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Diagnostik und Therapie von Mitochondropathien am Beispiel ...

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<strong>Diagnostik</strong> <strong>und</strong> <strong>Therapie</strong> <strong>von</strong> <strong>Mitochondropathien</strong> <strong>am</strong> <strong>Beispiel</strong> Migräne<br />

*Kuklinski, Bodo<br />

„Ich habe Migräne“ – so 16 % der Frauen <strong>und</strong> 8 % der Männer. Auslöser sind<br />

Wetterwechsel, Psychostress, Menstruation, Hunger, Alkoholgenuss u. a. Sie sind aber nicht<br />

die Ursachen. Schwere Verlaufsformen gehen mit einer Aura einher, d. h. vor dem Anfall<br />

treten starke Müdigkeit, extreme Licht-, Geräuschempfindlichkeit, Sehstörungen mit<br />

Flimmern <strong>und</strong> Gesichtsfeldausfällen auf. Sie werden durch eine starke Verengung der<br />

Hirngefäße ausgelöst. Die bis zur Schmerzhaftigkeit gehende Überempfindlichkeit ist<br />

generell ein Zeichen der Minderdurchblutung dieser Hirnregionen. Sie werden <strong>von</strong> den<br />

Wirbelsäulenarterien versorgt. Personen mit HWS-Schädigungen im Genickgelenk wissen<br />

da<strong>von</strong> ein Lied zu singen.<br />

Nach der Aura setzen heftige Schmerzen ein, die <strong>von</strong> der Nackenregion einseitig entlang<br />

des Trigeminus-Stirnastes bis hinter das Auge ausstrahlen. Sie beruhen auf einer maximalen<br />

Blutadernerweiterung auf der harten Hirnhaut. Der Übeltäter ist Stickstoffmonoxid (NO). Es<br />

wird entlang der Trigeminusfasern freigesetzt. Häufige, lange <strong>und</strong> mit Aura einhergehende<br />

Migräneattacken steigern das Risiko für stumme Hirninfarkte.<br />

Migräne ist nicht nur eine isolierte Störung/Erkrankung oder Fehlregulation der<br />

Hirndurchblutung. Sie ist nur ein Symptom einer Ges<strong>am</strong>tkörpererkrankung. Fragen wir<br />

Betroffene systematisch nach anderen Organbeschwerden ab, äußern sie fast zu jedem<br />

Organ Störungen, die nicht zu einem ges<strong>und</strong>en Menschen gehören. Der Arzt spricht dabei<br />

<strong>von</strong> Co-Morbiditäten, d. h. nebeneinander auftretende Erkrankungen. Dieser Ausdruck ist<br />

irreführend. Sie sind ein einheitliches Erkrankungsbild. Begleitstörungen/Erkrankungen sind<br />

häufig:<br />

- Durchschlafstörungen, fehlender Erholungseffekt <strong>und</strong> lange morgendliche Anlaufszeit<br />

- Neigung zu Depressionen<br />

- Spannungskopfschmerzen oder Trigeminusneuralgien<br />

- Tinnitus, eingeschränkte Hörfähigkeit bei Hintergr<strong>und</strong>sgeräuschen<br />

- Neigung zu Nasennebenhöhlenentzündungen<br />

- morgendliche Inappetenz, Nacken-, Gelenk- <strong>und</strong> Lendenwirbelsäulenschmerzen<br />

- Trigeminusneuralgien


- Fibromyalgie<br />

- Reizdarm <strong>und</strong> -blase<br />

- Menstruationsschmerzen, -ausfälle<br />

- auffallend niedrige Alkoholverträglichkeit<br />

- Multiple Sklerose<br />

- rheumatische Gelenkerkrankung<br />

- allergische Erkrankungen<br />

2<br />

Das Problem der Multiorgansymptomatik besteht darin, dass Betroffene zahlreiche Ärzte<br />

konsultieren. Jeder beurteilt ein Einzelsymptom aus seinem fachärztlichen Blickwinkel.<br />

Sucht eine Frau wegen LWS-Schmerzen den Orthopäden auf, wird er die Migräne als<br />

Komorbidität einstufen. Dafür ist er jedoch nicht zuständig. Konsultiert die Frau einen<br />

Magen-, Darmspezialisten wegen ihres Reizdarmes, sieht er ebenfalls die Migräne <strong>und</strong><br />

die LWS-Schmerzen als Begleiterkrankungen. Genauso verhalten sich der Frauen-,<br />

HNO-Arzt, der Neurologe, Rheumatologe usw.<br />

Migräne kann erworben werden. Die häufigste Ursache ist die HWS-Instabilität nach<br />

Gewalteinwirkungen in den Kopf-, Schulter-, Nacken-, Wirbelsäulenbereich. Wir haben<br />

hierzu schon einmal in einem Newsletter hingewiesen.<br />

Die Migräne wird auch vererbt, <strong>und</strong> zwar mütterlicherseits. Der Vater kann Migräne <strong>von</strong><br />

seiner Mutter ererbt haben, auf seine Kinder bleibt dies folgenlos. Anders bei den<br />

Müttern. Haben sie sich als aktive Sportlerin im Turnen, Handball, Pistenabfahrten eine<br />

HWS-Schädigung zugezogen, können sie eine Migräne entwickeln. Die biochemischen<br />

Veränderungen können zu einer Mitochondrienschädigung führen. Diese wird dann<br />

vererbt, selbst wenn bei der Mutter im Leben irgendwann die Migräneaktivität abklingen<br />

sollte. Die Mitochondropathie bleibt – sie ist nicht reparabel.<br />

Migräne als Mitochondropathie:<br />

Erstmals wies Okanda 1998 darauf hin, dass die Migräne eine Mitochondropathie ist (1).<br />

Es wurde ein zu hohes Verhältnis <strong>von</strong> Milch- zu Brenztraubensäure (Laktat zu Pyruvat)<br />

nachgewiesen. Ein derartiger Bef<strong>und</strong> weist stets auf eine Mitochondrienschädigung hin,<br />

auch wenn viele Ursachen hierfür in Frage kommen, z. B. auch zu häufige Antibiotika-<br />

Anwendungen, chronisch chemische Belastungen u. a.


3<br />

Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zellen. In ihnen werden schrittweise in vier<br />

Etappen Elektronen auf Sauerstoff übertragen. Er gibt dabei sukzessiv seine Energie ab.<br />

Dabei entstehen toxische Sauerstoff-Radikale, die in den Mitochondrien <strong>und</strong> in der Zelle<br />

entgiftet werden. Der Elektronenspender ist NADH, das aus der Fettsäurenverbrennung<br />

<strong>und</strong> dem Citronensäurezyklus st<strong>am</strong>mt. Zwischen den beiden ersten Atmungskomplexen<br />

werden die Elektronen über Vit<strong>am</strong>in B2 <strong>und</strong> Coenzym Q10 weitergereicht. Indirekt spielt<br />

auch Vit<strong>am</strong>in B6 eine Rolle.<br />

In Studien wurde die positive Wirkung <strong>von</strong> Vit<strong>am</strong>in B2 <strong>und</strong> Coenzym Q10, als<br />

Einzelsubstanz gegeben, nachgewiesen (2, 3). Gemeins<strong>am</strong> eingenommen wirken sie<br />

effektiver <strong>und</strong> es braucht nicht so hoch dosiert werden. Sie entfalten synergistische<br />

Wirkungen – so unsere Erfahrungen.<br />

Geschädigte Mitochondrien bilden Stickstoffmonoxid (NO). Es verhält sich völlig anders<br />

als die übrigen NO-Formen des Hirns oder der Blutgefäß-Innenwände. Dieses NO<br />

hemmt die Energiebildung in den Mitochondrien, <strong>und</strong> zwar organübergreifend. Betroffene<br />

geraten in ein chronisches Energiedefizit. Sie sind leichter erschöpfbar, benötigen immer<br />

häufiger <strong>und</strong> immer längere Ruhepausen. Abends ist der Akku leer. Der Energiemangel<br />

zwingt zum Essen in kürzer werdenden Abständen. Hunger kann die Erschöpfung<br />

verstärken, Sehschwierigkeiten, aber auch eine Migräneattacken auslösen. Hier ist essen<br />

in kürzeren Abständen erforderlich, auch kurz vor der Nachtruhe noch als „Spätstück“.<br />

Da in den Mitochondrien häufig eine Störung der Kohlenhydratverwertung vorliegt, sollten<br />

Kohlenhydrate, besonders Weißmehlprodukte, nur in geringeren Mengen, statt dessen<br />

mehr Fett als Butter oder saure Sahne konsumiert werden. Cholesterin <strong>und</strong> Triglyceride<br />

steigen deshalb nicht an.<br />

Migräne-Patienten weisen in ihrer Ausatmungsluft erhöhtes NO, aber auch Ethanol <strong>und</strong><br />

Methanol auf. Diese beiden Alkohole entstehen im Organismus, können aber nicht bis zu<br />

ihren Endprodukten wie Essig- oder Ameisensäure abgebaut werden. Die Ursache liegt<br />

darin, dass die beiden mitochondrialen Enzyme Alkohol- <strong>und</strong> Aldehyd-Dehydrogenasen<br />

nicht mehr funktionstüchtig sind. Dies erklärt die geringe Toleranz gegenüber<br />

Trinkalkohol. Da auch andere Alkohole wie Propanol, Butanol u. a. da<strong>von</strong> betroffen sind,<br />

gilt Zurückhaltung im Gebrauch alkoholhaltiger Reinigungs-, Körperpflegemittel.<br />

Aldehyde aus Kosmetika (gegen Bakterien in Deodorants), im Zigarettenrauch, Orangen-<br />

, Himbeer-, Apfelsäften, in neu renovierten Büros, Wohnungen können massive<br />

Unverträglichkeitsreaktionen bis zur Migräne auslösen. Hier gilt es, auf die innere Stimme


4<br />

zu hören <strong>und</strong> auf die Nasensignale: Expositionsmeidung ist die einzige Alternative.<br />

Leichtflüchtige Aldehyde <strong>und</strong> Ketone wie Acet-, Croton-, Butyl-, Benzaldehyde, Acrolein,<br />

Furfural, Propanol, Pentanal, Pentanal, Hexanale u. a. werden nie routinemäßig<br />

gemessen. Eingeatmet sind sie hochreaktiv, müssen, können aber nicht vom Migräne-<br />

Patienten schnell genug verstoffwechselt werden.<br />

NO aktiviert Entzündungsenzyme, löst aber auch Autoimmunreaktionen über<br />

Citrullinierung <strong>von</strong> Eiweißen aus. Folgen sind Gelenk-, Darmentzündungen u. a. Unter<br />

bestimmten Umständen kann auch das neurotoxische Peroxinitrit entstehen, besonders<br />

häufig bei instabilem Genickgelenk. Dieses Molekül hemmt irreversibel die<br />

Mitochondrienfunktion. Es ist eine Frage der Zeit, wann sicht- <strong>und</strong> messbare<br />

neurologische Störungen auftreten. Diese Pathomechanismen der Mitochondropathie<br />

erklären die vielen Begleiterkrankungen bei Migräne. Sie sind Ausdruck der<br />

organübergreifenden<br />

Mitochondropathie (4).<br />

Mitochondropathie. Auch die Fibromyalgie ist eine<br />

Vererbung der Mitochondropathie:<br />

Mitochondrien importieren fast 300 Enzyme aus dem Zellinneren, die sie für ihre Funktion<br />

benötigen. Mitochondrien enthalten aber auch 37 Gene. Jedes <strong>von</strong> ihnen besitzt ca. 5 bis<br />

10 Kopien. Von diesen können einige, 10, 50 oder 100% geschädigt sein. Je höher der<br />

Anteil, desto höher der Heteroplasmiegrad. Nicht alle Zellen der Mutter sind<br />

gleichermaßen betroffen. So können in einem Organ Regionen mit völlig normalen<br />

Mitochondrienfunktionen neben solchen mit krankhaften Veränderungen liegen. Selbst im<br />

Eierstock kann eine völlig ges<strong>und</strong>e Eizelle mit 100.000 Genkopien neben einer Eizelle<br />

mit 10 %, 20 % oder höherem Heteroplasmiegrad liegen. So erklärt sich auch die<br />

Vererbung nach dem Prinzip Russisch Roulette. Die Migräne-Mutter kann ein völlig<br />

ges<strong>und</strong>es Kind gebären, ein zweites weist auffällige Störungen wie die der Hirnreifung<br />

<strong>und</strong> ein drittes evtl. eine Retinitis pigmentosa auf, die im Leben zur Erblindung durch<br />

Netzhautschädigung führt. Bei Letzterer war das zuständige Gen in all seinen Kopien<br />

defekt. Eine Migräne geplagte junge Frau mit Kinderwunsch sollte folglich daran denken<br />

– Migräne sind nicht nur Kopfschmerzattacken. Die Mitochondropathie kann vererbt<br />

werden.<br />

Konsequenzen für den/die Migräne-Patienten, -in:


5<br />

Sie, er müssen sich bewusst sein, dass ihre Erkrankung eine Ganzkörpererkrankung ist.<br />

Die alleinige medik<strong>am</strong>entöse <strong>Therapie</strong> bei Migräneattacken ist nicht geeignet, diese zu<br />

beeinflussen. Wie ein Schwelbrand wird sich ansonsten die Mitochondropathie<br />

ausbreiten <strong>und</strong> immer mehr Organe einbeziehen.<br />

Vor der <strong>Therapie</strong> steht die <strong>Diagnostik</strong>. Es gilt zu klären, worin die Ursache der<br />

Mitochondropathie liegt. Dies geht nur durch eine ausführliche <strong>und</strong> lange An<strong>am</strong>nese.<br />

Nach der An<strong>am</strong>nese richten sich die Laboranalysen. Sie sollten umfassen:<br />

Blut:<br />

1. intrazelluläres Kalium, Magnesium, Zink, Vit<strong>am</strong>in B1, B2, Nikotinsäure<strong>am</strong>id,<br />

Panthotensäure (= Vit<strong>am</strong>in B5), Biotin<br />

Serumanalysen sind hierfür nicht aussagekräftig.<br />

Diese Par<strong>am</strong>eter finden sich häufig defizitär. Am wichtigsten sind Kalium, Magnesium,<br />

Zink, da die Laktazidose zur Zellsäuerung <strong>und</strong> zu Verlusten an Kalium <strong>und</strong> Magnesium<br />

führt.<br />

Magnesium <strong>und</strong> Zink sind notwendig, d<strong>am</strong>it Vit<strong>am</strong>in B1 <strong>und</strong> B6 in der Zelle ihre Wirkung<br />

entfalten können. Vit<strong>am</strong>in B1 ist für die Pyruvateinschleusung in den Citratzyklus, Vit<strong>am</strong>in<br />

B6 z. B. für die Serotoninbildung erforderlich.<br />

2. Zum Nachweis evtl. ablaufender neurogener Schädigungen sind empfehlenswert:<br />

- Hirnschrankenprotein S-100<br />

- neuronenspezifische Enolase NSE<br />

- Neurofil<strong>am</strong>ent<br />

- gliales saures Faserprotein<br />

- fettsäurenbindende Proteine (FABP)<br />

3. Laktat/Pyruvat, Alanin zum Nachweis einer mitochondrialen Funktionsstörung<br />

4. Analyse der Ausatmungsluft (eine Untersuchung) auf:<br />

- NO<br />

- Ethanol


- Methanol<br />

- Isopren<br />

5. Urinanalysen auf:<br />

- Citrullin (Maß für NO-Bildung)<br />

- Methylmalonsäure (Maß für Vit<strong>am</strong>in-B12-Mangel)<br />

- Cystathionin (Maß für Vit<strong>am</strong>in-B6-Mangel)<br />

<strong>Therapie</strong>:<br />

6<br />

Die Behandlung der Mitochondropathie bei Migräne ist die Domäne der Mikronährstoffe, die<br />

nicht alle gleichermaßen, sondern Step by Step <strong>und</strong> nur nach Bef<strong>und</strong>en eingesetzt werden.<br />

Sie umfassen evtl.:<br />

Coenzym Q10 Vit<strong>am</strong>in B12<br />

Vit<strong>am</strong>in B2 Vit<strong>am</strong>in B6<br />

Vit<strong>am</strong>in B1 Vit<strong>am</strong>in K<br />

Vit<strong>am</strong>in-E-Komplex evtl. Magnesium, Kalium, Zink<br />

Vit<strong>am</strong>in C ω3-Fettsäuren<br />

Vit<strong>am</strong>in D, K<br />

Es muss auch erwogen werden, eine ketogene Kost mit lediglich komplexen Kohlenhydraten<br />

(Gemüse, dunkles Brot, keine gesüßten Getränke) zu versuchen. Dies betrifft besonders<br />

Patienten mit zunehmenden Gewichtsproblemen <strong>und</strong> in kurzen Intervallen auftretenden<br />

Hungerattacken.<br />

*Doz. Dr. sc. med. Bodo Kuklinski<br />

Facharzt für Innere Medizin/Umweltmedizin<br />

Wielandstraße 7, 18055 Rostock 03 81/4 90 74 70<br />

Literatur:<br />

1. Okanda, H.: Plasma lactid acid and pyruvic acid levels in migraine and tension-type<br />

headache. Headache 38 (1998) 39 – 42<br />

2. Schönen, J., Lenarts, M.: Effecitveness of high-dose riboflavin in migraineprophylaxis.<br />

A randomized controlled trial. Neurol. 50 (1998) 466 – 470<br />

3. Rozen, T. D., Oshinsky, M. L., Gebeline, C. A. et al.: Open label trial of coenzyme<br />

Q10 as a migraine preventive. Cephalgia, 22 (2002) 137 – 141<br />

4. Pongratz, D. E., Späth, M.: Morphologic aspects of fibromyalgia. Z. Rheumatol. 57,<br />

Suppl. 2 (1998) 47 – 51

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