"Auf die ersten Jahre kommt es an" - UNESCO Deutschland
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September 2010<br />
"<strong>Auf</strong> <strong>die</strong> <strong>ersten</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>kommt</strong> <strong>es</strong> an"<br />
Interview mit Günter Gerstberger, Vorsitzender d<strong>es</strong> DUK-Fachausschuss<strong>es</strong> Bildung<br />
In Moskau findet vom 27. bis 29. September 2010 <strong>die</strong> erste <strong>UNESCO</strong>-Weltkonferenz über frühkindliche<br />
Förderung und Erziehung statt. Rund 1000 Regierungsvertreter und Bildungsexperten werden über <strong>die</strong><br />
weltweite Situation der frühkindlichen Bildung beraten. Die Bildung, Betreuung und Erziehung von<br />
Geburt an gilt als Schlüsselfaktor für den weiteren Lernerfolg. Über <strong>die</strong> Situation der frühkindlichen<br />
Bildung sprach un<strong>es</strong>co heute online mit Günter Gerstberger, Leiter d<strong>es</strong> Programms Bildung und<br />
G<strong>es</strong>ellschaft der Robert Bosch Stiftung.<br />
un<strong>es</strong>co heute online: Herr Gerstberger, frühkindliche Bildung ist ein zentral<strong>es</strong> Anliegen der <strong>UNESCO</strong>, sie wird<br />
weltweit jedoch nur langsam ausgebaut. Woran liegt das?<br />
Günter Gerstberger: Die verschiedenen Weltregionen stehen vor<br />
unterschiedlichen Herausforderungen. Schwellen- und Entwicklungsländer<br />
sind damit b<strong>es</strong>chäftigt, überhaupt eine allgemeine Grundschulbildung<br />
durchzusetzen. Frühkindliche Bildung tritt da in den Hintergrund. Di<strong>es</strong>er<br />
Bereich war im Übrigen auch innerhalb der Entwicklungszusammenarbeit<br />
bislang kaum ein Thema. Und selbst zwischen den OECD-Ländern gibt <strong>es</strong><br />
nach wie vor deutliche Unterschiede. Weltweit wird <strong>die</strong> frühkindliche<br />
Förderung noch viel zu stark unterschätzt.<br />
frühkindlichen Bildung weiter im europäischen Mittelfeld.<br />
uho: Auch <strong>Deutschland</strong> liegt trotz intensiver Bemühungen bei der<br />
Günter Gerstberger: <strong>Deutschland</strong> ist in der Tat ein Sonderfall in den OECD-Ländern. Bei uns ist <strong>die</strong> Trennung<br />
zwischen formeller Schulbildung und 'informeller' vorschulischer Erziehung und Betreuung b<strong>es</strong>onders groß.<br />
Schulbildung gilt als Sache d<strong>es</strong> Staat<strong>es</strong>, <strong>die</strong> Zeit davor als Angelegenheit der Familie. Und <strong>die</strong> Kindergärten<br />
haben bisher vor allem <strong>die</strong> Funktion, <strong>die</strong> Kinder zu betreuen. Das hat sich seit den PISA-Stu<strong>die</strong>n verändert, der<br />
Kindergarten wird langsam zur Bildungseinrichtung. Bund, Länder, Kommunen und Träger müssen sich<br />
allerdings gemeinsam bei der frühkindlichen Bildung verständigen. Und Kinderbetreuung war in <strong>Deutschland</strong><br />
lange auch ein Nischenthema.<br />
uho: Mittlerweile gibt <strong>es</strong> in jedem Bund<strong>es</strong>land Bildungspläne für den Elementarbereich. Sind <strong>die</strong> Inhalte in allen<br />
KiTas angekommen?<br />
Günter Gerstberger: Die Inhalte werden noch nicht richtig umg<strong>es</strong>etzt. Viele Erzieherinnen und Erzieher sind<br />
auf <strong>die</strong>se neuen <strong>Auf</strong>gaben nur unzureichend vorbereitet. Wir haben in allen Bildungsbereichen eine
Die Inhalte werden noch nicht richtig umg<strong>es</strong>etzt. Viele Erzieherinnen und Erzieher sind<br />
auf <strong>die</strong>se neuen <strong>Auf</strong>gaben nur unzureichend vorbereitet. Wir haben in allen Bildungsbereichen eine<br />
akademische Ausbildung, nur nicht in der Frühpädagogik. Andere europäische Länder sind da einen Schritt<br />
weiter. Allerdings hat sich in <strong>Deutschland</strong> einig<strong>es</strong> getan. Inzwischen gibt <strong>es</strong> immer mehr Stu<strong>die</strong>ngänge zur<br />
frühkindlichen Pädagogik an den deutschen Universitäten und Fachhochschulen. Das ist aber erst ein Anfang.<br />
uho: Im Unterschied zur Schule ist der B<strong>es</strong>uch einer Kindertag<strong>es</strong>einrichtung in <strong>Deutschland</strong> freiwillig. Wie<br />
zeitgemäß ist das noch?<br />
Günter Gerstberger: Eine Kindergarten-Pflicht zumind<strong>es</strong>t für <strong>die</strong> beiden letzten <strong>Jahre</strong> wäre durchaus sinnvoll.<br />
Es gibt auch immer mehr Stimmen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>s fordern, um vor allem <strong>die</strong> bildungsfernen Kinder früh zu erreichen.<br />
Es gibt ja den Rechtsanspruch auf den Kindergarten vom dritten bis zum sechsten Lebensjahr, und ab 2013<br />
soll <strong>es</strong> auch einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem <strong>ersten</strong> Lebensjahr geben. Aber <strong>die</strong>ser<br />
Rechtsanspruch muss auch geltend gemacht werden. Das tun längst nicht alle, gerade bildungsferne Familien<br />
haben hier Schwierigkeiten. Dringlich erscheint mir, den Kindergartenb<strong>es</strong>uch kostenlos anzubieten.<br />
uho: Das Grundg<strong>es</strong>etz sagt: "Jeder hat das Recht auf <strong>die</strong> freie Entfaltung seiner Persönlichkeit." Wie muss das<br />
im Sinne d<strong>es</strong> Kind<strong>es</strong> interpretiert werden?<br />
Günter Gerstberger: Das Grundg<strong>es</strong>etz sagt viel<strong>es</strong> und <strong>die</strong> Menschenrechte sagen auch viel<strong>es</strong>. Di<strong>es</strong>e Rechte<br />
müssen auch eingefordert und eingelöst werden. Nur wer schafft <strong>die</strong> Voraussetzungen dafür? Das wird ja<br />
derzeit bei der frühkindlichen Förderung sehr deutlich. Kinder unter drei <strong>Jahre</strong>n sollen ab 2013 ein Recht auf<br />
einen Platz haben. 750.000 Krippenplätze sollen insg<strong>es</strong>amt zur Verfügung stehen. Doch ob das umg<strong>es</strong>etzt<br />
wird, ist derzeit fraglich.<br />
uho: Was kann man von der <strong>UNESCO</strong>-Weltkonferenz in Moskau erwarten?<br />
Günter Gerstberger: Die Konferenz muss klar machen, dass frühkindliche Bildung weltweit g<strong>es</strong>tärkt wird und<br />
dass <strong>es</strong> dabei auf Qualität an<strong>kommt</strong>. Wie wichtig <strong>die</strong> frühkindliche Förderung ist, belegen<br />
neurowissenschaftliche Untersuchungen. In den <strong>ersten</strong> Lebensjahren entwickeln sich Denk- und<br />
Erinnerungsmuster im kindlichen Gehirn. Di<strong>es</strong>e bleiben ein Leben lang b<strong>es</strong>tehen und haben Einfluss auf <strong>die</strong><br />
spätere intellektuelle Entwicklung. <strong>Auf</strong> <strong>die</strong> <strong>ersten</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>kommt</strong> <strong>es</strong> an.<br />
Das Interview führte Farid Gardizi für un<strong>es</strong>co heute online.<br />
un<strong>es</strong>co heute online Redaktion: Farid Gardizi / Kurt Schlünk<strong>es</strong><br />
Verantwortlich: Dieter Offenhäußer Deutsche <strong>UNESCO</strong>-Kommission e.V.<br />
Colmantstraße 15, 53115 Bonn Telefon 0228 / 60497-0, -11 www.un<strong>es</strong>co-heute.de