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Der Winterfeldtplatz in Berlin-Schöneberg Das ... - Motzbuch

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Blick <strong>in</strong> die östliche W<strong>in</strong>terfeldtstraße 1905 Schlacht auf <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>, fotografiert von der ehem.<br />

Redaktionsfotograf<strong>in</strong> der FAZ Barbara Klemm 11.06.1982<br />

30 31<br />

Rebellion am <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

<strong>Der</strong> Gang <strong>in</strong>s Café gehört <strong>in</strong> dieser Ge-<br />

gend zum Ritual mancher Alt-68er. Sie<br />

sitzen am Samstag nach dem Markt oder<br />

Sonntag morgens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der vielen<br />

Cafés und lesen Zeitungen oder diskutieren.<br />

Sie können sagen, sie waren dabei<br />

gewesen, damals, als es am <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

noch knisterte. Aber sie sagen<br />

es nicht oft, denn viele Träume haben<br />

sich nicht verwirklicht.<br />

<strong>Der</strong> Kiez um W<strong>in</strong>terfeldt- und Nollen-<br />

dorfplatz im damaligen Postbezirk<br />

<strong>Schöneberg</strong> 30 war e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> rebellischer<br />

Bezirk. Es waren vor allem Studenten<br />

aus der westdeutschen Prov<strong>in</strong>z,<br />

die sich <strong>in</strong> den 1960er Jahren <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

zum Zweck des Andersse<strong>in</strong>s versammelten<br />

und neue Lebensmuster ausprobierten.<br />

Pazifistische junge Männer zogen<br />

nach Berl<strong>in</strong>, denn der dortige Vier-<br />

Mächte-Status sah vor, dass West-Berl<strong>in</strong>er<br />

nicht zur Bundeswehr e<strong>in</strong>gezogen<br />

werden durften.<br />

Wegen des großen Altbaubestandes und<br />

des damals noch gültigen „schwarzen<br />

Kreises“ (Mietpreisb<strong>in</strong>dung auf Altbauten)<br />

konnten sich viele junge Leute<br />

zu Wohngeme<strong>in</strong>schaften zusammenschließen<br />

– oft ohne dass die Vermieter<br />

Bescheid wussten. Angebliche Fotograf<strong>in</strong>nen,<br />

Psychologen oder Jurist<strong>in</strong>nen<br />

mieteten große Wohnungen mit<br />

Untermietserlaubnis an. Irgendwann<br />

merkten die Vermieter natürlich, dass<br />

die vielen Leute, die sich <strong>in</strong> der Wohnung<br />

angemeldet hatten, e<strong>in</strong>e Wohngeme<strong>in</strong>schaft<br />

bildeten und ke<strong>in</strong> Atelier<br />

oder e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaftspraxis. Jedoch<br />

gab es auch tatsächliche Rechtsanwälte,<br />

die gewitzt genug waren, e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>auswurf<br />

zu verh<strong>in</strong>dern. Viele WGs waren<br />

untere<strong>in</strong>ander vernetzt und zogen oft<br />

geschlossen zu Protestaktionen gegen<br />

Konsumterror, gegen den Vietnamkrieg,<br />

amerikanischen Imperialismus,<br />

Ausbeutung der Arbeitskraft und Me<strong>in</strong>ungsverBILDung.<br />

E<strong>in</strong> Knistern im<br />

Telefon wurde mit e<strong>in</strong>em Gruß an den<br />

Verfassungsschutz beantwortet. Manche<br />

68er erkannten im Pflasterste<strong>in</strong> wieder<br />

se<strong>in</strong>e Bedeutung als Waffe.<br />

Barbara Klemm, ehemalige Redaktionsfotograf<strong>in</strong><br />

der „Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>en<br />

Zeitung“ verfolgte die Ereignisse mit<br />

der Kamera: „<strong>Das</strong> Foto entstand am <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, als US-Präsident<br />

Ronald Reagan zu Besuch war. Zwei<br />

Studenten hatten mich freundlich mit<br />

<strong>in</strong> ihre Wohngeme<strong>in</strong>schaft genommen;<br />

ich stand auf dem Balkon. Vorher war<br />

ich unten auf der Straße gewesen, es<br />

flogen dicke Wackerste<strong>in</strong>e, die Polizei<br />

hat Tränengas geschossen und man sah<br />

nichts mehr. So hatte ich Glück, dass ich<br />

von oben herunterfotografieren konnte.<br />

Trotzdem hatte ich maßlose Angst.“

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