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<strong>an</strong>.lesen<br />

Dis/abled<br />

Was bedeutet es, in einer sexistischen<br />

und rassistischen Gesellschaft<br />

behindert zu sein? Der Sammelb<strong>an</strong>d<br />

„Gendering Disability” geht der<br />

Bedeutung von „Behinderung” im<br />

Kontext von Mehrfachdiskriminierung<br />

nach und führt die Debatten auf<br />

neue Weise zusammen.<br />

Von Vina Yun<br />

Während in den letzten Jahren das Konzept der<br />

Intersektionalität in den deutschsprachigen Gender<br />

Studies einen regelrechten Hype erfahren<br />

hat, sind intersektionale Ansätze in den Disability<br />

Studies relativ neu. Das Konzept der intersektionalen<br />

Analyse wird im vorliegenden Sammelb<strong>an</strong>d<br />

„Gendering Disability” als Möglichkeit<br />

begriffen, sich der Komplexität von mehrfacher<br />

Diskriminierung <strong>an</strong>zunähern: Der B<strong>an</strong>d untersucht<br />

die wechselseitige Beziehung zwischen den<br />

Kategorien „Geschlecht” und „Behinderung”,<br />

geht aber zugleich den Verknüpfungen von „Dis/<br />

Ability” mit Sexualität, Ethnisierung und Klasse<br />

nach. In diesem Sinne stellt der B<strong>an</strong>d eine bisl<strong>an</strong>g<br />

wenig bearbeitete Schnittstelle von Gender<br />

und Disability Studies dar, die durch Erkenntnisse<br />

aus der Rassismus- und Migrationsforschung, der<br />

Postkolonialen Theorie sowie den Queer Studies<br />

weiter ausformuliert wird.<br />

Entl<strong>an</strong>g dieser multiplen Perspektive werden<br />

auch die (teilweise verschütteten) Verbindungen<br />

zwischen den Disziplinen neu gezogen: Denn<br />

sowohl die feministische Geschlechterforschung<br />

als auch die im <strong>an</strong>gloamerik<strong>an</strong>ischen Raum<br />

gewachsenen Disability Studies hinterfragen,<br />

ebenso wie Queer und Postcolonial Theory, mit<br />

ihrem kritischen Blick auf die kulturelle Konstruktion<br />

von Körpern hegemoniale Body Politics<br />

und dichotome Identitätsentwürfe (männlich/<br />

weiblich, behindert/nicht-behindert). Mehr noch<br />

machen die Beiträge im B<strong>an</strong>d die Parallelen<br />

zwischen der Konstruktion von „weiblichen” und<br />

38 l <strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> <strong>November</strong> <strong>2010</strong><br />

„behinderten” Körpern sowie die Vergeschlechtlichung<br />

und Rassifizierung von Kr<strong>an</strong>kheit und<br />

Behinderung deutlich.<br />

In der Ausein<strong>an</strong>dersetzung um die Mehrdimensionalität<br />

von „Differenz” bzw. mehrfacher Diskriminierung<br />

geht es dabei sowohl um die „Dekonstruktion<br />

binärer Zuschreibungen als auch<br />

um die Problematisierung ihrer realen Effekte”,<br />

wie die Herausgeberinnen im Vorwort erklären.<br />

Multiple Diskriminierung bedeutet allerdings<br />

nicht einfach, dass sich die Differenzen „addieren”<br />

– so äußert sich mehrfache Ausgrenzung<br />

für Frauen (und <strong>an</strong>dere) mit Behinderung nicht<br />

einfach in der z.B. Potenzierung des Sexismus,<br />

sondern meist in der grundsätzlichen Negierung<br />

ihrer Sexualität.<br />

In Rückgriff auf diese Erfahrung fordert die<br />

Politikwissenschaftlerin Heike Raab in ihrem<br />

Artikel über Disability und Queerness, heteronormative<br />

Geschlechterordnung nicht nur <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d<br />

von Sexualität und Geschlecht zu denken,<br />

sondern auch Behinderung mit einzubeziehen:<br />

Denn „um Geschlecht zu dekonstruieren, muss<br />

m<strong>an</strong> erst über Geschlechtlichkeit verfügen,<br />

die (…) Menschen mit Behinderung oftmals<br />

verweigert wird.”<br />

Dass Behinderung mit <strong>an</strong>deren Differenzkategorien<br />

wie Geschlecht überhaupt zusammengedacht<br />

wird, ist vor allem ein Verdienst von<br />

Aktivist_innen aus der „Krüppel_innenbewegung”<br />

der 1980er Jahre, wie Mitherausgeberin<br />

Sw<strong>an</strong>tje Köbsell betont. In ihrem sehr lesens-<br />

Queers on Wheels auf der Regenbogenparade 2009, © Queers on Wheels<br />

werten Beitrag, der ins Thema „Behinderung,<br />

Geschlecht und Körper” einführt, zeichnet<br />

Köbsell u.a. die Entwicklung der (weiß dominierten)<br />

Behindertenbewegung im deutsch- und<br />

englischsprachigen Raum seit den 1970ern nach,<br />

die in der Diskussion über Behinderung das medizinische<br />

Modell erfolgreich durch ein soziales<br />

Modell ersetzte – nach dem Motto: „Behindert<br />

ist, wer behindert wird”. Behinderung ist demnach<br />

keine individuelle, natürliche Eigenschaft,<br />

die m<strong>an</strong> „besitzt”, sondern ein Prozess, der<br />

Menschen mit bestimmten Merkmalen gesellschaftliche<br />

Partizipation vorenthält.<br />

Mit dem erneuerten Fokus auf Körperpolitiken<br />

reklamieren Aktivist_innen den „behinderten”,<br />

eigenen Körper nun wieder in den Diskurs<br />

hinein. Mit der Einbindung aktivistischer Perspektiven<br />

– siehe z.B. die Beiträge von Christi<strong>an</strong>e<br />

Hutson zu „Ableism” und Sexismus aus<br />

Schwarzer Perspektive oder der Rückblick von<br />

Sigrid Arnade auf die Lobbyarbeit für die UN-<br />

Behindertenrechtskonvention – fasst dieser sehr<br />

empfehlenswerte Sammelb<strong>an</strong>d, erstmalig für<br />

den deutschsprachigen Raum, die politischen und<br />

theoretischen Debatten zusammen und bietet<br />

einen hervorragenden Einstieg in den aktuellen<br />

St<strong>an</strong>d der Disability Studies. l<br />

Jutta Jacob, Sw<strong>an</strong>tje Köbsell, Eske Wollrad<br />

(Hg.innen): Gendering Disability. Intersektionale<br />

Aspekte von Behinderung und Geschlecht<br />

Tr<strong>an</strong>script <strong>2010</strong>, 26,60 Euro

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