Gesamte Ausgabe als PDF - 1,4 MB - Wir Frauen
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DAS FEMINISTISCHE BLATT<br />
Hartz: Wohin des Wegs?<br />
22. JAHRGANG<br />
HERBST 3/2003<br />
€ 3,–<br />
global brutal – brutal global
1Eine Schweigeminute<br />
Nach einer Idee von Adriana Domingues<br />
Wenn du noch immer den<br />
Schock fühlen kannst angesichts<br />
der Bilder vom Angriff<br />
auf die Twin Towers in New York, dann<br />
schweige bitte für eine Minute,um jenen<br />
3.100 toten AmerikanerInnen sowie all den<br />
anderen Menschen anderer Nationalität<br />
deinen Respekt zu erweisen. Sie waren<br />
unschuldige Zivilisten und wurden feige<br />
von Terroristen ermordet.<br />
Nachdem du nun für eine Minute<br />
geschwiegen hast, bleibe bitte stumm für<br />
weitere 42 Minuten, um der 130.000 IrakerInnen<br />
zu gedenken,die allein 1991 getötet<br />
wurden, auf Geheiß des alten George<br />
Bush, viele davon auf der Flucht auf dem<br />
sogenannten „Highway to Hell“. Schweige<br />
3 Stunden für die 555.000 irakischen<br />
Kleinkinder, die zwischen 1991 und 2003<br />
infolge des Embargos an unzureichender<br />
medizinischer Versorgung und Mangelernährung<br />
gestorben sind.<br />
Bitte verwende eine weitere Stunde<br />
und 5 Minuten auf die 200.000 IranerInnen,<br />
die von den Soldaten Saddam Husseins<br />
getötet wurden, mit Waffen, die von<br />
den USA geliefert worden waren.<br />
Schweige dann 58 Minuten für die<br />
30.000 Russen und 150.000 Afghanen, die<br />
im Kampf gegen die Taliban starben,welche<br />
ebenfalls von den USA mit Waffen und Geldern<br />
in dreistelliger Millionenhöhe ausgestattet<br />
wurden.<br />
Gedenke der 200.000 ZivilistInnen,die<br />
starben, <strong>als</strong> die USA 1954 Arbenz, den<br />
demokratisch gewählten Präsidenten Guatemalas,<br />
stürzten sowie der 5.000 ChilenInnen,<br />
die unter Pinochet ermordet wurden,<br />
der an die Macht kam, nachdem die<br />
USA den Putsch gegen Allende angezettelt<br />
hatten.Vergesse weder die 70.000 Salvadorianer<br />
und die 4 amerikanischen Nonnen,<br />
die unter der von den USA unterstützten<br />
Militärregierung getötet wurden, noch die<br />
3.000 ZivilistInnen, die 1989 beim Einmarsch<br />
der US-Truppen in Panama starben.<br />
Schweige auch für die 30.000 NicaraguanerInnen,<br />
die Anfang der 80er Jahre zu<br />
Opfern eines Krieges „mit niedriger Intensität“<br />
wurden, ausgeführt durch die Contras,<br />
ihrerseits finanziert und ausgebildet<br />
durch die USA. Für all diese Opfer im „Hinterhof<br />
der USA“ verwende mindestens<br />
1 Stunde und 40 Minuten.<br />
Schweige für mindestens 21 Stunden,<br />
um der 4 Millionen ZivilistInnen zu<br />
gedenken, die zwischen 1963 und 1975 in<br />
Südostasien von der US-Armee getötet wurden.<br />
Widme 32 Minuten der Stille den<br />
100.000 JapanerInnen, die in Hiroshima<br />
und Nagasaki durch amerikanische Atombomben<br />
starben.<br />
Schweige auch für die Opfer der<br />
militärischen US-Interventionen im Kongo<br />
(1964), in Libyen (1986), im Sudan (1998)<br />
und Jugoslawien (1999).
Liebe <strong>Frauen</strong>…<br />
Im sogenannten Sommerloch, fernab der<br />
Öffentlichkeit, geschieht bekanntlich<br />
Unerhörtes. So sollen am 15. und am 27.<br />
August zwei Prozesse stattfinden, die immer<br />
wieder hinausgezögert werden. Der Prozess<br />
gegen die ehemalige kurdische Parlamentsabgeordnete<br />
und Trägerin des Sacharow-Menschenrechtspreis<br />
des Europa-Parlaments 1995<br />
Leyla Zana wurde im April, unter dem Druck<br />
des Urteils des Europäischen Gerichtshofs<br />
bezüglich eines fairen Prozesses, in Ankara<br />
neu aufgerollt. Lelya Zana ist seit fast zehn<br />
Jahren hinter Gittern.<br />
Amina Lawal, Nigeria, die Anfang 2004<br />
gesteinigt werden soll, – wenn sie ihre Tochter<br />
Wasila nicht mehr stillt – hat gegen ihre<br />
menschenrechtswidrige Verurteilung Berufung<br />
eingelegt. Apropos: Auch von uns<br />
haben sich einige an der digitalen Unterschriftensammlung<br />
gegen die Steinigung<br />
beteiligt – und sind damit einem sogenannten<br />
„Hoax“ aufgesessen. Nicht nur, dass die<br />
Aktion nicht von Amnesty International organisiert<br />
wurde: Aktionen wie diese können<br />
mitunter sogar kontraproduktiv sein,nämlich<br />
dann, wenn Regierungen angesichts des<br />
öffentlichen internationalen Drucks keine<br />
„Schwäche“ zeigen wollen.Mehr dazu in diesem<br />
Heft.<br />
Unerhörtes gibt es auch, was die individuellen<br />
Grundrechte betrifft.Während<br />
der Papst gegen die Homo-Ehe<br />
wütet und die Hamburger evangelische<br />
Bischöfin Maria Jepsen, die die Legalisierung<br />
homosexueller Lebenspartnerschaften begrüßt,<br />
vom Initiativkreis katholische Laien<br />
und Priester zur „persona non grata“ erklärt<br />
wird, wurde in Israel ein rassistisches Gesetz<br />
verabschiedet: Es zwingt künftig israelischpalästinensische<br />
Ehepaare, getrennt zu leben<br />
oder Israel zu verlassen,und es verwehrt Kindern<br />
aus den palästinensischen Gebieten<br />
sowohl die Staatsbürgerschaft <strong>als</strong> auch eine<br />
Aufenthaltsgenehmigung!<br />
Unerhört auch die Brutalität im Krieg<br />
gegen den Irak. Dass Uranmunition<br />
der USA das Land vergiftet und bei<br />
Neugeborenen zu schwersten Missbildungen<br />
führt, war bereits bekannt. Nun mussten die<br />
USA nach erstem Leugnen doch noch zugeben,<br />
international geächtete Brandbomben,<br />
Nachfolger des Napalms,eingesetzt zu haben.<br />
Zeitgleich erklärt Condoleezza Rice in einer<br />
Rede vor der Vereinigung Schwarzer Journalisten<br />
in Dallas mit einer tollkühnen Argumentationskette<br />
den Irakkrieg zu einem<br />
Krieg gegen Rassismus. Man habe den Krieg<br />
schließlich deshalb geführt, so Rice, weil<br />
westliche, insbesondere US-amerikanische<br />
Freiheiten für alle Nationalitäten zu gelten<br />
haben. Eine weitere Variante, das Unerhörte<br />
zu rechtfertigen...<br />
Aus der wissenschaftlichen <strong>Frauen</strong>ecke<br />
gibt es Trauriges wie Erfreuliches zu<br />
berichten. Die Zeitschrift „metis“, die<br />
zehn Jahre lang den Weg historischer <strong>Frauen</strong>forschung<br />
hin zu Gender Studies begleitet hat,<br />
hat leider ihr Erscheinen eingestellt. Unser<br />
Dank gilt den Herausgeberinnen, die brisante<br />
Themen aufgegriffen und aufgearbeitet haben,<br />
von „Ist die Nation weiblich?“ bis zu „Säkularisierung“<br />
und „Verwerfungen“. <strong>Wir</strong> werden,<br />
ihrer Empfehlung folgend, frauen- und<br />
geschlechtergeschichtliche Themen künftig in<br />
der Zeitschrift „Ariadne“ weiter verfolgen.<br />
<strong>Wir</strong> freuen uns über eine neue Mitarbeiterin!<br />
Sonja Vieten aus Düsseldorf<br />
gibt ihr Debut in dieser<br />
<strong>Ausgabe</strong>. Gabriele Bischoff, eine unserer verantworlichen<br />
Redakteurinnen, nimmt eine<br />
Auszeit, um wieder Kraft zu sammeln. Die<br />
braucht es, für soviel Engagement in einer<br />
Vielzahl von Projekten. <strong>Wir</strong> wünschen ihr<br />
alles Gute und freuen uns schon jetzt auf ihre<br />
Rückkehr!<br />
Unsere Mitarbeiterin Elisabeth Klaus,<br />
Hochschullehrerin am Zentrum für interdisziplinäre<br />
Medienwissenschaft der Universität<br />
Göttingen, wird im Herbst Professorin für<br />
Kommunikationswissenschaft am Institut selbigen<br />
Namens an der Universität Salzburg.<br />
Herzlichen Glückwunsch!<br />
Was uns freut: Immer mehr Leserinnen<br />
runden ihre Rechnungen auf oder steigen um<br />
auf ein Förderabo. Dafür ein dickes Dankeschön!<br />
Einen schönen Herbst wünschen<br />
Melanie und Florence<br />
Redaktionsschluss dieser <strong>Ausgabe</strong> ist der<br />
4.8.2003.<br />
Die Winterausgabe erscheint im Dezember<br />
zum Schwerpunkt „Stadtplanung“.<br />
WIR FRAUEN 1/2003<br />
3<br />
INHALT<br />
Global brutal – brutal global......................6<br />
<strong>Frauen</strong>rechte <strong>als</strong> Kriegslegitimation<br />
in den Medien ...................................7<br />
<strong>Frauen</strong> und Deserteure im Krieg<br />
Ungehorsame <strong>Frauen</strong> und Soldaten<br />
im Vernichtungskrieg 1939-45.....................10<br />
Krieg und Gewalt sind keine Lösung<br />
Bonner Schülerin mischt sich ein ...............12<br />
Free Condoms – Free Palestine ................14<br />
Zwei Heldinnen<br />
Jessica Lynch:<br />
Heldin des Irak-Kriegs? ................................16<br />
Rachel Corrie:<br />
Heldin des Widerstandes? ..........................17<br />
www.McPlanet.com<br />
Die Umwelt in der<br />
Globalisierungsfalle ......................................18<br />
Andere Länder<br />
Das eigentliche Verbrechen ist,<br />
eine Frau zu sein .............................................21<br />
Angriff auf Solidarität mit<br />
kurdischem Befreiungskampf ..................22<br />
Der Fall Andrea Wolf jetzt vor<br />
Europäischem Gerichtshof ........................23<br />
Kurzinfos ...........................................................24<br />
Kultur<br />
Renate Riemeck ..............................................25<br />
Monique Wittig..............................................26<br />
Wohin des Wegs?<br />
Arbeitsmarktreform 2003 .........................28<br />
Kultur<br />
Parnass Nachschlag .....................................30<br />
Daten und Taten<br />
Sofia Lwowna Perowskaja<br />
und Hedwig Dohm ..................................... 35<br />
Außerdem<br />
Hexenfunk ......................................................... 4<br />
Termine ..............................................................27<br />
gelesen............................................................... 31<br />
Impressum ...................................................... 34<br />
Titelfoto<br />
Das Selbstporträt stammt<br />
von der Düsseldorfer<br />
Kunstfotografin Birgitta<br />
Thaysen. Sie macht ausschließlich<br />
Schwarz-Weiß-<br />
Fotografien und wird im<br />
nächsten Jahr mit einer Einzelausstellung zum<br />
Thema „Wolken“ in München vertreten sein.
Schottinnen-Schuhe<br />
zum Schutz misshandelter<br />
<strong>Frauen</strong><br />
Zum Wohl misshandelter <strong>Frauen</strong><br />
wollen mehr <strong>als</strong> 100 prominente<br />
Schottinnen bei einer Auktion Ende<br />
des Jahres ihre Schuhe versteigern.<br />
Genau 104 Schottinnen werden ihr<br />
Schuhwerk unter den Hammer bringen<br />
– jeweils für eine der 104 <strong>Frauen</strong>,<br />
die jedes Jahr in Großbritannien<br />
durch häusliche Gewalt sterben. Der<br />
Erlös soll Hilfsvereinen für misshandelte<br />
und vergewaltigte <strong>Frauen</strong><br />
zukommen. U.a. die Sängerin Annie<br />
Lennox und die Schriftstellerin Joanne<br />
K. Rowling stellen ihre Schuhe zur<br />
Verfügung. (dieStandard)<br />
Hohe Haftstrafen für<br />
Antikriegsaktion<br />
Drei katholische Ordensschwestern<br />
des Dominikanerordens drangen<br />
am 6. Oktober 2002 auf ein<br />
Raketengelände in Colorado ein,<br />
schlugen mit Hämmern auf ein Silo<br />
mit Langstreckenraketen ein und<br />
malten mit ihrem Blut ein Kreuz auf<br />
die Betonwand. Für diese Aktion<br />
wurden die drei Nonnen im Alter<br />
von 55 bis 68 jetzt wegen Beeinträchtigung<br />
der nationalen Verteidigung<br />
und Beschädigung von Staatseigentum<br />
zu Haftstrafen zwischen<br />
zweieinhalb Jahren und drei Jahren<br />
und fünf Monaten Gefängnis verurteilt.<br />
Die Nonnen traten die Haft<br />
sofort an, auch eine vorläufige Entlassung<br />
aus der Untersuchungshaft<br />
vor Abschluss des Prozesses hatten<br />
sie abgelehnt. Schwester Platte, die<br />
das höchste Strafmaß erhielt:„Wel-<br />
Anzeige<br />
HexenFunk<br />
che Strafe ich auch erhalte, ich werde<br />
sie freudig annehmen <strong>als</strong> eine<br />
Gabe des Friedens, und mit Gottes<br />
Hilfe wird sie meinem Geist keinen<br />
Schaden zufügen.“<br />
Klima der Angst für<br />
<strong>Frauen</strong> in Afghanistan<br />
Die Menschenrechtsorganisation<br />
Human Rights Watch warnt in<br />
einem Bericht von Ende Juli 2003,<br />
dass Gewalt und Übergriffe auf<br />
<strong>Frauen</strong> und Kinder den politischen<br />
Prozess und die Fortschritte im<br />
Bereich der <strong>Frauen</strong>rechte massiv<br />
gefährden. Außerhalb von Kabul<br />
haben die Warlords wieder die<br />
Macht übernommen und begehen<br />
schreckliche Menschenrechtsverletzungen.<br />
In ländlichen Gebieten trauen<br />
sich viele <strong>Frauen</strong> nicht mehr aus<br />
dem Haus. Das Klima der Gewalt<br />
verhindert die Teilnahme der <strong>Frauen</strong><br />
am Wiederaufbau der Gesellschaft.<br />
Die meisten afghanischen Mädchen<br />
können immer noch nicht die Schule<br />
besuchen. Politische Aktivisten, Journalisten<br />
und Redakteure erhalten<br />
Morddrohungen und werden von<br />
Armee und Polizei eingeschüchtert.<br />
Und die Staatengemeinschaft, die<br />
das Taliban-Regime stürzten, um<br />
„der Demokratie zum Sieg“ zu verhelfen,<br />
sieht tatenlos zu.<br />
Mädchen <strong>Frauen</strong><br />
Meine Tage<br />
Unter diesem Titel entwickelte<br />
die Münchener <strong>Frauen</strong>ärztin Elisabeth<br />
Raith-Paula ein Projekt für<br />
Mädchen zwischen 10 und 14 Jahren,<br />
WIR FRAUEN 2/2003<br />
4<br />
damit sie die Vorgänge in ihrem Körper<br />
besser verstehen. Der sechsstündige<br />
Projekttag „Dem Geheimcode<br />
des Körpers auf der Spur“ umfasst<br />
mehrere „Zyklusshows“, die spielerisch<br />
über die Abläufe im eigenen<br />
Körper informieren. Körpergefühl<br />
und Selbstbewusstsein von Mädchen<br />
und jungen <strong>Frauen</strong> sollen<br />
damit gestärkt werden. In Deutschland<br />
gibt es mittlerweile 300 ausgebildete<br />
Kursleiterinnen, die sich im<br />
Rahmen von Schul-Projekttagen an<br />
die Schülerinnen wenden. Weitere<br />
Informationen unter: www.mfmprojekt.de<br />
(www.frauensicht/ch).<br />
Abschiebestopp für<br />
politische Flüchtlinge in<br />
den Iran!<br />
Der <strong>Frauen</strong>verband Courage<br />
sammelt Unterschriften für einen<br />
Abschiebestopp und informiert über<br />
die Situation im Iran: Gefängnis, Folterungen<br />
und öffentliche Hinrichtungen<br />
sind an der Tagesordnung.<br />
Die Journalistin Zahra Kazemi, die<br />
Fotos von Studentendemonstrationen<br />
gemacht hatte, wurde verhaftet<br />
und starb nach Folterung im Gefängnis<br />
an Hirnbluten (Rheinische<br />
Post 17.07.2003). Konkreter Hintergrund<br />
für das Engagement ist die<br />
drohende Abschiebung der Courage-<br />
Frau Shaiesteh Hakami mit ihrem<br />
Mann und zwei Kindern. Wer die<br />
Aktion unterstützen will, wende sich<br />
bitte an: <strong>Frauen</strong>verband Courage<br />
Düsseldorf, c/o Lieselotte Bähren,<br />
Velberterstr. 3, 40227 Düsseldorf.<br />
Museum für Verhütung<br />
und Schwangerschaftsabbruch<br />
Das in unmittelbarer Nähe zum<br />
Wiener Westbahnhof geplante<br />
Museum sucht noch Exponate,<br />
bevor es eröffnet werden kann.<br />
Recherchiert und zusammengetragen<br />
wird das Museum von zwei<br />
Journalistinnen, ausgestellt werden<br />
sollen Instrumente und Behelfe,<br />
Modelle, Darstellungen, Erzählungen,<br />
Plakate und Informationsschriften.<br />
Hinzu kommen Interviews mit<br />
ÄrtzInnen und ApothekerInnen, mit<br />
WissenschaftlerInnen, Kräuterkundigen,Hebammen,„Engelmacherin-<br />
nen“ und <strong>Frauen</strong> und Männern, die<br />
ihre privaten Erlebnisse beisteuern<br />
wollen. Wie war das vor der Pille?<br />
Wie haben das die Groß- und Urgroßmütter<br />
gehandhabt, wenn sie<br />
keine Kinder wollten? Welche Mittel<br />
standen ihnen zur Verfügung? Wie<br />
gingen sie mit ungewollten Schwangerschaften<br />
um, <strong>als</strong> Abbrüche<br />
lebensbedrohend waren und sie <strong>als</strong><br />
Mörderin verurteilt werden konnten?<br />
Indem das Museum auf diese<br />
Fragen eingeht, will es ein konzentriertes<br />
Stück Kultur- und Medizingeschichte<br />
bewahren und zugänglich<br />
machen. Wer etwas beisteuern<br />
oder sich informieren will, wende<br />
sich an Dr. Susanne Krejsa, Tel: 0043<br />
(699) 17817804 oder Mag. Brigitte<br />
Oettl, Tel. 0043 (699) 17817803. Weitere<br />
Infos gibt es gleichfalls unter<br />
www.verhuetungsmuseum.at<br />
Anti-Diskriminierung<br />
bei Wal-Mart<br />
Die Handelskette Wal-Mart,<br />
größter privater Arbeitgeber der<br />
USA und in Deutschland nicht gerade<br />
im Ruf, sich für Arbeitnehmerrechte<br />
einzusetzen, wird künftig<br />
aktiv gegen Homosexuellen-Diskriminierung<br />
bei den eigenen Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern vorgehen.<br />
Zuvor hatte eine<br />
Homosexuellen-Gruppe aus Seattle<br />
zwei Jahre u. a. über Beteiligung an<br />
Aktienpaketen intensive Lobbyarbeit<br />
betrieben. Damit verfügen neun der<br />
zehn größten US-Unternehmen<br />
über eine Anti-Diskriminierungspolitik<br />
auf Grund sexueller Orientierung,<br />
nur Exxon Mobil hält sich<br />
zurück. In 197 der 500 größten<br />
Unternehmen können gleichgeschlechtliche<br />
LebenspartnerInnen<br />
an der Krankenversicherung der MitarbeiterInnen<br />
teilhaben. Und wo<br />
bleiben die deutschen Unternehmen?<br />
Feminine Strategie<br />
gegen Aids prallt auf<br />
männliche Abwehr<br />
Zeda Rosenberg, Leiterin der<br />
„International Partnership for Microbicides“,<br />
forscht seit etlichen Jahren<br />
zum Thema HI-Viren zerstörende<br />
Salben und Gele. Die Substanzen
sollen das Eindringen der Viren in<br />
die Zellen der Vagina verhindern.<br />
Rosenberg will damit <strong>Frauen</strong> in den<br />
Mittelpunkt von Präventionsmaßnahmen<br />
stellen. Denn Mädchen und<br />
<strong>Frauen</strong> kommt eine tragische Rolle<br />
bei der Ausbreitung von Aids zu. In<br />
Staaten, in denen <strong>Frauen</strong> sich aufgrund<br />
kultureller Gegebenheiten<br />
nicht gegen ungeschützten Sex und<br />
Vergewaltigungen – auch innereheliche<br />
– wehren können, kommt es zu<br />
extrem steigenden Zahlen infizierter<br />
<strong>Frauen</strong>, die den Virus dann gleichfalls<br />
an die Kinder weitergeben. Bis 2010<br />
könnte ein Gel zu einem akzeptablen<br />
Preis auf dem Markt sein, doch<br />
bisher konnte Rosenberg kaum jemanden<br />
für diese Idee interessieren:<br />
an den Schaltstellen für wissenschaftliche<br />
Förderungen sitzen Männer,<br />
die kein Interesse an frauenspezifischer<br />
Forschung haben. So<br />
werden Rosenbergs Forschungen<br />
privat gesponsert, staatliche Förderung<br />
gibt es nicht. (dieStandard)<br />
Donnerstag ist<br />
<strong>Frauen</strong>tag<br />
in der südspanischen Gemeinde<br />
Torredonjimeno. Donnerstags haben<br />
die Männer künftig Ausgehverbot,<br />
sollen sich wenigstens einmal in der<br />
Woche um Hausputz und Kinderbetreuung<br />
kümmern anstatt mit den<br />
Freunden Biertrinken zu gehen, so<br />
der Bürgermeister Javier Checa. Auf<br />
den Straßen werden vier <strong>Frauen</strong><br />
patrouillieren, um Missachtungen<br />
zu ahnden und Übeltätern das symbolische<br />
Bußgeld von 5 € abzunehmen.<br />
Torredonjimeno hat 14.000<br />
EinwohnerInnen und einen <strong>Frauen</strong>anteil<br />
von 52 %.<br />
(K)ein Anschluss unter<br />
dieser Nummer?<br />
Unter diesem provokanten Titel<br />
veranstalteten NRO <strong>Frauen</strong>forum und<br />
das Projektbüro WOMNET in Kooperation<br />
mit dem Journalistinnenbund<br />
eine Fachtagung zu neuen Informations-<br />
und Kommunikationstechnologien<br />
(IKT). Fragestellung war: Wie<br />
kann eine Geschlechterperspektive<br />
in den 1. Weltgipfel zur Informationsgesellschaft<br />
eingebracht werden, der<br />
im Dezember 2003 in Genf stattfindet<br />
und 2005 in Tunis fortgesetzt wird?<br />
Die Ergebnisse der Fachtagung flossen<br />
in das Positionspapier „Neue<br />
Informations- und Kommunikationstechnologien“.<br />
Ein Gesichtspunkt<br />
sind die politischen Forderungen an<br />
die deutsche Regierung, wobei scharf<br />
kritisiert wird, dass der Weltgipfel in<br />
der deutschen Öffentlichkeit kaum<br />
bekannt ist und die Vorbereitungen<br />
der Bundesregierung hierzu völlig<br />
im Dunkeln liegen. Einige weitere<br />
Forderungen: Zugangsmöglichkeiten<br />
für <strong>Frauen</strong> zu IKT müssen finanziell<br />
unterstützt werden, <strong>Frauen</strong> müssen<br />
an der Definition und den Bedingungenvon<br />
Zugängen beteiligt werden,<br />
Cyber-Sicherheit muss auch <strong>als</strong> Freiheit<br />
von Gewalt, sexualisierter<br />
Gewalt durch Pornographie definiert<br />
werden und Verstöße müssen strafrechtlich<br />
verfolgt werden. Vom 15.-26.<br />
September findet in Genf eine dritte<br />
Vorbereitungskonferenz zum Weltgipfel<br />
statt. Weitere Informationen<br />
unter www.womnet.de.<br />
(womanticker)<br />
Roberta – Mädchen<br />
erobern Roboter<br />
Das Projekt soll helfen, das<br />
Interesse von <strong>Frauen</strong> und Mädchen<br />
für Informatik und Naturwissenschaften<br />
zu wecken. Mit Robotern<br />
und Roboterbaukästen lassen sich<br />
Themen der Robotik vermitteln, daraus<br />
abgeleitet ein Zugang zu einer<br />
Technologie finden, die heute in<br />
praktisch allen technischen Geräten<br />
Anwendung findet. Deshalb werden<br />
Roboterkurse entwickelt, die insbesondere<br />
Mädchen ansprechen. Sie<br />
sollen erfahren, dass Technik Spaß<br />
macht und technische Systeme<br />
selbstständig entwickeln lernen. Die<br />
bisherigen Robotik-Programme<br />
(Roboter-Fußball) stoßen dagegen<br />
bei Mädchen eher auf Desinteresse.<br />
Zielsetzung des Projekts ist, Mädchen<br />
neue Berufsperspektiven aufzuzeigen.<br />
Und: Wenn sich <strong>Frauen</strong><br />
mehr für technische Fragestellungen<br />
interessieren, besteht die Chance,<br />
dass sie solche Systeme in Zukunft<br />
mitgestalten. Federführend ist das<br />
Fraunhofer Institut Autonome Intelligente<br />
Systeme (AIS) mit Beteiligung<br />
u. a. von <strong>Frauen</strong> geben Technik<br />
neue Impulse e.V., Deutsches Museum<br />
Bonn, Schulen ans Netz e.V., ver-<br />
schiedene Universitäten. Das mit<br />
Bundesmitteln geförderte Projekt<br />
läuft bis 31. Oktober 2005. Weitere<br />
Informationen: Fraunhofer Institut<br />
AIS, Schloss Birlinghoven, 53754<br />
Sankt Augustin, Tel: (0 22 41) 14-24 41<br />
(vormittags), oder<br />
www.ais.fraunhofer.de/ROCK/roberta<br />
Jahrestagung der<br />
Lagergemeinschaft<br />
Ravensbrück/Freundeskreis<br />
e.V. (LGRF)<br />
Die Tagung findet vom 30.09.-<br />
03.10.2003 in Moringen statt. Thema<br />
wird die Geschichte des Konzentrationslagers<br />
Moringen sein, es wird<br />
Begegnungen mit Überlebenden<br />
der ehemaligen Lagergemeinschaft<br />
Moringen geben. Gleichzeitig wird<br />
die Ausstellung „Schwestern vergesst<br />
uns nicht“ eröffnet. Nähere Informationen<br />
dazu gibt es in den Ravensbrückblättern,<br />
die jetzt auch online<br />
sind: www.ravensbrueckblaetter.de.<br />
Schwerpunktthema der aktuellen<br />
<strong>Ausgabe</strong>: Euthanasie in der Landesheil-<br />
und Pflegeanstalt Bernburg,<br />
vorgestellt wird u.a. die jüdische<br />
Widerstandskämpferin Olga Benario.<br />
Laurie Anderson – „The<br />
Record of the Time“<br />
Noch bis zum 19.10.2003 wird<br />
im Kunstpalast Düsseldorf das Werk<br />
der New Yorker Performance-Künstlerin<br />
Laurie Anderson vorgestellt.<br />
Sie selbst bezeichnet sich <strong>als</strong><br />
„Geschichtenerzählerin“. Ihr Werk<br />
zeichnet sich aus durch die Verbindung<br />
von Theater, Pop-Musik, Performance<br />
und Bildender Kunst. Mittels<br />
Computertechnik und Neuer<br />
Medien schafft sie Gesamtkunstwerke,<br />
arbeitet mit Lauten und<br />
Klängen. Die ausgestellten Arbeiten<br />
illustrieren die Etappen ihrer Tätigkeit<br />
seit den siebziger Jahren bis in<br />
die neueste Zeit. Videoarbeiten und<br />
Audioinstallationen werden erlebbar<br />
gemacht, es gibt Fotodokumentationen<br />
der wichtigsten Performances<br />
und ein Katalogbuch mit<br />
CD.Ort: stiftung museum kunst<br />
palast, Ehrenhof 4-5, 40479 Düsseldorf,<br />
tgl. außer montags geöffnet;<br />
www.museum-kunst-palast.de.<br />
WIR FRAUEN 2/2003<br />
5<br />
Liebe macht blind –<br />
Gewalt macht stumm<br />
So lautet die Botschaft eines<br />
Plakates, das Teil einer neuen Kampagne<br />
des Frankfurter Präventionsrates<br />
ist. In den kommenden zwei<br />
Jahren sollen dieses und ein weiteres<br />
Plakat (Der Partner fürs Leben ...<br />
kann das Leben zur Hölle machen)<br />
die Öffentlichkeit unter dem Motto:<br />
„Gewalt ist nie privat“ für das Problem<br />
der Gewalt in privaten Haushalten<br />
sensibilisieren. Die Kampagne<br />
ist Teil eines Aktionsplans des Arbeitskreises<br />
<strong>Frauen</strong> des Frankfurter<br />
Präventionsrates. Mit diesem Aktionsplan<br />
soll das im Januar 2002 verabschiedete<br />
Gewaltschutzgesetz auf<br />
kommunaler Ebene umgesetzt werden.<br />
Parallel zu dieser Plakataktion<br />
hat die Beratungsstelle <strong>Frauen</strong>notruf<br />
eine Hotline (069 / 70 94 94)<br />
geschaltet, die für Opfer, aber auch<br />
für Angehörige und all diejenigen,<br />
die Zeuge von Gewalthandlungen<br />
im privaten Bereich wurden, eine<br />
professionell betreute Erstberatung<br />
anbietet. (www.frankfurt.de)<br />
zusammengestellt von<br />
Marion Gaidusch
Global brutal –<br />
brutal global!<br />
Für den Titel dieser <strong>Ausgabe</strong> haben wir<br />
uns inspirieren lassen:„Global brutal“<br />
heißt ein empfehlenswertes Buch von<br />
Michel Chossudovsky, das anschaulich die<br />
Logik eines entfesselten Welthandels<br />
beschreibt, welcher in seiner Konsequenz<br />
zu Armut und Hungerkatastrophen und<br />
immer wieder zu Krieg und Staatsterror<br />
führt. „Die Allianz der Reichen forciert die<br />
Globalisierung der Armut, der Umweltzerstörung,<br />
der sozialen Apartheid, des Rassismus<br />
und der ethnischen Zwietracht“,<br />
belegt Chossudovsky.<br />
„Der Einkommensunterschied zwischen<br />
den reichsten und den ärmsten Ländern<br />
lag 1820 noch bei 3 zu 1,1950 bei 35<br />
zu 1,1973 bereits bei 44 zu 1 und 1992<br />
schließlich bei 72 zu 1. (...) Das Vermögen<br />
der 358 Milliardäre auf der Welt überstieg<br />
das jährliche <strong>Gesamte</strong>inkommen der Länder,<br />
in denen 45 % der Weltbevölkerung<br />
leben“, heißt es im Human Development<br />
Report des United Nations Development<br />
Programms von 1996. Armut, das Fehlen<br />
medizinischer Versorgung, die de-facto-<br />
Entmachtung demokratisch gewählter<br />
Regierungen durch von Gläubigerländern<br />
auferlegte, sozial höchst unverträgliche<br />
<strong>Wir</strong>tschaftsprogramme sind vielleicht weni-<br />
ger spektakulär <strong>als</strong> ein Krieg, letztendlich<br />
aber genauso tödlich.<br />
Die kapitalistische Globalisierung ist<br />
brutal – in ihren Methoden wie in ihren<br />
Konsequenzen.In Zeiten,in denen die eine<br />
Weltmacht daran geht, den arabischen<br />
Raum und in der Folge die ganze Welt neu<br />
zu ordnen, um – wie sie zynisch kundtut –<br />
durchaus auch offensiv ihre „vitalen Interessen“<br />
zu sichern, in Zeiten, in denen fast<br />
allerorts zur Wahrung der „inneren Sicherheit“<br />
BürgerInnenrechte in Frage gestellt<br />
werden und politisch Andersdenkende auf<br />
schwarzen Listen landen, wollen wir dem<br />
Thema globale Brutalität einen Schwerpunkt<br />
widmen.Der Krieg gegen den Irak ist<br />
offenkundig noch nicht vorbei und die<br />
nächsten Aggressionen (Syrien? Iran?) sind<br />
bereits in Vorbereitung. Dass auch die BRD<br />
dann wieder mitmischt, ist durchaus möglich<br />
– der bundesdeutsche Regierungspazifismus<br />
bezieht sich nicht auf Kriege<br />
generell – das zeigte schon der Jugoslawienkrieg.2001<br />
begrüßte Schröder gar „die<br />
Enttabuisierung des Militärischen in der<br />
deutschen Außenpolitik“. Gegen den Irak-<br />
Krieg war diese Regierung erst dann (auch<br />
mehr mit Worten <strong>als</strong> mit Taten),<strong>als</strong> klar war,<br />
dass es für bundesdeutsche <strong>Wir</strong>tschaftsin-<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
6<br />
teressen nicht viel zu holen geben würde.<br />
Mal ist es ein erfundener Hufeisenplan,mal<br />
der „Kampf gegen den Terror“ oder, wie<br />
zuletzt, sind es angebliche Massenvernichtungswaffen,<br />
die den Angriffskrieg legitimieren<br />
sollen.Wie <strong>Frauen</strong> dafür herhalten<br />
müssen, Kriege zu rechtfertigen, beschreiben<br />
Elisabeth Klaus und Susanne Kassel.<br />
Das Thema inspirierte unsere Zeichnerin<br />
Kornelia Wigh zu einem Vorher-nachher-<br />
Quiz.Birgit Gärtner stellt eine Gruppe israelischer<br />
Lesben und Schwule vor, die einfallsreich<br />
und provokant gegen die<br />
Besetzung Palästinas protestieren und Marit<br />
Büttner beleuchtet, was <strong>Frauen</strong> dazu<br />
bewegte und bewegt, ihr Leben zu riskieren,<br />
um Deserteuren zu helfen. Monika<br />
Morres stellt Alex vor, eine Schülerin aus<br />
Bonn, die wie viele angeblich doch so<br />
unpolitische Jugendliche mitgemischt hat<br />
im Widerstand gegen den Krieg. Und <strong>Wir</strong><br />
<strong>Frauen</strong>-Redakteurin Sonja Vieten berichtet<br />
vom Kongress www.McPlanet.com, wo<br />
„Ökos und Attacies“ diskutierten. An anderer<br />
Stelle stellt sie die Frage nach den „Heldinnen“<br />
in diesen kriegerischen Zeiten und<br />
der „Verwertung“, die sie in den Medien<br />
erfahren.<br />
Melanie Stitz
<strong>Frauen</strong>rechte <strong>als</strong><br />
Kriegslegitimation<br />
in den Medien<br />
Foto: Birgit Gärtner<br />
Der Irakkrieg, der zugleich der 3.<br />
Golfkrieg war,hat in vielen Ländern<br />
der Welt zu großen Protest- und<br />
Friedensdemonstrationen geführt. Unter<br />
den DemonstrantInnen befanden sich<br />
zurecht viele <strong>Frauen</strong>. Der 2. Golfkrieg von<br />
1991 war ein Krieg ohne Fotos,„ein Videospielkrieg“.<br />
Die Medienkritik vermutete<br />
dam<strong>als</strong> das „Verschwinden der Opfer“ in<br />
zukünftigen Kriegen und befürchtete ein<br />
Ende des Mitleids – denn unser Mitleid<br />
braucht anscheinend Bilder, die es erregen<br />
können. Die danach stattfindenden Kriege<br />
in Bosnien, Ruanda, Kosovo, Afghanistan,<br />
jetzt wiederum im Irak haben diese Vermutungen<br />
auf grausame Art widerlegt. Die<br />
Opfer sind auf die Bildschirme zurückgekehrt,<br />
ihre Not und ihr Elend bevölkern<br />
kurzfristig unsere Wohnzimmer. Opfer<br />
haben immer auch ein „weibliches<br />
Gesicht“, ist doch die Opferrolle in den<br />
Medien seit eh und je weiblich besetzt,wie<br />
bereits die frühen Studien zum <strong>Frauen</strong>bild<br />
in den deutschsprachigen Medien belegen.<br />
Neu ist hingegen, dass Verstöße gegen die<br />
Gleichberechtigung von <strong>Frauen</strong> und eine<br />
Verletzung von <strong>Frauen</strong>rechten in Konflikten<br />
eine zentrale Legitimation für militärisches<br />
Handeln liefern. So forderten selbst<br />
<strong>Frauen</strong>- und Friedensgruppen in Bosnien<br />
ein militärisches Eingreifen, nachdem die<br />
Vergewaltigung von <strong>Frauen</strong> zum zentralen<br />
Medienthema geworden war. Die Wiederherstellung<br />
von <strong>Frauen</strong>rechten lieferte<br />
zuletzt in Afghanistan eine wichtige Rechtfertigung<br />
für den von den USA und den mit<br />
ihnen verbündeten Staaten geführten<br />
Krieg.<br />
Der Terrorangriff am 11. September<br />
2001 in den USA erfuhr schnell eine Deutung<br />
<strong>als</strong> Krieg, der gegen die Amerikaner<br />
erklärt worden sei, und darüber hinaus<br />
gegen die gesamte zivilisierte Welt. Kaum<br />
ein Medium hinterfragte die Folgerichtigkeit,<br />
mit der ein Gegenschlag vorbereitet<br />
wurde. Zumindest einsichtig gemacht wer-<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
7<br />
No War<br />
Eine Fotoserie von Birgit Gärtner<br />
Es gibt viele Möglichkeiten, „NEIN!“<br />
zum Krieg zu sagen. Einige davon sind<br />
in dieser Ausstellung dokumentiert:<br />
Graffities, Transparente und individuelle<br />
Fenstergestaltung. In allen Beispielen<br />
wird die Ablehnung der imperialistischen<br />
Kreuzzüge deutlich zum Ausdruck<br />
gebracht.<br />
Die Aufnahmen entstanden – bis<br />
auf wenige Ausnahmen – in der Zeit<br />
von März bis Mai ‘03 in Hamburg. Ab<br />
dem 1. September ‘03 werden die Fotos<br />
im Kafé X in Hamburg (Schulterblatt)<br />
ausgestellt sein. Die Ausstellung umfasst<br />
insgesamt mehr <strong>als</strong> 50 Abbildungen<br />
und kann für 5 € pro Bild (20 x<br />
30 cm) plus Versandkosten bezogen<br />
werden. Anfragen unter: birgit.gaertner@hamburg.de<br />
’
’<br />
Foto: Birgit Gärtner<br />
den musste aber, wieso dieser sich gegen<br />
Afghanistan richten sollte,um dort ein Regime<br />
abzulösen, das lange von den USA <strong>als</strong><br />
kleineres Übel geduldet worden war. Eine<br />
solche Rahmung geschah in den deutschsprachigen<br />
Medien mittels des Themas<br />
Islam.Diese Argumentation wurde wesentlich<br />
durch die mediale Thematisierung der<br />
Rechte von <strong>Frauen</strong> gestützt.<br />
Dabei fand erst nach dem 11. September<br />
die seit Jahren offenkundige Unterdrückung<br />
von <strong>Frauen</strong> in Afghanistan in großem<br />
Umfang Eingang in die Medienagenda,<br />
wohingegen sie bereits vorher in verschiedenen<br />
<strong>Frauen</strong>zeitschriften thematisiert<br />
worden war. Die Bilder von burkatragenden<br />
<strong>Frauen</strong> wurden nun zum Symbol für<br />
die behauptete Unberechenbarkeit,Fremdheit<br />
und Irrationalität des Islam und für die<br />
Unmenschlichkeit der Taliban-Regierung.<br />
Im Rahmen dieser Kriegslogik war kein<br />
Platz für die vielschichtige Geschichte der<br />
Burka – <strong>als</strong> Mittel zugleich der kulturellen<br />
Eigenständigkeit gegenüber den Kolonial-<br />
mächten und der Unterwerfung der <strong>Frauen</strong>,wie<br />
es die algerisch-französische Schriftstellerin<br />
Assia Djebar eindrucksvoll beschrieben<br />
hat. Das Kleidungsstück wird in<br />
dieser Verkürzung zum Kriegsargument,da<br />
die NATO verspricht,das Land im Interesse<br />
der <strong>Frauen</strong> von den Taliban zu befreien.<br />
Drei Tage vor dem Angriff der USA auf<br />
Afghanistan zeigte das deutsche Magazin<br />
Der Stern das ganzseitige Foto einer Gruppe<br />
von burkatragenden <strong>Frauen</strong>, aus denen<br />
ein unverschleiertes Gesicht herausschaut.<br />
Das Bild verheißt in diesem Kontext die<br />
Befreiung der <strong>Frauen</strong>.Der erste Schleier ist<br />
gelüftet, bald werden andere folgen. Der<br />
Stern erwähnt jedoch nicht, dass das Foto<br />
bereits am 13. November 1996 von der<br />
Nachrichtenagentur AP verbreitet wurde.<br />
Dam<strong>als</strong>,wenige Wochen nach der Machtergreifung<br />
der Taliban, enthielt es keine Verheißung,<br />
sondern legte ein düsteres Zeugnis<br />
davon ab, was den <strong>Frauen</strong> unter den<br />
Taliban bevorstand: Nur eine einzige ist<br />
noch unverschleiert. Die Geschichte des<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
8<br />
Stern-Titels ist symptomatisch: Plötzlich<br />
wurden die <strong>Frauen</strong> und ihre Rechte ins<br />
Spiel gebracht, obwohl seit Jahren die<br />
afghanische <strong>Frauen</strong>organisation RAWA<br />
erfolglos versucht hatte, das Schicksal der<br />
afghanischen <strong>Frauen</strong> auf die politische Bühne<br />
oder auf die Medienagenda zu setzen.<br />
Nach dem Sieg über die Taliban begaben<br />
sich die westlichen Medien auf die<br />
Suche nach den entschleierten <strong>Frauen</strong>. Die<br />
wenigen,immergleichen Bilder von <strong>Frauen</strong><br />
ohne Burka wurden von den Medien<br />
gebraucht, um den Krieg auch im Nachhinein<br />
moralisch zu rechtfertigen. Relativ<br />
selten scheinen sie fündig geworden zu<br />
sein. Eine Kommentatorin bemerkte dazu:<br />
„Man braucht keine Übung,um den Bildern<br />
sofort ihre Künstlichkeit und ihren Inszenierungscharakter<br />
anzusehen.“ Die tatsächliche<br />
Situation von <strong>Frauen</strong> interessierte<br />
Medien und Politik kaum, passte sie doch<br />
weniger gut in das Bild des „gerechten<br />
Krieges“. Für die Menschen in Afghanistan<br />
fügte er sich nahtlos ein in die Geschichte
Die Situation der Frau vor dem Krieg und nach dem Krieg<br />
Finden Sie mindestens 10 gravierende Unterschiede.<br />
Die Lösung finden Sie auf der nächsten Seite.<br />
gewalttätiger Konflikte, die das Leben existenziell<br />
verändert haben.Gelegentlich erreichen<br />
uns auch heute Bilder aus Afghanistan.Auf<br />
den Straßen von Kabul sind einige<br />
wenige <strong>Frauen</strong>gesichter zu sehen, geprägt<br />
wird das Stadtbild nach wie vor von Männern<br />
und unförmigen Gestalten unter der<br />
Burka. Das aber ist genauso wenig ein Thema<br />
wie die Anstrengungen,die afghanische<br />
<strong>Frauen</strong> heute unternehmen, um das universelle<br />
Menschenrecht auf Gleichberechtigung<br />
einzulösen.<br />
Die Gender Studies haben immer wieder<br />
darauf hingewiesen, dass sich<br />
Geschlechterstereotype in Kriegs- und Konfliktzeiten<br />
verfestigen. Eine Erhebung des<br />
deutschen Journalistinnenbundes ergab<br />
entsprechend, dass bereits in der Vorkriegsberichterstattung<br />
zum Irakkrieg <strong>Frauen</strong><br />
<strong>als</strong> Nachrichtenmacherinnen und <strong>als</strong><br />
Subjekte der Nachrichten aus der Presse<br />
verschwanden. Auch das erhärtet unsere<br />
Beobachtung von der zunehmenden Instrumentalisierung<br />
von <strong>Frauen</strong>rechten zur Legi-<br />
timierung von Kriegen.<strong>Frauen</strong>gruppen und<br />
–verbände sollten diskutieren, wie sie darauf<br />
reagieren können – ohne sich für militärische<br />
Lösungen vereinnahmen zu lassen,<br />
aber auch ohne sich gegenüber dem Leid<br />
anderer <strong>Frauen</strong> gleichgültig zu verhalten.<br />
Susanne Kassel, MA, ist wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin am Zentrum für interdisziplinäre<br />
Medienwissenschaft der<br />
Universität Göttingen und promoviert zu<br />
Legitimationsstrategien in modernen<br />
Kriegen.<br />
Prof. Dr. Elisabeth Klaus ist Hochschullehrerin<br />
am Zentrum für interdisziplinäre<br />
Medienwissenschaft der Universität<br />
Göttingen und hat einen Ruf an das<br />
Institut für Kommunikationswissenschaft<br />
der Universität Salzburg erhalten.<br />
Elisabeth Klaus<br />
und Susanne Kassel<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
9<br />
Du hast Lust,<br />
bei der <strong>Wir</strong> <strong>Frauen</strong><br />
mitzumachen,<br />
die Zeitung <strong>als</strong> Forum zu nutzen, Artikel<br />
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AnzeigenkundInnen zu gewinnen,<br />
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Dann möchten wir Dich kennen lernen!<br />
<strong>Wir</strong>, das sind <strong>Frauen</strong> – nicht nur aus<br />
Düsseldorf und Umland – mit unterschiedlichen<br />
Hintergründen, Sicht- und<br />
Arbeitsweisen. Was wir gemeinsam<br />
haben: Viel Freude am Erstellen der<br />
<strong>Wir</strong> <strong>Frauen</strong>!<br />
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Dich einfach per E-Mail direkt an uns:<br />
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<strong>Frauen</strong> und<br />
Deserteure<br />
im Krieg<br />
Im Nation<strong>als</strong>ozialismus hatte man bedingungslos<br />
zu gehorchen. Davon waren<br />
nicht nur Soldaten betroffen. Auch die<br />
<strong>Frauen</strong> der „NS-Volksgemeinschaft“ hatten<br />
sich zu unterwerfen.Viele passten sich dem<br />
System an. Andere verrichteten ihren<br />
„Dienst in der Volksgemeinschaft“ nur<br />
widerwillig, verhielten sich abweichend,<br />
verweigerten die Unterstützung des<br />
Systems und leisteten Widerstand. Auch in<br />
der Wehrmacht gab es ein Heer von Unfreiwilligen,<br />
die zwar Soldat sein, aber nicht<br />
unbedingt kämpfen wollten und sich den<br />
Befehlen verweigerten.Ganz zu schweigen<br />
von den Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern.<br />
1<br />
Wollte ein Soldat der Wehrmacht desertieren,<br />
musste er sich geschickt verstellen,<br />
und eine günstige Gelegenheit wie den Heimaturlaub<br />
abwarten. Häufig war er dabei<br />
auf die Hilfe von Angehörigen und Freunden<br />
angewiesen.<br />
Was viele nicht wissen: Es waren vor<br />
allem <strong>Frauen</strong>,die Deserteuren Unterschlupf<br />
gewährten, ihnen Essen verschafften und<br />
sie unter Lebensgefahr versteckten. 2<br />
Soldaten nutzten den Fronturlaub oder<br />
den Lazarettaufenthalt, um zu desertieren.<br />
Manchmal brachten Eheprobleme, sich<br />
anbahnende Liebesbeziehungen und andere<br />
persönliche Beziehungen die Soldaten<br />
in Gewissenskonflikt und zu dem spontanen<br />
Entschluss, der Truppe fernzubleiben.<br />
Häufig gerieten <strong>Frauen</strong> unbewusst in<br />
die strafbare „Beihilfe zur Fahnenflucht“.<br />
Sie lernten Soldaten in einem Lokal oder<br />
einem Luftschutzbunker kennen und nahmen<br />
sie mit nach Hause – ohne zu wissen,<br />
dass diese keine Urlaubsscheine besaßen.<br />
Oder sie wurden zu einer Freundin gerufen,<br />
deren Ehemann unerwartet zurückgekommen<br />
war. Die <strong>Frauen</strong> mussten dann<br />
sofort handeln und den Deserteur verstekken,<br />
denn Blockwarte wachten sorgsam<br />
über das Treiben ihrer „Volksgenossen“.<br />
Unter dem Druck der Illegalität entwickelten<br />
sich oft enge Beziehungen oder gar Liebesbeziehungen.<br />
3 Manch ein Deserteur ließ<br />
sich bewusst auf eine Liebschaft mit einer<br />
Frau ein,um sich bei ihr verstecken zu können.<br />
Schätzungsweise mehr <strong>als</strong> 100.000<br />
Deserteure versteckten sich bis zum Kriegsende<br />
oder flohen über die Grenze in die<br />
Schweiz. 4<br />
<strong>Frauen</strong>, die sich der staatlichen Aufforderung,<br />
Drückeberger zur Pflicht zu rufen,<br />
widersetzten, riskierten durch drohende<br />
Haben Sie 10 gravierende Unterschiede gefunden? Nein?<br />
<strong>Wir</strong> leider auch nicht.<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
10<br />
Ungehorsame <strong>Frauen</strong><br />
und Soldaten im<br />
Vernichtungskrieg<br />
1939-45<br />
„Sippenhaft“ 5 ihre Freiheit oder ihr Leben<br />
und das ihrer Angehörigen. Wer erwischt<br />
wurde, galt <strong>als</strong> „Beihelferin zur Fahnenflucht“<br />
oder „Zersetzerin der Wehrkraft“<br />
und wurde nach Paragraph 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung<br />
zu Zuchthausstrafen<br />
von bis zu vier Jahren verurteilt.<br />
Hatten <strong>Frauen</strong> nachweislich politisch<br />
motiviert gehandelt, wurde die Todesstrafe<br />
verhängt.<br />
Die Beweggründe der <strong>Frauen</strong> waren,<br />
abgesehen von pazifistischen und politischen<br />
Motiven, häufig persönlicher Natur.<br />
Sie wollten ihre Männer,Söhne und Brüder<br />
schützen, oder wenigstens für ein paar<br />
Stunden, manchmal nur für eine Nacht, die<br />
Strapazen des Kriegsalltags vergessen.Partnerbeziehungen<br />
und Familie galten in vielen<br />
Fällen <strong>als</strong> sicherster Ort des Widerstands<br />
und der Verweigerung gegen den<br />
Vernichtungskrieg. 6 Auch in den Kriegen<br />
der Gegenwart finden Deserteure am<br />
ehesten Unterstützung und Unterschlupf<br />
bei <strong>Frauen</strong> und ihren Familien.<br />
Deserteure und<br />
Unterstützerinnen heute<br />
Ein aktuelles Beispiel: der Zweite Golfkrieg.<br />
Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“<br />
schrieb im März diesen Jahres in einem<br />
Artikel: „Die Iraker desertieren in Massen,<br />
eine komplette irakische Heeresdivision<br />
mit 8000 Mann soll sich nach US-Berichten<br />
bereits ergeben haben.“ 7 Doch was<br />
geschah mit geflohenen Soldaten,die nicht<br />
den Verfolgern und Alliierten in die Hände<br />
fielen, sondern sich bei Angehörigen und<br />
Freunden verstecken konnten?<br />
Wie unter Hitler drohte Deserteuren<br />
und Kriegsunwilligen auch unter dem Diktator<br />
Saddam Hussein eine schwere Strafe.<br />
Um Fahnenflüchtige zu stigmatisieren, ließ
Foto: Birgit Gärtner<br />
Saddam Hussein Tausenden von Deserteuren<br />
ein Ohr abschneiden und zeichnete sie<br />
damit fürs Leben. Der „Spiegel“ erzählt die<br />
Leidensgeschichte des heute 31-jährigen<br />
irakischen Deserteurs Amer Mokassin.<br />
Amers Flucht begann 1990 an seinem 18.<br />
Geburtstag.Er begründet den Entschluss zu<br />
seiner Desertion so: „Ich hatte einfach<br />
Angst. Außerdem konnte ich mit dem Drill<br />
des Militärs und der Anbetung Saddams<br />
nichts anfangen.“ Das erste Versteck fand<br />
Amer bei seiner Tante Zainab in einem<br />
kleinen Dorf bei Basra. Zwar war er hier<br />
zunächst vor dem Zugriff der Armee sicher.<br />
Doch im Dorf hielt der al-Mukthar Ausschau<br />
nach Fremden und Verdächtigen.Wie<br />
im Nation<strong>als</strong>ozialismus hatten jeder Wohnblock<br />
und jede Straße im Irak einen solchen<br />
Blockwart der Baath-Partei, der seine<br />
Nachbarn beobachtete. Amer wurde nach<br />
einer Odyssee durch diverse Verstecke<br />
schließlich gefasst. Es wurde ihm ein Ohr<br />
abgeschnitten.Lange Zeit war er inhaftiert.<br />
Ohne die Hilfe seiner Tante und der Familie<br />
hätte er nicht überlebt. 8<br />
In Kriegen, Bürgerkriegen und Diktaturen<br />
sind besonders <strong>Frauen</strong> die Leidtragenden.<br />
Seit dem 20. Jahrhundert fordern Kriege<br />
mehr und mehr Opfer in der<br />
Zivilbevölkerung. <strong>Frauen</strong> sind für die Versorgung<br />
und den Familienzusammenhalt<br />
unter Kriegsbedingungen verantwortlich,<br />
<strong>als</strong> Schwestern,Töchter, Ehefrauen und vor<br />
allem <strong>als</strong> Mütter müssen sie den Verlust von<br />
in den Krieg gezogenen Angehörigen ver-<br />
kraften. Aus diesem Grund wurden verschiedene<br />
internationale <strong>Frauen</strong>-Friedensinitiativen<br />
gegründet,die sich besonders um<br />
die Deserteure kümmern.Beispielsweise die<br />
1991 von Belgrader <strong>Frauen</strong> gegründete<br />
Organisation „Schwarze <strong>Frauen</strong>“, angeregt<br />
von dem Vorbild der gleichnamigen israelischen<br />
Friedensorganisation.Gemeinsam mit<br />
anderen Gruppen forderten sie im Mai 2000<br />
von der jugoslawischen Regierung eine<br />
Amnestie für Deserteure. In einem Aufruf<br />
in Studenica fordern sie „die augenblickliche<br />
Freilassung aller Gefangenen und die<br />
Einstellung aller Strafverfahren gegen Militärdienstverweigerer<br />
während des letztjährigen<br />
Krieges“.Und weiter:„Veränderungen<br />
in der Gesetzgebung (...), um das Recht auf<br />
Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen<br />
und praktische Bedingungen für die Umsetzung<br />
des Rechts auf Zivildienst statt des<br />
Militärdienstes ohne irgendeine Form der<br />
Diskriminierung zu schaffen.“ 9 Die Vereinigung<br />
ist Anlaufstelle für Deserteure,Kriegsdienstverweigerer<br />
und deren Angehörige.<br />
Die Aktivistinnen helfen Flüchtlingen und<br />
Kriegsopfern und veranstalten Seminare für<br />
Gewaltfreiheit. Sie treten für Emanzipation<br />
und <strong>Frauen</strong>rechte ein. <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
und Friedensbewegung sind für sie miteinander<br />
verbunden, da der Kampf gegen<br />
Nationalismus und Krieg auch ein Kampf<br />
gegen propagierte Geschlechtsrollen ist.<br />
Dem Männlichkeitsideal der Nationalisten<br />
stellen sie konsequenten Pazifismus entgegen:<br />
So proklamiert die 84-jährige ehemali-<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
11<br />
ge Partisanin und Widerstandskämpferin<br />
gegen die nation<strong>als</strong>ozialistische Herrschaft<br />
und heutiges Mitglied der „<strong>Frauen</strong> in<br />
Schwarz“ Neda Bozinovic:„Hört mal,Jungs,<br />
das ist doch überholt, dermaßen veraltet,<br />
heutzutage den bewaffneten Kampf propagieren<br />
zu wollen. [...] Ihr, die Ihr so jung<br />
seid,hängt einer antiquierten Idee an,deren<br />
Prinzip selbst überholt ist.Ich,eine Frau mit<br />
Erfahrung im bewaffneten Kampf, wähle<br />
heute die Gewaltlosigkeit. Gewaltlosigkeit<br />
ist keine Feigheit. Sie ist einfach der heutigen<br />
Zeit am besten angepasst. Daran solltet<br />
Ihr Euch mit aller Entschiedenheit halten“.<br />
Maren Pauline Büttner<br />
1 Bröckling, Ulrich (1997): Disziplin, Soziologie und<br />
Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion,<br />
München. S. 11<br />
2 Siehe dazu: Büttner, Maren: „Der ganze Krieg ist ja<br />
Wahnsinn“. Erinnerungen an <strong>Frauen</strong> im Kontext<br />
von Wehrmachtsdesertionen. In: Büttner, Maren;<br />
Koch, Magnus (2003): Zwischen Gehorsam und<br />
Desertion. Handeln, Erinnern, Deuten im Kontext<br />
des Zweiten Weltkriegs. Köln.<br />
3 Rothmaler, Christiane (1997): „...weil ich Angst<br />
hatte, daß er erschossen würde“. <strong>Frauen</strong> und<br />
Deserteure. In: Ebbinghaus, Angelika; Linne,<br />
Karsten (Hg.) (1997): Kein abgeschlossenes Kapitel:<br />
Hamburg im „Dritten Reich“, Hamburg, S. 461-486.<br />
Vgl. auch: Büttner, Maren; Koch, Magnus (2003):<br />
Zwischen Gehorsam und Desertion. Handeln,<br />
Erinnern, Deuten im Kontext des Zweiten<br />
Weltkriegs. Köln. S. 171<br />
4 Haase, Norbert (1994): Alltag in der Katastrophe.<br />
Anmerkungen zur Geschichte der Überlebensstrategien<br />
deutscher Deserteure im Zweiten Weltkrieg.<br />
In: Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte.<br />
Hrsg. von der Berliner Geschichtswerkstatt.<br />
Münster. S. 280<br />
5 Sippenhaftung bedeutete im Nation<strong>als</strong>ozialismus,<br />
dass jeder Angehörige einer Familie für die<br />
Handlungen eines anderen Familienmitglieds mithaften<br />
musste, wenn dieser vermeintlich straffällig<br />
geworden war. Es konnte auch bedeuten, dass das<br />
gesamte Vermögen der Familie eingezogen wurde,<br />
was schwerwiegende wirtschaftliche Schwierigkeiten<br />
nach sich zog.<br />
6 Hervé, Florence (1997): „<strong>Wir</strong> fühlten uns frei“.<br />
Deutsche und Französische <strong>Frauen</strong> im Widerstand.<br />
Essen. S. 75<br />
7 Der Spiegel vom 22. März 2003: Wohin mit dem<br />
Gefangenen-Heer? http://www.spiegel.de/politik/<br />
ausland/0,1518,241734,00.htm. 20. Juli 2003<br />
8 Der Spiegel vom 21. April 2003: Saddams Opfer.<br />
Die Männer ohne Ohren. Matthias Gebauer,<br />
http://www.spiegel.de/politik/ausland/<br />
0,1518,245529,00.html.20. Juli 2003<br />
9 Netzwerk Friedenskooperative (Network für<br />
German Peace Movement): Appell für eine<br />
Amnestie der Deserteure in der BR Jugoslawien<br />
von den Teilnehmern des Treffens zur Kriegsdienstverweigerung<br />
am 5.-7. Mai 2000 in Studenica.<br />
www.friedenskooperative.de/ff/ff00/4-16.htm.<br />
20. Juli 2003. Siehe auch: www.frauen-in-schwarz.de<br />
oder http://www.dfg-vk.de/connection.
Krieg und Gewalt<br />
sind keine Lösung<br />
Bonner Schülerin<br />
mischt sich ein<br />
Schon vor dem Beginn des Aggressionskrieges<br />
gegen den Irak gab es<br />
weltweit massiven Protest. Auch in<br />
Deutschland gingen Hunderttausende<br />
Demonstrant(inn)en auf die Straßen. Zur<br />
großen Verwunderung Vieler, die alle<br />
Jugendlichen schon <strong>als</strong> eine kollektive<br />
Spaßgesellschaft abgeschrieben hatten,<br />
gehörten gerade Schülerinnen und Schüler<br />
zu den Aktivsten gegen den Krieg.Eine von<br />
ihnen ist die 16-jährige Alex aus Bonn. Sie<br />
besucht den bilingualen Zweig eines Gymnasiums,ist<br />
Klassensprecherin der 10.Klasse<br />
und seit drei Jahren in der Schülermitverantwortung.<br />
Zu ihren Lieblingsfächern<br />
gehören Geschichte und Politik. „Ich war<br />
im September 2002 in Köln auf einer Antikriegs-Demo<br />
von attac. Das hat mich motiviert,<br />
mehr über die Hintergründe dieses<br />
Krieges zu erfahren und aktiv zu werden“,<br />
erzählt sie.In der Schule war der drohende<br />
Krieg kein zentrales Thema.Selbst <strong>als</strong> schon<br />
Soldaten in den Irak einmarschiert waren,<br />
meinte ein Lehrer, noch sei kein Krieg und<br />
es passierten jeden Tag so viele andere Dinge,<br />
über die man eigentlich reden müsste.<br />
Nach dem 11. September 2001 war das<br />
ganz anders: Es gab Schweigeminuten für<br />
die Opfer und das Fernbleiben von Schüler(inn)en<br />
von der Schule wurde entschuldigt.<br />
Über einige Tage hinweg waren die<br />
Anschläge Gesprächsstoff in jedem Unterrichtsfach.Von<br />
einigen Lehrern wurde die<br />
Frage aufgeworfen, ob diese Ereignisse zu<br />
einem dritten Weltkrieg führen könnten.<br />
„Ich fand,die Lehrer haben Panik gemacht.<br />
Sie waren ziemlich einseitig.<strong>Wir</strong> haben versucht,im<br />
Unterricht über mögliche Hintergründe<br />
zu diskutieren. Gegenargumente<br />
wurden aber nicht zugelassen. Für die Lehrer<br />
waren das Terroristen und Ende,“<br />
erinnert sich die Schülerin. Sie jedenfalls<br />
gewann den Eindruck, dass es scheinbar<br />
einen Unterschied macht, ob Amerikaner<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
12<br />
sterben oder Menschen im Irak.Alex hatte<br />
erfahren, dass sich in Bonn schon im<br />
Dezember 2002 verschiedene Gruppen zu<br />
dem Bonner Friedensbündnis zusammengeschlossen<br />
und sich auf einen gemeinsamen<br />
Forderungskatalog geeinigt hatten.<br />
„Die politischen Diskussionen dort waren<br />
für mich persönlich ein großer Gewinn.<br />
Außerdem hat mir sehr gefallen, dass uns<br />
die Leute ernst genommen und uns aktiv<br />
unterstützt haben“, äußert sie.<br />
Das hat sie und ihre Mitschüler/innen<br />
darin bestärkt, in der Schule Diskussionen<br />
über den Irak-Krieg einzufordern. Schließlich<br />
ist am Beispiel der „embedded“ Journalisten<br />
über die Frage von Wahrheit und<br />
Manipulation durch die Medien gesprochen<br />
worden. Unter dem Motto „Musik für<br />
den Frieden“ fand kurz nach Kriegsbeginn<br />
ein Konzert in der Schule statt,an dem sich<br />
alle Altersstufen beteiligten.Weil das Konzert<br />
länger dauerte <strong>als</strong> die Schulpause, gab<br />
es zwar Klassenbucheintragungen,aber keine<br />
weiteren Probleme.Es folgte eine Demo<br />
am 22. März, die von der Bezirksschülervertretung<br />
organisiert wurde. „Auch hier<br />
habe ich mich eingeklinkt, Flugblätter verteilt,<br />
Leute mobilisiert und mich darum<br />
gekümmert, dass wir auch in der Schule<br />
Plakate aufhängen konnten. Der Direktor<br />
hat zugestimmt, wenn auch nur widerwillig,“<br />
sagt Alex und vergisst nicht zu erwähnen,<br />
dass ihre Philisophie-Lehrerin eigentlich<br />
die einzige war,die von den Aktivitäten<br />
der Schüler/innen sehr begeistert war und<br />
sie unterstützt hat.<br />
Trotz der kurzen Vorbereitungszeit und<br />
einer nicht so perfekten Organisierung<br />
kamen über 4.000 Schüler/innen zur<br />
Demo. Es war ein Riesenerfolg. Auch die<br />
Lokalpresse hatte breit berichtet.Bei einem<br />
Treffen nach der Demo wurden fünf<br />
Arbeitsgruppen gebildet: für eine Lichterkette,<br />
ein Konzert, einen Schulstreik, eine<br />
Blockade und für ein die-in (die<br />
Akteur/innen legen sich, gehüllt in weiße<br />
Bettlaken und beschmiert mit roter Farbe,
Foto: Birgit Gärtner<br />
reglos auf öffentliche Plätze,um vor Augen<br />
zu führen, dass Menschen im Krieg getötet<br />
werden). Bis auf den Schulstreik konnten<br />
alle Pläne umgesetzt werden. So wie Alex<br />
an all diesen Aktivitäten beteiligt war, so<br />
war ihre Teilnahme an den Aktionen des<br />
Bonner Friedensbündnisses für sie eine<br />
Selbstverständlichkeit.„Es gibt immer friedliche<br />
Lösungen bei Problemen und Konflikten,<br />
wenn es die Politiker nur wollen.<br />
Ich lehne Krieg und Gewalt ab“, sagt sie<br />
aus voller Überzeugung.<br />
Weil Alex und andere Mitschüler/innen<br />
nicht der Meinung sind, der Krieg sei zu<br />
Ende, haben sie zu einem Aktionstreffen<br />
unter dem Motto „Jugend gegen Krieg -<br />
nach dem Krieg ist vor dem Krieg? - Ohne<br />
uns!“ eingeladen. Die Resonanz war allerdings<br />
enttäuschend. „Die Leute glauben<br />
wirklich,dass im Irak niemand mehr leidet,<br />
stirbt und dass das Land und die Menschen<br />
frei sind. Ich versuche, die Leute vom<br />
Gegenteil zu überzeugen und gebe nicht<br />
auf“,betont Alex und erzählt von ihren Plänen,<br />
Kontakt zu Jugendorganisationen auf-<br />
zunehmen. „Direkt mit irakischen Jugendlichen<br />
in Verbindung zu kommen und vielleicht<br />
in den Irak zu reisen“ wäre für sie ein<br />
Zukunftsprojekt, das sie gerne angehen<br />
würde. Außerdem wünscht sie sich, dass<br />
ihre Mitschüler/innen größeres Interesse<br />
für Politik zeigen und sich intensiver einmischen.Vielleicht<br />
kann sie ihren Teil dazu<br />
beitragen, wenn in nächster Zeit wieder<br />
eine Schüler/innen-Zeitung aus der Taufe<br />
gehoben werden soll,für die sie gerne politische<br />
Beiträge schreiben würde. Sie könnte<br />
sich gut vorstellen, später journalistisch<br />
zu arbeiten.Ansonsten möchte sie Deutschland<br />
gerne für eine längere Zeit verlassen,<br />
um andere Kulturen und Lebensweisen<br />
kennenzulernen. „Ich mag nicht, wie die<br />
Menschen hier miteinander umgehen und<br />
wie wenig man sich füreinander interessiert“,<br />
beklagt sie. Seit einiger Zeit hat sie<br />
Kontakt mit einem Obdachlosen und bei<br />
der Bonner Aids-Hilfe und im Schwulenund<br />
Lesben-Zentrum hat sie ein Betriebspraktikum<br />
gemacht.<br />
Monika Morres<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
13<br />
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ˇ
Free Condoms<br />
– Free Palestine<br />
Kvisa Shchora: Israelische Lesben und Schwule aktiv gegen die Besatzung Palästinas<br />
„Die Dinge<br />
sind so<br />
schrecklich<br />
hier, dass<br />
mensch weinen<br />
möchte“,<br />
schreibt Gila<br />
Svirsky, Aktivistin der Koalition<br />
<strong>Frauen</strong> für einen gerechten<br />
Frieden, in ihrem Web-Tagebuch.<br />
„Oder zuhause sitzen und gar<br />
nichts tun. Oder nach Tel Aviv fahren<br />
und verloren gehen in der Fülle<br />
der Cafés, Galerien, Gourmettempel<br />
und einer politischen<br />
Partei namens Grünes Blatt, die<br />
sich für die Legalisierung von<br />
Marihuana einsetzt. Nun, das ist<br />
ein Weg, mit der <strong>Wir</strong>klichkeit<br />
zurecht zu kommen.“<br />
Gila Svirsky und die anderen <strong>Frauen</strong><br />
der Koalition haben sich für einen<br />
anderen Weg entschieden, sich mit<br />
ihrem Alltag auseinander zu setzen:Sie wollen<br />
die israelische „Realität in das Herz des<br />
reichen, künstlichen Tel Aviv“ bringen. Sie<br />
demonstrieren für Frieden und soziale<br />
Gerechtigkeit in Palästina und Israel. Beispielsweise<br />
organisierten sie am 27.12.02<br />
ein „protest-happening“ gegen die israelische<br />
Okkupationspolitik. Etwa 1.500 Menschen<br />
aus Israel,Europa und den USA beteiligten<br />
sich an diesem Kultur-Event. Dessen<br />
Höhepunkt war die öffentliche Vorführung<br />
des Films „Jenin, Jenin“ auf einem überdimensionalen<br />
Bildschirm im Zentrum von<br />
Tel Aviv. Darin dokumentiert Regisseur<br />
Mohamad El Bakri den Schockzustand der<br />
BewohnerInnen des palästinensischen<br />
Flüchtlingslagers Jenin nach der Besetzung<br />
durch die israelische Armee im Frühjahr<br />
2002. Der Film ist in Israel verboten, da er<br />
angeblich einseitig und manipulativ sei.Die<br />
preisgekrönte Dokumentation „Jenin,<br />
Jenin“ – ausgezeichnet <strong>als</strong> „Bester Film“ auf<br />
dem Carthage International Film Festival<br />
2002 - war der erste Film,der seit 15 Jahren<br />
in Israel verboten wurde. Produzent Iyad<br />
Samudi wurde kurz nach Beendigung der<br />
Dreharbeiten in der Nähe von Jenin von<br />
israelischen Soldaten getötet.<br />
Die Koalition <strong>Frauen</strong> für einen gerechten<br />
Frieden wird bei ihren Aktionen u.a.<br />
von Kvisa Shchora (Schwarze Wäsche)<br />
unterstützt. Das ist eine Gruppe von Lesben,<br />
Schwulen, Bisexuellen und Transgender,die<br />
sich für sexuelle Freiheit und gegen<br />
die Besatzung Palästinas engagieren. Bei<br />
Kvisa Shchora arbeiten arabische und israelische,atheistische,christliche,jüdische<br />
und<br />
muslimische Menschen aus Israel und Palästina<br />
zusammen. Allerdings ist es den PalästinenserInnen<br />
häufig nicht möglich,sich an<br />
den Treffen und Aktionen zu beteiligen.Die<br />
vielen Kontrollpunkte – Checkpoints – der<br />
israelischen Armee in den besetzten palästinensischen<br />
Gebieten machen jeden Gang<br />
aus dem Haus zu einer Reise mit schier<br />
unüberwindbaren Hindernissen.<br />
Kvisa Shchora trat das erste Mal im<br />
Sommer 2000 in Aktion: Auf dem Pride<br />
March in Tel Aviv,einer Lesben- und Schwulen-Parade<br />
analog dem hiesigen Christopher<br />
Street Day (CSD). Die etwa 150 Personen<br />
der Gruppe kleideten sich in Schwarz<br />
mit pinkfarbener Schärpe, daher der Name<br />
„Schwarze Wäsche“. Ihr Anliegen war es,<br />
neben der eigenen Unterdrückung auf den<br />
Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung<br />
aufmerksam zu machen – Zielgruppe<br />
waren auch die Lesben und Schwulen.„<strong>Wir</strong><br />
hielten es für unmöglich, unsere bürger-<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
14<br />
lichen Freiheiten in einer Atmosphäre wie<br />
beim Karneval zu feiern, und gleichzeitig<br />
zu wissen,dass nur ein paar Kilometer entfernt<br />
von uns Menschen im Belagerungszustand<br />
leben und hungern“, erläuterte<br />
Kvisa Shchora-Aktivistin Dana Rubin gegenüber<br />
<strong>Wir</strong> <strong>Frauen</strong>. Ein Mitglied der Gruppe<br />
kommt aus Ramallah in Palästina. Bei den<br />
Militäreinsätzen dort wurde das Haus seiner<br />
Familie komplett zertrümmert, einige<br />
Angehörige überlebten die Invasion nicht.<br />
Er war durch seinen von der israelischen<br />
Armee zerstörten Heimatort gegangen und<br />
hatte Überreste des Militärarsen<strong>als</strong> in Plastiktüten<br />
gesammelt.So konnte Kvisa Shchora<br />
einen ganzen Einkaufswagen voller<br />
Patronenhülsen und Granatenreste auf den<br />
Pride March bringen. Dana Rubin und eine<br />
zweite Person, die den Wagen geschoben<br />
hatten, wurden vorübergehend festgenommen.<br />
Doch der Einsatz hatte sich gelohnt:<br />
Alle israelischen Medien berichteten über<br />
die Aktion.<br />
Sie hatten jedoch nicht nur die Presselandschaft<br />
aufgemischt, sondern auch die<br />
Lesben- und Schwulenszene. Die waren<br />
zum einen sauer, dass die Gruppe mit<br />
einem Einkaufswagen voller Kriegsmüll<br />
mehr Medienpräsenz erreichte, <strong>als</strong> die<br />
ganze Szene während ihrer gesamten<br />
Geschichte.Zum anderen befürchteten viele,<br />
dass die Bewegung nun insgesamt <strong>als</strong><br />
pro-palästinensisch abgestempelt würde.<br />
Grund genug für Kvisa Shchora zu beschließen,<br />
<strong>als</strong> Gruppe zusammen zu arbeiten<br />
und auch künftig auf dem Pride March<br />
mit Slogans wie „Free Condoms – Free<br />
Palestine“ oder „transgender – not transfer“<br />
aufzutauchen.<br />
Neben der schwarzen Kleidung sind<br />
spektakuläre Aktionen das Markenzeichen<br />
der Gruppe:u. a.wurden Personalausweise<br />
in palästinensischen Farben für die Mitglieder<br />
gedruckt.
Im Frühjahr 2002 beteiligten sie sich<br />
an den Aktionen gegen die Kampfhandlungen<br />
der israelischen Armee in den besetzten<br />
Gebieten.Beispielswiese versuchte eine<br />
Gruppe von FriedensaktivistInnen am 3.<br />
April 2002 in eines der Kriegsgebiete zu<br />
gelangen. Sie wurden von israelischen Soldaten<br />
gewaltsam daran gehindert, 21 von<br />
ihnen mussten anschließend ins Krankenhaus<br />
gebracht werden.Kvisa Shchora organisierte<br />
u.a. Lebensmitteltransporte in die<br />
Kriegsgebiete während der Kampfhandlungen<br />
- dabei setzten die Betroffenen ihr<br />
Leben aufs Spiel.<br />
Wie eng der Zusammenhang der Unterdrückung<br />
der Homosexuellen mit der<br />
Unterdrückung der palästinensischen<br />
Bevölkerung tatsächlich ist, bekamen<br />
Israels Lesben und Schwule im Sommer<br />
2002 zu spüren.Erstmalig gab es einen Pride<br />
March auch in Jerusalem. Seit der Intifada<br />
2000 ist die geteilte „Heilige Stadt“ voll<br />
mit gemalten Hass-Parolen wie „Verjagt die<br />
Araber“.Vor dem Pride March tauchte der<br />
Slogan „Verjagt die Homosexuellen“ auf.<br />
Durch die globale Vernetzung wurde<br />
Kvisa Shchora inzwischen international<br />
Foto: Birgit Gärtner<br />
bekannt. In New York gründeten Lesben<br />
und Schwule ebenfalls eine Gruppe, auf<br />
englisch Black Laundry.Sie treten in gleicher<br />
Weise,schwarz mit pinkfarbener Schärpe<br />
gekleidet, mit ähnlichen Slogans auf Transparenten<br />
und Pappschildern auf.Außerdem<br />
werden dort T-Shirts mit der Aufschrift<br />
„Gegen die Besatzung – für soziale Gerechtigkeit“<br />
gedruckt,deren Erlös der israelischpalästinensischen<br />
Schwesterorganisation<br />
zu Gute kommt.<br />
Doch auch innerhalb der israelischen<br />
<strong>Frauen</strong>- und Friedensbewegung genießt<br />
Kvisa Shchora hohes Ansehen. Die Koalition<br />
<strong>Frauen</strong> für einen gerechten Frieden<br />
organisierte beispielsweise im Juni 2002<br />
eine Demonstration in Jerusalem gegen 35<br />
Jahre israelische Besatzung. Dort waren<br />
noch überall Plakate und Graffities mit Kvisa<br />
Shora Parolen vom Pride March zu<br />
sehen.Sehr zur Freude der Friedensfrauen,<br />
wie Gila Svirsky in ihrem Web-Tagebuch<br />
zum Ausdruck brachte:„Gesegnet sei Kvisa<br />
Shchora für ihren immer einfallsreichen<br />
und provokanten Widerstand.“<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
15<br />
Birgit Gärtner<br />
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Am 3. April 2003 berichtete die Washington<br />
Post von der dramatischen<br />
Rettungsaktion der schwer verletzten<br />
amerikanischen Soldatin Jessica Lynch<br />
aus einem irakischen Krankenhaus.Die 19-<br />
Jährige gehörte der 507. Instandssetzungskompanie<br />
der US-Army an und war am 23.<br />
März 2003 bei Nasirija zusammen mit ihren<br />
Kameraden unter irakischen Beschuss geraten,<br />
nachdem ihre Fahrzeuge vom Weg<br />
abgekommen waren.Am 1.April drang eine<br />
US-Spezialeinheit in das irakische Kranken-<br />
Jessica Lynch:<br />
Heldin des<br />
Irak-Kriegs?<br />
haus ein und befreite Jessica aus den gegnerischen<br />
Händen. Keiner ihrer KameradInnen<br />
war zu diesem Zeitpunkt mehr am<br />
Leben. Jessica wurde – bedeckt mit „stars<br />
and stripes“ – in ein amerikanisches Militärkrankenhaus<br />
nach Deutschland ausgeflogen.<br />
Das Schicksal der Wartungseinheit und<br />
dieser noch so jungen Soldatin versetzte<br />
der optimistischen Haltung der Amerikaner<br />
zum „Blitzkrieg“ im Irak einen herben<br />
Dämpfer. Fünf von Jessicas KameradInnen<br />
wurden im irakischen Fernsehen <strong>als</strong> Kriegsgefangene<br />
vorgeführt, vier Soldaten waren<br />
bereits tot und sechs galten <strong>als</strong> im Kampf<br />
verschollen. Das amerikanische Volk war<br />
geschockt und rückte zusammen. In der<br />
Heimatstadt Jessicas, in Palestine im US-<br />
Bundesstaat West Virginia, hielt man den<br />
Atem an und bangte um die verlorene Tochter.<br />
Zu den Berichten von der „amerikanischen<br />
Spazierfahrt durch Saddams Reich“<br />
mischten sich nun Meldungen, die von<br />
schweren Kämpfen und Guerilla-Angriffen<br />
sprachen. Und: Es gerieten auch mehr und<br />
mehr US-Soldatinnen in irakische Gefangenschaft,<br />
bzw. galten <strong>als</strong> „missing in<br />
action“.Zwar sind weibliche GI’s in der US-<br />
Army ein gewohntes Bild (sie stellen etwa<br />
15 % der Streitkräfte),ihr Tod im Kugelhagel<br />
allerdings ist für viele Amerikaner noch<br />
immer ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke.<br />
Gerade wenn die Bilder ihrer Leichen<br />
die Medien füllen, stellen sich die Menschen<br />
die unangenehme Frage, was zum<br />
Teufel ihre Töchter und Söhne eigentlich<br />
im Wüstensand eines Staates machen, den<br />
die meisten von ihnen noch immer mühevoll<br />
auf der Weltkarte suchen müssen.<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
16<br />
Zwei<br />
Jessica Lynch wurde nach ihrer Heimkehr<br />
in den USA <strong>als</strong> Kriegsheldin gefeiert<br />
und mutierte schnell zum Symbol amerikanischer<br />
Tapferkeit im Kampf gegen ein Terrorregime.<br />
Was macht es da aus, dass vier<br />
Wochen später die BBC Teile der Heldengeschichte<br />
<strong>als</strong> schlichtweg f<strong>als</strong>ch bezeichnete<br />
und die Gefahr, in der sich Jessica<br />
befunden haben soll, relativierte? Wer will<br />
schon wissen, dass Jessica in den Händen<br />
irakischer Ärzte medizinisch wie menschlich<br />
vermutlich gut behandelt wurde, und<br />
ihre Verletzungen vielmehr durch einen<br />
Autounfall <strong>als</strong> durch feindliche Kampfhandlungen<br />
verursacht worden waren?<br />
Und wen interessiert es, dass das irakische<br />
Krankenhaus zur Zeit der Erstürmung<br />
durch die Spezialkräfte von keinem einzigen<br />
irakischen Soldaten gesichert oder verteidigt<br />
wurde? Die Bush-Administration<br />
sicher nicht.<br />
Am 23. Juli 2003 berichtete die taz in<br />
einer Kurzmeldung, dass Jessica Lynch<br />
hohe militärische Ehrungen (Medaille für<br />
Kriegsverletzungen wie die Medaille für<br />
Kriegsgefangene) zuteil wurden.<br />
Sonja Vieten
Heldinnen<br />
Rachel Corrie:<br />
Heldin des<br />
Widerstandes?<br />
Am 16. März 2003 überrollte ein<br />
israelischer Bulldozer die erst 23jährige<br />
amerikanische Friedensaktivistin<br />
Rachel Corrie in Rafah im Gaza-<br />
Streifen. Die aus Olympia, Washington,<br />
stammende junge Frau hielt sich zusammen<br />
mit anderen Freiwilligen der Organisation<br />
„International Solidarity Movement“ (ISM)<br />
in Gaza auf, um <strong>als</strong> lebendes Schutzschild<br />
palästinensische Häuser vor den heranrückenden<br />
israelischen Räumfahrzeugen zu<br />
schützen.Zwei Stunden lang gelang es den<br />
Aktivisten,zwei Bulldozer und einen Panzer<br />
der israelischen Armee daran zu hindern,<br />
palästinensische Häuser zu demolieren und<br />
das Hab und Gut der Menschen dem Erdboden<br />
gleich zu machen. Rachel Corrie<br />
trug während ihrer gewaltlosen Protestaktion<br />
eine fluoreszierende Jacke und benutzte<br />
ein Megafon, um den Fahrer eines herannahenden<br />
Bulldozer zu stoppen. Sie und<br />
ihre MitstreiterInnen gaben sich deutlich<br />
<strong>als</strong> unbewaffnete internationale Friedensaktivisten<br />
zu erkennen.<br />
Die Aktion geschah am hellen Tage,die<br />
Sicht war nicht behindert. Rachel stellte<br />
sich dem Bulldozer in den Weg, der –<br />
Erdreich und Schutt vor sich herschiebend<br />
– sich ihr näherte,ohne zu stoppen.Rachel<br />
kletterte auf den Schuttberg, der sich ihr<br />
ungebremst entgegenschob, und muss den<br />
Fahrer – ihren Mörder – einige Augenblikke<br />
direkt angesehen haben können.Da dieser<br />
sein Fahrzeug aber noch immer nicht<br />
anhielt,wurde Rachel schließlich unter den<br />
Erdmassen begraben. Der Bulldozer fuhr<br />
nach Zeugenaussagen insgesamt zweimal<br />
mit gesenkter Schaufel über sie hinweg und<br />
verletzte sie dabei lebensgefährlich.Rachel<br />
Corrie erlag kurze Zeit später ihren schweren<br />
Verletzungen im nahegelegenen Krankenhaus.<br />
Die israelische Seite bezeichnete den<br />
Zwischenfall <strong>als</strong> einen bedauerlichen Unfall.<br />
Israel habe es hier mit einer Gruppe<br />
von Protestierenden zu tun, die unverantwortlich<br />
handelten und alle in Gefahr<br />
brächten.<br />
Rachel Corrie engagierte sich seit langem<br />
gegen die Politik Israels und die ihres<br />
eigenen Landes.Sie war,gemessen an ihrem<br />
Alter, eine bereits herausragend aktive und<br />
konsequente Kämpferin für Frieden und<br />
Gerechtigkeit,die mit zahlreichen Gruppen<br />
vernetzt war. Rachel Corrie fühlte eine<br />
besondere Verantwortung gegenüber<br />
einem Volk, welches unter den Repressa-<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
17<br />
lien eines anderen zu leiden hat, die erst<br />
mit der maßgeblichen Unterstützung des<br />
eigenen Landes (Know-How und finanzielle<br />
Zuwendungen für Waffensysteme etc.)<br />
in diesem Umfang möglich wurden. Eine<br />
hochdekorierte Heldin im Kampf gegen ein<br />
Terrorregime wurde sie in ihrer Heimat<br />
deshalb aber nicht...!<br />
Sonja Vieten
www.McPlanet.com<br />
Die Umwelt in der<br />
Globalisierungsfalle<br />
Vom 27. bis 29. Juni 2003 fand in den Räumen der TU Berlin ein internationaler<br />
Kongress mit dem Internet-konformen Titel www.McPlanet.com<br />
statt. Im Mittelpunkt standen die möglichen Auswirkungen der neoliberalen<br />
Globalisierung auf die Umwelt. Veranstalter waren das globalisierungskritische<br />
Netzwerk Attac, Greenpeace und der Bund für Umwelt und<br />
Naturschutz Deutschland (BUND) in Kooperation mit der Heinrich-Böll-<br />
Stiftung und dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH.<br />
Namhafte ReferentInnen aus Wissenschaft,<br />
Politik und NGO-Szene wie<br />
Vandana Shiva (promovierte Physikerin<br />
und Agrarwissenschaftlerin, eine der<br />
prominentesten feministischen Wissenschaftlerinnen<br />
und Aktivistinnen Indiens<br />
gegen die Machenschaften der Agromultis<br />
und für die Erhaltung einer traditionellen<br />
Artenvielfalt), Helena Norberg-Hodge<br />
(Gründerin und Direktorin der International<br />
Society for Ecology and Culture in<br />
Großbritannien, Trägerin des alternativen<br />
Nobelpreises), Wolfgang Sachs (Soziologe,<br />
Theologe und „Vordenker“ am Wuppertal<br />
Institut,schrieb stark beachtete Bücher und<br />
Beiträge zum Thema Globalisierung und<br />
Gerechtigkeit), Hans-Christian Ströbele<br />
(stellvertretender Fraktionsvorsitzender<br />
von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag),<br />
Walden Bello (Direktor der NGO<br />
„Focus on the Global South“ und Professor<br />
für Soziologie und Ökonomie in Manila,<br />
einer der profiliertesten Globalisierungskritiker),<br />
Barbara Unmüßig (Vorstandsfrau<br />
der Heinrich-Böll-Stiftung) oder Angelika<br />
Zahrnt (Vorstandsvorsitzende des Bund für<br />
Umwelt und Naturschutz Deutschland)<br />
sprachen vor einem überwiegend sehr jungen<br />
Publikum. Mit ca. 1500 Anmeldungen<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
18<br />
stieß das Thema der Veranstaltung auf große<br />
Resonanz, die über 100 Workshops,<br />
Panels und Foren ermöglichten einen regen<br />
Austausch. Im Foyer der Uni drängten sich<br />
die Infostände der verschiedenen NGO’s,<br />
links-alternativer Verlage, Stiftungen und<br />
Initiativen. Für das leibliche Wohl sorgten<br />
regionale Öko-Food-Anbieter.<br />
Gemeinsam mit anderen sozialen<br />
Bewegungen und Organisationen weist die<br />
globalisierungskritische Bewegung schon<br />
seit Jahren mehr oder minder spektakulär<br />
darauf hin, dass sich die Schere zwischen<br />
Arm und Reich in den vergangenen zwei<br />
Jahrzehnten immer weiter geöffnet hat.<br />
Ein Hauptgrund hierfür wird in den Liberalisierungstendenzen<br />
der Weltwirtschaft<br />
gesehen, welche sich in dem Begriff der<br />
„Globalisierung“ popularisiert haben.Maßnahmen<br />
zur Existenzsicherung und das<br />
Wohlstandsniveau unterscheiden sich in<br />
den Ländern des Südens eklatant von<br />
denen im Norden bzw. „Westen“. Soziale<br />
Benachteiligung und Marginalisierung,häufig<br />
gepaart mit missbräuchlichen politischen<br />
Verhältnissen,führen immer öfter zu<br />
gewalttätigen Konflikten, unter denen<br />
wiederum die Ärmsten am meisten zu leiden<br />
haben. Zeitgleich exportiert der Westen<br />
seinen zerstörerischen Lebensstil, internationale<br />
Institutionen wie die Weltbank<br />
und der Internationale Währungsfond (IWF)<br />
finanzieren ökologisch wie sozial höchst
problematische Projekte und multinationale<br />
Konzerne ziehen hemmungslos Profite aus<br />
den (zwangsweise) geöffneten Märkten.<br />
Unter den globalisierungskritischen<br />
Stimmen erheben sich seit einiger Zeit nun<br />
auch solche, denen es explizit um den<br />
Zusammenhang von Globalisierung und<br />
Umweltzerstörung geht. Die Erde, von den<br />
Kongress-Veranstaltern doppeldeutig mit<br />
einem McDonald-Hamburger verglichen<br />
(daher der Kongress-Titel), wird von den<br />
Konzernen dieser Welt in ihrer unerschöpflichen<br />
Gewinnsucht wie Fast-food<br />
verschlungen und verbraucht. Die ausbeuterische<br />
<strong>Wir</strong>tschaftsweise der „global player“,<br />
unterstützt von der Politik der Welthandelsorganisation<br />
(WTO) und dem IWF,<br />
– so die GlobalisierungskritikerInnen – führe<br />
nicht nur zum Sozial-, sondern auch zum<br />
Öko-Kollaps. Eine nicht-nachhaltige Weltwirtschaft,<br />
die einher geht mit einer<br />
vermehrten Privatisierung der Gemeinschaftsgüter<br />
sowie einer zunehmenden<br />
Schwächung der nation<strong>als</strong>taatlichen Handlungsfähigkeit,<br />
gefährdet unsere Naturressourcen,die<br />
Qualität unserer Lebensmittel,<br />
das Weltklima sowie die Artenvielfalt auf<br />
dem (noch) blauen Planeten. Die Umwelt<br />
gerät in die Globalisierungsfalle – der überwiegende<br />
Teil der negativen Effekte wird<br />
von den Ländern des Südens zu bewältigen<br />
sein.Damit trägt Umweltzerstörung wiede-<br />
Gibt es da etwa bei Euch um die Ecke<br />
noch einen <strong>Frauen</strong>-Buchladen,<br />
ein <strong>Frauen</strong>projekt, ein Geburtshaus oder<br />
sonst einen Ort, wo <strong>Frauen</strong> täglich ein<br />
und aus gehen und WIR FRAUEN noch<br />
nicht ausliegt? Ihr hättet WIR FRAUEN<br />
rum auch zu globaler Ungerechtigkeit und<br />
Armut bei.<br />
Vor allem <strong>Frauen</strong> sind einmal mehr die<br />
Opfer dieser Tendenzen. In einer entfesselten<br />
Weltwirtschaft zählen Dollar respektive<br />
Euro und Cents. Immaterielle, reproduktive<br />
Leistungen in Familie und Gesellschaft sind<br />
diesen fiskalischen Größen nach wie vor<br />
untergeordnet und finden kaum Anerkennung.<br />
Es sind gerade die <strong>Frauen</strong>, die oft<br />
unentgeltlich oder nur gering entlohnt ihre<br />
Kräfte und Fähigkeiten zum Wohle aller einbringen<br />
– zu ihrem eigenen Nachteil. Die<br />
Privatisierung öffentlicher Güter,die Zunahme<br />
informeller Arbeit und der Abbau sozialer<br />
Sicherungssysteme treffen <strong>Frauen</strong> besonders<br />
hart.Umweltschäden,verursacht durch<br />
eine durch und durch „vermännlichte“ <strong>Wir</strong>tschaftsweise,<br />
verschlechtern in erster Linie<br />
die Situation der <strong>Frauen</strong>: Ihre Wege zu sauberem<br />
Trinkwasser werden länger,die durch<br />
sie erbrachten vorsorgenden gesundheitlichen<br />
Maßnahmen werden konterkariert,<br />
ihre Beiträge zu Ernährung und Wohlergehen<br />
der Familie werden gefährdet usw.<br />
Andererseits trägt die Globalisierung<br />
aber auch zur weiteren Emanzipation der<br />
<strong>Frauen</strong> bei, indem sie ihnen z.B. verbesserte<br />
Bildungs- und Jobchancen eröffnet.<br />
Damit werden die traditionellen Geschlechterverhältnisse<br />
weiter zugunsten der <strong>Frauen</strong><br />
verschoben.<br />
gerne auf Eurem nächsten Infotisch?<br />
Schickt einfach eine Notiz per Post<br />
oder Mail (wer ihr seid und wo<br />
ihr auslegen wollt) an:<br />
” WIR FRAUEN, Ingeborg Nödinger,<br />
Rochusstr. 43 • 40479 Düsseldorf<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
19<br />
Ziel und Attraktivität des McPlanet-Kongresses<br />
bestanden in der Zusammenführung<br />
von ökonomisch-sozialer und ökologischer<br />
Kritik, frei nach dem Motto<br />
„Attacies meet Ökos“. Die GlobalisierungsaktivistInnen<br />
sollten sich den Umweltthemen,<br />
die Ökobewegten sich den Globalisierungsthemen<br />
öffnen. Die sich hierbei<br />
neu herauskristallisierenden Spannungslinien<br />
sorgten für kontroverse Diskussionen<br />
und neue Perspektiven. Dabei wurde<br />
immer wieder auf die Erfahrungen und Strategien<br />
der Umweltbewegung verwiesen,<br />
die nun auch der globalisierungskritischen<br />
Bewegung für den Kampf um eine gerechtere<br />
Welt zugute kommen sollen. Fazit für<br />
zukünftige gemeinsame Bemühungen:Globalisierungskritik<br />
und Umweltschutz gehören<br />
zusammen! Denn: Auch Menschenrechte<br />
und eine nachhaltige Entwicklung<br />
lassen sich globalisieren!<br />
Zum Weiterlesen:Ende Oktober/Anfang<br />
November 2003 erscheint das Buch zum<br />
Kongress unter dem Titel „Die Umwelt in<br />
der Globalisierungsfalle“ im VSA-Verlag<br />
(ISBN 3-89965-029-8). Es kann für 12,80 €<br />
auch direkt bezogen werden bei: Attac<br />
Deutschland, Geschäftsstelle, Münchener<br />
Straße 48,60329 Frankfurt/Main.Tel.:(0 69)<br />
90 02 81-10,Fax:(0 69) 90 02 81-99,email:<br />
info@attac.de, Internet: www.attac.de<br />
Sonja Vieten<br />
Love makes the world go round…<br />
Unser Ziel für 2003:<br />
muss unters Volk!<br />
Direkt an Euch geht dann<br />
ein handliches Infopaket<br />
– mit <strong>Ausgabe</strong>n aus der<br />
letzten Zeit – zum Auslegen<br />
und Weiterverteilen, kostenfrei<br />
und unverbindlich.
i<br />
Der Preis des Irak-Krieges<br />
• Kosten für den Militäreinsatz: 50 bis<br />
140 Milliarden Dollar<br />
• Kosten für die Stationierung von<br />
250.000 US-amerikanischen Soldaten<br />
pro Tag (inkl. Material): bis ca. 400<br />
Millionen Dollar<br />
• Kosten eines Predator-Flugzeugs:<br />
25 Millionen Dollar<br />
• Kosten eines Tomahawk-Missile:<br />
2 Millionen Dollar<br />
• Besetzung und „Befriedung“ des Landes:<br />
75 bis 500 Millarden $<br />
• Wiederaufbau und Staatenbildung:<br />
30 bis 105 Milliarden $<br />
• Kosten der US-Militärausgaben 2002:<br />
800 Milliarden Dollar<br />
Die Hälfte der Menschheit, darunter<br />
2Milliarden <strong>Frauen</strong>, lebt mit weniger <strong>als</strong><br />
2 Dollar pro Tag.<br />
Quellen: American Academy of Arts &<br />
Science, Clara-Magazine 77/2003, UNO<br />
„Abrüstung – Ja! Sozialabbau – Nein<br />
Danke!“<br />
Unter diesem Motto sammelt das<br />
Gewerkschaftliche Netzwerk gegen den<br />
Krieg Unterschriften. Im Aufruf heißt es<br />
u.a.:<br />
„<strong>Wir</strong> brauchen keine 60 Militärtransporter<br />
für 8,2 Mrd. Euro, denn die Gren-<br />
Militärausgaben (2001)<br />
Quelle: Atlas der Globalisierung<br />
Hinweise zum Schwerpunkt<br />
ze Deutschlands ist nicht der Hindukusch,<br />
sondern die Oder-Neiße. <strong>Wir</strong><br />
brauchen Programme zu Rüstungs- und<br />
zur Standortkonversion. Statt Gelder für<br />
völlig überteuerte Kriegswaffen auszugeben,<br />
müssen Konversionsprogramme<br />
für sozial nützliche und ökologisch sinnvolle<br />
Arbeitsplätze geschaffen werden,<br />
einschließlich der Finanzierung der notwendigen<br />
Weiterbildung der betroffenen<br />
Beschäftigten. Deswegen lehnen<br />
die Gewerkschaften den Kauf der 213<br />
Waffensysteme und Ausrüstungen für<br />
113 Mrd. Euro ab, die im Bundeswehrplan<br />
1997 festgelegt und 2002 bestätigt wurden.“<br />
Gewerkschaftliches Netzwerk gegen<br />
den Krieg, Friedens- und Zukunftswerkstatt<br />
e.V., c/o Frankfurter Gewerkschaftshaus,Wilhelm-Leuschner-Str.<br />
69-<br />
77, 60329 Frankfurt/M.<br />
Büchertipps:<br />
Neissl/Eckstein/Arzt/Anker (Hg.), Männerkrieg<br />
und <strong>Frauen</strong>frieden. Geschlechterdimensionen<br />
in kriegerischen Konflikten,<br />
Promedia Verlag Wien, Okt.<br />
2003, ca. 17,90 €<br />
Das Buch stellt die Frage nach dem<br />
Geschlechterverhältnis und den spezifischen<br />
Rollenbildern vor dem Hinter-<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
20<br />
grund der jüngsten Kriege in Jugoslawien,<br />
Afghanistan und dem Irak.<br />
Helen Caldicott, Atomgefahr USA. Die<br />
nukleare Aufrüstung der Supermacht,<br />
Diederichs Verlag München 2003, 23 €.<br />
Kernthese der australischen Ärztin,<br />
Atomwaffenexpertin und Friedensaktivistin:<br />
Der Terrorismus wird <strong>als</strong> Vorwand<br />
genutzt, um Krieg zu führen. Die Autorin<br />
stützt sich auf reichhaltiges Quellenmaterial<br />
und kommt zu dem Ergebnis: Das<br />
riesige Arsenal konventioneller und atomarer<br />
Waffen ist „die eiserne Hand im<br />
Samthandschuh der Globalisierung der<br />
US-Konzerne“. Das Buch endet mit der<br />
Frage:„Was werden wir dagegen unternehmen<br />
können?“<br />
Von Werlhof/Bennholdt-Thomsen/Faraclas<br />
(Hg.), Subsistenz und Widerstand.<br />
Alternativen zur Globalisierung, Promedia<br />
Verlag Wien 2003, ca. 17.90 €<br />
Ausgehend von ökofeministischen<br />
Ansätzen geht es zunächst um theoretische<br />
Grundlagen einer „Subsistenzperspektive“<br />
<strong>als</strong> Alternative zum globalisierten<br />
kapitalistischen Patriarchat.<br />
Globalisierung wird <strong>als</strong> Form einer Kolonisierung<br />
analysiert. Beispiele von Graswurzel-Bewegungen<br />
werden zum<br />
Schluss genannt, die versuchen, das<br />
Leben basisdemokratisch zu gestalten.<br />
Sontag, Susan: Das Leiden anderer<br />
betrachten (Kriegsfotografie), Hanser-<br />
Verlag München 2003, 15,90 €<br />
Vandana Shiva, Biopiraterie – Kolonialismus<br />
des 21. Jahrhunderts. Eine Einführung,<br />
Unrast-Verlag Münster 2002,<br />
14,- €<br />
Eine philosophisch-ethische Einführung<br />
aus nicht westlichem Blickwinkel<br />
über das geltende Patentrecht. „Durch<br />
Patente und Gentechnik werden neue<br />
Kolonien geschaffen“, so die indische<br />
Wissenschaftstheoretikerin und Ökofeministin.„Diese<br />
neuen Kolonien sind aus<br />
meiner Perspektive die Innenräume der<br />
Körper von <strong>Frauen</strong>, Pflanzen und Tieren.“<br />
fh
1999 wurde in 12 von 36 Bundesstaaten<br />
Nigerias die Sharia eingeführt, ein restriktives<br />
Rechtssystem,das angeblich der Islam<br />
gebietet. Die Folge davon sind Hunderte<br />
von Steinigungen, die laut dem Leiter des<br />
Instituts für Entwicklung, Gerechtigkeit<br />
und Frieden, Prof. Obiora Ike, jährlich vollzogen<br />
werden. Noch häufiger kommt es<br />
laut Ike zu Strafen wie dem Abhacken von<br />
Armen und Beinen sowie Auspeitschungen.<br />
Bekannt wurden diese Menschenrechtsverletzungen<br />
durch die Verurteilung<br />
von Safia Hussaini,die 2001 zum Tod durch<br />
Steinigung verurteilt wurde. Der unverheirateten<br />
Frau wurde Ehebruch vorgeworfen,<br />
<strong>als</strong> „Beweis“ dafür galt die Existenz ihres<br />
neugeborenen Kindes. Internationale Proteste<br />
führten dazu, dass Frau Hussaini im<br />
März 2002 begnadigt wurde.<br />
Drei Tage nach ihrer Begnadigung, am<br />
22. März 2002, wurde Amina Lawal Kurami<br />
ebenfalls wegen Ehebruchs zum Tod durch<br />
Steinigung verurteilt. Ihr „Verbrechen“: 16<br />
Monate nach ihrer Scheidung brachte sie<br />
eine Tochter zur Welt.Deren Erzeuger,Yahaha<br />
Mohammed,gab die Vaterschaft zunächst<br />
zu, bestritt sie dann aber wieder. Er wurde<br />
ebenfalls angeklagt, wie viele andere Männer<br />
vor ihm aber mangels Beweisen frei<br />
gesprochen. Um einen Mann wegen dieses<br />
Deliktes zu verurteilen, müssen vier männliche<br />
Zeugen dem Gericht gegenüber<br />
bestätigen,bei dem physischen Akt des Ehebruchs<br />
anwesend gewesen zu sein.<br />
„The real crime is being a woman – das<br />
eigentliche Verbrechen ist, eine Frau zu<br />
sein“, kommentierte Safia Hussaini diese<br />
sexistische Gesetzgebung. „Denn Männer<br />
können nicht schwanger werden.“ Die<br />
Anwältin Amina Lawal Kuramis wertete dieses<br />
Gesetz <strong>als</strong> „Lizenz für Männer, <strong>Frauen</strong><br />
zu schwängern und dann sitzen zu lassen.“<br />
Das Todesurteil gegen Amina Lawal<br />
Kurami wurde am 19.August ‘02 von einem<br />
Berufungsgericht bestätigt. Das Gericht<br />
zeigte sich jedoch „großzügig“:Der jungen<br />
Mutter wurde gestattet, ihr Kind zu stillen.<br />
Die Hinrichtung wurde deshalb „erst“ für<br />
Januar 2004 festgelegt.<br />
Im Frühjahr wurde eine e-mail mit der<br />
Mitteilung verbreitet,Frau Kurami solle am<br />
3. Juni ‘03 hingerichtet werden. Als Quelle<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
21<br />
andere Länder<br />
Das eigentliche<br />
Verbrechen ist,<br />
eine Frau zu sein<br />
für diese Information wurde Amnesty<br />
International (ai) genannt. Außerdem<br />
wurde behauptet, die Menschenrechtsorganisation<br />
rufe zu Protesten gegen diese<br />
Hinrichtung auf.Amnesty distanzierte sich<br />
jedoch von diesem Aufruf. In verschiedenen<br />
Informationsmaterialien werde zwar<br />
der 3. Juni ‘03 erwähnt, ist auf der ai-Website<br />
zu lesen, allerdings nicht <strong>als</strong> Tag der<br />
Hinrichtung, sondern <strong>als</strong> neuer Termin des<br />
Sharia-Gerichtes. Die Organisation gehe<br />
davon aus,dass Frau Kuramis Recht auf ein<br />
faires Verfahren momentan garantiert sei,so<br />
ai weiter.Sie sei nicht inhaftiert und werde<br />
von exzellenten prominenten Anwältinnen<br />
und Anwälten vertreten. Außerdem werde<br />
sie von <strong>Frauen</strong>- und Menschenrechtsorganisationen<br />
unterstützt, mit denen ai im<br />
engen Kontakt stünde. Unter diesen Umständen<br />
werde ai sich derzeit nicht in das<br />
laufende Verfahren einmischen,keine Informationen<br />
über den aktuellen Stand preisgeben<br />
und keine Kampagne für Amina<br />
Lawal Kurami initiieren.<br />
Infos unter www.amnesty.org<br />
Birgit Gärtner
andere Länder<br />
Angriff auf Solidarität<br />
mit kurdischem<br />
Befreiungskampf<br />
Verfassungsschutz veröffentlichte Tagebücher<br />
Vom 11. Februar bis zum 8. März<br />
2000 stellte der nordrhein-westfälische<br />
Verfassungsschutz (VS) eine<br />
Broschüre mit dem Titel „Von den Bergen<br />
in die Metropole – Motive,Denkstrukturen<br />
und Ziele deutscher Kurdistanbrigadisten“<br />
auf seine Internetseite. Diese enthielt auch<br />
ein vollständiges persönliches Tagebuch<br />
von Anja Flach,um – laut VS – „einen tiefen<br />
Einblick in die politischen Überzeugungen<br />
und Ziele dieser Frau“ zu gewinnen.In<br />
dem Vorwort heißt es, bei der „Kurdistan-<br />
Brigadistin Pelda“ handele es sich um eine<br />
„junge deutsche Frau, die sich schon lange<br />
Zeit in politischen Zusammenhängen<br />
der Autonomen und des Antiimperialistischen<br />
Widerstandes engagiert hatte“.<br />
Nahezu zeitgleich erschien im SPIEGEL ein<br />
Beitrag der Journalisten Klaus Brinkbäumer<br />
und Georg Mascolo mit dem Titel „PKK –<br />
die verlorene Brigade“, in dem die Autoren<br />
aus den Tagebuchaufzeichnungen zitierten.<br />
Sie schrieben u. a.,dass es sich bei der Frau<br />
mit dem Kampfnamen Pelda um „Anja F.,<br />
35, aus Cuxhaven“ handele. Weil sie sich<br />
auch mit dem seinerzeit gegen Anja Flach<br />
eingeleiteten § 129 a-Ermittlungsverfahren<br />
beschäftigten, ist davon auszugehen, dass<br />
ihnen Teile der Akten zur Verfügung<br />
gestanden haben.<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
22<br />
Anja Flach hatte sich 1995 der kurdischen<br />
<strong>Frauen</strong>armee YAJK angeschlossen.<br />
Nach einer politischen Schulung in Syrien<br />
beteiligte sie sich in verschiedenen Gebieten<br />
Kurdistans am Befreiungskampf der<br />
Kurd(inn)en. Während dessen hatte die<br />
Bundesanwaltschaft (BAW) gegen sie und<br />
weitere Internationalist(inn)en, die ebenfalls<br />
in Kurdistan gekämpft hatten, ein<br />
Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs<br />
der Mitgliedschaft in einer terroristischen<br />
Vereinigung (§ 129a Strafgesetzbuch) eingeleitet.<br />
Dies betraf auch Andrea Wolf, die<br />
sich zu diesem Zeitpunkt noch in Kurdistan<br />
befand und am 23. Oktober 1998 in
Nordwestkurdistan (Türkei) gemeinsam<br />
mit sechs Kämpfer(inne)n von türkischen<br />
Soldaten ermordet wurde.<br />
Ende 1997,Anja Flach war gerade nach<br />
Deutschland zurückgekehrt, durchsuchten<br />
Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA)<br />
ihre Wohnung und beschlagnahmten zahlreiche<br />
persönliche Aufzeichnungen. So<br />
auch zwei Tagebücher. Diese hat das BKA<br />
offensichtlich an den VS NRW weitergereicht,<br />
der sie dann im Internet veröffentlichte.Das<br />
§129a-Verfahren wurde übrigens<br />
am 26. März 2001 „mangels hinreichenden<br />
Tatverdachts“ eingestellt.<br />
Weil sich Anja Flach durch das Vorgehen<br />
des VS in ihren Persönlichkeitsrechten<br />
schwerwiegend verletzt gesehen hatte,<br />
erstattete sie Strafanzeige gegen das Land<br />
NRW. Zuvor war das für den VS zuständige<br />
Innenministerium aufgefordert worden,<br />
eine weitere Veröffentlichung der Aufzeichnungen<br />
einzustellen. Auch die Datenschutzbeauftragte<br />
des Landes NRW kam zu<br />
dem Schluss,dass die nicht genehmigte Veröffentlichung<br />
unrechtmäßig sei.Der VS sah<br />
das anders. Mehr noch: Er wolle sich vorbehalten,<br />
die Aufzeichnungen auch weiterhin<br />
zu veröffentlichen. Dagegen ließ Anja<br />
Flach im Februar 2001 Klage erheben.<br />
Am 9. Mai 2003 wiesen die Richter des<br />
Verwaltungsgerichts (VG) Düsseldorf nach<br />
Im Oktober 1998 wurde die deutsche<br />
Internationalistin Andrea Wolf (Ronahî),<br />
die sich 1996 der PKK angeschlossen<br />
hatte, gemeinsam mit Freund(inn)en bei<br />
Kämpfen zwischen der PKK-Guerilla und<br />
der türkischen Armee getötet. Sie wurde<br />
dam<strong>als</strong> lebend gefangen genommen und<br />
später – nach Zeugenaussagen – hingerichtet.In<br />
Deutschland gründete sich die „Internationale<br />
Untersuchungskommission zur<br />
Aufklärung der Todesumstände von Andrea<br />
Wolf und weiteren Kämpfer/innen in Kurdistan“<br />
(IUK). Ihr ging es darum nachzu-<br />
einer etwa zweistündigen Verhandlung die<br />
Klage ab.Der Vertreter der Landesregierung<br />
hatte zuvor u.a. erklärt, dass der VS auf eine<br />
weitere Veröffentlichung verzichte – wegen<br />
„des zeitlichen Ablaufs“.Er bestand aber darauf,<br />
dass die Behörde im Rahmen ihrer Aufgaben<br />
hierzu das Recht gehabt hätte. Man<br />
habe der größeren Glaubwürdigkeit wegen<br />
nicht auf dieses „authentische Material“ verzichten<br />
und letztlich die Einschätzungen der<br />
Strafverfolgungsbehörden untermauern wollen.<br />
Die nämlich hatten behauptet, dass die<br />
aus Kurdistan zurückgekehrten „Brigadisten“<br />
mit ihren Erfahrungen in den kurdischen<br />
Bergen hier den bewaffneten Kampf<br />
hätten aufnehmen wollen.Und weil die Linke<br />
eifrige Leser/innen der VS-Berichte seien,<br />
habe man mit der Veröffentlichung den<br />
Zweck verfolgt, die Glaubwürdigkeit der<br />
Internationalist(inn)en in Frage zu stellen,<br />
um andere abzuschrecken.<br />
Anja Flach und ihr Verteidiger bekräftigten<br />
ihre Auffassung von der Rechtswidrigkeit<br />
des behördlichen Vorgehens und<br />
bestritten die Behauptungen der Landesregierung.<br />
In dem schriftlichen Urteil stützt<br />
das Verwaltungsgericht die Position des<br />
NRW-Innenministeriums,das die Veröffentlichung<br />
des Tagebuches „sowohl für das<br />
Verständnis des Zusammenhangs <strong>als</strong> auch<br />
der Darstellung von Organisationen“ erfor-<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
23<br />
andere Länder<br />
derlich gewesen sei.Nur durch die Nennung<br />
des „Kampfnamens Pelda“ hätte eine Verbindung<br />
zu anderen „Kurdistan-Brigadisten“<br />
überhaupt hergestellt werden können.<br />
Überwogen hätte das „Interesse der Allgemeinheit“<br />
und weniger „die schutzwürdigen<br />
Interessen der Klägerin“.<br />
Somit weicht auch das Urteil des VG<br />
von der Rechtsauffassung der NRW-Landesbeauftragten<br />
für den Datenschutz ab.<br />
Gegen das Urteil hat der Verteidiger Berufung<br />
eingelegt.<br />
Heute lebt Anja Flach mit ihrem Kind<br />
und einer Freundin in Hamburg. Nach wie<br />
vor fühlt sie sich vor allem den Kurdinnen<br />
eng verbunden. Die Zusammenarbeit mit<br />
ihnen steht für sie im Vordergrund. Wenn<br />
ihr 16 Monate alter Sohn „Kindergartenflügge“<br />
ist,wird sie ihre Aktivitäten <strong>als</strong> Vorstandsmitglied<br />
im kurdischen Verein in<br />
Hamburg und ihre Mitarbeit bei der Informationsstelle<br />
Kurdistan (ISKU) wieder aufnehmen<br />
bzw. intensivieren.<br />
Monika Morres<br />
Buch:„Jiyanek din, ein anderes Leben“, hg.von<br />
der Informationsstelle Kurdistan (ISKU, Schanzenstr.<br />
117, 20357 Hamburg) herausgegeben,<br />
und dort für 10 € erhältlich zzgl. Versandkosten.<br />
Die Autorin schreibt über ihren Aufenthalt<br />
in den kurdischen Bergen von Sommer<br />
1995 bis Herbst 1997.<br />
Der Fall Andrea Wolf jetzt vor<br />
Europäischem Gerichtshof<br />
weisen,dass es sich bei der Ermordung von<br />
Andrea Wolf um ein Kriegsverbrechen der<br />
türkischen Armee gehandelt hat. Die türkische<br />
Rechtsanwältin Eren Keskin hatte im<br />
Auftrag von Andrea Wolfs Mutter im Jahre<br />
2000 (erfolglos) Strafanzeige gegen die Verantwortlichen<br />
gestellt. Der Rechtsweg in<br />
der Türkei wurde ausgeschöpft.<br />
Im Januar 2003 reichte dann die IUK<br />
im Auftrag von Andrea Wolfs Mutter Beschwerde<br />
beim Europäischen Gerichtshof<br />
für Menschenrechte ein, weil bis heute die<br />
Todesumstände nicht aufgeklärt wurden.<br />
In einer Pressekonferenz am 24. Juni<br />
2003 in Freiburg informierten Eren Keskin<br />
und Rechtsanwalt Jörg über Ziel und Inhalt<br />
der Klage.Die Rechtsanwältin und der Vertreter<br />
der IUK warfen der Bundesregierung<br />
vor, wenig unternommen zu haben, um<br />
mehr Licht in die Geschichte zu bringen,<br />
obgleich Andrea Wolf deutsche Staatsangehörige<br />
gewesen sei: Sie vermuten, dass<br />
hier ein Kriegsverbrechen des NATO-Partners<br />
Türkei vertuscht werden soll.<br />
Monika Morres
andere Länder<br />
Kurzinfos<br />
Partei der Freien Frau (PJA):<br />
„Entwurf für einen neuen<br />
Gesellschaftsvertrag“<br />
Hg. Mesopotamien Verlag<br />
und Vertriebs GmbH,<br />
Köln 2003, 5,– Euro.<br />
ISBN 3-931885-40-2<br />
1987 begann mit der Gründung der<br />
„Union der Patriotischen <strong>Frauen</strong> Kurdistans“<br />
(YJWK) eine neue Ära in der Geschichte<br />
kurdischer <strong>Frauen</strong>. Ihnen wurde<br />
der Weg aus dem Haus geebnet – keine<br />
Selbstverständlichkeit im traditionell geprägten<br />
Kurdistan. Seither haben sich Tausende<br />
von <strong>Frauen</strong> aktiv am nationalen<br />
Befreiungskampf beteiligt, seit 1995 in der<br />
eigens geschaffenen <strong>Frauen</strong>armee. Mit der<br />
zunehmenden Organisierung erfolgte die<br />
Fortentwicklung der <strong>Frauen</strong>befreiungsideologie<br />
und mit ihr die Gründung einer<br />
<strong>Frauen</strong>partei, der YAJK. Auf die Verschleppung<br />
des PKK-Vorsitzenden Abdullah<br />
Öcalan im Februar 1999 reagierten die<br />
<strong>Frauen</strong> einen Monat später mit der Umbenennung<br />
ihrer Partei in die „Arbeiterinnenpartei<br />
Kurdistans“ (PJKK).Mit dem Ziel,<br />
eine universelle <strong>Frauen</strong>partei zu werden,<br />
startete dann die „Partei der Freien <strong>Frauen</strong>“<br />
(PJA) ins neue Jahrtausend. Aus der<br />
jahrzehntelangen Erfahrung der kurdischen<br />
<strong>Frauen</strong>bewegung haben <strong>Frauen</strong> der Freien<br />
<strong>Frauen</strong>akademie der PJA einen „Entwurf für<br />
einen neuen Gesellschaftsvertrag“ erarbeitet,der<br />
seit März 2003 in deutscher Sprache<br />
vorliegt.<strong>Frauen</strong> aus aller Welt und allen Kulturen<br />
werden eingeladen, über die in diesem<br />
Entwurf entwickelten Perspektiven für<br />
eine „alternative neue Weltordnung“ zu diskutieren,in<br />
der „alle gesellschaftlichen Einrichtungen,<br />
die Einfluss auf die Beziehung<br />
zwischen Individuum und Gesellschaft ausüben,<br />
unter der Führung der Frau neu auszurichten“<br />
sind. Der größte Wunsch der<br />
Kurdinnen wäre nach Abschluss des Meinungsprozesses<br />
ein „Manifest der <strong>Frauen</strong><br />
der Welt“.<br />
Kontakt: Cenî – Kurdisches <strong>Frauen</strong>büro<br />
für Frieden e.V., Düsseldorf, e-mail:<br />
ceni_frauen@gmx.de<br />
Monika Morres<br />
Friedenspreis für Susan<br />
Sontag<br />
Die 1933 in New York geborene Schriftstellerin<br />
und Essayistin erhält in diesem<br />
Jahr den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.<br />
Bekannt geworden ist sie in den<br />
sechziger Jahren <strong>als</strong> Literatur- und Kulturkritikerin<br />
in den Medien der Avantgarde.<br />
Mehrere Romane hat sie geschrieben, darunter<br />
„Der Wohltäter“, „Die Todesstation“,<br />
„Der Liebhaber des Vulkans“ sowie die viel<br />
beachteten Essays „Krankheit <strong>als</strong> Metapher“<br />
und „Aids und seine Metaphern“.<br />
Für die „Time“ ist sie „Amerikas öffentliches<br />
Gewissen“ – im September 2001<br />
prangerte sie die Darstellung der Attentate<br />
in den Medien <strong>als</strong> „Volksverdummung“ an.<br />
Anfang März kritisierte sie in einem Spiegel-<br />
Interview (10/2003) die Vorbereitungen<br />
des Irakkrieges durch die Bush-Regierung<br />
und setzte sich mit dem islamischen Fundamentalismus<br />
auseinander.Jede Form von<br />
Fundamentalismus sei „schlecht für die<br />
<strong>Frauen</strong>“,sagt Susan Sontag.Und weiter:„Ich<br />
sehe auch, dass es eine radikale Strömung<br />
im Islam gibt, die mehr und mehr Menschen<br />
erfasst, die gemischte Gefühle<br />
gegenüber der Moderne hegen. In vielen<br />
Teilen der Erde werden Männer zum Protest<br />
gegen das mobilisiert,was sie <strong>als</strong> Ungerechtigkeit,politische<br />
Unfähigkeit und Korruption<br />
in ihren Ländern erachten – und<br />
daraus entstehen Glaubenssoldaten in<br />
einem religiösen Krieg, der zuallererst an<br />
der Front gegen <strong>Frauen</strong> geführt wird.“<br />
Susan Sontag ist mit vielen Ehrungen<br />
weltweit ausgezeichnet worden.In diesem<br />
Jahr erhielt sie zusammen mit Fatima Mernissi<br />
den spanischen „Prinz-von-Asturien-<br />
Preis“.<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
24<br />
Demnächst erscheint beim Hanser-Verlag<br />
ihr jüngstes Werk über Fotografie im<br />
Krieg mit dem Titel „Das Leiden anderer<br />
betrachten“.<br />
Ingeborg Nödinger<br />
Der 11. 9. und<br />
Pinochets Kinder<br />
An diesem Tag im Jahr 1973 wurde Salvador<br />
Allende ermordet.Der blutige Putsch<br />
des General Pinochets und seiner US-amerikanischen<br />
Freunde beendete abrupt den<br />
chilenischen Versuch einer anderen, einer<br />
demokratischen Gesellschaft.Dieser Tag im<br />
Jahr 1973 und die ihm folgende Diktatur<br />
wirkt bis heute in Politik und Gesellschaft<br />
und ist noch lange nicht das, was gemeinhin<br />
<strong>als</strong> „aufgearbeitet“ oder gar „bewältigt“<br />
gilt.<br />
„Pinochets Children“ heißt der Film<br />
von Paula Rodrigues - Abschlussarbeit an<br />
der Deutschen Film- und Fernsehakademie<br />
Berlin, mit „Besonders wertvoll“ bewertet,<br />
auf vielen Festiv<strong>als</strong> und im deutschen Fernsehen<br />
gezeigt und nun mit dem Babelsberger<br />
Medienpreis 2003 ausgezeichnet.<br />
Der Film zeigt uns junge Menschen,<br />
deren Väter 1973 ermordet wurden.Berichtet<br />
wird von ihren Ängsten <strong>als</strong> Kinder, von<br />
ihren Motiven zum politischen Engagement<br />
und von Enttäuschungen über den<br />
Verlauf des Demokratisierungsprozesses<br />
nach der Diktatur.<br />
Die Jury nannte den Film einen „wichtigen<br />
Beitrag zur politischen Sicht auf die<br />
Gegenwart, da die Einflussnahme mächtiger<br />
Staaten auf die Geschicke schwächerer<br />
Länder mit militärischer und geheimdienstlicher<br />
Gewalt seit 1973 nicht geringer<br />
geworden sei“. (ND, 8. 7. 03)<br />
Ingeborg Nödinger
Geboren am 4.10.1920 in Breslau, Studium<br />
der Geschichte, Germanistik<br />
und Kunstgeschichte in München<br />
und in Jena. Dort zieht Renate Riemeck 1940<br />
mit ihrer Kommilitonin Ingeborg Meinhof,der<br />
Mutter von Ulrike und Wienke,zusammen.<br />
Nach der Promotion 1943 wird sie<br />
Dozentin in Oldenburg und in Weilburg.Die<br />
Familie Meinhof zieht mit. Als 1949 Ingeborg<br />
Meinhof stirbt, übernimmt die nur 14<br />
Jahre ältere Renate Riemeck die Erziehung<br />
der Mädchen.<br />
Seit 1946 ist sie Mitglied der SPD, sie<br />
tritt ein für Völkerverständigung und für ein<br />
geeintes Europa, ist aktiv in der Bewegung<br />
gegen die Wiederaufrüstung.<br />
1955 wird sie jüngste Professorin der<br />
BRD und lehrt in Wuppertal Geschichte und<br />
Politische Bildung. Im gleichen Jahr wird<br />
der Beitritt der BRD in die NATO vollzogen,<br />
1956 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt,<br />
die atomare Aufrüstung der BRD,u.a.durch<br />
Mittelstreckenraketen, geplant.<br />
Jegliche Opposition wird <strong>als</strong> „kommunistisch“<br />
oder auch „moskautreu“ diffamiert,<br />
die Menschen, die eine am Frieden<br />
orientierte Politik verlangen, werden verfolgt.<br />
Renate Riemeck wird wegen ihres<br />
Engagements in der Bewegung „Kampf dem<br />
Atomtod“ häufig vom berüchtigten K 14,<br />
dem polizeilichen Staatsschutz, zu Hause<br />
aufgesucht.<br />
Im Frühjahr 1957 warnen in der „Göttinger<br />
Erklärung“ 18 führende deutsche<br />
Atomphysiker vor der atomaren Aufrüstung.<br />
Es sei eine Illusion, so die Wissenschaftler,<br />
dass die Bevölkerung einen Atomkrieg überleben<br />
werde.<br />
Renate Riemeck<br />
„Auch ich<br />
habe viele Leben<br />
gelebt“<br />
Im Februar 1958 rufen auf Initiative von<br />
Renate Riemeck 44 HochschullehrerInnen<br />
die Gewerkschaften zum gemeinsamen<br />
Handeln gegen die atomaren Gefahren und<br />
für eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa<br />
auf. Wie die Göttinger 18 bewirken<br />
auch sie eine Zunahme der außerparlamentarischen<br />
Aktionen.<br />
Renate Riemeck ist inzwischen Vorsitzende<br />
der Internationale der Kriegsdienstgegner<br />
und im Vorstand der Christlichen<br />
Friedenskonferenz. Auf vielen Kundgebungen<br />
gegen die atomare Aufrüstung ist sie<br />
eine der HauptrednerInnen.<br />
Im Juli 1960 wird ihr wegen ihrer politischen<br />
Aktivitäten die Prüfungsberechtigung<br />
entzogen. Professoren und MitstreiterInnen<br />
aus der Friedensbewegung<br />
solidarisieren sich, Studierende führen in<br />
Düsseldorf vor dem Kultusministerium<br />
einen Sitzstreik durch und fordern u.a. Meinungsfreiheit<br />
auch für Beamte.<br />
Als Renate Riemeck einige Monate später<br />
den Staatsdienst auf eigenen Wunsch verlässt,<br />
steckt sie schon mitten in den Vorbereitungen<br />
zur Gründung einer neuen Partei, einer<br />
Alternative zur SPD. Sie wird Mitgründerin<br />
der Deutschen Friedensunion und stellt mit<br />
Graf von Westphalen und Lorenz Knorr das<br />
erste Direktorium. 1961 werben Plakate mit<br />
Bildern von Riemeck,„Symbolfigur zu Hoch-<br />
Zeiten des Kalten Kriegs“(Spiegel-Nachruf),<br />
und Albert Schweitzer für die Partei der linken<br />
Opposition.<br />
1964 verläßt Renate Riemeck die DFU,<br />
lebt zurückgezogen und arbeitet <strong>als</strong> Autorin<br />
und Publizistin. Einige ihrer Werke erleben<br />
bis heute immer wieder Neuauflagen, so<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
25<br />
Kultur<br />
etwa „Mitteleuropa – Bilanz eines Jahrhunderts“<br />
oder „Verstorben, verfemt, verbrannt“,die<br />
Geschichte der Ketzer,über die<br />
sie einmal sagt: „Man fühlt sich ihnen verbunden,<br />
wenn man selbst erfahren musste,<br />
was es heißt,verstoßen und verfemt zu sein.<br />
Dann wird man auf die Ketzerschicksale der<br />
Vergangenheit aufmerksam und fühlt sich<br />
durch sie im eigenen Denken bestärkt und<br />
auch getröstet.“<br />
Nachdem Ulrike Meinhof in den Untergrund<br />
abgetaucht war,veröffentlichte Renate<br />
Riemeck 1971 in der „Konkret“ in großer Sorge<br />
um die Ziehtochter ihren Aufruf „Gib auf,<br />
Ulrike!“ Auch wenn sie nach Jahren gemeinsamer<br />
politischer Interessen inzwischen politisch<br />
verschiedene Wege gingen, hat sie sich<br />
nie von ihrer Ziehtochter distanziert. 20 Jahre<br />
nach dem bis heute unaufgeklärten Tod<br />
von Ulrike Meinhof wurde sie gefragt,warum<br />
der Staat nach wie vor verfolge,„was nur entfernt<br />
mit den Impulsen der RAF und Ulrike<br />
zu tun hat?“ Ihre Antwort: „Weil das ein<br />
Begriff geworden ist für Widerstand gegen<br />
die Obrigkeit ... Ulrike ist ein Bild geworden<br />
für alles,was man empört gegen bestehende<br />
Verhältnisse sagen kann. Jeder wird sich<br />
infolgedessen immer wieder an sie erinnern.“<br />
(Freitag, 3.5.1996)<br />
Kurz vor ihrem Tod am 12.5.2003 hat<br />
sich Renate Riemeck noch einmal an einer<br />
politischen Aktion beteiligt – an der am 14.<br />
Jahrestag von Tschernobyl, am 26.4.2003,<br />
begonnenen Unterschriftensammlung „Sofort<br />
volle Haftpflichtversicherung für die deutschen<br />
Atomkraftwerke“ – initiiert von den<br />
IPPNW-Ärzten.<br />
Ingeborg Nödinger
Kultur<br />
„Oder,<br />
notfalls,<br />
erfinde“<br />
Monique Wittig: Sprache ist Macht<br />
Ein Nachruf<br />
Plötzlich, unerwartet ist Monique Wittig<br />
am 3.Januar 2003 im Alter von 67<br />
Jahren in Tucson/Arizona an einem<br />
Herzinfarkt gestorben. Die Schriftstellerin<br />
und bedeutendste Vertreterin des Lesbianismus<br />
lebte hier seit Mitte der 70er Jahre<br />
und lehrte seit 1990 an der Universität Genderstudien<br />
und Französische Literatur.<br />
1935 im Elsass geboren ging Monique<br />
Wittig zum Studium nach Paris.1964 wurde<br />
ihr erster Roman „Opoponax“ preisgekrönt,<br />
von den KritikerInnen hochgelobt<br />
und in viele Sprachen übersetzt. Wittig<br />
erzählt darin die Geschichte einer Kindheit<br />
bis zur ersten lesbischen Liebe – Mitte der<br />
60er Jahre ein ungewöhnliches Thema.<br />
Doch auch mit ihrer Sprache betrat sie<br />
Neuland: Sie verwendet konsequent das<br />
geschlechtsneutrale „on“,in der deutschen<br />
Übersetzung „man“ bleibt dieses Experiment<br />
wegen der semantischen Nähe zu<br />
„Mann“ leider im Ansatz stecken.<br />
„Elsa Brauer sagt etwas wie, es hat<br />
eine Zeit gegeben, da du nicht Sklavin<br />
warst, erinnere dich.(...) Du sagst, dass es<br />
keine Worte gibt, diese Zeit zu beschreiben,<br />
du sagst, dass es diese Zeit nicht gibt.<br />
Doch erinnere dich. Mach’ eine Anstrengung,<br />
dich zu erinnern. Oder, notfalls,<br />
erfinde.“ (Die Verschwörung der Balkis,<br />
Les Guerilleres.)<br />
„Les Guerilleres“, ihr zweites Werk,<br />
erschien 1968:Monique Wittig entwirft darin<br />
eine feministische Utopie, ein „Heldinnenlied“,<br />
einen Amazonenstaat. Das unpersönliche<br />
„on“ aus Opoponax wird in<br />
diesem Roman durch „elles“ abgelöst.<br />
Durch diese Schreibstrategie wird die weibliche<br />
Mehrzahl von „sie“ dem männlichen<br />
„sie“ <strong>als</strong> ebenbürtig entgegengestellt.Denn<br />
Sprache verleiht Macht und durch Texte<br />
werden Identitäten erst geschaffen. Erst<br />
wenn <strong>Frauen</strong> aktiv in den Prozess der<br />
Benennung eingreifen,können sie laut Wittig<br />
ihrem Schicksal <strong>als</strong> beschriebene Objekte<br />
des herrschenden Diskurses entrinnen.<br />
Der Mythos „Frau“ wird dekonstruiert und<br />
durch einen neuen Mythos ersetzt,zum Beispiel<br />
der Mythos der friedfertigen Frau<br />
durch den der Kämpferin.<br />
Monique Wittig lebte bereits Mitte der<br />
60er Jahre offen <strong>als</strong> Lesbierin, stellte <strong>als</strong><br />
erste Schriftstellerin das Lesbischsein in<br />
den Mittelpunkt ihres Werkes und war politische<br />
Aktivistin.In der Zeit der Studentenrevolte<br />
in Paris,<strong>als</strong> viele in Bewegung gerieten,<br />
setzte sie ihre eigenen Akzente. 1970<br />
gehörte sie zu den <strong>Frauen</strong>, die am Pariser<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
26<br />
Triumphbogen einen Kranz niederlegten –<br />
für die Frau des unbekannten Soldaten.<br />
Diese spektakuläre Aktion gilt seither <strong>als</strong><br />
Beginn der französischen <strong>Frauen</strong>bewegung.<br />
„I/ch zuerst, so ergibt es sich, i/ch stürze,<br />
mit zerbrochenen Flügeln, du folgst<br />
m/ir dicht hinterher, mit dem Kopf voran,<br />
sie alle, ganz weit unten, betrachten stehend<br />
den Sturz, den unabänderlichsten,<br />
den es je gab, mögen es die Göttinnen<br />
geben, dass i/ch, dass du ebenso, imstande<br />
sein werden, ihre Schreie zu hören, wenn<br />
wir das Meer erreichen.“ (Aus deinen zehntausend<br />
Augen Sappho.Le corps lesbien)<br />
Die Arbeit an den Pronomen wird fortgesetzt.<br />
In „Le Corps lesbien“ (1973), einer<br />
wortgewaltigen Beschreibung des lesbischen<br />
Körpers und der Beziehung zweier<br />
<strong>Frauen</strong>, verwendet sie durchgängig die<br />
Wortspaltung „I/ch“: Lesbischsein/ Ichsein<br />
und auch Geist/ Körper sind künstliche<br />
Gegensätze, die in einer Welt der Zwangsheterosexualität<br />
zur Zerstückelung der lesbischen<br />
Identität führen.Wittig:„I/ch stelle<br />
die ideologische und historische Frage der<br />
weiblichen Subjekte ...Wenn i/ch m/eine<br />
spezifische Situation <strong>als</strong> Subjekt der Sprache<br />
bedenke,ist es m/ir körperlich unmög
lich, ich zu schreiben; i/ch habe keine Lust<br />
dazu.“ In Le corps lesbien kommt kein einziges<br />
männliches „sie“ mehr vor.<br />
„FRAU: Seit Beginn der Gloriosen Zeit<br />
veraltet.<strong>Wir</strong>d von vielen Liebesgefährtinnen<br />
für die infamste Bezeichnung gehalten.Dieses<br />
Wort bezog sich einst auf Wesen,<br />
die in einem absoluten Zustand der Versklavung<br />
geraten waren. Es bedeutete:<br />
„Eine, die wem anders gehört.“ (Wittig,<br />
Zeig; Lesbische Völker, ein Wörterbuch,<br />
<strong>Frauen</strong>offensive 1983, franz.1976)<br />
Erst im Wörterbuch der lesbischen Völker,<br />
das sie zusammen mit ihrer Lebensgefährtin<br />
Sande Zeig schrieb,ist die Arbeit an<br />
den Pronomen beendet.<br />
In der französischen <strong>Frauen</strong>bewegung<br />
der 70er Jahre setzten sich Theoretikerinnen<br />
wie Hélène Cixous und Luce Irigaray<br />
durch, die von einer Differenz der beiden<br />
Geschlechter ausgingen und diese nutzen<br />
wollten.Durch die Betonung des Andersartigen<br />
im Weiblichen blieben sie dem Dua-<br />
Termine<br />
Dschibuti-<strong>Frauen</strong> klagen das<br />
Militär an<br />
Über die Situation und den Widerstand<br />
der <strong>Frauen</strong> berichtet u.a. Aicha<br />
Dabalé, Vorsitzende des <strong>Frauen</strong>komitee<br />
Dschibutis gegen Vergewaltigung (vgl. wir<br />
frauen 1/2003). Eine gemeinsame Veranstaltung<br />
von actionsring frau und welt,<strong>Wir</strong><br />
<strong>Frauen</strong> e.V., <strong>Frauen</strong>StreikGruppe, Friedensforum,<br />
Kurdisches <strong>Frauen</strong>büro für Frieden<br />
und Komma.<br />
Am 22. September, um 19.30 in Düsseldorf,<br />
Haus der Kirche, Bastionstrasse 6<br />
Am 23. September, um 20 Uhr in Bonn,<br />
Internationales <strong>Frauen</strong>zentrum,<br />
Wesselstraße 16<br />
Irmtraut Morgner – eine<br />
szenische Lesung<br />
Christel Hartinger, Literaturwissenschaftlerin<br />
(vgl. wir frauen 2/03), und Gisela<br />
Oechelhaeuser, Kabarettistin<br />
Matinee vom Heinrich-Heine Salon, in<br />
Zusammenarbeit mit Zakk, wir frauen und<br />
komma.<br />
litätsdenken verhaftet, was Monique Wittig<br />
ablehnte. Die radikale Denkerin verließ<br />
Frankreich Mitte der Siebziger Jahre und<br />
ließ sich in den USA nieder.Dort gehört sie<br />
zu den meistgelesenen feministischen Autorinnen<br />
aus dem nicht US-amerikanischen<br />
Raum, während sie in Frankreich kaum<br />
beachtet wurde.<br />
„Ich bin keine Frau“, verkündete sie<br />
1976 auf einer Simone-de-Beauvoir-Konferenz<br />
in New York.Frau,so argumentiert Wittig,sei<br />
nur ein Term,der die gegensätzliche<br />
Beziehung zu einem Mann stabilisiere und<br />
festige.Weibliche Homosexualität sei demnach<br />
eine politische Konsequenz, Lesben<br />
seien vergleichbar mit entlaufenen Sklaven.<br />
Erst durch eine Universalisierung des lesbischen<br />
Standpunkts werde die Kategorie<br />
Frau zerstört und somit die künstliche Trennung<br />
der Geschlechter aufgehoben.<br />
Ihre Theorie wurde später von Judith<br />
Butler wieder aufgegriffen und in „Gender<br />
Trouble“ weitergeführt.Monique Wittig gab<br />
Am 12. Oktober, um 11 Uhr in Düsseldorf,<br />
Zakk, Fichtenstr. 40<br />
Elsass: Lesung mit Musik<br />
Florence Hervé (Autorin) und Sylvie<br />
Reff (Sängerin aus dem Elsass)<br />
Am 16. Oktober, um 11 Uhr in Düsseldorf,<br />
Zakk, Club Fichtenstr. 40<br />
Überschrift kommt noch<br />
Eren Keskin, Istanbul. Eine Menschenrechtsanwältin<br />
berichtet, u. a. zur sexuellen<br />
Folter durch Polizei und Militär<br />
Eine gemeinsame Veranstaltung von<br />
ZAKK, VDJ, wir frauen, komma<br />
Am 17.11., um 20 Uhr in Düsseldorf, Zakk,<br />
Fichtenstr. 40<br />
„LEBENS – MITTEL“ – Politik<br />
mit der Einkaufstasche<br />
Tagung des <strong>Frauen</strong>Rat NW e.V.<br />
am Samstag, 27.09.03, 10-17 Uhr<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
27<br />
damit entscheidende Impulse für die Gender-<br />
und Queerdebatte der Neunziger Jahre.<br />
Ihr letztes Buch „Virgile,non“ von 1985<br />
ist eine Neubeschreibung von Dantes<br />
„Göttlicher Komödie“ und erzählt die Reise<br />
der Protagonistin „Ich,Wittig“ durch Hölle<br />
und Vorhölle: „Und ich frage mich, ob<br />
Manastabal, meine Führerin, irgendeinen<br />
Plan größeren Kalibers zur Eroberung<br />
der Welt besitzt. Aber <strong>als</strong> sie mir von der<br />
Hölle erzählt und von den Lotsinnen, die<br />
dort auf Posten stehen, um Rettungen,<br />
eine nach der anderen, durchzuführen,<br />
kann ich mich nicht enthalten, über der<br />
Langsamkeit dieses Vorgehens die Geduld<br />
zu verlieren und darauf hinzuweisen,<br />
dass wir bei dem Tempo noch in hundert<br />
Jahren hier sein werden.“<br />
Alle deutschen Übersetzungen von<br />
Wittigs Werken sind vergriffen, „Virgile,<br />
non“ und die Essaysammlung „...autres<br />
histoires“ wurden bisher nicht ins Deutsche<br />
übertragen.<br />
„Im goldenen Ring“, Burgplatz 21-22,<br />
Düsseldorf<br />
Um „Politik mit der Einkaufstasche“<br />
ausüben zu können, brauchen <strong>Frauen</strong><br />
Grundkenntnisse über die Qualität von<br />
Lebensmitteln und über die Risiken im<br />
Bereich der schwer überschaubaren Vielfalt<br />
der angebotenen Waren. Die Globalisierung<br />
bewirkt auch im weiten Feld von<br />
Ernährung und Landwirtschaft ein<br />
Umdenken. Die Transportwege machen<br />
die früher selbstverständliche Transparenz<br />
der Herkunft der Waren unmöglich.<br />
Werbung und auch Berichte versprechen<br />
vieles, sagen aber wenig aus über den<br />
wirklichen Gesundheitswert von einzelnen<br />
Nahrungsmitteln.<br />
Politikerinnen stellen sich der Diskussion<br />
um Perspektiven einer Landwirtschaft<br />
zwischen Regionalität und globalem Weltmarkt<br />
– Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz.<br />
Anmeldung bis zum 15.09.2003 an<br />
<strong>Frauen</strong>Rat NW e.V.,<br />
Julius-Doms-Str. 13, 51373 Leverkusen,<br />
frauenrat-nw@t-online.de
Wohin d<br />
Arbeitsmarktreform 2003<br />
Im Vorspann des Hartz-Berichtes vom<br />
August 2002 ist die Verpflichtung festgehalten,„dass<br />
alle weiteren Schritte zur<br />
Konkretisierung ....detailliert überprüft<br />
werden müssen,in wie weit sie dem Postulat<br />
der Gleichstellung Rechnung tragen<br />
bzw. direkt oder indirekt Benachteiligungen<br />
fortschreiben oder neue entstehen lassen“.<br />
Diese Überprüfung hat nicht stattgefunden,sieht<br />
man sich das erste und zweite<br />
Gesetz für moderne Dienstleistungen am<br />
Arbeitsmarkt sowie Verordnungen und<br />
Praxis der Arbeitsverwaltung im Jahr 2003<br />
(folgende) an.Drei Beispiele aus dem Nachteilskatalog<br />
für <strong>Frauen</strong>, der von geringfügiger<br />
Beschäftigung über Ich-AG und Job-<br />
Center bis zu Person<strong>als</strong>erviceagenturen<br />
(PSA) und Weiterbildung reicht,belegen das.<br />
Stichwort: Weiterbildung –<br />
Wiedereinstieg nach<br />
Familienzeit<br />
<strong>Wir</strong> hatten in den vergangenen Jahren<br />
trotz angespannter Lage auf dem Arbeitsmarkt<br />
eine Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik,<br />
die auch darauf ausgerichtet<br />
war, die Chancen für <strong>Frauen</strong> auf dem<br />
Arbeitsmarkt zu verbessern und bestehende<br />
Ungleichheiten zu beseitigen. Berücksichtigt<br />
wurde, dass <strong>Frauen</strong> wegen Kinderbetreuung<br />
zeitweilig aus dem Beruf, der<br />
Erwerbsarbeit aussteigen,Teilzeit arbeiten<br />
oder eine geringfügige Beschäftigung ausüben<br />
und damit häufig nur geringe Leistungen<br />
aus der Arbeitslosenversicherung<br />
erhalten oder sogar ganz aus dem Leistungsbezug<br />
herausfallen.<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
28<br />
Wichtige positive Bestimmungen zur<br />
Verbesserung der Re-Integration in den<br />
Arbeitsmarkt waren u.a.<br />
appledie in den 90er Jahren gültige<br />
Anrechnung von fünf Jahren Erziehungszeit<br />
pro Kind. Diese sogenannte<br />
Rahmenfrist betrug zuletzt wenigstens<br />
noch drei Jahre.<br />
applespezielle zielgruppenspezifische Orientierungs-<br />
und Qualifizierungsmaßnahmen<br />
für Berufsrückkehrerinnen mit<br />
entsprechenden Rahmenbedingungen<br />
wie Teilzeit,sozialpädagogischer Begleitung,<br />
Kinderbetreuung. Diese Maßnahmen<br />
wurden gemeinsam von Arbeitsämtern,<br />
Bildungsträgern, den Regionalund<br />
Kommun<strong>als</strong>tellen Frau und Beruf<br />
und Gleichstellungsstellen aufgebaut,<br />
angeboten und finanziert.<br />
Aktuell gilt: Die Rahmenfrist ist zum<br />
1.1.2003 weggefallen.An die Stelle von zielgruppenspezifischen<br />
Maßnahmen tritt eine<br />
Individualisierung durch Vergabe von Bildungsgutscheinen<br />
an einzelne für Bildungsmaßnahmen,<br />
die völlig unrealistisch<br />
(für <strong>Frauen</strong> und Männer) eine Vermittlungsquote<br />
von 70 % in den 1. Arbeitsmarkt<br />
nachweisen müssen. Mit diesen<br />
Regelungen werden Wiedereinsteigerinnen<br />
und Sozialhilfeempfängerinnen ausgegrenzt,<br />
da sie keine Leistungen beziehen<br />
und in der Regel keine 12monatige Beschäftigungszeit<br />
in den letzten drei Jahren mit<br />
Arbeitslosenversicherung nachweisen können.<br />
Denn aus finanzpolitischen Erwägungen<br />
gilt die interne Weisung, mag sie nach
es Wegs?<br />
den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches<br />
III (SGB) auch rechtswidrig sein: „Bei den<br />
Überlegungen zur Integration sollte die<br />
individuelle Höhe der Arbeitslosengeldzahlung<br />
– Wie teuer ist der Arbeitslose – beachtet<br />
werden.“ Bewährte und erfolgreiche<br />
Lehr- und Lernformen in homogenen, zielgruppenspezifischen<br />
Angeboten werden<br />
gestrichen. Mit Blick auf klassische Wiedereinsteigerinnen<br />
mit einer qualifizierten<br />
Erstausbildung und Berufspraxis werden<br />
Qualifikations- und Arbeitskraftressourcen<br />
verschleudert. Für Sozialhilfeempfängerinnen<br />
geht die Chance gegen Null, eine Integration<br />
in den 1. Arbeitsmarkt zu bekommen.Für<br />
beide Gruppen gilt:Die heute und<br />
in Zukunft erforderliche eigenständige Existenzsicherung<br />
wird verhindert.<br />
Stichwort: Personal-Service-<br />
Agenturen (PSA)<br />
Für diese neue Einrichtung der Arbeitsverwaltung<br />
nach dem Muster von Zeitarbeitsfirmen<br />
sind Personen mit hohen<br />
Vermittlungschancen und hohen Leistungsbezügen<br />
vorgesehen. Hier fallen viele<br />
<strong>Frauen</strong> aufgrund von niedrigeren <strong>Frauen</strong>löhnen,<br />
Teilzeitarbeit, geringen Leistungsansprüchen<br />
und Familienpflichten raus.Die<br />
„Empfehlung“ der Bundesanstalt für Arbeit,<br />
„bezogen auf das jeweilige Tätigkeitsfeld in<br />
angemessenem Umfang <strong>Frauen</strong> zu beschäftigen<br />
und zur Vereinbarkeit von Beruf und<br />
Familie auch Teilzeitarbeit zu erschließen“,<br />
ist töricht und wirkungslos! Denn das vorgesehene<br />
Prämiensystem ist darauf angelegt,<br />
vorrangig Personen (Männer) mit<br />
hohen Leistungsbezügen zu vermitteln.<br />
Stichwort: Job-Center<br />
Information, Beratung und Vermittlung<br />
in Arbeit soll zukünftig in den neuen Job-<br />
Centern stattfinden. Nach den Ende Juni<br />
2003 von der Koalitionsarbeitsgruppe vorgelegten<br />
Eckpunkten für ein „Drittes und<br />
Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen<br />
am Arbeitsmarkt“ sollen alle Erwerbsfähigen<br />
zwischen 15 und 65 Jahren,die pro<br />
Tag mindestens drei Stunden arbeiten können,hier<br />
integriert werden.Aber:Auch hier<br />
gilt in der von Finanznot diktierten Dringlichkeit<br />
eine Rangfolge: Vorrang für Beziehende<br />
hoher Leistungen, keine Förderung<br />
von Personen ohne Leistungsansprüche,<br />
verschärfte Zumutbarkeitsregelungen wie<br />
tägliche Wegezeiten von und zur Arbeit von<br />
zwei Stunden bei sechs Stunden Arbeitszeit<br />
– bei allerorts fehlender Kinderbetreuung<br />
– wie schnell sind da wohl die <strong>Frauen</strong><br />
weg vom Fenster?<br />
Und dann gibt es noch die Benachteiligung<br />
von <strong>Frauen</strong> durch Wegfall der 15-Stunden-Grenze<br />
pro Woche bei Minijobs und<br />
die Einführung einer Gleitzone für Jobs im<br />
Bereich von 400 bis 800 € – Regelungen,<br />
die dem Lohndumping Tür und Tor öffnen.<br />
Was ist zu fordern und zu tun?<br />
Die strukturellen Benachteiligungen<br />
von <strong>Frauen</strong> (mit Kindern) stehen im Widerspruch<br />
zur europäischen Gleichbehandlungsrichtlinie<br />
und zum Amsterdamer Vertrag,<br />
der seit 1999 in Kraft ist. Die<br />
Instrumente der Gesetze und die daraus<br />
abgeleitete Praxis laufen auf mittelbare Diskriminierung<br />
und damit eine Verletzung<br />
der Amsterdamer Verträge hinaus, was auf<br />
EU-Ebene zu überprüfen ist.<br />
Förderleistungen dürfen nicht ausschließlich<br />
in erster Linie vom Leistungsbezug<br />
abhängen. Wiedereinsteigerinnen<br />
und Sozialhilfeempfängerinnen müssen<br />
Chancen zu Fortbildung, Umschulung und<br />
damit zur Integration in den 1.Arbeitsmarkt<br />
haben. Zielgruppenspezifische Bildungsmaßnahmen<br />
mit entsprechenden Rahmenbedingungen<br />
in bewährter,vernetzter Form<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
29<br />
von Arbeitsverwaltung, Kommunal- und<br />
Region<strong>als</strong>tellen, Bildungsträgern und Kommunen<br />
müssen erhalten bleiben. Für PSA<br />
und Job-Center hilft nach den Erfahrungen<br />
der vergangenen Jahre nur eine strenge<br />
Quotierung von mindestens 50 % !<br />
Grundsätzlich gilt: Gesetze,Verordnungen,<br />
Erlasse und die Praxis unter gender-<br />
Gesichtspunkten zu betrachten oder verständlicher:<br />
auf Geschlechtergerechtigkeit<br />
hin zu prüfen,schärft den Blick für spezielle<br />
und allgemeine Probleme nicht nur der<br />
<strong>Frauen</strong>.Und ein zweiter Schritt ist notwendig.<br />
Denn die Mehrheit in diesem Land,<br />
quer durch die Parteien und die Bevölkerung,ist<br />
der Überzeugung,dass es nicht gut<br />
sei,wenn der Mensch allein ist – er brauche<br />
auch Familie. Und das heißt: zeitweilig,<br />
wechselnd oder ausschließlich mit doppelter<br />
Arbeit und Verantwortung im Haus und<br />
außer Haus zu sein. Dann aber sind Gesetze<br />
an diesen Maßstäben und der Lebenssituation<br />
der <strong>Frauen</strong> zu messen,die Kind und<br />
Erwerbstätigkeit wollen und brauchen –<br />
das sind überschlägig 2/3 der <strong>Frauen</strong>. Ihre<br />
Situation ist der Prüfstein für eine Arbeitsmarktpolitik,die<br />
das Prädikat „gut und wirkungsvoll“<br />
verdient. Gegen den Strich der<br />
männlichen Normalarbeitsbiographie und<br />
des politisch und wirtschaftlich abgesungenen<br />
Modells „Hausfrauenehe“ gebürstet,<br />
kann nach einer solchen Prüfung gesagt<br />
werden, was für <strong>Frauen</strong> mit Kind taugt,<br />
taugt auch für Männer mit Kind und für alle<br />
ohne Kinder.<br />
Renate Wurms<br />
apple Lesetipp:<br />
Die Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler<br />
<strong>Frauen</strong>büros in NRW hat unter<br />
www.frauenbueros-nrw.de eine Stellungnahme<br />
zum Hartz-Konzept veröffentlicht.
Kultur<br />
1992 gab es 52 Kriege in unserer schönen<br />
Welt. Die Argumente für jeden einzelnen<br />
Krieg klangen immer sehr überzeugend.<br />
Notgedrungen. Wie könnte man<br />
anders zahllose junge,kraftstrotzende Männer<br />
und <strong>Frauen</strong> dazu animieren, sich und<br />
andere umzubringen?<br />
Die Diktatoren stehen weiter in Saft<br />
und Kraft.Werden nach wie vor satt beliefert,<br />
für den Fall, dass sie mal wieder Krieg<br />
führen wollen...<br />
Ich denke immer noch, dass Bomben<br />
nicht Leben erhalten, sondern vernichten.<br />
Dafür schleudern mir sogar linke Freunde<br />
das Wort Pazifistin <strong>als</strong> Schimpfwort entgegen...<br />
Ich habe immer gehofft, dass der<br />
jeweils Stärkere dem Schwächeren hilft.<br />
Obwohl ich es besser hätte wissen müssen.<br />
Inzwischen bin ich leider sicher, dass,<br />
egal wie sich ein System nennt,egal,was es<br />
eigentlich sein sollte, es immer das gleiche<br />
in grün ist. Wenn sich Systeme bekämpft<br />
haben, wenn Millionen und Abermillionen<br />
Menschen umgebracht worden sind für<br />
sogenannte Ideale, für ihre sogenannten<br />
Vaterländer oder irgendeinen anderen<br />
Scheiß,sitzen die,die es angezettelt haben,<br />
guter Dinge zusammen.Sind sich einig,dass<br />
sie im Grunde gar nichts gegeneinander<br />
haben.Können sie auch nicht.Sie sind sich<br />
zu ähnlich.<br />
Was immer angeführt wird, um einen<br />
Krieg zu legitimieren, ist nur ein Vorwand.<br />
Die Veranstalter werden durch Kriege so<br />
reich, wie die Völker arm.<br />
Da es,wenn überhaupt,nur strafbar ist,<br />
Waffen in Krisenherde zu liefern,gelten sie<br />
nirgends <strong>als</strong> Verbrecher. Aber zum Krisen-<br />
Parnass<br />
Nachschlag<br />
herd wird jeder Ort, wenn erst mal Waffen<br />
da sind.<br />
Wenn diese Massenmörder nicht nur<br />
reich, sondern unermesslich reich geworden<br />
sind, sind sie nicht nur wohlgelitten.<br />
Nein. Die internationale High Society reißt<br />
sich darum, dieses Pack bei Tisch und Tafel<br />
zu haben.<br />
Adnan Kashoggi zum Beispiel. Fetter<br />
kleiner Liebling der Reichen, Schönen und<br />
Klatschmedien. Ganz kurz nur wurde er<br />
gemieden.Weil es so aussah, <strong>als</strong> würde er,<br />
Anzeige<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
30<br />
der Milliardär, finanzielle Einbußen erleiden.<br />
Als er sein Vermögen auf altbewährte<br />
Art wieder beisammen hatte, buhlte man<br />
wieder um seine Anwesenheit und Gunst.<br />
Dieses gesamte Gesindel würde ich gerne<br />
gebündelt in einem Kriegsgebiet aussetzen.<br />
Dort könnten sie dann ihre Waffen<br />
aus der Nähe bewundern.<br />
PEGGY PARNASS<br />
Auszug aus: Peggy Parnass, Mut und<br />
Leidenschaft, Konkret Literatur Verlag,<br />
Hamburg 1993.
Gelesen<br />
Belletristik<br />
Maria-Antónia Oliver:<br />
Mondsüchtig. Roman ariadne<br />
4006, Hamburg 2003; 9,90 €<br />
Barbara Wilson: Ein Nachmittag<br />
mit Gaudí. Ariadne Krimi 1027,<br />
Hamburg 1992; 8,59 €<br />
Ich hatte das wunderbare Vergnügen, ein<br />
paar Tage in Barcelona zu verbringen und was<br />
liegt da näher, <strong>als</strong> sich einen 10 Jahre alten<br />
Barcelona-Krimi sowie den aktuellen Roman<br />
von Maria-Antónia Oliver, eine der wichtigsten<br />
Stimmen der zeitgenössischen katalanischen<br />
Literatur, für die Stunden der Siesta einzustecken?<br />
Barbara Wilson führt uns Ende<br />
der 80er Jahre mit Verwirrspielen um sexuelle<br />
Identitäten und Geschlechterfragen an und<br />
in die surrealen Bauwerke des Architekten<br />
Gaudí. Ich entdeckte Barcelona und freute<br />
mich über die Fragen nach Identitäten und<br />
Mutterschaft, deren Antworten auch heute<br />
noch nicht eindeutig sind.<br />
Maria-Antónia Oliver erzählt in Mondsüchtig<br />
die Geschichte von Tomeu, einem an<br />
Aids erkrankten schwulen Katalanen. Mit<br />
spöttischer Nüchternheit philosophiert<br />
Tomeu über das Leben und den Tod, lustvollen<br />
Sex ohne Verpflichtung, die alles verschlingenden<br />
tiefen Gefühle der ganz großen Liebe,<br />
Befreiung und Verlust in einer sich ändernden<br />
Gesellschaft, die noch damit ringt, die<br />
Fesseln der Franco-Diktatur abzuschütteln –<br />
ein stimmungsvoll poetischer Barcelona-<br />
Roman, der nachdenklich macht. Beide<br />
Bücher eignen sich auch zur Lektüre auf dem<br />
heimischen Balkon, aber sie machen Fernweh…<br />
Gb<br />
Assia Djebar: Frau ohne Begräbnis.<br />
aus dem Franz. v. Beate Thill,<br />
Unionsverlag Zürich 2003. 17,90 €<br />
Algerien während des Unabhängigkeitskrieges<br />
in den 50er Jahren. <strong>Frauen</strong> der Stadt<br />
Cherchell (Caesara) knüpfen ein Netz des<br />
Widerstandes gegen die französische Kolonialherrschaft.<br />
Die Partisanin Zoulikha Oudai,<br />
die die Verbindung zu den Kämpfern in den<br />
Bergen hält, wird gefangen, gefoltert und<br />
verschwindet danach spurlos. Deren Befreiungskrieg<br />
aus weiblicher Perspektive<br />
beschreiben ihre beiden Töchter, die Wahrsa-<br />
gerin Madame Lionne und die Erzählerin<br />
selbst. Mosaiksteinchen (wie aus Caesara)<br />
werden zusammengefügt und ergeben ein<br />
lebendiges Bild der heute noch verehrten Partisanin.<br />
Ein sehr schöner poetischer Roman<br />
der bedeutendsten Schriftstellerin des Mahgreb<br />
und Friedenspreisträgerin des Deutschen<br />
Buchhandels 2000. fh<br />
Forschung<br />
Dr. Ulrike Hänsch: Individuelle<br />
Freiheiten – heterosexuelle<br />
Normen. Leske + Budrich, Band 36,<br />
Opladen 2003; 14,90 €<br />
Nach dem Fotobildband „Lebenswege<br />
lesbischer <strong>Frauen</strong> – Zehn biografische Portraits.“,<br />
siehe WF 02/02, analysiert die Sozialwissenschaftlerin<br />
nun den Freiheitsgewinn,<br />
der für lesbische <strong>Frauen</strong> in der Moderne<br />
durch Enttraditionalisierung und Individualisierung<br />
entstanden ist, und untersucht<br />
zugleich die Normen der Heterosexualität <strong>als</strong><br />
Rahmenbedingung biografischer Entwicklungen.<br />
Sie schließt damit die Lücke in der<br />
<strong>Frauen</strong>- und Geschlechterforschung <strong>als</strong> auch<br />
in der allgemeinen Soziologie, in der lesbische<br />
Erfahrungen im Wesentlichen unsichtbar<br />
bleiben. Ulrike Hänsch fördert durch ihren<br />
Blick auf Lebensverhältnisse und Lebensverläufe<br />
lesbischer <strong>Frauen</strong> das Ringen mit normativen<br />
Vorgaben heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit<br />
zu Tage. Im ersten Teil wird<br />
hierzu der Forschungsstand referiert und im<br />
zweiten Teil wird am Beispiel biografischer<br />
Erzählungen lesbischer <strong>Frauen</strong> die Frage<br />
untersucht, wie überhaupt ein Leben zu entwerfen<br />
ist, das <strong>als</strong> nicht-lebbar gilt. Die Handlungsspielräume<br />
werden – auf oft überraschenden<br />
Wegen – durch die Einzelnen erst<br />
erschlossen. gb<br />
WIDERSPRUCH 44: Feminismus,<br />
Gender, Geschlecht. Widerspruch,<br />
Postfach, 8026 Zürich 2003, 16 €<br />
Solange Armut, Gewalt, Ausbeutung<br />
und Diskriminierung für viele <strong>Frauen</strong> weltweit<br />
Realität sind, braucht es Ursachenanalyse,<br />
politische Emanzipation und alternative<br />
Konzepte. Forderten die Alte und die<br />
Neue <strong>Frauen</strong>bewegung im Westen Rechte<br />
auf Gleichheit und Freiheit, so kämpft die<br />
internationale <strong>Frauen</strong>politik um <strong>Frauen</strong>-<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
31<br />
rechte, um sichere Arbeits- und Lebensbedingungen.<br />
Das von einer weiblichen Redaktion<br />
vorgelegte Widerspruch-Heft beinhaltet<br />
Beiträge zu „Gender Mainstreaming –<br />
Chance oder Feminismus light?“, Analysen<br />
und Berichte aus der Finanzpolitik, der feministischen<br />
Gewerkschaftsarbeit und den<br />
Post-Beijing-Aktivitäten. Die Bewertungen<br />
der Konzepte, Ziele, Strategien und <strong>Wir</strong>kungen<br />
des Gender Mainstreaming im neoliberalen<br />
Umfeld gehen stark auseinander. So<br />
hätte ich mir eindeutigere Antworten<br />
gewünscht auf die Frage, ob die Professionalisierung<br />
und die Verwissenschaftlichung<br />
der „<strong>Frauen</strong>frage“ in Politik und Institutionen<br />
zu deren Entpolitisierung geführt<br />
haben? Gar zur Aufsplitterung der feministischen<br />
Bewegung in abgegrenzte Teilöffentlichkeiten,<br />
die vor allem hinter verschlossenen<br />
Türen tagen und kaum mehr<br />
miteinander ins Gespräch kommen? Nichts<br />
desto trotz, wurde hier eine umfangreiche<br />
Sammlung theoretischer und auch praxisbezogener<br />
Texte vorgelegt, in denen u. a.<br />
aufgezeigt wird, dass die oft hoch gelobte<br />
schweizerische Alters- und Hinterlassenschaftsversicherung<br />
von Anfang an von<br />
<strong>Frauen</strong>diskriminierung geprägt ist. gb<br />
Bettina Bab/Marianne Pitzen (Hg.),<br />
<strong>Frauen</strong>museum Bonn: „Romantik,<br />
Reisen, Realitäten. <strong>Frauen</strong>leben<br />
am Rhein“. Edition Lempertz,<br />
Bonn 2002. 24,– €.<br />
Wer etwas über <strong>Frauen</strong>leben am Rhein<br />
unter französischer Besatzung (an der Wende<br />
vom 18. zum 19. Jh.), am Rhein <strong>als</strong> Arbeitsplatz,<br />
<strong>als</strong> Reiseweg, <strong>als</strong> Freizeitstätte und <strong>als</strong><br />
Todesort erfahren möchte, über Rheinromantik<br />
aus <strong>Frauen</strong>sicht (mit Porträts von<br />
Musikerinnen wie Johanna Kinkel und Clara<br />
Schumann, Dichterinnen wie Karoline von<br />
Günderrode und <strong>Frauen</strong>bewegten wie Kathinka<br />
Zitz) sowie Rheinische <strong>Frauen</strong>sagen,<br />
findet hier eine Fundgrube an gut recherchierten<br />
historischen Beiträgen und an<br />
wunderbaren alten Fotos. Zudem gibt es<br />
Abbildungen von fantasievollen Objekten,<br />
Performances und Installationen von 40 zeitgenössischen<br />
Künstlerinnen rund um den<br />
mächtigen Fluss. Vorliegende Publikation<br />
erschien zur gleichnamigen Ausstellung des<br />
Bonner <strong>Frauen</strong>museums. fh
➜<br />
Gelesen<br />
Philosophinnen Sprüche. Leben<br />
braucht Leidenschaft. BuchVerlag<br />
für die Frau. Leipzig 2003. 5,– €<br />
Dass nicht nur Männer wie Platon, Kant<br />
oder Marx Philosophie betrieben haben, ist<br />
inzwischen durch gute Philosophinnen-Lexika<br />
belegt. In dem hübschen gebundenen und<br />
bibliophilen Büchlein wurden Sprüche ausgewählt<br />
und mit einem Vorwort von Barbara<br />
Brüning versehen:Weisheiten zu Lebenskunst,<br />
zu den Themen Liebe, Freundschaft, Moral,<br />
Recht und Unrecht, Glück und Wahrheit, Natur<br />
und Mensch, Leben und Zeit. Kluge Gedanken<br />
von <strong>Frauen</strong> aus allen Ländern, von Sappho bis<br />
zu Carol Gilligan, über Mary Wollstonecraft,<br />
Alexandra Kollontai, Rosa Luxemburg, Simone<br />
de Beauvoir und Seyla Benhabib. Fh<br />
Rosa B. Schneider: Um Scholle und<br />
Leben. Zur Konstruktion von<br />
„Rasse“ und Geschlecht in der<br />
deutschen kolonialen Afrikaliteratur<br />
um 1900. Brandes und<br />
Apsel 2003, 295 Seiten, 19,90 Euro.<br />
Am Beginn ihrer literaturwissenschaftlichen<br />
Studien zur deutsch-kolonialen Afrikaliteratur<br />
um 1900 stand ein Aufenthalt am<br />
Women’s Institute der Universität Lancaster/GB.<br />
Und der machte der Autorin klar:<br />
Eine Beschäftigung mit der sozialen Kategorie<br />
„Geschlecht“ zieht immer auch eine Auseinandersetzung<br />
mit den Konstruktionen<br />
„Rasse“ (fast immer auf Schwarze bezogen)<br />
und „Klasse“ mit sich, muss sie sogar beinhalten.<br />
Alles andere sei Reduktion, und so<br />
zieht sich durch die Doktorarbeit der Bochumerin<br />
dieser verschlungene, nicht voneinander<br />
lösbare Blickwinkel. Die Schöpfer und<br />
auch Schöpferinnen dieser Kategorien agierten<br />
meist im Verborgenen. Ihre Kolonialliteratur<br />
– der ausgewanderter und über ausgewanderte<br />
<strong>Frauen</strong> – produzierte wieder<br />
neuen Kolonialismus. So trivial ihre, von der<br />
Autorin vorgestellten und untersuchten<br />
Romane und Autobiographien auch seien –<br />
wie die der <strong>Frauen</strong>bundgründungsfrauen<br />
wie Frieda von Bülow, Adda von Liliencron,<br />
Helene von Falkenhausen (Leiterin einer<br />
kolonialen Lehrfarm) oder der Journalistin<br />
Clara Brockmann – so wenig trivial waren<br />
deren Folgen: Die Koloni<strong>als</strong>chriftsteller/innen<br />
produzierten vorurteilsbeladene Bilder<br />
über Land und Leute, die bis heute in vielen<br />
Köpfen fest sitzen und immer noch arbeiten.<br />
Das Buch – auch mit Bildmaterial - verweist<br />
auf zahlreiche koloniale <strong>Frauen</strong>literatur und<br />
eröffnet Blick und Hintergründe schichtenspezifischer<br />
Heiratsmigration weißer <strong>Frauen</strong><br />
nach Afrika. Thea A. Struchtemeier<br />
Brenda Maddox: Rosalind Franklin.<br />
Die Entdeckung der DNA oder der<br />
Kampf einer Frau um wissenschaftliche<br />
Anerkennung. Campus<br />
Verlag 2003. 30 Abb. 24,90 Euro.<br />
In diesem Jahr werden Männer dafür<br />
geehrt, dass sie die Doppelhelix-Struktur der<br />
menschlichen DNA entschlüsselten. Dafür<br />
erhielten sie 1962 den Nobelpreis. Vier Jahre<br />
davor (1958) stirbt die Wissenschaftlerin<br />
Rosalind Franklin an Krebs. Ihre Forschungsarbeiten<br />
haben maßgeblich dazu beigetragen,<br />
die Doppelhelix zu entziffern. Hier wird<br />
ihre Lebensgeschichte erzählt, unterhaltsame<br />
Wissenschaftsgeschichte, die das Bild dieser<br />
Forscherin zurechtrückt und ihr den Platz<br />
wiedergibt, der ihr zusteht. Weibliche Wissenschaftsgeschichte<br />
at her best. Die Verfasserin<br />
erhielt für diese Biografie den Los Angeles<br />
Times Book Prize. MV<br />
Biografien<br />
Gisela Notz: <strong>Frauen</strong> in der Mannschaft.<br />
Sozialdemokratinnen im<br />
Parlamentarischen Rat und im<br />
Deutschen Bundestag 1948/49-<br />
1957. Bonn: Dietz 2003. 34,– Euro.<br />
26 SPD-Politikerinnen aus dem Anfangsjahrzehnt<br />
werden biografisch, mit Foto, mit<br />
ihrem politischen Lebenslauf und den jeweiligen<br />
politischen Arbeitsschwerpunkten vorgestellt.<br />
Dazu gibt es Informationen zur politischen<br />
Situation nach 1945. Das Buch ist das<br />
Ergebnis eines Forschungsprojektes, enthält<br />
viele Fußnoten und ist sehr gut recherchiert.<br />
Es gibt einen umfassenden Überblick über die<br />
politischen Probleme, Themen und Entwicklungen<br />
dieser Zeit aus <strong>Frauen</strong>perspektive.<br />
Sehr empfehlenswert. MV<br />
Lilia Wick: Geschichte der <strong>Frauen</strong><br />
in Kempen. Arbeit, Bildung und<br />
Öffentlichkeit im 19. und 20.<br />
Jahrhundert. Bielefeld 2003.<br />
82 Abb. 19,– Euro.<br />
Dieses Geschichtsbuch ist einzuordnen<br />
in das große Feld der <strong>Frauen</strong>stadtgeschichte.<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
32<br />
Anhand von drei übergeordneten Bereichen –<br />
<strong>Frauen</strong>arbeit, Mädchenbildung und <strong>Frauen</strong> in<br />
Bildung und Erziehung, <strong>Frauen</strong> im öffentlichen<br />
Leben – werden Gegebenheiten, Zustände,<br />
Biografien, Orte und Besonderheiten des<br />
Kreises Kempen (Niederrhein) präsentiert.<br />
Dahinter stand ein Projekt des Kempener<br />
Geschichts- und Museumsvereins e.V., um die<br />
Spuren von <strong>Frauen</strong> in der Stadt wieder sichtbar<br />
zu machen. Das gelingt dem Buch. Es ist<br />
unterhaltsam und bietet neben den Informationen<br />
auch viele Fotos. MV<br />
Hermann Vinke, Cato Bontjes van<br />
Beek, „Ich habe nicht um mein<br />
Leben gebettelt“. Ein Porträt, Arche<br />
Verlag, Zürich-Hamburg 2003, 18,– €<br />
Vor sechzig Jahren wurde Cato Bontjes<br />
van Beek hingerichtet. Sie starb Anfang<br />
August 1943 in Berlin-Plötzensee, gerade 22<br />
Jahre alt, unter dem Fallbeil – wie weitere 15<br />
Nazigegner. Unter den Ermordeten: Hilde<br />
Coppi, Oda Schottmüller, Eva-Maria Buch<br />
und Liane Berkowitz. Cato (1920-1943) hatte<br />
antifaschistische Flugblätter verfasst und<br />
wurde deshalb der „Beihilfe zur Vorbereitung<br />
des Hochverrats und zur Feindbegünstigung“<br />
angeklagt. Cato stammte aus einer<br />
Künstlerfamilie aus Fischerhude, ihre Mutter,<br />
eine Tänzerin, und ihr Vater, ein Keramiker,<br />
waren Hitler-Gegner. Cato war von der<br />
Deportierung einer jüdischen Nachbarfamilie<br />
zutiefst schockiert, bekam über Libertas<br />
Schulze-Boysen 1941 Kontakt zur kommunistischen<br />
Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“,<br />
der sie sich auch anschloss. Sie wurde nach<br />
1945 Opfer des kalten Kriegs, erst 1958 rehabilitiert<br />
– nach jahrelangen Prozessen bekam<br />
die Mutter eine lächerliche Entschädigung.<br />
Dem Verfasser einer Sophie Scholl-Biographie<br />
ist es gelungen, anhand von teilweise<br />
unveröffentlichten Dokumenten und Gesprächen<br />
mit Angehörigen und Zeitzeugen,<br />
den Lebensweg der Widerstandskämpferin<br />
zu rekonstruieren. fh<br />
Florence Hervé, Rainer Höltschl<br />
(Hrsg.): Simone de Beauvoir. Mit<br />
einem biographischen Essay von<br />
Florence Hervé. orange press,<br />
Freiburg<br />
„Medizinerinnen? Wie viele davon sind<br />
Chirurginnen, Krankenhausleiterinnen? <strong>Frauen</strong><br />
in der Regierung? Ein paar Alibifrauen (...)
Aber wie viele <strong>Frauen</strong> gibt es, die Staatsgelder<br />
verwalten? Wie viele <strong>Frauen</strong> haben Einfluss<br />
auf die Redaktionspolitik großer Zeitungen?<br />
Wie viele werden Richterinnen? Wie viele<br />
werden Bankdirektorinnen, die die Finanzausstattung<br />
von Firmen entscheiden? Nur<br />
weil es viel mehr <strong>Frauen</strong> in mittleren Positionen<br />
gibt, heißt das noch lange nicht, dass sie<br />
Einfluss haben.“<br />
So die französische Philosophin Simone<br />
de Beauvoir in einem Interview von 1976. Fast<br />
dreißig Jahre später in einer Zeit der fortschreitenden<br />
Globalisierung, in der sich der<br />
Kapitalismus in seinem Kampf um die Ressourcen<br />
dieser Welt ganz offen von seiner<br />
hässlichsten Seite zeigt, ist es lohnenswert,<br />
sich mit den Texten Beauvoirs erneut auseinander<br />
zu setzen. Ihre Auffassung, dass es eine<br />
vollkommene Gleichheit zwischen Mann und<br />
Frau in einer auf Geld und Macht gründenden<br />
Gesellschaft nicht geben kann und der Klassenkampf<br />
nicht ohne den Geschlechterkampf<br />
möglich ist, hat nichts an Aktualität eingebüßt.<br />
Doch ihr Kampf um die Rechte der Frau<br />
ist nur eine Facette ihres vielseitigen Schaffens.<br />
Der Freiburger Verlag orange press hat<br />
jetzt ein Simone-de-Beauvoir-Lesebuch herausgegeben,<br />
das sie nicht nur <strong>als</strong> radikale<br />
Denkerin und großartige Literatin würdigt,<br />
sondern auch ihr politisches Engagement<br />
herausstreicht. Vereint sind Passagen aus<br />
„Das andere Geschlecht“, „Der Existentialismus<br />
und die Volksweisheit“, Memoiren einer<br />
Tochter aus gutem Hause“,„Der Lauf der Dinge“,„Soll<br />
man Sade verbrennen?“,„Das Alter“<br />
neben anderen erstm<strong>als</strong> ins Deutsche übertragene<br />
Schriften. Besonders berührt ihr<br />
leidenschaftliches Plädoyer gegen den Algerienkrieg<br />
in einer 1962 in Frankreich erschienenen<br />
Broschüre über die algerische Freiheitskämpferin<br />
Djamila Boupacha, die von<br />
französischen Soldaten brutal gefoltert und<br />
vergewaltigt wurde. Ihr Vorwurf an die französische<br />
Öffentlichkeit, durch ihr Schweigen<br />
„stelle sie sich in eine Reihe mit den Schlächtern“,<br />
entspringt ihrer tiefen Überzeugung<br />
vom Menschen <strong>als</strong> freiem Geschöpf, das die<br />
alleinige Verantwortung für sein Handeln<br />
und auch Nicht-Handeln übernimmt.<br />
Mitherausgeberin Florence Hervé hat die<br />
gesammelten Texte durch eine Kurzbiographie<br />
ergänzt. Das hübsch aufgemachte Buch,<br />
mit pinkfarbenen Heftbänden gebunden, ist<br />
nicht nur für Beauvoir-KennerInnen empfehlenswert,<br />
sondern lädt auch eine neue Generation<br />
ein, Simone de Beauvoir für sich zu entdecken.<br />
sbe<br />
reporter ohne grenzen:<br />
Willkommen im<br />
Wunderland. Die Utopie<br />
des Zuhause. Fotos für die<br />
Pressefreiheit 2003<br />
Reporter ohne Grenzen engagiert<br />
sich <strong>als</strong> unabhängige Menschenrechtsorganisation<br />
weltweit<br />
für das Recht auf freie Meinungsäußerung<br />
und freie Berichterstattung.<br />
Für den Bildband haben neun<br />
junge Fotografinnen und Fotografen<br />
ihre Arbeiten unentgeltlich zur<br />
Verfügung gestellt. Sie zeigen das<br />
„Zuhause“ in all seiner Vielschichtigkeit. Ihre Arbeiten regen an, über den gesellschaftlichen<br />
wie individuellen Begriff des Zuhause nachzudenken. Ist das, was man „Zuhause“<br />
nennt, nur eine störanfällige Illusion? Und ist eine Welt, in der sich jede/r zuhause fühlen<br />
kann, eine gesellschaftliche Utopie?<br />
Der Band kann 4 Wochen zum Vorzugspreis von 13,90 € unter Tel. (08 00) 8 00 46 00<br />
oder im Internet unter www.welt.de bestellt werden.<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
33<br />
DAS FEMINISTISCHE<br />
BLATT<br />
Forum für<br />
außerparlamentarische<br />
<strong>Frauen</strong>positionen<br />
unabhängig • feministisch • konsequent<br />
Seit 20 Jahren bietet WIR FRAUEN 4 x jährlich auf<br />
36 Seiten Informationen zur Politik und Gesellschaft<br />
im eigenen Land. <strong>Wir</strong> stellen <strong>Frauen</strong>projekte vor<br />
und lassen sie selbst zu Wort kommen.<br />
Für uns geschrieben haben u. a.: Irmtraut Morgner,<br />
Ute Gerhard, Peggy Parnass, Elisabeth Klaus, Jutta<br />
Heinrich, Margot Schroeder, Christina Schenck ...<br />
1997<br />
❍ Nr. 1: Was ist an der Sexualität sexuell? € 2,50<br />
❍ Nr. 2: Gute Nacht, Europa € 2,50<br />
❍ Nr. 3: Selbständigkeit, Existenzgründung € 2,50<br />
❍ Nr. 4: Time is Money € 2,50<br />
1998<br />
❍ Nr. 1: Islamischer und katholischer<br />
Fundamentalismus € 2,50<br />
❍ Nr. 2: Globalisierung und <strong>Frauen</strong>leben € 2,50<br />
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1999<br />
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2000<br />
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2001<br />
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2002<br />
❍ Nr. 1: Karriere-Barrieren € 3,00<br />
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2003<br />
❍ Nr. 1: <strong>Frauen</strong> grenzenlos € 3,00<br />
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Ja, ich möchte die oben angekreuzten Hefte<br />
bekommen. Den jeweiligen Betrag + 2,– € für<br />
Versandkosten lege ich in Briefmarken bei.<br />
Name: .......................................................................<br />
Straße: ......................................................................<br />
PLZ, Ort ....................................................................<br />
Unterschrift:............................................................<br />
Bitte einsenden an: <strong>Wir</strong> <strong>Frauen</strong> e.V.,<br />
Rochusstraße 43, 40479 Düsseldorf
I M P R E S S U M<br />
Herausgeberin: WIR FRAUEN – Verein zur<br />
Förderung von <strong>Frauen</strong>publizistik e.V.,<br />
Rochusstraße 43, 40479 Düsseldorf,<br />
wirfrauen@reviera.de<br />
Verantw. Redakteurinnen:<br />
Gabriele Bischoff, Florence Hervé und Melanie Stitz<br />
Redaktion: Elke Boumans-Ray, Marion Gaidusch,<br />
Doris Heeger, Sonja Kieten, Ingeborg Nödinger,<br />
Jessica Puhle, Mithu M. Sanyal, Sabine Schwabe,<br />
Birgit Unger, Mechthilde Vahsen.<br />
Redaktionsbeirat: Karin Bergdoll, Ellen Diederich,<br />
Lissi Klaus, Antje Olivier, Dodo van Randenborgh,<br />
Renate Wurms.<br />
Namentlich gezeichnete Artikel stellen nicht<br />
unbedingt die Meinung der Redaktion dar.<br />
Layout: Karl-Heinz Pawlitzki<br />
Satz/Belichtung: RevierA GmbH, Agentur für<br />
Kultur und Kommunikation, Franz-Arens-Str. 15,<br />
45139 Essen<br />
Druck: stattwerk e.G., Essen<br />
auf chlorfrei gebleichtem Papier<br />
Fotos: Titelfoto Birgitta Thaysen, S. 7-15, Birgit Gärtner,<br />
S. 9, Kornelia Wigh, S. 12, aus <strong>Wir</strong> <strong>Frauen</strong>-Kalender, verlag<br />
„die Werkstatt“, S. 14, http://photos.yahoo.com/ kvisaphotos,<br />
S. 18, www.McPlanet.com, S. 20 und 22, aus:<br />
Atlas der Globalisierung, Hrsg.: Le Monde diplomatique,<br />
taz Verlags- und Vertriebs GmbH, Berlin 2003,<br />
S. 24, Archiv und aus: Der Spiegel, 10/2003,<br />
S. 25, aus: Renate Riemeck, Ich bin ein Mensch für<br />
mich, Urachhaus, S. 26, aus: taz, 5./6. April 2003,<br />
S. 30, Archiv, S. 33, aus:Willkommen im Wunderland,<br />
Hrsg.: Reporter ohne Grenzen e.V., Berlin 2003,<br />
S. 35, aus: Vera Figner, Freiheit oder Tod, Berlin 1978,<br />
und bildarchiv preussischer kulturbesitz<br />
Abo-Verwaltung: RevierA GmbH,<br />
Franz-Arens-Straße 15, 45139 Essen,<br />
Tel.: 0201/27 40 8-30, Fax: 27 40 8-15<br />
Jahresbezugspreis:<br />
Postvertriebsstück jährlich 15,– €<br />
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Stückpreis/Einzelheft 3,– €<br />
Konto für Abonnentinnen und für Spenden:<br />
Postbank Essen 4513 69-430 (BLZ 360 100 43)<br />
Kündigungen müssen 6 Wochen vor Jahresende<br />
schriftlich beim Verein eingehen.<br />
Widerrufsbelehrung:<br />
BestellerInnen haben das Recht, ihr Abonnement<br />
innerhalb einer Woche zu widerrufen. Zur<br />
Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige<br />
Absendung (Datum des Poststempels) des<br />
Widerrufs. Die Kenntnisnahme der Widerrufsbelehrung<br />
bestätige ich mit meiner Unterschrift.<br />
Ihr an uns<br />
Hallo liebe „<strong>Wir</strong> <strong>Frauen</strong>“<br />
Zuerst muss ich Euch ein großes Kompliment<br />
machen, Ihr seid einfach gut.<br />
Danke für den Bericht über den Weltfrauenmarsch.<br />
Ich war in Brüssel dabei. Und es war<br />
für mich ein Ereignis, das bis heute nachwirkt.<br />
Seit langem stelle ich mir mit einiger Sorge die<br />
Frage, geht es weiter und was ist inzwischen<br />
geschehen? Ich bin hocherfreut über die Aktivitäten.<br />
Und wenn das Manifest nicht <strong>als</strong> feministisch<br />
deklariert werden kann – damit kann<br />
ich leben.Wenn ich mich in meiner Umgebung<br />
<strong>als</strong> Feministin oute, werde ich auch nicht verstanden.<br />
Kann ich die erstellten Analysen<br />
irgendwo beziehen? Ist es Euch möglich, in Abständen<br />
weiter über den Marsch zu berichten?<br />
2. Punkt: Der Kongress „Gesellschaft in<br />
Balance“ – Matriarchatsforschung – in Luxemburg.<br />
Werdet Ihr darüber berichten?<br />
Liebe Grüße für Euch.<br />
Lotte Densow, Münster<br />
Liebe Melanie,<br />
auf dem UZ-Pressefest in Dortmund<br />
drückte mir eine Freud- und Leidgenossin im<br />
Vorbeigehen Eure wundervolle Zeitung „<strong>Wir</strong><br />
<strong>Frauen</strong>“ in die Hand. Nachdem ich zuhause<br />
Zeit hatte, sie zu lesen, bin ich begeistert.<br />
Nun gehöre ich schon einem anderen<br />
gemeinnützigen Verein an (!Basta Ya!, Netzwerk<br />
Cuba – Informationsbüro e.V.). Darüber hinaus<br />
engagiere ich mich innerhalb der internationalen<br />
Kampagne für die Befreiung von fünf kubanischen<br />
politischen Gefangenen in den USA,<br />
„Free the Five“ und für das Besuchsrecht ihrer<br />
Ehefrauen im Gefängnis.(...) Jetzt frage ich<br />
mich, ob Ihr uns in Eurer Zeitung auch ein<br />
Forum anbieten könntet.<br />
Mit den besten Wünschen für Eure<br />
Zeitung, die ich gern zu verbreiten helfen<br />
werde und solidarischen Grüßen<br />
Josie Michel-Brüning, Jülich<br />
Liebe <strong>Frauen</strong>,<br />
Ich freue mich, dass Ihr immer noch aktiv<br />
seid im Sinne einer links-feministischen APO.<br />
Auch Euer „nicht-aufgemotztes“ klares Zeitungs-Lay-out<br />
sowie der Verzicht auf „Lifestyle-Pipapo“<br />
erfreut mich. Danke!<br />
Ursula Linnhoff, Köln<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
34<br />
<strong>Wir</strong> an Euch<br />
Über Ihre/Eure Briefe, Hinweise auf<br />
Aktionen und Anregungen freuen wir uns<br />
immer. Unsere Zeitung ist <strong>als</strong> Forum für außerparlamentarische<br />
Positionen und <strong>als</strong> <strong>Frauen</strong>projekt,<br />
das mit der Internationalen demokratischen<br />
<strong>Frauen</strong>föderation verbunden ist (vgl.<br />
wir frauen 1/03), darum bemüht, über Aktivitäten<br />
von <strong>Frauen</strong> für <strong>Frauen</strong>recht, Selbstbestimmung<br />
und Frieden in aller Welt zu<br />
berichten, über die sonst kaum eine/r redet<br />
und schreibt. Den Weltfrauenmarsch haben<br />
wir von Anfang an nicht nur verfolgt, sondern<br />
unterstützt. Darüber werden wir auch weiterhin<br />
berichten.<br />
Zum anderen nimmt eine unserer Redaktionsfrauen<br />
am Kongress zur Matriarchatsforschung<br />
teil.<br />
Ein Nachtrag zur letzten Nummer: Bei der<br />
Gestaltung unserer „Korinthen-Seite“ im Heft<br />
2/03 ist der Eingangstext verloren gegangen,<br />
was das Verständnis des Textes an „Liebe Dr.<br />
Laura“ ungleich schwerer macht. Hiermit liefern<br />
wir ihn nach und bitten das Versehen zu<br />
entschuldigen:<br />
Laura Schlessinger ist eine US-Radio-<br />
Moderatorin, die Leuten, die in ihrer Show anrufen,<br />
Ratschläge erteilt. Kürzlich sagte sie, <strong>als</strong><br />
achtsame Christin, dass Homosexualität unter<br />
keinen Umständen befürwortet werden kann,<br />
da diese nach Leviticus 18:22 ein Greuel wäre.<br />
Der in <strong>Wir</strong> <strong>Frauen</strong> 2/03 abgedruckte Brief ist ein<br />
offener Brief eines US-Bürgers an Dr. Laura, der<br />
im Internet verbreitet wurde.<br />
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Russische Revolutionärin<br />
und Anarchistin<br />
Im Reich des russischen Zaren<br />
schlossen sich in den 1860er und<br />
1870er Jahren viele junge <strong>Frauen</strong> aus<br />
Adelsfamilien revolutionären Zirkeln<br />
und Untergrundgruppen an,um gegen<br />
das zaristische Herrschaftssystem<br />
zu kämpfen. So auch Sofia<br />
Lwowna Perowskaja,deren Rebellion<br />
gegen die feudalistischen Gesellschaftsstrukturen,<br />
gegen Unfreiheit<br />
und Unterdrückung bereits im<br />
Elternhaus begann. Sie schloss sich<br />
den Anarchisten und der im Untergrund<br />
arbeitenden Gruppe „Narodnaja<br />
Wolja“ (Volkswillen) an und arbeitete<br />
auf dem Land <strong>als</strong> Arztgehilfin<br />
und Propagandistin.<br />
Nachdem jedoch<br />
der erwartete<br />
Erfolg in der<br />
Agitation und<br />
Aktivierung der<br />
Bauern ausblieb,<br />
radikalisierten<br />
sich die „Narodniki“<br />
und führten,<br />
der Losung „Propaganda<br />
durch<br />
die Tat“ entsprechend,<br />
neben anderen<br />
Aktionen<br />
im Verlauf von drei Jahren sieben Attentate<br />
auf den Zaren Alexander II<br />
durch, die alle scheiterten.<br />
Sofia Perowskaja war inzwischen<br />
Mitglied des „Vollzugskomitees“,<br />
bereitete mit Wera Figner in<br />
St. Petersburg im Februar 1881 einen<br />
weiteren Anschlag vor und übernahm<br />
am 1.3.1881 in letzter Minute<br />
die Leitung.„Sie war es, die, <strong>als</strong> sich<br />
die Situation infolge der veränderten<br />
Marschroute des Zaren verschob,<br />
den ganzen Plan aus eigener<br />
Initiative umstellte; ihrer Geistes-<br />
Sofia Lwowna Perowskaja<br />
13.9.1853 - 15.4.1881<br />
gegenwart war es zu verdanken,<br />
dass der Kaiser den zwei Terroristenbomben<br />
zum Opfer fiel.“ (Wera<br />
Figner, Nacht über Russland, Jossa<br />
1978). Nach ein paar Tagen wurde<br />
Sofia Perowskaja auf der Straße verhaftet<br />
und am 15. April mit vier weiteren<br />
Anführern hingerichtet. Eine<br />
zeitgenössische Illustration zeigt<br />
sie,gefesselt,in schwarzem Gewand,<br />
ein Brett mit der Aufschrift<br />
„Zarenmörder“ um den H<strong>als</strong>.<br />
Sofia Perowskaja war die erste<br />
russische Frau, die <strong>als</strong> politische<br />
„Verbrecherin“ hingerichtet wurde.<br />
Im gleichen Jahr wurde den <strong>Frauen</strong><br />
das Studium an<br />
den russischen<br />
Universitäten verboten,<br />
zu dem sie<br />
1876 zugelassen<br />
worden waren.<br />
24 Jahre lang, bis<br />
1905,sollte dieser<br />
Ausschluss der<br />
<strong>Frauen</strong> aus den<br />
Universitäten andauern.<br />
Wenige Tage<br />
vor ihrem Tod am<br />
Galgen schrieb<br />
Sofia Perowskaja in einem Brief an<br />
ihre Mutter, ihr Schicksal sei „gar<br />
nicht so schrecklich“, denn:„ich habe<br />
meinen Prinzipien getreu gelebt;<br />
ich hätte mich nicht anders verhalten<br />
können; und so erwarte ich die<br />
Zukunft mit einem guten Gewissen.“<br />
Der Lyriker und Romanautor<br />
Iwan S.Turgenjew widmete ihr eines<br />
seiner „Gedichte in Prosa“, und<br />
Dmitri Schostakowitsch komponierte<br />
die Musik (op.128) zu dem Film<br />
„Sofia Perowskaja“ von 1967.<br />
Ingeborg Nödinger<br />
&<br />
Daten Taten<br />
Die Menschenrechte haben<br />
kein Geschlecht!<br />
Als erste Bürgerliche fordert<br />
Hedwig Dohm 1873 öffentlich das<br />
Stimmrecht für <strong>Frauen</strong>, denn vor allem<br />
darin sieht sie für <strong>Frauen</strong> die<br />
Chance auf Selbstbestimmung:<br />
selbst Politik machen, um die<br />
Situation von <strong>Frauen</strong> in der<br />
Gesellschaft zu verbessern.<br />
Die couragierte Streiterin<br />
stammt aus der jüdischen Fabrikantenfamilie<br />
Schleh und erhält eine im<br />
19. Jahrhundert übliche kurze<br />
Schulausbildung. Ihre Erfahrungen<br />
während der Revolution 1848 in<br />
Berlin verstärken ihr politisches<br />
Interesse. Sie heiratet Ernst Dohm,<br />
Redakteur der<br />
satirischen Zeitschrift,Kladderadatsch‘.<br />
Im Umgang<br />
mit Menschenzurückhaltend,<br />
findet sie<br />
im Schreiben zu<br />
Polemik, Witz,<br />
Ironie und Scharfzüngigkeit.<br />
Ihre<br />
Texte setzen sich<br />
radikal mit den<br />
herrschenden Vorstellungen<br />
darüber auseinander,<br />
wie <strong>Frauen</strong> zu sein haben und stellen<br />
dar, wie sich diese <strong>Frauen</strong>feindlichkeit<br />
in Wissenschaft,<br />
Theologie und Justiz niederschlägt.<br />
Hedwig Dohm fordert eine<br />
gleichwertige Schul- und Berufsausbildung<br />
für Mädchen, sexuelle<br />
Aufklärung, Entlastungen bei der<br />
Kindererziehung, politisches Wahlrecht,<br />
Vereinsbildung und soziale<br />
Organisation für <strong>Frauen</strong> – Bedingungen<br />
für eine selbstständige Existenz<br />
in einer Zeit, die <strong>Frauen</strong> das Recht,<br />
Subjekt zu sein (juristisch, wirtschaftlich,politisch),völlig<br />
abspricht.<br />
WIR FRAUEN 3/2003<br />
35<br />
Hedwig Dohm<br />
20.9.1833 – 4.6.1919<br />
Sie argumentiert gegen das<br />
Dogma der Mutterschaft,die <strong>als</strong> naturgegeben<br />
mythisiert wird, publiziert<br />
aufgrund des ersten Weltkriegs<br />
einen Text gegen den Krieg und<br />
spricht sich gegen die Versorgungsehe<br />
und für die freie Ehe aus.<br />
Obwohl Hedwig Dohm der<br />
<strong>Frauen</strong>bewegung nahe steht, beteiligt<br />
sie sich nur an zwei Vereinen,<br />
dem „<strong>Frauen</strong>verein Reform“, der<br />
sich für die Koedukation (ein Skandal<br />
zu dieser Zeit) und für die freie<br />
Berufswahl von <strong>Frauen</strong> einsetzt,<br />
und dem Verein <strong>Frauen</strong>wohl.<br />
„Wenn ich (...) mit glühender<br />
Überzeugung die<br />
Gleichberechtigung<br />
der Geschlechterfordere,<br />
so geschieht es<br />
auf Grund langer<br />
Erfahrungen<br />
und Beobachtungen,<br />
auf Grund<br />
des einfachen gesundenMenschenverstandes,<br />
der nicht verstehen<br />
kann, daß<br />
man Menschen, die ihre fünf Sinne<br />
beisammen haben,in Zwangsjacken<br />
steckt.“<br />
Die überzeugte Feministin gibt<br />
ihre Auffassung an ihre vier Töchter<br />
weiter:Sie alle erhalten eine Berufsausbildung,<br />
um nicht auf einen<br />
Versorger angewiesen zu sein. Die<br />
Texte, Romane, Streitschriften und<br />
Novellen dieser außergewöhnlichen<br />
Frau bieten über die historische<br />
Distanz hinweg eine immer noch aktuelle<br />
Analyse frauenfeindlicher<br />
Argumentationsmuster und zeigen<br />
eine radikale feministische<br />
Vordenkerin.<br />
Mechthilde Vahsen
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Gisela Steineckert, Peggy Parnass, Christiane Barckhausen, Ute Ranke-Heinemann …<br />
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Verein zur Förderung von<br />
<strong>Frauen</strong>publizistik<br />
Rochusstraße 43<br />
40479 Düsseldorf<br />
Fax: 02 11 /492 13 01