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Italien-Reiseberichte zum Lesen und Herunterladen (pdf; 0,90 MB)

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Modena eines der Philosophie, irgendwo anders - ich habe vergessen, worüber Georg schimpft - gibt<br />

es ein Festival der Wissen; dabei gebe es doch nur eines! Und überall verschandele die Festivalitis<br />

die imposantesten Plätze historischer Städte.<br />

Insofern fällt es schwer, die beiden w<strong>und</strong>erbaren Reiterstandbilder zu fotografieren, Bronzeplastiken<br />

vom Ende des 16.Jahrh<strong>und</strong>erts, die genau die Dynamik transportieren, die unseren Braunschweiger<br />

Reiterstandbildern vor dem Schloss fehlt. Uns scheint, das der lebensweise Georg viele Wahrheiten<br />

besitzt, dass er weiß, dass es für alles nicht nur eine Erklärung gibt <strong>und</strong> dass er immer wieder von der<br />

ihn umgebenden Wirklichkeit desillusioniert wird. Diese Stadtführung ist ein philosophischer Diskurs.<br />

Die gotische San Francesco-Kirche ist eingerüstet, darauf das Logo einer Bank. Die regionale<br />

Sparkasse, sagt Georg, ist die einzige, die sich engagiert. Dabei gebe es doch soviel zu tun. Jetzt<br />

habe auch in Piacenza ein IKEA aufgemacht, aber die großen Konzerne seien für lokales<br />

Kultursponsoring nicht zu gewinnen.<br />

In der romanischen Kathedrale, 1122 begonnen <strong>und</strong> 1233 gotisch<br />

beendet, bew<strong>und</strong>ern wir die Reliefs der Zünfte an den Säulen: Diejenige,<br />

die die jeweilige Säule bezahlt hatte, durfte sich daran verewigen.<br />

Schuhmacher kommen mehrfach vor - kein W<strong>und</strong>er, meint Georg, das<br />

waren ja auch die Hersteller der wichtigsten Fortbewegungsmittel des<br />

Mittelalters. Innungszeichen dieser Art gebe es sonst nur in Lodi, sagt<br />

Georg <strong>und</strong> fragt, weshalb ich den hässlichen Löwen am Portal<br />

fotografieren wollte - der Braunschweiger Burglöwe sie doch viel<br />

schöner. Dass nicht nur Exil-Trierer an Deutschland interessiert sind,<br />

zeigt die Corriere della Sera, die zur B<strong>und</strong>estagswahl titelt: "Merkel mit freien Händen kann auch Rom<br />

helfen".<br />

Bevor wir in unseren Bauernhof <strong>zum</strong> Übernachten aufbrechen -<br />

Stichwort Agriturismo - führt uns Georg noch zur Backsteinkirche<br />

Sant'Antonio. Als erstes mokiert sich unser Führer über Kirchen, in<br />

denen sakrale Musik vom Tonband dudelt, um die Besucher<br />

elektronisch einzustimmen. Platzten wir gestern in eine Hochzeit, ist<br />

es heute eine Taufe. Eine Tafel erinnert an Papst Urban II., der hier<br />

angeblich <strong>zum</strong> Kreuzzug aufgerufen habe. Das Detail, dem Georgs<br />

Augenmerk gilt, ist eine Säule in einem oberen Umlauf der Fassade,<br />

die eine menschliche Gestalt zeigt. "Der Architekt", meint Georg - das<br />

sei doch mal eine selbstbewusste Signatur ...<br />

Wenn wir den Bauernhof heute Nacht überleben, melde ich mich morgen aus der Lunigiana, dem<br />

nördlichsten Teil der Toskana, wieder.<br />

Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen<br />

Dr. phil. Lutz Tantow<br />

9. Reisebericht: Zu Fuß in die Toscana – Cisapass<br />

Der Ferienbauernhof (Name wird verschwiegen, ist aber der Redaktion bekannt) aus dem<br />

19.Jahrh<strong>und</strong>ert wurde mit viel Liebe restauriert <strong>und</strong> im "Farmstil" wieder aufgebaut. Farmstil ist im<br />

<strong>Italien</strong>ischen ein Wort, das Georg wahrscheinlich ebenso ungern hört wie "Hobbyistica" oder<br />

"Jeanseria". Weiter heißt es von unserer kleinen Farm, dass sie nur 10 Minuten von Piacenza <strong>und</strong> 40<br />

Minuten von Mailand entfernt ist - stimmt, wenn man einen Hubschrauber besitzt.<br />

Ansonsten befinden wir uns - neu-italiensch gesprochen - in the middle of nowhere! Wer sich in alten<br />

Bauernmöbeln wohlfühlt <strong>und</strong> gern an rustikalen Spülsteinen wäscht, wer es liebt, im Morgentau<br />

draußen in einer zugigen Scheuer mit einem halben Dutzend Katzen hartes Brot zu frühstücken, der<br />

soll sich bei mir melden. Ich gebe ihm die Adresse gern.<br />

Über Grazzano Visconti - ein Mittelalter-Disneyland, das seit mehr als 100 Jahren die Ausflügler<br />

erfreut, gelangen wir zurück in Piacenzas Ortsteil Roncaglia. Hat schon mal wer von den<br />

Roncalischen Gefilden gehört? Wo sich traditionsgemäß das Kaiserheer <strong>zum</strong> Romzug sammelte? Wo<br />

Friedrich I. Mitte des 12.Jahrh<strong>und</strong>erts Hoftage abhielt <strong>und</strong> die Rechte der italienischen Kommunen<br />

einschränkte? Wo heute noch eine Bar mit Namen Barbarossa an einst erinnert?<br />

Genau dort zogen wir heute Morgen durch. Und zwar mit unserem niegelnagel neuen Alpha Romeo<br />

Mito in rot, den uns Avis dankenswerterweise für unsere Otto-Tour kostenlos zur Verfügung gestellt<br />

hat. Eine schöne Form des Kultursponsorings. Die Via Francigena ist in diesem Streckenabscnitt<br />

identisch mit der Via Emilia, jener Römerstraße, die seit 2200 Jahren Piacenza über Fidenza <strong>und</strong><br />

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