GL 1/2011 - der Lorber-Gesellschaft ev
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IMPRESSUM<br />
Herausgeber: <strong>Lorber</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> e.V.<br />
Verwaltungsanschrift: Postfach 114<br />
83731 Hausham / Deutschland<br />
Tel.: 08026-8624 / Fax: 08026-3294<br />
E-Mail-Anschrift: <strong>Lorber</strong>-<strong>Gesellschaft</strong>@web.de<br />
Internet-Seite: www.<strong>Lorber</strong>-<strong>Gesellschaft</strong>.de<br />
Schriftleitung: Klaus W. Kardelke<br />
Redaktion: Angelika Penkin<br />
SPENDENKONTEN<br />
INHALT<br />
Johann Scheffler Wo ist Jesus, mein Verlangen S. 2<br />
Klaus W. Kardelke Editorial S. 3<br />
Jakob <strong>Lorber</strong> Vom einzig wahren Schutzpatron S. 5<br />
Peter Keune Unsere Gedanken sind unser Schicksal S. 11<br />
Inge + Siegfried Starck Gotteserfahrung S. 21<br />
Jakob <strong>Lorber</strong> Gebet des Herzens S. 29<br />
Jakob <strong>Lorber</strong> Und hätte <strong>der</strong> Liebe nicht S. 30<br />
Dan Millman Geheimnis zwischen Himmel und Hölle S. 31<br />
Jakob <strong>Lorber</strong> Sollen wir Swedenborgs Büchern glauben S. 36<br />
Alexis Carrell Das Gebet S. 37<br />
Jakob <strong>Lorber</strong> Das Zeichen des Menschensohnes S. 47<br />
Helen Ros<strong>ev</strong>eare Das Gebet eines kleinen Mädchens S. 49<br />
Gerald Jampolsky Je<strong>der</strong> ist unser Lehrer S. 51<br />
Weisheitsgeschichten Der Bauer und <strong>der</strong> liebe Gott S. 52<br />
Die beste Übersetzung S. 53<br />
Das Auge S. 53<br />
Verschiedenes S. 54<br />
Jahrestagung <strong>der</strong> <strong>Lorber</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> S. 55<br />
Mit Namen des Verfassers versehene Beiträge müssen nicht mit <strong>der</strong> Auffassung <strong>der</strong><br />
Schriftleitung übereinstimmen.<br />
Die Zeitschrift erscheint viermal jährlich auf freiwilliger Spendenbasis.<br />
Beiträge richten Sie bitte an die Schriftleitung.<br />
Baden-Württemb. Bank AG Bietigheim-Bissingen<br />
Kto.: 7818500173 BLZ: 60050101<br />
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Kreisspark. Miesbach/Tegernsee Kto. 430 203 240 BLZ 711 525 70<br />
Creditanstalt Bankv. Graz (A) Kto 01873 312 101 BLZ 12 000<br />
Postscheckkonto Basel (CH) Kto. 80-50414-3
- Zeitschrift im Geiste christlicher Mystik -<br />
Jahrgang 31 <strong>2011</strong> Heft 1<br />
„Mache dich auf und werde licht!<br />
denn dein Licht kommt,<br />
und die Herrlichkeit des HERRN<br />
geht auf über dir.<br />
Denn siehe,<br />
Finsternis bedeckt das Erdreich<br />
und Dunkel die Völker;<br />
aber über dir geht auf <strong>der</strong> HERR,<br />
und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“<br />
(Jesaja 60,1-3)
2 Wo ist Jesus, mein Verlangen<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Wo ist Jesus, mein Verlangen<br />
Wo ist Jesus, mein Verlangen,<br />
mein Geliebter und mein Freund?<br />
Ach, wo ist Er hingegangen,<br />
wo mag Er zu finden sein?<br />
Meine Seele ist betrübet<br />
von viel Sünd´ und Ungemach:<br />
Wo ist Jesus, den sie liebet,<br />
den sie suchet Nacht und Tag?<br />
Er vertreibet Angst und Schmerzen,<br />
Er verteibet Sünd´ und Tod,<br />
wenn sie Quälen in dem Herzen;<br />
Er hilft uns aus aller Not.<br />
Liebster Jesu, lass Dich finden!<br />
Meine Seele ruft nach Dir.<br />
Ach, vergib mir meine Sünden,<br />
Heiland, zieh mich ganz zu Dir!<br />
Stille, Jesu, mein Verlangen!<br />
Sei und bleibe allzeit mein!<br />
Lass mich einzig Dir anhangen<br />
und dann ewig bei Dir sein!<br />
Johann Scheffler (1624 - 1677)
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Editorial<br />
3<br />
Editorial<br />
Ein neues Jahr lässt uns zurückblicken auf das vergangene<br />
und wir beschauen unser Tun und Trachten im Lichte <strong>der</strong><br />
christlichen Lehre. Als Christen sind wir im Werden, sind auf<br />
dem Weg zur Vollkommenheit, zur Gottähnlichkeit. Doch<br />
nur allzu klar wird uns bewusst, wie unvollkommen wir noch<br />
sind und wie wir unter uns selbst und unseren Fehlern und<br />
Schwächen leiden.<br />
Kamen wir im letzten Jahr unserem Herzen, unserem<br />
Klaus W. Kardelke<br />
Geschäftsführen<strong>der</strong><br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Lorber</strong>-<strong>Gesellschaft</strong><br />
göttlichen Wesen ein Stück näher, wurde unser Herz, unser inneres Wesen,<br />
lieb<strong>ev</strong>oller o<strong>der</strong> haben wir das Gefühl stillzustehen? Wer wird uns vor uns<br />
selbst erretten?<br />
Möge Gott uns doch endlich einmal verän<strong>der</strong>n, möge Er uns<br />
vervollkommnen und unsere Schwächen und Fehler in Stärken verwandeln.<br />
„Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen,<br />
gewissen Geist.“ (Ps. 51,10) mögen wir mit David ausrufen, <strong>der</strong> ebenfalls<br />
immer wie<strong>der</strong> an sich und Gott verzweifelte.<br />
Doch eben darin „liegt das große Geheimnis <strong>der</strong> Selbstgestaltung des<br />
Menschen!“ spricht <strong>der</strong> Herr, „alles kann Ich dem Menschen tun, und er<br />
bleibt Mensch; aber das Herz ist sein eigen, das er vollkommen selbst<br />
bearbeiten muss, so er das ewige Leben sich selbst bereiten will. Du musst<br />
daher zuerst die Hand an die Bearbeitung deines Herzens legen, sonst bist<br />
du verloren, – und hätte Ich dich tausendmal aus den Gräbern ins Leben<br />
des Fleisches gerufen!“ (GEJ.2;75,7-9)<br />
Wir sind also selbst aufgerufen unser Herz und Gemüt zu bilden. Gott<br />
kann dies nicht für uns tun, wir selbst müssen nach <strong>der</strong> Lehre des Herrn und<br />
mit seiner Gnade und Hilfe unser Herz durch die Liebe zu Ihm und zum<br />
Nächsten erneuern. So ruft uns Gott dann auch zu: „Schaffet euch ein<br />
neues Herz und einen neuen Geist.“ (Hes. 18,31)<br />
Auf unsere Herzensbildung und nicht auf die Bildung des Verstandes<br />
kommt es letztendlich an. Denn wir „haben wohl den Verstandesglauben,“<br />
spricht <strong>der</strong> Herr zu uns, „aber weit entfernt ist noch von ihnen ein gläubiges<br />
Herz. – Statt das Herz durchs Gefühl verständig und empfänglich zu machen,<br />
füllen sie nur immer mehr und mehr den Verstand. Dieser ist ihnen<br />
von lauter Lesen angeschwollen wie ein vollgefüllter Ball.“ (HiG.1 S.96,2)<br />
Wenn wir uns ernsthaft selbst betrachten, finden wir uns hier wie<strong>der</strong>, wie<br />
wir selbst des Herrn Wort mehr mit unserem Kopfverstand aufnehmen und<br />
unser Wissen vermehren wollen, anstatt mit demselben unser Herz und sein<br />
Gefühl in <strong>der</strong> Liebe zu erwecken.
4 Editorial<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Denn „nur ein rechtes Gefühl belebt alles und ordnet alles und gibt<br />
Ruhe und Seligkeit. Darum soll denn schon bei <strong>der</strong> anfänglichen Bildung<br />
des Menschen zum wahren Menschen vor allem auf sein Herz gesehen<br />
werden!“ (GEJ.3_242,8)<br />
Der Mensch hat ein doppeltes Erkenntnisvermögen, eines im Kopfe und<br />
eines im Herzen. Jedoch hat „des Menschen Kopfverstand keinen an<strong>der</strong>n<br />
Weg, als den <strong>der</strong> materiellen Anschauung und sinnlichen Betastung. Mit<br />
diesem Erkenntnisvermögen lässt sich nie das göttliche Wesen erfassen und<br />
begreifen.“ (RB.1_35,1-2)<br />
Das Erkenntnisvermögen jedoch, welches im Herzen wohnt, „heißt<br />
inneres Gemüt und besteht aus einem ganz eigenen Willen, aus <strong>der</strong> Liebe<br />
und aus einer diesen beiden Gemütselementen entsprechenden<br />
Vorstellungskraft.“ (RB.1_35,3), denn nur „im Herzen ruht die Liebe als ein<br />
Geist, aus Meines Herzens Geist genommen.“ (RB.2_279,5)<br />
Es gilt also das Herz in <strong>der</strong> Liebe und im Gefühle zu erwecken, denn nur<br />
dort können wir Gott, <strong>der</strong> die Liebe selbst ist, begegnen. „Erwecke dich im<br />
Herzen und wandle zu Ihm hin!“ (GEJ.4_77,9) sollte daher unser Wahlspruch<br />
lauten. Doch dazu ist ein neues Denken nötig, nicht ein Denken und Wissen<br />
im Kopfverstande, son<strong>der</strong>n ein Denken und Fühlen im Herzen.<br />
„Habe Ich doch schon oft zu euch gesagt, dass ihr nicht im Kopfe,<br />
son<strong>der</strong>n nur im Herzen sollet Gedanken zu fassen anfangen, um zur<br />
Wahrheitsfülle zu gelangen, die euch wahrhaft lebensfrei machen<br />
würde!“ (GEJ.3_184,9)<br />
Doch wie können wir mit dem Herzen denken und den Verstand des<br />
Herzens zu Rate ziehen? Der Herr rät uns: „Um im Herzen denken zu<br />
können, muss man eine eigene Übung haben; diese besteht in <strong>der</strong> stets<br />
erneuerten Erweckung <strong>der</strong> Liebe zu Gott.“ (RB.1_35,6)<br />
„Mein Reich ist in eines jeden Menschen kleines Herz gelegt. Wer da<br />
hineinkommen will, muss also in sein eigenes Herz eingehen… Der ganze<br />
Weg beträgt höchstens drei Spannen Maß: die Entfernung vom Kopf bis<br />
ins Zentrum des Herzens!“ (RB.2_278,4+6)<br />
Nur durch das tägliche Üben <strong>der</strong> Stille und das liebende Versenken in<br />
das eigene Herz, dem Zentrum unserer göttlichen Wesenheit, sowie durch<br />
die tätige Gottes- und Nächstenliebe, erwecken wir uns selbst mit Gottes<br />
Hilfe aus unserem alltäglichen Schlaf zum ewigen vollbewussten Leben.<br />
„Also aber ist <strong>der</strong> Weg, und das ist das alleinige Weckmittel des<br />
Geistes, dass ihr alle euch im Herzen, das heißt in <strong>der</strong><br />
allervollkommensten Liebe, an den allerheiligsten Vater wendet voll<br />
Vertrauen und voll gerechter, uneigennütziger Treue.“ (HGt.2_56,11)<br />
Euer Klaus Kardelke
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Vom einzig wahren Schutzpatron<br />
5<br />
Vom einzig wahren Schutzpatron<br />
So jemand an die Hilfe und Führung von gewissen Schutzgeistern und<br />
Engeln glaubt, <strong>der</strong> ist gleich dem, <strong>der</strong> da wohl kennt den Monarchen, dass<br />
er überaus gut ist, aber aus Furcht, es möchte dem Monarchen vielleicht<br />
doch nicht recht sein, dass er ihn selbst belästigen würde mit seiner<br />
vermeintlichen Ungeschicklichkeit, so schlingt er sein Band um an<strong>der</strong>e<br />
Schutz- und Hilfswesen und glaubt am Ende, dass diese ihm in allem<br />
Ernste allein geholfen o<strong>der</strong> ihn vor Gefahren geschützt haben, während<br />
doch nur <strong>der</strong> Monarch als <strong>der</strong> Hauptbauherr dem Schwachgläubigen seine<br />
Hilfe und seinen Schutz durch diejenigen hat zuteil werden lassen, auf<br />
welche sich <strong>der</strong> Schwachgläubige berufen hat.<br />
Denket das einmal so recht in euch! Ihr wisset, dass alle Menschen und<br />
alle Geister und Engel nichts sind, als von Mir frei getragene Gedanken,<br />
die allezeit ihr Leben und ihr alles aus Mir haben, und zwar ein je<strong>der</strong> so<br />
viel, als es Meiner ewigen Ordnung gemäß für ihn gerade am<br />
zweckdienlichsten ist.<br />
Wenn aber nun einer kommt zu dem an<strong>der</strong>n und sagt ihm: „Helfe mir in<br />
diesem und jenem!“ – und wenn dann <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e dem Anrufenden wie aus<br />
sich helfen will, ist das nicht gerade so, wie wenn ein Blin<strong>der</strong> den an<strong>der</strong>n<br />
führen und ein Toter dem an<strong>der</strong>n das Leben einhauchen o<strong>der</strong> ein<br />
Übertrauriger den an<strong>der</strong>n Übertraurigen trösten möchte?<br />
Ich sage euch, es hat je<strong>der</strong> Mensch, Geist und Engel genug, dass er für<br />
sich steht, und hat auch nicht ein Atom mehr, dass er aus sich für einen<br />
an<strong>der</strong>en stehen könnte.<br />
Wer aber zu Mir kommt, mit was immer für einem Bedürfnisse und<br />
schlingt das lebendige Band des Glaubens um Mich, den allein<br />
Lebendigen, wie soll dem nicht werden, darum er sich mit Mir durch den<br />
lebendigen Glauben verband?<br />
Es gibt demnach auf dem Wege <strong>der</strong> reinen Wahrheit nur einen<br />
einzigen wahren Schutzgeist – und dieser bin Ich Selbst!<br />
Alle an<strong>der</strong>en „Schutzgeister“ rühren her von einem durch<br />
gewinnsüchtige Anstalt <strong>der</strong> äußeren Kirche hervorgerufenen<br />
Schwachglauben.<br />
Da sich aber Menschen darauf berufen haben, sich noch jetzt berufen<br />
und in die Zukunft berufen werden, so bleibt vor<strong>der</strong>hand, um die Freiheit<br />
<strong>der</strong> Menschen unbeschadet zu lassen, nichts an<strong>der</strong>es übrig, als den<br />
Schwachgläubigen auf dem Wege <strong>der</strong> vermeintlichen Dazwischenkunft<br />
(Mittlerschaft) Meine Hilfe und Vorsehung angedeihen zu lassen.<br />
Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Seite müsset ihr aber nicht denken, dass darob die
6 Vom einzig wahren Schutzpatron<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Liebetätigkeit <strong>der</strong> Seligen aufhört. Sie ist nur nicht also beschaffen, wie es<br />
<strong>der</strong> Schwachglaube lehrt. Son<strong>der</strong>n weil alle die Seligen in Mir sind, wie<br />
Ich in ihnen, so sind sie auch von einer und <strong>der</strong>selben Liebe ihres heiligen<br />
Vaters beseligt und für alle ewige Zeiten belebt.<br />
Es lebt nicht ein Mensch auf dieser Erde, dem nicht Geister aus einer<br />
besseren Welt beigegeben wären. Und diese Geister sind auch beständig<br />
bemüht, denjenigen, zu dem sie beschieden sind, zum Lichte und zum<br />
Leben alles Lebens zu führen.<br />
Aber woher rühret und was ist dieses überaus liebtätige Bestreben<br />
solcher Geister? – Bin nicht Ich es, <strong>der</strong> alles dieses in ihnen wirket?<br />
Wie ist es hernach doch ungerecht, wenn <strong>der</strong> Mensch Mich umgeht und<br />
Hilfe sucht bei denen, die aus sich nichts haben, son<strong>der</strong>n alles nur aus Mir!<br />
Was will aber <strong>der</strong> Mensch an<strong>der</strong>wärts suchen, wenn er weiß, dass Ich<br />
als <strong>der</strong> Allerhöchste mit ihm ein Mensch, ja ein Bru<strong>der</strong> sogar werden<br />
mochte, damit er daraus ersehen sollte, dass Ich, mehr denn ein je<strong>der</strong><br />
Mensch, von ganzem Herzen demütig und sanftmütig und überaus<br />
herablassend bin und nicht bin ein Gott in <strong>der</strong> Ferne, son<strong>der</strong>n ein Vater<br />
und Bru<strong>der</strong> euch zuallernächst – so dass euer eigenes Leben euch ferner<br />
ist, als Ich Selbst.<br />
Es sei denn, dass <strong>der</strong> Mensch im Ernste lebensscheu geworden ist und<br />
hat sich mit dem Tode befreundet, dass er dann nicht mag das wahre<br />
Leben ergreifen und greifet in die Ferne und durch große Umwege nach<br />
dem, was ihm doch zuallernächst ist und ihn beständig sozusagen auf den<br />
Händen trägt. Denn auf eine an<strong>der</strong>e Art möchte es wohl die höchste<br />
Weisheit (gleichalso wie einen viereckigen Kreis) als rein unmöglich<br />
finden, dass ein Mensch, <strong>der</strong> das Leben liebt, es nicht vor allem (da er es<br />
doch kann, so er es nur will) in <strong>der</strong> Wurzel erfassen möchte.<br />
Gehet aber zurück und fraget ein jegliches Evangelium, fraget alle<br />
Apostel und an<strong>der</strong>e Verbreiter Meines Wortes und zeiget Mir irgendeine<br />
Stelle, in welcher da gelehret wurde, sich auch an gewisse „Schutzgeister“<br />
neben Mir zu halten. O<strong>der</strong> heißt es im Evangelium nicht vielmehr:<br />
„Kommet alle zu Mir, die ihr mühselig und beladen seid, denn Ich will<br />
euch alle erquicken!“<br />
Ist in dieser Einladung jemand ausgenommen o<strong>der</strong> jemand dem Schutze<br />
<strong>der</strong> Engel anbefohlen? – Gewiss nicht! – Was da gesagt ist, ist gesagt für<br />
die ganze Unendlichkeit und für die ganze Ewigkeit!<br />
Wer aber von euch möchte dann noch behaupten, dass dieses Mein<br />
Wort nicht vollkommen ist, o<strong>der</strong> dass Ich damals nicht alles gehörig<br />
erwogen habe und Mich erst in späterer Zeit eines besseren besonnen? –<br />
Eine solche Mutmaßung würde sogar jeden weltlichen Herrscher ärgerlich
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Vom einzig wahren Schutzpatron<br />
7<br />
machen, <strong>der</strong> doch unvollkommen ist in jeglichem Worte aus sich. Wie<br />
möchte sie dann, auf Mich angewendet, sich ausnehmen!?<br />
Sehet, daher ist ein solcher (Schutzpatronen-)Glaube gleich einer<br />
Schmarotzerpflanze auf dem Baume des Lebens. – Wer aber möchte<br />
behaupten, dass die Schmarotzerpflanze von irgendwo an<strong>der</strong>s, denn aus<br />
dem Baume, auf dem sie sitzt, ihr Leben saugt?<br />
Was aber ist die Frucht des Baumes, und was die Frucht <strong>der</strong><br />
Schmarotzerpflanze? – Nur auf dem Baume wächst die wahre Frucht. Wer<br />
sie isst, dem gereicht sie zum Leben. Aber was die Frucht <strong>der</strong><br />
Schmarotzerpflanze betrifft, so kann ihr Saft höchstens dazu dienen, um,<br />
wenn es möglich wäre, selbst die Vögel des Himmels für den Tod zu<br />
fangen.<br />
Sehet, also geht es mit allem, was nicht mit Mir sich verbindet, d.h. das<br />
nicht mit Mir vom Grunde aus auferbauet wird! Da ist das eine entwe<strong>der</strong><br />
ein übertünchtes Haus o<strong>der</strong> es ist eine Schmarotzerpflanze auf dem Baume<br />
des Lebens, wovon eines so viel nütze ist wie das an<strong>der</strong>e.<br />
Ich allein bin <strong>der</strong> Weg, die Wahrheit und das Leben! Wer nicht mit<br />
Mir sammelt, <strong>der</strong> zerstreuet!<br />
Eine Rebe, die vom Weinstocke getrennt ist, wird sie nicht alsobald<br />
verdorren und nie eine Frucht bringen? – Wer daher etwas benötiget, <strong>der</strong><br />
komme zu Mir und glaube, so wird er es erhalten!<br />
Wen irgendein Zweifel drückt, <strong>der</strong> denke, dass <strong>der</strong> Zweifel nur eine<br />
Folge dessen ist, dass jemand nicht mit Mir wandelt und sich nicht von<br />
Mir ziehen lässt. Wer aber einen Zweifel hat, <strong>der</strong> komme zu Mir und<br />
glaube, so wird ihm Licht werden in dem, worüber er gezweifelt hat.<br />
Wer da blind ist und taub und lahm und gichtbrüchig und stumm und<br />
besessen, <strong>der</strong> komme zu Mir und glaube, so wird er gewiss die<br />
allersicherste Hilfe finden!<br />
Aber wohlgemerkt, Ich bin kein kleiner, son<strong>der</strong>n ein übergroßer Gott.<br />
Wer Mich daher erfassen will, <strong>der</strong> breite seine Arme weit aus, d.h. <strong>der</strong><br />
muss Mich vollkommen umfassen und nicht nur denken, dass Ich helfen<br />
könnte, so Ich wollte. Son<strong>der</strong>n er muss denken, dass Ich auch allezeit am<br />
allermeisten helfen will. – Wenn er solches in sich vereinigen wird, so<br />
wird sein Glaube erst recht lebendig.<br />
Es dürfte aber vielleicht, d.h. nach eurem Maßstabe gesprochen, hie<br />
und da manchem beifallen, dass er seinen Glauben bezöge auf so manche<br />
Schutzgeister-Erscheinungen, beson<strong>der</strong>s auf die im Reiche des so<br />
genannten Somnambulismus vorkommenden.<br />
Da sage Ich: Diese bei solcher Gelegenheit vorkommenden<br />
schutzgeisterhaften Erscheinungen sind nichts an<strong>der</strong>es als Schöpfungen
8 Vom einzig wahren Schutzpatron<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
des eigenen Glaubens und haben große Ähnlichkeit mit jenen Träumen, in<br />
welchen dem Menschen unter allerlei Umständen das bildlich und lebendig<br />
zu Gesichte kommt, worüber er im wachen Zustande äußerst lebhaft, nicht<br />
in seinem Verstande, son<strong>der</strong>n in seinem Gemüte, gedacht hat.<br />
Wie aber auf <strong>der</strong> einen Seite diese Traumgebilde etwas sind, so ist auch<br />
solche besagte Erscheinung bei den Somnambulen nicht bloß eine leere<br />
Erscheinung, son<strong>der</strong>n sie ist auch etwas Wirkliches. – Aber was ist dieses<br />
Wirkliche? – Dieses Wirkliche ist nichts als eine Schöpfung des eigenen<br />
Glaubens in Verbindung mit <strong>der</strong> alles realisierenden Liebe.<br />
Denn es kann kein Mensch bei was immer eine Hilfe suchen, dass er<br />
nicht zuvor glaubete und dann dasselbe mit seinem Gemüte liebend und<br />
vertrauend umfassete. Und es kann schon ein materieller Bildner keine<br />
Figur zuwegebringen, die er nicht zuvor gewisserart in sich selbst<br />
erschaffen hat.<br />
Wie hat er es aber erschaffen? – Er dachte sich zuerst irgendeinen<br />
Gegenstand. Dieser Gegenstand behagte ihm. Da er ihm aber behagt, so<br />
erfasst er ihn in seinem Gemüte und ward gewisserart verliebt in seine<br />
Idee. Wie er aber seine Idee mit <strong>der</strong> Liebe umfasst hat, so wird er sie auch,<br />
wenn er an<strong>der</strong>s die Fähigkeit dazu besitzt, unfehlbar ins Werk setzen.<br />
Nun sehet, also geht es mit allen Erscheinlichkeiten, beson<strong>der</strong>s in dem<br />
so genannten somnambulen Zustande, in welchem nur dann die<br />
Gesichtstäuschungen aufhören und die Eigenschöpfungen sich wie Nebel<br />
verflüchtigen, wenn nicht nur die Seele, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> lebendige Geist <strong>der</strong><br />
Somnambulen erwacht, in welchem Zustand (<strong>der</strong> freilich etwas selten<br />
vorkommt) dann die Somnambulen gar wenig mehr von all den früher<br />
beobachteten „Schutzgeistern“ usw. Erwähnung machen werden, da <strong>der</strong><br />
Geist im klaren Schauen nur den einzigen und alleinigen großen<br />
Schutzgeist aller Schutzgeister sieht, hört und anerkennt.<br />
Was aber neben den somnambulen (Schutzgeister-)Erscheinungen noch<br />
jene mönchschwärmerischen betrifft, da werdet ihr doch schon selbst so<br />
viel weise Klugheit besitzen und nicht, gleich den Heiden, des<br />
übertörichten Glaubens sein, alle diese Schwärmereien an <strong>der</strong> lichtvollsten<br />
Seite Meines Wortes als bare Münze anzunehmen und am Ende gar noch<br />
eines Viertelsglaubens sein, als könnten sogar hölzerne, steinerne und<br />
gemalte Bil<strong>der</strong> von gewissen „Schutzpatronen“ euch eine Hilfe leisten.<br />
Ich sage euch: Ein solcher Glaube ist nicht um ein Haar besser als jener<br />
<strong>der</strong> Baalsdiener! – Wenn <strong>der</strong> lebendige Mensch, schon seinem Bru<strong>der</strong><br />
nicht helfen kann, und es in <strong>der</strong> Schrift heißt, dass alle Menschenhilfe<br />
nichts nütze – was sollte da erst ein geschnitztes Holz o<strong>der</strong> eine<br />
an<strong>der</strong>sartige tote Materie leisten?
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Vom einzig wahren Schutzpatron<br />
9<br />
O<strong>der</strong> möchtet ihr etwa gar <strong>der</strong> Meinung sein, es stecken bei solchen<br />
helfenden Gelegenheiten die „Schutzgeister“ selbst in ihren materiellen<br />
Abbil<strong>der</strong>n? – Davon mag euch dieses wenige zur Übergenüge verneinend<br />
überzeugen.<br />
Nehmet z.B. das beste Bild, das Mich Selbst am Kreuze hängend<br />
darstellt, zählet alle die Kruzifixe in <strong>der</strong> katholischen und auch an<strong>der</strong>n<br />
christlichen Welt, <strong>der</strong>en es schon manchesmal in einem einzigen Hause<br />
mehrere Dutzende gibt von verschiedener Größe – sollten nun alle diese<br />
Bil<strong>der</strong> zusammen mehr helfen als eines, o<strong>der</strong> sollten die größeren mehr<br />
Kraft haben als die kleineren?<br />
O<strong>der</strong> sollten vielleicht die geweihten Christusse kräftiger sein als die<br />
ungeweihten – und das geweihte Bild in einem Hochaltar noch bei weitem<br />
kräftiger, als ein an<strong>der</strong>es in einer Seitenkapelle?! – Sehet ihr die Albernheit<br />
nicht auf den ersten Blick?<br />
Wenn aber schon Ich, als <strong>der</strong> lebendige Helfer Selbst, keines<br />
Menschen, ja nicht einmal eines Engels und noch viel weniger eines<br />
geschnitzten Bildes bedarf (denn so Ich helfe, da helfe Ich im Geist und in<br />
<strong>der</strong> Wahrheit, nicht aber im Holze, im Stein und in <strong>der</strong> Farbe!) – was<br />
können demnach erst die Abbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> „Schutzgeister“ für Kraft und<br />
Wirkung haben, da die „Schutzgeister“ selbst an und für sich durchaus<br />
keine helfende Kraft und Wirkung haben?<br />
Setzen wir aber den Fall, sie hätten nach dem Schwachglauben<br />
irgendeine helfende Kraft aus sich, würden aber angefleht zu gleicher Zeit<br />
von vielen hun<strong>der</strong>ttausend Menschen, die da knien vor ihren Bildnissen –<br />
wie müsste da ein solcher unteilbarer Schutzgeist durch alle seine<br />
Bildnisse herumblitzen, um mit seiner Hilfe nirgends zu spät zu kommen!<br />
O<strong>der</strong> meinet ihr, ein Geist kann überall gleichzeitig gegenwärtig sein? –<br />
Der ewige Geist kann solches wohl, da alle Dinge in Ihm sind. Aber ein<br />
geschaffener Geist wird solches ewig nie können, dieweil er, im Verhältnis<br />
zu Mir, nur ein endlicher Geist ist.<br />
Welcher Mensch aber kann tausend Gedanken auf einmal denken? – Es<br />
ist aber das Denken ja nur ein Werk des Geistes und ein Schauen <strong>der</strong><br />
Seele, die da in sich aufnimmt entwe<strong>der</strong> die Gedanken o<strong>der</strong>, besser, die<br />
geistigen Werke aus dem Geiste, wie äußerlich die großen Gedanken o<strong>der</strong><br />
sichtbaren Werke des ewigen Gottesgeistes. So aber in euch <strong>der</strong> Geist nur<br />
einfach o<strong>der</strong> nacheinan<strong>der</strong> einen Gedanken um den an<strong>der</strong>n denken kann,<br />
so ist er ja selbst nur einfach und unteilbar und kann dadurch Meine<br />
Werke, die Ich mit einem Gedanken in <strong>der</strong> größten Klarheit festhalte, nur<br />
nach und nach erschauen und wird mit diesem Erschauen auch in alle<br />
Ewigkeiten nicht fertig werden. – Wie möchte er erst hernach als irgendein
10 Vom einzig wahren Schutzpatron<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
„Schutzpatron“ in all den Bildnissen gleichkräftig helfend und auch<br />
gleichzeitig zugegen sein?<br />
Es werden aber die (Menschen-)Geister, die in die an<strong>der</strong>e Welt gelangt<br />
sind, nur mühsam geheilt von dieser Schutzgeister-Krankheit. Und es<br />
geschieht sehr oft, dass ihnen alle die vermeintlichen „Schutzgeister“<br />
müssen aus dem Wege geräumt werden. Denn wenn solches nicht<br />
geschähe, so würden Mich die meisten Römisch-Katholischen fliehen und<br />
sich zu ihren Schutzgeistern wenden.<br />
Ich darf nicht weit zurückgreifen, son<strong>der</strong>n gerade jetzt, da ihr dieses<br />
schreibet, rennen die armen Geister bunt durcheinan<strong>der</strong> und suchen ihre<br />
„Patrone“ mit allem Eifer. Mich aber, <strong>der</strong> Ich ihnen sichtbar wie ein<br />
Bru<strong>der</strong> und lieb<strong>ev</strong>ollster Vater entgegenkomme und ihnen zurufe, dass nur<br />
Ich es bin, den allein sie zu suchen und zu finden haben, Mich fliehen sie<br />
in allem Ernste, und die Mutigeren bitten Mich sogar, Ich möchte sie zu<br />
ihren Schutzgeistern bringen.<br />
Sehet, wenn solche Torheit sogar bei den Geistern, die schon jenseits<br />
wohnen, sich also stark vorfindet, welche Belege gegen solche Torheit<br />
mögen dann wohl all die („Schutzgeister-)Erscheinungen“ auf dieser<br />
materiellen Welt liefern, und zwar dem, <strong>der</strong> nach dem Geiste <strong>der</strong><br />
lebendigen Liebe und <strong>der</strong> lebendigen Wahrheit im Glauben trachtet?<br />
Daher, so euer Haus schadhaft ist o<strong>der</strong> ihr irgendeinen Schaden<br />
befürchtet, so wendet euch nur allezeit an Mich, <strong>der</strong> Ich bin <strong>der</strong><br />
allerverständigste Seelenhausbaumeister und <strong>der</strong> am sichersten helfende<br />
Schutzgeist aller Schutzgeister – und ihr könnet versichert sein, dass, wenn<br />
Ich ein Haus nie<strong>der</strong>reiße, Ich es auch zu den allerbilligsten Preisen und am<br />
allerehesten werde gewiss fest genug wie<strong>der</strong> aufzubauen vermögen.<br />
Und denket, dass ein Monarch wie Ich durchaus keine Vermittler<br />
benötigt, son<strong>der</strong>n: Ich bin alles in allem Selbst!<br />
Und wer zu Mir will, <strong>der</strong> komme, und er wird Mich allzeit zu Hause<br />
treffen, und zwar gerade also, wie wenn Ich nichts zu tun hätte, als dem<br />
Mich Suchenden allein zu dienen.<br />
Also vertrauet und bauet auf Mich! Denn Ich bin ein fester Grund!<br />
Wer auf diesen Grund bauet, dessen Haus wird ewig nimmer leck<br />
werden. Denn wer das Material aus Mir nimmt, <strong>der</strong> hat es lebendig, wie<br />
Ich Selbst <strong>der</strong> allein Lebendige bin und das Leben gebe jedem, <strong>der</strong> es bei<br />
Mir sucht.<br />
Suchet es auch ihr bei Mir, so werdet ihr leben ewig! Amen. – Das sagt,<br />
<strong>der</strong> allein das Leben hat und gibt. Amen. (HiG. 1_S.379)
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Unsere Gedanken sind unser Schicksal<br />
11<br />
Unsere Gedanken sind unser Schicksal<br />
Peter Keune<br />
Ein bekannter Spruch lautet:<br />
Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Deine Worte.<br />
Achte auf Deine Worte, denn sie werden Deine Handlungen.<br />
Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten.<br />
Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter.<br />
Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.<br />
Ich aber frage, was bestimmt eigentlich unsere<br />
Gedanken? Es sind unsere Neigungen! Die Gedanken sind<br />
wie Ausdrucksformen unserer Gefühle o<strong>der</strong> noch exakter,<br />
<strong>der</strong> Liebe und <strong>der</strong> aus ihr hervorgehenden Willensstrebungen.<br />
Peter Keune<br />
Vortragredner und<br />
Kenner <strong>der</strong> NO,<br />
lebt in Berlin<br />
Insofern ist unsere Gedankenwelt Ausdruck unseres Denkens, Fühlens und<br />
Wollens und damit des eigentlichen Lebens in uns.<br />
Für unser irdisches Leben ist es nützlich, sich diesen Zusammenhang<br />
von Neigung und Denken klar zu machen. Allzu oft halten wir unsere<br />
Gedanken für flüchtige Gebilde, die keine unmittelbaren Konsequenzen<br />
haben. Ganz an<strong>der</strong>s sieht es in <strong>der</strong> jenseitigen Welt aus. Dort können wir<br />
den unmittelbaren Wirkungen unseres Denkens nicht entgehen. Nach den<br />
Aussagen des Herrn durch Jakob <strong>Lorber</strong> lebt ein Mensch, <strong>der</strong> ohne geistige<br />
Reife ins Jenseits kommt, in einer Art Traumleben, gebildet aus seinen<br />
Neigungen, Trieben und den daraus hervorgehenden Gedanken.<br />
Nachfolgend werden einige jenseitige Begebenheiten aufgezeigt, die<br />
aus <strong>der</strong> Sphäre des „Bischof Martin“ entnommen sind, um die Tragweite<br />
<strong>der</strong> Gedankenkräfte aufzuzeigen.<br />
Zum Verständnis ist aber wichtig, sich zuerst einmal über die<br />
Unterschiede zwischen dieser und <strong>der</strong> jenseitigen Welt im Klaren zu sein.<br />
Im Allgemeinen herrscht die Vorstellung, „Himmel und Hölle“ seien<br />
bestimmte Örtlichkeiten. Diese Annahme rührt von den Erfahrungen aus<br />
dieser Welt her, wo es eine vom Einzelnen unabhängige Natur gibt, die<br />
bestimmten Naturgesetzen gehorcht. Wenn jedoch Menschen die Natur<br />
betrachten, wird diese von ihnen subjektiv wahrgenommen, d.h., je nach<br />
Stimmungslage als schön, erhebend, bedrohlich, langweilig etc. Es ist<br />
sicher auch nicht zu leugnen, dass es zwischen <strong>der</strong> „objektiven“ Natur und<br />
<strong>der</strong> „subjektiven“ Wahrnehmung eine Korrespondenz gibt, also eine<br />
gegenseitige Beeinflussung, weil die Natur ja durchaus lebt und reagiert.<br />
Trotzdem stellen die Naturgesetze eine Vorgabe dar, die nicht<br />
vernachlässigt werden kann. Wenn ich beispielsweise aus 10 m Höhe auf<br />
eine Straße springe, werde ich mit ziemlicher Sicherheit tot sein. Hier
12 Unsere Gedanken sind unser Schicksal<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
wirkt das Gesetz <strong>der</strong> Schwerkraft, das ich in einem solchen Fall nicht<br />
außer Kraft setzen könnte. Um es kurz zu sagen, im Diesseits haben wir es<br />
mit einer Welt zu tun, die Gott für uns zur seelischen Ausreifung<br />
eingerichtet und gestaltet hat, im Jenseits ist es unsere eigene Welt, in <strong>der</strong><br />
wir leben.<br />
Aus <strong>der</strong> Neuoffenbarung erfahren wir, wie an<strong>der</strong>s als hier die geistigen<br />
Gesetzmäßigkeiten <strong>der</strong> jenseitigen Welt beschaffen sind. Diese Welt wirkt<br />
wie eine Projektionsfläche unserer Innenwelt. D.h., wir erschauen nicht<br />
äußere, von uns mehr o<strong>der</strong> weniger unabhängige Gegebenheiten, son<strong>der</strong>n<br />
befinden uns inmitten <strong>der</strong> Spiegelbil<strong>der</strong> unserer eigenen Seelenwelt und<br />
unserer Phantasien. Wir können uns also nicht auf eine von uns<br />
unabhängige Realität wie auf <strong>der</strong> Erde stützen, son<strong>der</strong>n sind in unserer<br />
Vorstellungswelt gefangen und damit fern je<strong>der</strong> Objektivität. In <strong>der</strong><br />
diesirdischen Welt gleichen wir uns den Gegebenheiten <strong>der</strong> Umwelt an,<br />
dort aber passt sich diese unserem Zustand an! In <strong>der</strong> jenseitigen Welt ist<br />
es von daher wesentlich schwieriger, eine positive, auf die Liebe und<br />
Weisheit Gottes ausgerichtete Entwicklung zu machen, weil wir in unseren<br />
eigenen Gedankenbil<strong>der</strong>n festgehalten werden. Wie schwer es ist, aus<br />
diesen herauszutreten, um neuen Erkenntnissen gegenüber aufgeschlossen<br />
zu werden, zeigen die dargestellten Situationen in <strong>der</strong> jenseitigen Führung<br />
von Bischof Martin. Hätte <strong>der</strong> Herr nicht persönlich Hand angelegt, hätte<br />
Martin niemals gerettet werden können.<br />
Allerdings muss man sich zum weiteren Verständnis klar machen, dass<br />
wir schon in diesem Leben letztlich das Produkt unserer Gedankenwelten<br />
sind. Auch hier leben wir mit unseren Meinungen, Vorurteilen und<br />
Phantasien. Beson<strong>der</strong>s bei den Kin<strong>der</strong>n ist dies noch leicht zu beobachten<br />
und es braucht seine Zeit, bis sich die „Realität“ durchsetzt. Gelingt es uns,<br />
selbstsüchtige- und weltliebige Neigungen noch im irdischen Leben den<br />
höheren geistigen Wahrheiten unterzuordnen, haben wir uns viel Mühe<br />
erspart. An<strong>der</strong>enfalls werden sie in <strong>der</strong> geistigen Welt offenbar, also im<br />
wahrsten Sinn des Wortes sichtbar gemacht. Will <strong>der</strong> Herr dem Menschen<br />
die ewigen Wahrheiten nahe bringen, welche alleine Bestand haben,<br />
müssen zuvor diese Schlammschichten aufgedeckt und abgetragen werden,<br />
die die geistige Entwicklung verhin<strong>der</strong>n. In diesem Sinn wirkt <strong>der</strong> Herr,<br />
mo<strong>der</strong>n ausgedrückt, wie ein Psychotherapeut, nur mit dem Unterschied,<br />
dass Er alleine in die verborgenen Tiefen unserer Seelenwelt blicken kann<br />
– und die besten Mittel zur Heilung in <strong>der</strong> Hand hat. Die Wandlungen<br />
muss <strong>der</strong> Mensch aber wollen und er muss selbst tätig sein. Dabei kann<br />
auch <strong>der</strong> Herr nicht mit <strong>der</strong> Tür ins Haus fallen, son<strong>der</strong>n muss unter<br />
Beachtung des freien Willens des Menschen ganz behutsam vorgehen.
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Unsere Gedanken sind unser Schicksal<br />
13<br />
Vor diesem Hintergrund spielen alle Jenseitsschicksale, auch unsere<br />
eigenen werden da keine Ausnahme machen! Am Beispiel des Bischof<br />
Martins sollen verschiedene Entwicklungsstufen aufgezeigt werden.<br />
Der Herr: „Wer diese speziell dargestellte Szene aus dem Jenseits<br />
gläubig und beherzigend liest, wird es sogar greifen können, wie es mit<br />
dem Menschen nach <strong>der</strong> Ablegung des Erdenleibes im Reiche <strong>der</strong> Geister<br />
aussieht; und er wird sich danach richten können.“<br />
Obgleich durch diese Enthüllung die Geisterwelt nahezu völlig<br />
erschöpfend gezeigt ist ..., so müsst ihr dies dennoch nicht als einen<br />
allgemeinen, son<strong>der</strong>n nur als einen speziellen, individuellen Führungsfall<br />
ansehen, ...“ (Vorrede)<br />
Die Textstellen wurden so ausgesucht, dass das, was Martin denkt und<br />
will auf seine äußere Umgebung direkt Einfluss hat. Die Selbstgespräche<br />
zeigen eindrucksvoll seinen jeweiligen Zustand.<br />
Bischof Martin war im irdischen Leben, das sei hier vorausgeschickt,<br />
sehr sinnlicher Natur und außerdem nicht eben allzu religiös. Viel näher<br />
lagen ihm die Freuden des Lebens, wenngleich er kein schlechter Mensch<br />
war, son<strong>der</strong>n eher gutmütiger Natur.<br />
Er stirbt mit achtzig Jahren. Der Engel löst die Seele vom Leibe mit den<br />
Worten „Epheta“, d.h. „Tue dich auf, du Seele; du Staub aber sinke zurück<br />
in deine Verwesung zur Löse durch das Reich <strong>der</strong> Würmer und des<br />
Mo<strong>der</strong>s. Amen.“ (Kap. 1,8)<br />
Der erste Zustand Martins ist ein mehr äußerer. Er erlebt sich in seinem<br />
Bischofskleid – es bleibt also erst einmal manches so, wie es auf Erden<br />
war. Allerdings hat sich die Gegend äußerlich schon seinem Zustand<br />
angepasst. „Er schaut erstaunt um sich und sieht außer sich niemanden,<br />
auch den Engel nicht, <strong>der</strong> ihn geweckt hat. Die Gegend ist nur in sehr<br />
mattem Lichte gleich einer ziemlich späten Abenddämmerung, und <strong>der</strong><br />
Boden gleicht dürrem Alpenmoose.“ (Kap. 1,9) Diese Umgebung ist eine<br />
Entsprechung für seinen geringen Glauben, wie dies später noch deutlicher<br />
werden wird.<br />
Martin erkennt immerhin, was keineswegs selbstverständlich ist, dass<br />
er gestorben ist und ruft die Heiligen an. An Jesus Christus denkt er vorerst<br />
nicht, obgleich Er <strong>der</strong> einzige ist, <strong>der</strong> wirklich helfen kann.<br />
Nachdem es ihm vorkommt, als ob er schon viele Millionen Jahre auf<br />
ein und demselben Fleck steht, geht er allmählich in den zweiten, mehr<br />
inneren Zustand über. In den folgenden Selbstgesprächen wird nun<br />
deutlich, dass in seinem Innersten eigentlich kein (fester) Glaube<br />
vorhanden ist. Martins innere Gedanken kommen nun allmählich zum<br />
Vorschein:
14 Unsere Gedanken sind unser Schicksal<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
„Wenn ich nicht so festen Glaubens wäre, möchte ich beinahe an dem<br />
einstigen Eintreffen des Jüngsten Tages zu zweifeln anfangen, wie<br />
überhaupt an <strong>der</strong> Echtheit des ganzen Evangeliums!“...<br />
„Und <strong>der</strong> Heilige Geist, <strong>der</strong> im Evangelium soll verborgen stecken,<br />
muss gar ein seltenster Vogel sein, weil er sich seit den alten Apostelzeiten<br />
nimmer irgendwo hat blicken lassen, außer im albernen Gehirn einiger<br />
protestantisch-ketzerischer Schwärmer `a la Tausend und eine Nacht!“...<br />
„Auch mit <strong>der</strong> in meiner Kirche überaus viel gepriesenen Maria, wie<br />
mit <strong>der</strong> ganzen heiligen Litanei scheint es seine son<strong>der</strong>baren Wege zu<br />
haben! Wäre irgend etwas an <strong>der</strong> Maria, so hätte sie mich doch schon<br />
lange erhören müssen; denn von meinem Absterben bis zum gegenwärtigen<br />
Augenblicke sind nach meinem peinlichen Gefühl etwa ein paar<br />
Millionen Erdjahre verstrichen, ...“ (Kap. 2,5-8)<br />
Martins Zweifel haben sich offenbart und er kann nun weitere Schritte<br />
unternehmen. Er ist jetzt aber auch fest entschlossen, mit „dieser<br />
fruchtlosen Komödie hier bald ein Ende zu machen“. (Kap. 2,9)<br />
Ja, wo wird Martin sich hinwenden? Es liegt nahe, dass er sich in<br />
diesem Zustand gegen Abend wendet – <strong>der</strong> Abend, die zunehmende<br />
Dunkelheit, in immer stärkere Finsternis übergehend; dann die Nacht als<br />
Entsprechung für die Richtung zu seinem eigenen „Bösen und Falschen“.<br />
Er empfindet aber auch Hunger nach etwas Besserem als nur Moos und<br />
Tau. Martin wird zwar nach <strong>der</strong> Richtung seiner Neigung gezogen, hat<br />
aber gleichzeitig ein Bedürfnis nach besseren Erkenntnissen.<br />
Nun fixiert er gegen Abend einen Punkt, wo sich etwas zu bewegen<br />
scheint. Was sieht er da? Einen Mann, <strong>der</strong> ebenso wie er, ein Bischof ist.<br />
Dieses Bild ist eine „Erscheinlichkeit“, etwas, was nur Martin so<br />
„erscheint“. Tatsächlich handelt es sich um den Engel, <strong>der</strong> schon die ganze<br />
Zeit unsichtbar um Martin war, und <strong>der</strong> <strong>der</strong> Geist Petri ist. Martin ist also<br />
auf einen Helfer gestoßen.<br />
Spricht <strong>der</strong> Engel: „Ich sage in des Herrn Jesu Namen: du sollst mir zu<br />
Jesus folgen!“ (Kap. 3,14) Petrus weist schon früh auf Jesus hin, denn hier<br />
scheiden sich die Geister!<br />
Nun entsteht ein Dialog zwischen Petrus und Martin, in dem es um<br />
einen Klei<strong>der</strong>wechsel geht. Das Kleid stellt in <strong>der</strong> Entsprechung die<br />
Glaubenslehre dar. Es ist etwas, das nach außen in Erscheinung tritt, an<br />
dem sich Gleich und Gleich erkennt. Martin ist durchaus kein<br />
Glaubensfels. Innen und Außen (hier die Kleidung) muss sich aber<br />
entsprechen. Ein Bauernrock wäre schon passen<strong>der</strong>. Die Bearbeitung des<br />
Feldes entspricht <strong>der</strong> Bearbeitung <strong>der</strong> Seele, denn das Feld ist eine<br />
Entsprechung für die Seele. Insofern hat Martin auch nichts dagegen, sein
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Unsere Gedanken sind unser Schicksal<br />
15<br />
Bischofsornat mit einem Bauernrock zu vertauschen „Nur her damit; hier<br />
vertausch‘ ich dies langweilige Kleid gerne mit dem gemeinsten<br />
Fetzen!“ (Kap. 3,19)<br />
Nun geht es an die Reinigung und Bearbeitung <strong>der</strong> Seele Martins,<br />
welche Arbeit – wie gesagt - durch den Wechsel vom Bischofskleid zum<br />
Bauernrock angezeigt wird. Es wird ihm eine Arbeit als Schafhirte<br />
angeboten, dadurch ein allmähliches Emporkommen und Brot. Wir wissen<br />
nun schon, dass es sich hier um Entsprechungsbil<strong>der</strong> handelt. Brot ist die<br />
Liebe, die Liebe Gottes, die er in dem Maße, in dem er Nächstenliebe übt,<br />
bekommt. Ein „allmähliches Emporkommen“ ist nicht das, was es hier auf<br />
Erden ist. Keine Macht und Herrschaft über an<strong>der</strong>e, Reichtum und<br />
Vorteile, son<strong>der</strong>n die Fähigkeit, zurückzutreten und <strong>der</strong> Letzte und<br />
Geringste sein zu wollen, also das Gegenteil von Hochmut.<br />
Nun beginnt die konkrete Arbeit! „Sie gehen nun weiter, mehr gegen<br />
Mittag gewendet, und kommen zu einem ganz gewöhnlichen Bauernhof,<br />
...“ (Kap. 4,1) Gegen „Mittag“ bedeutet, dass Petrus ihn zu besseren<br />
Erkenntnissen führen möchte.<br />
„Da siehe zum Fenster hinaus! Siehst du dort die vielen tausend Schafe<br />
und Lämmer, wie sie mutig durcheinan<strong>der</strong> rennen und springen?“ (Kap. 5,8)<br />
Martin war Bischof, es war sein Beruf, Hirte zu sein. Die Lämmer, die<br />
da so durcheinan<strong>der</strong> springen sind tatsächlich Menschen, meist junge<br />
Mädchen, noch ohne geistige Führung und tiefere Erkenntnis. Alles<br />
Menschen aus seinem früheren Sprengel.<br />
„Hier aber ist ein Buch, in dem ihre Namen verzeichnet sind; nimm es<br />
zu dir und rufe sie alle beim Namen daraus! So sie in deinem Rufe eines<br />
rechten Hirten Stimme erkennen werden, werden sie eiligst zu dir kommen.<br />
Erkennen sie aber in dir eines Mietlings Stimme, dann werden sie sich<br />
zerstreuen ...“ (Kap. 5,9)<br />
Ein rechter Hirte ist einer, <strong>der</strong> keinen Eigennutz bei seiner Arbeit kennt<br />
und ein Mietling, <strong>der</strong> nur für Lohn arbeitet.<br />
Mit einem ziemlich dicken Buch geht Martin also auf die Weide, wo<br />
ihm die Herde gezeigt wird. Wichtig hierbei ist, dass sich die Herde „in<br />
<strong>der</strong> geistigen Entfernung <strong>der</strong> Erscheinlichkeit nach wirklich als Schafe und<br />
Lämmer ausnahmen. In <strong>der</strong> geistigen Nähe aber bestand sie aus lauter<br />
frommen und sanftmütigen Menschen, zumeist aus weiblichen Seelen, die<br />
auf <strong>der</strong> Welt so recht kreuzfromm gelebt hatten, aber dabei auf die<br />
römische Geistlichkeit doch bei weitem größere Stücke hielten denn auf<br />
Mich, den Herrn, da sie Mich nicht kannten und jetzt auch noch nicht<br />
erkennen – daher sie denn in einiger geistigen Ferne sich noch jetzt als<br />
Tiere sanftester Art ausnehmen.“ (Kap. 6,1)
16 Unsere Gedanken sind unser Schicksal<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Deren Namen rufen heißt, das Wesen eines Menschen erkennen, ihn<br />
ganz durchdringen und durchschauen – erst dann kann <strong>der</strong> Hirte mit Gottes<br />
Hilfe an <strong>der</strong> geistigen Wie<strong>der</strong>geburt <strong>der</strong> Menschen wirken. Nähe und<br />
Ferne sind hier etwas an<strong>der</strong>es als auf <strong>der</strong> Welt, denn Zeit und Raum in<br />
unserem Sinn gibt es nicht. „Nah“ bedeutet, sich in ähnlicher o<strong>der</strong> gleicher<br />
Liebe befinden. Die Ähnlichkeit bestand hier im gemeinsamen<br />
katholischen Hintergrund.<br />
Martin lässt sich von den Reizen <strong>der</strong> jungen Mädchen betören, worauf<br />
diese verschwinden. Er überlegt: „Bin ich denn aber wirklich schon<br />
gefallen? Mit dem Gedanken und bloßen Willen freilich wohl, aber im<br />
Werke unmöglich, weil die gewissen Engerln gar nicht zum Vorschein<br />
gekommen sind!“ (Kap. 8,10)<br />
Martin macht nun wie<strong>der</strong> einen Zustandswechsel durch und geht statt<br />
gegen Mittag schnurgerade gegen Abend. Es wird immer dunkler, <strong>der</strong><br />
Boden ist nur mit etwas Moos bedeckt. Dieser mit spärlichem Moos<br />
bewachsene Boden und die Dunkelheit zeigen an, dass er wenig Liebe zum<br />
Wort und zur Tat daraus hat. Solche Menschen kommen in die größte<br />
Verlassenheit und Nacht. „Diese sichtlich zunehmende Dunkelheit macht<br />
ihn etwas stutzen; aber es hält ihn nicht davon ab, seinen Gang<br />
einzuhalten, wovon <strong>der</strong> Grund ist, weil seine Erkenntnis und sein Glaube<br />
so gut wie gar nichts sind. Was aber noch da ist, das ist falsche<br />
Begründung wi<strong>der</strong> das reine Wort des Evangeliums, somit barstes<br />
Antichristentum und ein im verborgenen Hintergrunde in humoreske<br />
Maske verhüllter Sektenhass.“ (Kap. 10,2)<br />
Von sich aus würde Martin jetzt schnurgerade in einen höllischen<br />
Zustand übergehen. Der Herr: „Meiner Gnade aber sind freilich wohl viele<br />
Dinge möglich, die dem gewöhnlichen Ordnungsgange unmöglich wären!<br />
Daher wollet ihr eben bei diesem Manne praktisch beschauen, wohin er<br />
kommen kann mit dem, was da in ihm ist, und was am Ende, wenn<br />
sozusagen alle Stricke reißen, noch Meine Gnade bewirken kann, ohne in<br />
die Freiheit des Geistes einzugreifen. Solche Gnade wird diesem Manne<br />
auch zuteil, weil er einmal gebeten hatte, dass Ich ihn mit Meiner Hand<br />
ergreifen möchte! Aber eher kann ihn die ausschließliche Kraft Meiner<br />
Gnade dennoch nicht ergreifen, als bis er all den eigenen Plun<strong>der</strong> von<br />
allerlei Falschem und Bösem aus sich hinaus geschafft hat, was sich durch<br />
den Zustand <strong>der</strong> dichtesten Finsternis, die ihn umgeben wird, kundtun<br />
wird.“ (Kap. 10,5)<br />
Der Boden wird nun sumpfig, was Martins Bösem und moorig, was<br />
seinem Falschen entspricht. Hier ist darauf aufmerksam zu machen, dass<br />
Gefühlszustände auf dieser Welt geistigen Zuständen im Jenseits
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Unsere Gedanken sind unser Schicksal<br />
17<br />
entsprechen. Das deutliche Unbehagen, das glaubenslose und liebearme<br />
Menschen empfinden, wenn jemand mit ihnen vom Geistes- und<br />
Seelenleben nach dem Tode zu reden beginnt, entspricht diesen sumpfigen<br />
und moorigen Böden, auf denen sie geistig stehen.<br />
Martin geht bis an das Meer seiner Geistesnacht, in dem alle Begriffe<br />
chaotisch in einem Meer von Unsinn zusammenfließen. In völliger<br />
Finsternis steht er am Rande des Meeres – welcher sein letzter Begriff ist –<br />
nur sich selbst erkennt er noch. Martin besaß nur alles im Kopf, in seiner<br />
Einbildung, aber wenig im Herzen. Seine Einbildungen wurden ihm<br />
genommen, nun scheint er am Rande des Untergangs zu stehen.<br />
Alles, was Martin bisher gedacht hat, entsprach seinem gefallenen<br />
Zustand und war noch Hölle im eigentlichsten Sinn! Wo noch ein<br />
Fünkchen Selbstsucht, Eigendünkel, Beschuldigung an<strong>der</strong>er etc. zum<br />
Vorschein kommt, da ist noch ein höllischer Zustand vorherrschend. Der<br />
Herr: „Frage dein Herz, deine Liebe! Was sagt diese? Was ist ihre<br />
Sehnsucht? Hat dir diese aus deinem Leben heraus ganz bestimmt<br />
geantwortet, so hast du dann schon in dir selbst dein Los entschieden:<br />
denn je<strong>der</strong> wird von seiner eigenen Liebe gerichtet!“ (Kap. 16,2)<br />
Martin sieht ein Schiff, das ihn aufnimmt. Hier trifft er auf einen<br />
Schiffsmann und wie<strong>der</strong> auf Petrus. Seine Arbeit besteht erst einmal im<br />
Fischen von Seetieren und Meeresungeheuern. Aber vorher bekommt er<br />
Speise und Trank in <strong>der</strong> einfachen Hütte des Schiffsmannes. „So, so; ach,<br />
das war gut! O <strong>der</strong> undenklichen Zeit meines Hungers, meines Durstes und<br />
meiner ununterbrochenen Nacht! O Dank, Dank dir, größter Dank Gott,<br />
dem Herrn, da Er es zugelassen hat, dass du mich rettetest und nun auch<br />
sättigtest, dass mir nun so wohl ist, als wäre ich frisch geboren! – Und<br />
siehe, siehe, es wird auch ganz hell wie an einem Frühlingsmorgen, so sich<br />
die Sonne dem Aufgange naht! O wie herrlich ist es nun hier!“ (Kap. 17,6)<br />
Martin hat Brot des Lebens und den Wein <strong>der</strong> Wahrheit aus <strong>der</strong> Hand<br />
des Herrn bekommen. Er weiß es noch nicht, mit wem er es zu tun hat.<br />
Sein Hunger war das Bedürfnis nach Liebe, sein Durst nach geistigen<br />
Wahrheiten. Er fühlt sich nun wie „frisch geboren“ o<strong>der</strong> auch wie<br />
„wie<strong>der</strong>geboren“ in <strong>der</strong> Sphäre Jesu. Nun aber muss er selbst Hand<br />
anlegen an seiner geistigen Entwicklung. Der Herr: „...da aber nun auch<br />
dir <strong>der</strong> Tag angebrochen ist, so musst du auch arbeiten – denn das<br />
Gottesreich ist ein Arbeitsreich und kein Faulenzer- und Br<strong>ev</strong>ierbeterreich!“<br />
(Kap. 18,19)<br />
Mit ungeheurer Mühe werden die großen Seetiere und<br />
Meeresungeheuer aus dem Wasser geholt, wo sie dann in <strong>der</strong> Luft<br />
verschwinden. Martin ist darüber erstaunt und ärgerlich. Er erfährt, dass
18 Unsere Gedanken sind unser Schicksal<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
die Meerestiere seine auf <strong>der</strong> Welt begangenen Sünden sind. Jede Sünde<br />
ruft einen Schaden an <strong>der</strong> Seele hervor. Durch sein<br />
„tierisches“ (triebhaftes) Leben verlor er viel von seiner Seele. Durch die<br />
Fischzüge wird seine Seele wie<strong>der</strong> in ihre ursprüngliche Vollkommenheit<br />
gesetzt. Martin möchte wissen, wann es in seinen Gewässern bleibende<br />
Taten geben wird? Der Herr: „Erwache in <strong>der</strong> Liebe zu Gott und arbeite in<br />
rechter Reue, Demut und Geduld!“ (Kap. 20,12-13) Martin will jedoch nicht<br />
alle Schuld an seinen Sünden auf sich sitzen lassen und führt Gründe an,<br />
seine Kindheit und Erziehung betreffend, <strong>der</strong> Strom <strong>der</strong> Zeit, gegen den<br />
man nicht schwimmen könne etc.. Der Herr: „Siehe, was deiner<br />
vermeintlich vernachlässigten Erziehung zur Last fällt, das hat nun Bru<strong>der</strong><br />
Petrus auf sich genommen. Und was dem Schöpfer du zur Last legst, das<br />
habe Ich auf Meine Schulter genommen!“ (Kap. 20,22) Jesus handelt also<br />
immer aus den Vorstellungswelten <strong>der</strong> Menschen heraus. „Er holt sie da<br />
ab, wo sie stehen“. Dann führt Er Martin weiter. „Glaubst du aber für<br />
deinen Teil wirklich ganz schuldlos zu sein?“ (Kap. 20,23)<br />
Martin fängt den vermeintlichen Schiffsmann in sein Herz zu schließen<br />
an. Da verschwindet das Meer und statt <strong>der</strong> kleinen Fischerhütte steht ein<br />
Palast da. Der Herr: „Siehe, Bru<strong>der</strong>, das gebar schon ein kleinster Funke<br />
rechter Liebe zu uns, deinen Brü<strong>der</strong>n und Freunden! Das Meer deiner<br />
Sünden trocknete er aus samt all den bösen Wirkungen, und den Schlamm<br />
deines Herzens verwandelte er in ein fruchtbares Land. Die ärmliche<br />
Hütte deiner Erkenntnis verwandelte dieser Liebesfunke in einen<br />
Palast.“ (Kap. 22,3) Er ermahnt Martin, dass seine Liebe im Herzen jetzt<br />
frei walten müsse, wodurch auch die Bäume Früchte tragen würden, denn<br />
in <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> Geister wächst alles im Lichte und in <strong>der</strong> Liebe des<br />
menschlichen Herzens. Noch ist <strong>der</strong> Palast nur außen schön, innen aber<br />
unrein. Warum? Der Palast entspricht dem Inneren des Herzens Martins.<br />
Der vermeintliche Schiffsmann rät Martin, einen ganzen Strom <strong>der</strong> Liebe<br />
durch den alten Sündenstall seines Herzens zu leiten. Das Fünklein <strong>der</strong><br />
Liebe nämlich, das das Meer austrocknete und den Schlamm in fruchtbares<br />
Land umwandelte und das kleine Haus in einen Palast verwandelte, war<br />
nur durch die Rede Jesu erzeugt, also äußerlich. Dies entspricht in etwa<br />
unserem Lesen und Hören Seines Wortes, ist also ein äußeres Mittel, um<br />
die Tatliebe anzufachen. Das Innere des Herzens müssen wir jedoch selbst<br />
reinigen – durch die wahre tätige Gottes- und Nächstenliebe.<br />
In einem späteren Stadium, in dem Martin sich in <strong>der</strong> Nächstenliebe<br />
bewährt hat, ist <strong>der</strong> Palast in seinem Inneren zwar noch relativ einfach,<br />
aber sehr geschmackvoll und rein. Der Herr: „Siehe, dieses Gemach<br />
besteht nun lediglich aus deiner nun schon frei werktätigen Liebe zum
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Unsere Gedanken sind unser Schicksal<br />
19<br />
Nächsten. Aber es ist noch ganz einfach zierlich (noch nicht<br />
ausgeschmückt), weil in dir das Gotteslicht noch nicht Wurzel gefasst und<br />
tief in dein Leben getrieben hat.“ (Kap. 25,6)<br />
Martin erfährt von den Leuten, die er gerettet hat, dass sein Freund (<strong>der</strong><br />
Schiffsmann) Jesu Selbst sei. Er ist also nun in einem Zustand, wo er die<br />
Göttlichkeit Jesu unmittelbar ertragen kann. Erst jetzt bekommt er auch<br />
mit denjenigen Menschen zu tun, die er auf <strong>der</strong> Erde direkt beeinflusst hat<br />
und an denen einiges gutzumachen ist. Der Herr: „...Siehe, alle diese hier<br />
nun in unserem Gewahrsam Befindlichen, die wir aus den Flammen<br />
gerettet haben, sind Schafe deines Sprengels und Jünger deiner<br />
Lehre!“ (Kap. 29,5)<br />
Im „Lichte des Himmels“ sieht Martin verschiedene Menschen als<br />
Tiere, in <strong>der</strong> Erscheinlichkeit ihres geistigen Zustandes. Er versucht sie<br />
nun zu belehren und erzählt dabei einen wichtigen Punkt aus seinem<br />
Erdenleben: „Das einzige, das aber an und für sich gar nichts ist, war zu<br />
Zeiten bei mir, dass ich mir in einer Art luftigen Phantasie Jesus den<br />
Herrn so vorstellte, wie Er beschrieben war, und dabei dachte: Ja, wenn<br />
ich Ihn so haben könnte und mit Ihm gemeinschaftlich wirken unter dem<br />
überzeugenden Bewusstsein, dass Er möglicherweise wirklich das<br />
allerhöchste Gottwesen wäre, da wäre ich freilich das glücklichste Wesen<br />
in <strong>der</strong> ganzen Unendlichkeit. Denn fürs erste wäre das doch die höchste<br />
Ehre aller Ehren, fürs zweite die sicherste Versorgung und<br />
Lebensversicherung für die ganze Ewigkeit, fürs dritte <strong>der</strong> höchste und<br />
mächtigste Schutz, und endlich könnte ich in solcher <strong>Gesellschaft</strong> doch<br />
Wun<strong>der</strong>dinge zu Gesicht bekommen, die bisher noch kein menschlicher<br />
Gedanke gedacht hat.“ (Kap. 36,21) Jesus hat Sein Erlösungswerk an Martin<br />
dort begonnen, wo Martin eine – wenn auch nicht ganz selbstlose –<br />
Sehnsucht nach Gott hatte. Immerhin war aber ein auf Gott gerichteter<br />
Wille da, eine geheime Liebe, auf <strong>der</strong> Jesus aufbauen konnte.<br />
Im weiteren Erleben trifft er auf einen Bekannten, <strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Erde<br />
Buchhändler war und <strong>der</strong> über Martins „Stückchen“ genau Bescheid<br />
wusste. Auf <strong>der</strong> Erde hat Martin ihn verachtet, aber hier muss er ihn zu<br />
seiner Demütigung als geistigen Führer ertragen. Der Buchhändler hat in<br />
seinem Leben schon Swedenborg gelesen und ist Martin weit voraus.<br />
Martin macht nun viele Erfahrungen, die seine Gottes- und<br />
Nächstenliebe stärken, Vorurteile abbauen und Falsches und Böses<br />
aböden. Die positiven Wirkungen zeigen sich durch die zunehmende<br />
Verän<strong>der</strong>ung seiner Umgebung. Ein Phänomen ist beispielsweise, dass<br />
sein Palast außen viel kleiner als innen ist. „Das Innere aber wird noch<br />
stets größer, je mehr du in <strong>der</strong> wahren Weisheit aus Meiner Liebe wachsen
20 Unsere Gedanken sind unser Schicksal<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
wirst. Denn hier lebt ein je<strong>der</strong> seiner Weisheit aus seiner Liebe zu Mir,<br />
welche aber die eigentliche Schöpferin alles dessen ist, was dir hier so<br />
wun<strong>der</strong>bar vorkommt.“ (Kap. 38,15)<br />
Nun steigt Martin zu immer neuen herrlichen Sphären auf. Er ersieht<br />
herrliche Welten, Menschen, Gegenden aus an<strong>der</strong>en Weltkörpern und<br />
Sonnen. Der Herr erklärt ihm, dass dies alles nur in ihm selbst sei.: „Wirst<br />
du aber in dir selbst zur Vollreife des ewigen Lebens gelangen, dann wirst<br />
du auch die große Schöpfung außer dir schauen können, wie Ich Selbst sie<br />
schaue – was aber auch nötig ist. Denn so Ich Meinen vollendeten<br />
Kin<strong>der</strong>n, die da Engel sind, eine ganze Welt zur Hut und Obsorge<br />
anvertraue, so müssen sie so eine Welt doch auch genauest sehen. Denn<br />
ein Blin<strong>der</strong> kann kein Hirte sein. Aber zur Beschauung <strong>der</strong> wirklichen<br />
großen Schöpfung außer dir bist du noch lange nicht reif genug! Daher<br />
musst du nun schon dich mit dem begnügen, was du nun siehst; denn du<br />
siehst das Wirkliche in entsprechen<strong>der</strong> lebendiger Abbildung in dir so, als<br />
wäre es außer dir.“ (Kap. 44,6) Dass Martin alles außerhalb erblickt, ist<br />
ähnlich wie im Traum, nur dass es in dem jenseitigen Zustand wirklich ist<br />
– denn erst war <strong>der</strong> Geist (Gedanke), dann die Materie - das innere Bild ist<br />
also älter als die äußere Form. „Daraus aber kannst du leicht entnehmen,<br />
dass, so du dich selbst vollkommen erkennen wirst, du auch all das<br />
erkennen wirst, was sich da befindet außer dir; da sich außer dir nichts<br />
befinden kann, das nicht schon lange zuvor in dir vorhanden gewesen<br />
wäre. Ebenso wie auch in <strong>der</strong> ganzen Unendlichkeit sich nichts befinden<br />
kann, das nicht schon von Ewigkeit zuvor in Mir in vollster Klarheit<br />
vorhanden gewesen wäre!“ (Kap. 45,5)<br />
Nun soll <strong>der</strong> Herr mit einem Wort abschließen, das uns Seinen großen<br />
Schöpfungsgedanken offenbart:<br />
„Wie Ich aber <strong>der</strong> ewige Urgrund und Träger aller Wesen bin, so sind<br />
nun auch Meine Kin<strong>der</strong> in Mir Selbst <strong>der</strong> Grundstoff von allem, was nun<br />
erfüllt die Unendlichkeit für ewig. Wie aber in Mir Unendliches ist, so ist<br />
es auch in euch aus Mir. Denn Meine Kin<strong>der</strong> sind die Kronen Meiner<br />
ewigen Ideen und großen Gedanken!“ (Kap. 45,6)<br />
Unsere Gedanken sind unser Schicksal – so lautete das Thema dieser<br />
Ausarbeitung, aber in einem höheren Sinn sind Gottes Gedanke unser<br />
ewiges, wun<strong>der</strong>barstes Leben in und aus Gott! So bleibt nur zu danken für<br />
die große Gnade, die niemanden ausschließt, son<strong>der</strong>n jeden für ewig selig<br />
machen will. Amen.<br />
„Warum denkt ihr so Arges in euren Herzen?“<br />
(Mt. 9,4)
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Gotteserfahrung<br />
21<br />
Gotteserfahrung<br />
Inge und Siegfried Starck<br />
Für Friedrich Hebbel, den deutschen Dichter (�1863) „ist die<br />
Gemeinschaft Gottes mit den Menschen eine Wirklichkeit, die sich nicht<br />
beweisen, aber erfahren lässt.“<br />
Und Friedrich Nietzsche kommt uns mit <strong>der</strong> gerade von ihm nicht<br />
unbedingt erwarteten Äußerung: „Eigentlicher Zweck alles Philsophierens:<br />
die intuitio mystica.“<br />
Seit jeher gab es Menschen, denen traditionelle Glaubensformen und<br />
eingepauktes religiöses Wissen nicht genügten. Sie suchten nach „mehr“,<br />
nach „darüber Hinausgehendem“ und fanden es in einer persönlichen<br />
Gotteserfahrung. Man nennt sie Mystiker. Der Begriff „Mystik“ wird<br />
abgeleitet von griech. „myein“ = „Augen o<strong>der</strong> Lippen schließen“ (vor den<br />
Toren <strong>der</strong> Sinne und <strong>der</strong> Logik des Verstandes). Dadurch wird das normale<br />
Alltagsbewusstsein und die verstandesmäßige Erkenntnis transzendiert.<br />
Die Seele „erhebt“ sich und gelangt in einen „höheren“ Bewusstseinszustand,<br />
wo sie die „nie<strong>der</strong>en“ Dinge <strong>der</strong> Sinnen- und Verstandeswelt<br />
hinter sich gelassen, ihr inneres Auge auf die göttliche Welt richtend,<br />
Impulse von dieser erhält, und - was freilich immer ein Akt <strong>der</strong> Gnade ist -<br />
in Kontakt mit ihr treten und damit in eine unmittelbare Erfahrung mit dem<br />
Göttlichen geraten kann. Je nach Veranlagung mag sich diese<br />
„Begegnung“ in den verschiedensten Formen ausprägen: von <strong>der</strong> Ekstase<br />
(Stigmatisation, El<strong>ev</strong>ation, L<strong>ev</strong>itation und <strong>der</strong>gl.) bis hin zur<br />
kontemplativen o<strong>der</strong> auch spekulativen Art; wobei die Übergänge fließend<br />
sein können.<br />
Die Mystik ist in allen Religionen beheimatet: Im Alten Ägypten und<br />
im Alten Griechenland waren es die Mysterienkulte, in <strong>der</strong> Spätantike <strong>der</strong><br />
Neuplatonismus, im Judentum die Kabbala und <strong>der</strong> Chassidismus, im<br />
Islam <strong>der</strong> Sufismus, in Indien <strong>der</strong> Vedanta und in China <strong>der</strong> Taoismus. Im<br />
Christentum tritt die Mystik auf u.a. als Herz-Jesu-Mystik, als Braut- und<br />
Frauen-Mystik (z.B. Bernhard von Clairvaux, �1153; Mechthild von<br />
Magdeburg, �1282/97; Gertrud die Große, �1301 etc.), aber auch als<br />
philosophisch-spekulative Mystik des „mystischen Dreigestirns“ Meister<br />
Eckhart, �1328; Johannes Tauler, �1361 und Heinrich Seuse, �1366.<br />
In einer Zeit, in <strong>der</strong> die Menschen mehr nach religiösen Erfahrungen<br />
suchen als nach (dogmatischen) Glaubenssätzen, ist das wesentliche<br />
Moment mo<strong>der</strong>ner Religiosität nicht das einfach für wahr gehaltene Was<br />
des Glaubens, son<strong>der</strong>n das vielfältig selbst erfahrene Wie. Im Osten <strong>der</strong><br />
Welt führt <strong>der</strong> mystische Weg dahin, dass das Individuum aufgeht im All-
22 Gotteserfahrung<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Einen, in <strong>der</strong> Gottheit - wie ein Regentropfen im Ozean. In <strong>der</strong><br />
abendländischen, christlichen Mystik dagegen verspricht man sich, dass<br />
<strong>der</strong> Mensch zu seinem vollen Sein erwacht, was so viel heißt, als dass <strong>der</strong><br />
in jedem Menschen ruhende Gottesfunke, das „Fünkeli“, von dem Meister<br />
Eckhart spricht, zur vollen Flamme entfacht werde; so dass die alte<br />
adamitische Natur verzehrt wird und die göttliche Natur - <strong>der</strong> Christus im<br />
Menschen - auferstehen kann. Vergleichen lässt sich dieser Prozess mit<br />
einem Samenkorn, das in die Erde gelegt wird, wo es absterben muss, um<br />
schließlich Frucht zu bringen. Wenn dies gelingt und <strong>der</strong> Christus, die<br />
göttliche Natur im Menschen, die Herrschaft übernimmt, hören Sorgen,<br />
Elend und Kummer auf. Denn <strong>der</strong> Christus, die Göttlichkeit, ist immer<br />
siegreich und weiß von keiner Nie<strong>der</strong>lage. „Wenn Gott für uns ist, wer<br />
mag dann wi<strong>der</strong> uns sein“, so drückt dies Paulus aus. Allerdings gilt es,<br />
hierfür einen Preis zu bezahlen. Dieser Preis ist die Selbstübergabe an Gott<br />
und bedeutet: „nicht mein Wille, son<strong>der</strong>n dein Wille geschehe.“ Das ist<br />
keine einfache Sache, denn nicht je<strong>der</strong>mann ist bereit, sein Ego, seinen<br />
Eigenwillen zu „kreuzigen“. Darauf kommen wir im Laufe dieses Buches<br />
noch ausführlich zurück. Nur so viel: Wer nicht bereit ist, diesen Preis zu<br />
zahlen, kommt natürlich auch nicht in den „Genuss“ eines von Gott<br />
geführten und damit mit Erfolg gekrönten Lebens. Partielle Erfolge mögen<br />
dem Menschen beschieden sein, aber <strong>der</strong> volle Erfolg, ein vollauf<br />
gesegnetes Leben ist nur in <strong>der</strong> Verbindung mit Gott möglich. Wie heißt es<br />
so schön: An Gottes Segen ist alles gelegen! Nach diesem kleinen<br />
Schlenker zurück zu unserem Thema Mystik. Versuchen wir, sie etwas<br />
genauer unter die Lupe zu nehmen, dann lässt sie sich folgen<strong>der</strong>maßen<br />
beschreiben. Sie ist:<br />
• „ein intuitives Erfassen (man „weiß“ plötzlich), ein „unmittelbares<br />
Innewerden.“ (Schopenhauer)<br />
• das Bestreben des Menschen „über alles Wissen hinaus zu einer<br />
unmittelbaren Anschauung <strong>der</strong> geistigen Wirklichkeit, zu einem<br />
inneren Erleben des Zusammenhangs mit den letzten Gründen <strong>der</strong><br />
Dinge“ zu gelangen. (Windelband)<br />
• ein „Seelenzustand ... in welchem man sich zur geheimnisvollen<br />
Vereinigung mit dem All hingezogen fühlt und das Unwissbare zu<br />
wissen glaubt über solche Vereinigung.“<br />
• „das Aufhören allen Unterschieds.“ (Fritz Mauthner, österr.<br />
Schriftsteller und Philosoph; �1923)<br />
• „Ekstatisches Identifikationswissen in Anschauung und Gefühl.“<br />
Sprache ist „nur ein unzureichendes Darstellungsmittel des<br />
Gedankens und des in <strong>der</strong> mystischen >unio< und >exstasis
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Gotteserfahrung<br />
23<br />
Erlebten und Geschauten.“ (Scheler)<br />
Als CG. Jung in einem Interview gefragt wurde, ob er als junger Mann<br />
an Gott geglaubt habe, antwortete er mit „Ja“. Als <strong>der</strong> Reporter weiter<br />
wissen wollte, ob das auch noch jetzt auf ihn als alten Mann zuträfe,<br />
meinte Jung: „Nein, ich glaube nicht, ich weiß - denn ich habe Gott<br />
erfahren.“<br />
Während in <strong>der</strong> Philosophie <strong>der</strong> Intellekt an erster Stelle steht, ist es in<br />
<strong>der</strong> Mystik die Intuition. Die Philosophie versucht von außen her, die<br />
Wahrheit in den Griff zu bekommen; <strong>der</strong> Mystiker von innen, ihr auf den<br />
Grund zu kommen. Der Philosoph trachtet danach, die Wahrheit zu begreifen,<br />
<strong>der</strong> Mystiker lässt sich von ihr er-greifen. Der Philosoph bildet<br />
sich eine Anschauung, eine Welt-Anschauung; dem Mystiker wird die<br />
Welt, das, was sie im Innersten zusammenhält, in einer inneren Schau<br />
zuteil. Der Philosoph analysiert und spekuliert; <strong>der</strong> Mystiker schaut und<br />
wird gewahr. Mystisches Wissen ist konkretes, persönliches Erlebnis-<br />
Wissen, Herz-Wissen, „intelletto d'amore“ (wie es die Italiener nennen);<br />
philosophisches: abstraktes, unpersönliches Gelehrten-Wissen, Hirn-<br />
Wissen. In <strong>der</strong> Mystik geht es um die Wissenschaft des Herzens, des<br />
warmen Gefühls; die Philosophie ist die Wissenschaft des Verstandes, <strong>der</strong><br />
kühlen ratio. Sie verhalten sich zueinan<strong>der</strong> wie (persönliche) Offenbarung<br />
zu (abstrakter) Theorie.<br />
Weil mystisches Wissen auf persönlicher Erfahrung beruht und damit<br />
nicht ohne Weiteres objektivierbar ist, meldet man <strong>der</strong> Mystik gegenüber<br />
Vorbehalte an:<br />
• „eine unreife Poesie, eine unreife Philosophie, die ins Abstruse, in<br />
den Abgrund des Subjekts geht.“ (Goethe)<br />
• „Schwärmerei, „Vernunfttötend“ (Kant)<br />
• „unreife Grübeleien“ (Schleiermacher)<br />
• „dunkel“, „unbestimmt“, „trügerisch“ (Feuerbach)<br />
• „nebulös“, „irrational“, „unbewusst“, „unklar“ (Marx)<br />
Kurz: Ausgeburt einer überspannten Phantasie, pathologischer Natur, reif<br />
für die Nervenheilanstalt. Diesen Einwänden lässt sich mit dem großen,<br />
griech. neuplatonischen mystischen Philosophen Plotin (�270) entgegnen:<br />
„Wer es aber geschaut hat, <strong>der</strong> weiß, was ich sage.“<br />
Und Jakob Böhme (�1624), den man schon zu Lebzeiten „philosophus<br />
teutonicus“ nannte, bekannte: „Ich habe die tiefe und wahre Erkenntnis des<br />
einzigen großen Gottes, <strong>der</strong> alles ist“ ... „Ich sah und erkannte das Wesen<br />
aller Wesen, den Grund und Urgrund; die Geburt <strong>der</strong> Hl. Dreifaltigkeit“ ...<br />
„das Herkommen und den Urständ dieser Welt und aller Kreaturen durch<br />
die göttliche Weisheit.“
24 Gotteserfahrung<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Wie lässt sich aber eine subjektive Erfahrung so herüberbringen, dass<br />
sie objektiv-wissenschaftlichen Ansprüchen genügt? Das ist das<br />
„Problem“ <strong>der</strong> Mystik - wie allerdings je<strong>der</strong> persönlichen Erfahrung.<br />
Verhält es sich nicht ähnlich wie bei <strong>der</strong> Liebe? Man mag viele Bücher<br />
über Liebe gelesen und studiert haben und damit theoretisch kennen. Was<br />
sie aber wirklich ist, erkennt man erst, wenn man sie erlebt hat!<br />
Wie sieht nun die mystische Erfahrung konkret aus? Kennzeichnend für<br />
sie ist ein Durchbruch des Oberflächenbewusstseins, eine Bewusstseinserweiterung,<br />
eine Bewusstseinsverän<strong>der</strong>ung. Die 5 Sinne, die uns<br />
normalerweise an die materielle Welt fesseln, werden transzendiert. Der<br />
Mystiker fühlt sich erhoben, emporgehoben in eine an<strong>der</strong>e Welt, die heile<br />
Welt; wie sie vor aller Zeit war, ist und sein wird, in <strong>der</strong> alles Harmonie<br />
und Schönheit atmet: in <strong>der</strong> „visio beatifica“ = „<strong>der</strong> glückseligen Schau“,<br />
erschaut er den „Mundus archetypus“, die unverän<strong>der</strong>liche Ideenwelt eines<br />
Platon, den Himmel <strong>der</strong> Religionen; kosmisches, galaktisches o<strong>der</strong><br />
ozeanisches Bewusstsein wird erreicht, wo eines alles und alles eines ist:<br />
„In ihm leben, weben und sind wir“, beschrieb Paulus diesen Zustand,<br />
in dem die Subjekt-Objekt-Trennung aufgehoben und <strong>der</strong> Vorhang<br />
zwischen Schöpfer und Geschöpf verschwunden ist; <strong>der</strong> Schleier ist nicht<br />
mehr da, nur noch All-Eins-Sein, nicht mehr Allein-Sein, keine Trennung<br />
mehr, son<strong>der</strong>n Verschmelzung, Unio mystica, die Himmlische Hochzeit.<br />
Nicht nur <strong>der</strong> begnadete Mystiker, auch <strong>der</strong> Durchschnittsmensch erlebt<br />
bisweilen dieses Gefühl (zumindest in Ansätzen). Er fühlt sich dann wie<br />
im „7. Himmel“, er möchte die ganze Welt umarmen, ist einfach „selig“<br />
und schwebt auf Wolke 7. Auslösen mag diese Stimmung vielleicht ein<br />
Sonnenuntergang am Meer, wo man die unendliche Weite des Kosmos<br />
spürt o<strong>der</strong> zwei Liebende, die einan<strong>der</strong> begegnen o<strong>der</strong> auch einfach<br />
„himmlische“ Musik. Für Momente <strong>der</strong> Erdenschwere entrückt, verkostet<br />
die Seele Glückseligkeit, himmlischen Nektar. Diese Verzückung erlebt<br />
<strong>der</strong> Mystiker in <strong>der</strong> Erfahrung des Göttlichen, in dem Verschmecken <strong>der</strong><br />
göttlichen Gegenwart.<br />
Nach Platon gleichen wir Menschen einer Auster in einer Schale; doch<br />
wir können diese Schale durchbrechen und uns dem uns umflutenden<br />
Wasser öffnen, um uns von ihm umspülen und durchspülen zu lassen:<br />
Dieses Wasser ist das ewige Leben, die wahre Wirklichkeit. Im<br />
Alltagsbewusstsein sind wir uns dessen nicht bewusst, obwohl wir uns die<br />
ganze Zeit über „wie <strong>der</strong> Fisch in <strong>der</strong> See, wie <strong>der</strong> Vogel in <strong>der</strong> Luft“ darin<br />
bewegen. (Mechthild von Hackeborn)<br />
Die Mystiker, um die Begrenztheit <strong>der</strong> Sprache wissend, haben<br />
versucht, dem, was sich nur ungenau, nur schemenhaft in Worte fassen
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Gotteserfahrung<br />
25<br />
lässt, einen Namen zu geben:<br />
• „das Eine“ (Plotin)<br />
• „<strong>der</strong> Seelenfunke“ (das „Fünkeli“) (Meister Eckhart)<br />
• „<strong>der</strong> Grund“ (Tauler)<br />
• „die ewige Weisheit“ (Seuse)<br />
• „<strong>der</strong> ungelotete Abgrund“ (Jan Ruusbroec; �1381)<br />
• „die reine Liebe“ (Katharina von Genua; �1510)<br />
• „das innere Licht“ (George Fox, Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Quäker; �1691)<br />
Gotteserfahrung, mystische Erfahrung, Transzendenzbegegnung,<br />
Verschmelzung mit <strong>der</strong> Quelle - das Höchste, was <strong>der</strong> Mensch in diesem<br />
Leben erfahren kann. Es sind absolute „Höhepunkte“ und Gipfelereignisse,<br />
wie sie etwa ein Bergsteiger nach einer mühsamen Gipfelbesteigung erlebt<br />
und in Verzückung gerät über die wun<strong>der</strong>volle Sicht, die sich ihm bietet;<br />
es ist die „Spitze“ <strong>der</strong> Pyramide o<strong>der</strong> auch die „Höhe“ <strong>der</strong> Kathedrale.<br />
Nichts kommt diesen Ausblicken gleich. Es ist, um ein mo<strong>der</strong>nes Bild zu<br />
gebrauchen, wie wenn man aus <strong>der</strong> Tiefgarage in die sonnenumflutete<br />
Penthouse-Etage aufsteigt, wo einem die Welt zu Füßen liegt.<br />
Die Ausdrucksformen dieser mystischen Erlebnisse sind mannigfaltig.<br />
Sie reichen von unbestimmten Impulsen, Impressionen, über plötzliche<br />
Eingebungen und Inspirationen bis hin zu konkreteren Formen wie<br />
Stimmen, Dialoge zwischen <strong>der</strong> Seele und dem göttlichen Geist, Visionen<br />
(insbeson<strong>der</strong>e Lichtvisionen) und bisweilen automatisches Schreiben etc.<br />
Der alexandrinische Philosoph Philon (�40 n. Chr.) ist ein Beispiel für<br />
plötzliche Eingebung und Inspiration: „Wenn ich leer an meine Arbeit<br />
gekommen war, fühlte ich plötzlich eine Fülle in mir: Ideen wurden auf<br />
unsichtbare Weise von oben über mich ausgegossen und in mich<br />
eingepflanzt, so dass ich durch diese göttliche Inspiration aufs höchste<br />
erregt wurde und von nichts mehr wusste, we<strong>der</strong> wo ich war, noch wer ich<br />
selbst war, noch was ich sagte o<strong>der</strong> schrieb. Ich empfand nur eine Fülle,<br />
eine Klarheit, eine Kraft, die mir die Richtung gab, sicherer als die klarste<br />
Anschauung <strong>der</strong> Sinne.“<br />
Stimmen - das „sanfte Säuseln“ des Propheten Elias (9. Jahrhun<strong>der</strong>t v.<br />
Chr.) - hörten und hören viele. Die mystische Literatur ist voll davon.<br />
Denken wir nur an Franziskus v. Assisi (ital. Ordensgrün<strong>der</strong>; �1226)<br />
Jeanne d'Arc (frz. Nationalheldin; �1431), Theresia von Avila (span.<br />
Ordensreformatorin; �1582) o<strong>der</strong> in neuerer Zeit an den österr. Mystiker<br />
Jakob <strong>Lorber</strong> (�1864), <strong>der</strong> über 20 Jahre lang täglich die Stimme Gottes<br />
hörte, die ihn die Neuoffenbarung - das „Große Evangelium Johannes“ -<br />
schreiben ließ. Dies waren nur ein paar Beispiele. Ihre Liste lässt sich<br />
beliebig verlängern.
26 Gotteserfahrung<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Von Zwiegesprächen <strong>der</strong> Seele mit Gott, von einem Dialog mit ihm,<br />
künden viele Mystiker. So z.B. Johannes Tauler, Heinrich Seuse,<br />
Mechthild von Hackeborn, Katharina von Siena, Juliana von Norwich (�<br />
1413) etc. Auch für Lichtvisionen gibt es Beispiele und Zeugen. Wer kennt<br />
nicht das Damaskuserlebnis von Paulus, wie er, vom Licht geblendet, die<br />
Stimme vernahm: „Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?“<br />
Der schon erwähnte neuplatonische Mystiker Plotin kleidet dies in die<br />
folgenden Worte: „Das Höchste ist immer nahe, strahlend über allem<br />
Erkennbaren. Hier können wir getrost alle Gelehrsamkeit beiseite setzen.<br />
Auf dieser Stufe wird <strong>der</strong> Suchende plötzlich emporgerissen und auf<br />
den Kamm <strong>der</strong> Woge des Geistes gehoben, er schaut und er weiß selbst<br />
nicht wie. Die Vision überflutet seine Augen mit Licht - das Licht selbst ist<br />
die Vision. Schauen und geschaut werden ist eins ... Das Irdische ist<br />
abgefallen. Dann werden wir würdig, Ihn und uns in einem einzigen Licht<br />
zu sehen; doch unser Ich wird über sich selbst hinausgehoben und in<br />
geistigem Licht erstrahlen; nein, es ist selbst Licht geworden, rein,<br />
schwebend, weißglühend <strong>der</strong> Gottheit gleich.“<br />
Auch <strong>der</strong> berühmte, schon so häufig erwähnte französische Mystiker,<br />
Mathematiker und Physiker Blaise Pascal weiß von diesem Licht zu<br />
berichten. In seinem „Memorial“, welches er eingenäht in seinem<br />
Rockfutter trug, schil<strong>der</strong>t er dieses ergreifende mystische Erlebnis einer<br />
„Nacht des Feuers“.<br />
Die große Gelehrte, Heilkundige und Visionärin Hildegard von Bingen<br />
(�1179) beschreibt dieses Licht so: „Das Licht aber, das ich schaue, ist<br />
nicht örtlich, son<strong>der</strong>n weit und weit heller als die Wolke, die die Sonne<br />
trägt. Und nicht vermag ich Tiefe noch Länge noch Breite darin zu<br />
erblicken. Und genannt wird es mir <strong>der</strong> Schatten des lebendigen Lichts ....<br />
Dieses Lichtes Gestalt vermag ich in keiner Weise zu erkennen, wie ich<br />
das Kreisrund <strong>der</strong> Sonne nicht vollkommen anblicken kann.<br />
In diesem Licht sehe ich zuweilen und nicht häufig ein an<strong>der</strong>es Licht,<br />
und wann und in welcher Weise, das weiß ich nicht zu sagen. Und da ich<br />
es schaue, wird mir alle Not und Traurigkeit entrafft, also, dass ich dann<br />
die Sitten eines einfältigen Mägdleins und nicht einer alten Frau habe ...<br />
Meine Seele aber entbehrt zu keiner Stunde jenes Lichtes, das <strong>der</strong> Schatten<br />
des lebendigen Lichtes geheißen wird. Und ich schaue es so, wie ich in<br />
einer lichten Wolke das Firmament ohne Sterne betrachte. Und darin<br />
schaue ich, was ich oftmals rede und was ich antworte, wenn man mich<br />
nach dem Blitze jenes lebendigen Lichtes befragt.“<br />
Weitere Beispiele für Visionen sind u.a.: <strong>der</strong> große italienische Dichter<br />
Dante Alighieri (�1321) mit seiner „Divina Commedia“ („Göttliche
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Gotteserfahrung<br />
27<br />
Komödie“) o<strong>der</strong> in neuerer Zeit <strong>der</strong> schwedische Mystiker und<br />
Naturwissenschaftler Emmanuel Swedenborg (�1772), dessen zahlreiche<br />
Visionen in seinem vielbändigen Werk „Himmlische Geheimnisse“ einen<br />
großen Einfluss auf Goethe, Kant, um nur einige zu nennen, ausgeübt<br />
haben.<br />
Für „automatisches Schreiben“ sei an dieser Stelle Mme. Guyon (�<br />
1717) erwähnt, die sich im Alter von 28 Jahren, als Witwe und Mutter von<br />
5 Kin<strong>der</strong>n, <strong>der</strong> Mystik zuwandte:<br />
„Sobald ich anfing, in <strong>der</strong> Heiligen Schrift zu lesen, trieb es mich, die<br />
Stelle, die ich gelesen hatte, hinzuschreiben; und sogleich wurde mir auch<br />
ihre Deutung gegeben. Während ich die Stelle schrieb, dachte ich nicht im<br />
Geringsten an die Deutung. Doch sobald ich sie geschrieben hatte, konnte<br />
ich sie deuten, wobei ich mit unbegreiflicher Geschwindigkeit schrieb. Vor<br />
dem Schreiben wusste ich nicht, was ich schreiben würde; während ich<br />
schrieb, sah ich, dass ich Dinge schrieb, die ich nie gewusst hatte, und mir<br />
wurde offenbar, dass ich Schätze von Wissen und Verstehen in mir hatte,<br />
von <strong>der</strong>en Besitz ich nichts geahnt hatte.“<br />
Gibt es nun einen gemeinsamen Nenner dieser mystischen<br />
Transzendenz-Erfahrungen? Ja! Es ist: „das sichere Erfassen <strong>der</strong><br />
Seele“ (Bernhard von Clairvaux, frz. Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> mittelalterlichen<br />
Mystik und Klostergrün<strong>der</strong>; �1153)<br />
Es ist die Erkenntnis, dass ein im Herzen erkannter Gott ein besseres<br />
und endgültigeres Ergebnis <strong>der</strong> höchsten Erfahrung sei, als ein mit dem<br />
Hirn vermuteter Gott (nach Evelyn Un<strong>der</strong>hill, einer Mystik-Expertin, die<br />
im vergangenen Jahrhun<strong>der</strong>t den Bestseller „Mystik“ schrieb).<br />
Wer nun <strong>der</strong> Meinung sein sollte, <strong>der</strong> Mystiker bliebe, nachdem er die<br />
Transzendenz verkostet hat, auf „Wolke Nr. 7“ sitzen, <strong>der</strong> irrt sich. Denn<br />
<strong>der</strong> wahre Mystiker kehrt zur Erde zurück, weil er sich gedrängt fühlt, die<br />
Früchte <strong>der</strong> Erkenntnis und <strong>der</strong> Weisheit, die ihm zuteil wurden, mit<br />
an<strong>der</strong>en Menschen zu teilen. Allein den Berg <strong>der</strong> Erkenntnis zu erklimmen<br />
und als ein Abgesandter, als „Avatar“ wie<strong>der</strong> herabzusteigen, um <strong>der</strong><br />
leidenden Menschheit zu dienen - das war und ist von jeher <strong>der</strong> „Job“ <strong>der</strong><br />
Mystiker.<br />
Und so ist es kein Wun<strong>der</strong>, wenn wir auch von außerordentlichen<br />
weltlichen Leistungen <strong>der</strong> Mystiker hören:<br />
• Ordensgrün<strong>der</strong> begegnen uns da, wie z.B. Augustinus, Franziskus,<br />
Ignatius von Loyola, <strong>der</strong> Begrün<strong>der</strong> des Jesuitenordens (�1556), etc.<br />
• Ordensreformatoren wie Bernhard v. Clairvaux, Reformator des<br />
Zisterzienser-Ordens, Theresia von Avila und ihr spanischer<br />
„Kollege“ Johannes vom Kreuz (�1591) - beide Reformatoren des
28 Gotteserfahrung<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Karmeliten-Ordens.<br />
• Sozial-Reformer: Katharina v. Siena, Katharina v. Genua.<br />
• Dichter und Philosophen: Dante, Plotin, Pascal.<br />
• Naturwissenschaftler: Pascal, Swedenborg.<br />
• Retter des Vaterlands: Jeanne d'Arc.<br />
• Heilkundige: Hildegard v. Bingen, Paracelsus (�1541).<br />
Diese Liste ließe sich beliebig verlängern: sie soll nur anzeigen, zu<br />
welchen Leistungen, für die Menschheit segensreichen Leistungen, die<br />
wahren Mystiker imstande sind.<br />
Was ist nun <strong>der</strong> Unterschied zwischen Religion auf <strong>der</strong> einen und<br />
Spiritualität auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite? Vielleicht so: Die Religionen lassen<br />
uns aus den Erfahrungen an<strong>der</strong>er Menschen lernen, die Spiritualität o<strong>der</strong><br />
Mystik bringt uns dagegen dazu, treibt uns dazu an, nach eigenen<br />
Erlebnissen zu streben:<br />
„Nicht davon ist <strong>der</strong> Mensch selig, dass Gott in ihm ist und ihm so nahe<br />
ist; son<strong>der</strong>n, dass er weiß, wie nahe er ihm ist und dass er ihn erkennt und<br />
liebt.“ (Meister Eckhart) „Der Mensch gelangt zu seinem wahren Wesen,<br />
wenn er in diesem Leben Gott begegnet. Wenn ihm dies nicht gelingt,<br />
kommt dies für ihn dem größten Unglück gleich.“ (Upanishaden). Bei<br />
Licht betrachtet, führen die Wege <strong>der</strong> Selbsterkenntnis und <strong>der</strong><br />
Gotteserkenntnis zum gleichen Ziel: Wer sich selbst erkennt, erkennt Gott<br />
und wer Gott erkennt, findet sich selbst. Denn Subjekt (= Ich) und Objekt<br />
(= Gott) sind eins:<br />
„Als ich war, war Gott nicht. Jetzt ist Gott, und ich bin nicht<br />
mehr.“ (ind. Mystiker)<br />
O<strong>der</strong> mit Angelus Silesius, dem deutschen geistlichen Dichter; (�<br />
1677): „Das Tröpflein wird das Meer, wenn es ins Meer gekommen, die<br />
Seele Gott, wenn sie in Gott ist aufgenommen.“<br />
Die Mystiker, die wirklich erleuchteten Menschen, haben einen<br />
spirituellen Partner: Gott. Gott, <strong>der</strong> göttliche Geist, ist gewissermaßen <strong>der</strong><br />
Ehemann und <strong>der</strong> Mensch, die menschliche Seele die Ehefrau. Der<br />
göttliche Geist sät seinen Samen und die Seele gebiert ihn aus. Diese<br />
Früchte sind Frieden, Freude, Geduld, Barmherzigkeit, kurz: Liebe<br />
gegenüber allem und jedem. Denn Gott ist Liebe, und wer in <strong>der</strong> Liebe ist,<br />
<strong>der</strong> ist in Gott und Gott in ihm. Das ist auf eine Kurzformel gebracht, das<br />
mystische Erfolgsgeheimnis. In <strong>der</strong> Stille vereinigt sich <strong>der</strong> Mystiker mit<br />
dem göttlichen Du und horcht auf diese Stimme, was sie ihm zu sagen hat:<br />
jene sanfte, leise Stimme, die „donnert.“<br />
Gäbe es die Mystiker nicht, die Welt wäre um vieles ärmer. Sie sind<br />
nicht nur die wahren Freunde und Helfer <strong>der</strong> Menschheit, sie sind viel
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Gebet des Herzens<br />
29<br />
mehr: ihre Elite. Sie haben das Ziel erreicht, das Augustinus vor Augen<br />
hatte, als er sagte:<br />
„Das ganze Werk unseres Lebens zielt darauf hin, die Augen unseres<br />
Herzens zu heilen, so dass sie fähig werden, Gott zu schauen.“<br />
(Quelle: Werde, <strong>der</strong> du bist! Triga-Der Verlag)<br />
����������<br />
Gebet des Herzens<br />
„O Vater, Herr und Gott, Dich loben wir, Dir danken wir! –<br />
Dich, Gott und Vater, ehret die Schöpfung weit und breit, alle<br />
Sterne und alle Himmel sind voll von Deinem Ruhme! Alle<br />
Engel und alle Himmelsheere dienen allzeit Deinem Willen!<br />
Cherubim und Seraphim singen mit hoher Stimme: „Heilig ist<br />
unser Gott, heilig ist unser Vater! Alle Lande, alle Welten, alle<br />
Himmel sind Seines großen Namens voll!“<br />
Ach, mein Gott und Vater, hilf, hilf, hilf, dass dieser Dein<br />
allerheiligster, über alles mächtiger und kräftiger Name<br />
allerwürdigst auch von uns und durch uns möchte geheiliget<br />
werden! – Lasse ja nicht zu, dass er je möchte verunreiniget<br />
werden durch Gedanken, Worte o<strong>der</strong> Werke! Erbarme Dich,<br />
erbarme Dich über mich und die Meinigen und über alle<br />
Menschen!<br />
Siehe, mein Gott und Vater, Du hast mir allergnädigst einen<br />
hellen Schein in mein Herz gegeben und lässest mich wissen<br />
und erfahren die heimliche Weisheit, die im verborgenen ist und<br />
allein aus Deiner unendlichen Liebe und Erbarmung in mein<br />
noch höchst unlauteres Herz fließet! – Oh, verbirg Dein göttlich<br />
Antlitz vor meiner Missetat und schaffe, schaffe, schaffe in mir,<br />
o Gott und Vater, ein reines Herz und gib mir einen gewissen<br />
Geist, ja Deinen Heiligen Geist gebe mir!<br />
Verwirf mich nicht, o mein Gott und Vater! Tröste, tröste,<br />
tröste mich allezeit mit Deiner Liebe und Gnade! Ach mein<br />
Vater, Gott und Herr, bekehre Du uns, so sind wir bekehrt! Hilf<br />
uns, so ist uns geholfen! – Und erbarme Dich aller Menschen,<br />
Seelen und Geister! – Amen. – O mein Jesus, in Deinem<br />
allerheiligsten, über alles mächtigen und kräftigen Namen –<br />
Amen!“ (HiG Bd. 1 S. 344)
30 Und hätte <strong>der</strong> Liebe nicht<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Und hätte <strong>der</strong> Liebe nicht<br />
„Wahrlich sage Ich euch: Der Sün<strong>der</strong> mag tun, was er will, er mag die<br />
Gebote noch strenger halten als <strong>der</strong> Mond seine Viertel und die Erde ihre<br />
Jahreszeiten, er mag beten bei Tag und Nacht und mag Buße tun auf<br />
glühenden Eisen und mag fasten und sich kasteien, dass alle Welt darob in<br />
das größte Erstaunen gesetzt würde, so sie die außenordentlichen Werke<br />
seiner Buße sehen möchte - ja Ich sage, er möge seine Haut ausziehen und<br />
einen Toten damit bekleiden, und er kann einen Glauben haben, dass er<br />
sich sogar die Sterne untertänig machen mag - so er aber die Liebe nicht<br />
hat, wahrlich, sage Ich, dann wird er wohl seinen Lohn bekommen, um<br />
den er gearbeitet und solches getan hat; aber mit dem Kleide <strong>der</strong> Unschuld<br />
wird er nimmer angetan werden, weil nur die Liebe einzig und allein das<br />
wahre Kleid <strong>der</strong> Unschuld ist. Und es werden über seinem Haupte<br />
schweben mit dem Kleide <strong>der</strong> Unschuld Angetane gleich lichten<br />
Nebelstreifen.<br />
Wer aber statt alles dessen das einzige, unendlich sanfte Gebot <strong>der</strong><br />
Liebe ergriffen hat und hat dasselbe lebendig gemacht in seinem Herzen,<br />
<strong>der</strong> hat durch dieses innere, heilige Feuer alle Schuld aus sich<br />
hinausgeschafft und hat sich vollkommen gereinigt in seiner Demut durch<br />
Meine Liebe in ihm. Und es werden die sogestalt hinausgeschafften<br />
„Dünste“ selbst geläutert werden durch Meine Gnade und lebendig durch<br />
den Geist, <strong>der</strong> aus Meinem ewigen Morgen weht. Und so wird aus <strong>der</strong><br />
gereinigten Schuld selbst das Kleid <strong>der</strong> Unschuld für die bereitet werden,<br />
die Mich nicht in ihrem Glauben, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Demut und in <strong>der</strong> Liebe<br />
gefunden haben.<br />
Denn wenn es heißt, dass da vor allem Mein Reich gesucht werden soll<br />
und alles an<strong>der</strong>e dann als freie Gabe hinzugegeben werde, so bedenket,<br />
dieses Mein Reich ist eben nur die Liebe! - Wer Mich also sucht durch<br />
die Liebe und in <strong>der</strong> Liebe, <strong>der</strong> sucht Mich im Geiste und in <strong>der</strong><br />
Wahrheit. Und dieses ist „Mein Reich“.<br />
Wer Mich alsdann so gefunden hat, <strong>der</strong> hat auch Mein Reich mit Mir<br />
gefunden. Und da er das gefunden hat, saget selbst, was er hernach noch<br />
suchen sollte, das er nicht schon dadurch gefunden hätte?<br />
Die Liebe bringet alles mit sich, <strong>der</strong> Glaube aber nur sich selbst. Und<br />
es können viele glauben ohne Liebe, aber ihr könnet unmöglich denken,<br />
dass die Liebe je vermöchte den Glauben auszuschließen.<br />
Daher sage Ich jetzt wie allezeit: Wachset in <strong>der</strong> Liebe, so werdet ihr<br />
wachsen in allem! Denn die Liebe vergibt alles und die Liebe gibt alles!<br />
Das sage Ich, euer Vater, als die Ewige Liebe Selbst. Amen.“<br />
(HiG. Bd.1, S. 237,29-34)
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Geheimnis zwischen Himmel und Hölle<br />
31<br />
Geheimnis zwischen Himmel und Hölle<br />
Ein Wissenschaftler wird zum Mystiker<br />
Dan Millman<br />
Viele sehen, wenn sie das Wort „Mystiker“ hören,<br />
unwillkürlich das Bild eines unpraktischen, weltfremden<br />
Menschen vor sich, <strong>der</strong> mit dem Kopf in den Wolken und<br />
mit den Füßen wer weiß wo schwebt. Doch das Leben,<br />
das Emanuel Swedenborg ursprünglich geführt hat, zeigt,<br />
dass er ein ausgesprochen rational denken<strong>der</strong> Mensch<br />
war, ein berühmter technischer Neuerer und genialer<br />
Wissenschaftler, mit an<strong>der</strong>en Worten: wohl kaum <strong>der</strong><br />
Emanuel Swedenborg<br />
1688-1772<br />
richtige Kandidat für das Leben des legendären Mystikers, <strong>der</strong> er später<br />
einmal werden sollte.<br />
In seiner Heimat Schweden war Swedenborg in <strong>der</strong> Renaissance ein<br />
angesehener Bürger. Neben vielen an<strong>der</strong>en Ämtern war er Wissenschaftler<br />
am Königshof und verfasste Gesetzesentwürfe. Er beherrschte neun<br />
Sprachen, schrieb aber hauptsächlich auf lateinisch, <strong>der</strong><br />
Gelehrtensprache seiner Zeit. In seiner Freizeit lernte er, Bücher zu<br />
binden und Uhren, Schränke und wissenschaftliche Instrumente<br />
herzustellen. Gleichzeitig war Swedenborg Astronom, medizinischer<br />
Wissenschaftler und Maschinenbauer. Er schliff sogar eigenhändig die<br />
Linsen für das Fernrohr und das Mikroskop, die er sich baute. Unter<br />
an<strong>der</strong>em entwarf er ein Luftgewehr, ein Unterseeboot (das nie gebaut<br />
wurde), eine Flugmaschine (die tatsächlich zwei Jahrhun<strong>der</strong>te später, am<br />
Anfang des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, in dieser Form konstruiert und auch<br />
geflogen wurde), eine Musikmaschine, eine Heizung und einen<br />
Feuerlöscher.<br />
Außerdem schuf er die Entwürfe für das größte Trockendock <strong>der</strong> Welt<br />
und überwachte anschließend für den schwedischen König den Transport<br />
einer Schiffsflotte zweiundzwanzig Kilometer über die Berge (!), was zu<br />
einem entscheidenden militärischen Sieg führte.<br />
Im Hinblick auf Swedenborg sind Begriffe wie „genial“ o<strong>der</strong> „praktisch<br />
begabt“ krasse Untertreibungen. 1742, im Alter von 54 Jahren,<br />
beherrschte er alle damals bekannten Zweige <strong>der</strong> Wissenschaft und hatte<br />
außerdem mehrere neue entwickelt. Er hatte das Wissen und die<br />
Entdeckungen auf jedem dieser Gebiete in 150 Werken zusammengefasst<br />
und all diese Daten stets in zusammenhängende Systeme eingeglie<strong>der</strong>t,<br />
ehe er sich <strong>der</strong> nächsten Disziplin zuwandte. Oft machte er dabei neue
32 Geheimnis zwischen Himmel und Hölle<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Entdeckungen. Nachdem dieser Mann mit dem unergründlichen Genie<br />
das ganze Wissen seiner Zeit verschlungen und systematisch zusammengefasst<br />
hatte, beschloss er, die Existenz <strong>der</strong> Seele zu beweisen. Dabei<br />
wurde er zum Mystiker.<br />
Nachdem er das gesamte Territorium <strong>der</strong> äußeren Welt erforscht<br />
hatte, war es eigentlich nur logisch, dass er seinen unermesslichen<br />
Intellekt nun <strong>der</strong> inneren Welt zuwandte. Als Wissenschaftler wusste<br />
Swedenborg, dass er nach innen schauen musste, um die Seele zu<br />
entdecken. Also begann er seine Träume zu analysieren und seinen eigenen<br />
Geist mit Hilfe eines direkten, ausgeklügelten meditativen Prozesses zu<br />
erforschen. Dabei begegnete er Elementen seiner „Schattenseite“ — seiner<br />
Überheblichkeit und <strong>der</strong> „Unreinheit <strong>der</strong> Seele“. Die scharfsichtigen<br />
Erkenntnisse, die er in seinen Schriften festhielt, nehmen manches von <strong>der</strong><br />
später entstandenen Wissenschaft <strong>der</strong> Psychologie vorweg; C. G. Jung hat<br />
Emanuel Swedenborg viel zu verdanken.<br />
Swedenborgs Forschungsreisen ins eigene Innere setzten einen tief<br />
greifenden, manchmal gewaltsamen Prozess <strong>der</strong> inneren Läuterung in<br />
Gang, auf den schließlich die Hingabe an Gott und echte Demut folgten.<br />
Wie für viele Rationalisten war Gott für Swedenborg vorher lediglich eine<br />
Abstraktion gewesen. Doch im Lauf einer einzigen Nacht sollte sich seine<br />
Sichtweise grundlegend än<strong>der</strong>n. Es begann, als er im Bett lag. Zuvor<br />
hatte Swedenborg ein göttliches Wesen angerufen und es gebeten, ihm<br />
bei seiner Suche nach <strong>der</strong> Seele behilflich zu sein. „Da überkam mich<br />
plötzlich ein mächtiges Zittern“ ..., berichtet er, „und gleichzeitig<br />
hörte ich ein weithin schallendes Geräusch, so wie das Pfeifen<br />
heftiger Winde. Ich stellte fest, dass mich etwas Heiliges umfangen<br />
hatte; … es schüttelte mich und warf mich vornüber, so dass ich aufs<br />
Gesicht fiel. Ich sah, wie ich nie<strong>der</strong>geworfen wurde, und fühlte, wie<br />
mir die Worte in den Mund gelegt wurden: „Oh, allmächtiger Jesus<br />
Christus, <strong>der</strong> du dich in deiner großen Gnade dazu herablässt, zu<br />
einem so großen Sün<strong>der</strong> zu kommen, mach, dass ich dieser Gnade<br />
auch würdig bin!“ Ich betete, und da streckte sich mir eine Hand<br />
entgegen, die meine Hände drückte. Ich saß an Seiner Brust und<br />
erblickte Ihn von Angesicht zu Angesicht, ... ein so heiliges Antlitz,<br />
dass ich es gar nicht beschreiben kann.“ Es schien, dass Christus zu<br />
ihm sprach und sagte: „Liebe mich wirklich und wahrhaftig“ und „Tue,<br />
was du versprochen hast.“<br />
Diese göttliche Züchtigung bewegte den würd<strong>ev</strong>ollen<br />
Wissenschaftler tief und verwandelte ihn für den Rest seines Lebens in<br />
einen demütigen, fast kindlichen Gläubigen. Er begriff, dass <strong>der</strong>
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Geheimnis zwischen Himmel und Hölle<br />
33<br />
Intellekt, auf den er so stolz gewesen war, aus sich selbst heraus keine<br />
unvergängliche Wahrheit und Weisheit und auch keinen Frieden<br />
schaffen konnte. Diese Eigenschaften, so wurde Swedenborg klar,<br />
existierten ewig - sie hatten schon vor dem menschlichen Verstand<br />
existiert und kamen ausschließlich von Gott.<br />
Eine einzige Vision hatte Emanuel Swedenborgs mystische Reise in<br />
Gang gesetzt. Aber das Göttliche griff immer wie<strong>der</strong> in sein Leben<br />
ein: Die Samen des Spirituellen keimten in ihm und brachten im Lauf<br />
<strong>der</strong> Zeit bedeutsame Offenbarungen und Erkenntnisse hervor. Und<br />
bald sollte sich ein Tor zu an<strong>der</strong>en Welten vor ihm auftun.<br />
Eines Nachts erschien ihm in seinem Zimmer plötzlich eine<br />
scheinbar menschliche Gestalt. „Er sagte, Er sei Gott, <strong>der</strong> Herr“,<br />
schreibt Swedenborg, „<strong>der</strong> Schöpfer <strong>der</strong> Welt und ihr Erlöser. Er habe<br />
mich dazu ausersehen, den Menschen den spirituellen Sinn <strong>der</strong> Heiligen<br />
Schrift zu erläutern, und Er selbst werde mir erklären, was ich darüber<br />
schreiben solle. In jener selben Nacht wurden mir die Welten <strong>der</strong><br />
Geister, Himmel und Hölle offenbart, so dass ich vollkommen von ihrer<br />
Realität überzeugt war. Ich sah dort viele alte Bekannte aus den<br />
verschiedensten Lebensumständen wie<strong>der</strong>. Von jenem Tag an gab ich das<br />
Studium aller weltlichen Wissenschaften auf und widmete mich nur noch<br />
den spirituellen Dingen, über die zu schreiben <strong>der</strong> Herr mir befohlen hatte.<br />
Danach öffnete <strong>der</strong> Herr mir täglich und oft meine körperlichen Augen,<br />
so dass ich in die an<strong>der</strong>e Welt hineinschauen und in einem Zustand<br />
vollkommener Wachheit mit Engeln und Geistern sprechen konnte.“<br />
Dies ist das erstaunliche Zeugnis eines außergewöhnlichen Mystikers<br />
o<strong>der</strong> eines völlig Verrückten. Doch Swedenborgs ganzes Leben vor<br />
diesem Ereignis belegt, dass er ein äußerst fähiger Mann und bei voller<br />
geistiger Gesundheit war. Auch die Qualität <strong>der</strong> Leistungen und<br />
Schriften, die er anschließend hervorbrachte, spricht für ihn.<br />
Im Lauf <strong>der</strong> nächsten 30 Jahre verfasste Swedenborg 36 Bände von<br />
atemberaubendem visionärem Weitblick, <strong>der</strong> vergleichbare Werke<br />
sämtlicher Zeitalter in den Schatten stellt, und in denen er bis ins<br />
kleinste Detail verschiedene Himmel und Höllen, das Wesen Gottes, <strong>der</strong><br />
Engel und Dämonen sowie unsere Beziehung zu diesen Wesen beschrieb<br />
und erklärte, was nach dem Tod mit uns geschieht. Außerdem verfasste er<br />
noch viele weitere Bücher.<br />
Aus Swedenborgs innerem Leben erwuchsen ihm geheimnisvolle<br />
Kräfte und Fähigkeiten, was viele glaubwürdige Zeitgenossen bezeugt<br />
haben. Einmal bat Königin Luise ihn, mit ihrem kürzlich verstorbenen<br />
Bru<strong>der</strong> Kontakt aufzunehmen. Ein paar Tage später überbrachte er <strong>der</strong>
34 Geheimnis zwischen Himmel und Hölle<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Königin eine Nachricht - eine vertrauliche Botschaft eben dieses Bru<strong>der</strong>s,<br />
die sie so aus <strong>der</strong> Fassung brachte, dass sie den Hof sofort blass und<br />
am ganzen Leib zitternd verließ. Später berichtete sie, Swedenborg habe ihr<br />
eine Information gegeben, die kein leben<strong>der</strong> Mensch wissen konnte.<br />
Am 17. Juli 1759 nahm Swedenborg an einer großen, feierlichen<br />
Abendgesellschaft im Haus des wohlhabenden Kaufmanns William Castel<br />
teil. Um sechs Uhr geriet Swedenborg plötzlich in einen Zustand großer<br />
Aufregung. Als man ihn fragte, was denn los sei, beschrieb er ganz genau<br />
einen Brand, <strong>der</strong> im 450 Kilometer weit entfernten Stockholm<br />
ausgebrochen war.<br />
Die Nachricht sprach sich in <strong>der</strong> ganzen Stadt herum. Als <strong>der</strong><br />
Gouverneur davon hörte, ließ er Swedenborg zu sich rufen und sich einen<br />
ausführlichen Bericht von dem Brand geben. Swedenborg erklärte ihm,<br />
wo, wann und wie er ausgebrochen war - ja sogar, welche Häuser den<br />
Flammen zum Opfer gefallen waren. Zwei Tage später trafen Boten aus<br />
Stockholm ein ... und es stellte sich heraus, dass Swedenborgs Bericht in<br />
allen Einzelheiten stimmte.<br />
Bei einer an<strong>der</strong>en Abendgesellschaft - in <strong>der</strong> Nacht, in <strong>der</strong> Zar Peter<br />
III. von Russland im Gefängnis erwürgt wurde - geriet Swedenborg<br />
erneut in plötzliche Aufregung und fiel in Trance. Als er wie<strong>der</strong> zu<br />
Bewusstsein kam, bestanden die Gäste darauf, zu erfahren, was er<br />
gesehen hatte. Aufgewühlt beschrieb er den Tod des russischen Zaren in<br />
anschaulichen Details und for<strong>der</strong>te die Gäste auf, sich Datum und Uhrzeit<br />
zu notieren, damit sie später, wenn die Nachricht eintraf, alles mit seinem<br />
Bericht vergleichen konnten. Ein paar Tage darauf stellte sich heraus, dass<br />
die russischen Zeitungsberichte genau Swedenborgs Vision entsprachen.<br />
Manchmal besaß Swedenborgs Humor eine moralische Spitze. Er<br />
erklärte, alle äußere Zurschaustellung von Frömmigkeit sei sinnlos;<br />
letzten Endes zähle nur <strong>der</strong> mildtätige Dienst am an<strong>der</strong>en. Einmal nahm er<br />
an einer <strong>Gesellschaft</strong> bei Erzbischof Troilus teil, einem leidenschaftlichen<br />
Glücksspieler, <strong>der</strong> einem Kartenspiel namens Tresette frönte. Sein<br />
Spielpartner Erland Broman war kurz zuvor gestorben. „Erzähle uns von<br />
<strong>der</strong> Geisterwelt“, verspottete <strong>der</strong> Erzbischof Swedenborg. „Wie verbringt<br />
mein Freund Broman dort seine Zeit?“<br />
„Erst vor ein paar Stunden habe ich ihn gesehen, wie er in <strong>Gesellschaft</strong><br />
des Bösen seine Karten mischte“, erwi<strong>der</strong>te Swedenborg schlagfertig. „Er<br />
wartete auf Euer Hochwürden, weil ihm noch ein Tresette-Partner fehlte.“<br />
Emanuel Swedenborg schrieb, dass Engel und Dämonen in ihren<br />
eigenen Reichen und gleichzeitig in unseren Köpfen existierten und dass<br />
unsere Gedanken, Gefühle und Impulse von diesen inneren Bewohnern
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Geheimnis zwischen Himmel und Hölle<br />
35<br />
herrührten. Wir lebten, so schrieb er, in einem Raum des freien Willens<br />
zwischen Himmel und Hölle; unsere spirituelle Herausfor<strong>der</strong>ung bestehe<br />
darin, uns inmitten dieses Tumults wi<strong>der</strong>streiten<strong>der</strong> Kräfte in unserem<br />
Inneren in je<strong>der</strong> Sekunde unseres Lebens für das Gute zu entscheiden.<br />
Für ihn definierte sich die Seele durch ihre Entscheidungen und<br />
Handlungen, nicht durch ihren Glauben o<strong>der</strong> die Ideale, zu denen sie sich<br />
bekennt. Er erklärte, dass unsere Seele sich nach dem Tod entwe<strong>der</strong> den<br />
Himmel o<strong>der</strong> die Hölle als Aufenthaltsort wähle, so wie sie sich auch zu<br />
unseren Lebzeiten in jedem Augenblick entwe<strong>der</strong> für Himmel o<strong>der</strong> Hölle<br />
entscheide.<br />
Obwohl Swedenborg ein strenggläubiger Christ war, hatten für ihn (wie<br />
für die meisten Erleuchteten) alle Religionen Gültigkeit. „Sie sind wie die<br />
vielen Edelsteine in <strong>der</strong> Krone eines Königs“, sagte er. Die wahre Kirche<br />
existiere überall dort, wo die Menschen einan<strong>der</strong> mit barmherziger<br />
Menschenliebe behandelten, und es würden unabhängig von ihrem<br />
Glauben alle erlöst werden, die nach dem Grundsatz <strong>der</strong> Liebe lebten.<br />
Ohne Liebe, erklärte Swedenborg, sind wir gar nichts.<br />
Er schwor, dass die Engel im Himmel ihm diese Wahrheiten offenbart<br />
hatten.<br />
Swedenborgs mystische Schriften wurden schon zu seinen Lebzeiten<br />
bekannt und berühmt. Dennoch veröffentlichte und verkaufte er sie<br />
anonym zu einem geringeren Betrag, als ihn <strong>der</strong> Druck gekostet hatte. Sein<br />
einziges Ziel bestand darin, mit seinen spirituellen Wahrheiten möglichst<br />
viele Seelen zu erreichen, so wie es seinem himmlischen Auftrag<br />
entsprach. Erst in seinen letzten Lebensjahren wurde bekannt, dass er <strong>der</strong><br />
Autor dieser Bücher war. Sein umfangreiches Werk, das in 20<br />
verschiedene Sprachen übersetzt wurde - und auch heute, nach zwei<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ten, immer noch gedruckt wird - hat unzählige Schriftsteller,<br />
Künstler und Mystiker beeinflusst, darunter Balzac, Hugo, Blake,<br />
Emerson, Thoreau, Whitman, Jung, D. T. Suzuki, Alan Watts und viele<br />
an<strong>der</strong>e. Seine Anhänger, die Swedenborgianer, haben inzwischen in<br />
verschiedenen Län<strong>der</strong>n überall auf <strong>der</strong> Welt eigene Kirchen gegründet.<br />
Viele geniale Köpfe <strong>der</strong> Menschheit haben ihren eigenen Tod<br />
vorausgeahnt. Doch Swedenborg sagte in seinem engsten Freundeskreis<br />
sogar das Jahr, den Tag und die Uhrzeit seines Todes voraus. Als er im<br />
Sterben lag, kam ein Geistlicher namens Ferelious zu ihm, um ihn mit den<br />
Sterbesakramenten zu versehen. Er erklärte Swedenborg, dass viele<br />
Menschen glaubten, seine spirituellen Schriften seien nur eine Ausgeburt<br />
seiner eigenen Phantasie. Wenn dies tatsächlich <strong>der</strong> Fall sei, so solle er es<br />
vor seinem Tode noch beichten, um mit reinem Gewissen aus dem Leben
36 Geheimnis zwischen Himmel und Hölle<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
zu scheiden.<br />
„Da richtete Swedenborg sich halb in seinem Bett auf“, schreibt<br />
Ferelious. „Er legte die Hand auf seine Brust und beteuerte voller Eifer:<br />
‚So wahr Ihr mich hier vor Euren Augen seht, so wahr ist alles, was ich<br />
geschrieben habe; und ich hätte noch mehr sagen können, wenn es mir<br />
gestattet gewesen wäre. Wenn Ihr in die Ewigkeit eingeht, werdet Ihr alles<br />
sehen, und dann werden wir beide viel miteinan<strong>der</strong> zu bereden haben.‘“<br />
Nach seinem Tod erzählte das Dienstmädchen, das in Swedenborgs<br />
Haus arbeitete, er habe sich anscheinend sehr auf diesen Moment gefreut:<br />
„so wie jemand, <strong>der</strong> in Urlaub geht.“ Nach einem Leben<br />
außergewöhnlichen Dienstes an <strong>der</strong> Menschheit und im vollen<br />
Bewusstsein seiner Bestimmung sah er vielleicht tatsächlich einer Art<br />
Urlaub entgegen. (Quelle: Dan Millman – Begegnungen mit dem Göttlichen)<br />
����������<br />
Sollen wir den Büchern Emanuel Swedenborgs<br />
vollen Glauben schenken?<br />
„Was den Emanuel Swedenborg betrifft, so sollen sie die Fragesteller<br />
es versuchen, ob auch sie ohne Meine Weisheit etwa solches zu sagen<br />
vermögen! Er ward von Mir erweckt und wurde von Meinen Engeln<br />
geführt in alle ihre Weisheit aus Mir, je nach Graden ihrer Liebe.<br />
Und was er sagt, ist gut und wahr.<br />
Meine Lehre und Mein lebendiges Wort aber, das zu euch kommt aus<br />
Meinem Munde durch die Liebe in euch, steht höher denn alle Propheten<br />
und alle Weisheit <strong>der</strong> Engel! – Denn die Liebe ist das Erste und Höchste,<br />
hernach kommt erst die Weisheit.<br />
Wer daher die wahre Liebe hat zu Mir, dem wird auch Weisheit in <strong>der</strong><br />
Fülle gegeben werden. Wer aber sucht die Wahrheit ohne die Liebe vorher,<br />
<strong>der</strong> wird nichts finden denn Trug und wird sein ein Doppelgänger und am<br />
Ende nicht wissen, welcher eigentlich <strong>der</strong> echte ist.<br />
Darum liebet zuerst und lasset den Vorwitz, so wird die Sonne in euch<br />
aufgehen. – Amen! Amen! Amen!“ (HiG.1; S.17,10-14)<br />
„Swedenborg ist wahr und gut, solches kannst du glauben.“<br />
(HiG.2; S. 53,21)
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Das Gebet<br />
37<br />
Das Gebet<br />
Alexis Carrel (1873-1944)<br />
Einleitung<br />
Uns Abendlän<strong>der</strong>n will es scheinen, die Vernunft sei<br />
<strong>der</strong> Intuition stark überlegen. Wir ziehen die Intelligenz<br />
dem Empfinden kräftig vor. Die Wissenschaft leuchtet,<br />
während die Religion rußt. Wir folgen Descartes und<br />
verlassen Pascal.<br />
Daher suchen wir vor allem die Intelligenz in uns zu<br />
for<strong>der</strong>n. Die nicht-intellektuellen Regungen des Geistes -<br />
etwa <strong>der</strong> moralische Sinn, <strong>der</strong> Sinn für Schönheit und vor<br />
allem <strong>der</strong> Sinn für das Heilige - werden fast ganz<br />
Alexis Carrel<br />
Franz. Chirurg und<br />
Nobelpreisträger<br />
vernachlässigt. Das Verkümmern dieser wesentlichen Regungen macht<br />
den mo<strong>der</strong>nen Menschen geistig blind. Solche Verkrüppelung raubt ihm<br />
aber die Eignung zu einem gesunden Baustein <strong>der</strong> <strong>Gesellschaft</strong>. Das<br />
Zerbröckeln unserer Zivilisation ist <strong>der</strong> schlechten Qualität <strong>der</strong> einzelnen<br />
zuzuschreiben. Seelisches erweist sich in <strong>der</strong> Tat als ebenso<br />
unentbehrlich für das Gelingen des Lebens wie Intellektuelles und<br />
Materielles. Es ist daher dringend nötig, die Regungen <strong>der</strong> Seele in uns zu<br />
wecken, welche - viel mehr als die Intelligenz - <strong>der</strong> Persönlichkeit Kraft<br />
verleihen. Unter ihnen am meisten verkannt ist <strong>der</strong> Sinn für das Heilige<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> religiöse Sinn.<br />
Der Sinn für das Heilige findet seinen Ausdruck vor allem im Gebet.<br />
Das Gebet ist - wie <strong>der</strong> Sinn für das Heilige - offenkundig ein<br />
seelisches Phänomen. Die Welt <strong>der</strong> Seele entzieht sich nun aber<br />
unseren technischen Mitteln. Wie lässt sich da eine positive Kenntnis<br />
des Gebets erwerben? Der Bereich <strong>der</strong> Wissenschaft umfasst<br />
glücklicherweise alles Beobachtbare. Und so lässt er sich dank <strong>der</strong><br />
Mittlerschaft <strong>der</strong> Physiologie auf die Manifestationen des Seelischen<br />
ausdehnen. Wir werden also durch systematische Beobachtung des<br />
betenden Menschen erfahren, worin das Phänomen des Gebets, seine<br />
Technik und seine Wirkungen bestehen.<br />
Definition des Gebets<br />
Das Gebet erweist sich im Wesentlichen als Ausgreifen des Geistes<br />
nach dem unstofflichen Substrat <strong>der</strong> Welt. Im Allgemeinen besteht es<br />
aus einer Klage, einem Angstschrei o<strong>der</strong> einem Hilferuf. Mitunter wird<br />
es zu einer abgeklärten Schau des allen Dingen immanenten und<br />
transzendenten Prinzips. Es lässt sich auch als eine Erhebung <strong>der</strong> Seele
38 Das Gebet<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
zu Gott hin bestimmen. Als ein Akt <strong>der</strong> Liebe und <strong>der</strong> Anbetung<br />
gegenüber dem, von dem das Wun<strong>der</strong> des Lebens stammt. Kurz, das<br />
Gebet stellt das Bemühen des Menschen dar, mit einem unsichtbaren<br />
Wesen in Beziehung zu treten, mit dem Schöpfer alles Bestehenden,<br />
mit <strong>der</strong> höchsten Weisheit, Kraft und Schönheit, mit dem Vater und<br />
Heiland eines jeden von uns. Weit davon entfernt, ein simples Sprechen<br />
bestimmter Formeln zu sein, stellt das wahre Gebet einen mystischen<br />
Zustand dar, wo das Bewusstsein in Gott aufgeht. Dieser Zustand ist<br />
nicht intellektueller Art. So bleibt er denn auch den Philosophen und<br />
Gelehrten bis zur Unbegreiflichkeit verschlossen. Gleich wie <strong>der</strong> Sinn<br />
für das Schöne und die Liebe bedarf es keines Buchwissens. Die<br />
Einfältigen spüren ebenso selbstverständlich Gott wie die Sonnenwärme<br />
o<strong>der</strong> den Duft einer Blume. Aber dieser Gott, <strong>der</strong> für den, <strong>der</strong> zu<br />
lieben versteht, so zugänglich ist, verbirgt sich dem, <strong>der</strong> nur begreifen<br />
kann. Das Denken und die Sprache versagen, wenn er beschrieben<br />
werden soll. Daher findet das Gebet seinen höchsten Ausdruck in einem<br />
Aufschwung <strong>der</strong> Liebe durch die dunkle Nacht <strong>der</strong> Intelligenz hindurch.<br />
Seine Technik - wie soll man beten?<br />
Wie sollen wir beten? Wir haben die Technik des Gebets von den<br />
christlichen Mystikern gelernt, angefangen mit dem heiligen Paulus bis<br />
zum heiligen Benedikt und zu <strong>der</strong> Unzahl namenloser Apostel, die die<br />
Völker des Abendlandes während zwanzig Jahrhun<strong>der</strong>ten ins religiöse<br />
Leben eingeführt haben. Platos Gott war in seiner Größe unzugänglich.<br />
Der Gott Epiktets verschmolz mit <strong>der</strong> Seele <strong>der</strong> Dinge. Jahwe war ein<br />
orientalischer Despot, <strong>der</strong> nicht Liebe, son<strong>der</strong>n Schrecken einflößte.<br />
Umgekehrt das Christentum: es hat Gott in die Reichweite des<br />
Menschen gebracht. Es hat Gott ein Gesicht gegeben. Es hat ihn zu<br />
unserem Vater, unserem Bru<strong>der</strong> und unserem Heiland gemacht. Um<br />
Gott zu erreichen, bedarf es keines komplizierten Zeremoniells und<br />
keiner blutigen Opfer mehr. Das Beten ist leicht geworden und seine<br />
Technik einfach.<br />
Zum Beten genügt das Bemühen, sich auf Gott auszurichten. Und<br />
zwar ein Bemühen des Empfindens, nicht des Intellekts. Eine<br />
Betrachtung über Gottes Größe ist, zum Beispiel, kein Gebet, wenn sie<br />
nicht gleichzeitig Liebe und Vertrauen ausdrückt. So geht ein Gebet<br />
nach <strong>der</strong> Methode La Salles von einer intellektuellen Erwägung aus, um<br />
sofort auf das Empfinden überzugreifen. Ob kurz o<strong>der</strong> lang, ob laut o<strong>der</strong><br />
nur innerlich, das Gebet muss dem Gespräch eines Kindes mit seinem<br />
Vater gleichen. „Man stellt sich Gott so, wie man ist“, hat einmal eine
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Das Gebet<br />
39<br />
kleine barmherzige Schwester gesagt, die sich seit dreißig Jahren im<br />
Dienste <strong>der</strong> Armen verzehrt. Kurz, man betet so, wie man liebt: mit<br />
seinem ganzen Wesen.<br />
Was nun die Formen des Gebets betrifft, so reichen sie vom kurzen<br />
Stoßseufzer bis zur Kontemplation, von den schlichten Worten <strong>der</strong><br />
Bäuerin vor dem Kalvarienberg an <strong>der</strong> Weggabelung bis zum Preislied<br />
des Gregorianischen Chorals unter den Gewölben <strong>der</strong> Kathedrale.<br />
Feierlichkeit, Erhabenheit und Schönheit sind für die Wirksamkeit des<br />
Gebetes nicht erfor<strong>der</strong>lich. Nur ganz wenige Menschen haben so zu<br />
beten verstanden wie <strong>der</strong> heilige Johannes vom Kreuz o<strong>der</strong> <strong>der</strong> heilige<br />
Bernhard von Clairvaux. Aber man braucht nicht beredt zu sein, um<br />
erhört zu werden. Misst man den Wert eines Gebetes an seinen<br />
Ergebnissen, so scheinen dem Herrn aller Wesen unsere bescheidensten<br />
Worte des Bittens und Lobens ebenso annehmbar wie die schönsten<br />
Anrufungen. Auch automatenhaft geleierte Worte sind irgendwie ein<br />
Gebet. Ebenso eine Kerzenflamme. Es genügt, dass die beharrlich<br />
wie<strong>der</strong>holten Formeln und die stoffliche Flamme den Trieb eines<br />
Menschen zu Gott hin symbolisieren. Auch Taten können Gebete sein.<br />
Der heilige Aloysius von Gonzaga hat gesagt, Pflichterfüllung sei dem<br />
Beten ebenbürtig.<br />
Die beste Weise, mit Gott zu kommunizieren, ist ganz ohne Zweifel<br />
die, seinen Willen restlos zu erfüllen. „Unser Vater, Dein Reich komme,<br />
Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden...“ Und Gottes<br />
Willen tun besteht offensichtlich darin, jenen Gesetzen des Lebens zu<br />
gehorchen, die unserem Fleisch, unserem Blut und unserer Seele<br />
eingeschrieben sind.<br />
Die Gebete, die wie eine große Wolke von <strong>der</strong> Erde aufsteigen, sind<br />
untereinan<strong>der</strong> ebenso verschieden wie die Persönlichkeiten <strong>der</strong> Beter.<br />
Und doch wandeln sie alle nur zwei Themen ab: Not und Liebe. Es ist<br />
ganz in Ordnung, Gottes Hilfe anzurufen, um das zu erlangen, wessen<br />
man bedarf. Doch wäre es abgeschmackt, die Befriedigung einer Laune<br />
zu erbitten o<strong>der</strong> das, was wir uns mit eigener Anstrengung verschaffen<br />
sollen. Die zudringliche, hartnäckige, angriffige Bitte kommt zum Ziel:<br />
ein Blin<strong>der</strong>, <strong>der</strong> am Wegrand saß, heulte sein Flehen immer lauter, trotz<br />
<strong>der</strong> Leute, die ihn zum Schweigen bringen wollten. „Dein Glauben hat<br />
dich geheilt“, sagte Jesus, als er vorüberkam. In seiner höchsten Form ist<br />
das Gebet kein Bitten mehr. Der Mensch bekennt dem Herren aller<br />
Dinge, dass er ihn liebt, dass er ihm für seine Gaben dankt, dass er bereit<br />
ist, seinen Willen - was immer es sei - zu erfüllen. Das Gebet wird zur<br />
Beschauung. Ein alter Bauer sitzt allein in <strong>der</strong> letzten Bank <strong>der</strong> leeren
40 Das Gebet<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Kirche. „Worauf warten Sie?“ fragt man ihn. „Ich schaue ihn an“,<br />
antwortet er, „und er schaut mich an.“ Den Wert einer Technik misst<br />
man an ihren Resultaten. Beim Beten ist jede Technik gut, solange sie<br />
den Menschen mit Gott in Berührung bringt.<br />
Wo und wann soll man beten?<br />
Wo und wann soll man beten? Man kann überall beten: auf <strong>der</strong> Straße,<br />
im Auto, in <strong>der</strong> Eisenbahn, im Büro, in <strong>der</strong> Schule, in <strong>der</strong> Fabrik. Besser<br />
betet es sich freilich auf dem Feld, in den Bergen und im Wald, o<strong>der</strong> in<br />
<strong>der</strong> Einsamkeit des Zimmers. Es gibt auch das liturgische Beten, das in<br />
<strong>der</strong> Kirche stattfindet. Aber wo immer man betet, Gott spricht zum<br />
Menschen nur, wenn dieser in sich Ruhe schafft. Die innere Ruhe<br />
hängt einerseits vom organischen und seelischen Zustand ab, an<strong>der</strong>seits<br />
von <strong>der</strong> Umgebung, in die wir eingetaucht sind. Körperlicher und<br />
geistiger Friede sind im Wirrwarr, im Lärm und in <strong>der</strong> Zerstreutheit<br />
einer mo<strong>der</strong>nen Stadt schwer zu erlangen. Heutzutage brauchen wir<br />
Stätten des Gebets, am besten Kirchen, wo <strong>der</strong> Städter jene physischen<br />
und psychischen Voraussetzungen finden kann - und sei es auch nur für<br />
einen kurzen Augenblick -, die für seine innere Stille unerlässlich sind. Es<br />
wäre we<strong>der</strong> schwierig noch kostspielig, inmitten des städtischen<br />
Tumultes solche einladenden und schönen Friedensinseln zu schaffen. In<br />
<strong>der</strong> Stille solcher Zufluchtsorte könnten die Menschen ihre Gedanken zu<br />
Gott erheben, ihre Muskeln und ihre Organe ausruhen lassen, ihren<br />
Geist entspannen, ihr Urteil klären und die Kraft empfangen, <strong>der</strong>en sie<br />
bedürfen, um das harte Leben zu ertragen, das unsere Zivilisation ihnen<br />
auferlegt.<br />
Nur wenn das Beten zur Gewohnheit wird, formt es den Charakter.<br />
Man muss also häufig beten. „Denk häufiger an Gott, als du Atem<br />
holst“, sagt Epiktet. Es ist sinnlos, am Morgen zu beten und sich den<br />
übrigen Tag wie ein Barbar zu benehmen. Ganz kurze Gedanken o<strong>der</strong><br />
innerliche Anrufungen vermögen dem Menschen Gott dauernd zu<br />
vergegenwärtigen. Und so wird das ganze Verhalten vom Gebet<br />
bestimmt. So verstanden, wird das Gebet zu einer Weise <strong>der</strong> Lebensführung.<br />
Wirkung des Gebets<br />
Das Gebet zeitigt immer Ergebnisse, wenn es auf geeignete Weise<br />
verrichtet wird. „Niemand hat je gebetet, ohne dabei etwas zu lernen“,<br />
schreibt Ralph Waldo Emerson. Trotzdem hält <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Mensch das<br />
Gebet für eine missbräuchliche Gewohnheit, für eitel Aberglauben, für
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Das Gebet<br />
41<br />
einen Rest von Barbarei. Dabei wissen wir so gut wie nichts über seine<br />
Auswirkungen.<br />
Welches sind die Gründe für unsere Unwissenheit? Zunächst die<br />
Seltenheit des Gebets. Der Sinn für das Heilige kommt den Zivilisierten<br />
immer mehr abhanden. Wahrscheinlich macht die Zahl <strong>der</strong> Franzosen, die<br />
regelmäßig beten, nicht mehr als vier o<strong>der</strong> fünf Prozent <strong>der</strong><br />
Gesamtb<strong>ev</strong>ölkerung aus. Sodann sind die Gebete häufig unfruchtbar.<br />
Denn die Mehrzahl <strong>der</strong> Beter besteht aus Egoisten, Heuchlern,<br />
Hochmütigen o<strong>der</strong> Pharisäern, unfähig zum Glauben o<strong>der</strong> Lieben. Und<br />
wenn sich Wirkungen einstellen, entgehen sie uns oft. Die Antwort auf<br />
unsere Bitten und auf unsere Liebe ergeht in <strong>der</strong> Regel langsam,<br />
unmerklich, fast unhörbar. Das Stimmchen, das diese Antwort tief in<br />
unserm Inneren flüstert, wird vom Lärm <strong>der</strong> Welt leicht erstickt. Auch<br />
die materiellen Ergebnisse des Betens bleiben im Dunkeln. Meist<br />
vermischen sie sich mit an<strong>der</strong>n Erscheinungen. Nur wenige Menschen,<br />
selbst unter den Priestern, haben daher Gelegenheit, sie genau zu beobachten.<br />
Und die Ärzte lassen sich die Fälle, die ihnen vor Augen<br />
kommen, aus Mangel an Interesse häufig unbeachtet entgehen. Überdies<br />
werden die Beobachter oft durch den Umstand irregeführt, dass die<br />
Antwort längst nicht immer die erwartete ist. Manch einer, zum<br />
Beispiel, <strong>der</strong> um Heilung von einer organischen Krankheit bittet,<br />
bleibt zwar krank, erfährt aber eine tiefe und unerklärliche seelische<br />
Wandlung. Immerhin ist die Gewohnheit des Betens, so selten im<br />
Ganzen <strong>der</strong> B<strong>ev</strong>ölkerung, noch verhältnismäßig verbreitet unter jenen<br />
Gruppen, die <strong>der</strong> Religion <strong>der</strong> Väter treu geblieben sind. Dort ist es auch<br />
heute noch möglich, ihren Einfluss zu studieren. Der Arzt hat<br />
Gelegenheit, von ihren unzähligen Auswirkungen vor allem jene zu beobachten,<br />
die man psycho-physiologisch und heilend nennt.<br />
Psycho-physiologische Auswirkungen<br />
Die Auswirkungen des Gebets auf Geist und Körper scheinen von<br />
seiner Qualität, seiner Intensität und seiner Häufigkeit abzuhängen. Die<br />
Häufigkeit des Betens ist leicht in Erfahrung zu bringen und bis zu<br />
einem gewissen Maße auch seine Intensität. Seine Qualität dagegen<br />
bleibt eine Unbekannte, denn wir verfügen über keine Möglichkeit, den<br />
Glauben und die Kapazität <strong>der</strong> Nächstenliebe zu messen. Immerhin<br />
vermag uns die Lebensweise des Beters über die Qualität <strong>der</strong><br />
Anrufungen aufzuklären, die er an Gott richtet. Selbst wenn das Gebet<br />
von geringem Werte ist und hauptsächlich aus dem automatenhaften<br />
Hersagen bestimmter Formeln besteht, übt es einen Einfluss auf das
42 Das Gebet<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Verhalten aus. Es stärkt den Sinn für das Heilige und gleichzeitig den für<br />
Moral. Kreise, wo gebetet wird, sind geprägt von einem<br />
ausdauernden Pflichtgefühl und Verantwortungsbewusstsein, von<br />
geringer Eifersucht und Boshaftigkeit sowie von einer gewissen Güte<br />
gegenüber an<strong>der</strong>n. Es scheint erwiesen, dass <strong>der</strong> Charakter und <strong>der</strong><br />
moralische Wert - bei gleicher Entwicklung des Intellekts - von<br />
Individuen, die beten - und sei es auch nur auf mittelmäßige Weise -,<br />
höher stehen als die von Nicht-Betern.<br />
Wo das Gebet regelmäßig und wirklich inbrünstig verrichtet wird, ist<br />
sein Einfluss klar ersichtlich. Er lässt sich dem einer Drüse mit innerer<br />
Sekretion vergleichen, etwa dem <strong>der</strong> Schilddrüse o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Nebenniere.<br />
Er besteht in einer Art seelischer und organischer Umwandlung. Diese<br />
Umwandlung schreitet fort. Man möchte sagen, in <strong>der</strong> Tiefe des<br />
Bewusstseins werde eine Flamme entfacht. Der Mensch sieht sich so,<br />
wie er ist. Er entdeckt seine Ichbezogenheit, seine Begierde, seine<br />
Fehlurteile und seinen Hochmut. Er unterzieht sich <strong>der</strong> Erfüllung seiner<br />
moralischen Pflicht. Er strebt nach intellektueller Demut. So tut sich ihm<br />
das Reich <strong>der</strong> Gnade auf. Nach und nach stellt sich ein innerer Friede<br />
ein, eine Harmonie <strong>der</strong> nervlichen und geistigen Strebungen, eine<br />
größere Geduld in Armut, Verleumdung o<strong>der</strong> Sorge; die Kraft, den<br />
Verlust <strong>der</strong> Seinen, Schmerz, Krankheit und Tod zu tragen, ohne<br />
schwach zu werden, wächst. So darf sich denn auch <strong>der</strong> Arzt freuen,<br />
<strong>der</strong> sieht, dass sein Patient zu beten beginnt. Die Ruhe, die das Gebet<br />
erzeugt, ist ein mächtiger Helfer <strong>der</strong> Therapie.<br />
Das Gebet darf aber nicht mit einem Opiat verglichen werden. Denn<br />
außer <strong>der</strong> Ruhe zeitigt es eine Integration <strong>der</strong> seelischen Kräfte, eine Art<br />
Blüte <strong>der</strong> Persönlichkeit. Ja mitunter Heldenmut. Es zeichnet seine<br />
Getreuen mit einem beson<strong>der</strong>en Siegel aus. Die Reinheit des Blicks, die<br />
Gelassenheit <strong>der</strong> Haltung, die heitere Freude im Ausdruck, die<br />
Männlichkeit des Verhaltens und - wenn nötig - die schlichte Hinnahme<br />
des Soldaten- o<strong>der</strong> Märtyrer-Todes: sie verraten die Anwesenheit des auf<br />
dem Grunde <strong>der</strong> Organe und des Geistes verborgenen Schatzes. Unter<br />
seinem Einfluss machen selbst die Unwissenden, die Zurückgebliebenen,<br />
die Schwachen, die Min<strong>der</strong>begabten von ihren intellektuellen und<br />
seelischen Kräften einen besseren Gebrauch. Das Gebet erhebt die<br />
Menschen - so will es scheinen - über den seelischen Stand, <strong>der</strong> ihnen<br />
nach Erbe und Erziehung zukommt. Der Umgang mit Gott durchdringt<br />
sie mit Frieden. Und Frieden strahlen sie aus. Und bringen den Frieden<br />
überallhin, wohin sie auch gehen. Lei<strong>der</strong> gibt es in <strong>der</strong> Welt zurzeit nur<br />
eine winzige Anzahl von Menschen, die wirksam zu beten verstehen.
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Das Gebet<br />
43<br />
Heilende Wirkung<br />
Zu allen Zeiten haben vor allem Heilwirkungen des Betens die<br />
Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Menschen auf sich gezogen. Auch heute noch<br />
spricht man in Kreisen, wo gebetet wird, recht häufig von Heilungen,<br />
welche von Bitten erzielt worden sind, die man an Gott o<strong>der</strong> an Heilige<br />
gerichtet hat. Wo es sich aber um Krankheiten handelt, bei denen eine<br />
spontane Heilung o<strong>der</strong> eine Heilung mit <strong>der</strong> Hilfe üblicher<br />
Medikamente möglich ist, fällt es schwer, zu entscheiden, wodurch die<br />
Heilung tatsächlich zustande kommt. Nur in Fällen, wo keine Therapie<br />
anspricht o<strong>der</strong> jede versagt hat, können die Ergebnisse des Betens mit<br />
Sicherheit festgestellt werden. Das Ärztebüro von Lourdes hat <strong>der</strong><br />
Wissenschaft große Dienste geleistet, indem es die Tatsächlichkeit von<br />
Heilungen bewiesen hat. Manchmal hat das Gebet eine sozusagen<br />
explosive Wirkung. Es ist vorgekommen, dass Patienten fast<br />
augenblicklich geheilt wurden, und zwar von Krankheiten wie einem<br />
Lupus im Gesicht, Krebs, Niereninfektionen, Geschwüren und Lungen-,<br />
Knochen- o<strong>der</strong> Bauchfell-Tuberkulose. Das Phänomen spielt sich fast<br />
immer auf gleiche Weise ab. Ein heftiger Schmerz. Darauf das Gefühl,<br />
geheilt zu sein. In wenigen Sekunden, längstens in wenigen Stunden,<br />
verschwinden die Symptome und die anatomischen Verletzungen. Das<br />
Wun<strong>der</strong> zeichnet sich durch eine extreme Beschleunigung <strong>der</strong> normalen<br />
Heilvorgänge aus. Eine solche Beschleunigung ist Chirurgen und<br />
Physiologen in ihren Erfahrungen bisher sonst nie begegnet.<br />
Damit sich solche Phänomene einstellen, ist es nicht erfor<strong>der</strong>lich, dass<br />
<strong>der</strong> Kranke betet. In Lourdes sind kleine, <strong>der</strong> Sprache noch nicht<br />
mächtige Kin<strong>der</strong> und Ungläubige geheilt worden. Aber in ihrer Nähe hat<br />
jemand gebetet. Das Gebet, das für einen an<strong>der</strong>n verrichtet wird, fruchtet<br />
immer mehr als eines in eigener Sache. Die Wirkung hängt offenbar<br />
von <strong>der</strong> Intensität und Qualität des Gebetes ab. In Lourdes sind die<br />
Wun<strong>der</strong> viel weniger häufig als noch vor vierzig o<strong>der</strong> fünfzig Jahren.<br />
Denn die Kranken finden dort nicht mehr jene Atmosphäre tiefer<br />
Sammlung vor, die einst geherrscht hat. Die Pilger sind zu Touristen<br />
geworden, und ihr Beten bleibt ohne Wirkung.<br />
Das sind die Gebetserfolge, von denen ich sichere Kenntnis habe.<br />
Daneben gibt es eine Menge an<strong>der</strong>er. Die Geschichte <strong>der</strong> Heiligen, selbst<br />
mo<strong>der</strong>ner, berichtet viele wun<strong>der</strong>bare Tatsachen. Unzweifelhaft sind die<br />
meisten Wun<strong>der</strong>, die zum Beispiel dem Pfarrer von Ars zugeschrieben<br />
werden, echt. Die Gesamtheit dieser Phänomene führt uns in eine neue<br />
Welt, <strong>der</strong>en Erforschung noch nicht begonnen hat und viele Überraschungen<br />
für uns bereithält. Schon lässt sich mit Sicherheit sagen, dass
44 Das Gebet<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Beten greifbare Wirkungen zeitigt. Wie seltsam uns die Sache auch<br />
vorkommen mag, wir müssen als wahr anerkennen, dass je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> bittet,<br />
empfängt und dass jedem, <strong>der</strong> anklopft, aufgetan wird.<br />
Bedeutung des Gebets<br />
Kurz, alles geschieht so, als ob Gott den Menschen hörte und ihm<br />
antwortete. Die Wirkungen des Betens sind keine Selbsttäuschungen.<br />
Man braucht den Sinn für das Heilige nicht auf die Angst zu reduzieren,<br />
die <strong>der</strong> Mensch angesichts <strong>der</strong> Gefahren, die ihn umgeben, und des<br />
geheimnisvollen Alls empfindet. Und man braucht aus dem Gebet auch<br />
nicht einen Schlaftrunk zu machen, ein Mittel gegen unsere Furcht<br />
vor dem Leiden, vor Krankheit und Tod. Welche Rolle spielt also <strong>der</strong><br />
Sinn für das Heilige? Und welchen Platz in unserem Leben weist die<br />
Natur selbst dem Gebet zu? Einen sehr wichtigen. Fast zu allen Zeiten<br />
haben die Menschen des Abendlandes gebetet. Die antike Stadt war in<br />
erster Linie eine religiöse Einrichtung. Die Römer errichteten Tempel<br />
überall. Im Mittelalter übersäten unsere Vorfahren das Gebiet <strong>der</strong><br />
Christenheit mit gotischen Kathedralen und Kapellen. Noch heutzutage<br />
ragt in jedem Dorf ein Glockenturm. Mit Kirchen, so gut wie<br />
mit Universitäten und Fabriken, haben die aus Europa gekommenen<br />
Pilgerväter die Kultur des Abendlandes in die Neue Welt verpflanzt. Im<br />
Laufe unserer Geschichte ist Beten ein ebenso elementares Bedürfnis<br />
gewesen wie Erobern, Arbeiten, Bauen o<strong>der</strong> Lieben. Ja, <strong>der</strong> Sinn für das<br />
Heilige erweist sich als ein Trieb aus <strong>der</strong> tiefsten Tiefe unserer Natur, als<br />
ein grundlegendes Tun. Seine Variationen innerhalb einer menschlichen<br />
Gruppe sind fast immer mit denen an<strong>der</strong>er grundlegen<strong>der</strong> Regungen<br />
verknüpft: mit Variationen des moralischen Sinnes, des Charakters und<br />
manchmal des Sinns für das Schöne. Und wir haben es zugelassen, dass<br />
dieser so wichtige Teil unseres Selbst verkümmert und mitunter<br />
verschwindet.<br />
Man muss bedenken, dass <strong>der</strong> Mensch den Launen seiner Phantasie<br />
nicht ohne Gefahr stattgibt. Soll das Leben gelingen, so muss es<br />
unwandelbaren Regeln folgen, die sich aus seiner Struktur selbst<br />
ergeben. Wir setzen viel aufs Spiel, wenn wir irgendeine grundlegende<br />
Regung in uns absterben lassen, sei sie nun physiologischer,<br />
intellektueller o<strong>der</strong> seelischer Art. So ist zum Beispiel die mangelhafte<br />
Entwicklung <strong>der</strong> Muskeln, des Skeletts und <strong>der</strong> nicht-rationalen<br />
Regungen des Geistes bei gewissen Intellektuellen ebenso unheilvoll wie<br />
die Verkümmerung <strong>der</strong> Intelligenz und des moralischen Sinnes bei<br />
gewissen Athleten. Es gibt unzählige Beispiele fruchtbarer und starker
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Das Gebet<br />
45<br />
Familien, die nur noch Degenerierte hervorbrachten o<strong>der</strong> ausstarben,<br />
nachdem sie den Glauben <strong>der</strong> Väter und den Kult <strong>der</strong> Ehre verloren<br />
hatten. Eine bittere Erfahrung hat uns gelehrt, dass <strong>der</strong> Verlust des<br />
Sinnes für Sittlichkeit und für das Heilige bei <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> aktiven<br />
Elemente einer Nation zum Nie<strong>der</strong>gang dieser Nation und zu ihrer<br />
Versklavung an Fremde führt. Dem Sturze des antiken Griechenland<br />
ging eine entsprechende Erscheinung voraus. Ganz offenkundig ist die<br />
Unterdrückung von <strong>der</strong> Natur gewollter seelischer Regungen<br />
unvereinbar mit einem erfüllten Leben.<br />
In <strong>der</strong> Praxis sind die sittlichen und die religiösen Regungen<br />
miteinan<strong>der</strong> verknüpft. Kurze Zeit nach dem Sinn für das Heilige<br />
schwindet auch <strong>der</strong> moralische Sinn. Es ist dem Menschen nicht gelungen<br />
- was Sokrates wollte -, ein moralisches System unabhängig von je<strong>der</strong><br />
religiösen Lehre zu entwickeln. <strong>Gesellschaft</strong>en, die das Bedürfnis zu<br />
beten verloren haben, sind im Allgemeinen nicht weit davon entfernt, zu<br />
degenerieren. Daher müssen sich alle Zivilisierten - Ungläubige ebenso<br />
wie Gläubige - für das schwere Problem <strong>der</strong> Entwicklung aller<br />
grundlegenden Regungen, <strong>der</strong>en <strong>der</strong> Mensch fähig ist, interessieren.<br />
Warum spielt <strong>der</strong> Sinn für das Heilige für das Gelingen eines Lebens<br />
eine so wichtige Rolle? Durch welchen Mechanismus wirkt das Gebet auf<br />
uns? Hier verlassen wir den Bereich <strong>der</strong> Beobachtung und betreten den<br />
<strong>der</strong> Hypothese. Aber selbst kühne Hypothesen sind für den Fortschritt<br />
des Wissens nötig. Es gilt vorab, sich zu vergegenwärtigen, dass <strong>der</strong><br />
Mensch ein unteilbares Ganzes darstellt, bestehend aus Geweben,<br />
organischen Flüssigkeiten und Bewusstsein. Er glaubt sich von seiner<br />
materiellen Umgebung, das heißt, vom kosmischen All, unabhängig und<br />
ist doch in Wirklichkeit davon untrennbar. Denn sein ständiger Bedarf<br />
an Sauerstoff aus <strong>der</strong> Luft und Nährstoffen aus <strong>der</strong> Erde bindet ihn an<br />
diese Umgebung. An<strong>der</strong>seits geht <strong>der</strong> lebende Körper in dem<br />
physikalischen Kontinuum nicht vollständig auf. Er besteht aus Materie,<br />
aber auch aus Geist. Und obwohl <strong>der</strong> Geist seinen Sitz in unseren<br />
Organen hat, erstreckt er sich doch über die vier Dimensionen des<br />
Raumes und <strong>der</strong> Zeit hinaus. Sollen wir da nicht glauben dürfen, dass wir<br />
gleichzeitig die kosmische Welt und einen ungreifbaren, unsichtbaren,<br />
unstofflichen Bereich bewohnen, dessen Natur <strong>der</strong> unseres Bewusstseins<br />
gleicht und dem wir uns ebenso wenig ohne Schaden entziehen können<br />
wie dem materiellen und menschlichen All? Dieser Bereich wäre nichts<br />
an<strong>der</strong>es als jenes allen Wesen immanente Wesen, das sie alle<br />
transzendiert und das wir Gott nennen. Man könnte also den Sinn für das<br />
Heilige mit dem Bedürfnis nach Sauerstoff vergleichen. Und das Beten
46 Das Gebet<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
entspräche etwa dem Atmen. Man hätte darin also ein Werkzeug <strong>der</strong><br />
natürlichen Beziehungen zwischen dem Bewusstsein und dem ihm<br />
eigentümlichen Bereich zu sehen. Etwas wie eine biologische Regung,<br />
die sich aus unserer Struktur ergibt. Mit an<strong>der</strong>en Worten: eine normale<br />
Funktion unseres Körpers und unseres Geistes.<br />
Schluss<br />
Fassen wir zusammen: dem Sinn für das Heilige eignet im Vergleich<br />
mit den übrigen Regungen des Geistes eine einzigartige Bedeutung.<br />
Setzt er uns doch in Beziehung zu <strong>der</strong> geheimnisvollen Unermesslichkeit<br />
<strong>der</strong> geistigen Welt. Im Gebet naht <strong>der</strong> Mensch Gott, und Gott geht in<br />
den Menschen ein. Beten erweist sich als unumgänglich für unsere<br />
optimale Entwicklung. Wir dürfen im Gebet keine Handlungsweise<br />
sehen, <strong>der</strong> sich nur geistig Schwache hingeben, nur Bettler und Feiglinge.<br />
Nietzsche schrieb, Beten sei eine Schande. In Wahrheit ist Beten keine<br />
größere Schande als Trinken o<strong>der</strong> Atmen. Der Mensch braucht Gott<br />
ebenso, wie er Wasser und Sauerstoff braucht. Zusammen mit <strong>der</strong> Intuition,<br />
dem moralischen Sinn, dem Schönheitssinn und dem Lichte<br />
<strong>der</strong> Intelligenz bringt <strong>der</strong> Sinn für das Heilige die Persönlichkeit zur<br />
vollen Blüte. Ohne Zweifel bedarf es zum Gelingen des Lebens <strong>der</strong><br />
Entfaltung je<strong>der</strong> einzelnen unserer physiologischen, intellektuellen,<br />
affektiven und spirituellen Regungen. Der Geist ist Vernunft und<br />
Empfindung zugleich. Wir sollen also die Schönheit <strong>der</strong> Wissenschaft und<br />
auch die Schönheit Gottes lieben. Wir müssen mit dem gleichen Eifer auf<br />
Pascal wie auf Descartes hören.<br />
����������<br />
„Ihr betet nach eurer Art, wohlgemerkt, wenn ihr wahrhaft<br />
betet, in eurem Herzen, und begleitet euer Gebet ebenfalls mit<br />
dem Wunsche des Erhörens eurer Bitte, in welcher eigentlich<br />
das Gebet besteht.“<br />
(GS. Bd. 2; 24,2)
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Das Zeichen des Menschensohnes<br />
47<br />
Das Zeichen des Menschensohnes<br />
„Und alsdann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohnes am<br />
Himmel. Dann werden heulen alle Geschlechter auf Erden und werden<br />
sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer<br />
Kraft und Herrlichkeit.“ (Matthäus Kap. 24,30)<br />
„Wisst ihr denn nicht, welcher Unterschied zwischen dem „Zeichen“<br />
und dem „Menschensohne“ obwaltet? Und wisst ihr nicht, was da zu<br />
verstehen ist unter dem „Himmel?“<br />
Wahrlich, ihr möget euch nichts Törichteres denken, als etwa am<br />
gestirnten Himmel ein so genanntes Kruzifix zu erblicken. Fraget euch nur<br />
selbst, was würde das <strong>der</strong> Welt wohl nützen, wenn nicht nur ein, son<strong>der</strong>n<br />
eine ganze Legion Kruzifixe am Himmel zu sehen wären!? Würden die<br />
Menschen deshalb besser werden in ihren Herzen? - O gewiss und<br />
wahrlich nicht!<br />
Würden da nicht alsbald die Gelehrten bei <strong>der</strong> Hand sein und alle diese<br />
Kruzifixe für Ausgeburten pfäffischer Trügerei erklären?! Und würden sie<br />
nicht beweisen wollen, dass alle die am Himmel schwebenden Kruzifixe<br />
keinen an<strong>der</strong>n als einen aerostatischen Ursprung haben und vermöge <strong>der</strong><br />
Verabredung von Jesuiten-Kollegien aufgestiegen sind!?<br />
Sehet, diesen Effekt und noch manchen an<strong>der</strong>n würde eine solche<br />
Erscheinung in <strong>der</strong> gelehrten Welt hervorbringen! Ja, es möchten noch<br />
mathematisch gelehrtere Wissenschaftler solche Erscheinungen sogar auf<br />
dem Wege <strong>der</strong> Optik zu erklären suchen.<br />
Was würde aber <strong>der</strong> gemeine Mann dazu sagen? - Ich sage euch, <strong>der</strong><br />
würde alsbald vor übermäßiger Angst tatlos verstummen. Denn da wäre es<br />
für ihn nach <strong>der</strong> irrig eingepflanzten Lehre doch gewiss, dass <strong>der</strong> „Jüngste<br />
Tag“ vor <strong>der</strong> Türe ist.<br />
Und so würde diese Erscheinung fürs erste die Gelehrten töten darum,<br />
weil sie durch ihre Meinung und Erklärung sie zuvor töteten; <strong>der</strong> gemeine<br />
Mann aber würde getötet werden im Augenblicke des ersten Auftretens<br />
jener Erscheinung in aller seiner stets tätig sein sollenden Freiheit. - Das<br />
wäre demnach <strong>der</strong> Nutzen einer solchen Erscheinung!<br />
Dass sich die Sache so verhalten würde, könnet ihr aus dem entnehmen,<br />
so ihr nur mit einiger Aufmerksamkeit eure Blicke auf jene Zeit<br />
hinwendet, für welche von gewissen weisheitskramenden Propheten schon<br />
mehrere Weltuntergänge vorherbestimmt worden sind. Wie da die<br />
Menschen teilweise verzweifelten, teilweise lachten und teilweise sich<br />
dem Vielfraße und an<strong>der</strong>sartigen Schwelgereien preisgegeben haben (so
48 Das Zeichen des Menschensohnes<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
würde es auch jetzt wie<strong>der</strong> gehen). Wenn aber schon solche leeren<br />
Prophezeiungen solche üblen Erscheinungen hervorbrachten, nun denket<br />
euch, was da ein riesenhaft großes Kreuz, unter den Sternen schwebend,<br />
hervorbringen würde?! - Ich brauche euch den tödlichen Erfolg nicht näher<br />
zu beschreiben!<br />
Es ist aber unter „Himmel“ zu verstehen: die gesamte Glaubenswahrheit<br />
aus dem Worte, welches ist die „Kirche“ in ihrer Echtheit.<br />
Das „Zeichen des Menschensohnes“ aber ist die in dieser Kirche wie<strong>der</strong><br />
neu erwachte Liebe mit allen ihren himmlischen Attributen, als<br />
Barmherzigkeit, Geduld, Sanftmut, Demut, Ergebung, Gehorsam und<br />
Duldung aller Beschwerden des Kreuzes. Sehet, dieses lebendige Zeichen<br />
des Menschensohnes wird am Himmel des inneren, ewigen Lebens<br />
erscheinen und wird nicht töten, son<strong>der</strong>n überaus beleben.<br />
Es werden bei solcher Gelegenheit freilich die „weltsüchtigen<br />
Geschlechter <strong>der</strong> Erde“ heulen, jammern und wehklagen, da all ihr<br />
Höllentrug, <strong>der</strong> da in den zahllosen Kaufs- und Verkaufsartikeln besteht,<br />
außer allen Kurs kommen wird. Denn die Menschen Meines Zeichens<br />
werden mit den Weltträumern, Mäklern und Wechslern nicht mehr viel zu<br />
tun haben.<br />
Diese werden ihre Augen nur dahin richten, da sie sehen werden des<br />
„Menschen Sohn auf den Wolken des Himmels mit großer Macht und<br />
Herrlichkeit kommen“ - welches ist das lebendige Wort im Herzen des<br />
Menschen o<strong>der</strong> Meine ewige Liebe im Vollbestande und daher ist „von<br />
großer Macht und Herrlichkeit“. Und es sind die „Wolken des Himmels“<br />
die unendliche Weisheit Selbst in diesem lebendigen Worte. - Sehet, das<br />
ist also das kurze Verständnis dieses Schrifttextes!<br />
Die „Wolken“ aber werden Jenseits euch Selbst in Mein Reich<br />
aufnehmen und werden eure Wohnung sein ewig. Das heißt, ihr werdet da<br />
erst in <strong>der</strong> höchsten Wonne die große Macht und Herrlichkeit des<br />
Menschensohnes anschaulich vollends erkennen.“ (HiG.1; S.337)<br />
„Merket aber vorzugsweise auf Meine Ankunft in euch selbst und<br />
kümmert euch weniger um die allgemeine! Was ihr fürs allgemeine<br />
empfindet, das traget Mir betend in eurem Herzen vor! Um alles an<strong>der</strong>e<br />
kümmert euch nicht! Denn das große Wann, Wie und Warum ist in den<br />
besten Händen wohlverwahrt! Das sage Ich, euer großer, heiliger,<br />
lieb<strong>ev</strong>ollster Vater. Amen.“<br />
(HiG.1; S. 319,16)
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Das Gebet eines kleinen Mädchens<br />
49<br />
Das Gebet eines kleinen Mädchens<br />
Helen Ros<strong>ev</strong>eare, Missionsärztin im Kongo<br />
Ich hatte die ganze Nacht lang alles Menschenmögliche versucht, um<br />
<strong>der</strong> Mutter auf <strong>der</strong> Entbindungsstation zu helfen, aber trotz unserer<br />
Bemühungen starb sie. Sie hinterließ uns ein winziges Frühgeborenes und<br />
eine weinende zweijährige Tochter. Wir würden es schwer haben, das<br />
Baby am Leben zu erhalten, denn wir hatten keinen Brutkasten (wir hatten<br />
keinen Strom, um ihn zu betreiben!) und keine Möglichkeit, das Kind<br />
richtig zu füttern. Obwohl wir am Äquator lebten, waren die Nächte oft<br />
kalt, mit heimtückischen Winden. Eine Hebammenschülerin ging die Kiste<br />
holen, die wir für solche Babys benutzten, und die Watte, in die wir das<br />
Baby einpacken würden. Eine zweite ging das Feuer schüren und die<br />
Wärmflasche füllen. Sie kam bald völlig verzweifelt zurück und erzählte<br />
mir, dass die Wärmflasche beim Befüllen geplatzt war. Im Tropenklima<br />
wird Gummi schnell brüchig.<br />
„Und das war auch noch unsere letzte Wärmflasche!“, rief sie aus.<br />
So wenig es in <strong>der</strong> westlichen Welt etwas nützt, über die<br />
sprichwörtliche verschüttete Milch zu weinen, so wenig nützt es in<br />
Zentralafrika etwas, geplatzten Wärmflaschen hinterherzutrauern. Sie<br />
wachsen nicht auf Bäumen und im Urwald gibt es keine Drogerien.<br />
„Okay“, sagte ich. „Leg das Baby so nah ans Feuer wie möglich, und<br />
dann schläfst du zwischen dem Baby und <strong>der</strong> Tür, damit es keinen Zug<br />
bekommt. Deine Aufgabe ist es, das Baby warm zu halten.“<br />
Am folgenden Mittag ging ich wie immer zum Waisenhaus, um mit<br />
denjenigen Kin<strong>der</strong>n dort zu beten, die das wollten. Zuvor gab ich den<br />
Kin<strong>der</strong>n mehrere Anregungen, worum sie beten könnten, und erzählte<br />
ihnen von dem winzigen Baby. Ich erklärte ihnen, dass wir<br />
Schwierigkeiten hatten, es warm genug zu halten, und ich erwähnte die<br />
kaputte Wärmflasche. Das Baby konnte sterben, wenn es zu kalt wurde.<br />
Ich erzählte ihnen auch von <strong>der</strong> zweijährigen Schwester, die weinte, weil<br />
ihre Mutter gestorben war.<br />
Während <strong>der</strong> Gebetszeit betete ein zehnjähriges Mädchen, Ruth, mit <strong>der</strong><br />
üblichen unverblümten Direktheit unserer afrikanischen Kin<strong>der</strong>. „Bitte,<br />
Gott“, sagte sie, „schick uns eine Wärmflasche. Morgen nützt sie uns<br />
nichts mehr, Gott, denn dann ist das Baby schon tot. Also schick sie uns<br />
bitte heute Nachmittag.“<br />
Während ich innerlich über die Verwegenheit dieses Gebets<br />
zusammenzuckte, schob sie noch einen Satz nach. „Und wenn du schon<br />
dabei bist, könntest du dann auch noch eine Puppe für das kleine Mädchen
50 Das Gebet eines kleinen Mädchens<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
mitschicken, damit sie weiß, dass du sie wirklich lieb hast?“<br />
Wie so oft bei den Gebeten von Kin<strong>der</strong>n war ich in Zugzwang. Konnte<br />
ich ehrlich „Amen“ dazu sagen? Ich glaubte einfach nicht, dass Gott das<br />
tun konnte. O ja, ich weiß, dass er alles tun kann. Das steht in <strong>der</strong> Bibel.<br />
Aber es gibt doch Grenzen, o<strong>der</strong>? Und ich hatte ein paar große „Aber“<br />
einzuwenden. Die einzige Möglichkeit, wie Gott dieses spezielle Gebet<br />
erhören konnte, war, mir ein Paket aus meiner Heimat zu schicken. Ich war<br />
damals schon fast vier Jahre in Afrika, aber ich hatte noch nicht ein<br />
einziges Mal ein Paket von zu Hause bekommen. Doch selbst wenn mir<br />
jemand ein Paket schickte - wer würde schon eine Wärmflasche<br />
hineinlegen? Ich lebte am Äquator!<br />
Der Nachmittag nahm seinen Lauf. Als ich in <strong>der</strong> Schwesternschule<br />
gerade mitten im Unterricht war, bekam ich die Nachricht, dass vor<br />
meinem Haus ein Auto stand. Als ich mein Haus erreichte, war das Auto<br />
fort, aber auf <strong>der</strong> Veranda stand ein großes, neun Kilo schweres Paket. Ich<br />
spürte, wie mir Tränen in die Augen schossen. Ich durfte das Paket nicht<br />
allein öffnen, also ließ ich die Kin<strong>der</strong> aus dem Waisenhaus kommen.<br />
Zusammen lösten wir die Paketschnur. Sorgfältig öffneten wir jeden<br />
Knoten. Wir falteten das Papier zusammen und achteten darauf, es nicht zu<br />
sehr einzureißen. Die Spannung stieg. Dreißig o<strong>der</strong> vierzig Augenpaare<br />
waren auf den großen Pappkarton gerichtet.<br />
Oben aus <strong>der</strong> Kiste zog ich Strickpullover in bunten Farben. Die<br />
Kin<strong>der</strong>augen funkelten, als ich sie verteilte. Dann kamen die Verbände für<br />
die Leprapatienten und die Kin<strong>der</strong> schauten etwas gelangweilt. Danach<br />
folgte eine Schachtel Rosinen und Sultaninen - das gab eine Menge<br />
Brötchen fürs Wochenende. Und dann, als ich meine Hände wie<strong>der</strong> in den<br />
Karton steckte, fühlte ich die ... konnte das wirklich sein? Ich griff hinein<br />
und zog sie heraus - ja, eine brandneue Gummiwärmflasche!<br />
Ich weinte. Ich hatte Gott nicht darum gebeten, sie zu schicken. Ich<br />
hatte nicht einmal wirklich geglaubt, dass er das konnte.<br />
Ruth stand unter den Kin<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> ersten Reihe. Sie stürzte vor und<br />
rief: „Wenn Gott die Wärmflasche geschickt hat, dann muss er auch die<br />
Puppe geschickt haben!“<br />
Sie wühlte unten in <strong>der</strong> Kiste und zog die kleine, wun<strong>der</strong>hübsch<br />
angezogene Puppe hervor. Ihre Augen leuchteten! Sie hatte nie daran<br />
gezweifelt.<br />
Ruth schaute zu mir auf und fragte: „Kann ich mit dir kommen, Mami,<br />
und dem kleinen Mädchen die Puppe geben, damit sie weiß, dass Jesus sie<br />
wirklich lieb hat?“<br />
Das Paket war ganze fünf Monate unterwegs gewesen. Meine alte
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Je<strong>der</strong> ist unser Lehrer<br />
51<br />
Sonntagsschulgruppe hatte es gepackt. Deren Leiterin hatte Gottes<br />
Anordnung gehört und befolgt, eine Wärmflasche an den Äquator zu<br />
schicken. Und eines <strong>der</strong> Mädchen hatte eine Puppe für ein afrikanisches<br />
Kind hineingelegt - vor fünf Monaten! - als Antwort auf das Gebet eines<br />
zehnjährigen Mädchens, sie „heute Nachmittag“ zu schicken.<br />
(Quelle: John van Diest – Und plötzlich stand <strong>der</strong> Himmel offen, SCM Hänssler Verlag)<br />
Je<strong>der</strong> ist unser Lehrer<br />
„Als ich mich einmal in einer Stadt befand, wo ich eine Rede halten<br />
sollte, ließ ich mir auf <strong>der</strong> Straße meine Schuhe putzen. Ich war mit einer<br />
Freundin unterwegs, und während wir uns unterhielten, bemerkte ich, mit<br />
welcher Begeisterung <strong>der</strong> Mann meine Schuhe polierte. Meine Schuhe<br />
waren niemals mit so behutsamer, lieb<strong>ev</strong>oller Fürsorge geputzt worden. Der<br />
Mann lächelte über das ganze Gesicht und schien in einem Zustand <strong>der</strong><br />
Glückseligkeit zu sein. Er nahm sich mehr als fünfzehn Minuten Zeit, um<br />
meine Schuhe blank zu bürsten. Als ich ihm sagte, dass niemand sich<br />
bislang so intensiv um meine Schuhe gekümmert habe, entgegnete er, das<br />
sei sein „Geschenk an Gott“.<br />
Als ich ihn bat, das genauer zu erklären, sagte er, er fühle sich<br />
gesegnet, ein Kind Gottes zu sein und Gottes überströmende Liebe zu<br />
empfangen. Weil er Gottes Liebe so dankbar anerkannte, achtete er darauf,<br />
dass aus all seinem Tun ein Geschenk an Gott wurde. Er erzählte mir, dass<br />
er Gottes Gegenwart in allem spürte, was er sah o<strong>der</strong> berührte. Als er so<br />
sprach, wurde deutlich, dass er in dem lieb<strong>ev</strong>ollen Polieren meiner Schuhe<br />
seine Liebe zu Gott ausdrückte.<br />
Ihn zu beobachten war fast so, als betrachte man einen Menschen im<br />
glückseligen Zustand <strong>der</strong> Meditation o<strong>der</strong> des Gebetes.<br />
Ich traf bei diesem Mann sowohl auf eine tiefe Demut als auch auf ein<br />
intensives Glücklichsein. Er lehrte mich, dass alles, was wir im Leben tun,<br />
ein Geschenk an Gott sein kann. Er erinnerte mich daran, dass wir in jedes<br />
„Hallo!“, in jede Berührung, in alles, was wir tun, selbst wenn wir Toiletten<br />
putzen, all unsere Liebe geben können, um sie Gott zu schenken.<br />
Auf völlig unerwartete Weise verhalf mir ein Schuhputzer an diesem Tag<br />
zu einer tief greifenden spirituellen Erfahrung. Der Mann war ein<br />
Beispiel dafür, dass es nicht darauf ankommt, was wir tun, son<strong>der</strong>n<br />
wie wir es tun.<br />
An diesem Abend war das Hauptthema meines Vortrags, dass wir<br />
Gottes Gegenwart in allem finden können, was wir tun - auch wenn wir uns<br />
die Schuhe putzen lassen.“ (Quelle: Gerald Jampolsky - Aus <strong>der</strong> Dunkelheit ans Licht)
52 Der Bauer und <strong>der</strong> liebe Gott<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Der Bauer und <strong>der</strong> liebe Gott<br />
Es war einmal ein armer Bauer, <strong>der</strong> lebte fleißig und rechtschaffen in<br />
seiner kleinen Hütte und war zufrieden. Eines Tages, als er sich wie<strong>der</strong><br />
mühte, seine kargen Fel<strong>der</strong> zu bestellen, sah er plötzlich ein helles Licht<br />
vor sich und darin ein kleines Männlein das zu ihm sprach: „Du bist immer<br />
rechtschaffen gewesen und glücklich, trotz deiner Armut und so will ich<br />
dir drei Wünsche erfüllen. Wenn du einen Wunsch hast, so rufe mich und<br />
ich werde ihn dir erfüllen!“<br />
Der Bauer, dem kein richtiger Wunsch einfallen wollte, ging nach<br />
Hause und erzählte seiner Frau von dem wun<strong>der</strong>baren Erlebnis. Er meinte,<br />
eigentlich brauchten sie nichts, da sie ja glücklich waren, aber seine Frau<br />
wollte gerne Königin sein und so bedrängte sie ihren Mann, sich zu<br />
wünschen, dass er König würde. Seiner Frau zuliebe rief er das Männchen<br />
und sagte seinen Wunsch, König zu werden. Da erhob sich ein Brausen in<br />
<strong>der</strong> Luft, alles drehte sich um ihn und als er wie<strong>der</strong> richtig zu sich kam,<br />
war er König in einem prächtigen Palast und seine Frau saß neben ihm als<br />
seine Königin.<br />
Er erfreute sich an all den schönen Dingen, die das Königsein mit sich<br />
brachten und war glücklich. Doch seine Frau hatte sich schnell daran<br />
gewöhnt und wollte noch mehr. So bedrängte sie ihn, Kaiser zu werden. Er<br />
wollte eigentlich nicht, doch seiner Frau zuliebe rief er abermals das<br />
Männlein und äußerte seinen Wunsch. Da erhob sich wie<strong>der</strong> ein Brausen<br />
in <strong>der</strong> Luft, alles drehte sich um ihn und als er wie<strong>der</strong> richtig zu sich kam,<br />
war er Kaiser und seine Frau saß neben ihm als Kaiserin.<br />
Er war zufrieden, aber seine Frau hatte sich bald an den Glanz gewöhnt<br />
und als sie eines Tages eine Audienz beim Papst hatten und sich vor ihm<br />
verbeugen mussten, da wurmte es sie, dass noch jemand höher war als sie<br />
und sie bedrängte ihren Mann, das Männlein zu bitten, Papst zu werden.<br />
Der Bauer wollte es nicht, weil er sehr zufrieden war, aber sie drängte<br />
ihn so lange, bis er nachgab und dem Männlein seinen Wunsch vortrug.<br />
Wie<strong>der</strong> erhob sich ein gewaltiges Brausen in <strong>der</strong> Luft, alles drehte sich um<br />
ihn und als er wie<strong>der</strong> zu sich kam, war er Papst.<br />
Er war zufrieden, aber als seine Frau sah, dass er täglich zu Gott betete,<br />
wie es seine Aufgabe war, da erkannte sie, dass noch immer einer höher<br />
stand als sie und sie drängte ihn, Gott zu werden. Er wollte nicht, denn er<br />
war glücklich und zufrieden, außerdem waren seine Wünsche verbraucht,<br />
aber sie drängte ihn so lange, bis er noch einmal das Männlein rief und<br />
seinen Wunsch sagte.<br />
„Wenn du dir wirklich sicher bist, dass es dein Wunsch ist, Gott zu
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Die beste Übersetzung<br />
53<br />
sein, dann will ich dir deinen Wunsch erfüllen, aber sei dir bewusst, dass<br />
es dein letzter Wunsch ist“. Der Bauer wie<strong>der</strong>holte seinen Wunsch und es<br />
erhob sich ein solch gewaltiges Brausen wie nie zuvor in <strong>der</strong> Luft, alles<br />
drehte sich um ihn und als er wie<strong>der</strong> zu sich kam, saß er wie<strong>der</strong> als armer<br />
Bauer in seiner alten Stube.<br />
Da erkannte er, dass man Gott nicht in Äußerlichkeiten finden kann,<br />
son<strong>der</strong>n nur in sich, denn <strong>der</strong> Eine wohnt in einem fröhlichen und<br />
rechtschaffenen Herzen und das hatte er schon immer gehabt. So war er<br />
schon immer eins mit Gott gewesen.<br />
����������<br />
Die beste Übersetzung<br />
Die Absolventen einer geistlichen Akademie waren versammelt, um zu<br />
beurteilen, welche <strong>der</strong> sechs bekanntesten Bibelübersetzungen in die<br />
deutsche Sprache die beste ist.<br />
Sie konnten lange nicht zu einer übereinstimmenden Meinung kommen,<br />
weil jede Übersetzung seine Vorzüge aber auch seine Mängel hat.<br />
Das Ende <strong>der</strong> Diskussion wurde durch einen jungen Mann<br />
herbeigeführt, <strong>der</strong> sagte: „Ich bin überzeugt, dass die beste Übersetzung<br />
die ist, die meine Mutter für mich gemacht hat.“ -<br />
„War sie denn eine Übersetzerin?“ -<br />
„Jawohl, und welch eine!“, erklärte <strong>der</strong> junge Mann begeistert. „Sie hat<br />
mit ihrem ganzen Leben die Bibel übersetzt, so dass sie für immer in<br />
meinem Herzen geblieben ist!“<br />
����������<br />
Das Auge<br />
Das Auge sagte eines Tages: „Ich sehe hinter diesen Tälern im blauen<br />
Dunst einen Berg. Ist er nicht wun<strong>der</strong>schön?“<br />
Das Ohr lauschte und sagte nach einer Weile: „Wo ist ein Berg, ich<br />
höre keinen.“<br />
Darauf sagte die Hand: „Ich versuche vergeblich ihn zu greifen, ich<br />
finde keinen Berg.“<br />
Die Nase sagte: „Ich rieche nichts, da ist kein Berg.“<br />
Da wandte sich das Auge in eine an<strong>der</strong>e Richtung.<br />
Die an<strong>der</strong>en diskutierten weiter über diese merkwürdige Täuschung<br />
und kamen zu dem Schluss: „Mit dem Auge stimmt etwas nicht.“
54 Verschiedenes<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
(Betreutes) Wohnen auf dem Bauernhof<br />
im Biosphärenreservat Rhön<br />
Noch zu rüstig fürs Altenheim, aber auf Unterstützung angewiesen?<br />
O<strong>der</strong> das Bedürfnis, mit christlichen Menschen in Frieden<br />
zusammen zu leben?<br />
Raum für Gemeinsamkeit aber auch Einsamkeit?<br />
Hier ist eine Wohnung frei:<br />
Bauernhaus (Fachwerk), mitten in einem kleinen Ort<br />
30 km NO von Fulda<br />
1. Etage, neu renoviert 2 ZKB/WC<br />
An ruhige Person, Nichtraucher<br />
Tel.: 06651-217625 (Schäfer) o<strong>der</strong> 06651-1490 (Weber)<br />
sylka.schaefer@gmx.de<br />
Leben in Portugal<br />
Leben wie Adam und Eva auf biologisch bearbeitetem Grundstück<br />
mit See, Obstbäumen und Esel in Portugal.<br />
Ich freue mich auf tätige Christen in je<strong>der</strong> Beziehung.<br />
Kontakt: Anneliese Metz, Casas Novas Do Vale Negro,<br />
P-7665-881 Pereiras-Gare, Portugal.<br />
Tel.: 00351 282 881955<br />
Inseratenwerbung <strong>der</strong> Werke Jakob <strong>Lorber</strong>s<br />
Geistesbru<strong>der</strong> Helmut Betsch inseriert aus eigener Initiative seit Jahren<br />
in Zeitungen und Zeitschriften für die Werke Jakob <strong>Lorber</strong>s.<br />
Die erfolgreiche Zeitschriftenwerbung in den letzten Jahren bestätigt<br />
diese segensvolle Arbeit. Um diese auch zukünftig weiterführen zu<br />
können, ist er auf unsere finanzielle Unterstützung angewiesen.<br />
Wer diese segensvolle Arbeit finanziell unterstützen möchte, kann ihm<br />
seinen Beitrag auf untenstehendes Konto überweisen.<br />
Helmut Betsch, Postbank-Konto-Nr. 237410-705, BLZ 60010070<br />
Worthefte zu verschenken<br />
Insgesamt zwei Kisten <strong>der</strong> Zeitschrift „Das Wort“ sind kostenlos<br />
abzugeben. Bei Interesse bitte melden bei:<br />
<strong>Lorber</strong>-<strong>Gesellschaft</strong>, Pf. 114, 83731 Hausham, Tel. 08026-8624
<strong>GL</strong> 1/<strong>2011</strong> Jahrestagung<br />
55<br />
Jahrestagung <strong>der</strong> <strong>Lorber</strong>-<strong>Gesellschaft</strong><br />
vom 12. bis 17. Juni <strong>2011</strong><br />
im Hohenwart Forum<br />
Schönbornstraße 25, 75181 Pforzheim-Hohenwart<br />
Telefon: 07234/606-0, Telefax: 07234/606-46<br />
In <strong>der</strong> geografischen Mitte zwischen Stuttgart und Karlsruhe liegt das<br />
Hohenwart Forum, ein mo<strong>der</strong>nes Tagungs- und Bildungszentrum <strong>der</strong><br />
Evangelischen Kirche in Pforzheim.<br />
Mit seiner preisgekrönten Architektur bietet es den Gästen eine Fülle<br />
von Raum in einer offenen und lichten Wiesenlandschaft.<br />
Die Anlage fügt sich aus mehreren achteckigen Häusern zusammen, die<br />
in sich zentriert und miteinan<strong>der</strong> verbunden eine Einheit bilden. Raum<br />
für Bildung und Begegnung, Arbeits- und Gesprächsgruppen.<br />
Das Forum bietet 40 Doppel- und 54 Einzelzimmer mit Dusche/WC und<br />
Telefon.<br />
Die Anmeldung und Abrechnung <strong>der</strong> Tagungsteilnehmer erfolgt direkt<br />
beim „Hohenwart Forum“.<br />
Das umseitige Anmeldeformular (auch im Internet unter www.lorbergesellschaft.de)<br />
bitte ausschneiden o<strong>der</strong> kopieren, ausfüllen und direkt<br />
an das Hohenwart-Forum einsenden o<strong>der</strong> faxen.<br />
Eine weitere günstige Unterbringungsmöglichkeit in Ferienhäusern mit<br />
je 3 Doppelzimmern bietet ca. 3 Kilometer vom Forum entfernt <strong>der</strong><br />
Ferienpark Schwarzwald, Birgit u. Gebhard Mühltaler<br />
75242 Neuhausen-Schellbronn, Tel.: 07234/1408<br />
Geschwister, die die Kosten nicht o<strong>der</strong> nur teilweise aufbringen können,<br />
wenden sich bitte vertrauensvoll an die <strong>Lorber</strong>-<strong>Gesellschaft</strong>.
Anmeldebogen zur<br />
Tagung <strong>der</strong> <strong>Lorber</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> e.V.<br />
vom 12.6. - 17.6. <strong>2011</strong> im Hohenwart Forum<br />
Tagungsbeginn: Sonntag, den 12. Juni <strong>2011</strong> (zum Abendessen)<br />
Tagungsende: Freitag, den 17. Juni <strong>2011</strong> (nach <strong>der</strong> Verabschiedung)<br />
Hiermit melde(n) ich mich / wir uns verbindlich zur obigen Veranstaltung an.<br />
Anreise am: ….....…... zum Mittagessen bzw. Abendessen<br />
Abreise am: ….....…….nach dem Frühstück Mittagessen Abendessen<br />
1. Vorname, Name: .............................................................................................<br />
Straße, Nr., PLZ, Ort: ........................................................................................<br />
Telefon-Nr. ......................................................................................................<br />
2. Vorname, Name: .............................................................................................<br />
Straße, Nr., PLZ, Ort: ........................................................................................<br />
3. Kin<strong>der</strong>, Name, Alter: ......................................................................<br />
Ich bin bereit, mit einer/m an<strong>der</strong>en Teilnehmer/in ein Zimmer zu teilen.<br />
Ich bin Tagesgast ohne Übernachtung am: So Mo Di Mi Do Fr<br />
und nehme am Mittagessen (14,- €), am Abendessen (11,- €) teil.<br />
Ich / wir wünsche(n): Normalkost vegetarische Kost<br />
310,- € pro Person<br />
für die gesamte Tagung,<br />
inkl. Übernachtung und Vollpension<br />
Kin<strong>der</strong> von 4-14 Jahren erhalten eine Ermäßigung von 50 %.<br />
Zusätzlich wird eine Tagungsgebühr von 25,- € / Pers. erhoben.<br />
Bitte überweisen Sie nur diese vor <strong>der</strong> Tagung mit beiliegenden<br />
Überweisungsträgern in <strong>der</strong> Heftmitte unter dem Stichwort: „Tagungsgebühr“.<br />
Die Tagungsgebühr für Tagesgäste (5,- €/Tag) erbitten wir vor Ort zu entrichten.<br />
Um möglichst vielen Geistesfreunden die Teilnahme an <strong>der</strong> Tagung zu ermöglichen,<br />
sollen die Doppelzimmer möglichst mit zwei Personen belegt werden. Wir bitten<br />
dies bei <strong>der</strong> Anmeldung zu berücksichtigen und eine zweite Person direkt zu benennen.<br />
Datum / Unterschrift: .....................................................................................................................<br />
Anmeldebogen bitte direkt an das Hohenwart Forum senden bzw. faxen:<br />
Schönbornstraße 25, D-75181 Pforzheim-Hohenwart, Tel.: 07234-606-0, Fax: 07234-606-46
Seminare nach den Eingebungen Jakob <strong>Lorber</strong>s<br />
Sonntag, 6. März <strong>2011</strong><br />
Die Wie<strong>der</strong>kunft Jesu<br />
Sinn <strong>der</strong> jetzigen Naturkatastrophen<br />
mit Wilfried Schlätz<br />
Beginn: 9 Uhr bis ca. 16 Uhr<br />
Sonntag, 1. Mai <strong>2011</strong><br />
Die fortgeschrittenen Stufen <strong>der</strong> Entwickung des<br />
Menschengeistes<br />
Abschluss des Themas, beleuchtet aus <strong>der</strong> „Geistigen<br />
Sonne II“ mit Wilfried Schlätz<br />
Spendenbasis Beginn: 9 - 16 Uhr<br />
Sonntag, 15. Mai <strong>2011</strong><br />
Heilkräuter aus den „Himmelsgaben“<br />
mit Günter Oberschmid<br />
Beginn: 10.30 - 16 Uhr<br />
Beitrag: € 35,- mit Mittagssuppe<br />
Sonntag, 19. Juni <strong>2011</strong><br />
Ursachen <strong>der</strong> Krankheiten und ihre Heilung<br />
nach J. <strong>Lorber</strong> und Hildegard v. Bingen<br />
mit Günter Oberschmid<br />
Beginn: 10.30 - 16 Uhr<br />
Beitrag: € 35,- mit Mittagssuppe<br />
Unkostenbeitrag mit Tagesverpflegung mit Wilfried Schlätz € 25,--<br />
Übernachtung: € 20,-<br />
Seminarhaus „Heidewuhr“<br />
im schönen Schwarzwald<br />
79736 Rickenbach – Bergalingen<br />
Anmeldung Tel: 07765 – 1006 o<strong>der</strong> 07761 – 2041<br />
mail: seminarhaus.heidewuhr@t-online.de<br />
www.lorberfreunde-schwarzwald.de
Besinnliche Texte zur Meditation<br />
„Wer bei was immer sieht, dass damit auch die Liebe<br />
seines Nächsten beschäftigt ist, <strong>der</strong> soll<br />
sich sogleich zurückziehen und seinem Nächsten<br />
gegen die Verwirklichung seiner Liebe keine<br />
Schranken setzen; denn es ist besser, bei je<strong>der</strong><br />
Gelegenheit in <strong>der</strong> Welt leer auszugehen, als<br />
durch irgendeinen wenn auch ganz unbedeutenden Kampf etwas<br />
zu gewinnen.“ (Geistige Sonne II 118,8)<br />
Jakob <strong>Lorber</strong> (1800-1864)<br />
����������<br />
„Sei still in Gott, still wie das Meer! Nur seine Fläche<br />
streift <strong>der</strong> Wind. Und tobt als Sturm er noch so sehr,<br />
Wiß', dass die Tiefen ruhig sind!“<br />
����������<br />
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Karl May (1842-1912)<br />
„Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt,<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e packt sie kräftig an und handelt.“<br />
„Wenn die Liebe zu Gott unser Beweggrund ist, kann<br />
uns keine Undankbarkeit daran hin<strong>der</strong>n, unseren<br />
Mitmenschen zu dienen.“<br />
Oswald Chambers (1874-1917)<br />
����������<br />
Dante Alligheri (1265-1321)<br />
„Stört dich ein Fehler eines an<strong>der</strong>en, so übe an dir<br />
selbst das entgegengesetzte Gute. Denn Beispiel wirkt<br />
mehr als Worte.“<br />
Teresa von Avila (1515-1582)