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Christian Garhammer

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Organisationstheorien 1<br />

Institutionensoziologische Ansätze<br />

Organisationen weisen über Branchen und Ländergrenzen hinweg und trotz kultureller<br />

Unterschiede oft eine Vielzahl ähnlicher Strukturen und Handlungsmuster auf. Die zunehmende<br />

Internationalisierung und Globalisierung tragen zu ihrer raschen Verbreitung<br />

bei. Zugleich zeigen sich jedoch auch kultur- und landesspezifische Besonderheiten in<br />

den formalen Strukturen und in den Praktiken des alltäglichen Handelns in Organisationen.<br />

Bei näherem Hinsehen stellt man überdies fest, daß hinter gleichen Bezeichnungen<br />

von Praktiken ganz unterschiedliche Aktivitäten verborgen sind. So bedeuten Qualitätszirkel<br />

in Frankreich etwas anderes als in Deutschland, Reengeneering in den USA etwas<br />

anderes als in Rußland und Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung etwas<br />

anderes als in IT-Unternehmen.<br />

Lange Zeit haben wir zum Verständnis von Gemeinsamkeiten und Unterschieden funktionalistische<br />

Erklärungen herangezogen, die auf die Anforderungen der spezifischen<br />

Aufgabenumwelt verweisen. Das heißt, wir sind davon ausgegangen, daß ökonomische<br />

Effizienz und Rationalität Ziele sind, zu denen formale Strukturen von Organisationen<br />

zumindest von der Intention her beitragen sollen. Institutionalistische Ansätze stellen<br />

nun diese üblicherweise für so selbstverständlich erachtete Grundannahme in Frage und<br />

sehen in ihr bereits einen Rationalitätsmythos, den wir kollektiv übernehmen. Gleichzeitig<br />

liefern sie vielfältige alternative Erklärungsansätze für formale Strukturen in Organisationen.<br />

Sie identifizieren regulative, normative und kulturell-kognitive Sphären, die<br />

die Entstehung formaler Strukturen beeinflussen. Dabei wird deutlich, daß Strukturen<br />

oftmals keinen ökonomisch-funktionalen Zweck erfüllen, sondern einen gesellschaftlich-legitimatorischen,<br />

der hiervon zu unterscheiden ist. In kapitalistischen, westlichen<br />

Gesellschaftsformen spielt ökonomische Effizienz aus Legitimationsgründen eine herausragende<br />

Rolle. Sie läßt sich jedoch nicht eindeutig ermitteln und dokumentieren, so<br />

daß sie im Kern über Symbolsysteme zum Ausdruck gebracht wird. Das dabei dokumentierte<br />

Ergebnis muß mit tatsächlich zielbezogenem Handeln nicht überein stimmen,<br />

sondern lediglich unseren Vorstellungen von vernünftigen (rationalen) Handeln in modernen<br />

Gesellschaften und Organisationen entsprechen.<br />

Folgt man diesen Grundüberlegungen, so findet man interessante, in anderen Organisationstheorien<br />

nicht berücksichtigte und überdies empirisch mittlerweile recht gut fundierte<br />

Erklärungsansätze zu den eingangs formulierten Fragen: Wie kommt es zu den<br />

empirisch festzustellenden Ähnlichkeiten von Organisationen im Zuge der gesellschaftlichen<br />

Modernisierung? Wie ist der Mechanismus der Verbreitung zu erklären? Warum<br />

werden manche Innovationen aufgegriffen, während andere sofort in Vergessenheit<br />

geraten? Wie kann man überhaupt die Stabilität und Verbreitung des Phänomens „Organisation“<br />

in modernen Gesellschaften erklären? Wird es durch das Phänomen „Netzwerk“<br />

ersetzt? Welche Gründe gibt es wiederum für die zum Teil erheblichen Unterschiede<br />

von Organisationen innerhalb und zwischen Gesellschaften?


2 Organisationstheorien<br />

Institutionalistische Ansätze gehen in ihren Antworten auf diese Fragen von folgendem<br />

aus:<br />

Organisationen existieren nicht im luftleeren Raum. Sie sind vielmehr immer in ein<br />

bestimmtes gesellschaftliches Umfeld eingebunden, agieren in einer bestimmten Branche,<br />

in einem bestimmten Land mit jeweils unterschiedlichem Wirtschafts-, Rechts- und<br />

Bildungssystem und einer entsprechenden Landeskultur. In der Sprache institutionalistischer<br />

Ansätze sind Organisationen in ein regulatives, normatives und kulturellkognitives<br />

Institutionengefüge eingebunden. Von diesen Institutionen und verschiedenen<br />

Interessengruppen werden recht spezifische Erwartungen an Organisationen gerichtet.<br />

Diese lassen sich auch bei Wirtschaftsorganisationen nicht auf die ökonomische<br />

Effizienz reduzieren; vielmehr müssen Organisationen in ihrem Handeln den Erwartungen<br />

des jeweiligen Umfeldes entsprechen, ihre Handlungen müssen legitim sein, da<br />

sonst das gesellschaftliche Umfeld seine Unterstützung für die Organisation verweigert<br />

und sich der Zugang zu wichtigen Ressourcen erschwert. Organisationen versuchen<br />

daher, regelmäßig auftretende, dauerhafte Umwelterwartungen in ihre Strukturen und<br />

Praktiken „einzubauen“. Verschiedene gesellschaftliche Umwelten führen damit zu<br />

jeweils unterschiedlichen, umweltspezifischen Strukturen und Praktiken, die untereinander<br />

oftmals nicht widerspruchsfrei sind. Diese können daher nicht im Sinne eines ‚best<br />

fit‘ zur Umwelt verstanden werden, sondern als Gestaltungsformen, die einerseits effizient<br />

und andererseits durch die Umwelt legitimiert sein müssen. Sie lassen sich daher<br />

am ehesten als rational anerkannte Handlungsmuster verstehen.<br />

Mit der gesellschaftlichen Modernisierung ist nun, so eine weitere Basisthese der institutionalistischen<br />

Ansätze, ein Vorherrschen von verfestigten Erwartungen und Regeln der<br />

Rationalität in der Gesellschaft festzustellen. Sie erlangen allgemeine Gültigkeit, werden<br />

durch Organisationen und Individuen als gegeben hingenommen („taken for granted“)<br />

und kaum noch nach ihrem Sinn oder ihrer Zweckmäßigkeit befragt. Dementsprechend<br />

werden diese Regeln unhinterfragt adaptiert und weiter verbreitet. Zugleich nimmt mit<br />

der Modernisierung auch die Komplexität sozialer Organisationen und des ökonomischen<br />

Austausches zu. Beide Faktoren tragen zur Schaffung und Weiterentwicklung von<br />

formalen Organisationsstrukturen und Handlungsmustern bei und erklären vor allem die<br />

zunehmende Ähnlichkeit „moderner“ Organisationen. Den Prozeß der Durchdringung<br />

der Organisationen, Strukturen und Handlungspraktiken in einer Gesellschaft mit solchen<br />

übergreifenden, gesellschaftlichen Regeln nennt man Institutionalisierung. In<br />

Anlehnung an Prozesse der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit werden Prozesse der<br />

Institutionalisierung in drei Hauptphasen unterschieden: Habitualisierung, d.h. Entwicklung<br />

von Problemlösungsmustern und ihre Verbindung mit bestimmten Stimuli, Objektivation,<br />

d.h. die Entwicklung generalisierter und geteilter sozialer Bedeutungen dieser<br />

Verhaltensmuster sowie Sedimentation, d.h. die Entwicklung von habitualisierten Problemlösungsmustern<br />

und deren Bedeutung als Teil der externen, sozialen Realität.<br />

Institutionalistische Ansätze stellen heute ein aus unterschiedlichen Forschungsrichtungen<br />

entstandenes integriertes Theoriegebäude dar, welches nach W. Richard Scott auf<br />

einer regulativen, einer normativen und einer kulturell-kognitiven Säule fußt. Bei der<br />

regulativen Säule wird auf Gesetze, staatliche Sanktionen und Governance-Systeme bei


Organisationstheorien 3<br />

der Herausbildung von Organisationsstrukturen verwiesen. Zentrale theoretische Begründungen<br />

dafür entstammen der Institutionenökonomie. Aus der normativen und<br />

kognitiven Perspektive beeinflussen gesellschaftlich-kulturelle Werte und Normen,<br />

geteilte Handlungsmuster und Symbolsysteme die Entstehung von Organisationsstrukturen.<br />

Durch diese beiden Säulen wird die eigentliche Abgrenzung gegenüber funktionalistischen<br />

Ansätzen deutlich. Sie begründen die institutionensoziologische Perspektive<br />

im Rahmen institutionalistischer Ansätze. Die institutionensoziologische Perspektive,<br />

welche nachfolgend im Vordergrund steht, umschließt eine Mehrebenenbetrachtung.<br />

Institutionalisierungsprozesse werden vom Weltsystem bis hin zu organisationalen Subsystemen<br />

analysiert, wobei sich zunehmend ein Schwerpunkt bei der Betrachtung organisationaler<br />

Felder heraus bildet, das heißt dem Einfluß des organisationalen Beziehungssystems<br />

auf die Organisation.<br />

Für einen ersten Zugang zu institutionensoziologischen Ansätzen bietet es sich an, aus<br />

zwei Grundrichtungen zu arbeiten, die nach wie vor als Kristallisationspunkte eines<br />

umfassenden organisationstheoretischen Theoriegebäudes gelten können: eine makro-<br />

und mesoinstitutionalistische Richtung einerseits und eine mikroinstitutionalistische<br />

Richtung andererseits.<br />

Die erste Grundrichtung konzentriert sich auf die Beziehungen zwischen gesellschaftlicher<br />

Umwelt und Organisation. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bilden hier<br />

Institutionalisierungsprozesse in der Organisationsumwelt, die mit der Institutionalisierung<br />

innerhalb und von Organisationen verbunden werden. Das heißt, es werden die<br />

Ursachen und Mechanismen der Entstehung, Übertragung und des Wandels von allgemein<br />

gültigen, institutionalisierten Regeln, Strukturen und Handlungsmustern und<br />

-praktiken in die Organisationen untersucht. Darüber hinaus beschäftigt sich diese Richtung<br />

auch mit den Konsequenzen, Reaktionen und Strategien der Organisationen, also<br />

mit der Frage, wie Organisationen mit den Erwartungen der Umwelt umgehen, wie sie<br />

diese intern „verarbeiten“ und auf die Umwelterwartungen einwirken.<br />

Im Ergebnis verschiedener theoretisch-konzeptioneller und empirischer Analysen, die<br />

im Laufe der Zeit zunehmend miteinander integriert wurden, wurde festgestellt, daß<br />

Organisationen in unterschiedlichem Maße mit institutionalisierten Erwartungen konfrontiert<br />

sind. Sie können in eher technischen Umwelten mit einem geringeren Einfluß<br />

institutioneller Regeln aber stärkeren Effizienzerwartungen „leben“, wie z.B. Wirtschaftsorganisationen<br />

im Bereich des Maschinen- oder Automobilbaus. Technische<br />

Umwelten sind Aufgabenumwelten, in denen die Anforderungen einer optimalen Aufgabenbewältigung<br />

dominieren und Strukturen, Techniken und Verfahren der dafür erforderlichen<br />

Aufgabendifferenzierung und -integration dienen. Organisationen können<br />

sich jedoch auch in eher institutionellen, symbolischen Umwelten befinden, in denen<br />

der Einfluß der Gesellschaft und die Erwartungen an ein bestimmtes Verhalten der Organisationen<br />

sehr stark sind. Strukturen, Techniken und Verfahren dieser Organisationen<br />

sind primär darauf gerichtet, rationales Handeln der Organisation zu dokumentieren,<br />

d.h. gesellschaftlich institutionalisierte Vorstellungen vernünftigen Handelns widerzuspiegeln.<br />

Damit wird Rationalität von Effizienz abgegrenzt; die rationale Handlung<br />

dient im Gegensatz zur effizienten Handlung nicht der optimalen Aufgabenbewältigung,


4 Organisationstheorien<br />

sondern der Legitimation der Organisation nach innen und außen. Bei Schulen, Behörden,<br />

Krankenhäusern und anderen öffentlichen Unternehmen dominiert der Einfluß<br />

institutioneller Umwelten. Er kann aber auch bei Wirtschaftsorganisationen sehr hoch<br />

sein, insbesondere wenn deren Leistung schwer zu ermitteln ist und von daher gesellschaftliche<br />

Bewertungen eine starke Rolle spielen, etwa im Dienstleistungssektor, wie<br />

Banken oder Unternehmensberatungen. Der Erfolg von Organisationen hängt in stark<br />

institutionalisierten Bereichen daher oftmals weniger von ihrer Effizienz als vielmehr<br />

von der Übereinstimmung ihrer Strukturen und Praktiken mit den Erwartungen ihrer<br />

Umwelt, also der Legitimität ihres Handelns, ab. Dies führt in der Tendenz zu ähnlichen<br />

Strukturen und Handlungsmustern, in denen sich die institutionalisierten Erwartungen<br />

widerspiegeln. Diesen Prozeß des „Ähnlich Werdens“ bezeichnet man als Isomorphismus.<br />

Als wichtige Mechanismen wurden Zwang, z.B. durch gesetzliche<br />

Vorschriften, Nachahmung von Verfahren und Regeln der als erfolgreich wahrgenommenen<br />

Organisationen der gleichen Branche und normative Handlungsorientierungen,<br />

z.B. durch Verbreitung berufsspezifischer Standards, herausgearbeitet. Die Erwartungen<br />

der verschiedenen Umwelten, in der Sprache der Institutionensoziologen auch organisationale<br />

Kontexte, sind jedoch zum Teil sehr widersprüchlich. Dadurch kommt es in<br />

Organisationen zu Inkonsistenzen: Organisatorische Handlungen sind in unterschiedlichem<br />

Maße legitim und effizient.<br />

Beispiel<br />

Zum Beispiel können einerseits Erwartungen bestehen, die auf das Vorhandensein<br />

einer Qualitätszertifizierung gerichtet sind, und andererseits Erwartungen<br />

eines ressourcenschonenden Umgangs, so daß die Bindung von Ressourcen für<br />

Qualitätszertifizierung fraglich erscheint, da dadurch erhebliche Kosten verursacht<br />

und nur unsichere Effekte erzielt werden. So ist eine Qualitätszertifizierung,<br />

die einem allgemeinen gesellschaftlichen Trend folgt, in hohem Maße legitim, ihre<br />

Effizienz hingegen fraglich.<br />

Solange jedoch gesellschaftliche Legitimation gegeben ist, braucht der Effizienznachweis<br />

nicht erbracht zu werden bzw. wird er über die legitime Handlung oder Praktik<br />

gleich mit erbracht. Um in diesem Konfliktfeld einerseits bestehen zu können und es<br />

andererseits ganz bewußt für bestimmte Aktivitäten zu nutzen, entwickeln Organisationen<br />

verschiedene Strategien im Umgang mit widersprüchlichen gesellschaftlichen Erwartungen.<br />

Dazu gehören u.a. die teilweise Entkopplung der technischen und institutionellen<br />

Kontexte, der Aufbau von Vertrauen, auch in Form von Legitimationsfassaden,<br />

die bewußte Abwehr institutioneller Erwartungen, z.B. durch Angriff auf ihre Quellen<br />

(z.B. normgebende Behörden) oder Manipulation, indem Prozesse der Herausbildung<br />

institutioneller Normen und Regeln beeinflußt und kontrolliert werden.<br />

Die zweite Grundrichtung betrachtet die Organisation selbst als Institution, als Ausdruck<br />

gesellschaftlicher Muster von Erwartungen und Regeln. Unsere heutigen Organisationen<br />

sind Produkte der historischen Entwicklung und tauchen erst in der Moderne<br />

auf. Der Begriff „Organisationsgesellschaft“ bringt in knapper Form zum Ausdruck, daß


Organisationstheorien 5<br />

mit bürokratischen Prinzipien durchzogene Organisationen ein wesentliches Element<br />

moderner Gesellschaften sind. Insofern ist es von Interesse, Prozesse der Verfestigung,<br />

Übertragung und Verbreitung der Institution „Organisation“ zu analysieren. Diese Richtung<br />

wird auch als mikroinstitutionalistischer Ansatz gekennzeichnet, weil die Analyse<br />

der Organisation bei den Handlungen und der Übertragung von Handlungen durch Akteure<br />

ansetzt.<br />

In mikroinstitutionalistischen Ansätzen werden Organisationen als wesentliche Institutionen<br />

der Moderne charakterisiert, die sich ausgehend vom Produktionssektor in einem<br />

historischen Prozeß in alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens verbreitet und gegenüber<br />

anderen Formen der Arbeitsteilung und Kooperation durchgesetzt haben. Organisationen<br />

haben nicht nur eine Umwelt, sie beeinflussen auch selbst deren Gestalt und bestimmen<br />

als Umwelt wesentlich das Geschehen anderer Organisationen und betrieblicher Akteure<br />

mit. Die „objektive“ Realität wird als von Akteuren sozial konstruiert angesehen. Dabei<br />

spielen für die Organisation vor allem die Übertragung von sozialem Wissen von einer<br />

(Organisations-)Generation auf die nächste sowie die Erhaltung von sozialem Wissen<br />

und seine Beständigkeit in der Organisation und ihren Subsystemen eine wichtige Rolle.<br />

Je stärker der Kontext und die Organisation institutionalisiert sind, um so höher ist die<br />

kulturelle Beständigkeit und um so leichter wird soziales Wissen übertragen und erhalten.<br />

Insgesamt bieten die institutionensoziologischen Ansätze ein breites Anwendungsfeld<br />

zur Erklärung und Prognose der Entwicklung moderner Organisationen, ihrer Strukturen,<br />

Praktiken und Verhaltensweisen.

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