tune</strong>,<br />
empfängt mich barfuß. Dazu ein T-Shirt, aus <strong>der</strong><br />
kurzen Hose lugt ein Zollstock. Das quietschgelbe<br />
Haus in Buggingen, Schwarzwald, ist eine Traumfabrik<br />
des Radsports. Zwei Etagen, oben Küche,<br />
Konferenzraum und Büros, unten Entwicklung, Produktion<br />
und Werkstatt. Überall Naben, Vorbauten<br />
und Sattelstützen, gefräst, gedreht und gebacken<br />
66 RennRad<br />
aus Aluminium, Titan und Carbon in leicht, fe<strong>der</strong>leicht<br />
und ultraleicht.<br />
In <strong>der</strong> Werkstatt schlafen zwei Hunde, im Hintergrund<br />
zerfleischt eine CNC-Fräse einen Metallklotz.<br />
Irgendwie finden Fahls nackte Füße unverletzt ihren<br />
Weg durch die Späne. Da kommt <strong>der</strong> Prototyp <strong>der</strong><br />
Dezibel-Nabe. Sie wird noch mal teurer als das aktuelle<br />
Spitzenmodell Mag 130 und spart noch mal<br />
20 Gramm – so viel wie drei Löffel Zucker. Gestrichen,<br />
nicht gehäuft. Allein <strong>der</strong> Rohstoff kostet 90<br />
MADE IN<br />
GERMANY<br />
Euro pro Kilo – 22 Mal teurer als Aluminium. Daran<br />
hat <strong>der</strong> drahtige Hobbyläufer fast zwölf Monate getüftelt.<br />
An<strong>der</strong>e Menschen bauen in <strong>der</strong> Zeit ein Haus.<br />
O<strong>der</strong> auch zwei. Der Aufwand ist gigantisch, die<br />
Fortschritte überschaubar. Die Luft ist dünn im Grenzbereich<br />
des Leichtbaus. Der Preis für einen Laufradsatz<br />
wird tief im vierstelligen Bereich liegen, genug<br />
für filmreife Ehekrisen. Die Vernunft schreit »Nein!«,<br />
das Radfahrerherz schlägt einen Salto mortale. In<br />
<strong>der</strong> Werkstatt ein Aquarium, zwischen versenkten
Naben tummeln sich Fische. Man möchte ein paar<br />
Teilekisten ins Aquarium auskippen und mitbaden.<br />
Spinner unter sich<br />
Wer so was kauft? Jan Ullrich zum Beispiel, gleich<br />
am Anfang seiner Karriere. Der kam, sah und kaufte.<br />
Auf <strong>Tune</strong>-Laufrä<strong>der</strong>n kurbelte er 2000 in Sydney<br />
zu Olympia-Gold. Sabine Spitz auch, nur auf dem<br />
Mountainbike, letzten Sommer in Peking. Sogar ihr<br />
Kollege und Olympiasieger Julien Absalon fuhr in<br />
Peking <strong>Tune</strong>-Teile. Hat bloß keiner mitgekriegt – Absalon<br />
hatte die Teile im Handel gekauft. Wie gesagt,<br />
die Profis kommen zu <strong>Tune</strong>, nicht umgekehrt.<br />
Und Hobbyfahrer, die vierstellige Summen in ihre<br />
Laufrä<strong>der</strong> investieren? Haben die noch alle Tassen<br />
im Schrank? »Für Außenstehende mag <strong>der</strong> Schrank<br />
halb leer wirken«, grinst Uli. Ich setze meine Kaffeetasse<br />
ab. »Aber wenn ein Fahrradfreak mit seinem<br />
Traumrad glücklich ist, dann sind 3 000 Euro für<br />
Laufrä<strong>der</strong> vernünftig investiert und <strong>der</strong> Schrank ist<br />
halb voll. Das Streben nach Glück ist vernünftig. Ich<br />
verstehe diese Menschen und betrachte mich selbst<br />
als natürlichen Spinner. Deshalb ist es normal, dass<br />
wir auf Wunsch einen Laufradsatz vor dem Versand<br />
wegen drei Gramm nochmal abwiegen.«<br />
Die 13 Angestellten sind schließlich auch Mountainbiker<br />
o<strong>der</strong> Straßenfahrer. Sie begegnen den Kunden<br />
auf Augenhöhe, philosophieren mit ihnen über Hubarbeit,<br />
den runden Tritt und rotierende Masse. Und<br />
feilschen um jedes Gramm am eigenen Fahrrad.<br />
Aus <strong>der</strong> Garage ins Weltall<br />
Die eingespielte Mannschaft aus Radfahrern ist für<br />
Fahl ein Grund seines Erfolges. Ein an<strong>der</strong>er ist die<br />
Haltbarkeit <strong>der</strong> Teile. In den 90ern, als <strong>der</strong> Mountainbikeboom<br />
ausbrach, fing er mit einer Hand voll<br />
Schrauben, einem Schnellspanner und Feuereifer<br />
an; Patente konnte er nicht bezahlen. Die Schnellspanner<br />
werden bis heute noch nachgebaut.<br />
Fahl war das egal. Das Original fand reißenden<br />
Absatz, ein Exemplar schaffte es sogar bis auf die<br />
russische Raumstation Mir. Hobbytüftler wie er feilten<br />
an waghalsigen Leichtbaukonstruktionen. Viele<br />
feilten zu viel, die Teile brachen. <strong>Tune</strong>-Sattelstützen<br />
und -Vorbauten werden bis heute vom Deutschen<br />
Downhill-Meister Marcus Klausmann gefahren. Als<br />
<strong>der</strong> Umsatz wuchs, schmiss Fahl seine Chemikerstelle,<br />
baute sein Team auf. Aus <strong>der</strong> Garagenwerkstatt<br />
wurde sein Lebenswerk. Ob er <strong>Tune</strong> verkaufen<br />
würde? Nicht für eine Million Euro, Herzblut ist<br />
unverkäuflich. Der 56-Jährige zieht lieber einen<br />
Nachfolger heran; er grinst den 28-jährigen Amateur-Rennfahrer<br />
Sebastian an. Der fing vor zehn<br />
Jahren hier an, vielleicht wird er mal den Laden<br />
übernehmen. Ums Geld geht es hier aber eh erst<br />
an zweiter Stelle. Einige <strong>der</strong> Jungs haben Jobs mit<br />
höherem Gehalt sausen lassen, um bei Fahl anzuheuern.<br />
Für sie eine vernünftige Entscheidung,<br />
sie finden ihr Glück eben im Radsport. Biker halt,<br />
keine Finanzstrategen.<br />
Und die Finanzkrise? Absatzflaute? Stellenstreichungen?<br />
Nö, kann höchstens passieren, dass ein paar<br />
Zulieferer kurzfristig Engpässe kriegen. Luxusprobleme<br />
also. Das war nicht immer so: Das 3 000-D-<br />
Mark-Innenlager war eine teure Fehlinvestition, fand<br />
nur zwei Käufer. Und die Schnellspannerproduktion<br />
in Italien. Weil dort geschlu<strong>der</strong>t wurde, holte Fahl<br />
sie wie<strong>der</strong> zurück. »Produktionsauslagerung ist bezahlter<br />
Selbstmord«, seufzt er in <strong>der</strong> Küche, während<br />
hinter uns ein paar Titanfreiläufe bei 200° C<br />
im Ofen backen. »Einmal hätte uns ein Know-how-<br />
Klau fast in den Ruin getrieben.«<br />
Deshalb holt er immer mehr Teile <strong>der</strong> Produktion<br />
in den Schwarzwald. Die meisten Zulieferer sind<br />
höchstens 50 Kilometer entfernt, Hochtechnologie<br />
bleibt fast komplett im Haus. Nur die Carbonfelgen<br />
<strong>der</strong> »Schwarzbrenner«-Laufrä<strong>der</strong> kommen aus<br />
Österreich.<br />
Links: Kreatives Chaos – Ulrich Fahl an seinem Schreibtisch.<br />
An <strong>der</strong> Wand Radfahrerbil<strong>der</strong> seiner Tochter.<br />
Rechts: <strong>Tune</strong>-Fische: Mensch und Tier teilen sich die<br />
Werkstatt – hier Friedhelm Huber und Jörg Förster.<br />
Unvergängliche Schönheit<br />
Nüchtern betrachtet bietet die Konkurrenz technisch<br />
Vergleichbares für weniger Geld. Aber darum geht<br />
es nicht. <strong>Tune</strong> ist den Radfreaks, was Porsche den<br />
Autofans ist: edel, zeitlos – und teuer. Einen <strong>Tune</strong>-<br />
Vorbau kauft man wegen des Biker-Logos, des klassischen<br />
Schriftzuges und <strong>der</strong> glatten Oberfläche.<br />
O<strong>der</strong> einfach, weil das <strong>Tune</strong>-Rot nun mal besser<br />
zum Rad passt als das Rot an<strong>der</strong>er Marken. Lustkauf<br />
statt Kalkül. Das (Kräuter-)Salz in <strong>der</strong> Suppe.<br />
Warum er nicht mit dem Standortargument wirbt?<br />
Fahl grübelt: »Wir sind Biker, keine PR-Experten.<br />
Unsere Kunden wissen, dass wir hier produzieren.<br />
Selbst in Fernost genießt ›Made in Germany‹<br />
hohes Ansehen, und Asiaten wollen unsere Originale«,<br />
erklärt er, während ich mit zwei Schnellspannern<br />
spiele.<br />
Dabei hat er selber auch alles nur geklaut. Abgeguckt,<br />
kopiert, nachgemacht. Seine besten Ideen<br />
sind Plagiate; nicht von <strong>der</strong> Konkurrenz, son<strong>der</strong>n<br />
von <strong>der</strong> Natur. »Da wird nichts verschwendet, we<strong>der</strong><br />
Ressourcen noch Kraft«, schwärmt Fahl. »Dieses<br />
konstante, bionische Design empfinden Menschen<br />
als schön. Deshalb haben wir auch die Mag-Nabe<br />
optisch über acht Generationen nicht verän<strong>der</strong>t. So<br />
lange es technisch eben möglich war.«<br />
Ulrich Fahl redet Klartext, kein Marketing-Kau<strong>der</strong>welsch,<br />
wirkt glaubwürdig, bekennt sich da als<br />
leicht chaotisch. Inszeniert erscheinen einzig die<br />
<strong>Tune</strong>-Shirts, die er und seine Leute heute tragen. Mit<br />
den Schnellspannern bin ich fertig, ich vermisse das<br />
Öl an meinen Klamotten. »Die sind selbstschmierend,<br />
brauchen kein Fett. Diesmal haben wir das<br />
Patent auch angemeldet.«<br />
Ich verabschiede mich. Gleich kommt noch <strong>der</strong> Manager<br />
von Sabine Spitz vorbei, den nächsten Olympiasieg<br />
planen. Die Teile bekommt sie geschenkt,<br />
das ist alles. Und mehr, als Absalon bekommen hat.<br />
Tillman Lambert<br />
RennRad 67