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20 Jahre Galerie Rigassi: Georg Baselitz - Ensuite

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artensuite Schweizer Kunstmagazin November <strong>20</strong>11 | <strong>20</strong><br />

Kunst im Buch<br />

Prothese<br />

Markus Schinwald,<br />

Katalog zu den Ausstellungen<br />

im Kunstverein<br />

Hannover und<br />

Lentos Kunstmuseum<br />

Linz, <strong>20</strong>11, Verlag<br />

für moderne Kunst<br />

Nürnberg, 144 Seiten,<br />

Deutsch/Englisch,<br />

ca. Fr. 38.50.<br />

■ «Wo einem der Boden unter den Füssen weggezogen<br />

wurde, muss man versuchen schweben zu lernen.»<br />

Bei Markus Schinwald sollte man schnellstmöglich das<br />

Schweben erlernen. Denn der österreichische Künstler<br />

ist andauernd dabei, Betrachterinnen und Betrachter aus<br />

dem Lot und der Bahn zu werfen: So hangelt sich etwa<br />

in einer Videoarbeit von Schinwald eine Frau ohne die<br />

geringste Spur von Anstrengung an einem senkrechten<br />

Seil hoch. Ein Mann in Anzug versucht genauso verzweifelt<br />

wie angestrengt, sein Bein aus einer Spalte in der<br />

Wand zu ziehen. Wände im Ausstellungsraum bieten<br />

nicht Platz für Kunstwerke, nein, sie stehen nicht einmal<br />

auf dem Boden, sondern hängen von der Decke bis auf<br />

Nabelhöhe herunter – selbst dem Raum wird der Boden<br />

unter den Füssen weggezogen. Körper, Raum und Zeit<br />

sind denn auch die Grundlagen für das Schaffen von<br />

Schinwald. Die Körper der Figuren auf Porträtgemälden<br />

aus dem 19. Jahrhundert. Der gebrochene und von hängenden<br />

Wänden durchbrochene Ausstellungsraum. Die<br />

Zeit des Durchschreitens und der Filmlänge. Irritation<br />

im Sinne einer surrealistischen Verbindung des Nicht-<br />

Zusammengehörenden – des Disparaten – zeichnet seine<br />

Werke, und ihre Verbindung untereinander, seit längerem<br />

aus. Er fühlt sich in Installation, Objektkunst, Video<br />

und Malerei wohl gleich zu Hause und alles verbindet<br />

und verschachtelt er ineinander, so dass jede Ausstellung<br />

zu einem Gesamtkunstwerk wird – ein Vergnügungspark<br />

der verstörenden Art.<br />

In den letzten <strong>Jahre</strong>n war Schinwald, 1973 in Salzburg<br />

geboren, in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen<br />

präsent. Er lebt und arbeitet in Wien und Los Angeles.<br />

<strong>20</strong>11 ist er nicht nur an der Biennale in Venedig im<br />

österreichischen Pavillon vertreten (siehe S. 23), sondern<br />

auch im Kunstverein Hannover und dem Kunstmuseum<br />

Lentos in Linz. Zu den beiden letzteren Ausstellungen ist<br />

im Verlag für moderne Kunst in München eine ansprechend<br />

gestaltete und mit sehr guten Texten versehene<br />

Publikation erschienen.<br />

Drei Essays enthält der Band. Roland Meyer erzählt<br />

von Körper und Prothese bei Schinwald.<br />

Dieser hatte sich selbst einmal<br />

als «eine Art Prothesenbauer<br />

für unbestimmte Fälle» bezeichnet.<br />

Wobei sich Begriffe wie «Prothese»<br />

und «unbestimmter Fall» eigentlich<br />

widersprechen, jede Prothese ist<br />

schliesslich für einen bestimmten<br />

Fall konstruiert. Körper verbinden<br />

sich bei Schinwald immer wieder mit<br />

Prothesen, künstlichen Fortführungen,<br />

Ergänzungen und Veränderungen,<br />

vor allem in seinen übermalten<br />

Gemälden, die aus dem 19. Jahrhundert<br />

stammen. Der Körper – um<br />

diesen kommt man bei Schinwald<br />

einfach nicht herum – steht auch im<br />

Zentrum von Wolfgang Ullrichs Text,<br />

der von der Verschiebung der Moden<br />

und Stile von den Kleidern zum<br />

Körper selber handelt. Demnach sind<br />

in unserer Gegenwart weniger die<br />

Kleider von Moden abhängig, als der<br />

menschliche Körper selbst. Der Körper<br />

«wird durchlässig, ja korrumpierbar».<br />

Medizinische und technische<br />

Errungenschaften werden von unseren<br />

Körpern sogleich vereinnahmt.<br />

Schliesslich spricht Ute Stuffer von<br />

Schinwalds Inszenierungen im Medium<br />

Video, die weit mehr von Geste,<br />

Bewegung und isoliertem Körper<br />

handeln denn von Erzählung. (di)<br />

Nabelhöhe<br />

■ Der österreichische Pavillon in<br />

den Giardini der Biennale in Venedig<br />

entstand 1934 nach Plänen von Josef<br />

Hoffmann (1870–1956) als symmetrischer,<br />

klarer White Cube mit exakt<br />

222 Quadratmetern Fläche. Zur<br />

diesjährigen Biennale durfte Markus<br />

Schinwald den Pavillon bespielen<br />

und er veränderte den Bau und dessen<br />

Innenraum mit kräftigen Gesten.<br />

Das enorme Eingangstor, es ist beinahe<br />

gleich hoch wie der ganze Bau,<br />

verengte Schinwald mit einer gespaltenen<br />

Wand. Innen hängen labyrinthisch<br />

Wände und Kuben bis auf Nabelhöhe<br />

der Besucher herunter. Die<br />

Beine der Besucher bleiben sichtbar.<br />

Schinwald macht den Raum zur Bühne<br />

für seine Inszenierung und seine<br />

Werke als Requisiten.<br />

Die räumliche Inszenierung bezeichnete<br />

der Künstler selbst als<br />

Solözismus, ein Begriff aus der Linguistik,<br />

mit dem ein Fehler in der<br />

Syntax benannt wird. Die Wände auf<br />

Nabelhöhe sind ein derartiger Fehler.<br />

Und genauso wichtig war Schinwald<br />

der Körperbezug, das Massnehmen<br />

am menschlichen Körper. Diese Architektur<br />

nutzt Schinwald als Bühne<br />

für Porträts aus dem 19. Jahrhundert,<br />

die er aus Auktionshäusern gekauft<br />

hat und meist aufwendig restaurieren<br />

liess. «Das Material aus dem 19.<br />

Jahrhundert ist für mich insofern<br />

interessant, weil es eine Zeit ist,<br />

die zwar wichtige gesellschaftliche<br />

Spuren hinterlassen hat, wie die Nationalstaaten,<br />

das Bürgertum, die

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