Jakob Kindinger
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der NSDAP im September 1930 darin, dem Straßenterror der SA etwas entgegenzusetzen. Bis 1933<br />
fielen 47 Reichsbannermitglieder im „Kampf um die Demokratie“. 42<br />
Nach den Ereignissen vom 1. Mai 1929, dem so genannten „Blutmai“, in Berlin, kehrte der<br />
Reichenbacher der SPD den Rücken: „Ich arbeitete damals, wie bereits berichtet, in Oberfranken<br />
(Bayern). Dort selbst brachten die Ereignisse in Berlin eine gewaltige Erregung unter die Kollegen, u.<br />
viele junge und alte Kollegen unter anderem auch kehrten der SPD den Rücken.“ 43 Die Ereignisse, die<br />
sich an diesem historischen Datum zugetragen haben, waren ausschlaggebend für <strong>Kindinger</strong>s<br />
Entscheidung, sich von der SPD abzuwenden und schließlich der KPD beizutreten. Die Hintergründe<br />
zum so genannten „Blutmai“ sollen im Folgenden näher erläutert werden, um <strong>Kindinger</strong>s Beweggründe<br />
besser nachvollziehen zu können:<br />
Durch den langen Winter von 1928 auf 1929 hatten sich die sozialen Spannungen und die<br />
Wirtschaftskrise in Berlin verschärft. Aufgrund der daraus resultierenden hohen Arbeitslosenquote kam<br />
es immer häufiger zu politischen Auseinandersetzungen, insbesondere zwischen SPD und KPD.<br />
Der sozialdemokratische Polizeipräsident der Stadt Berlin, Karl Friedrich Zörgiebel (1878-1961), hatte<br />
am Ende des Jahres 1928 ein Verbot für „alle Versammlungen unter freiem Himmel einschließlich aller<br />
Umzüge wegen unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit" erlassen, welches für die Hauptstadt<br />
sowie den gesamten Freistaat Preußen galt. Dieses Verbot gefährdete nun die traditionell am 1. Mai<br />
stattfindenden Protestkundgebungen. Auf den Antrag der KPD-Fraktion in der Berliner<br />
Stadtverordnetenversammlung, das Verbot aufzuheben, meldete sich der preußische Innenminister<br />
Albert Grzesinski (1879-1947) zu Wort und verkündete, notfalls werde er alle Gruppen und Vereine, die<br />
die Form politischer Parteien hätten, verbieten. In erster Linie waren diese Drohungen gegen die KPD<br />
und die Wehrorganisation Roter Frontkämpferbund (RFB) gerichtet.<br />
Infolgedessen wurden verschiedene Komitees gebildet, welche eine friedliche Demonstration für den 1.<br />
Mai planten. Am 26. April 1929 rief das „Maikomitee der Berliner Arbeiterschaft“ die Berliner<br />
Bevölkerung auf, trotz des Verbots zu demonstrieren, zumal das Demonstrationsverbot in anderen<br />
Städten wie München, Hamburg oder Kiel zum 1. Mai aufgehoben wurde. Die Polizei wurde mit der<br />
Parole „Schlagt nicht, schießt nicht“ und der Versicherung, dass man unbewaffnet marschieren werde,<br />
dazu aufgefordert, keine Gewalt gegen die Demonstranten anzuwenden.<br />
Die Reaktion Zörgiebels auf diesen Aufruf bestand darin, dass er das Verbot noch einmal bekräftigte<br />
und weiter drohte alle erforderlichen Mittel anzuwenden, um die Demonstranten an ihrem Marsch zu<br />
hindern. Daraufhin kam es zu einer Reihe von Vorwürfen zwischen SPD und KPD, die sich gegenseitig<br />
beschuldigten, eine gewaltsame Konfrontation und damit ein Blutvergießen zu provozieren.<br />
Am 1. Mai schließlich waren rund 13000 Polizisten in Berlin zusammengezogen. Während SPD und<br />
Gewerkschaften in Lokalen den 1. Mai feierten, versammelten sich die Demonstranten in mehreren<br />
Außenbezirken der Stadt und versuchten in das Zentrum zu gelangen. Politische Lösungen, aber auch<br />
soziale Forderungen wurden dabei von den Demonstranten ausgerufen. Die Polizei ging mit<br />
Gummiknüppeln und Wasserwerfern gegen die Marschierenden vor, aber auch gegen unbeteiligte<br />
Passanten. Insgesamt nahmen an diesem Tag etwa 200000 Menschen an der Demonstration teil.<br />
Gegen Mittag verschärfte sich die Auseinandersetzung zwischen Polizei und Demonstranten. Während<br />
die Ordnungshüter zunehmend auf die Menge schossen, errichteten diese Barrikaden und<br />
Straßensperren. Die folgenden Straßenkämpfe, hauptsächlich in den Stadtteilen Wedding und Neuköln,<br />
dauerten bis in die Nacht vom 3. auf den 4. Mai an. In diesen Bezirken wurde sogar der<br />
Ausnahmezustand ausgerufen und erst am 6. Mai wieder aufgehoben.<br />
Am Ende wurden mehr als 30 Tote und über 200 Verwundete gezählt. Außerdem wurden rund 1200<br />
Menschen verhaftet.<br />
Aufgrund dieses radikalen Vorgehens des sozialdemokratischen Polizeipräsidenten, der immerhin<br />
<strong>Kindinger</strong>s Gesinnungskollege und Parteigenosse war, entschloss sich dieser, sich von der SPD<br />
42 Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Berlin, By/1 662, Lebenslauf von <strong>Jakob</strong><br />
<strong>Kindinger</strong>.<br />
43 Ebd.<br />
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