06 - Lösung _neu_
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Wiss. Mit. RA Dr. Bernhard Ulrici<br />
Sachverhalte und <strong>Lösung</strong>en bauen auf den Unterlagen von Prof. Dr. Tim Drygala aus dem SS 2009 auf<br />
LEO BGB-I – Rechtsgeschäftslehre und Allgemeines Schuldrecht (Sommersemester 2011)<br />
<strong>Lösung</strong>svorschlag Fall 6<br />
Die L-OHG könnte gegen G einen Anspruch auf Zahlung von<br />
21.216,30 Euro gemäß § 433 Abs. 2 BGB haben.<br />
I. Dazu müsste zwischen der L-OHG und G ein wirksamer Kaufvertrag<br />
(§ 433 BGB) zustande gekommen sein. Ein Kaufvertrag<br />
setzt zwei übereinstimmende, in Bezug aufeinander abgegebene<br />
Willenserklärungen (Antrag und Annahme) voraus, §§ 145 ff.<br />
BGB.<br />
G müsste der L-OHG einen Antrag zum Abschluss eines Kaufvertrages<br />
gemacht haben. Ein Antrag ist eine empfangsbedürftige<br />
Willenserklärung, mit der einem anderen ein Vertragsschluss so<br />
angetragen wird, dass das Zustandekommen des Vertrages nur<br />
noch von dessen Zustimmung abhängig ist. Vorliegend hat G keine<br />
Willenserklärung abgegeben. Er könnte jedoch von E wirksam<br />
vertreten worden sein, wenn dieser eine eigene Willenserklärung<br />
im fremden Namen und im Rahmen der ihm zustehenden Vertretungsmacht<br />
abgegeben hat, § 164 Abs. 1 Satz 1 BGB.<br />
1. Aus der allein maßgeblichen Perspektive eines objektiven Dritten<br />
in der Rolle des Erklärungsempfängers hat E vorliegend eine<br />
eigene Willenserklärung abgegeben.<br />
2. E müsste in fremdem Namen, d.h. im Namen von G, gehandelt<br />
haben. Hier ist E nicht ausdrücklich im Namen des G aufgetreten.<br />
Vielmehr erklärte er, für die „Firma Leipziger<br />
Südfruchthandel“ zu handeln. Gemäß § 164 Abs. 1 Satz 2 BGB<br />
macht es jedoch keinen Unterschied, ob die Erklärung ausdrücklich<br />
im Namen des Vertretenen erfolgt oder ob die Umstände ergeben,<br />
dass sie in dessen Namen erfolgen sollen. Es kommt<br />
deshalb entscheidend darauf an, wie der Empfänger die Willenserklärung<br />
des Vertreters nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung<br />
der Verkehrssitte verstehen durfte. Bei sog.<br />
unternehmensbezogenen Geschäften geht der Wille der Beteiligten<br />
in der Regel dahin, dass der Betriebsinhaber Vertragspartner<br />
werden soll. So lag es auch hier. Unrichtige Vorstellungen des<br />
Dritten über den Betriebsinhaber sind unschädlich. Dem Handeln<br />
in fremden Namen steht deshalb auch nicht entgegen, dass E in<br />
Vertretung der selbst nicht rechtsfähigen Firma (vgl. § 17 Abs. 1<br />
HGB) aufgetreten ist.<br />
3. E müsste darüber hinaus aber auch im Rahmen der ihm zustehenden<br />
Vertretungsmacht gehandelt haben.<br />
a) Eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht (Vollmacht,<br />
§ 166 Abs. 2 BGB) wurde E von G weder ausdrücklich noch konkludent<br />
erteilt.<br />
Anmerkungen<br />
Der Fall ist der Entscheidung BGH<br />
NJW 2007, 987 = JuS 2007, 779<br />
(K. Schmidt) nachgebildet.<br />
Vgl. BGHZ 91, 151; BGH NJW<br />
1995, 44; BGH NJW 1997, 527;<br />
Ellenberger in Palandt, § 164 Rn.<br />
2; Kropholler, BGB, § 164 Rn. 10.<br />
Vgl. BGHZ 62, 221; BGHZ 64, 15.
Wiss. Mit. RA Dr. Bernhard Ulrici<br />
Sachverhalte und <strong>Lösung</strong>en bauen auf den Unterlagen von Prof. Dr. Tim Drygala aus dem SS 2009 auf<br />
LEO BGB-I – Rechtsgeschäftslehre und Allgemeines Schuldrecht (Sommersemester 2011)<br />
b) Dem G könnte aber der Einwand fehlender rechtsgeschäftlicher<br />
Vertretungsmacht des E abgeschnitten sein, wenn ein Fall von<br />
Rechtsscheinsvollmacht gegeben ist.<br />
aa) Die Vertretungsmacht des E könnte sich aus einer Duldungsvollmacht<br />
ergeben. Eine solche liegt nach der ständigen Rechtsprechung<br />
des BGH dann vor, wenn der Vertretene es wissentlich<br />
geschehen lässt, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt,<br />
und der Geschäftsgegner dieses Dulden nach Treu und Glauben<br />
dahin versteht und verstehen darf, dass der als Vertreter Handelnde<br />
bevollmächtigt ist. Vorliegend wusste G nichts von den<br />
Geschäften des E. Eine Duldungsvollmacht kommt deshalb nicht<br />
in Betracht.<br />
bb) Die Vertretungsmacht des E könnte sich aber aus einer Anscheinsvollmacht<br />
ergeben. Ob das Rechtsinstitut der Anscheinsvollmacht<br />
anzuerkennen ist, ist umstritten. Während die<br />
Anscheinsvollmacht in Rechtsprechung und Lehre überwiegend<br />
anerkannt ist und dabei auf den in § 173 BGB, § 56 HGB zum<br />
Ausdruck gebrachten Rechtsgedanken verwiesen wird, lehnt eine<br />
Meinung in der Literatur diese Form der Rechtsscheinsvollmacht<br />
unter anderem deshalb ab, weil das deutsche Recht als Rechtsfolge<br />
einer Sorgfaltspflichtverletzung nur Schadensersatz zuspreche,<br />
aber keinen Vertragsschluss anordne. Dieser Streit könnte<br />
hier indes dahinstehen, wenn E kein Anscheinsbevollmächtigter<br />
war. Die Anscheinsvollmacht setzt voraus, dass der Vertretene<br />
das Handeln des in seinem Namen Auftretenden zwar nicht kennt<br />
oder duldet, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen<br />
müssen und verhindern können. Der Rechtsschein einer Bevollmächtigung<br />
setzt dabei ein Verhalten von gewisser Dauer und<br />
Häufigkeit voraus. Dafür ist hier aber nichts ersichtlich. Insbesondere<br />
setzt die Anscheinsvollmacht voraus, dass der Geschäftsgegner<br />
nach Treu und Glauben annehmen darf, der als Vertreter<br />
Handelnde sei bevollmächtigt. Dazu muss dieser die Tatsachen<br />
kennen, aus denen sich der Rechtsschein der Bevollmächtigung<br />
ergibt. Auch an dieser Kenntnis fehlt es hier. Mithin ergab sich die<br />
Vertretungsmacht des E auch nicht aus Anscheinsvollmacht. Es<br />
fehlt an einem G zuzurechnenden Antrag.<br />
II. Der Kaufvertrag könnte jedoch aufgrund der auf Handelsbrauch<br />
(§ 346 HGB) beruhenden Grundsätze des kaufmännischen<br />
Bestätigungsschreibens zustande gekommen sein. Danach ist<br />
es im Handelsverkehr üblich, Vertragsabschlüsse, die das Ergebnis<br />
mündlich geführter Vertragsverhandlungen sind, schriftlich zu<br />
bestätigen. Der Empfänger des Bestätigungsschreibens muss einem<br />
solchen Schreiben unverzüglich widersprechen, wenn er<br />
nicht an seinen Inhalt gebunden werden will. Die Grundsätze des<br />
kaufmännischen Bestätigungsschreibens erfassen dabei auch die<br />
Fälle, in denen nach mündlichen Vertragsverhandlungen noch<br />
überhaupt kein Vertrag zustande gekommen ist (sog. konstitutives<br />
kaufmännisches Bestätigungsschreiben).<br />
Zur Duldungsvollmacht vgl. Boemke/Ulrici,<br />
BGB-AT, § 13 Rn. 65<br />
(S. 289 f.).<br />
Vgl. BGHZ 5, 111, 116 = NJW<br />
1952, 657; BGH NJW 2005, 2985<br />
= WM 2005, 1520; BGH NJW<br />
2007, 987, 988.<br />
Zur Anscheinsvollmacht vgl.<br />
Boemke/Ulrici, BGB-AT, § 13<br />
Rn. 66 f. (S. 290).<br />
Vgl. BGH NJW 1981, 1728; Elleberger<br />
in Palandt, §§ 172 Rn. 11;<br />
Kropholler, BGB, § 167 Rn. 5.<br />
So insbesondere Flume, BGB AT,<br />
§ 49 Rn. 4; Medicus, BGB AT, Rn.<br />
971.<br />
Vgl. BGH NJW-RR 1998, 1111 =<br />
WM 1998, 819.<br />
Vgl. BGH WM 1956, 154; BGH<br />
NJW 2007, 987, 988.<br />
Dazu Schärtl, JA 2007, 567; Petersen,<br />
Jura 2003, 687; Steding, JA<br />
1998, 288; Deckert, JuS 1998, 121.<br />
Auf dem letztlich vergleichbaren<br />
Gedanken beruht § 362 HGB, der<br />
vorliegend jedoch nicht hilfreich ist,<br />
weil seine Anwendung auf Geschäftsbesorgungsverträgebeschränkt<br />
ist. § 362 HGB gilt somit<br />
nicht für Kaufverträge.
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Übersicht zu den Prüfungspunkten beim kfm. Bestätigungsschreiben<br />
1. Absender und Empfänger müssen grundsätzlich Kaufleute sein<br />
2. vorausgehende mündliche Vertragsverhandlungen<br />
3. eindeutige Bezugnahme auf Vertragsschluss<br />
4. Redlichkeit des Absenders<br />
5. kein unverzüglicher Widerspruch des Empfängers<br />
aa) Der Absender müsste ein Kaufmann sein. Die L-OHG ist<br />
Formkaufmann i.S.d. § 6 Abs. 1 HGB.<br />
Im Übrigen sind die an den Absender eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens<br />
zu stellenden Anforderungen sind umstritten. Teile der Literatur lassen als<br />
Absender auch einen reinen Privatmann genügen (vgl. Hopt in Baumbach/Hopt,<br />
HGB, § 346 Rn. 19). Dafür spricht die Wertungsparallele zu § 362 HGB, bei dem der<br />
Antrag auch von einem Nichtkaufmann gemacht werden kann. Die herrschende<br />
Meinung verlangt demgegenüber, dass der Absender zumindest ähnlich wie ein<br />
Kaufmann am Geschäftsleben teilnimmt. Denn nur bei diesem Personenkreis<br />
besteht die schutzwürdige Erwartung, dass einem unrichtigen Bestätigungsschreiben<br />
widersprochen wird.<br />
bb) Auch der Empfänger G müsste Kaufmann sein. Kaufmann ist<br />
nach § 1 Abs. 1 HGB, wer ein Handelsgewerbe betreibt. Dies<br />
setzt gemäß § 1 Abs. 2 HGB einen Gewerbebetrieb voraus. Ein<br />
Gewerbebetrieb ist jede offene, planmäßige, erlaubte, selbständige,<br />
von Gewinnerzielungsabsicht getragene Tätigkeit, die nicht<br />
freiberuflich ist. Der von G betriebene Südfruchthandel erfüllt diese<br />
Voraussetzungen ohne weiteres. Dieses Gewerbe wäre jedoch<br />
kein Handelsgewerbe, wenn das Unternehmen nach Art oder Umfang<br />
einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb<br />
nicht erfordert, § 1 Abs. 2 Hs. 2 HGB. Das Vorliegen dieser<br />
Voraussetzung wird gesetzlich vermutet (Formulierung „es sei<br />
denn“), so dass G schon Kaufmann nach § 1 HGB ist. Aufgrund<br />
der Handelsregistereintragung („e.K.“) ist er aber Kaufmann nach<br />
§ 2 Satz 1 HGB.<br />
Die herrschende Meinung wendet die Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben<br />
auch auf den Nichtkaufmann an, wenn dieser ähnlich einem Kaufmann<br />
am Geschäftsleben teilnimmt und von ihm erwartet werden kann, dass er<br />
kaufmännischer Sitte entsprechend dem Bestätigungsschreiben widerspricht. Nichtkaufleute,<br />
die als Empfänger eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens in Betracht<br />
kommen, sind Grundstücksmakler, Architekten, Rechtsanwälte und<br />
Insolvenzverwalter.<br />
cc) Dem Bestätigungsschreiben sind mündliche Vertragsverhandlungen<br />
vorausgegangen. Nach ständiger Rechtsprechung<br />
Vgl. BGH NJW 1990, 386 = WM<br />
1990, 68; BGH NJW 2007, 987,<br />
988.
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LEO BGB-I – Rechtsgeschäftslehre und Allgemeines Schuldrecht (Sommersemester 2011)<br />
ist es dabei unerheblich, dass bei den Vertragsverhandlungen ein<br />
vollmachtloser Vertreter aufgetreten ist.<br />
Leitsatz BGH NJW 1990, 386:<br />
„Ist ein Vertrag wegen der Mitwirkung eines vollmachtlosen Vertreters schwebend<br />
unwirksam, so kann dieser Mangel durch Schweigen auf das dem Vertragsschluss<br />
folgende Bestätigungsschreiben geheilt werden; dass das an den Vertragspartner<br />
gerichtete Bestätigungsschreiben „zu Händen“ des vollmachtlosen Vertreters adressiert<br />
ist, ändert daran grundsätzlich nichts.“<br />
Anmerkung (weiterführender Gedanke außerhalb der Falllösung):<br />
Dementsprechend gelangt der BGH in der diesem Fall zugrundeliegenden<br />
Entscheidung (NJW 2007, 987) dazu, diese Voraussetzung eines<br />
kaufmännischen Bestätigungsschreibens ohne Weiteres zu bejahren: „Nach der<br />
Rechtsprechung des BGH kommt ein Vertrag durch Schweigen auf ein<br />
kaufmännisches Bestätigungsschreiben auch dann zu Stande, wenn für den<br />
Empfänger des Schreibens bei den Vertragsverhandlungen ein vollmachtsloser<br />
Vertreter – wie hier der Zeuge Ku für die Beklagte zu 1 – aufgetreten ist (BGHZ<br />
7, 187 [189] = NJW 1952, 1369; WM 1964, 1951 [unter II]; Senat, WM 1967,<br />
898 [unter B II 2a]; Senat, NJW 1990, 386 = WM 1990, 68 [unter II 2f].“ Diese<br />
Entscheidung zeigt leider nur allzu deutlich, wozu es führt, wenn man nicht<br />
methodisch sauber arbeitet, nicht mehr auf die Grundsätze zurückkehrt,<br />
sondern sich nur noch an der jeweils vorherigen Entscheidung orientiert, ohne<br />
selbst zu argumentieren. Geht man zurück auf die zitierte Leitentscheidung in<br />
BGHZ 7, 187 (189) stellt man nämlich fest, dass der BGH dort die ihm jetzt<br />
zugeschriebene Aussage nicht getätigt hat. Vielmehr hatte in der dortigen<br />
Entscheidung der Revisionskläger argumentiert, dass die Grundsätze über ein<br />
kaufmännisches Bestätigungsschreiben nicht gelten können, weil der<br />
Handlungsagent bereits über Abschlussvollmacht verfügte und deshalb schon<br />
zuvor ein Vertrag geschlossen wurde. Der BGH stellte hierzu fest, dass die<br />
Grundsätze zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben auch dann gelten,<br />
wenn der Handlungsagent bereits Abschlussvollmacht hatte und nicht nur mit<br />
den Verhandlungen betraut war. Gekennzeichnet war der Fall zudem, dass ein<br />
Handlungsagent die Verhandlungen geführt war. Dieser Handlungsagent war<br />
mithin vom Vertretenen mit den Verhandlungen beauftragt worden. Er sollte<br />
lediglich nicht selbst den Abschluss bewirken können (vgl. § 75h Abs. 1 HGB<br />
und § 91a Abs. 1 HGB). In der zweiten jetzt vom BGH zitierten Entscheidung<br />
(allerdings nicht WM 1964, 1951, sondern richtig NJW 1964, 1951) schwenkt<br />
der BGH dann ohne wirkliche Argumentation auf die aktuelle Linie ein. Dabei<br />
stellt er allerdings maßgeblich darauf ab, dass der die Verhandlungen führende,<br />
vollmachtlose Vertreter immerhin Handlungsbevollmächtiger des Vertretenen<br />
(vgl. § 54 HGB) war, der jedoch ein Geschäft außerhalb des konkreten<br />
Handelsgewerbes führte, und der Geschäftspartner deshalb davon ausgehen<br />
konnte, dass der Vertretene zumindest die Verhandlungen gebilligt hat. Auch in<br />
diesem Fall ließen sich die Verhandlungen deshalb dem Vertretenen noch<br />
zurechnen. Auch war noch eine Parallelität zu § 75h Abs. 1 HGB und § 91a<br />
Abs. 1 HGB erkennbar. Auch in der dritten jetzt zitierten Entscheidung stellt der<br />
BGH darauf ab, dass dahinstehen kann, ob der Verhandlungsführer bereits<br />
Abschlussvollmacht hatte. Eine weitere Auseinandersetzung erfolgt nicht. Es<br />
werden allein die vorherigen Judikate zitiert. Anzumerken ist jedoch auch hier,<br />
dass die Verhandlungen mit einem Angestellten des Vertretenen anlässlich<br />
einer Verkaufspräsentation geführt wurden. Eine Zurechnung der<br />
Verhandlungen lässt sich daher auch hier konstruieren; wiederum besteht eine<br />
Parallele zu § 75h Abs. 1 HGB und § 91a Abs. 1 HGB. Die im jüngsten Urteil<br />
zuletzt zitierte Entscheidung wiederholt nur die Aussagen der vorherigen<br />
Judikate, wendet diese aber nicht an, weil die Grundsätze über das<br />
kaufmännische Bestätigungsschreiben aus einem anderen Grund keine
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Anwendung finden. Fasst man diese Entwicklung zusammen, hat der BGH<br />
ausgehend von einer die umgekehrte Fragestellung betreffenden Aussage den<br />
Rechtssatz entwickelt, dass die Verhandlungen auch von einem vollmachtlosen<br />
Vertreter geführt werden können. Eine wirkliche Begründung hierfür gibt der<br />
BGH nicht. Immerhin waren die vorherigen Fälle alle davon gekennzeichnet,<br />
dass die Verhandlungen dem Vertretenen irgendwie zurechenbar waren. In<br />
seiner Entscheidung von 2007 übersieht der BGH dies nunmehr, weil er aus<br />
seinen früheren Entscheidungen lediglich einen Rechtssatz abstrahiert, ohne<br />
dessen Fundament (Rechtsgedanke der § 75h Abs. 1 HGB und § 91a Abs. 1<br />
HGB) zu hinterfragen. Das Merkmal „vorausgehende Verhandlungen“ ist<br />
dadurch inzwischen vollständig entwertet worden, weil Verhandlungen mit<br />
jedem beliebigem Dritten genügen. Eine besondere Beziehung zwischen dem<br />
Verhandlungsführer und dem Vertretenen ist offenbar nicht mehr erforderlich.<br />
Soll das Merkmal „vorausgehende Verhandlungen“ jedoch seine eigenständige<br />
Berechtigung behalten, muss man zumindest fordern, dass der Vertretene die<br />
Verhandlungen irgendwie mitveranlasst hat. Da es hieran fehlt, ist entgegen der<br />
Rechtsprechung im vorliegenden Fall kein Vertragsschluss über die Grundsätze<br />
eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens anzunehmen.<br />
dd) Der Absender muss erkennbar davon ausgehen, dass bei den<br />
Vertragsverhandlungen – ungeachtet der wahren Sachlage – eine<br />
Vereinbarung zustande gekommen ist. Dies muss aus dem<br />
Schreiben hervorgehen. Die L-OHG hat hier auf einen aus ihrer<br />
Sicht bereits geschlossenen Vertrag Bezug genommen.<br />
ee) Das Bestätigungsschreiben wurde auch unmittelbar im Anschluss<br />
an die Vertragsverhandlungen versendet.<br />
ff) Die L-OHG müsste zudem schutzwürdig sein. Denn die Figur<br />
des Bestätigungsschreibens lädt dazu ein, dem anderen Teil etwas<br />
„unterzujubeln“. Der Bestätigende könnte etwas anderes wiedergeben,<br />
als das, was dem tatsächlichen Verhandlungsergebnis<br />
entspricht, und hoffen, dass der andere Teil nicht widerspricht.<br />
Das ist so lange legitim, wie der Erklärende noch davon ausgehen<br />
kann, der Empfänger werde wegen dieser Abweichung nicht von<br />
der Gesamtvereinbarung Abstand nehmen. Wenn aber der Inhalt<br />
so grob von dem Verhandlungsergebnis abweicht, dass eine Billigung<br />
durch den anderen Teil als ausgeschlossen erscheinen<br />
muss, so muss dieser auch nicht widersprechen. Das Schweigen<br />
hat dann keine Erklärungswirkung. Wenn - wie im vorliegenden<br />
Sachverhalt - keine Anhaltspunkte für eine treuwidrige Abweichung<br />
vorhanden sind, kann von der Redlichkeit des Absenders<br />
ausgegangen werden.<br />
gg) G dürfte dem Bestätigungsschreiben nicht unverzüglich widersprochen<br />
haben. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes<br />
Zögern, vgl. § 121 Abs. 1 BGB. Dabei wird schon der Zeitraum<br />
von einer Woche als zu lang angesehen. Hier hat G dem Bestätigungsschreiben<br />
nicht unverzüglich widersprochen.<br />
Damit ist der Kaufvertrag zwischen der L-OHG und G gemäß den<br />
Grundsätzen über das kaufmännische Bestätigungsschreiben zustande<br />
gekommen.<br />
Vgl. BGH NJW 1962, 104.
Wiss. Mit. RA Dr. Bernhard Ulrici<br />
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III. Der Kaufvertrag könnte jedoch als von Anfang an nichtig anzusehen<br />
sein, wenn er wirksam angefochten wurde, § 142 Abs. 1<br />
BGB. Dies setzt voraus, dass die Anfechtung nicht generell ausgeschlossen<br />
ist, d. h. das Rechtsgeschäft muss anfechtbar sein<br />
(1.). Außerdem muss ein Anfechtungsgrund bestehen (2.).<br />
1. Da G hier eine Erklärung anfechten will, die in einem Schweigen<br />
besteht, stellt sich die Frage, ob die auf Willenserklärungen<br />
zugeschnittenen §§ 119 ff. BGB überhaupt zur Anwendung gelangen<br />
können. Eine Anfechtung ist ohne weiteres möglich, wenn das<br />
Schweigen kraft Parteivereinbarung als Willenserklärung anzusehen<br />
ist. Aber auch in den Fällen, in denen Schweigen als Zustimmung<br />
anzusehen ist und deshalb vergleichbar einer<br />
Willenserklärung Rechtswirkungen zeitigt, sind die §§ 119 ff. BGB<br />
analog nach h. M. anwendbar. Der Schweigende soll nicht stärker<br />
gebunden sein als wenn er ausdrücklich zugestimmt hätte. Deshalb<br />
muss die Anfechtung eines Schweigens grundsätzlich als<br />
zulässig angesehen werden.<br />
2. Es müsste ein Anfechtungsgrund vorliegen. In Betracht<br />
kommt ein Irrtum des G über die rechtliche Tragweite des Schweigens<br />
(§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB – Inhaltsirrtum). Wäre dieser Anfechtungsgrund<br />
beachtlich, so würde das die mit dem<br />
kaufmännischen Bestätigungsschreiben verknüpfte Fiktionswirkung,<br />
welche den Gepflogenheiten des Handelsverkehrs Rechnung<br />
tragen soll, konterkarieren. Deshalb verneint die ganz<br />
herrschende Ansicht eine hierauf gestützt Anfechtung und zieht<br />
eine Parallele zum unbeachtlichen Rechtsfolgeirrtum. G konnte<br />
den Vertrag deshalb nicht anfechten.<br />
Exkurs zur Anfechtung beim kfm. Bestätigungsschreiben<br />
1. Einigkeit besteht darüber, dass eine Anfechtung wegen eines Irrtums über die<br />
Bedeutung des Schweigens nicht möglich ist. Es handelt sich dabei um einen<br />
unbeachtlichen Rechtsfolgeirrtum (s.o.).<br />
2. Eine Anfechtung wegen Drohung oder arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1<br />
BGB) ist regelmäßig nicht erforderlich, weil die Wirkungen des kaufmännischen<br />
Bestätigungsschreibens wegen fehlender Schutzwürdigkeit des Erklärenden nicht<br />
eintreten (vgl. oben Prüfungspunkt III 2 b ee).<br />
3. Ein Anfechtungsrecht ergibt sich aber auch nicht daraus, dass nach Auffassung<br />
des Empfängers das Bestätigungsschreiben und die vorherige Vereinbarung nicht<br />
übereinstimmen. Denn diese Abweichungen sollen vom kaufmännischen Bestätigungsschreiben<br />
gerade „aufgefangen“ werden!<br />
4. Umstritten ist hingegen, ob der Empfänger des kaufmännischen Bestätigungsschreibens<br />
anfechten kann, weil er sich über den Inhalt des Schreibens geirrt und<br />
deshalb geschwiegen hat. Eine Literaturmeinung (vgl. Hopt in Baumbach/Hopt,<br />
HGB, § 346 Rn. 33) bejaht hier die Anfechtungsmöglichkeit und einen Anfechtungsgrund<br />
gemäß § 119 Abs. 1 BGB analog. Der Empfänger dürfe nicht schlechter<br />
gestellt werden als er stünde, wenn er seinen Willen ausdrücklich erklärt hätte.<br />
Die Gegenansicht lehnt eine Anfechtbarkeit ab. Der Absender soll in seinem Vertrauen<br />
geschützt sein, dass der Empfänger das Schreiben richtig liest. Da das<br />
Schreiben spätere Beweisschwierigkeiten vermeiden soll, muss es auch sorgfältig<br />
gelesen werden. Eine Anfechtung lässt sich deshalb mit dem Zweck des kaufmännischen<br />
Bestätigungsschreibens nicht vereinbaren.
Wiss. Mit. RA Dr. Bernhard Ulrici<br />
Sachverhalte und <strong>Lösung</strong>en bauen auf den Unterlagen von Prof. Dr. Tim Drygala aus dem SS 2009 auf<br />
LEO BGB-I – Rechtsgeschäftslehre und Allgemeines Schuldrecht (Sommersemester 2011)<br />
Ergebnis: Die L-OHG kann von G Zahlung von 21.216,30 Euro<br />
gemäß § 433 Abs. 2, § 124 Abs. 1 HGB verlangen.<br />
Aktuelle Urteile zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben<br />
BGH v. 27.01.2011, VII ZR 186/09: „Der Vertretene, der auf Einladung zu einem Termin zur Verhandlung<br />
über einen bereits geschlossenen Vertrag einen Vertreter ohne Vertretungsmacht entsendet, muss sich<br />
dessen Erklärungen nach den zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben entwickelten Grundsätzen zurechnen<br />
lassen, wenn er den im über die Verhandlung erstellten Protokoll enthaltenen und unterschriebenen<br />
Erklärungen des Vertreters nicht unverzüglich nach Zugang des Protokolls widerspricht.“<br />
BGH, WM 2007, 303: „Welche Bedeutung dem Schweigen auf ein Schreiben, das kaufmännische Vereinbarungen<br />
wiedergibt, beizumessen ist, wenn um Gegenbestätigung gebeten wurde, lässt sich nicht allgemein<br />
entscheiden, sondern ist im Einzelfall zu prüfen. Die Bitte um Gegenbestätigung bringt keineswegs zwangsläufig<br />
oder auch nur regelmäßig zum Ausdruck, dass der Inhalt des Schreibens einen Vertragsinhalt nur<br />
dann verbindlich festlegen soll, wenn die Gegenbestätigung erfolgt. Mit der Bitte um Gegenbestätigung kann<br />
auch lediglich das für den Empfänger erkennbare Anliegen des Absenders verbunden sein, einen urkundlichen<br />
Beweis für den Zugang seines Schreibens und den Vertragsschluss in die Hände zu bekommen.“<br />
OLG Koblenz v. 26.6.20<strong>06</strong> - 12 U 685/05 (juris): „Die Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens<br />
sind über Kaufleute hinaus auch auf jeden anzuwenden, der ähnlich wie ein Kaufmann am<br />
Rechtsverkehr teilnimmt. Das gilt für beide Seiten der geschäftlichen Verhandlungen. Es ist anerkannt, dass<br />
im Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben in der Regel das Einverständnis mit seinem<br />
Inhalt liegt. Der Empfänger eines solchen Schreibens ist verpflichtet, Widerspruch gegen seinen Inhalt zu<br />
erheben, wenn das Schreiben nicht als genehmigt angesehen werden soll. Der Empfänger eines Bestätigungsschreibens<br />
braucht aber dann nicht zu widersprechen, wenn sich der Inhalt des Schreibens so erheblich<br />
von dem Verhandlungsergebnis entfernt, dass der Absender mit dem Einverständnis des Empfängers<br />
redlicherweise nicht rechnen konnte.“