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Akt eine Treppe herabsteigend, Nr. 2 - Lenbachhaus

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Marcel Duchamp<br />

Nu descendant un escalier (no. 2, 1912)<br />

<strong>Akt</strong> <strong>eine</strong> <strong>Treppe</strong> <strong>herabsteigend</strong>, <strong>Nr</strong>. 2<br />

Öl auf Leinwand<br />

147 × 89,2 cm<br />

Philadelphia Museum of Art:<br />

The Louise and Walter Arensberg Collection, 1950<br />

<strong>Akt</strong> <strong>eine</strong> <strong>Treppe</strong><br />

<strong>herabsteigend</strong>, <strong>Nr</strong>. 2


Als Duchamp 1912 an s<strong>eine</strong>m<br />

Gemälde ‹<strong>Akt</strong> <strong>eine</strong> <strong>Treppe</strong><br />

<strong>herabsteigend</strong>, <strong>Nr</strong>. 2› arbeitete,<br />

bewegte er sich noch in den<br />

Kreisen <strong>eine</strong>r Gruppe kubistischer<br />

Maler aus Paris um den<br />

Künstler Albert Gleizes. Das<br />

Gemälde stieß schon im Vorfeld<br />

<strong>eine</strong>r Ausstellung im Salon des<br />

Indépendants auf deren Ablehnung.<br />

Duchamp berichtete,<br />

dass er das Bild daraufhin noch<br />

vor der Eröffnung zurückzog.<br />

«Ich muss gestehen, dass<br />

der Vorfall mit dem ‹<strong>Akt</strong> <strong>eine</strong><br />

<strong>Treppe</strong> <strong>herabsteigend</strong>› bei den<br />

Indépendants in mir <strong>eine</strong><br />

vollständige Revision m<strong>eine</strong>r<br />

Werte hervorgerufen hat»,<br />

sagte Duchamp später. Diese<br />

Erfahrung gilt als unmittelbarer<br />

Anlass für s<strong>eine</strong> Reise nach<br />

München. In München versuchte<br />

er sich vom Einfluss der «Ismen»<br />

zu befreien — von denjenigen<br />

Kunstströmungen, die für ihn<br />

allzu einseitig die formale Seite<br />

der Malerei in den Vordergrund<br />

stellten. Als Gegenpol dazu<br />

rezipierte Duchamp in Deutschland<br />

und auf s<strong>eine</strong>n Reisen<br />

im Sommer 1912 verstärkt die<br />

Alten Meister sowie Künstler<br />

des 19. Jahrhunderts wie etwa<br />

Arnold Böcklin.


«Sind Sie in München Künstlern begegnet,<br />

die s<strong>eine</strong>rzeit dort arbeiteten?», wurde<br />

Duchamp 1952 gefragt. «Nein, aber man<br />

sah viele Abbildungen von Kandinsky<br />

und der französischen Kubistengruppe in<br />

den Schaufenstern — Kandinsky lebte 12<br />

dort.» Erst 1929 trafen sich Duchamp und<br />

Kandinsky in der Bauhaus-Stadt Dessau.<br />

Von dieser Begegnung ist <strong>eine</strong> Fotografie<br />

überliefert. Dort schenkte Duchamp<br />

Kandinsky <strong>eine</strong> Postkarte s<strong>eine</strong>s Gemäldes<br />

‹Braut›, das er im Sommer 1912 in<br />

München gemalt hatte. Kandinsky behielt<br />

das Geschenk bis zu s<strong>eine</strong>m Tod 1944.


«Kandinskys Buch war in allen<br />

Läden» (Marcel Duchamp).<br />

Während s<strong>eine</strong>s Aufenthalts in<br />

München entdeckte er die Kunst<br />

und Theorie Wassily Kandinskys<br />

— <strong>eine</strong>r der Begründer der<br />

Abstraktion und zusammen mit<br />

Franz Marc treibende Kraft des<br />

Blauen Reiter. In München<br />

kaufte Duchamp ein Exemplar<br />

von Kandinskys Buch ‹Über das<br />

Geistige in der Kunst›. Vor allem<br />

im Kapitel über die Farbe<br />

machte er sich viele Notizen.


Was aber hatte Duchamp an Kandinsky<br />

so interessiert? 1943 fasste er dessen<br />

künstlerische Entwicklung für <strong>eine</strong>n Katalogeintrag<br />

folgendermaßen zusammen:<br />

«Kandinsky war ein Zeuge vieler ‹Ismen›<br />

s<strong>eine</strong>r Zeit. Er gehört der Generation jener<br />

an, welche klarstellen wollten, dass die<br />

Malerei wiedererweckt werden konnte,<br />

trotz der mächtigen Herrschaft des<br />

Impressionismus. Als <strong>eine</strong> erste Reaktion<br />

fand der Expressionismus in Kandinsky<br />

und Franz Marc s<strong>eine</strong> besten Exponenten.<br />

S<strong>eine</strong> frühen Schriften präsentierten<br />

s<strong>eine</strong> Theorien zu <strong>eine</strong>r Zeit, als er s<strong>eine</strong><br />

ersten abstrakten Bilder malte und das<br />

Wort ‹abstrakt› noch nicht erfunden<br />

worden war. Kandinskys Periode des<br />

‹Expressionismus› ist nicht s<strong>eine</strong> Periode<br />

des ‹Abstraktionismus›. Am Anfang stand<br />

immer ein ‹Motiv›, von dem aber kaum<br />

ein realistisches Detail übrigblieb. Später<br />

gelangte Kandinsky zu <strong>eine</strong>m r<strong>eine</strong>ren<br />

Ausdruck, indem er aufräumte mit den<br />

geschickten Qualitäten s<strong>eine</strong>r Hand,<br />

die er nun größerer Disziplin unterstellte.<br />

Indem er s<strong>eine</strong> Linien mit Zirkel und<br />

Lineal zog, eröffnete Kandinsky dem Betrachter<br />

<strong>eine</strong>n neuen Weg, die Malerei zu<br />

sehen. Es waren nicht mehr die Linien<br />

des Unbewussten, sondern es war <strong>eine</strong><br />

absichtliche Verwerfung des Emotionalen,<br />

<strong>eine</strong> klare Versetzung des Denkens auf<br />

die Leinwand. Es ist dies der eigentliche


Beitrag Kandinskys zu <strong>eine</strong>r Auffassung<br />

des Schönen gewesen, die nicht in Beziehung<br />

stand mit vorhergehenden oder<br />

nachfolgenden ‹Ismen›».<br />

(Collection of the Société Anonyme)<br />

Duchamps abwertendes Urteil über die<br />

«Ismen» steht im Zusammenhang mit<br />

dem Vorwurf des Formalismus, der letztlich<br />

immer darauf abziele, <strong>eine</strong> Illusion<br />

zu erzeugen — von Bewegung, von Licht,<br />

von Räumlichkeit. Duchamp interessierte<br />

es weniger, mit <strong>eine</strong>m Gemälde den<br />

Sehsinn anzusprechen, als vielmehr, das<br />

«Denken auf die Leinwand» zu bringen.<br />

So experimentierte er im ‹<strong>Akt</strong> <strong>eine</strong> <strong>Treppe</strong><br />

<strong>herabsteigend</strong>› mit verschiedenen<br />

Aspekten des Kubismus und Futurismus,<br />

entwickelte aber zugleich <strong>eine</strong> konzeptuelle<br />

Darstellungsweise, indem er gepunktete<br />

Linien ins Bild integrierte: Dadurch<br />

wird ähnlich <strong>eine</strong>m Funktionsdiagramm<br />

die Bewegungsrichtung verständlich<br />

gemacht, nicht aber imitiert.


Die dichte Landschaft von «Ismen»<br />

zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

Ausstellung<br />

der<br />

spiegelt <strong>eine</strong> Satire in den<br />

Fliegenden Blättern, die während<br />

Duchamps München-Aufenthalt<br />

anlässlich<br />

1912 erschien. Zur dieser Zeit<br />

entwickelte Duchamp — basierend<br />

erscheint<br />

auf dem im ‹<strong>Akt</strong> <strong>eine</strong> <strong>Treppe</strong> <strong>herabsteigend</strong>›<br />

angelegten Verfahren —<br />

Zeitung<br />

<strong>eine</strong> ganz eigene Formensprache. Diese<br />

bibliothek Heidelberg: Karikatur aus Fliegende Blätter,<br />

29–40, <strong>Nr</strong>. 3495, S. 38<br />

© 2012 <strong>Lenbachhaus</strong> München und die Autoren<br />

© 2012 für das abgebildete Werk von Marcel Duchamp:<br />

Succession Marcel Duchamp / VG Bild-Kunst, Bonn<br />

Fotonachweis:<br />

Centre Pompidou, Paris – MnamCci – Bibliothèque<br />

Kandinsky: Postkarte ‹Die Braut›, Kandinsky, Duchamp<br />

und Dreier in Dessau; Philadelphia Museum of Art:<br />

<strong>Akt</strong> <strong>eine</strong> <strong>Treppe</strong> <strong>herabsteigend</strong>, <strong>Nr</strong>. 2; Stadtarchiv<br />

München, Hochbau-Sammlung (Film <strong>Nr</strong>. XXIII/052):<br />

Brienner Straße 8, Ladenansicht Putze, Nachfolger<br />

Hans Goltz im Luitpoldblock, 1910; Universitäts-<br />

Mobiliar:<br />

‹Stuhlhockerbank› / ‹Hockerbank›<br />

Design Yvonne Fehling & Jennie Peiz / www.kraud.de<br />

Leihgeber Mobiliar:<br />

Designerinnen (Modelle 3, 4, 5, 6, 13, 15)<br />

Arp Museum Bahnhof Rolandseck<br />

Modelle 2, 3, 8, 10, 11, 12, 14)<br />

Leuchten:<br />

mit freundlicher Unterstützung von<br />

Sammode Lichttechnik GmbH,<br />

www.sammode.de<br />

‹Marcel Duchamp in München 1912›<br />

31. März – 15. Juli 2012<br />

Herausgeber:<br />

Städtische Galerie im <strong>Lenbachhaus</strong><br />

und Kunstbau, München<br />

Texte:<br />

Susanne Böller, Thomas Girst, Matthias Mühling,<br />

Helena Pereña, Felicia Rappe<br />

Grafik Design und Ausstellungsdesign:<br />

Thomas Mayfried und Swantje Grundler

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