Heft 1 1-64 - Anwaltsblatt
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DeutscherAnwaltVerein<br />
Aus dem Inhalt<br />
G11041<br />
51. Deutscher Anwaltstag in Berlin<br />
1. bis 3. Juni 2000 – vormerken!<br />
Aufsätze<br />
Das innere Berufsbild der Anwaltschaft (Zuck) 3<br />
Anwaltliche Selbstverwaltung im Wandel<br />
(Hartung) 9<br />
Anwaltsvergütung bei vorzeitiger<br />
Mandatskündigung (Mugler) 19<br />
DAV-Forum „Justizreform – Zivilprozess“,<br />
Programm zum 4./5.2.2000 in Berlin 28<br />
Meinung & Kritik<br />
Zur Ausbildungsreform 32<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
1. Rechtsanwaltsforum Bayern 37<br />
AG Anwaltsnotariat 39<br />
Mitteilungen<br />
Zur Justizreform 45<br />
Rechtsprechung<br />
OLG Dresden: Zeitungswerbung 53<br />
OLG Hamm: Besonders schwieriges Verfahren 56<br />
Rechtsprechung zu PKH 59<br />
1/2000<br />
Januar DeutscherAnwaltVerlag
Im Auftrag des<br />
Deutschen Anwaltvereins<br />
herausgegeben von den<br />
Rechtsanwälten:<br />
Felix Busse<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
1 Rechtsanwältinnen/Rechtsanwälte an der Schwelle des dritten<br />
Jahrtausends<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Köln, Präsident des DAV<br />
Aufsätze<br />
3 Das innere Berufsbild: Hürde oder Hilfe für das anwaltliche<br />
Selbstverständnis?<br />
Von Rechtsanwalt Prof. Dr. Rüdiger Zuck, Stuttgart<br />
9 Anwaltliche Selbstverwaltung im Wandel<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Hartung, Mönchengladbach<br />
12 Die Rechtsprechung des Senats für Notarsachen des<br />
Bundesgerichtshofs<br />
Von Vors. Richter am BGH Dr. Eberhard Rinne, Karlsruhe<br />
19 Die Vergütung des Anwalts in Fällen vorzeitiger Kündigung des<br />
Mandats<br />
Von Vors. Richter am LG Fritz Mugler, München<br />
21 Die GmbH als Kooperationsform für die österreichische<br />
Anwaltschaft<br />
Von Wiss. Mitarbeiter Matthias Kilian, Köln<br />
28 DAV-Forum „Justizreform – Zivilprozess“<br />
am 4. und 5. Februar 2000 in Berlin<br />
– vollständiges Programm –<br />
Meinung & Kritik<br />
32 Ausbildungsreform I<br />
Von Rechtsanwalt Frank Daniel Ehrsam, München<br />
Ausbildungsreform II<br />
Von Rechtsanwalt Matthias Görgen, Koblenz<br />
33 Reform der Juristenausbildung<br />
Von Rechtsanwältin Nicole Böcker, Bremen<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Schriftleitung:<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
Bonn, Adenauerallee 106<br />
Jahrgang 50<br />
Januar 2000<br />
34 Rechnerwettstreit des DAV<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Präsident des DAV<br />
35 Anwaltstag 2000 in Berlin: AdvoJob – DAV veranstaltet erstmals<br />
Personalmesse<br />
Von Rechtsanwalt Andreas Hagenkötter, Berlin<br />
PR-Referat<br />
Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Bonn<br />
37 Anwaltvereine & Landesverbände:<br />
Kurzer Prozeß mit den Rechten der Verbraucher?<br />
1. Rechtsanwaltsforum Bayern in München<br />
Von Rechtsanwältin Rita Schulz-Hillenbrand, Würzburg<br />
Kölner Anwaltverein<br />
38 Deutsche Anwaltauskunft: Auch die außerordentlichen Mitglieder<br />
werden benannt<br />
Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Bonn<br />
39 AG Anwaltsnotariat:<br />
Herbsttagung 1999 in Göttingen<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Köln<br />
AG der Fachanwälte für Arbeitsrecht im DAV:<br />
38. Arbeitstagung in Leipzig<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Köln<br />
b 1/2000<br />
l<br />
40 AG Internationaler Rechtsverkehr:<br />
Mitgliederversammlung am 20. Oktober 1999<br />
– Bericht der Vorsitzenden, Rechtsanwältin Dr. Claudia Seibel,<br />
Frankfurt<br />
42 AG Verkehrsrecht:<br />
Neues über die Internet-Präsentation der Arbeitsgemeinschaft<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Michael Burmann, Erfurt<br />
Fortbildungsarbeit der AG Verkehrsrecht in den neuen<br />
Bundesländern<br />
Von Rechtsanwalt und Notar Dr. Georg Greißinger, Hildesheim<br />
43 Personalien:<br />
Neue Vorsitzende von Anwaltvereinen<br />
Buchhinweis:<br />
– Bauer: Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge pp. (Hamacher)<br />
– Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert: BRAGO Kommentar<br />
14. Aufl. 1999 (Hamacher)<br />
Europa<br />
44 Europa im Überblick<br />
91. Vollversammlung des CCBE in Athen<br />
Von Rechtsanwalt Andreas Klein, LL.M., Bonn<br />
Mitteilungen<br />
45 Justizreform:<br />
Stellungnahme des Anwaltverbandes Baden-Württemberg<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Peter Kothe, Vors. des Anwaltsverbandes<br />
Baden-Württemberg<br />
48 Freie Mitarbeiter / Scheinselbständigkeit:<br />
Korrektur des Korrekturgesetzes: Neues vom freien Mitarbeiter<br />
Von Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Tübingen<br />
49 Geldwäsche _. Europa: Einbeziehung von Rechtsanwälten in die<br />
Meldepflicht der Geldwäsche-Richtlinie?<br />
51 Haftpflichtfragen: Anwalt 2000<br />
Von Rechtsanwältin Antje Jungk<br />
Allianz Versicherungs-AG, München<br />
Buchhinweis:<br />
– Feuerich/Braun: BRAO 4. Aufl. 1999 (Hamacher)<br />
Rechtsprechung<br />
(Übersicht und Leitsätze siehe Seite II)<br />
53 Berufsrecht<br />
55 Gebührenrecht<br />
58 Beratungshilfe<br />
59 Prozeßkostenhilfe<br />
<strong>64</strong> Impressum<br />
Auf dem Umschlag<br />
Das <strong>Anwaltsblatt</strong> ist auf technisch chlorfreiem Recyclingpapier gedruckt.<br />
DAV-Informationen Seite VI, VIII<br />
DAV-Service Seite XXIV<br />
Internet-Aktuell Seite XVIII
II<br />
Rechtsprechung<br />
Berufsrecht<br />
AnwGH NRW, Beschl. v. 2.10.1998 – 1 ZU 41/98 AGH Hamm<br />
FAO § 3; RAFachBezG § 7 Abs. 2<br />
Eine dreijährige ununterbrochene Zulassung und Tätigkeit als Rechtsanwalt ist als Voraussetzung<br />
für die Verleihung der Bezeichnung „Fachanwalt für Verwaltungsrecht“ auch<br />
dann maßgeblich, wenn der Antragsteller über 30 Jahre als Verwaltungsbeamter, davon<br />
25 Jahre als städtischer Beigeordneter und Rechtsdezernent tätig war, aber erst zehn<br />
Wochen als Rechtsanwalt zugelassen ist. (LS der Red.) – S. 53<br />
OLG Dresden, Urt. v. 20.4.1999 – 14 U 3257/97<br />
StBerG § 57a; BOStB § 11 Abs. 1; UWG § 1<br />
Die drucktechnische Hervorhebung einer Werbeangabe in der Zeitungsanzeige einer<br />
Steuerberatungsgesellschaft durch eine 6 x 1 cm breitflächige, grüne Unterlegung ist<br />
nicht berufs- und wettbewerbswidrig. – S. 53<br />
BGH, Urt. v. 15.10.1999 – V ZR 50/99<br />
ZPO § 233<br />
Ein Rechtsanwalt ist zwar nicht verpflichtet, die Vollständigkeit der in einem fristwahrenden<br />
Schriftsatz angegebenen Anschrift des Gerichts zu prüfen. Er hat jedoch durch geeignete<br />
organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass seine Mitarbeiter die für ein<br />
Gericht bestimmten Sendungen vollständig adressieren. – S. 55<br />
Gebührenrecht<br />
OLG München, Beschl. v. 17.9.1998 – 11 W 2282/98<br />
BRAGO § 15 Abs. 1<br />
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, daß § 15 Abs. 1 BRAGO dann nicht anzuwenden<br />
ist, wenn das Betragsverfahren nach dem Berufungsverfahren über das Grundurteil<br />
weitergeführt wird (Bestätigung des Beschl. v. 22.10.1993 – 11 W 2422/93 –,<br />
Rpfleger 1994, 272 = JurBüro 1994, 543 = OLGR 1994, 95). – S. 55<br />
OLG Hamm, Beschl. v. 10.12.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 245/98<br />
BRAGO § 99<br />
Es wird nur in der Regel geboten sein, sich der Einschätzung des Vorsitzenden bei der<br />
Beurteilung der Frage, ob es sich bei einem Verfahren um ein „besonders schwieriges“<br />
i. S. v. § 99 BRAGO gehandelt hat, anzuschließen; ist die Einschätzung des Vorsitzenden<br />
nach Aktenlage nicht nachvollziehbar, kommt ein Anschluß nicht in Betracht. – S. 56<br />
OLG Nürnberg, Beschl. v. 18.1.1999 – ARs 1256/98<br />
BRAGO §§ 99, 97<br />
Der besondere Umfang einer Strafsache mit 1450 Blättern und besonderer Beanspruchung<br />
des Pflichtverteidigers durch Haftprüfungsverfahren rechtfertigt keine höhere Pauschvergütung<br />
als die Verdoppelung der gesetzlichen Gebühren auf 1200 DM. (LS der Red.) – S. 56<br />
KG, Beschl. v. 1.7.1999 – 19 WF 2978/99<br />
BRAGO § 128 Abs. 4, § 31 Abs. 1 Nr. 3; ZPO § 613<br />
Dem Entstehen einer Beweisgebühr auch zur Folgesache elterlicher Sorge steht nicht entgegen,<br />
daß es an einer förmlichen Anordnung fehlt und das Protokoll auch die Durchführung<br />
der Anhörung nicht eindeutig erweist. (LS der Red.) – S. 56<br />
LG Aachen, Beschl. v. 16.9.1998 – 3 T 192/98<br />
BRAGO § 132 Abs. 3, § 24<br />
Die Erledigungsgebühr nach § 152 Abs. 3 BRAGO fällt schon dann an, wenn ein von<br />
dem Rechtsanwalt eingelegter Widerspruch zur Erledigung führt; besondere Bemühungen<br />
um die Erledigung sind nicht erforderlich. (LS des Einsenders) – S. 57<br />
Beratungshilfe<br />
OLG Hamm, Beschl. v. 7.12.1998 – 15 Sbd. 32/98<br />
BeratHG § 4 Abs. 1 S. 1; BRAGO § 133 S. 3<br />
Wechselt der Rechtsuchende nach der Inanspruchnahme von Beratungshilfe seinen Wohnsitz,<br />
so ist bei der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des AG auf den Wohnsitz des Antragstellers<br />
bei Auftreten des Bedürfnisses der Beratungshilfe abzustellen. (LS der Red.) –<br />
S. 58<br />
OLG München, Beschl. v. 17.2.1998 – 11 WF 1093/97<br />
BRAGO § 132; BerHG § 1<br />
Die Bewilligung von Beratungshilfe für die „Beratung wegen Unterhalt – elterlicher Sorge“<br />
erfaßt auch die Beratung über die Aussichten eines Antrags auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe,<br />
erstreckt sich jedoch nicht auf die Vertretung im Bewilligungsverfahren. – S. 58<br />
Prozesskostenhilfe<br />
OLG Dresden, Beschl. v. 22.4.1999 – 8 W 288/99<br />
ZPO §§ 114, 127<br />
Prozeßkostenhilfe für die Vorinstanz kann das Beschwerdegericht der bedürftigen Partei<br />
grundsätzlich nicht (mehr) gewähren, wenn und soweit sie in der Hauptsache – jedenfalls<br />
zwischenzeitlich – rechtskräftig unterlegen ist. – S. 59<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.4.1999 – 7 W 29/99<br />
§§ 114, 254 ZPO<br />
1. Werden Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche im Wege der Stufenklage geltend<br />
gemacht, bezieht sich die vorbehaltslose Prozeßkostenbewilligung auf sämtliche Stufen.<br />
2. Dennoch besteht für die Staatskasse nicht die Gefahr, für die Kosten überhöhter Zahlungsanträge<br />
aufkommen zu müssen. Die Prozeßkostenhilfe ist auf den Antrag beschränkt,<br />
der sich aus der Auskunft ergibt. Sofern der Kl mehr fordert, als die Auskunft<br />
ergibt, erstreckt sich die Prozeßkostenhilfe nicht auf die Mehrforderung.<br />
3. Das Gericht kann sich in der ersten Entscheidung über die Prozeßkostenhilfe vorbehalten,<br />
nach Bezifferung des Klageantrags erneut über die Prozeßkostenhilfe zu entscheiden.<br />
Auch wenn ein solcher Vorbehalt fehlt, kann das Gericht nach der Bezifferung durch Beschluß<br />
klarstellen, wie weit der neue Antrag von der Prozeßkostenhilfebewilligung gedeckt<br />
ist. Dem Kl ist die Möglichkeit einzuräumen, Klarstellung zu schaffen, in dem er<br />
für den bezifferten Antrag erneut Prozeßkostenhilfe beantragt. – S. 59<br />
LAG Niedersachsen, Beschl. v. 25.3.1999 - 16a Ta 119/99<br />
ZPO §§ 114 ff., § 270 Abs. 3<br />
Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe unter gleichzeitiger Einreichung eines<br />
Entwurfs der Klageschrift und vollständiger Unterlagen über die persönlichen und wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse des Antragstellers wahrt rückwirkend eine tarifliche Ausschlußfrist,<br />
die die gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs verlangt, sofern unverzüglich<br />
nach positiver oder negativer rechtskräftiger Entscheidung über den Antrag auf<br />
Bewilligung von Prozeßkostenhilfe die Klage zugestellt wird. – S. 59<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.8.1999 – 10 WF 26/99<br />
ZPO § 114; GKG § 58 Abs. 2, § 65 Abs. 1<br />
Der Kl erhält im Falle des Obsiegens gegen eine Prozeßkostenhilfepartei die von ihm bereits<br />
gezahlten Gerichtskosten und Vorschüsse von der Staatskasse zurück.<br />
(Aufgabe der bisherigen gegenteiligen Senatsrechtsprechung – JurBüro 1994, 109 – im<br />
Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG vom 23.6.1999, Az. 1 BvR 984/89) – S. 61<br />
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 13.1.1998 – 14 w 79/97<br />
ZPO § 116<br />
Der Umstand, daß am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligte nicht bereit<br />
sind, sich an den Kosten des Rechtsstreits zu beteiligen, hat nicht zur Folge, daß dem<br />
Konkursverwalter Prozeßkostenhilfe zu gewähren ist. – S. 61<br />
LAG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 7.12.1998 – 8 Ta 176/98<br />
ZPO § 119<br />
1. PKH kann i. d. R. rückwirkend nur auf den Zeitpunkt bewilligt werden, in dem der<br />
Antrag mit der Formularerklärung über die pers. und wirtsch. Verhältnisse sowie den<br />
erforderlichen Belegen versehen war.<br />
2. Über diesen Zeitpunkt hinaus kann PKH ausnahmsweise rückwirkend auch auf den<br />
Zeitpunkt einer nur unvollständigen Antragstellung bewilligt werden, wenn das Gericht<br />
hierfür einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.<br />
3. Dies ist in dem durch kurze Fristen und Beschleunigungsgrundsatz geprägten Arbeitsgerichtsverfahren,<br />
in dem ein Großteil der Rechtsstreite bereits in der Güteverhandlung<br />
endet, jedenfalls dann der Fall, wenn in das Protokoll der Güteverhandlung vor Erlass<br />
eines Versäumnisurteils ohne weiteren Hinweis aufgenommen wird, dass der Prozeßbevollmächtigte<br />
des Kl (und Antragstellers) verspreche, die Erklärung über die persönlichen<br />
und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nachzureichen. – S. 62<br />
LG Ulm, Beschl. v. 22.2.1999 – 5 T 29/99<br />
ZPO § 119 Ab. 2, § 121 Abs. 2<br />
Auch nach dem 1.1.1999 ist dem Gläubiger im Wege der Prozeßkostenhilfe für das Verfahren<br />
der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen kein Rechtsanwalt<br />
beizuordnen. (LS des Einsenders) – S. 62<br />
SchlHOLG, Beschl. v. 15.12.1998 – 9 W 194/98<br />
ZPO § 120 Abs. 3 Nr. 2, § 127 Abs. 2 S. 2<br />
Gegen die vorläufige Einstellung der bei Bewilligung der Prozeßkostenhilfe auferlegten<br />
Ratenzahlungen ist eine Beschwerde der Landeskasse statthaft. – S. 63<br />
LG Koblenz, Beschl. v. 28.8.1997 – 6 T 82/97, 6 T 83/97<br />
ZPO § 124, § 122 Abs. 2; GKG § 58<br />
Vor Aufhebung der Prozeßkostenhilfebewilligung ist auch der Prozeßgegner zu hören,<br />
wenn er durch die Aufhebung die Vergünstigungen der §§ 122 ZPO, 58 II 2 GKG verlieren<br />
kann. – S. <strong>64</strong>
VI<br />
4<br />
In diesem <strong>Heft</strong>:<br />
Lesen Sie in diesem <strong>Heft</strong> aus der<br />
Arbeit des DAV auf Seite 34 bis 43:<br />
DAT 2000: Rednerwettstreit des<br />
DAV; AdvoJob Personalmesse / PR-<br />
Referat / 1. Rechtsanwaltsforum<br />
Bayern / Anwaltverein Köln / AG<br />
Anwaltsnotariat / AG Arbeitsrecht /<br />
AG Internat. Rechtsverkehr / AG<br />
Verkehrsrecht / Personalien<br />
Gebührenrecht in AGS Nr. 1/2000<br />
9 Madert: Die Gebühren des Rechtsanwalts<br />
für die Regulierung von<br />
Verkehrsunfallschäden, 4. Teil<br />
9 OLG Hamm: Pauschvergütung für<br />
bestellte Verteidigerin<br />
9 OLG München: Streitwert und Vergleichswert<br />
bei Hilfsaufrechnung<br />
9 OLG Koblenz: Gerichtskosten bei<br />
mehreren Beschwerdeführern<br />
9 LSG Schleswig-Holstein: Rechtsanwaltsvergütung<br />
– Rechtsweg<br />
9 OLG München: Verzinsung des Kostenerstattungsanspruchs<br />
Veranstaltungen Inland<br />
Institut für Anwaltsrecht an<br />
der Universität zu Köln<br />
Ringvorlesung „Einführung in den<br />
Anwaltsberuf“<br />
Im Rahmen der Ringvorlesung „Einführung<br />
in den Anwaltsberuf“ (dienstags,<br />
17-19 Uhr, HS XXI, Hauptgebäude der<br />
Universität, Albertus-Magnus-Platz) von<br />
Prof. Dr. Martin Henssler, Direktor des<br />
Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht<br />
sowie des Instituts für Anwaltsrecht,<br />
werden im Wintersemester 1999/<br />
2000 ergänzend folgende Vorträge mit<br />
anschließender Diskussion angeboten:<br />
Dipl.-Kfm. Dr. Stefan Krau, Dr. Hermann<br />
J. Knott, LL.M., Dr. Fritjof Börner<br />
„Anwalt im fachübergreifenden und<br />
internationalen Beratungsteam“<br />
Dienstag, 18.1.2000, 17.00 Uhr c.t.,<br />
Neuer Senatssaal<br />
Torsten Schneider (Ass. jur.)<br />
„Fit für den Job – Wie werbe ich für<br />
mich?“<br />
Dienstag, 1.2.2000, 17.00 Uhr c.t.,<br />
Neuer Senatssaal<br />
Prof. Dr. Martin Henssler<br />
„Erste Erfahrungen mit der Rechtsanwaltsgesellschaft<br />
mbH“<br />
Dienstag, 8.2.2000, 17.00 Uhr c.t., HS<br />
XXI<br />
Die Ringvorlesung wird im Sommersemester<br />
2000 fortgesetzt. Geplant<br />
sind folgende Themen:<br />
9 Qualitätsmanagement in Anwaltskanzleien,<br />
RAin Gabriele Freitag,<br />
Hamburg<br />
9 „Die kleine Sozietät in der Großstadt“,<br />
RAe Koch & Börsch, Köln<br />
9 Berufshaftung und Haftpflichtversicherung<br />
des Rechtsanwalts, RA<br />
Erich Hartmann, Gerling Firmenund<br />
Privat-Service AG, Köln<br />
9 Der Unternehmensanwalt – das Berufsbild<br />
des Syndicus, Dr. Heinrich<br />
Ulmer, Chefsyndicus Audi AG<br />
9 Vertragsgestaltungsfragen beim Unternehmenskauf,<br />
Prof. Dr. Martin<br />
Henssler<br />
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich;<br />
die Teilnahme kostenlos.<br />
Weitere Informationen zu Referenten<br />
und Themen: www.uni-koeln.de/jurfak/instawr/awrframeset.html<br />
(C Veranstaltungen C Ringvorlesung)<br />
oder Telefon: 0221-4 70-5711; Telefax:<br />
0221-470-4918<br />
Deutsche Anwaltakademie<br />
Seminare im Februar 2000<br />
9 Rhetorik und Verhandlungsführung<br />
Sprecherzieherin (DGSS) Hildegard<br />
Klinge, Koblenz<br />
3.–5. Februar 2000 in Koblenz<br />
Seminar: R 22609-00<br />
9 Aktuelles Unterhaltsrecht<br />
Vors. Richter Helmut Borth,<br />
OLG Stuttgart<br />
4. Februar 2000 in Ulm<br />
Seminar: R 11206-00<br />
9 Architektenrecht<br />
RA Dr. Wolfgang Koeble, Reutlingen<br />
Richter Prof. Dr. Reinhold Thode,<br />
BGH Karlsruhe<br />
5. Februar 2000 in Hamburg<br />
Seminar: R 11105-00<br />
9 Internet für Juristen<br />
RA Markus Hage, München<br />
11. Februar 2000 in München<br />
(R 22801-00)<br />
31. März 2000 in München<br />
(R 22802-00)<br />
12. Mai 2000 in München (R 22803)<br />
9 Verteidigung im Steuerstrafrecht<br />
RA Olaf G. von Briel, Düsseldorf<br />
Oberregierungsrat Dr. Dirk Ehlscheid,<br />
Neuwied<br />
12. Februar 2000 in Frankfurt a. M.<br />
Seminar: R 12203-00<br />
9 Pflichtteilsrecht<br />
RA Karl-Ludwig Kerscher,<br />
Germersheim<br />
25. Februar 2000 in München<br />
Seminar: R 11304-00<br />
Anmeldung und Info: Deutsche Anwaltakademie,<br />
Ellerstr. 48, 53119 Bonn,<br />
Tel.:0228/98366-77,Fax:98366-66<br />
AG Verkehrsrecht des DAV<br />
Regionale Veranstaltungen:<br />
Datum/Orte: 19. Februar 2000,<br />
Bad Bramstedt<br />
26. Februar 2000,<br />
Oldenburg<br />
Thema: Der Verdienstausfall im<br />
Schadensersatzrecht –<br />
mit Berechnungsbeispielen<br />
–<br />
Referent: RA Janke,<br />
Leitender Referent<br />
LVM Versicherung<br />
Datum/Ort: 19. Februar 2000,<br />
Neubrandenburg<br />
Thema: Fahrlässigkeitshaftung<br />
und<br />
Gefährdungshaftung –<br />
Typische Probleme des<br />
Haftungsgrundes in der<br />
Praxis –<br />
Referent: RiBGH Dr. Lepa<br />
(Fortsetzung auf Seite VIII)<br />
Im nächsten <strong>Heft</strong> u. a.:<br />
9 Wohnungseigentum in der Krise<br />
9 Prozesstaktik<br />
9 Mediation und Strafrecht
VIII<br />
4<br />
(Fortsetzung von Seite VI)<br />
Datum/Ort: 26. Februar 2000,<br />
Neukirchen (b. Marburg)<br />
Thema: Leasing und Drittfinanzierung<br />
von Kraftfahrzeugen<br />
Referent: RA Dr. Reinking<br />
Datum/Ort. 26. Februar 2000,<br />
Homburg/Saar<br />
Thema: Prozeßtaktik im Haftpflichtprozeß<br />
Referent: RiBGH Römer<br />
Gebühr: 150 DM für Mitglieder<br />
der ARGE und Referendare;<br />
250 DM für Nichtmitglieder<br />
Sonderveranstaltungen:<br />
Datum/Ort: 19./20. Februar 2000,<br />
Aachen<br />
Thema: Verkehrsrecht für junge<br />
Kollegen und<br />
Referendare<br />
Referenten: RA Gebhardt,<br />
RAuN Fleischmann<br />
Gebühr: 250 DM für Rechtsanwälte;<br />
150 DM für Referendare<br />
(Anmeldung s. u.)<br />
AG Strafrecht des DAV<br />
Fortbildungsveranstaltungen:<br />
Datum/Ort: 5. Februar 2000,<br />
Berlin<br />
Thema: Aktuelles Straf- und<br />
Strafprozeßrecht (I)<br />
Referenten: RA Gillmeister,<br />
RA Hiebl<br />
Datum/Ort: 26. Februar 2000,<br />
Hannover<br />
Thema: Revisionsrecht<br />
Referenten: RA Prof. Dr. Schlothauer,<br />
RA Neuhaus<br />
Gebühr: 200 DM für Mitglieder<br />
der ARGE; 300 DM für<br />
Nichtmitglieder<br />
Anmeldungen (bitte schriftlich) und<br />
weitere Informationen:<br />
Arbeitsgemeinschaft Verkehrs- und<br />
Strafrecht, Veranstaltungsorganisation,<br />
Hirschmannstraße 7, 53359 Rheinbach,<br />
Telefon: 0 22 26 / 91 20 91, Fax:<br />
0 22 26 /91 20 95<br />
Veranstaltungen Ausland<br />
Association Internationale des<br />
Jeunes Avocats (AIJA)<br />
und Union Internationale<br />
des Avocats (UIA)<br />
Cross-Border Sub-Contracting<br />
The legal aspects of subcontracting<br />
the production of goods abroad in<br />
the global market<br />
Themen der Veranstaltung:<br />
Die Vorträge werden in englischer und<br />
französischer Sprache ohne Simultanübersetzung<br />
gehalten:<br />
9 A view from the Industry – The<br />
perspective of the contractors – The<br />
perspective of the sub-contractors<br />
9 Introduction to the legal issues<br />
9 Competition law aspects Quality<br />
9<br />
control and product liability<br />
Payment clauses (“if and when),<br />
security clauses, price revision<br />
9 International<br />
methods<br />
dispute resolution<br />
9 Industrial and intellectual property<br />
aspects<br />
9 Labour law aspects<br />
9 Customs law aspects<br />
9 Insolvency law aspects<br />
9 International tax law aspects<br />
9 Industrial sub-contracting in the<br />
Central and Eastern European<br />
countries and in the Asia-Pacific<br />
countries<br />
Zeit und Ort:<br />
11./12. Februar 2000<br />
Florenz<br />
Gebühren:<br />
AIJA/UIA-Mitglieder 30 Euro 4<strong>64</strong>,81<br />
Begleitpersonen<br />
Informationen:<br />
Euro 134,28<br />
Association Internationale des Jeunes<br />
Avocats (AIJA), Avenue Louis Lepoutre<br />
59/20, B-1050 Brüssel, Tel.: +32-<br />
2-347.28.08, Fax: +32-2-347.55.22, E-<br />
Mail:<br />
site:<br />
aija@pophost.eunet.be, Web-<br />
http:// www.aija.org<br />
Centre UIA, 25 rue du Jour, F-75001<br />
Paris, Tel: +33-1-44 88 55 66,<br />
Fax: +33-1-44 88 55 77,<br />
E-Mail: uiacentre@wanadoo.fr,<br />
Website: http://www.uianet.org<br />
AEA – Association Européenné<br />
des Avocats<br />
AEA Tagung Gstaad (Schweiz)<br />
27.-30. Januar 2000<br />
Die AEA Association Européenne des<br />
Avocats – Europäische Rechtsanwaltsvereinigung<br />
– führt in der letzten<br />
Januarwoche in Gstaad eine Tagung<br />
zum Europäischen Wettbewerbsrecht<br />
und zu grenzüberschreitenden Fusionen<br />
unter Mitwirkung der nationalen<br />
Wettbewerbsbehörde der Schweiz<br />
durch. Sprecher sind Fachleute aus der<br />
Europäischen Kommission DG IV, der<br />
schweizerischen Kartellbehörde in<br />
Bern, dem Deutschen Bundeskartellamt,<br />
den nationalen Regulierungsbehörden<br />
sowie anerkannte, in Brüssel<br />
tätige Kartellrechtler. Die beteiligten<br />
Wettbewerbsbehörden werden jeweils<br />
von ihren Präsidenten vertreten. Die<br />
Veranstaltung richtet sich an Rechtsanwälte,<br />
für die im Zuge der Globalisierung<br />
der Märkte die Kenntnis des<br />
europäischen Wettbewerbsrechtes und<br />
der Mechanismen grenzüberschreitender<br />
Fusionen heute mehr und mehr<br />
zum alltäglichen Handwerk wird. Tagungssprachen<br />
sind Englisch und<br />
Deutsch.<br />
Im wettbewerbsrechtlichen Teil wird<br />
besonderes Augenmerk gerichtet auf<br />
die Deregulierung der Energie- und<br />
Telekommärkte. Im zweiten Teil werden<br />
rechtliche und faktische Probleme<br />
grenzüberschreitender Fusionen von<br />
Fachleuten aus der Europäischen<br />
Kommission, den nationalen Behörden<br />
sowie aus der anwaltlichen und bankrechtlichen<br />
Praxis angesprochen.<br />
Den Teilnehmers wird ausreichend Gelegenheit<br />
zum persönlichen Gespräch<br />
und Kennenlernen im gesellschaftlichen<br />
Rahmenprogramm geboten. Tagungshotel<br />
ist das über die Grenzen<br />
hinaus bekannte Palace Hotel Gstaad,<br />
mit dem die Veranstalter angemessene<br />
Konditionen vereinbaren konnten.<br />
Nähere Informationen über Rechtsanwalt<br />
Dr. Philipp Zurkinden, PRAGER<br />
DREIFUSS Rechtsanwälte, Mühlenbachstraße<br />
6, CH-8008 Zürich, Tel.:<br />
0041-1-2545555, Fax: 0041-1-9,<br />
avenue des Gaulois, B-1040 Brüssel,<br />
Tel.: 0032-2-736 85 90, Fax: 0032-2-<br />
736 70 59, Rechtsanwalt Dr. Kurt<br />
G. Weil, BOESEBECK DROSTE<br />
Rechtsanwälte, Berliner Allee 48,<br />
D-40212 Düsseldorf, Tel.: 0049-211-<br />
13 68 0, Fax: 0049-211-32 44 39
Im Auftrag des<br />
Deutschen Anwaltvereins<br />
herausgegeben von den<br />
Rechtsanwälten:<br />
Felix Busse<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
Schriftleitung:<br />
Rechtsanwältinnen /Rechtsanwälte an<br />
der Schwelle des dritten Jahrtausends<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Köln,<br />
Präsident des Deutschen Anwaltvereins<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
Bonn, Adenauerallee 106<br />
Jahrgang 50<br />
Januar 2000 AQl<br />
Liebe Frau Kollegin, lieber Herr Kollege,<br />
natürlich weiß ich, dass wir noch nicht an der<br />
Schwelle eben dieses dritten Jahrtausends stehen, dass<br />
nämlich die Art der Jahreszählung uns diesen Tag ein<br />
Jahr vorzieht. Aber da der Tag ein Mythos ist, sind solche<br />
Präzisierungen belanglos. Wir haben tatsächlich das<br />
dritte Jahrtausend betreten. Was soll ich Ihnen sagen,<br />
kurz und wesentlich auf der Seite 1 der Nr. 1 des <strong>Anwaltsblatt</strong>es<br />
2000?<br />
Der Atem der Zeit bleibt kurz. Die Rechtsmittelreform<br />
wird von der Bundesjustizministerin Prof. Dr.<br />
Däubler-Gmelin dringend gefordert. Wir stellen uns den<br />
Themen auf einem groß angelegten Forum Anfang Februar<br />
in Berlin. Damit nicht genug, die Justizministerin<br />
hat bereits die zweite Phase eingeläutet; die Reform des<br />
Strafprozesses liegt uns mit ersten Gutachten vor. Wir<br />
müssen die inzwischen Land für Land eingeführten<br />
zwingenden Streitschlichtungsversuche vor der ersten<br />
Instanz bewältigen. Dazu kommen die Realitäten der<br />
Insolvenzreform. Arbeits-, sozial- und steuerrechtlich<br />
lässt uns die Freie Mitarbeit nicht los. Die Umsetzung<br />
der Niederlassungsrichtlinien bringt uns den ausländischen<br />
Anwalt, die ausländische Anwältin aus den EG-<br />
Ländern als voll berechtigten Kollegen.<br />
Die Reform der Juristenausbildung drängt – oder beginnt<br />
ihr die Luft auszugehen? Das Jurastudium alleine –<br />
ohne postuniversitäre Ausbildung – soll den Volljuristen<br />
hervorbringen, der auf dem Arbeitsmarkt sodann zwar<br />
von jedem Arbeitgeber, sei es Justiz, sei es Verwaltung,<br />
sei es Wirtschaft, handverlesen ausgesucht werden kann,<br />
dem jedoch der Anwaltsmarkt als Rechtsanwältin und<br />
Rechtsanwalt vollständig offen steht. In unmittelbarem<br />
Nachrichten für die Mitglieder<br />
des Deutschen Anwaltvereins e. V.<br />
Schulterschluss fordern dagegen DAV und BRAK nach<br />
der Universität eine leistungskontrollierte Anwaltsausbildung.<br />
Kommt die Ausbildungsreform, haben wir gute<br />
Chancen, diese Forderung umzusetzen. Das Problem<br />
liegt bei den Universitäten. Versagen sich die Universitäten<br />
dem Anspruch der Justizministerinnen und<br />
Justizminister, könnte die Reform auf der Strecke bleiben.<br />
Geschädigt wäre die Anwaltschaft, die weiter Auf-
2<br />
l<br />
fangbecken des schrankenlosen Stroms in das Jurastudium<br />
wäre.<br />
Im Jahr 2000 startet die zweite Periode der Satzungsversammlung.<br />
Das Thema Fachanwaltschaft, das lässt<br />
sich heute voraussehen, wird im Mittelpunkt stehen.<br />
Der Vorstand des DAV hat sich für eine moderate Ausdehnung<br />
ausgesprochen. Zur Zeit diskutieren wir, um<br />
welche Fachanwälte der Katalog erweitert werden soll.<br />
Der DAV wird Farbe bekennen und seinen Einfluss geltend<br />
machen.<br />
Der DAV wird weiter an Stärke zunehmen. Mehr als<br />
die Hälfte der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />
sind im DAV verbunden. Dies ist ein statistisches Faktum.<br />
Reduziert man die Zahl aller Anwälte auf die tatsächlich<br />
als Anwältin oder Anwalt voll Tätigen, so<br />
schätzen wir, dass 70% dieser Anwälte im DAV sind.<br />
Von den neu gewählten Mitgliedern der Satzungsversammlung<br />
sind nur vier Mitglieder nicht Mitglied eines<br />
örtlichen Anwaltvereins des DAV. Wer was darstellt, wer<br />
was auf sich hält, ist Mitglied im DAV. Der Mitgliederzuwachs<br />
ist im Übrigen ungebremst. Die Arbeitsgemeinschaften<br />
sind unser großer Treibriemen.<br />
Der DAV wird den Kreis der Arbeitsgemeinschaften<br />
ausdehnen. 1999 kamen hinzu die Arbeitsgemeinschaften<br />
für Mediation, Medizinrecht, Informationstechnologie<br />
und Sportrecht. Wir haben die Kapazität, weitere Arbeitsgemeinschaften<br />
zu gründen!<br />
Anfang Juni ist der Anwaltstag 2000 in Berlin. Nahezu<br />
alle Arbeitsgemeinschaften beteiligen sich. Es wird<br />
ein breit angelegter „Anwaltsmarkt“. Erstmals präsentieren<br />
wir Jobbörse und Rednerwettstreit.<br />
Im Oktober 2000 wird der DAV nach Berlin in sein<br />
DAV-Haus umziehen. Dies ist nicht nur ein Quantitäts-,<br />
sondern auch ein Qualitätssprung. Wir bekommen ein<br />
Haus, mit dem sich die DAV-Mitglieder identifizieren<br />
können. Die Adresse Littenstraße, die an den Anwaltskollegen<br />
und Strafverteidiger Hans Litten erinnert, der<br />
nicht als Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten,<br />
nicht als bekennender Kommunist, sondern im<br />
existentiellen Einsatz für Anwaltsrechte als Verteidiger,<br />
als Verweigerer, Mandanten zu verraten, in Dachau umkam.<br />
Die Tatsache, dass die Straßenbenennung auf die<br />
DDR zurückgeht und dass Hans Litten in der bundesrepublikanischen<br />
Wirklichkeit zunächst in Vergessenheit<br />
geriet, sind uns Pflicht genug, Versäumtes nachzuholen.<br />
Blicken wir in die Tiefe der kommenden Zeit. Der<br />
Rechtsberatungsmarkt ist ein Nachfragemarkt. Die<br />
Nachfrage nach Rechtsrat ist groß und wächst ständig.<br />
Unsere Gesellschaft ruft in dem Dickicht der Rechtsund<br />
Sozialnormen nach dem Piloten. Dies ist und bleibt<br />
der Anwalt. Das Dickicht wuchert. Der Ruf wird zum<br />
Schrei. Die Anwälte werden die Schwellenberatung besetzen,<br />
die bis heute vielfach von Freunden, Bekannten,<br />
Versicherungen, Banken etc. erfolgt. Diese wird möglicherweise<br />
in neuen Formen, z. B. auch durch in den<br />
Händen von Anwälten betriebenen telefonischen Hotlines,<br />
in Beratungshäusern, in Einkaufsstraßen und Einkaufszentren<br />
geschehen. Die Spitzenberatung wird aus<br />
den Unternehmen und der öffentlichen Hand herausfallen<br />
und in die Kompetenz anwaltlicher Büros gelangen.<br />
Outsourcing von Rechtsberatung wird zur Regel werden.<br />
Weiter werden kleine und auch große Sozitäten fusionieren,<br />
wenn dies der Markt verlangt. Daneben wird es<br />
die hochspezialisierten Einzelpraxen geben, die nur deshalb<br />
außerordentlich erfolgreich sein können, weil sie<br />
sich dem Sog der Fusion erwehren. Daneben wird auch<br />
der Generalist seinen Marktanteil haben. Er ist der Wegweiser<br />
zur Spezialisierung und zur Großkanzlei; er besorgt<br />
den Vertrauenstransfer zwischen Mandant und Einzelfallanwalt.<br />
Was stützt diesen Optimismus? Was haben wir zu<br />
bieten, was andere nicht bieten können? Wir haben die<br />
Rechtskompetenz. Darüber hinaus haben wir die Trias<br />
anwaltlicher Tugenden: Wir garantieren Vertraulichkeit,<br />
Ausschließlichkeit des Eintretens für den Mandanten<br />
und Unabhängigkeit gegenüber Mandanten. Die Antinomie<br />
der Ausschließlichkeit für den Mandanten und<br />
Unabhängigkeit von dem Mandanten ist ein es der wirkungsvollsten<br />
Geheimnisse des Anwaltsberufs. Die<br />
Verschwiegenheit bedarf stärkerer Hervorhebung. Wenn<br />
gestaltete Projekte in die Hand von Dritten als „Projektleiter“<br />
gegeben werden, die Anwälte lediglich zur<br />
Rechtsberatung engagieren, so rückt die Vertraulichkeit<br />
nahezu ins letzte Glied. Wird die Anwaltssozietät zum<br />
Projektleiter, so konzentriert sie auch die Vertraulichkeit<br />
in ihrer Hand. Informationen gehen in die nächsten<br />
Glieder nur, soweit es die Vertraulichkeit erlaubt. Die<br />
nicht aufhaltbare Vertraulichkeit ist ein Qualitätsmerkmal,<br />
das von anderen Berufen abhebt. Allerdings müssen<br />
wir mit diesem Pfund noch kräftig wuchern, und<br />
deshalb darf die Vertraulichkeit auch nicht auf dem Altar<br />
der Verbrechensbekämpfung z. B. durch die europäische<br />
Geldwäscherichtlinie geopfert werden.<br />
Anderswo ist das Selbstbewusstsein des einzigartigen<br />
Wertes anwaltlicher Leistungen kräftiger ausgebildet.<br />
Amerikanische und englische Anwältinnen und Anwälte<br />
drängen in alle nationalen Märkte. Innerhalb Europas<br />
gilt für die Europäer die Niederlassungsfreiheit.<br />
Das übrige „Dienstleistungsdurchdringungs-Recht“ entscheidet<br />
sich in den WTO-Verhandlungen. Wir – die<br />
Europäer und die deutschen Anwälte – haben allen Anlass,<br />
uns ebenfalls die Internationalität zu sichern. Deshalb<br />
ist GATS 2000 für uns wichtig, und zwar auch<br />
nach dem vorläufigen Scheitern in Seattle.<br />
Ich bin sicher: Die Anwaltschaft kann mit aller Kraft,<br />
Optimismus und Freude in das dritte Jahrtausend sehen.<br />
Mit kollegialen Grüßen<br />
Dr. Michael Streck<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze
AnwBl 1/2000 3<br />
Aufsätze l<br />
Das innere Berufsbild: Hürde<br />
oder Hilfe für das anwaltliche<br />
Selbstverständnis? *<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Rüdiger Zuck, Stuttgart<br />
1.<br />
Das Berufsbild des Rechtsanwalts wird vom Gesetzgeber<br />
bestimmt, im wesentlichen in den §§ 1–3, 43 ff. BRAO,<br />
aber nicht nur dort. Weil der Berufszugang und die Berufsausübung<br />
insoweit fremdbestimmt werden, könnte man die<br />
Summe dieser Normen das äußere Berufsbild nennen. 1 Dabei<br />
darf man jedoch nicht übersehen, daß dieses normativ<br />
bestimmte Berufsbild von Vorstellungen begleitet wird, die<br />
sich die Beteiligten über die Rolle des Rechtsanwalts machen.<br />
Diese Vorstellungen resultieren in Erwartungshaltungen,<br />
in Vorstellungen darüber, was man von einem guten<br />
Rechtsanwalt zu erwarten hat. Man könnte die Summe dieser<br />
Vorstellungen das innere Berufsbild nennen. Es handelt<br />
sich um ein schwer zu entwirrendes Gemisch von tradierten<br />
Vorgaben, eigenen Interessenlagen, und zusammenfassenden<br />
Schlüssen aus dem berufsrechtlichen Normengeflecht,<br />
der Berufsethik und der Berufspolitik. Das alles bleibt personen-<br />
und gesellschaftsgebunden, und damit, je größer der<br />
zeitliche oder sachliche Abstand des Betrachters ist, sehr<br />
subjektiv, bezieht man es auf die jeweilige Zeit. Es bleibt<br />
aber auch immer deren Spiegelbild und hat insoweit objektiven<br />
Charakter. Das alles ist zunächst Behauptung. Ich will<br />
sie belegen (2) und daraus einige Schlüsse ziehen (3). Ein<br />
Blick in die Zukunft darf nicht fehlen (4).<br />
2.<br />
a) Beginnen wir mit Rudolf Gneist’s 1867 erschienener<br />
einflußreicher Schrift „Freie Advocatur, Die erste Forderung<br />
aller Justizreformen in Preußen“.<br />
Noch heute läßt sich sagen: „Die Advocatur ist vielmehr,<br />
heute wie immer, eine freie Wissenschaft und Kunst, so alt<br />
wie das Richteramt, so edel wie die Tugend, so nothwendig<br />
wie die Gerechtigkeit. Man mag diese Phrase des alten<br />
Kanzlers D’Aguesseu nicht lieben: aber im Wesentlichen<br />
ist sie doch wahr. Man mag den Advocaten mit Mittermaier<br />
bezeichnen als Rathgeber der Parteien, als Rathgeber der<br />
Hülfsbedürftigen, als Vertreter der Bedrängten, als Controlle<br />
der Richter, als ewig wachenden Beschützer der Unterdrückten,<br />
als Dolmetscher der Urtheile, als Gesetzerklärer.<br />
Nie man wird man das Ziel der Advocatur hoch genug stekken,<br />
wenn man tief durchdrungen ist von der Hoheit des<br />
Rechts, als der höchsten Verwirklichung der Staatsidee“ 2 .<br />
Das klingt romantisch überhöht, ein wenig pathetisch<br />
gar, der Anwalt als edler Ritter, und Gneist ist fast ängstlich<br />
bemüht, ihn nicht als das erscheinen zu lassen, was er zu<br />
seiner Zeit wirklich war, nämlich eine traurige Gestalt.<br />
Sollte er vom Zwang der staatlichen Zulassung befreit werden,<br />
so muß man ihn aufs Podest heben, ihm Rang verleihen,<br />
würdig, als freier Mann anerkannt zu werden. Ganz<br />
klar, daß hier das innere Berufsbild von der Berufspolitik<br />
beherrscht wird, im übrigen dachte Gneist konservativ-kon-<br />
ventionell, und so ist denn auch die Berufung auf ihn, unter<br />
Verselbständigung des Schlagworts der „Freien Advokatur“,<br />
soweit es um Inhalte geht, eher ein Mißverständnis.<br />
b) Die RAO von 1878 gibt kein äußeres Berufsbild vor,<br />
sie kennt kein Pathos. Nüchtern heißt es in § 1: „Zur<br />
Rechtsanwaltschaft kann nur zugelassen werden, wer die<br />
Fähigkeit zum Richteramt erlangt hat“. Damit ist die (weitgehende)<br />
Befreiung des Rechtsanwalts vom Staat ausreichend<br />
gefeiert. Fast ein wenig versteckt, in § 28, findet sich<br />
dann aber doch noch eine Aussage über den Berufs des<br />
Rechtsanwalts: „Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, seine<br />
Berufsthätigkeit gewissenhaft auszuüben und durch sein<br />
Verhalten in Ausübung des Berufs, sowie außerhalb desselben<br />
sich der Achtung würdig zu zeigen, die sein Beruf erfordert“.<br />
Es ist auffällig, daß die RAO über die Rechtsstellung<br />
des Rechtsanwalts nichts sagt, obwohl es sich dabei<br />
um vieldiskutierte Fragen gehandelt hat. Die Gründe für<br />
die Enthaltsamkeit des Gesetzgebers liegen in der von ihm<br />
vorgefundenen unterschiedlichen Entwicklung der Anwaltschaft.<br />
Nicht nur der nüchterne Stil der Gesetzgebung der<br />
70er Jahre sondern auch das Interesse an einem schnellen<br />
Zustandekommen der RAO erklären die gesetzgeberische<br />
Enthaltsamkeit in den materiellen Grundsatzfragen. Wie<br />
man sich den Rechtsanwalt wirklich vorstellt, zeigt eine<br />
Entscheidung des EGH aus dem Jahr 18833 . Der Sachverhalt<br />
war so:<br />
„Der Angeschuldigte (Landwehroffizier) hat als Vertheidiger<br />
sich mit seinen Anträgen wiederholt zwischen Beschlüsse<br />
des Gerichts und deren Verkündung gedrängt. Der<br />
Vorsitzende hat die Sitzung geschlossen und den Befehl ertheilt,<br />
den Saal zu räumen. Der Angeklagte hat diesen Befehl<br />
als speziell gegen sich gerichtet aufgefaßt, dieserhalb<br />
den Vorsitzenden zum Duell herausgefordert und davon,<br />
daß er dies gethan, den Geschworenen Mittheilung gemacht.<br />
Es hat ein Verfahren vor dem militairischen Ehrengerichte<br />
geschwebt, welches, soviel ist ersichtlich, einen<br />
für den Angeschuldigten günstigen Ausgang gehabt hat.<br />
Nach Maßgabe von §§ 62 ff. Rechtsanwaltsordnung vom<br />
ersten Richter freigesprochen, ist er vom Ehrengerichtshof<br />
wegen Herausforderung des Vorsitzenden zum Duell mit einem<br />
Verweise bestraft.“<br />
Und dann heißt es: „Der Angeschuldigte mußte sich sagen,<br />
daß der Vorsitzende diese Herausforderung (ganz abgesehen<br />
von der Strafbarkeit des Zweikampfs) nicht annehmen<br />
konnte, ohne seine speziellen Berufspflichten in<br />
grober Weise zu verletzen.<br />
Wo es sich um Beleidigungen handelt, welche im sozialen<br />
Verkehr zugefügt sind, mag die Herausforderung unter<br />
Umständen eine gewisse Entschuldigung finden; dagegen<br />
gebietet die Amtspflicht, jeden Versuch, durch dieses Mittel<br />
gegen eine Amtshandlung (und wäre dabei vom Beamten<br />
unrichtig gehandelt) zu regiren, entschieden zurückzuweisen<br />
und zwar auch dann, wenn eine unzweifelhafte Beleidigung<br />
* Teil eines Vortrags, den ich auf den Tagung der Anwaltsgerichtsbarkeit in<br />
Nordrhein-Westfalen am 10.3.1999 in Köln unter dem Titel „Das Berufsbild<br />
des Rechtsanwalts als Maßstab der anwaltsgerichtlichen Rechtskontrolle“ gehalten<br />
habe. Ich habe frei gesprochen. Der Text gibt infolgedessen meinen Vortrag<br />
nur sinngemäß wieder, und auch nur den auf das innere Berufsbild bezogenen<br />
Ausschnitt. Der Text ist um einige Hinweisfußnoten ergänzt worden.<br />
1 Das war das zentrale Thema meines Vortrags, insbesondere die Darstellung der<br />
Entwicklung in der Rechtsprechung des BVerfG, wie sie nach der Zweitberufsentscheidung<br />
(BVerfG, JZ 1993, 446 mit Anm. von Zuck) eingesetzt hat. Darüber<br />
wird an anderer Stelle zu berichten sein.<br />
2 Gneist, S. 55 f.<br />
3 EGH I (1885), S. 140 ff.
4<br />
l<br />
vorliegt. Es darf nicht die Meinung aufkommen, es habe<br />
der Richter seine amtlichen Handlungen durch Annahme<br />
einer Herausforderung zu vertreten. Auch der Rechtsanwalt<br />
ist Organ der Rechtspflege und berufen, eine unabhängige<br />
Rechtspflege zu fördern, namentlich auch dadurch, daß er<br />
die Achtung von den Trägern der richterlichen Gewalt und<br />
das Vertrauen, daß ihm gegen Unbilden des einzelnen Richters<br />
die Vorgesetzten desselben ausreichend Genugthung<br />
gewähren werden, nicht aus dem Auge setzt. Der Angeschuldigte<br />
hat aber der Rechtspflege einen sehr schlechten<br />
Dienst erwiesen, indem er wegen eines mit durch sein Verhalten<br />
herbeifügten Vorgangs, in welchem er nicht einmal<br />
nothwendig eine Beleidigung finden mußte, den Weg der<br />
Herausforderung wählte, und dadurch die Herausforderung<br />
zum Duell, welche im gewöhnlichen sozialen Leben eine<br />
gewisse Entschuldigung finden mag, auf ein Gebiet übertrug,<br />
auf welchem dieselbe völlig unberechtigt ist“.<br />
Offiziersehre, Richterehre, Anwaltsehre, es sind die<br />
komplexen Verhaltensregeln einer ständischen Gesellschaft,<br />
in deren Rahmen das Bild des Rechtsanwalts gezwängt<br />
wird, wobei der heutige Betrachter das Ergebnis leicht zu<br />
billigen vermag, obwohl ihm die zugrundeliegenden Ehrencodices<br />
ganz fremd erscheinen.<br />
c) Wir springen in die Zeit nach dem 1.Weltkrieg. Was<br />
tangierte das Selbstverständnis? Damals tauchte das Problem<br />
der Spezialisierung auf. In einer Sitzung des Berliner<br />
Anwaltsvereins vom 13.3.1919 führte Görres aus: „Die politische<br />
Neuordnung erschließt weite Neugebiete des materiellen<br />
und prozessualen Rechts unter gleichzeitiger Schaffung<br />
zahlreicher neuer Gerichtshöfe. Vornehmlich von der<br />
Entwicklung erfaßt werden wird voraussichtlich das Arbeitsrecht,<br />
Enteignungs-, Verwaltungs- und Steuerrecht.<br />
Der Rechtsanwalt darf dieser Entwicklung nicht tatenlos<br />
zusehen, schon im Interesse von Staat und Gesellschaft<br />
nicht, da eine freie Anwaltschaft den besten Schutz gegen<br />
Verkürzung der Einzelrechte durch den allmächtigen Staatsgott<br />
gewährleistet“ 4 .<br />
Das Thema wurde dann 1920 auf dem XXII. Deutschen<br />
Anwaltstag in Leipzig von den Berichterstattern Kallir und<br />
Schenck zustimmend aufgegriffen5 .<br />
Die allgemeine Stimmung entsprach dem, blieb aber folgenlos,<br />
weil der EGH als „herrschende Auffassung zur<br />
Standesehre“ im Jahr 1923 formulierte: „Der Rechtsanwalt<br />
darf Titel und Amtsbezeichnungen aus seiner früheren Stellung<br />
als Staatsbeamter weiter führen, er darf sich jedoch<br />
nicht als Spezialist auf irgendeinem Rechtsgebiet bezeichnen.<br />
Es ist unzulässig, daß sich ein Rechtsanwalt als „Steueranwalt“<br />
bezeichnet“ 6 .<br />
Zu einem weiteren wichtigen Punkt wird die Gleichstellung<br />
der Frau. Art. 109 Abs. 2 WRV hatte zwar statuiert:<br />
„Männer und Frauen haben grundsätzlich die selben staatsbürgerlichen<br />
Rechte und Pflichten“. Was darunter zu verstehen<br />
war, war jedoch umstritten. Reichs-Justizminister<br />
Schiffer hatte mit Schreiben vom 5.10.1921 den DAV um<br />
seine Meinung zu einem Gleichstellungs-Gesetzesentwurf<br />
gebeten, insbesondere, ob es hinsichtlich der Eignung der<br />
Frau einen Unterscheid bei den einzelnen Gebieten der<br />
Rechtspflege gebe und ob etwa durch die Zulassung von<br />
Frauen eine unerwünschte Benachteiligung männlicher Anwärter<br />
erfolgen werde. Die 14. Vertreterversammlung vom<br />
28./29.1.1922 beschäftigte sich infolgedessen mit diesem<br />
Thema7 . Berichterstatter Bieber hielt die uneingeschränkte<br />
Zulassung von Frauen für ein Gebot der Gerechtigkeit. Der<br />
Mit-Berichterstatter Ebertsheim kam dagegen zum Ergeb-<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze<br />
nis, daß sich Frauen zum Justizberuf nicht eignen 8 : Ihre<br />
körperliche und psychologische Verfassung geht dahin, daß<br />
sie Kinder ernähren und aufziehen kann. Das rein Mütterliche<br />
ist das Charakteristische der Frau und das gibt ihr die<br />
überwiegenden Gefühlsmomente, was wir als schönen<br />
Schmuck bei ihr schätzen und anerkennen .... Das ist aber<br />
gerade das, was der Jurist nicht oder nicht in dem Maße haben<br />
darf. „Er spricht dann von der Verwirrtheit der Frau<br />
während der Menstruation und zitiert den Psychologen Möbius<br />
mit den Worten: „Die modernen Närrinnen sind<br />
schlechte Gebärerinnen und schlechte Mütter“ 9 . Beide Redner<br />
erhielten „lebhaften Beifall“. Schließlich wurde mit 45<br />
gegen 22 Stimmen im Sinne des Antrags Ebertsheim beschlossen:<br />
„Die Frau eignet sich nicht zur Rechtsanwaltschaft<br />
oder zum Richteramt. Ihre Zulassung würde daher<br />
zu einer Schädigung der Rechtspflege führen und ist aus<br />
diesem Grunde abzulehnen“. Die Anwaltschaft hat aber<br />
den Reichstag nicht aufgehalten. Nur kurze Zeit später, am<br />
11.7.1922 erging das Gesetz über die Zulassung der Frauen<br />
zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege (RGBl. I<br />
573). In seinem Art. 1 war bestimmt: „Die Fähigkeit zum<br />
Richteramte kann auch von Frauen erworben werden.<br />
Ebenso können Frauen zu Handelsrichtern, Rechtsanwälten,<br />
Gerichtsschreibern und Gerichtsvollziehern ernannt werden“.<br />
Die Vernunft hatte sich durchgesetzt.<br />
d) Wir gehen noch 10 Jahre weiter in Friedlaenders<br />
1930 erschienene 3. Auflage zu § 28 RAO. Friedlaender,<br />
dessen Buch auch heute noch zu den Meilensteinen in der<br />
Entwicklung des anwaltlichen Berufsrechts gehört, kommentiert<br />
dort: „Die Pflicht zur Wahrung der Standeswürde.<br />
1. Der Rechtsanwalt darf selbstverständlich innerhalb<br />
und außerhalb seines Berufes nichts tun, was jedes anständigen<br />
und gebildeten Menschen unwürdig wäre. Ergibt er<br />
sich dem Trunke, erregt durch unsittliche Handlungen Ärgernis,<br />
mißhandelt er seine Ehefrau, so verletzt er seine<br />
Menschenwürde und damit zugleich die Würde seines Standes.“<br />
10<br />
Es ist hübsch zu sehen, wie gering damals die political<br />
correctness entwickelt war. Wenn der Rechtsanwalt seine<br />
Ehefrau mißhandelt, verletzt er nicht etwa deren Menschenwürde,<br />
sondern seine eigene! Friedlaender fährt dann fort,<br />
und manche dieser Überlegungen gelten – dem Grunde<br />
nach – vielen auch heute noch als selbstverständlich (so daß<br />
man sagen kann: Gesetze kommen und gehen, Überzeugungen<br />
bleiben bestehen): „Aber der Rechtsanwalt hat auch<br />
eine spezielle, seinem Berufe eigentümliche Würde zu wahren.<br />
Er muß stets vor Augen haben, daß er kein Gewerbe<br />
ausübt, sondern einen vornehmen hohen Beruf im Dienste<br />
des Rechts. Er muß daher die Interessen, die ihm anvertraut<br />
sind, höher halten als seine eigenen wirtschaftlichen Interessen.<br />
Er darf seine Dienst nicht werbend anbieten wie ein<br />
Kaufmann, darf nicht auf Kosten seiner Aufgabe als Organ<br />
der Rechtspflege einen Konkurrenzkampf führen usw. Auch<br />
bei Verfolgung seiner materiellen Interessen, die ihm natürlich<br />
nicht verwehrt ist, muß er den vornehmen Charakter<br />
4 Görres, Alsberg u. Flechtheim, Das Spezialistentum in Rechtswissenschaft und<br />
Rechtsanwaltschaft, JW 1919, 279.<br />
5 JW 1921, 921 ff.<br />
6 JW 1921, 609 mit Anmerkung von Friedlaender.<br />
7 JZ 1922, 1241 (1247 ff.).<br />
8 JW 1922, 1241 (1250).<br />
9 Das alles ist gerade 70 Jahre her. Welche Teile unserer zeitgenössischen Auseinandersetzungen<br />
mögen vergleichbares „Niveau“ haben?<br />
10 Friedlaender, RAO, 3. Aufl. 1930, Rdnr. 10 zu § 28 RAO.
AnwBl 1/2000 5<br />
Aufsätze l<br />
seines Berufs wahren. Für ihn gilt nicht der Satz: was nicht<br />
verboten ist, ist erlaubt“... Die Standeswürde ist ein einheitlicher<br />
Begriff; eine Abstufung innerhalb des Standes – etwa<br />
nach Gesellschaftsklassen – oder je nachdem es sich hier<br />
um einen Amtsgerichtsanwalt, dort um einen Oberlandesgerichtsanwalt<br />
handelt – gibt es nicht. Auch für Reichsgerichtsanwälte<br />
gilt hier nichts anderes„. Auch hier sehen wir<br />
den Zeitgeist deutlich: Es wird noch in Klassenkategorien<br />
gedacht. Aber wir sehen auch, daß unser heutiges internes<br />
Berufsbild Wurzeln hat. Kein Gewerbe – Werbeverbot –<br />
kein kaufmännisch-konkurrierendes Verhalten – das sind<br />
Denkmuster die heute noch eine Rolle spielen, bei manchem<br />
auch in dieser rigorosen Form.<br />
d) Es blieb dem Dritten Reich vorbehalten, aus dem inneren<br />
Berufsbild ein äußeres zu machen. Der Vorspruch für<br />
RRAO aus dem Jahr 1936 lautete, vom Text her ganz unverfänglich:<br />
„Der Rechtsanwalt ist der berufene, unabhängige<br />
freie Vertreter und Berater in allen Rechtsangelegenheiten.<br />
Sein Beruf ist kein Gewerbe, sondern Dienst am Recht.“<br />
Der führende („Führer-“) Kommentator Noack „deutet“ das<br />
dem Wort „Rechtsanwalt“ zugrundeliegende innere Berufsbild<br />
so 11 :<br />
„Der richtige Freiheitsbegriff des Nationalsozialismus<br />
ist begrenzt.<br />
Freiheit im Wollen und Handeln wird bestimmt durch<br />
die übergeordneten Lebensrechte des Volkes. Freiheit des<br />
Handelns ist immer begrenzt durch die Kontrolle der einzelnen<br />
Handlung im Inneren des einzelnen Volksgenossen<br />
auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung:<br />
Gemeinwohl geht vor Eigennutz! ...<br />
Die Folgerungen, die sich aus dem so beschriebenen<br />
Freiheitsbegriff ergeben, sind eindeutig:<br />
„1. Erhöhte Treue- und Sorgfaltspflicht: Es gibt niemals<br />
die Ausrede, daß ein anderer für eine Handlung verantwortlich<br />
sei.<br />
2. Letzte Bindung ist die nationalsozialistische Weltanschauung.<br />
Wenn ich lediglich meinem Gewissen verantwortlich<br />
bin, so kann dieses Gewissen selbst wieder nur<br />
Ausfluß der mich beherrschenden Weltanschauung sein.<br />
Entweder ich erkenne die Weltanschauung an. Oder Weltanschauung<br />
und mein Gewissen stimmen nicht überein.<br />
Gilt nun für uns die nationalsozialistische Weltanschauung,<br />
so muß das Gewissen des einzelnen Deutschen dieser Anschauung<br />
entsprechen. Es kann also deutscher Rechtswahrer<br />
und damit auch freier Anwalt nur der sein, dem durch<br />
seine Blutzugehörigkeit zum deutsche Volke die nationalsozialistische<br />
Weltanschauung Gewissen geworden ist. Derjenige,<br />
bei dem das nicht der Fall ist, hat die Pflicht, aus der<br />
deutschen Volksgemeinschaft auszuscheiden, d. h., zum<br />
mindesten muß er sich des Tätigwerdens innerhalb der<br />
deutschen Volksgemeinschaft enthalten. Er kann mithin<br />
auch nicht freier deutscher Anwalt sein. Daraus folgt für<br />
unsere Ehrengerichtsbarkeit, daß derjenige, der durch<br />
Handlungen beweist, daß der Nationalsozialismus nicht<br />
sein Gewissen ist, aus der deutschen Anwaltschaft ausgeschlossen<br />
werden muß“.<br />
Hymnisch hat man die RRAO gefeiert, aber doch eigentlich<br />
nicht das Gesetz, sondern das innere Berufsbild gemeint:<br />
„Nun kann doch in jedem Fall aufgrund dieses großen<br />
Gesetzgebungswerkes die Zukunft der unabhängigen<br />
deutschen Anwaltschaft als gesichert betrachtet werden,<br />
zum Besten der Rechtspflege, der Rechtseinheit und der<br />
Rechtssicherheit im nationalsozialistischen Reich. Dafür<br />
spricht die deutsche Anwaltschaft dem Führer und Reichs-<br />
kanzler, dem Reichsjuristenführer und dem Reichsminister<br />
der Justiz ihren tiefgefühlten Dank aus und verspricht, sich<br />
des in sie gesetzten Vertrauens würdig zu erweisen zum<br />
Wohle der Volksgemeinschaft und zum Ruhm des ewigen<br />
deutschen Rechts“ 12 .<br />
Mit den Hymnen kamen Härten, kam die Häme und<br />
schließlich kam der Henker.<br />
Für Frauen gab es seit 1936 keine Zulassung mehr. Der<br />
Führer hatte entschieden, daß Frauen weder Richter noch<br />
Anwalt werden sollten.<br />
Die 5. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom<br />
27.9.1938 (RGBl. I S. 1403, 1439) setzte in ihrem § 1 den<br />
Schlußpunkt unter das nationalsozialistische Entjudungsprogramm,<br />
denn diese Vorschrift begann mit dem Satz: „Juden<br />
ist der Beruf des Rechtsanwalts verschlossen“ 13 .<br />
Nirgends wird der Zeitgeist 14 so deutlich wie in der<br />
Rechtsprechung der Ehrengerichte. So hat etwa der 3. Senat<br />
des Ehrengerichtshofs bei der Reichs-Rechtsanwaltskammer<br />
einen jüdischen Anwalt, dessen Ausschließung aus<br />
der Rechtsanwaltschaft wegen (im wesentlichen) loser Reden<br />
mit seiner Mandantin gebilligt. Der Senat führt in seiner<br />
Entscheidung vom 16.7.1934 aus:<br />
„Der Angeklagte hat nunmehr selbst eingeräumt, daß er<br />
seine Klientin, die Zeugin U., ohne daß sie ihm hierzu Anlaß<br />
gegeben hatte, geduzt hat, daß er sie beim Handgeben<br />
wiederholt in der Handfläche „gekrabbelt“ hat, daß er sie<br />
von ihrem Verlobten B. abzubringen versucht hat, für den<br />
sie zu schade sei, da sie bei ihrer Schönheit und Klugheit<br />
jederzeit andere Männer finden könne, die ihr hübsche<br />
Kleider und dergleichen kaufen würden ....<br />
Die Entfernung des Angeklagten aus dem Anwaltstande<br />
gebietet das Interesse der rechtsuchenden Volksgenossen,<br />
insbesondere deutscher Frauen, die einen Anspruch auf<br />
sachliche Beratung in einer Anwaltskanzlei haben, ohne<br />
Gefahr zu laufen, derartigen Angriffen ausgesetzt zu sein,<br />
wie sie der Angeklagte, von seiner Sinnenlust getrieben,<br />
unternommen hat.<br />
Bei der Gesamtbeurteilung darf überdies nicht außer<br />
acht blieben, daß der Angeklagte als Jude besonders darauf<br />
bedacht zu nehmen hatte, daß er weiterhin zum Dienst an<br />
der deutschen Rechtspflege zugelassen war, und daß ihm<br />
dies die besondere Verpflichtung auferlegte, sich nicht nur<br />
tadellos zu führen, sondern auch die in der Rassengesetzgebung<br />
zum Ausdruck gekommene Einstellung des deutschen<br />
Volkes zu respektieren. Wenn er statt dessen als verheirateter<br />
Jude sich gegenüber einem arischen Mädchen zu dem<br />
festgestellten schamlosen Benehmen hinreißen ließ und die<br />
auf Befriedigung seiner sinnlichen Gelüste abzielenden Versuche<br />
auch nach der nationalsozialistischen Revolution<br />
noch fortgesetzt hat, so zeigt dies, daß er entweder für diese<br />
besondere Verpflichtung gar kein Gefühl besitzt oder aber,<br />
daß nicht einmal die sich hieraus für ihn ergebenden beson-<br />
11 RRAO 1937, S. 26 f. Noack war Rechtsanwalt und Notar, Vizepräsident der<br />
RRAK und Präsident des II. Senats des EGH der RRAK. Nach dem zweiten<br />
Weltkrieg war er als Repetitor in Hamburg tätig, absolut professionell, bei den<br />
Studenten beliebt (und erfolgreich), und das belegt besser als alle Zitate, was<br />
ein inneres Berufsbild ist: man kann es ebensogut auf seine Fahne schreiben,<br />
wie man es verstecken kann. Das Recht ist wohlfeil und gilt immer weiter. Das<br />
zeigt in einer Art Momentaufnahme einen Ausschnitt aus dem Problemkreis<br />
„Kontinuität des Rechts“ bei Systemwechsel (siehe dazu H. L. A. Hart, Der<br />
Begriff des Rechts 1973, S. 91 ff.).<br />
12 Racke, Dienst am Recht, JW 1936, 3.<br />
13 Bei einer Gesamtzahl von 17.360 Anwälten zum 1.12.1938 betraf dies immer<br />
noch 1.735 jüdische Rechtsanwälte.<br />
14 Würtenberger, Zeitgeist und Recht, 1987.
6<br />
l<br />
deren Hemmungen in der Lage waren, sein erörtertes in<br />
höchstem Grade standeswidriges Verhalten zu verhindert15 .<br />
e) Wir gehen in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Eine<br />
Frau (B.) mit sechs Kindern, Flüchtlinge, wie so viele, hatte<br />
Unterschlupf in einer Baracke gefunden. Rechtsanwalt (A.),<br />
der B. bei gemeinsamer Kleingartennutzung kennengelernt<br />
hatte, begann mit ihr ein Verhältnis, das bald zum ersten<br />
Kind führte. Als das zweite Kind unterwegs war, scheute<br />
B. die Geburt eines zweiten unehelichen Kindes. Sie bat<br />
um Heirat. Eine solche formale Ehe wurde dann auch geschlossen.<br />
Als im Hause von A. Räume frei wurden, zog B.<br />
(gegen den heftigen Widerstand von A.) dort ein, ohne eine<br />
Hausgemeinschaft mit ihm zu begründen. Die Liebe hörte<br />
aber dennoch nicht auf, und so kam ein drittes Kind (insgesamt<br />
dann das neunte) auf die Welt. Es gab Streit über den<br />
Unterhalt und der Fall landete bei der Ehrengerichtsbarkeit.<br />
Die I. Instanz schloß A. aus der Rechtsanwaltschaft aus,<br />
letztlich, weil er B. geheiratet habe, ohne die Absicht zu haben,<br />
eine Ehe im Sinne der herrschenden Sittenordnung zu<br />
begründen. Der EGH begnügte sich mit einem Verweis und<br />
einer Geldstrafe von 500 DM und sagte:<br />
„Der Senat ist der Auffassung, daß nicht allemal und bedingungslos<br />
ein Abweichen von der Norm in den Beziehungen<br />
zwischen Mann und Frau einen Verstoß gegen das Sittengesetz<br />
und gegen die sich aus der Berufsordnung und der<br />
Standesauffassung ergebenden Pflichten darstellt. Die Auffassungen<br />
der menschlichen Gesellschaft über die Beziehungen<br />
zwischen Mann und Frau haben sich in den letzten Jahrzehnten<br />
z. T. gewandelt. Zeitumstände und insbesondere<br />
Verhältnisse sehr schwerer Not haben zwangsläufig Änderungen<br />
herbeiführen müssen. Es sind Fälle denkbar, in denen<br />
verantwortungsbewußte, lautere Menschen sich genötigt sehen,<br />
von den Geboten der Norm abzuweichen. Auch im vorliegenden<br />
Fall hat der Senat berücksichtigen zu müssen geglaubt,<br />
daß A. und die Zeugin B., die starke gegenseitige<br />
Zuneigung hatten, in eine sehr schwierige Lage gestellt waren.<br />
Der Senat meint deshalb, nicht schon aus der Tatsache,<br />
daß diese Menschen von den sonst üblichen Regeln des Verlöbnisses<br />
und der Heirat abgewichen sind, einen Vorwurf erheben<br />
zu können, zumal Frau B. zunächst selbst nicht unbedingt<br />
eine Eheschließung wünschte. Die Entwicklung des<br />
Geschehens, die schließlich zu der Eheschließung führte, ist<br />
durch Frau B. stark beeinflußt worden. Demgegenüber hat<br />
A. nicht den Mut und die Entschlußfähigkeit aufgebracht,<br />
die von jedem Menschen gefordert werden muß, wenn er<br />
einmal in eine schwierige Situation gerät; insbesondere von<br />
einem Menschen in dem Alter und in der Stellung des A.<br />
Nicht schon die Tatsache, daß er Beziehungen zu Frau B.<br />
aufgenommen hat, macht ihm der Senat zum Vorwurf, auch<br />
nicht, daß er nicht alsbald die Ehe mit ihr geschlossen hat,<br />
wohl aber, daß er, als Frau B. eine Eheschließung wünschte<br />
und er ihrem Wunsch entsprach, auf halbem Wege stehen<br />
geblieben ist; daß er also nicht den Mut bewiesen hat, zu seinem<br />
Entschluß nach innen und außen zu stehen, daß er vielmehr<br />
eine unvollkommene und unbefriedigende Lösung angestrebt<br />
hat; daß er, nachdem die Ehe geschlossen war, seine<br />
nunmehrige Ehefrau mit den Kindern in der Baracke in einer<br />
unwürdigen Unterkunft hat sitzen lassen und der Umwelt<br />
das Schauspiel gegeben hat, daß seine Frau um die Wohnung<br />
kämpfen und dann in der Wohnung sich von ihm getrennt<br />
halten mußte.<br />
Damit hat er nach außen ein häßliches Bild gegeben und<br />
Eindrücke erweckt, die nicht nur seinem persönlichen Ansehen,<br />
sondern ohne Zweifel auch dem Ansehen der Gesamtheit<br />
seines Standes geschadet haben. Auch in einem kleinen<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze<br />
Ort wird bei vielen Verständnis dafür bestehen, daß unter<br />
den besonderen Verhältnissen unserer Zeit auch Beziehungen<br />
zwischen Menschen verschiedenen Geschlechts ehrbar<br />
sein können, wenn keine Ehe besteht. Wenn aber eine Ehe<br />
besteht, dann darf es nicht nach außen hin in der unschönen<br />
Form geschehen, wie sie A. gewählt hat.<br />
A. bewies also erhebliche charakterliche Schwäche, indem<br />
er sich, ein älterer und durch Erfahrungen gereifter<br />
Mann, in den Schwierigkeiten, die ihm das Schicksal bereit<br />
hat, planlos und ohne Widerstand hat treiben lassen. Er,<br />
dem als Anwalt die Bedeutung der Ehe in sittlicher und<br />
rechtlicher Beziehung voll und ganz bewußt sein mußte,<br />
hat dem Wunsch seiner Ehefrau, die Ehe wieder zur Auflösung<br />
zu bringen, einem Wunsch, der seinen Grund in seinem<br />
eigenen Verhalten hatte, widerspruchslos nachgegeben,<br />
ihn vermutlich sogar begrüßt, ohne zu bedenken, daß sich<br />
die Frau ihm geopfert und zwei Kinder zur Welt gebracht<br />
hatte, die als seine ehelichen Kinder galten. Er hat niemals<br />
durch eigenes Handeln und durch eigene Entschlüsse in die<br />
Entwicklung der Dinge eingegriffen und hat auch nicht den<br />
Mut gefunden, sich die Beziehungen zu seiner Frau in allen<br />
Folgerungen zu überlegen und in sauberer, anständiger Weise<br />
zu versuchen, die schwierige Lage, in die er sich, die<br />
Frau und die Kinder gebracht hatte, zu überwinden. Der Senat<br />
nimmt bei ihm nicht Verwerflichkeit der Gesinnung an,<br />
stellt aber einen erheblichen Mangel an Selbstdisziplin,<br />
Entschlußfähigkeit und den Willen fest, seine charakterlichen<br />
Schwächen, deren er sich gewiß bewußt war, zu bekämpfen<br />
und zu überwinden, und damit Zuständen vorzubeugen,<br />
die geeignet waren, ihn in ein schlechtes Licht zu<br />
setzen und in Verbindung damit das Ansehen seines Standes<br />
zu beeinträchtigen“ 16 .<br />
Wir sind immerhin schon im Jahr 1954. Auch hier ist es<br />
nicht das Ergebnis (heute wäre das wohl kein Fall für die<br />
Anwaltsgerichte) und auch nicht die Art der Entscheidungsfindung<br />
(der Senat hat es sich ja nicht leicht gemacht),<br />
die erwähnenswert sind. Was uns heute stört ist das<br />
moralische Gesäusel, man ahnt im Hintergrund die Renaissance<br />
des Naturrechts und die Kuppeleientscheidung des<br />
BGH mit dem Bild der abendländischen Einehe.<br />
f) Die BRAO von 1959 kodifiziert endgültig die zentralen<br />
Elemente des äußeren Berufsbilds in den §§ 1–3. Die<br />
Amtliche Begründung sagt, warum:<br />
„Diese einleitenden Vorschriften enthalten Grundsätze,<br />
die für das überkommene Berufsbild des Rechtsanwalts wesentlich<br />
sind. Sie gehen die Gesamtheit der Rechtsanwälte<br />
an.<br />
Der ethische Gehalt dieser Grundsätze bestimmt das<br />
Wesen und den Umfang der Pflichten des Rechtsanwalts.<br />
Es gibt auch die innere Begründung dafür, daß der Beruf<br />
des Anwalts im Interesse eines gesunden Rechtslebens frei<br />
sein muß.<br />
Die Bedeutung der Grundsätze rechtfertigt es, sie in das<br />
Gesetz ausdrücklich aufzunehmen. Der Entwurf enthält damit<br />
gegenüber der Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878<br />
eine Ergänzung, die für die Eigenart des Berufes bezeichnend<br />
ist. Es mochte im Jahre 1878 angehen, die Erkennt-<br />
15 Entscheidungen des EGH für Rechtsanwälte, Band 28 (1935) Mr. 58. Diese<br />
Entscheidung ist nur ein Beispiel. Solche Entscheidungen hat es in Hülle und<br />
Fülle gegeben, bis hin zu der mit Verweis und Geldstrafe geahnten Tatsache,<br />
daß ein Anwalt seinen jüdigen Mandanten in einem Brief mit „sehr geehrter<br />
Herr Doktor“ angeredet und mit „hochachtungsvoll“ unterschrieben hatte, Entscheidungen<br />
des EGH für Rechtsanwälte, Band 32 (1939).<br />
16 EGE I, 123 ff.
AnwBl 1/2000 7<br />
Aufsätze l<br />
nisse des Wesensgehalts des Anwaltsberufes dem Schrifttum<br />
zu überlassen. Nachdem aber das Wesen der Anwaltschaft<br />
später durch den Vorspruch zur Reichs-Rechtsanwaltsordnung<br />
vom 21. Februar 1936 als „Dienst am Recht“ im Sinne<br />
der damaligen Auffassung gekennzeichnet worden ist, soll<br />
die Rückkehr zur inneren Freiheit des Berufes in dem Gesetz<br />
selbst zum Ausdruck gebracht werden“.<br />
Daß die BRAO zentrale Aussagen zum Berufsbild des<br />
Rechtsanwalts enthält, ist also als Reaktion auf das 3. Reich<br />
zu verstehen, genau genommen auf den Nachsatz im Vorspruch<br />
der RRAO („Dienst am Recht“), damit aber, weil<br />
„Dienst am Recht“ zwar altmodisch formuliert, in der Sache<br />
aber nicht anstößig ist (und vielleicht sogar besser als<br />
die Auffassung vom Rechtsanwalt als Interessenwahrer), in<br />
Wahrheit eine Reaktion auf das innere Berufsbild, das im<br />
3. Reich hinter dem „Dienst am Recht“ gestanden hatte.<br />
g) Auch heute gibt es ein inneres Berufsbild. Ich zeige<br />
ihnen meines. Es spricht im Kern, wie alle inneren Berufsbilder,<br />
die Selbstverständlichkeit und das Selbstverständnis<br />
der Zeit aus. Insoweit ist es konsensfähig, sonst wäre es<br />
nicht wirklich ein inneres Berufsbild. In den Rändern ist,<br />
ebenso selbstverständlich, streitanfällig.<br />
Der Anwalt ist Garant des Rechtsstaats, unverzichtbare<br />
personelle Voraussetzungen für seine Verwirklichung. Das<br />
führt zur Unabhängigkeit gegenüber dem Staat, denn die<br />
Aufgaben am Rechtsmarkt können nur staatsfrei wahrgenommen<br />
werden. Die Unabhängigkeit des Anwalts ist dabei,<br />
wenn auch nicht inhaltlich, in ihrer kategorialen Bedeutung<br />
mit der des Richters vergleichbar. Man kann die<br />
Aufgabe sogar als eine solche der Daseinsvorsorge verstehen.<br />
In einer Gesellschaftsordnung, in der alle menschlichen<br />
Handlungen potentiell rechtlich gemessen werden<br />
können, ist das Funktionieren dieser Ordnung nur sichergestellt,<br />
wenn Rechtsberatung und Rechtsvertretung sichergestellt<br />
sind. Der Auslösemechanismus für eine so verstandene<br />
Rechtsordnung liegt dabei in erster Linie in der Hand<br />
des Rechtsanwalts.<br />
Damit sind Grundpflichten verbunden: zwar ist der<br />
Rechtsanwalt unabhängig. Er ist gleichwohl Bestandteil dieses<br />
Systems. Er muß deshalb eine formal systemkonforme<br />
Rolle spielen, d. h. seinen Beitrag zur Rechtsordnung leisten.<br />
Dies setzt autonomer Rechtsgestaltung – vor allem im<br />
Rechtsverfahren – gewisse Grenzen. An sie ist z. B. bei<br />
einem Verständnis der Strafverteidigung als soziale Gegenmacht<br />
zu erinnern oder bei den Strategien der Konfliktverteidigung.<br />
Die Einhaltung dieser Grundpflichten bedarf<br />
keiner generellen gesetzlichen Vorgaben. Sie darf auch nicht,<br />
um das freie Spiel der unabhängigen Verfahrensbeteiligten<br />
nicht in Gefahr zu bringen, in die Hand des Strafrichters gelegt<br />
werden. Die Überschreitung der Grenzen im Einzelfall<br />
ist vielmehr der Kontrolle der Anwaltsgerichtsbarkeit zu unterwerfen;<br />
diese Kontrolle ist allerdings zum Schutz der Garantenstellung<br />
des Rechtsanwalts auch geboten.<br />
Grundpflichten betreffen aber nicht nur die Rolle des<br />
Rechtsanwalts im Rahmen der objektiven Belange der<br />
Rechtspflege. Sie betreffen auch seine Garantenstellung<br />
selbst, und damit seine primären Handlungspflichten. Unabhängigkeit<br />
kann nur garantiert werden, wenn der Rechtsanwalt<br />
seine Pflichten als berufener Berater und Vertreter auch<br />
wahrnehmen kann. Das setzt insbesondere Leistungsstandards,<br />
Qualitätskontrolle und Fortbildungspflichten voraus.<br />
Auf der anderen Seite steht das Verhältnis des Rechtsanwalts<br />
zum Auftraggeber. Auch ihm gegenüber besteht Unabhängigkeit.<br />
Es ist das vor allem die innere Unabhängig-<br />
keit des Rechtsanwalts, die ihn in den Stand versetzt, trotz<br />
dauerhafter Bindungen, Weisungen im Einzelfall und in<br />
wirtschaftlicher Abhängigkeit eigenverantwortlich zu beraten<br />
und zu vertreten. Auch hier besteht aber eine Pflichtenkonstellation.<br />
Sie ist für die Beschreibung des anwaltlichen<br />
Berufsbilds von ausschlaggebender Bedeutung. Es ist dies<br />
das für die Anwalt-Mandant-Beziehung vorausgesetzte Vertrauensverhältnis.<br />
Der Anwalt setzt auf das Vertrauen des<br />
Mandanten, und nimmt dieses, als im Verhältnis zwischen<br />
Laien und Experten selbstverständlich, entgegen. Es wird<br />
aber gerne übersehen, daß der Rechtsanwalt dieses Vertrauen<br />
und die daraus entstehenden Pflichten, z. B. gewissenhaft<br />
zu beraten und über Mandanteninformationen zu<br />
schweigen, auch schuldet. Er muß also die Voraussetzungen<br />
für ein solches Vertrauensverhältnis schaffen, aufrechterhalten<br />
und ständig optimieren. In dem darin geknüpften menschlichen<br />
Band findet sich das wichtigste Argument, um<br />
den Anwalt nicht nur als Teil eines mechanisch verstandenen<br />
Rechtspflegesystems zu verobjektivieren oder ihn als<br />
bloßen Marktteilnehmer zu denaturieren, und damit zugleich<br />
auch das Recht, das so als bloße Ware mißverstanden<br />
würde.<br />
Ein dritter Eckpunkt ist einzuführen, ein Punkt, der so<br />
bisher noch nicht hervorgehoben worden ist, nämlich die<br />
Betrachtungsweise des Rechtsanwalts als Angehörigen<br />
eines „offenen Berufs“. Damit soll die berufsspezifische<br />
Rolle des Rechtsanwalts als Marktteilnehmer beschrieben<br />
werden. „Offenheit“ belegt, daß die Leistung des Rechtsanwalts<br />
am Markt, und damit die ihm obliegenden Pflichten<br />
flexibel und transparent sein müssen. „Transparent“ will<br />
sagen: über den Inhalt der anwaltlichen Dienstleistung, vor<br />
allem aber auch über die Kosten muß am Markt verläßliche<br />
Klarheit bestehen, auch im Vergleich zu anderen Marktteilnehmern.<br />
Das setzt einen großen Katalog von Informationsrechten<br />
und -pflichten voraus, von denen die Informationswerbung<br />
nur einen Ausschnitt darstellt. „Flexibel“ heißt:<br />
der Anwalt muß hinsichtlich der Organisation seiner<br />
Dienstleistungen in die Lage versetzt werden, Marktregeln<br />
einer modernen Dienstleistungsgesellschaft folgen zu können,<br />
beschränkt lediglich dadurch, daß der Gegenstand seiner<br />
Dienstleistung das Recht ist, und daß der Rechtsanwalt<br />
Sachverwalter des Rechts ist.<br />
Die so gegebenen drei Bezugspunkte „Garant des<br />
Rechtsstaats/Vertrauensverhältnis zum Mandanten/Offenheit<br />
des Berufs“ bedürfen, und das ist der vierte Eckpunkt, einer<br />
verknüpfenden Antriebskraft, einer geistigen Legitimation.<br />
Sie liegt in der Tat im Vorrang der Freiheit, in der freien<br />
und unreglementierten Selbstbestimmung des Einzelnen als<br />
der kardinalen, den Grund aller anwaltlichen Tätigkeit bildenden<br />
Bedingung. Dieser Grundsatz ist essentiell für das<br />
Verständnis des anwaltlichen Berufsbildes. Es muß jedoch<br />
hervorgehoben werden: freiheitliche und unreglementierte<br />
Selbstbestimmung ist zunächst eine formale Kennzeichnung,<br />
als Abwesenheit von Fremdbestimmung, Abwesenheit<br />
von Zwang. Es wären aber, dieses Merkmal für sich<br />
genommen, beliebige Inhalte denkbar, um frei und unreglementiert<br />
agieren zu können. Nicht nur, weil dieser Aspekt<br />
von der Rechtsprechung lediglich als Grundsatz gekennzeichnet<br />
worden ist, sondern auch, weil Freiheit auch im<br />
Rahmen einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung<br />
nicht als absolut, d. h. unter keinem Gesichtspunkt fremdbestimmt<br />
verstanden werden kann, bleibt diese Freiheit nur<br />
modal, nicht kategorial. Es sind die Berufsangehörigen eines<br />
Berufsstandes selbst, die das zeitgenössische Verständnis<br />
von Berufsfreiheit bestimmen. Das geschieht primär in
8<br />
l<br />
der gesetzten Berufsordnung, sonst im Fundus allgemeiner<br />
Anschauungen. Freiheit wird deshalb demokratisch vermittelt,<br />
sie ist, wie jedes Recht, einem politischen Umfeld, wie<br />
es sich in der konkreten Gesellschaftsordnung darstellt, zugeordnet.<br />
Nur deshalb kann sich der Rechtsanwalt, wie es<br />
in § 43 Satz 2 BRAO formuliert ist, seiner besonderen Stellung<br />
als Rechtsanwalt „würdig“ erweisen. Nur deshalb kann<br />
§ 113 Abs. 2 noch vom „Ansehen der Rechtsanwaltschaft“<br />
sprechen. Hier ist eine Zwischenbemerkung zu machen:<br />
manch einer hat inzwischen die Treue zum Mandanten, die<br />
Ehre und die Würde, und das Ansehen des Standes als Relikte<br />
eines überholten Standesdenkens verabschiedet. Ich<br />
selbst tue mich nicht leicht damit, anerkannte moralische<br />
Grundsätze wie Treue, Ehre und Würde des Menschen, auf<br />
denen das Zusammenleben in dieser Gesellschaft beruht, in<br />
die Rumpelkammer der Geschichte zu tun, auch wenn zuzugeben<br />
ist, daß die Wortwahl gelegentlich antiquiert sein<br />
mag. Auch ist zu akzeptieren, daß das Ansehen eines Standes,<br />
wenn man den Stand als Kaste und das Ansehen als<br />
Privileg mißdeutet, keine hermeneutische Kraft mehr hat.<br />
Die um solche Begriffe geführte Auseinandersetzung ist jedoch<br />
lediglich Bestandteil eines semantischen Krieges. Sie<br />
ändert nichts daran, daß es keinen atomistischen Personenbegriff<br />
gibt und keine voraussetzungslose Gesellschaft, wie<br />
vor allem Rawls anzunehmen scheint. Geht man davon aus,<br />
daß menschliches Verhalten in einer Gesellschaft jeweils<br />
bestimmten Sphären zugeordnet werden kann, dann kommt<br />
man nicht umhin, auch die anwaltliche Berufstätigkeit mit<br />
allen ihren Rechtsregeln einer bestimmten Gesellschaftsordnung<br />
generell, und den besonderen Vorgaben der Berufsangehörigen<br />
dieses Berufsstandes in concreto zuzuordnen. Insoweit<br />
bleibt es legitim, von Ehre und Würde zu sprechen,<br />
weil damit mehrheitlich anerkannte Werte angesprochen<br />
werden, und auch vom Ansehen eines Standes, weil das die<br />
selbst bestimmte Ansehung dieses Standes durch seine Berufsangehörigen<br />
zum Ausdruck bringt. Unreglementierte<br />
Selbstbestimmung des Einzelnen ist sonach Selbstbestimmung<br />
durch die Berufsangehörigen in dem dafür vorgesehenen<br />
Verfahren, also eine demokratisch legitimierte Freiheit.<br />
Sie ist aber noch in einem ganz anderen Sinne vor isolatorischem<br />
und auch reduktionistischem Selbstverständnis zu<br />
bewahren. Freiheit ist ja den drei anderen Eckpunkten zugeordnet,<br />
ist also eine Freiheit mit vorgegebenen Zielen. Die<br />
freie und unreglementierte Selbstbestimmung erweist sich<br />
so als ein Faktor, um die Grund-Rechte und Pflichten des<br />
Rechtsanwalts mit eigenverantwortetem Freiheitsverständnis<br />
lebendig zu erhalten. Am Zugeordnetsein dieser Freiheit ändert<br />
sich aber dadurch nichts.<br />
Damit wird auch die Funktion des Freiheitsverständnisses<br />
deutlich. Die vier Eckpunkte kann man sich als Punkte<br />
eines Vierecks vorstellen. Ausgehend von einer in den 70er<br />
Jahren geführten Diskussion um die Wirtschaftsverfassung<br />
der Bundesrepublik läßt sich von einem magischen Viereck<br />
des anwaltlichen Berufsrechts sprechen, um das anwaltliche<br />
Berufsbild näher zu kennzeichnen. Den Freiheitspunkt muß<br />
man sich als eine Art Generantor vorstellen, der die vier<br />
Eckpunkte dieses Bildes in immer neue Beziehungen zueinander<br />
setzt, vom Quadrat bis zu jeder anderen Form eines<br />
Vierecks und damit im Bereich eines als solchen unverändert<br />
gegebenen Ordnungsrahmens ständig neue Verwirklichungen<br />
von Freiheit hervorbringt.<br />
3.<br />
Das innere Berufsbild ist ein Produkt des Zeitgeistes. In<br />
ihm amalgamisieren sich äußere und innere Einflüsse, für<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze<br />
die Masse der Berufsangehörigen auf einheitliche Art und<br />
Weise. Die Repräsentanten eines Berufstands kommen in die<br />
damit verbundenen Positionen und Funktionen in der Regel<br />
deshalb, weil und soweit sie mit dem Zeitgeist im Einklang<br />
stehen. Was sie zum Ausdruck bringen, ist das innere Berufsbild.<br />
Damit ist eine Vielzahl von Schichtungen, Erwartungshaltungen<br />
und Wechselwirkungen verbunden, die ich hier<br />
nicht darstellen kann. Auf einige wichtige Konsequenzen einer<br />
Entwicklung des inneren Berufsbilds will ich aber hinweisen:<br />
a) Natürlich ist das innere Berufsbild historisch-kontingent.<br />
Es kann nicht mehr einbeziehen als seine Zeit. Es ist<br />
deshalb auf der einen Seite außerordentlich wohlfeil, sich<br />
über Terminologie und die Inhalte der jeweiligen Sachentscheidungen<br />
lustig zu machen, sie für gedanklich töricht zu<br />
halten und vor allem, sie moralisch zu verurteilen. Die<br />
Nachfolgegenerationen haben leicht reden, denn daß sie es<br />
anders gemacht hätten, können sie nur behaupten, nicht beweisen.<br />
Nimmt man das innere Berufsbild ernst, spricht<br />
kaum etwas dafür, das richtige Bewußtsein sei schon damals<br />
möglich gewesen. Dennoch, und das ist das Paradoxe,<br />
bleibt es unverzichtbar, sich von der Vergangenheit, dort,<br />
wo man sie heute für fehlsam hält, abzusetzen, sie zu kritisieren,<br />
und neue Maßstäbe zu setzen. Nur so kann man ja<br />
seiner Zeit gerecht werden.<br />
Das gilt es nach zwei Richtungen zu explizieren. Zeitgenössisches<br />
Bewußtsein als Zeitgeistbewußtsein ist falsches<br />
Bewußtsein, pure Ideologie. Es reflektiert die inneren und<br />
äußeren Umstände in einer Melange, die eine eigene, künstliche<br />
Welt schafft. Davon können sich auch die Genies nicht<br />
trennen: Generationen von pietätvollen Apologeten haben<br />
versucht, die Rechtfertigung der Sklaverei und des minderen<br />
Ranges der Frau durch Aristoteles schönzureden. Nach unserem<br />
Zeitgeist kann daraus aber nichts werden.<br />
Und dann: Das innere Berufsbild muß man wirklich<br />
ernst nehmen. Der Gedanke, irgend jemand, etwa der unabhängige<br />
Richter, entscheide in einer Black-Box-Situation ist<br />
längst verworfen. Wir alle sind mit unseren Bildern beladen,<br />
sie haften uns an.<br />
b) Das innere Berufsbild ist aber von seinen Umständen<br />
her gerade kein Normatives. Sonst gäbe es ja keine Geschichte<br />
des inneren Berufsbilds. Wer sich klar gemacht<br />
hat, daß sein Handeln insoweit bedingt ist, gewinnt genau<br />
durch diese Erkenntnis die erforderliche Freiheit, die wiederum<br />
zum Selbstverständnis unserer Zeit gehört. Wir können<br />
uns Gewißheit darüber verschaffen, was wir für die<br />
Grundlagen unseres Handelns halten. Die Mittel der Vernunft<br />
erlauben es, diese Unterlagen zu prüfen, zu kritisieren<br />
und zu verändern. Das innere Berufsbild hat Beharrungsvermögen,<br />
es ist aber auch veränderbar. Es ist das alte Thema<br />
von Tradition und Freiheit, das natürlich auch das Verständnis<br />
und das Selbstverständnis der Anwaltschaft bestimmt,<br />
und es gilt auch hier, die richtige Mischung zu finden:<br />
Folgten wir nur der Tradition, lebten wir immer noch in<br />
Höhlen, folgten wir nur dem Fortschritt, hätten wir die<br />
Höhlen bald wieder.<br />
c) Die Bestimmung des inneren Berufsbilds eröffnet uns<br />
folgenreiche Chancen. Die Chancen liegen im Bereich der<br />
personell bestimmten subjektiven Elemente des inneren Berufsbilds.<br />
Wir schon erwähnt geht es nicht um die Hierarchie<br />
von oben (hier: der Verfassungsnorm des Art. 12<br />
Abs. 1 GG) nach unten, in die BORA hinein. Es gibt auch<br />
eine selbstbestimmende Kraft von unten nach oben, mit der<br />
die Anwälte, jenseits aller Interessenpolitik, ihr Selbstver-
AnwBl 1/2000 9<br />
Aufsätze l<br />
ständnis darüber entwickeln, was ein guter Rechtsanwalt ist<br />
und was er tut. Und deshalb gibt es auch Folgen. Ein neu<br />
formuliertes inneres Berufsbild wirkt auch nach außen. Es<br />
verändert das äußere Berufsbild und damit zugleich die<br />
Rechtsordnung. Das Verhältnis von Freiheit und Ordnung<br />
wird so jeweils neu bestimmt.<br />
4.<br />
Das ist keine einfache Aufgabe, wenn man die fremdbestimmten<br />
Elemente des inneren Berufsbilds einbezieht.<br />
Zwar wird die Globalisierung immer weiter voranschreiten.<br />
Daneben laufen aber unverändert nicht autoritär entscheidbare<br />
gesellschaftliche Differenzierungen. Hier ist, der Einfachheit<br />
halber, vom inneren Berufsbild gesprochen worden,<br />
so als ob sicher wäre, daß es nur ein inneres<br />
Berufsbild gibt. So wie beim äußeren Berufsbild auch, das<br />
immer weitergehende Ausdifferenzierungen als gemeinwohlverträglich<br />
zuläßt, wirken auch Fliehkräfte auf das innere<br />
Berufsbild ein. Die deutsche Anwaltschaft steht vor<br />
einer Dreiteilung: Wir haben die Basis, die die Rechtsfälle<br />
des täglichen Lebens betreut. Hier gibt es heftigen Konkurrenzkampf<br />
vor Ort, weil die Zahl der Anwälte wächst, aber<br />
nicht die Zahl der Mandate. Hier wird besitzstandswahrend<br />
gedacht. Die gute alte Standesehre ist das Instrument, das<br />
man im Konkurrenzkampf einsetzt, und hier wirkt die Berufsaufsicht<br />
der Kammern, umfangreich wie eh und je,<br />
auch Kleinigkeiten nachgehend. Auf der anderen Seite der<br />
Skala finden wir die Mega-Firms „global und integriert“<br />
wie sie sich (in immer neuen Zusammenschlüssen der internationalen<br />
Konkurrenz ein wenig hinterherhinkend) gern<br />
bezeichnen, und diese Gruppe der deutschen Anwaltschaft<br />
hat sich inzwischen im Innern von BRAO, BRAGO und<br />
BORA längst verabschiedet. Der hausinterne Controller,<br />
die für die Aufstiegschancen maßgeblichen billable hours<br />
und der über Ausschreibungen funktionierende Wettbewerb<br />
geben vor, wie gehandelt wird. Die Mega-Firms sind kaufmännische<br />
Unternehmen, die nach ebensolchen Grundsätzen<br />
geführt werden, hoffentlich, so muß man hinzufügen,<br />
denn sonst überlebten sie nicht. Solange diese Kanzleien<br />
nicht (wie in den USA zum Teil wegen ihrer schlechten<br />
Auslastung) in das Basisgeschäft der Scheidungen, Mietsachen<br />
und Verkehrsunfälle einsteigen, stört das niemand.<br />
Auf die große Zahl betrachtet ist der deutsche Anwalt weder<br />
international, noch macht er „merger & aquisition“. Es<br />
fällt uns deshalb leicht zu sagen, daß wir auf unsere große<br />
Kanzleien als Aushängeschilder der deutschen Anwaltschaft<br />
stolz sind. Und natürlich wollen wir, daß unsere Anwälte<br />
im internationalen Wettbewerb bestehen können. Das<br />
hat dazu geführt, daß seit Jahren irreführende Briefbögen<br />
und unzulässige Praxisbroschüren umlaufen, das Gebührenrecht<br />
mit Füßen getreten wird (Zeithonorare in Prozeßsachen/Erfolgshonorare<br />
z. B.) und daß das Verbot der Interessenkollision<br />
nicht mehr ernst genommen wird. Ich räume<br />
ein, daß alle diese Verstöße nötig sind, um den Vormarsch<br />
der englischen und amerikanischen Kanzleien in Deutschland<br />
zu verlangsamen (wenn überhaupt). Ich räume auch<br />
ein, daß die Kammern frustriert sind, denn, allen BRAO-<br />
Vorlagepflichten zum Trotz mußten sie schon in der „guten<br />
alten Zeit“ erleben, daß größere Sozietäten die um Vorlage<br />
ihrer Sozietätsverträge aus gegebenem Anlaß gebeten worden<br />
waren, erklärten, so etwas hätten sie gar nicht, es sei<br />
alles nur mündlich. Nach meiner Einschätzung hat sich die<br />
Anwaltschaft längst mit der Sonderstellung der Mega-Firms<br />
abgefunden. Niemand kann aber im Ernst glauben, das bleibe<br />
ohne Einfluß auf das innere Berufsbild überhaupt. Die<br />
dritte Gruppe der deutschen Anwaltschaft, die „Nischen-<br />
Anwälte“ oder sogenannte Boutiquen sind in einer Sonderposition.<br />
Die Spezialisten pfuschen im allgemeinen der Basis<br />
nicht ins Handwerk. Sie werden vielmehr bei Bedarf<br />
konsiliarisch zugezogen. Für die Mega-Firms sind viele<br />
dieser Spezialbereiche entweder außerhalb der allgemeinen<br />
Wirtschaftsberatung oder vom Aufkommen her wirtschaftlich<br />
nicht interessant. Wettbewerb innerhalb der Nischen-<br />
Anwälte ist ebenfalls gering ausgeprägt, weil die eine Spezialität<br />
mit der anderen meist nichts zu tun hat. Das ist alles<br />
sehr pauschal gesehen, soll aber zeigen, daß das innere Berufsbild<br />
durch Außendruck stark beeinflußt wird. Ich halte<br />
es deshalb insgesamt für eine wichtige berufspolitische<br />
Aufgabe, zu versuchen, verschiedene Stränge noch in einer<br />
Linie zu bündeln. Ich muß nicht sagen, daß das ein schwieriges<br />
Unterfangen ist, wenn man bedenkt, daß wir von einem<br />
inneren Berufsbild reden.<br />
Anwaltliche Selbstverwaltung<br />
im Wandel<br />
Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Hartung, Mönchengladbach<br />
1. Einführung<br />
Das Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der<br />
Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2.9.1994 1 hat die<br />
anwaltliche Selbstverwaltung verändert. Bis zu den Entscheidungen<br />
des Bundesverfassungsgerichts vom 14.7.1987 2<br />
war es Aufgabe der Bundesrechtsanwaltskammer, die allgemeine<br />
Auffassung über Fragen der Ausübung des Anwaltsberufs<br />
in Richtlinien festzustellen (§ 177 Abs. 2 Nr. 2<br />
BRAO). Diese Aufgabe ging der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
verloren, weil die gesetzliche Regelung des früheren<br />
§ 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO mit demokratischen Grundsätzen<br />
nicht vereinbar war. Der Gesetzgeber musste deshalb ein<br />
demokratisch legitimiertes Gremium schaffen, das sich aus<br />
Mitgliedern zusammensetzt, deren Mitgliedschaft auf eine<br />
unmittelbare Wahlentscheidung aller Rechtsanwälte zurückzuführen<br />
ist 3 . Das geschah durch die Einrichtung einer Satzungsversammlung<br />
(§§ 191a-191e BRAO). Deren Mitglieder<br />
werden in geheimer und unmittelbarer Wahl von den<br />
Rechtsanwälten gewählt (§ 191b Abs. 2 BRAO) und bilden<br />
unter der Bezeichnung „Satzungsversammlung“ ein Parlament<br />
der Rechtsanwaltschaft. Der Satzungsversammlung<br />
obliegt der Erlass einer Berufsordnung für die Ausübung<br />
des Rechtsanwaltsberufes (§ 191a Abs. 2 BRAO). Dieser<br />
Aufgabe ist die Satzungsversammlung inzwischen nachgekommen.<br />
Sie hat eine Berufs- und Fachanwaltsordnung erlassen,<br />
die nach herrschender Auffassung am 11.3.1997 in<br />
Kraft getreten 4 und inzwischen auch schon überarbeitet 5<br />
worden ist.<br />
1 BGBl. I 2278.<br />
2 BVerfGE 76, 171 = NJW 1988, 191; BVerfGE 76, 196 = NJW 1988, 193.<br />
3 BR-Drucks. 93/93, S. 108 f.; ausführlich dazu Hartung/Holl-Hartung, Anwaltliche<br />
Berufsordnung, Kommentar und Berufsrechts-ABC, Einf. Rdnr. 7-11;<br />
Henssler/PrüttingHartung, Vorb 60 Rdnr. 18 ff., § 191a Rdnr. 1-6.<br />
4 So Kleine-Cosack NJW 1997, 1257; Zuck MDR 1997, 325; a. A. Hartung<br />
AnwBl 1997, 65; vgl. auch Römermann NJW 19; Starke NVwZ 1995, 1186;<br />
OVG Münster NVwZ-RR 1997, 172.<br />
5 BRAK-Mitt. 1999, 121 ff.
10<br />
l<br />
Die Einrichtung der Satzungsversammlung mit der<br />
Kompetenz, eine Berufsordnung als Satzung zu erlassen,<br />
hat erstmals seit dem Inkrafttreten der Rechtsanwaltsordnung<br />
von 1878 die Organe anwaltlicher Selbstverwaltung<br />
vermehrt. Neben die Bundesrechtsanwaltskammer, die als<br />
Verbandskörperschaft des öffentlichen Rechts die regionalen<br />
Rechtsanwaltskammern zu ihren Mitgliedern zählt, und<br />
neben die regionalen Rechtsanwaltskammern, denen alle<br />
im jeweiligen Kammerbezirk zugelassenen Rechtsanwälte<br />
durch Pflichtmitgliedschaft angehören, tritt nunmehr die<br />
Satzungsversammlung. Die dadurch entstandene Dreigliedrigkeit<br />
anwaltlicher Selbstverwaltung wirft die Frage auf,<br />
ob die Aufgaben, die nunmehr drei Organen anwaltlicher<br />
Selbstverwaltung obliegen, richtig verteilt sind oder neu geordnet<br />
werden sollten.<br />
2. Istzustand<br />
Zur Zeit sind die den regionalen Rechtsanwaltskammern,<br />
der Bundesrechtsanwaltskammer und der Satzungsversammlung<br />
übertragenen Aufgaben wie folgt verteilt:<br />
a. Aufgaben der regionalen Rechtsanwaltskammern<br />
Den regionalen Rechtsanwaltskammern, deren Mitglieder<br />
die in ihrem Bezirk zugelassenen Rechtsanwälte sind,<br />
obliegt es, durch ihren Vorstand die Belange der Kammer<br />
zu wahren und zu fördern (§ 73 Abs. 1 BRAO) und insbesondere<br />
die in § 73 Abs. 2 BRAO genannten Aufgaben zu<br />
erfüllen. Dazu gehört insbesondere,<br />
1. die Mitglieder der Kammer in Fragen der Berufspflichten<br />
zu beraten und zu belehren;<br />
2. auf Antrag bei Streitigkeiten unter den Mitgliedern<br />
der Kammer zu vermitteln;<br />
3. auf Antrag bei Streitigkeiten zwischen Mitgliedern<br />
der Kammer und ihren Auftraggebern zu vermitteln;<br />
4. die Erfüllung der den Mitgliedern der Kammer obliegenden<br />
Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge<br />
zu handhaben;<br />
5. Rechtsanwälte für die Ernennung zu Mitgliedern des<br />
Anwaltsgerichts und des Anwaltsgerichtshofs vorzuschlagen;<br />
6. Vorschläge gemäß §§ 107 und 166 der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
vorzulegen;<br />
7. der Versammlung der Kammer über die Verwaltung<br />
des Vermögens jährlich Rechnung zu legen;<br />
8. Gutachten zu erstatten, die eine Landesjustizverwaltung,<br />
ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde des Landes anfordert;<br />
9. bei der Ausbildung der Referendare mitzuwirken;<br />
10. die anwaltlichen Mitglieder der juristischen Prüfungsausschüsse<br />
vorzuschlagen.<br />
In jüngster Zeit ist der Aufgabenbereich der regionalen<br />
Rechtsanwaltskammern noch erweitert worden. Gemäß<br />
§ 224a BRAO können die Landesjustizverwaltungen, denen<br />
bisher die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft oblag, diese<br />
Aufgabe den Rechtsanwaltskammern übertragen. Das ist in<br />
verschiedenen Bundesländern bereits geschehen. Dadurch<br />
wird die anwaltliche Selbstverwaltung wesentlich gestärkt.<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze<br />
b. Aufgaben der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
Die Bundesrechtsanwaltskammer hat durch die Einrichtung<br />
der Satzungsversammlung an Bedeutung verloren.<br />
Anders als bis zu den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts<br />
vom 14.7.1987 6 ist sie an der Bildung und<br />
Fortentwicklung des Berufsrechts nicht mehr beteiligt. Der<br />
Bundesrechtsanwaltskammer obliegt es nur noch, die ihr<br />
durch Gesetz zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen (§ 177<br />
Abs. 1 BRAO) und in einem abgestuften Verfahren in Fragen,<br />
die die Gesamtheit der Rechtsanwaltskammern angehen,<br />
an der Meinungsbildung mitzuwirken und im Wege<br />
gemeinschaftlicher Aussprache die Auffassung der Mehrheit<br />
der Rechtsanwaltskammern zu ermitteln (§ 177 Abs. 2<br />
Nr. 1 BRAO). Des Weiteren ist es Aufgabe der Bundesrechtsanwaltskammer,<br />
Richtlinien für die Fürsorgeeinrichtungen<br />
aufzustellen (§ 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO), in allen die<br />
Gesamtheit der Rechtsanwaltskammern berührenden Angelegenheiten<br />
ihre eigene Auffassung den zuständigen Behörden<br />
und Gerichten gegenüber zur Geltung zu bringen<br />
(§ 177 Abs. 2 Nr. 3 BRAO), die Gesamtheit der Rechtsanwaltskammern<br />
gegenüber Behörden und Organisationen zu<br />
vertreten (§ 177 Abs. 2 Nr. 4 BRAO), Gutachten zu erstatten,<br />
die eine an der Gesetzgebung beteiligte Behörde oder<br />
Körperschaft des Bundes oder ein Bundesgericht anfordert<br />
(§ 177 Abs. 2 Nr. 5) und die berufliche Fortbildung der<br />
Rechtsanwälte zu fördern (§ 177 Abs. 2 Nr. 6 BRAO).<br />
Soweit in dem Aufgabenkatalog des § 177 Abs. 2<br />
BRAO von der „Gesamtheit der Rechtsanwaltskammern“<br />
die Rede ist, meint dieser Begriff die Gesamtheit der<br />
Rechtsanwälte, soweit die Kammern ihnen gegenüber Aufgaben<br />
wahrzunehmen haben. Das folgt aus der Aufgabenregelung<br />
des § 73 Abs. 1 BRAO. Danach hat der Vorstand<br />
einer regionalen Rechtsanwaltskammer die Belange der<br />
Kammer zu wahren und zu fördern. Die Belange der<br />
Rechtsanwaltskammer sind die Belange ihrer Mitglieder im<br />
Aufgabenbereich der Kammern. Das verdeutlichen die vergleichbaren<br />
Regelungen in § 76 Abs. 1 StBerG und § 57<br />
Abs. 2 WPO 7 . Gerade die Fragen, die alle Rechtsanwälte<br />
berühren, werden aber in der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
nicht nach demokratischen Grundsätzen<br />
gelöst. Das liegt an der Regelung des § 190 Abs. 1<br />
BRAO. Nach dieser Vorschrift hat jede Rechtsanwaltskammer<br />
in der Hauptversammlung ohne Rücksicht auf die<br />
Zahl ihrer Mitglieder nur eine Stimme. So repräsentieren<br />
15 Kammern mit 20.166 Mitgliedern nur etwa 22% aller<br />
Rechtsanwälte, die übrigen 13 Kammern mit 71.348 Mitgliedern<br />
etwa 78%. Das verdeutlicht, dass – bezogen auf<br />
die Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte – eine Minderheit<br />
von rund 22% ihren Willen gegen eine Mehrheit von rund<br />
78% durchsetzen kann. So ist es nicht verwunderlich, dass<br />
die Anwaltschaft in der Vergangenheit durch die Bundesrechtsanwaltskammer<br />
nicht recht vertreten werden konnte<br />
und sich auch wiederholt schlecht vertreten fühlte. Das gilt<br />
z. B. für die überörtliche Anwaltssozietät und für die Anwalts-GmbH.<br />
Hätten nicht die ordentlichen Gerichte bzw.<br />
der Gesetzgeber geholfen, gäbe es nach dem Willen der<br />
Bundesrechtsanwaltskammer überörtliche Sozietäten und<br />
die Anwalts-GmbH bis heute nicht.<br />
6 BVerfGE 76, 171 = NJW 1988, 191; BVerfGE 76, 196 = NJW 1988, 193.<br />
7 Vgl. Henssler/Prütting-Hartung, § 73 Rdnr. 10.
AnwBl 1/2000 11<br />
Aufsätze l<br />
Die Schwäche der gesetzlichen Regelung liegt darin,<br />
dass sie den in Art. 38 GG festgelegten Wahlgrundsätzen<br />
nicht entspricht, nämlich sowohl der Grundsatz einer unmittelbaren<br />
Wahl noch der Grundsatz der Stimmengleichheit<br />
beachtet wird. Das ist zugleich der Grund dafür, weshalb<br />
die Bundesrechtsanwaltskammer kaum das Interesse<br />
der Anwaltschaft findet, obwohl sie sich als berufliche Vertretung<br />
aller Rechtsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland<br />
versteht.<br />
c. Aufgaben der Satzungsversammlung<br />
Die Satzungsversammlung hat gemäß § 191a Abs. 2<br />
BRAO die (bisher einzige) Aufgabe, als Satzung eine Berufsordnung<br />
für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs<br />
unter Berücksichtigung der beruflichen Pflichten und nach<br />
Maßgabe des § 59b BRAO zu erlassen. Das ist keine einmalige<br />
Aufgabe, die mit dem Erlass einer Berufsordnung<br />
endet. Vielmehr ist die Satzungsversammlung ein auf Dauer<br />
bei der Bundesrechtsanwaltskammer eingerichtetes Gremium,<br />
dessen Mitglieder alle vier Jahre gewählt werden<br />
müssen (§ 191b Abs. 3 i. V. m § 68 Abs. 1 BRAO) und das<br />
legitimiert ist, die einmal erlassene Berufsordnung zu ändern,<br />
zu ergänzen oder in den von § 59b BRAO gezogenen<br />
Grenzen zu erweitern. Dabei ist unter Berufsordnung auch<br />
die Fachanwaltsordnung zu verstehen (§ 59b Abs. 2 Nr. 2a<br />
und b BRAO).<br />
III. Gestaltungsmöglichkeiten<br />
Der damit umschriebene Ist-Zustand drängt zu der Frage,<br />
ob die nach der Einrichtung einer Satzungsversammlung<br />
der Bundesrechtsanwaltskammer verbliebenen Aufgaben<br />
zwischen beiden Gremien anders verteilt werden<br />
sollten. Diese Frage erlaubt nur zwei Antworten.<br />
1. Die eine Antwort lautet, alles bleibt wie es ist. Diese<br />
Antwort wird auf den wenigsten Widerstand stoßen. Man<br />
kann den Verlust der Richtlinienkompetenz und die dadurch<br />
bedingte Schwächung der Bundesrechtsanwaltskammer beklagen<br />
und sich dennoch damit zufrieden geben, dass<br />
der Bundesrechtsanwaltskammer mit den in § 177 Abs. 2<br />
Nr. 2 -6 BRAO übertragenen Aufgaben ein beachtlicher Zuständigkeitsbereich<br />
verbleibt.<br />
2. Die andere Antwort könnte sein, die Zuständigkeit<br />
der Satzungsversammlung (Legislative) zu Lasten der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
(Exekutive) zu stärken. Für sie<br />
spricht, dass die Anwaltschaft in der Satzungsversammlung<br />
durch die von ihr gewählten Vertreter und damit viel besser<br />
als in der Bundesrechtsanwaltskammer als Verbandskörperschaft<br />
repräsentiert wird, in deren Hauptversammlung jede<br />
Rechtsanwaltskammer ohne Rücksicht auf die Zahl ihrer<br />
Mitglieder nur eine Stimme hat.<br />
IV.Wille der Anwaltschaft<br />
Eine sachgerechte Antwort können nicht die Selbstverwaltungskörperschaften<br />
der Anwaltschaft geben. Sie sind<br />
naturgemäß bestrebt, ihren Einflussbereich zu erhalten und<br />
nach Möglichkeit zu vergrößern. Die „richtige“ Antwort<br />
können vielmehr nur die Rechtsanwälte selbst geben. Sie<br />
müssen entscheiden, bei welcher Selbstverwaltungskörperschaft<br />
sie ihre Interessen am besten gewahrt sehen. Deshalb<br />
ist die entscheidende Frage, was die Anwaltschaft will.<br />
Diese Frage müsste durch eine Befragung aller Rechtsanwälte<br />
beantwortet werden. Bei der Interessenlosigkeit der<br />
Anwaltschaft, die sie den Problemen ihres Berufsstandes<br />
entgegenbringt, ist allerdings zu bezweifeln, ob eine Abstimmung<br />
in Kammerversammlungen ein repräsentatives<br />
Bild bringen würde. Die Kammerversammlungen werden<br />
durchweg nur von allenfalls 2% bis 5% aller Mitglieder<br />
besucht. Deshalb wäre es angezeigt, eine schriftliche Abstimmung<br />
durchzuführen.<br />
V. Eigene Meinung<br />
Wer die anwaltliche Selbstverwaltung über eine lange<br />
Zeit aufmerksam verfolgt, kann der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
nicht absprechen, in der anwaltlichen Selbstverwaltung<br />
unentbehrlich zu sein. Allerdings sollten die Aufgaben<br />
zwischen ihr und der Satzungsversammlung neu geregelt<br />
werden. Als öffentlich-rechtliche Verbandskörperschaft, die<br />
mittelbare Staatsgewalt ausübt, ist die Bundesrechtsanwaltskammer<br />
der vollziehenden Gewalt zuzurechnen. Ihre Organisation<br />
und ihre Willensbildung müssen deshalb dem demokratischen<br />
Prinzip i. S. d. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG<br />
genügen8 . Selbstverwaltung in einem demokratischen Staat<br />
darf keine „Honoratiorenverwaltung“ sein9 . Deshalb dürfen<br />
der Bundesrechtsanwaltskammer keine freiheitsbeschränkenden<br />
Maßnahmen zu Lasten des einzelnen Rechtsanwalts<br />
obliegen. Andernfalls würde die Bundesrechtsanwaltskammer<br />
mit einer auf der formaljuristischen Stimmengleichheit<br />
beruhenden Mehrheit, die der mehrheitlichen Auffassung<br />
der Rechtsanwälte nicht entspricht, in Grundrechte des einzelnen<br />
Rechtsanwalts eingreifen können. Solche Eingriffe<br />
sind in der Vergangenheit erfolgt. Das belegen – pars pro<br />
toto – die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts<br />
zum Versäumnisurteil10 und zum Zweitberuf11 . Deshalb sollten<br />
alle Aufgaben, die die Gesamtheit der Rechtsanwaltskammern<br />
und damit die Rechtsanwälte, soweit der Aufgabenbereich<br />
der Kammern reicht, berühren, der<br />
Satzungsversammlung übertragen werden. In ihr wird die<br />
Anwaltschaft durch geheim und unmittelbar gewählte Vertreter<br />
demokratisch vertreten. Die Bundesrechtsanwaltskammer<br />
behielte dennoch ihre Existenzberechtigung. Sie hätte<br />
die Interessen ihrer Mitglieder, also der Rechtsanwaltskammern<br />
zu vertreten und in allen Fragen, die die Gesamtheit<br />
der Rechtsanwälte betreffen, die von der Satzungsversammlung<br />
gefassten Beschlüsse auszuführen. Die Erledigung aller<br />
in § 177 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 4 BRAO der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
übertragenen Aufgaben würde nicht mehr von<br />
der Mehrheit der Rechtsanwaltskammern bestimmt, die sich<br />
gemäß § 190 Abs. 1 BRAO aus einer Abstimmung in der<br />
Hauptversammlung mit einer Stimme pro Rechtsanwaltskammer<br />
ergibt, sondern von der Mehrheit der von den<br />
Rechtsanwälten unmittelbar gewählten Vertreter. Für die<br />
Struktur der Selbstverwaltung der Anwaltschaft hätte das<br />
Folgende Konsequenzen:<br />
1. Die Bundesrechtsanwaltskammer hätte eine Doppelfunktion.<br />
Einerseits bliebe sie Verbandskörperschaft und damit<br />
Dachorganisation aller regionalen Rechtsanwaltskam-<br />
8 Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, S. 191 ff.<br />
9 So zutreffend Pietzcker NJW 1987, 1308 (1310).<br />
10 BVerfG NJW 1993; 121; vgl. auch BGH NJW 1991, 42; Kleine-Cosack NJW<br />
1988, 172; ders. EWiR 1991, 57. Vgl. auch LG Stuttgart NJW 1994, 1884 und<br />
zum Ganzen grundlegend G. W. Hartung, Das anwaltliche Verbot des Versäumnisurteils,<br />
1991.<br />
11 BVerfGE 87, 287 = NJW 1993, 317; vgl. auch Kleine-Cosack ZIP 1991,<br />
1337; ders. EWiR 1991, 783; ders. NJW 1993, 1289; siehe ferner Fischer<br />
AnwBl 1992, 205.
12<br />
l<br />
mern. In dieser Eigenschaft hätte sie die ihr in § 177 Abs. 2<br />
BRAO übertragenen Aufgaben zu erledigen. Andererseits<br />
wäre sie Exekutivorgan der Satzungsversammlung, indem<br />
sie die von der Satzungsversammlung gefassten Beschlüsse<br />
umzusetzen und zu verwirklichen hätte. Im organisatorischen<br />
Bereich ist das schon geltendes Recht, wie die im<br />
§ 191a Abs. 1 BRAO angeordnete Organleihe zeigt.<br />
2. Die Satzungsversammlung wäre die Legislative. Sie<br />
würde nicht nur das Berufsrecht regeln, sondern auch alle<br />
anderen Fragen, die die Gesamtheit der Rechtsanwälte betreffen,<br />
entscheiden. Die Bundesrechtsanwaltskammer hätte<br />
in ihrer Funktion als Exekutivorgan die von der Satzungsversammlung<br />
gefassten Beschlüsse auszuführen. Der Vorsitzende<br />
der Satzungsversammlung dürfte dann allerdings<br />
nicht mehr der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
sein, die Mitglieder der Satzungsversammlung müssten<br />
ihren Vorsitzenden vielmehr aus ihren eigenen Reihen wählen.<br />
Nachfolgendes Schaubild soll die denkbaren neuen<br />
Strukturen verdeutlichen:<br />
BRAK Satzungsversammlung<br />
BRAK<br />
Mitglieder sind die<br />
Rechtsanwaltskammern<br />
Der Kammerpräsident<br />
vertritt die RAK in<br />
der BRAK<br />
Der Kammervorstand<br />
wählt den Präsidenten und<br />
das Präsidium<br />
Die Mitglieder der RAK<br />
wählen deren Vorstand<br />
RAK<br />
Jeder Rechtsanwalt ist<br />
Zwangsmitglied der für<br />
ihn zuständigen<br />
Rechtsanwaltskammer<br />
BRAK führt Beschlüsse der<br />
Satzungsversammlung aus<br />
(Exekutive)<br />
Satzungsversammlung<br />
(Legislative)<br />
Pro 1.000 Rechtsanwälte<br />
wählen je ein Mitglied in die<br />
Satzungsversammlung<br />
Anwaltschaft<br />
VI. Ergebnis<br />
Die Anwaltschaft sollte darüber nachdenken, welches<br />
Organ anwaltlicher Selbstverwaltung berufen sein soll, die<br />
Interessen der Rechtsanwälte zu vertreten. Am besten wäre<br />
es, wenn die Anwaltschaft diese Frage selbst beantworten<br />
und der Gesetzgeber anschließend eine gesetzliche Neuregelung<br />
herbeiführen würde, die dem Willen der Mehrheit<br />
der Rechtsanwälte entspricht. Käme es zu einer Befragung<br />
aller Rechtsanwälte, wer ihre Interessen künftig bundesweit<br />
vertreten soll, stünden nicht Prestige, Ansehen und Reputation<br />
der einzelnen Organe anwaltlicher Selbstverwaltung<br />
zur Abstimmung. Vielmehr ginge es darum, die optimalste<br />
und effizienteste Interessenvertretung zu wählen. Sie sollte<br />
bei der Satzungsversammlung liegen, weil ihre Mitglieder<br />
von den Rechtsanwälten in unmittelbarer und geheimer<br />
Wahl gewählt werden und so jeder Rechtsanwalt diejenigen<br />
Kandidaten in die Satzungsversammlung wählen kann, von<br />
denen er glaubt, dass sie seine Interessen am besten vertreten.<br />
Die damit verbundene Neuregelung anwaltlicher<br />
Selbstverwaltung würde eine bessere demokratische Selbstverwaltung<br />
Gewähr leisten und die Anwaltschaft vor Entscheidungen<br />
schützen, die von den Präsidenten der regionalen<br />
Rechtsanwaltskammern mit einer Stimme pro Kammer<br />
getroffen werden, aber keineswegs immer dem Willen der<br />
Mehrheit aller Rechtsanwälte entsprechen.<br />
AnwBl 1/2000<br />
Die Rechtsprechung des<br />
Senats für Notarsachen des<br />
Bundesgerichtshofs<br />
Vors. Richter am BGH Dr. Eberhard Rinne, Karlsruhe<br />
Aufsätze<br />
Dies ist das erste Mal, daß ich als Vorsitzender des Senats<br />
für Notarsachen des Bundesgerichtshofs die Gelegenheit<br />
wahrnehme, die neuere Rechtsprechung des Senats im<br />
Rahmen eines Vortrags darzustellen. Daß dies in einer Veranstaltung<br />
des Deutschen Anwaltvereins geschieht, bitte<br />
ich auch als Geste zu verstehen. Mir liegt in besonderem<br />
Maße daran, als Mitglied eines Spruchkörpers, dem in letzter<br />
Instanz das Berufsrecht aller Notare anvertraut ist, dessen<br />
Spruchtätigkeit gerade der Anwaltschaft gegenüber, die<br />
mit dem Stand der Notare institutionell eng verbunden ist,<br />
darstellen und hoffentlich verständlich machen zu dürfen.<br />
I.<br />
Erlauben Sie mir, auch wenn ich damit bei vielen offene<br />
Türen einrenne, eingangs ein paar Bemerkungen zur Organisation<br />
und Arbeitsweise des Senats für Notarsachen des<br />
Bundesgerichtshofs vorzutragen.<br />
Der Senat entscheidet sowohl in Notarverwaltungssachen<br />
als auch in Disziplinarsachen als zweite und letzte<br />
Tatsachen- und Rechtsinstanz in der Besetzung mit dem<br />
Vorsitzenden, zwei Berufsrichtern und zwei Notaren. Der<br />
Vorsitzende und sein Stellvertreter müssen „mindestens“<br />
Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof sein; die richterlichen<br />
Beisitzer und ihre Stellvertreter sind Richter am<br />
Bundesgerichtshof. Sie alle werden vom Präsidium des<br />
Bundesgerichtshofs für die Dauer von vier Jahren bestellt.<br />
Die Beisitzer aus den Reihen der Notare werden vom<br />
Bundesjustizminister, der auch die Zahl der Beisitzer bestimmt,<br />
nach Beteiligung der Notarkammern ebenfalls für<br />
vier Jahre berufen.<br />
Derzeit besteht der Senat (von den Stellvertretern abgesehen)<br />
aus dem Vorsitzenden, fünf Bundesrichtern und fünf<br />
Notaren, von denen drei Nurnotare und zwei Anwaltsnotare<br />
sind.<br />
So viel zur Organisation und nun zur – aus meiner Sicht<br />
erfreulichen – Arbeitsweise:<br />
Der Senat tagt bei jährlichen Eingängen von etwa 50 Sachen<br />
alle vier Monate in wechselnder, im voraus festgelegter<br />
Besetzung; vom Wechsel ausgenommen ist allein der<br />
Vorsitzende. Die Notare sind nicht nur auf dem Papier, sondern<br />
auch tatsächlich in vollem Umfang in den Senat integriert;<br />
dies zeigt sich etwa darin, daß sie Berichterstattungen<br />
übernehmen. Sie sind keine Interessenvertreter und<br />
verstehen sich auch nicht als solche. Ihre Aufgabe besteht<br />
nicht allein darin, ihren Sachverstand und ihre Erfahrungen<br />
aus der notariellen Praxis in die Rechtsfindung einzubrin-
AnwBl 1/2000 13<br />
Aufsätze l<br />
gen, sondern sie sind – nicht anders als die Berufsrichter –<br />
in vollem Umfang für die gesamte tatsächliche Aufbereitung<br />
und rechtliche Beurteilung eines jeden Falles mitverantwortlich.<br />
Sie haben also, wie das Gesetz es ausdrückt,<br />
während der Dauer ihres Ehrenamtes alle Rechte und<br />
Pflichten eines Berufsrichters. Dieser Verantwortung stellen<br />
sie sich sowohl bei der Vorbereitung der Sachen als auch in<br />
der Verhandlung und Beratung mit großem Engagement.<br />
Dabei vollzieht sich die Arbeit im Senat in vorbildlicher<br />
kollegialer Atmosphäre. Solange ich zurückdenken kann,<br />
sind grundlegende Differenzen weder zwischen Richtern<br />
und Notaren noch zwischen Anwalts- und Nurnotaren aufgetreten.<br />
Lassen Sie mich an dieser Stelle einmal ganz offiziell<br />
und mit Außenwirkung feststellen: Ohne die Mitwirkung<br />
der Notare wäre der Senat für Notarsachen des<br />
Bundesgerichtshofs qualitativ nicht das, was er zu sein<br />
hofft.<br />
Die Tätigkeit im Notarsenat ist für alle Beteiligten<br />
zwangsläufig mit erheblichen zusätzlichen Belastungen verbunden.<br />
Was die Notare angeht, so wird Ihnen dies unmittelbar<br />
einleuchten. Die beteiligten Richter gehören sämtlich<br />
anderen Senaten, ihren Stammsenaten, an; auch sie müssen<br />
die Arbeit im Spezialsenat als zusätzliche Bürde verkraften.<br />
So gesehen muß auch die Frage erlaubt sein, ob es wirklich<br />
gerechtfertigt ist, einzelnen Berufsgruppen den Zugang<br />
zum Bundesgerichtshof als Tatsacheninstanz zu eröffnen.<br />
Die Behandlung dieses komplexen Themas, dessen Erörterung<br />
bei der geplanten Justizreform nicht ausgespart bleiben<br />
sollte, würde indessen den Rahmen meines Vortrages<br />
sprengen.<br />
II.<br />
Die folgenden Ausführungen zur Rechtsprechung des<br />
Senats für Notarsachen des Bundesgerichtshofs sollen in<br />
vier Punkte untergliedert werden:<br />
– Errichtung von Notarstellen<br />
– Zugang zum Notariat<br />
– Amtsausübung<br />
– Beendigung des Amtsverhältnisses<br />
In dem jeweiligen Zusammenhang wird, soweit dies erforderlich<br />
ist, auch auf verfahrensrechtliche Fragen einzugehen<br />
sein. Aussparen möchte ich den Bereich des Organisationsrechts,<br />
insbesondere also Fragen, die im<br />
Zusammenhang mit der Tätigkeit der Notarkammern und<br />
der Notarkassen stehen. Ebensowenig soll sich mein Bericht<br />
auf die Rechtsprechung des Senats zu den aus der<br />
deutschen Einigung entstandenen Problemen im Bereich<br />
der vorsorgenden Rechtspflege erstrecken; darüber wird in<br />
der Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Bundesgerichtshofs<br />
gesondert zu berichten sein.<br />
1. Errichtung von Notarstellen<br />
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die<br />
Errichtung einer Notarstelle kein Verwaltungsakt, sondern<br />
nur ein verwaltungsinterner Vorgang ohne Regelungscharakter.<br />
Dementsprechend ist auch die Bestimmung der Zahl der<br />
Amtsinhaber und der Zuschnitt der Notariate der Organisationsgewalt<br />
des Staates vorbehalten (zuletzt Beschluß vom<br />
20. Juli 1998 – NotZ 31/97 – DNotZ 1999, 251 m. w. N.).<br />
Dies bedeutet, daß die Errichtung der Stelle oder deren Ablehnung<br />
als solche nicht mit dem Antrag auf gerichtliche<br />
Entscheidung (§ 111 BNotO) anfechtbar ist.<br />
Trotzdem gewähren die Gerichte auch in diesem Bereich<br />
auf folgendem Umweg Rechtsschutz:<br />
Eine Landesjustizverwaltung errichtete in einer Kleinstadt,<br />
in der bereits drei Notariate bestanden, eine weitere<br />
Notarstelle. Dies griff einer der ortsansässigen Notare mit<br />
dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung an. Der Senat<br />
hat diesen Antrag – im Sinne einer „kundenfreundlichen“<br />
Auslegung – auch unter dem Gesichtspunkt geprüft, ob der<br />
Antragsteller verlangen könne, daß dem Antragsgegner<br />
(der Landesjustizverwaltung) jedenfalls die Besetzung der<br />
neu errichteten Notarstelle untersagt werde (aaO m. w. N.).<br />
Dies knüpft an eine gefestigte Rechtsprechung an, die von<br />
der Erwägung getragen wird, daß die Justizverwaltung bei<br />
der Ausübung des ihr eingeräumten Organisationsermessens<br />
nach § 4 BNotO subjektive Rechte von Amtsinhabern<br />
insoweit zu wahren hat, als jedem Notar zur Erfüllung seiner<br />
öffentlichen Aufgabe ein Mindestmaß an wirtschaftlicher<br />
Unabhängigkeit gewährleistet ist. Dabei ist auch der<br />
Gesichtspunkt der Selbstbindung der Justizverwaltung an<br />
von ihr selbst aufgestellte Richtzahlen – bezogen auf den<br />
Zeitpunkt der Stellenerrichtung – zu beachten. Geht nun in<br />
der Zeit zwischen der Stellenerrichtung und der endgültigen<br />
gerichtlichen Entscheidung über die Besetzung das<br />
Gesamturkundsaufkommen der betreffenden Notariate zurück,<br />
so stellt sich die Frage, ob das Beschwerdegericht<br />
dies berücksichtigen darf oder gar muß. Die uneingeschränkte<br />
Berücksichtigung würde außer Betracht lassen,<br />
daß die Landesjustizverwaltung mit der Besetzung der Notarstelle<br />
lediglich ihre Errichtungsentscheidung umsetzt, die<br />
ihrerseits der Anfechtung entzogen ist. Auf der anderen<br />
Seite würde sich bei einem krassen Rückgang der Beurkundungszahlen<br />
der Gesamtvorgang (Errichtung und Besetzung<br />
der Stelle) im Ergebnis als nicht hinnehmbare Fehlentscheidung<br />
zu Lasten der bestehenden Notariate<br />
erweisen. Der Bundesgerichtshofs hat deshalb entschieden,<br />
daß der Rückgang der Urkundszahlen in einem solchen Fall<br />
(nur) insoweit zu berücksichtigen ist, als infolge des Rückgangs<br />
die wirtschaftliche Grundlage der bestehenden Notariate<br />
nicht mehr gewährleistet ist.<br />
Die Entscheidung bietet ein gutes Beispiel dafür, wie<br />
die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Berufsrecht der<br />
Notare im Einzelfall mit materiell- und prozeßrechtlichen<br />
Mitteln den für notwendig erachteten Interessenausgleich<br />
zu finden sucht.<br />
2. Im Mittelpunkt der den Zugang zum Notariat betreffenden<br />
Regelung steht das Erfordernis der Eignung: Nur<br />
solche Bewerber sind zu Notaren zu bestellen, die nach<br />
hrer Persönlichkeit und ihren Leistungen für das Amt des<br />
Notars geeignet sind (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BNotO).<br />
a) Der Inhalt des Rechtsbegriffs der persönlichen Eignung<br />
richtet sich an der Grundforderung der Bundesnotarordnung<br />
aus, eine geordnete vorsorgende Rechtspflege zu<br />
gewährleisten. Persönlich geeignet ist der Bewerber, dessen<br />
innere und äußere Eigenschaften, wie sie sich insbesondere<br />
in seinem Verhalten offenbaren, keine begründeten Zweifel<br />
daran aufkommen lassen, daß er die Aufgaben und Pflichten<br />
eines Notars uneingeschränkt erfüllen werde (BGHZ<br />
134, 137, 139).<br />
Solche Definitionen mögen aus der Sicht der Bewerber<br />
insofern unbefriedigend erscheinen, als sie dem Rechtsanwender<br />
weite Bewertungsspielräume eröffnen. Daran<br />
ändert auch der von der Rechtsprechung ständig wiederholte<br />
Hinweis nichts, daß der an die erforderliche Eignung<br />
des Bewerbers anzulegende Maßstab wegen der Bedeutung
14<br />
l<br />
des Notaramtes nicht zu milde sein dürfe (vgl. nur Senatsbeschluß<br />
vom 18. September 1995 – NotZ 30/94 – NJW-<br />
RR 1996, 311). Gleichwohl enthält die Definition ein<br />
Steuerungselement, dessen Gewicht für die Durchführung<br />
von Bewerbungsverfahren nicht hoch genug einzuschätzen<br />
ist: Zwar sind bei der Prüfung der persönlichen Eignung<br />
stets alle Umstände des Einzelfalles sorgfältig zu berücksichtigen.<br />
Der Bewerber kann aber nur dann zum Notar bestellt<br />
werden, wenn seine persönliche Eignung positiv feststeht.<br />
Solange also begründete Zweifel an seiner Eignung<br />
bestehen, ist ihm der Zugang zum Notaramt versperrt; ihn<br />
trifft mithin eine Feststellungslast (Senat aaO). An dieser<br />
Regel scheitert eine erhebliche Anzahl von Bewerbungen.<br />
Bei der Beurteilung, ob ein Bewerber die persönliche<br />
Eignung für das Notaramt besitzt, stellt sich in der Praxis<br />
häufig die Frage, welches Gewicht einem früheren Fehlverhalten<br />
des Bewerbers – auch als Rechtsanwalt – beizumessen<br />
ist. Dabei handelt es sich oftmals – wenn auch nicht<br />
notwendig – um Verhaltensweisen, die Gegenstand von<br />
Strafverfahren, staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren<br />
oder anwaltsgerichtlichen Verfahren waren. In solchen<br />
Fällen ist im Bewerbungsverfahren selbständig zu prüfen,<br />
ob aus dem zugrundeliegenden Verhalten negative Folgerungen<br />
im Hinblick auf die persönlichen Anforderungen an<br />
einen Notar zu ziehen sind. Die entsprechenden Vorgänge<br />
sind deshalb auch dann verwertbar, wenn solche Verfahren<br />
mangels hinreichenden Tatverdachts, wegen geringfügigen<br />
Verschuldens oder aus anderen Gründen eingestellt worden<br />
sind. Soweit anwaltsgerichtliche Maßnahmen verhängt worden<br />
sind, dürfen entsprechende Registereintragungen im<br />
Bewerbungsverfahren bis zur Tilgungsreife verwertet werden<br />
(Beschluß vom 18. Sept. 1995 – NotZ 41/94 – NJW-<br />
RR 1996, 244). Im übrigen kann das Gewicht früheren<br />
Fehlverhaltens durch Zeitablauf so gemindert sein, daß daraus<br />
keine Rückschlüsse auf eine gegenwärtige persönliche<br />
Ungeeignetheit des Bewerbers mehr zu ziehen sind. Feststehende<br />
Regeln, ab welchem Zeitpunkt dem Zeitablauf<br />
eine solche Wirkung zukommt, gibt es aber nicht. Entscheidend<br />
sind auch insoweit die Umstände des Einzelfalles<br />
(zum Ganzen Senatsbeschluß vom 10. März 1997 – NotZ<br />
22/96 – DNotZ 1997, 894, 899).<br />
b) Deutlich stärker als mit Fragen der persönlichen Eignung<br />
war der Bundesgerichtshof mit Fragen der fachlichen<br />
Eignung befaßt. Hier lag, ausgelöst durch das Änderungsgesetz<br />
vom 29. Januar 1991, einer der Schwerpunkte der<br />
Senatsrechtsprechung in den vergangenen Jahren. Gemeint<br />
sind die Entscheidungen zu den Anforderungen an die<br />
fachliche Eignung von Anwaltsnotaren und deren Bedeutung<br />
im Auswahlverfahren nach § 6 Abs. 3 BNotO.<br />
Die Streitigkeiten entzündeten sich vor allem am Tatbestandsmerkmal<br />
der „erfolgreichen Teilnahme an freiwilligen<br />
Vorbereitungskursen“ (§ 6 Abs. 3 Satz 2 BNotO), dem<br />
die Landesjustizverwaltungen im Rahmen des von ihnen<br />
entwickelten Punktesystems Rechnung getragen hatten. Der<br />
Bundesgerichtshof hat die damals noch bestehenden Spielräume<br />
sehr schnell deutlich verengt, indem er in seinem bekannten<br />
Beschluß vom 13. Dezember 1993 (BGHZ 124,<br />
327) entschieden hat: Ein von einer beruflichen Organisation<br />
veranstalteter freiwilliger Vorbereitungskurs für das<br />
Amt des Anwaltsnotars kann von der Landesjustizverwaltung<br />
zum Nachweis der fachlichen Eignung oder bei der<br />
Auswahl unter mehreren Bewerbern nur berücksichtigt werden,<br />
wenn er mit einer Kontrolle des Erfolgs verbunden ist.<br />
Damit war ein Weg beschritten, der zwangsläufig seine<br />
Eigengesetzlichkeiten entwickeln mußte. So hat der Bun-<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze<br />
desgerichtshof nicht nur die inhaltlichen Anforderungen an<br />
die Vorbereitungskurse näher umschrieben (Beschlüsse vom<br />
25. November 1996 – NotZ 46/95 – NJW-RR 1997, 948,<br />
949; vom 10. März 1997 – NotZ 21/96; vom 16. März 1998 –<br />
NotZ 15/97), sondern auch festgelegt, welchen Mindestinhalt<br />
die Bescheinigung der beruflichen Organisation über<br />
die Lehrgangsteilnahme haben muß (BGHZ 130, 356, 365).<br />
Außerdem hat er nachdrücklich darauf hingewiesen, daß jeder<br />
Teilnehmer seine Aufgaben selbst lösen muß, und zwar<br />
allein, nicht in Gruppenarbeit (Beschluß vom 22. März<br />
1999 – NotZ 2/99 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).<br />
Diese Rechtsprechung beruht auf einer stringenten, den<br />
Gesetzen der Logik verpflichteten Wortinterpretation unter<br />
Beachtung auch der systematischen Zusammenhänge. Dennoch<br />
habe ich Verständnis dafür, daß sie bei dem einen<br />
oder anderen real oder potentiell Betroffenen ein gewisses<br />
Unbehagen zurückläßt. Der Gesetzgeber wollte mit § 6<br />
Abs. 3 BNotO kein Verfahren einführen, das sich an ein<br />
„drittes Staatsexamen“ annähert (vgl. Senatsbeschluß vom<br />
16. März 1998 – NotZ 26/97 – NJW-RR 1998, 1598, 1599).<br />
Auch sollte man nicht aus dem Auge verlieren, daß es sich<br />
bei den Teilnehmern der Vorbereitungskurse um gestandene<br />
Anwälte mit jahrelanger Berufserfahrung handelt. Der Bundesgerichtshof<br />
hat versucht, die Härte des Kontrollsystems<br />
dadurch zu mildern, daß er entschieden hat, die Leistungskontrolle<br />
könne sich auf charakteristische Schwerpunkte<br />
der Lehrgänge beschränken und, soweit dadurch die Aussagekraft<br />
nicht beeinträchtigt werde, auch stichprobenartigen<br />
Charakter annehmen (BGHZ 130, 356, 365). Außerdem hat<br />
er in Übergangsfällen Vertrauensschutz gewährt und das<br />
Absehen von einer Erfolgskontrolle hingenommen (BGH<br />
aaO 366). Bedenken von Kritikern, denen die „ganze Richtung“<br />
nicht paßt, sind damit freilich nicht ausgeräumt.<br />
c) Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang betrifft<br />
die Frage, inwieweit die Entscheidung der Justizverwaltung<br />
über die Eignung eines Bewerbers und die Auswahl des<br />
besten unter mehreren Bewerbern der gerichtlichen Nachprüfung<br />
zugänglich ist, also das Problem der richterlichen<br />
Kontrolldichte. Insoweit hat die höchstrichterliche Rechtsprechung<br />
einen Entwicklungsprozeß durchgemacht.<br />
Im Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 1. Dezember<br />
1969 (BGHZ 53, 95, 98) hieß es allgemein, § 6 BNotO<br />
(a. F.) eröffne der Justizverwaltung kein Ermessen, sondern<br />
enthalte eine Generalklausel mit einem unbestimmten<br />
Rechtsbegriff, dessen Anwendung die Gerichte im Verfahren<br />
nach § 111 BNotO voll nachzuprüfen hätten. Dies hat<br />
der Bundesgerichtshof mit Beschluß vom 13. Dezember<br />
1993 (BGHZ 124, 327) mit Rücksicht auf die Neufassung<br />
des § 6 BNotO für das Auswahlverfahren ergänzt: Die vergleichende<br />
Beurteilung des Maßes der Eignung konkurrierender<br />
Bewerber durch die Landesjustizverwaltung sei von<br />
den Gerichten auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, inhaltlich<br />
aber nicht zu wiederholen; bei der Festlegung der<br />
das Maß der Eignung bestimmenden Merkmale und bei deren<br />
Gewichtung stehe der Landesjustizverwaltung ein nur<br />
eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Der<br />
Bundesgerichtshof hat darin keine Abweichung von seiner<br />
bisherigen Rechtsprechung gesehen, wonach der Justizverwaltung<br />
bei der Eignungsprüfung weder ein Ermessensnoch<br />
ein Beurteilungsspielraum zusteht. Dazu hat er ausgeführt:<br />
Die Eignung des Bewerbers sei Voraussetzung dafür,<br />
daß dieser überhaupt an dem Auswahlverfahren nach § 6<br />
Abs. 3 BNotO teilnehme; bei der Auswahlentscheidung<br />
gehe es dagegen darum, das verschiedene Maß der Eignung<br />
von Bewerbern, die allesamt dem Mindeststandard des § 6
AnwBl 1/2000 15<br />
Aufsätze l<br />
Abs. 1 Satz 1 BNotO genügten, vergleichend zu ermitteln;<br />
die höhere Komplexität der Auswahlentscheidung schließe<br />
eine gerichtliche Kontrolldichte, wie sie bei der Prüfung<br />
der Eignung als solcher möglich sei, aus (BGHZ 124, 327,<br />
331 f.). Danach gelten für die Intensität der richterlichen<br />
Nachprüfung unterschiedliche Maßstäbe, je nachdem, ob es<br />
um die Eignung der einzelnen Bewerber oder um die Auswahl<br />
unter mehreren geeigneten Bewerbern geht.<br />
Dieses Prüfungssystem hat der Bundesgerichtshof in seinem<br />
Beschluß vom 25. November 1996 (BGHZ 134, 137)<br />
in bezug auf die Beurteilung der persönlichen Eignung erneut<br />
fortentwickelt. Danach wohnt der Feststellung der persönlichen<br />
Eignung eines Bewerbers ein deutlich prognostisches<br />
Element inne. Hinsichtlich dieser Eignungsprognose<br />
steht der Landesjustizverwaltung ein Beurteilungsspielraum<br />
zu; die Gerichte sind insoweit auf die Kontrolle der Vertretbarkeit<br />
oder Plausibilität beschränkt. Damit hat der Senat<br />
die erforderliche Annäherung an die Rechtsprechung des<br />
Bundesverwaltungsgerichts zur Eignungsprüfung im Recht<br />
des öffentlichen Dienstes vollzogen. Die Zurücknahme der<br />
richterlichen Prüfungsintensität betrifft aber nur die Prognose<br />
als solche, nicht auch die sonstigen Elemente der<br />
Eignungsprüfung. Insoweit findet auch weiterhin eine volle<br />
gerichtliche Kontrolle statt. Das gilt für die Frage, ob die<br />
Justizverwaltung von einem zutreffenden Begriff der persönlichen<br />
Eignung ausgegangen ist, für die tatsächlichen<br />
Grundlagen der behördlichen Entscheidung sowie für die<br />
Zuordnung des Sachverhalts zur gesetzlichen Vorschrift.<br />
Letzteres betrifft z. B. die Prüfung, ob ein bestimmter Umstand<br />
überhaupt für die Eignung von Bedeutung ist.<br />
d) Lassen Sie mich die Ausführungen über den Zugang<br />
zum Notariat fortführen mit einigen Bemerkungen zur Bedeutung<br />
und Funktion der Bewerbungsfrist. Diese werden –<br />
wie das gesamte Auswahlverfahren – vom Gebot der Chancengleichheit<br />
beherrscht.<br />
Schon alsbald nach dem Inkrafttreten des § 6 Abs. 3<br />
BNotO im Jahre 1991 wurde die Frage streitig, ob Fortbildungsveranstaltungen,<br />
die ein Bewerber erst nach Ablauf<br />
der Bewerbungsfrist besucht hatte, noch bei der Auswahlentscheidung<br />
berücksichtigt werden könnten. Der Bundesgerichtshof<br />
hat dies in seinem Beschluß vom 25. April<br />
1995 (BGHZ 126, 39) verneint: die Sicherung der Chancengleichheit<br />
aller Bewerber um eine Anwaltsnotarstelle<br />
gebiete es, durch eine Stichtagsregelung für die vergleichende<br />
Bewertung der fachlichen Eignung einen Vergleichszeitraum<br />
festzusetzen, zu dem alle dafür maßgeblichen<br />
Leistungen erbracht sein müßten; ein geeigneter<br />
Stichtag sei das Ende der Bewerbungsfrist; er gewährleiste<br />
allen an der Auswahl beteiligten Stellen eine einheitliche,<br />
vollständige und unveränderbare Beurteilungsgrundlage sowie<br />
im Interesse einer geordneten Rechtspflege eine sachlich<br />
und zeitlich effektive Stellenbesetzung.<br />
Diese vor allem das sogenannte „Nachpunkten“ betreffenden<br />
Grundsätze hat der Bundesgerichtshof später auch<br />
auf den Nachweis der fachlichen Eignung nach § 6 Abs. 1<br />
BNotO angewandt (Beschluß vom 25. November 1996 –<br />
NotZ 1/96 – NJW-RR 1997, 696), nachdem er kurz zuvor<br />
entschieden hatte, die Bewerbungsfrist sei aus verfassungsrechtlichen<br />
Gründen als Ausschlußfrist zu gestalten (Beschluß<br />
vom 8. Mai 1995 – NotZ 27/94 – NJW 1995, 2359,<br />
2360). Für den Fall der Fristversäumung räumen die meisten<br />
der einschlägigen Justizverwaltungsvorschriften –<br />
rechtlich unbedenklich – die Möglichkeit der Wiedereinsetzung<br />
ein.<br />
In einer weiteren Entscheidung hat der Bundesgerichtshofs<br />
diese Rechtsprechungsgrundsätze dahin präzisiert, daß<br />
bei der Vorbereitung auf den Notarberuf gezeigte, bis zum<br />
Ablauf der Bewerbungsfrist bereits erbrachte Leistungen<br />
im Auswahlverfahren nur zu berücksichtigen seien, wenn<br />
der Bewerber der Justizverwaltung innerhalb der Bewerbungsfrist<br />
mitgeteilt habe, welche dieser Leistungen in die<br />
Bewertung einbezogen werden sollen (Beschluß vom 16.<br />
März 1998 – NotZ 13/97 – NJW-RR 1998, 1599). Ob der<br />
Gesetzgeber dieses Erfordernis in den neuen § 6 b Abs. 4<br />
Satz 1 BNotO übernommen hat, was nach dem Wortlaut der<br />
Vorschrift zweifelhaft sein könnte, wird noch zu klären sein<br />
(vgl. dazu BR-Drucks. 890/95, S. 20).<br />
Offen war bislang, ob und inwieweit bei der Frage der<br />
persönlichen Eignung des Bewerbers erst nach Erlaß des<br />
ablehnenden Bescheides der Justizverwaltung – im Laufe<br />
des gerichtlichen Verfahrens – eingetretene Umstände zugunsten<br />
des Bewerbers zu berücksichtigen sind (Beschluß<br />
vom 30. November 1989 – NotZ 24/89 – m. w. N.). Diese<br />
Frage hat der Bundesgerichtshof nunmehr dahin entschieden,<br />
daß auch für den Nachweis der persönlichen Eignung<br />
grundsätzlich der Ablauf der Bewerbungsfrist maßgebend<br />
ist, wobei selbstverständlich die persönliche Eignung auch<br />
noch im Zeitpunkt der Bestellung gegeben sein muß (Beschluß<br />
vom 22. März 1999 – NotZ 33/98 – ZNotP 1999,<br />
250).<br />
Insgesamt ist die höchstrichterliche Rechtsprechung zu<br />
diesen Fragen erkennbar von dem Bestreben getragen, die<br />
Voraussetzungen für den Zugang zum Notariat im Rahmen<br />
der den Gerichten zur Verfügung stehenden Gestaltungsmöglichkeiten<br />
ungeachtet sachlich gebotener Differenzierungen<br />
so klar und einfach wie möglich zu umschreiben.<br />
e) Wirksamen verfahrensrechtlichen Begleitschutz gewährt<br />
das Gesetz dem Bewerber, indem es ihm im Konkurrentenstreit<br />
die Möglichkeit eröffnet, durch Erwirkung einer<br />
einstweiligen Anordnung die alsbaldige Besetzung der<br />
umstrittenen Stelle mit einem anderen, von der Justizverwaltung<br />
bevorzugten Bewerber zu verhindern. Eine solche<br />
Anordnung kann sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als<br />
auch im Beschwerderechtszug beantragt und erlassen werden.<br />
Der vorläufige Rechtsschutz erleidet aber eine wichtige,<br />
von den Antragstellern oftmals nicht hinreichend bedachte<br />
Ausnahme: Weist das Oberlandesgericht den Antrag<br />
auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zurück, bevor es<br />
in der Hauptsache entscheidet, so ist dagegen eine Beschwerde<br />
nicht statthaft (BGH, Beschluß vom 14. April<br />
1994 – NotZ 1/94 – BGHR BNotO § 111 Abs. 4 Satz 2<br />
Anordnung, einstweilige 4 m. w. N.). Die vom Bundesgerichtshof<br />
in früheren Entscheidungen erwogenen Ausnahmen<br />
dürften weitgehend ohne reale Grundlage sein. Der<br />
Antragsteller kann diese Klippe auch nicht dadurch umgehen,<br />
daß er beim Bundesgerichtshof um vorläufigen Rechtsschutz<br />
nachsucht; denn ein solcher Antrag kann in zulässiger<br />
Weise erst gestellt werden, wenn die Hauptsache beim<br />
Bundesgerichtshof anhängig gemacht wird. Insoweit klafft<br />
also zwischen der Ablehnung der einstweiligen Anordnung<br />
durch das Oberlandesgericht und der Einlegung der Beschwerde<br />
gegen die erstinstanzliche Hauptsacheentscheidung<br />
eine Lücke im Rechtsschutz, die letztlich darauf beruht,<br />
daß der Antragsteller von Verfassungs wegen keinen<br />
Anspruch auf eine gesetzlich nicht vorgesehene zweite Instanz<br />
hat. In der Praxis wirkt sich dies regelmäßig deshalb<br />
nicht zum Nachteil des Antragstellers aus, weil die Justizverwaltungen<br />
sich scheuen, durch vorzeitige anderweitige<br />
Stellenbesetzung vollendete Tatsachen zu schaffen und das
16<br />
l<br />
Risiko eines Amtshaftungsprozesses einzugehen (vgl. dazu<br />
BGHZ 129, 226).<br />
3. In dem nun folgenden Abschnitt möchte ich Ihnen ein<br />
paar ausgewählte Fallgruppen aus dem Bereich der notariellen<br />
Amtsausübung vorstellen. Es handelt sich um Entscheidungen,<br />
die sich mit Fragen der Werbung, der Sozietätsbildung,<br />
der Ausübung von Nebentätigkeiten und der<br />
Vertreterbestellung befassen. Dabei bewegt man sich, sofern<br />
nicht schon das einfache Recht angemessene fertige<br />
Lösungen bietet, im Spannungsfeld der Art. 3, 12, 20 und<br />
33 GG. Es gibt allerdings auch Fälle, in denen dieser rechtliche<br />
Ansatz von vornherein überdimensioniert erscheint,<br />
in denen sich vielmehr die Frage stellt, ob es nicht besser<br />
wäre, sei es auch nur aus Solidarität mit der schweigenden<br />
Mehrheit der vielleicht kopfschüttelnden Kollegen, ganz<br />
schlicht die Spielregeln einzuhalten und den Stand nicht ins<br />
Gerede zu bringen.<br />
a) Was das sogenannte Logo-Verfahren angeht (BGH,<br />
Beschluß vom 24. Juni 1996 – NotZ 35/95 – NJW 1996,<br />
2733), ist auch dem Senat für Notarsachen des Bundesgerichtshofs<br />
nicht verborgen geblieben, daß die Benutzung<br />
eines Firmenlogos im Briefkopf und die farbige Gestaltung<br />
von Briefbögen die vorsorgende Rechtspflege nicht ins<br />
Wanken bringen. Der Richter muß aber auch bedenken, mit<br />
welchen Argumenten er künftigen Versuchen, die werbende<br />
Wirkung solcher und ähnlicher Maßnahmen zu verstärken,<br />
begegnen soll. In derartigen Fällen kann das „principiis<br />
obsta“ eine sinnvolle Reaktion sein. Das Bundesverfassungsgericht<br />
hat dies anders gesehen und den Individualinteressen<br />
der Beschwerdeführer zum Durchbruch verholfen,<br />
ohne freilich greifbare Abgrenzungskriterien zu liefern<br />
(NJW 1997, 2510). Die nächsten Fälle werden möglicherweise<br />
nicht lange auf sich warten lassen.<br />
Keine Probleme bereitete allerdings der Sachverhalt, der<br />
dem Senatsbeschluß vom 13. November 1998 (NotZ 29/98 –<br />
NJW 1999, 428) zugrunde lag. Danach ist es nicht zu beanstanden,<br />
daß ein Anwaltsnotar, der mit einem Rechtsanwalt<br />
soziiert ist, auf seinen geschäftlichen Briefbögen die Bezeichnung<br />
„Rechtsanwalts- und Notarkanzlei“ führt, wenn<br />
im Briefkopf zugleich deutlich herausgestellt wird, wer<br />
(Rechtsanwalt und) Notar und wer (nur) Rechtsanwalt ist.<br />
b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs<br />
(zuletzt Beschluß vom 24. Juni 1996 –<br />
NotZ 13/95 – DNotZ 1996, 913 m. w. N.), die auch die Billigung<br />
des Bundesverfassungsgerichts gefunden hatte<br />
(BVerfGE 54, 237; 80, 269, 280), war bekanntlich dem Anwaltsnotar<br />
die Verbindung mit einem Wirtschaftsprüfer zur<br />
gemeinsamen Berufsausübung untersagt. Daran sollte sich<br />
nach dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines<br />
Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung<br />
(BR-Drucks. 890/95) nichts ändern. Mit Beschluß<br />
vom 8. April 1998 (ZIP 1998, 1068) hat dann aber das<br />
Bundesverfassungsgericht während des Gesetzgebungsverfahrens<br />
seine Billigung zurückgezogen, seine Rechtsprechung<br />
geändert und die Sozietät von Anwaltsnotaren und<br />
Wirtschaftsprüfern unter bestimmten, hier nicht weiter zu<br />
erörternden Voraussetzungen für zulässig erklärt. Darauf<br />
hat der Gesetzgeber – Sie alle wissen es – mit der Neufassung<br />
(u. a.) des § 9 Abs. 2 BNotO reagiert.<br />
Ich möchte mich an dieser Stelle mit dem Beschluß des<br />
Bundesverfassungsgerichts nicht näher auseinandersetzen.<br />
Nur eine Bemerkung zur Methodik der Rechtsfindung: Man<br />
bildet Vergleichsgruppen, deren eines Element die Anwaltsnotare<br />
sind, erklärt die unterschiedliche rechtliche Behand-<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze<br />
lung – unter dem in Frage stehenden Aspekt – für unzulässig<br />
und erweitert so schrittweise den verfassungsrechtlich<br />
geschützten Bereich der notariellen Berufsausübung. Daß<br />
dieses Argumentationsmuster in mancherlei Richtung zur<br />
Nachahmung reizt, liegt auf der Hand. Dabei kann die Prüfung,<br />
ob die Ungleichbehandlung hinnehmbar erscheint,<br />
unversehens zum Einfallstor für rechtspolitische Vorstellungen<br />
werden.<br />
Wie es den Anwaltsnotaren künftig gelingen wird, sich<br />
in der Sozietät mit Wirtschaftsprüfern zu behaupten, d. h.<br />
die ihnen von Gesetzes wegen eigene Stellung eines unabhängigen<br />
Rechtspflegeorgans zu wahren, bleibt abzuwarten.<br />
Jedenfalls in Fällen von Sozietätsbildungen zwischen einem<br />
Anwaltsnotar und einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />
erscheint Skepsis angebracht. Die Landesjustizverwaltungen<br />
werden die innere Entwicklung solcher Sozietäten<br />
sorgfältig beobachten müssen, was nicht einfach sein<br />
wird. Die Anwaltsnotare sind mit dieser Rechtsentwicklung<br />
ein Stück weit aus dem Schutz herausgetreten, auf den sie<br />
kraft ihrer Stellung als unabhängige Träger eines öffentlichen<br />
Amtes den Aufsichtsbehörden und den Gerichten<br />
gegenüber Anspruch haben. Das Streben nach erweiterter<br />
individueller Entfaltung scheitert nun nicht mehr an der<br />
vielleicht nur abstrakten Gefährdung der Unabhängigkeit.<br />
Auch diejenigen, die dies als emanzipatorisches Phänomen<br />
empfinden, müssen sich der Erkenntnis stellen, daß das Klima<br />
ein Stück rauher geworden ist.<br />
Bei alledem sollten die Sozietätsprobleme der Nurnotare<br />
nicht vergessen werden. Der Versuch, eine Sozietät mit<br />
mehr als zwei zur hauptberuflichen Amtsausübung bestellten<br />
Notaren durchzusetzen, ist bisher an der Haltung der<br />
Aufsichtsbehörden und der ständigen Rechtsprechung des<br />
Bundesgerichtshofs gescheitert (zuletzt BGHZ 127, 83).<br />
Was insoweit die Neufassung des § 9 Abs. 1 BNotO bringen<br />
wird, bleibt abzuwarten.<br />
Eine Sozietät zwischen Nurnotaren und Angehörigen<br />
anderer Berufsgruppen, insbesondere Wirtschaftsprüfern,<br />
sieht das Dritte Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung<br />
nicht vor. Ob der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts<br />
vom 8. April 1998 (aaO) den Weg auch für derartige<br />
Verbindungen öffnet, erscheint fraglich. So heißt es in dem<br />
Beschluß: „Befürchtete der Gesetzgeber, daß einseitige Interessenwahrnehmung<br />
die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit<br />
des Notars in Frage stellte, wäre nicht nur ein Sozietätsverbot,<br />
sondern in erster Linie die Einführung des<br />
Nur-Notariats geboten.“ Das könnte dafür sprechen, daß<br />
das Bundesverfassungsgericht das bestehende Verbot von<br />
Sozietäten zwischen Nurnotaren und Angehörigen anderer<br />
Berufsgruppen als unbedenklich angesehen hat.<br />
c) Das Dritte Änderungsgesetz hat den Kreis der zulässigen<br />
„Nebentätigkeiten“ (im weiteren Sinne) neu zugeschnitten:<br />
Zwar bleibt es bei dem bisher schon geltenden,<br />
nunmehr ausdrücklich formulierten Grundsatz, daß der Notar<br />
keinen weiteren Beruf ausüben darf. Dem Anwaltsnotar<br />
ist jedoch kraft Gesetzes gestattet, zugleich den Beruf des<br />
Patentanwalts, Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers und vereidigten<br />
Buchprüfers auszuüben. Damit ist die frühere Rechtsprechung<br />
zu § 8 BNotO in diesen Punkten überholt (vgl.<br />
nur BGH, Beschluß vom 13. Juli 1992 – NotZ 9/91 –<br />
DNotZ 1993, 208). Ob sich dies auf das Verständnis des<br />
§ 8 BNotO im Ganzen auswirken wird, bleibt abzuwarten.<br />
Nach § 8 Abs. 1 BNotO darf der Notar nicht zugleich<br />
Inhaber eines besoldeten Amtes sein. Dazu gibt es in der<br />
neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine ein-
AnwBl 1/2000 17<br />
Aufsätze l<br />
schlägigen Entscheidungen. Verneint hat der Senat lediglich<br />
unter dem Gesichtspunkt des § 14 NotVO, wonach der<br />
Notar keine nebenberufliche Tätigkeit gegen Entgelt ausüben<br />
darf, einen Anspruch eines nach DDR-Recht ausgebildeten<br />
Diplom-Juristen, ihm zu gestatten, neben dem Notaramt<br />
den juristischen Vorbereitungsdienst mit dem Ziel der<br />
Ablegung des 2. Staatsexamens aufzunehmen (Beschluß<br />
vom 25. November 1996 – NotZ 9/96 – DNotZ 1997, 813).<br />
Eine weitere Entscheidung (Beschluß vom 20. Juli 1998 –<br />
NotZ 1/98 – NJW 1999, 499) betraf die einem Anwaltsnotar<br />
erteilte Genehmigung, ein Anstellungsverhältnis als Abteilungsleiter<br />
eines Ministeriums einzugehen. Abgesehen<br />
davon, daß es sich dabei wohl nicht um ein besoldetes Amt<br />
im Sinne des § 8 BNotO handelt, ging es in dieser Entscheidung<br />
um die Anfechtungsbefugnis der Notarkammer.<br />
In weiteren Entscheidungen hat sich der Bundesgerichtshof<br />
mit der Zulässigkeit bzw. Genehmigungsfähigkeit<br />
von Nebenbeschäftigungen im Sinne von § 8 Abs. 2 BNotO<br />
a. F. (jetzt Abs. 3) befaßt. Er hat es u. a. gebilligt, daß den<br />
jeweiligen Antragstellern die Genehmigung für eine Tätigkeit<br />
als Organ einer Gesellschaft, deren satzungsmäßiger<br />
Zweck Grundstücksgeschäfte umfaßte, als Vorstandsmitglied<br />
einer Wohnungsbaugenossenschaft und Mitgeschäftsführer<br />
einer Wohnungsbau-GmbH, aber auch als Geschäftsführer<br />
einer Steuerberatungs-GmbH versagt worden war<br />
(Beschlüsse vom 13. Dezember 1993 – NotZ 52/92 –<br />
DNotZ 1994, 336; vom 8. Mai 1995 – NotZ 28/94 – BGHR<br />
BNotO § 8 Abs. 2 Genehmigungsgrundsätze 2; vom 14.<br />
August 1989 – NotZ 12/88 – BGHR BNotO § 8 Abs. 2<br />
Steuerberatungs-GmbH 1). In dem zuletzt genannten Fall<br />
hat er sich an dieser Entscheidung nicht dadurch gehindert<br />
gesehen, daß dem Anwaltsnotar eine Tätigkeit als Steuerberater<br />
und die Sozietät mit einem solchen gestattet ist.<br />
Die dem Senatsbeschluß vom 22. März 1999 (NotZ 2/99 –<br />
ZNotP 1999, 332) zugrundeliegende Sache warf die Frage<br />
auf, ob ein Bewerber zum Anwaltsnotar bestellt werden<br />
könne, wenn und solange er auf der Grundlage eines<br />
Arbeitsvertrages eine hauptberufliche Lehrtätigkeit an einer<br />
kirchlichen Fachhochschule mit der Hälfte der Pflichtstundenzahl<br />
eines entsprechenden vollbeschäftigten hauptberuflich<br />
Lehrenden ausübt. Der Senat hat diese Nebentätigkeit<br />
angesichts ihres beschränkten Umfangs (im wesentlichen<br />
neun Wochenstunden an zwei Nachmittagen) als genehmigungsfähig<br />
angesehen und damit ein Bestellungshindernis<br />
verneint. Offengeblieben ist dabei, ob eine solche Lehrtätigkeit<br />
gemäß § 8 Abs. 4 BNotO genehmigungsfrei ist, was<br />
der Senat in Zweifel gezogen hat. Die Vorschrift erfaßt in<br />
den hier in Frage kommenden Tatbeständen vornehmlich<br />
Nebenbeschäftigungen, die der Notar alleinverantwortlich<br />
ausübt, wie das Verfassen von Aufsätzen oder die Tätigkeit<br />
als Autor oder Herausgeber wissenschaftlicher Werke oder<br />
eine freie Vortragstätigkeit ohne dauerndes Auftragsverhältnis.<br />
Sie sind von vornherein nicht geeignet, die Unabhängigkeit<br />
und Unparteilichkeit des Notars in Frage zu stellen.<br />
Bei einer Lehrtätigkeit in einem dauernden Beschäftigungsverhältnis<br />
zu einem Dienstberechtigten können die Dinge –<br />
vor allem mit Rücksicht auf den Umfang solcher Tätigkeiten<br />
und die etwaige Bindung an Weisungen – anders liegen.<br />
Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Zulässigkeit<br />
von „Nebentätigkeiten“ (im weiteren Sinne) wird insgesamt<br />
von dem Bestreben getragen, die Unabhängigkeit, Unparteilichkeit<br />
und Selbständigkeit des Notars zu wahren, die<br />
persönliche Amtsausübung zu gewährleisten und jeder nur<br />
denkbaren Gefährdung entgegenzutreten. Dazu hat der Senat<br />
immer wieder betont, es gelte, im Interesse einer geord-<br />
neten vorsorgenden Rechtspflege und damit im Interesse<br />
des Gemeinwohls nicht erst konkreten, sondern bereits<br />
möglichen Gefährdungen des Leitbildes des Notars vorzubeugen<br />
und deshalb schon dem mit einer bestimmten<br />
Nebentätigkeit verbundenen Anschein einer Gefährdung<br />
der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Notars zu begegnen<br />
(Beschluß vom 8. Mai 1995 aaO m. w. N.). Diese<br />
Gesichtspunkte sind auch in die neue Vorschrift des § 8<br />
Abs. 3 Satz 2 BNotO eingeflossen.<br />
d) Fragen der Vertreterbestellung sind immer wieder<br />
Gegenstand oft erbitterter Streitigkeiten zwischen Notaren<br />
und Justizverwaltung, wenn auch die Zahl der Notare, die<br />
solche Verfahren bis zum Bundesgerichtshof durchfechten,<br />
inzwischen stark reduziert zu sein scheint.<br />
Die Justizverwaltung hat über die Bestellung eines zeitweiligen<br />
oder ständigen Vertreters nach pflichtgemäßem Ermessen<br />
zu entscheiden. Sie muß sich dabei vor allem von<br />
den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege leiten<br />
lassen und den Grundsatz der persönlichen Amtsausübung<br />
beachten. Im Rahmen ihres Entschließungsermessens hat<br />
sie zu entscheiden, ob bei Verhinderung eines Notars überhaupt<br />
Maßnahmen getroffen werden sollen. Bejaht sie dies,<br />
so muß sie im Rahmen ihres Auswahlermessens unter Beachtung<br />
des Vorschlagsrechts des Notars darüber befinden,<br />
welche der ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergriffen<br />
werden sollen. Dabei dient die Vertreterbestellung<br />
jedenfalls nicht in erster Linie den wirtschaftlichen Interessen<br />
des Notars. Er hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf,<br />
einen Vertreter gestellt zu bekommen. Eine Verhinderung<br />
des Notars führt deshalb nicht notwendig dazu, daß<br />
ihm ein Vertreter bestellt werden muß, wenngleich es<br />
grundsätzlich wünschenswert ist, daß der Amtsbetrieb<br />
keine Unterbrechung erleidet (BGH, Beschlüsse vom 9. Januar<br />
1995 – NotZ 6/93 – BGHR BNotO § 39 Abs. 1 Vertreter<br />
1 und vom 10. März 1997 – NotZ 39/96 – DNotZ 1997,<br />
827, jeweils m. w. N.).<br />
Nach diesen Grundsätzen hat der Bundesgerichtshof es<br />
gebilligt, daß die Justizverwaltung einem Anwaltsnotar die<br />
Bestellung eines ständigen Vertreters wegen Verhinderung<br />
des Amtsinhabers durch umfangreiche ehrenamtliche Tätigkeiten<br />
im Bereich des Sports versagt hat (Beschluß vom<br />
10. März 1997 aaO). Dem lag eine Verwaltungspraxis zugrunde,<br />
nach der sich die Bestellung ständiger Vertreter<br />
grundsätzlich auf Fälle beschränkte, in denen Notare Abgeordnetenmandate<br />
oder Funktionen in Standesorganisationen<br />
oder vergleichbare Stellungen im öffentlichen Leben wahrnahmen.<br />
Der Senat hat die Wertung der Justizverwaltung,<br />
bei den vom Beschwerdeführer ausgeübten Ehrenämtern im<br />
Bereich des Sports handele es sich nicht um „öffentliche“<br />
Ehrenämter in dem erwähnten Sinne, nicht beanstandet.<br />
In einem Fall aus dem Bereich der neuen Bundesländer<br />
hat der Bundesgerichtshof eine Verwaltungspraxis gebilligt,<br />
nach der vorrangig nur Notare, Notarassessoren, Notaranwärter<br />
und Richter a. D. zu Vertretern bestellt wurden (Beschluß<br />
vom 9. Januar 1995 – NotZ 6/93 – DNotZ 1996,<br />
186). Diese Handhabung ließ sich damit rechtfertigen, daß<br />
die berufliche Stellung der genannten Personen dem „Leitbild“<br />
des hauptberuflichen Notars entsprach. Der Senat hat<br />
aber einschränkend hinzugefügt, dies sei „unter den besonderen<br />
Verhältnissen in den neuen Bundesländern“ nicht zu<br />
beanstanden. Vom Grundsatz her hat der Senat keine Bedenken<br />
dagegen, daß zum Vertreter eines Nurnotars auch<br />
ein Rechtsanwalt bestellt werden kann (aaO).
18<br />
l<br />
Dem steht nicht entgegen, daß der Bundesgerichtshof<br />
die ablehnende Entscheidung der Justizverwaltung, einen<br />
Rechtsassessor zum Notarvertreter zu bestellen, hingenommen<br />
hat. Die Ablehnung beruhte darauf, daß nach der Begründung<br />
des Bescheides die nachgewiesenen Tätigkeiten<br />
des Assessors nicht ausreichten, um die Annahme zu rechtfertigen,<br />
er verfüge über die hinreichende Befähigung für<br />
das Amt des Notars (Beschluß vom 25. November 1996 –<br />
NotZ 1/96).<br />
Nicht beanstandet hat der Senat schließlich einen Bescheid<br />
der Justizverwaltung, der – ebenfalls in den neuen<br />
Ländern – die Bestellung der angestellten Ehefrau des Notars<br />
zu seiner zeitweiligen Vertreterin abgelehnt hatte. Der<br />
Bestellung stand schon entgegen, daß die Ehefrau „nur“ die<br />
Befähigung zum Richteramt hatte, ohne damit den Anforderungen<br />
an das „Leitbild“ des hauptberuflichen Notars in<br />
dem erörterten Sinne zu entsprechen. Zusätzlich hat der<br />
Senat darauf hingewiesen, es müsse schon der Schein vermieden<br />
werden, der Notar könne trotz eigener Verhinderung<br />
aufgrund seiner Weisungsbefugnis aus dem Arbeitsverhältnis<br />
Einfluß auf die Amtsführung seines Vertreters<br />
nehmen. Dies schade dem Vertrauen in die Unabhängigkeit<br />
des Notaramtes, dessen Wahrung auch dem Notarvertreter<br />
obliege (Beschluß vom 9. Januar 1995 – NotZ 35/93 –<br />
DNotZ 1996, 203).<br />
4. Beendigung des Amtsverhältnisses<br />
Die aus der Sicht des Richters unerfreulichsten Fälle aus<br />
dem Bereich des notariellen Berufsrechts haben die Amtsenthebung<br />
im Notarverwaltungsverfahren und die Entfernung<br />
aus dem Amt im förmlichen Disziplinarverfahren<br />
zum Gegenstand.<br />
Ein Teil der Entscheidungen aus neuerer Zeit betraf Fallgestaltungen<br />
im Zusammenhang mit § 6 des Gesetzes zur<br />
Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen<br />
und Berufungen ehrenamtlicher Richter (RNPG). Darauf ist<br />
an dieser Stelle, wie bereits erwähnt, nicht näher einzugehen.<br />
Aussparen möchte ich hier auch die Fälle, in denen ein<br />
Notar nach § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO, also insbesondere<br />
wegen Geistesschwäche, seines Amtes zu entheben ist.<br />
Insoweit liegt die Problematik oft weniger im rechtlichen,<br />
als im tatsächlichen und menschlichen Bereich.<br />
In leider nicht ganz seltenen Fällen werden die Gerichte<br />
mit Amtsenthebungen nach § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO befaßt.<br />
Danach ist der Notar seines Amtes zu entheben, wenn<br />
seine wirtschaftlichen Verhältnisse oder die Art seiner<br />
Wirtschaftsführung die Interessen der Rechtsuchenden gefährden.<br />
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt<br />
keine der beiden Alternativen voraus, daß der Notar vermögenslos<br />
oder überschuldet ist. Die Amtsenthebung kann<br />
gerechtfertigt sein, wenn Zahlungsansprüche in erheblicher<br />
Größenordnung gegen den Notar bestehen oder gerichtlich<br />
anhängig sind, zahlreiche Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse<br />
gegen ihn erlassen, fruchtlose Pfändungsversuche<br />
unternommen, Verfahren zur Abgabe der eidesstattlichen<br />
Versicherung in die Wege geleitet sowie Haftbefehle<br />
zur Erzwingung dieser Versicherung gegen ihn erlassen<br />
worden sind (Beschluß vom 12. Oktober 1990 – NotZ 21/89 –<br />
BGHR BNotO § 50 Abs. 1 Nr. 7 Interessengefährdung 1).<br />
Die Wirtschaftsführung des Notars gefährdet die Interessen<br />
der Rechtsuchenden insbesondere dann, wenn die Art<br />
der Behandlung fremder Gelder erhebliche Bedenken gegen<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze<br />
seine Zuverlässigkeit begründet. Das ist regelmäßig der<br />
Fall, wenn der Notar über Treuhandgelder verfügt, bevor<br />
die vertraglich vereinbarten Bedingungen dafür vorliegen.<br />
Dabei setzt der Tatbestand der Gefährdung der Interessen<br />
der Rechtsuchenden durch die Art der Wirtschaftsführung<br />
– anders als die erste Alternative des § 50 Abs. 1 Nr. 8<br />
BNotO – nicht voraus, daß der Notar sich in schlechten<br />
wirtschaftlichen Verhältnissen befindet (BGH, Beschluß<br />
vom 16. März 1998 – NotZ 14/97 – DNotZ 1999, 170).<br />
Der endgültigen Amtsenthebung geht häufig die vorläufige<br />
Amtsenthebung durch die Aufsichtsbehörde nach § 54<br />
Abs. 1 BNotO voraus. Das in diesen Fällen angerufene Gericht<br />
kann sich zwar mit einer summarischen Würdigung<br />
des Sachverhalts begnügen, es muß dabei aber die besonderen<br />
sachlichen Voraussetzungen eines vorläufigen Berufsverbots<br />
beachten (vgl. BVerfGE 44, 105; 48, 292; zuletzt<br />
Senatsbeschluß vom 20. Juli 1998 – NotZ 2/98 – DNotZ<br />
1999, 350).<br />
In Disziplinarsachen hebt der Bundesgerichtshof in ständiger<br />
Rechtsprechung hervor, daß ein Notar jedenfalls<br />
dann, wenn er sich der wiederholten Falschbeurkundung im<br />
Amt schuldig gemacht hat, grundsätzlich auf Dauer ungeeignet<br />
ist, den Notarberuf auszuüben (zuletzt Beschluß vom<br />
11. März 1997 – NotSt [Brfg] 1/96). Wiederholt hat der<br />
Senat aber in jüngster Zeit in Abweichung von diesem<br />
Grundsatz mit Rücksicht auf die besonderen Umstände des<br />
Einzelfalles auf eine mildere Maßnahme erkannt.<br />
Damit will ich meine Ausführungen zu diesem dunkelsten<br />
Kapitel der berufsrechtlichen Rechtsprechung schließen,<br />
zumal ich nicht in den Verdacht geraten möchte, einen<br />
Zuhörerkreis, dem die Lauterkeit des eigenen Berufsstandes<br />
mehr als alles andere am Herzen liegt, durch überflüssige<br />
Drohungen zu ängstigen.<br />
Der Gesichtspunkt der Lauterkeit ermöglicht mir zwanglos<br />
den Übergang zum letzten Gliederungspunkt meines<br />
Referats, nämlich zu einigen<br />
III.<br />
Bemerkungen zum notariellen Berufsbild:<br />
Mir ist natürlich bekannt, daß das Thema „Berufsbild“<br />
in jüngster Zeit Gegenstand ausgiebiger und zum Teil leidenschaftlich<br />
geführter Diskussionen war. Es kann nicht<br />
meine Aufgabe sein, hier einen weiteren, vielleicht gar<br />
rechtspolitisch motivierten Beitrag zu dieser Debatte zu leisten.<br />
Ich beschränke mich deshalb, distanziert, gelassen und<br />
mit richterlicher Zurückhaltung, auf ein paar Bemerkungen<br />
zum geltenden Recht einschließlich eines Ausblicks auf<br />
mögliche Konsequenzen einer etwaigen Neuorientierung.<br />
Wer das Grundgesetz aufmerksam liest, muß feststellen,<br />
daß es das Berufsbild der Notare vollständig vernachlässigt;<br />
nicht ein einziger Artikel befaßt sich mit diesem Thema.<br />
So sind wir auf das sogenannte einfache Recht zurückgeworfen,<br />
vorrangig also auf die Bundesnotarordnung.<br />
Dieser liegt ein Berufsbild zugrunde, das durch den Status<br />
und die Aufgaben des Notars geprägt ist. Als unabhängiger<br />
Träger eines öffentlichen Amtes und als unabhängiger<br />
und unparteiischer Betreuer der Beteiligten steht er im<br />
Spannungsfeld zwischen Berufsfreiheit und staatlicher Gebundenheit,<br />
ist also weder Beamter im beamtenrechtlichen<br />
Sinne noch Freiberufler. Dies ist eine der Selbstverständlichkeiten,<br />
die gelegentlich in Vergessenheit zu geraten<br />
scheinen und deshalb hin und wieder ausgesprochen werden<br />
müssen. Demgemäß hat sich der Senat für Notarsachen des
AnwBl 1/2000 19<br />
Aufsätze l<br />
Bundesgerichtshofs stets bemüht, bei der richterrechtlichen<br />
Ausprägung des notariellen Berufsrechts die einschlägigen<br />
Verfassungsrechtssätze – also Art. 20 und 33 GG auf der einen<br />
und Art. 3 und 12 GG auf der anderen Seite – in ihren<br />
konkreten Auswirkungen in ein angemessenes Verhältnis<br />
zueinander zu bringen. Daß dies nur ein Spannungsverhältnis<br />
mit mehr oder weniger breiten Bewertungsspielräumen<br />
sein kann, liegt in der Natur der Sache. Meinungsverschiedenheiten<br />
können dann aber, will man nicht das System als<br />
solches sprengen, nur in Gestalt mehr oder weniger gravierender<br />
Akzentuierungen auftreten.<br />
Der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt weiter<br />
die Annahme zugrunde, daß Status und Aufgaben des Anwaltsnotars<br />
sich von Status und Aufgaben des Nurnotars<br />
nicht unterscheiden, der Notar in seiner Eigenschaft als Träger<br />
eines öffentlichen Amtes also nicht dadurch zum „Freiberufler“<br />
wird, daß er auch den Beruf eines Rechtsanwalts<br />
ausübt. Der Senat hat allerdings gelegentlich das „Leitbild“<br />
des Anwaltsnotars dem „Leitbild“ des Nurnotars gegenübergestellt<br />
(Beschluß vom 9. Mai 1995 – NotZ 6/93 –<br />
BGHR BNotO § 39 Abs. 1 Vertreter 1); er wäre aber sehr<br />
überrascht, wenn man ihm unterstellen würde, er habe damit<br />
die Einheitlichkeit des notariellen Berufsbildes in Zweifel<br />
ziehen wollen. Heute, mit geschärftem Problembewußtsein,<br />
würde er freilich eine andere Ausdrucksweise wählen.<br />
Das Bundesverfassungsgericht – Sie alle wissen es – hat<br />
in seinem Sozietätenbeschluß bemerkt, es sei „kaum möglich,<br />
von einem einheitlichen Berufsbild des Notars auszugehen“.<br />
Wie soll man als Notar oder Richter diese Bemerkung<br />
einordnen? Um eine verfassungsrechtliche<br />
Würdigung kann es sich nicht handeln; denn das Grundgesetz<br />
verbietet ersichtlich nicht die Annahme eines einheitlichen<br />
Berufsbildes. Als unverbindliche rechtspolitische Zielsetzung<br />
wäre eine solche Bemerkung in einer Entscheidung<br />
des höchsten deutschen Gerichts ein Fremdkörper; das soll<br />
ihm nicht unterstellt werden. Dann bleibt wohl nur die<br />
Möglichkeit, jenen Satz als vor dem Hintergrund des einfachen<br />
Rechts unternommenen Versuch der schlagwortartigen<br />
Skizzierung eines Tatbestandes zu begreifen. Insoweit<br />
möchte ich auf die eigene Bewertung des Bundesverfassungsgerichts<br />
verweisen, wonach seine Bemerkung zum<br />
Berufsbild des Notars in dem von ihm erörterten Zusammenhang<br />
„keiner Vertiefung“ bedarf.<br />
Der Senat für Notarsachen des Bundesgerichtshofs hat<br />
sich jedenfalls bisher nicht veranlaßt gesehen, im Hinblick<br />
auf die erwähnte Äußerung des Bundesverfassungsgerichts<br />
seine Rechtsprechung, soweit ihr die Vorstellung eines einheitlichen<br />
notariellen Berufsbildes zugrunde liegt, zu<br />
ändern. Das Streben des mit dem notariellen Berufsrecht<br />
befaßten Richters muß vielmehr auch künftig auf der<br />
Grundlage der geltenden Bundesnotarordnung der Tendenz<br />
nach der Einheitlichkeit des Berufsbildes verpflichtet sein.<br />
Gleichwohl erfordert es der Stand der Diskussion, daß<br />
die Frage offen gestellt wird, ob die Einheitlichkeit des Berufsbildes<br />
einen Wert darstellt, den es weiterhin zu bewahren<br />
gilt. Welche Konsequenzen würden sich aus einer Aufgabe<br />
des einheitlichen Berufsbildes ergeben? Man braucht<br />
kein Hellseher zu sein, um prognostizieren zu können, daß<br />
sich das Anwaltsnotariat dann aller Voraussicht nach in<br />
Richtung auf ein Dienstleistungsgewerbe entwickeln würde.<br />
Damit könnten sich den Anwaltsnotaren zusätzliche Freiräume<br />
im Zuge ihrer Berufsausübung eröffnen, die allerdings<br />
bei vermehrter Teilnahme am Wirtschaftsleben mutmaßlich<br />
mit Beeinträchtigungen der Unabhängigkeit erkauft<br />
werden müßten. Auch ließen sich die Anforderungen an die<br />
Integrität der Amtsinhaber und an die Lauterkeit der Amtsausübung,<br />
die sich aus der engen Bindung der Notare an die<br />
rechtsstaatliche Ordnung ergeben und die heute für das hohe<br />
Ansehen des Notarstandes konstitutiv sein dürften, dann<br />
schwerlich im bisherigen Umfang aufrechterhalten.<br />
Eine solche Entwicklung könnte langfristig auch die<br />
Struktur des Nurnotariats beeinflussen und die Einheitlichkeit<br />
des Berufsbildes auf anderer Ebene und mit anderen<br />
Inhalten als bisher wiederherstellen. Die aus derzeitiger<br />
Sicht näherliegende Schlußfolgerung wäre aber wohl die<br />
strukturelle Trennung von Anwalts- und Nurnotariat, die in<br />
letzter Konsequenz auch die Gemeinsamkeit der Standesorganisationen<br />
in Frage stellen würde. Ob dies alles im<br />
Interesse der Sache wünschenswert wäre, bedarf in voller<br />
Verantwortung für die den Notaren als gemeinsame Aufgabe<br />
anvertraute vorsorgende Rechtspflege einer sorgfältigen,<br />
alle Vor- und Nachteile einer etwaigen Spaltung abwägenden<br />
Prüfung. Sollte insoweit letztlich nicht doch in Abwandlung<br />
des Schiller-Wortes der Satz gelten: Vereint sind<br />
die Starken noch mächtiger?<br />
Die Vergütung des Anwalts<br />
in Fällen vorzeitiger<br />
Kündigung des Mandats<br />
Vors. Richter am LG Fritz Mugler, München<br />
Vorbemerkung:<br />
Das Klima in den rechtlichen Beziehungen zwischen<br />
Anwalt und Mandanten wird von Jahr zu Jahr rauher. Die<br />
Mandanten nehmen die Tätigkeit des Anwalts nicht mehr<br />
als grundsätzlich richtige Entscheidung des Fachmanns hin,<br />
der man sich zu fügen habe, sondern neigen oft dazu, ihn<br />
als weisungsgebundenen Befehlsempfänger zu behandeln.<br />
Vorzeitige Mandatsbeendigungen und Streitigkeiten bezüglich<br />
der Vergütung nehmen erheblich zu. Die folgenden<br />
Ausführungen sollen die rechtlichen Konsequenzen von<br />
vorzeitigen Beendigungen klarstellen.<br />
I.<br />
Die vertraglichen Beziehungen zwischen Anwalt und<br />
Mandanten unterliegen im Normalfall den Vorschriften des<br />
Dienstvertragsrechts. Nur ausnahmsweise ist der Anwaltsvertrag<br />
Werkvertragsrecht, soweit der Anwalt eine konkrete,<br />
einer Erfolgsgarantie zugängliche Leistung schuldet wie<br />
z. B. die Erstattung eines Gutachtens oder die Formulierung<br />
eines Vertrags. 1 In diesen Sonderfällen greifen weder die<br />
Kündigungsmöglichkeiten der §§ 626, 627 BGB noch die<br />
Rechtsfolgen des § 628 BGB ein. Das bedeutet, daß nur<br />
der Mandant das einseitige sogenannte jederzeitige Kündigungsrecht<br />
des § <strong>64</strong>9 hat, nicht jedoch der Anwalt 2 . Auch<br />
beim Werkvertrag gibt es jedoch nach h. M. die außeror-<br />
1 Staudinger-Peters, 13. Aufl., Vorbemerkung zu § 631 ff., Rdnr. 27.<br />
2 Zur Problematik, ob die „Kündigung des § <strong>64</strong>9 BGB nicht in Wirklichkeit lediglich<br />
ein „Verzicht auf die Weiterbearbeitung“ im Rahmen des Weisungsrechts<br />
ist, vgl. Mugler in BB 93, 1460/1461.
20<br />
l<br />
dentliche Kündigung mit entsprechenden Konsequenzen für<br />
die Vergütungsforderung des beauftragten „Unternehmers.“ 3<br />
II.<br />
Überwiegend im beruflichen Alltag des Rechtsanwalts<br />
sind jedoch die Mandate, in denen sich die Frage der Beendigung<br />
und der Vergütung des Anwalts nach den Grundsätzen<br />
des Dienstvertragsrechts richtet. Auf diese Fälle ist<br />
hier deshalb näher einzugehen, weil sich hier zum Nachteil<br />
der Rechtsanwälte teilweise in der Literatur und in der<br />
Rechtsprechung eine äußerst bedenkliche Rechtsauffassung<br />
gebildet hat, die erstaunlicherweise nie in Zweifel gezogen<br />
wurde, obwohl dazu sicher öfters Anlaß gewesen wäre für<br />
die durch diese Rechtsauffassung benachteiligten Anwälte.<br />
III.<br />
Vorauszuschicken ist, daß es im Dienstvertragsrecht die<br />
Besonderheit gibt, daß die Ausübung des Gestaltungsrechts<br />
„Kündigung“ die Geltendmachung gerade des Schadens<br />
nicht ausschließt, der dadurch entstanden ist, daß man<br />
selbst gekündigt hat. Das trifft bei § 628 Abs. 2 BGB zu,<br />
der in den Fällen der außerordentlichen Kündigungen der<br />
§§ 626 und 627 eingreift. Daneben gibt es die weitere gesetzlich<br />
geregelte Sondervorschrift, daß der Gesetzgeber einem<br />
Vertragspartner ausdrücklich die Ausübung des Gestaltungsrechts<br />
einräumt, gleichzeitig je nach den zeitlichen<br />
Umständen diesen jedoch schadenersatzpflichtig macht,<br />
wenn er dieses Gestaltungsrecht „zur Unzeit“ ausübt<br />
(§ 627 Abs. 2 Satz 2 BGB). Daß die Tätigkeiten des Anwalts<br />
Dienste höherer Art im Sinn des § 627 BGB sind, ist<br />
zu Recht völlig unstreitig. 4<br />
Da beide Schadensersatzpflichten genau genommen gesetzlich<br />
geregelte Fälle der Schadensersatzpflicht in Fällen<br />
positiver Forderungsverletzung (im Falle des § 627 Abs. 1<br />
BGB hinsichtlich einer Nebenpflicht, im Fall des § 628<br />
Abs. 2 BGB hinsichtlich einer Neben- oder Hauptpflicht)<br />
darstellen, sind diese Vorschriften zu Recht als billige Lösungen<br />
auch akzeptiert worden und werden von Rechtsanwälten<br />
auch bei der Entscheidung, ob das Mandat niedergelegt<br />
werden kann und soll, berücksichtigt.<br />
IV.<br />
Von der Schadensersatzpflicht zu trennen ist jedoch die<br />
Frage, ob der eigene Vergütungsanspruch durch die vorzeitige<br />
Kündigung entfällt.<br />
Selbstverständlich entfällt grundsätzlich im Dienstvertragsrecht<br />
der Teil der Vergütung für die Tätigkeit, die noch<br />
nicht erbracht wurde. Genau genommen setzt § 628 Abs. 1<br />
Satz 1 BGB dies für die außerordentlichen Kündigungen<br />
der §§ 626 und 627 BGB als selbstverständlich voraus und<br />
zieht deshalb nur die Konsequenzen für den Fall eines unabhängig<br />
vom Zeitaufwand und Erfolg vereinbarten Entgelts.<br />
Gerade bei Anwälten ergibt sich jedoch im Hinblick<br />
auf die gesetzlich geregelten Kriterien ihrer (d. h. also nicht<br />
in der Höhe vertraglich vereinbarten) Vergütung, daß sie oft<br />
die gleich hohen Gebühren geltend machen können in den<br />
Fällen der vorzeitigen Mandatsbeendigung wie im Falle der<br />
Vertretung des Mandanten bis zur Beendigung des Auftrags.<br />
§ 13 Abs. 4 BRAGO stellt diese Konsequenz höchst vorsorglich<br />
noch einmal klar. Vorzeitige Beendigung des Mandats<br />
bedeutet jedoch für den Auftraggeber sehr häufig, daß<br />
er nunmehr einen anderen Anwalt beauftragen muß. Damit<br />
aber gerät der zuerst mandatierte Anwalt nach einer bis jetzt<br />
teilweise in der Literatur und in der Rechtsprechung kritiklos<br />
übernommenen Rechtsauffassung in die Gefahr, seinen<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze<br />
Anspruch auf Vergütung deshalb völlig zu verlieren, weil<br />
wegen der Vergütungsansprüche des nach ihm beauftragten<br />
zweiten Anwalts seine bisherige Tätigkeit dann, wenn bei<br />
diesem die gleichen Gebühren noch einmal entstehen, im<br />
Sinne des § 628 Absatz 1 Satz 2 BGB für den Mandanten<br />
„kein Interesse“ hätte. 5<br />
Soweit diese Rechtsauffassung, d. h. das fehlende Interesse<br />
näher begründet wird, sieht man es darin, daß der<br />
Auftraggeber die bisherigen Leistungen „nicht mehr wirtschaftlich<br />
verwerten könne“ 6 bzw. die Leistungen für den<br />
Auftraggeber „nutzlos geworden seien“. 7<br />
Insoweit vermengt diese Theorie in unzulässiger Weise<br />
die Frage, ob weitere Kosten dem Auftraggeber nach der<br />
Kündigung erwachsen, mit dem allein in § 628 Abs. 1 Satz<br />
2 BGB geregelten Sonderfall, daß die nur teilweise erbrachten<br />
Dienste dem Auftraggeber nichts genutzt haben. Für die<br />
weiteren Kosten gibt unser Rechtssystem die Rechtsfigur<br />
des Schadensersatzanspruches, wie er z. B. in den Fällen<br />
der §§ 627 Abs. 2 Satz 2 und 628 Abs. 2 BGB geregelt ist.<br />
Im übrigen ist die obige Rechtsauffassung jedoch eine unzulässige<br />
Abqualifizierung der Tätigkeit eines Anwalts, die<br />
nicht schon deshalb nutzlos geworden ist, weil ein später<br />
eingeschalteter zweiter Anwalt im Hinblick auf die Besonderheiten<br />
der gesetzlich geregelten Höhe der Gebühren oft<br />
einen gleich hohen Vergütungsanspruch hat.<br />
V.<br />
Bei den von § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB erfaßten Fällen<br />
muß man für die Lösung des Problems noch einen in diese<br />
Regelung mit aufgenommenen Sonderfall herausnehmen.<br />
Eine Vergütungspflicht entfällt nämlich u. a. auch dann,<br />
wenn der Dienstverpflichtete als Vertragspartei sich „vertragswidrig<br />
verhält“ und die andere Vertragspartei, d. h.<br />
also im konkreten Fall der Mandant, dem Anwalt kündigt.<br />
Insoweit ist die Regelung unbedenklich, aber gleichzeitig<br />
auch völlig überflüssig. Auch ohne diese Vorschrift würde<br />
nämlich über die Schadensersatzpflicht des § 628 Abs. 2<br />
BGB wegen der Notwendigkeit der Einschaltung eines neuen<br />
Anwalts die Vergütung entfallen.<br />
Problematisch bleiben nur die Fälle, in denen dem Anwalt<br />
gekündigt wird, ohne daß dieser sich vertragswidrig<br />
verhalten hat, oder er selbst kündigt, ohne daß sein Mandant<br />
sich vertragswidrig verhalten hat.<br />
VI.<br />
Zu welch abwegigen Ergebnissen in den verbleibenden<br />
Fällen diese Rechtsauffassung kommen muß, läßt sich besonders<br />
gut an den zwei Sachverhalten nachweisen, die der<br />
Verfasser dieses Aufsatzes in letzter Zeit in seiner Tätigkeit<br />
als Vorsitzender einer Zivilkammer eines Landgerichts zu<br />
entscheiden hatte.<br />
3 Zur Abgrenzung zwischen Kündigung und Rücktritt, vgl. Mugler a.a.O. 1462.<br />
4 Schwerdtner im Münchner Kommentar, 3. Aufl., § 627, Rdnr. 8.<br />
5 So. z. B. Fraunholz in Riedel-Süßbauer, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte,<br />
7. Auflage, § 13, Rdnr. 46 und 49; Madert in Gerold/Schmidt, Bundesgebührenordnung<br />
für Rechtsanwälte, 13. Auflage, § 13, Rdnr. 62; Pabst in<br />
MDR 1978, 449/451; Putzo in Palandt, 57. Aufl., § 628, Rdnr. 4; OLG Hamburg<br />
MDR 81, 767/768; BGH NJW 82, 437/438 sowie BGH NJW 85, 41 (abgedruckt<br />
nur bezüglich eines Leitsatzes zu einem anderen Problem auch in BB<br />
73, 1973), Zu Unrecht wird z. T. auch das OLG München in MDR 74, 753 zitiert;<br />
diese Entscheidung betraf ein ganz anderes Problem im Rahmen des<br />
§ 628 BGB.<br />
6 BGH NJW 82, 437/438; OLG Hamburg a.a.O. (Fußnote 5).<br />
7 BGH NJW 85, 41; Staudinger-Preis, 13. Aufl., § 628 Rdnr. 27.
AnwBl 1/2000 21<br />
Aufsätze l<br />
So ging es einmal um einen Anwalt, der für einen Mandanten<br />
gegen einen Arzt einen der von der Anwaltschaft zu<br />
Recht gefürchteten Arzthaftungsprozesse einleiten sollte,<br />
über ein Jahr las er sich in die Fachliteratur ein, um die Erfolgsaussichten<br />
abklären zu können. Sein Mandant wurde<br />
wegen der drohenden Verjährung immer ungeduldiger und<br />
entzog dem Anwalt dann das Mandat. Mit dem praktisch<br />
nur noch zu unterschreibenden, d. h. fast fertigen Klageentwurf<br />
des ersten Anwalts ging dann der zweite Anwalt mit<br />
Erfolg vor Gericht. Einen eigenen Entwurf hätte der zweite<br />
in den wenigen Tagen bis zum Eintritt der Verjährung gar<br />
nicht mehr geschafft. Und diese Tätigkeit soll im Sinn<br />
von § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB „ohne Interesse“ nur deshalb<br />
sein, weil der zweite Anwalt die gleichen Gebühren in<br />
Rechnung stellen konnte?<br />
Der zweite Fall war die Niederlegung eines Mandats<br />
durch einen Anwalt, als der Mandant mit dem Prozeßvergleich<br />
nicht einverstanden war und auf Widerruf bestand.<br />
Der zweite Anwalt hat kurze Zelt später den gleichen Vergleich<br />
unwiderruflich noch einmal abgeschlossen. Obwohl<br />
also der zweite Anwalt mit mehr Durchsetzungskraft<br />
(schon deshalb, weil er ja jetzt als „Zweiter“ den gleichen<br />
Rat erteilte) gegenüber dem Mandanten dann das gleiche<br />
Ergebnis noch einmal herbeiführte, soll die Tätigkeit des ersten<br />
Anwalts „ohne Interesse“ gewesen sein?<br />
VII.<br />
Bei der Frage, welche Dienste für den Auftraggeber bei<br />
vorzeitiger Kündigung „ohne Interesse“ sind, muß man<br />
sich zuerst einmal darüber im klaren sein, daß § 628 Abs. 1<br />
Satz 2 BGB insoweit schon deshalb eng auszulegen ist,<br />
weil hier durch die wirtschaftlichen Konsequenzen der in<br />
den §§ 626 und 627 BGB geregelten außerordentlichen<br />
Kündigungsgründe dieses Kündigungsrecht ausgehöhlt<br />
wird. Ferner ist zu beachten, daß § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB<br />
unabhängig vom Kündigungsgrund eingreift sowie unabhängig<br />
davon, welche Seite kündigt. Nur bei vertragswidrigem<br />
Verhalten des anderen Vertragspartners soll der Wegfall<br />
des Vergütungsanspruchs nicht eintreten.<br />
Es gibt sehr viele außerordentliche Kündigungsgründe,<br />
vor allem bei einem Vertrag zwischen Mandanten und Anwalt<br />
wegen § 627 BGB, die keineswegs auf vertragswidrigem<br />
Verhalten der Gegenseite beruhen. In Erkenntnis der<br />
gravierenden wirtschaftlichen Folgen des § 628 Abs. 1 Satz<br />
2 BGB versucht man dem Anwalt zum Teil dadurch zu helfen,<br />
daß man den Begriff des „vertragswidrigen“ Verhaltens<br />
sehr weit faßt. 8 Auch dann bleiben aber immer noch viele<br />
Fallgestaltungen übrig, bei denen auch diese Entschärfung<br />
des § 628 BGB scheitern muß.<br />
VIII.<br />
Unser Gesetz kennt auch sonst den Begriff des fehlenden<br />
Interesses an einer Teilleistung, so z. B. in § 280 Abs. 2<br />
Satz 1 BGB und § 325 Abs. 1 Satz 2 BGB. Man sollte dabei<br />
nicht übersehen, daß es in den Vorschriften um die<br />
Rechtsfolgen von Umständen geht, die im Sinn des BGB<br />
der andere „zu vertreten“ hat. In § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB<br />
geht es dagegen nicht um zu vertretende Leistungsstörungen,<br />
sondern um die Konsequenzen eines vom Gesetzgeber<br />
zu Recht an anderer Stelle gegebenen Gestaltungsrechts,<br />
nämlich der außerordentlichen Kündigung. Schon aus diesem<br />
Grund ist das fehlende Interesse in § 628 Abs. 1 Satz 2<br />
BGB strenger zu definieren. Sogar im Recht der Leistungsstörungen<br />
ist aber anerkannt, daß es bei der Prüfung des Interessemangels<br />
auf das objektive Interesse ankommt, das<br />
von der Zweckbestimmung der Leistung abhängt. 9 Es<br />
kommt dort nicht auf den Wert der noch möglichen Teilleistung<br />
an, sondern, ob der Gläubiger objektiv noch ein Interesse<br />
daran hat, „die geminderte Leistung zu erkaufen“. 10<br />
Für § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB müssen die Voraussetzungen<br />
für die Bejahung des Wegfalls des Interesses nicht großzügiger,<br />
sondern noch strenger gehandhabt werden. Zu Recht<br />
wird allgemein (also keineswegs nur für das Rechtsverhältnis<br />
zwischen Anwalt und Mandanten) betont: „Die Tatsache,<br />
daß die bisherigen Leistungen infolge der Kündigung<br />
für den anderen Teil kein Interesse haben, wird nur<br />
ausnahmsweise gegeben sein.“ 11<br />
IX.<br />
Das Interesse des Mandanten an der bisherigen Tätigkeit<br />
des Anwalts ist also deshalb gegeben, weil dieser ihn bisher<br />
beraten und vertreten, also z. B. auch die entsprechenden<br />
Anträge gestellt, Fristen gewahrt und die Verjährung unterbrochen<br />
hat. Wenn nachträglich ein anderer Anwalt eventuell<br />
die gleiche Rechtsberatung noch einmal durchführt und<br />
die gleiche Prozeßhandlung noch einmal vornimmt, ist<br />
dadurch das Interesse des Mandanten an der bisherigen<br />
Tätigkeit nicht erloschen. Daß damit zusätzliche Kosten<br />
entstehen, ist eine wirtschaftliche Konsequenz, die in den<br />
gesetzlich geregelten Ausnahmefällen über Schadensersatzrecht<br />
abgewickelt werden muß, aber nicht zum Wegfall des<br />
Interesses geführt hat. Die Dienste des Anwalts bestanden<br />
in der Beratung und Vertretung eines Rechtsuchenden im<br />
Sinn von § 3 Abs. 1 BRAGO. Daß durch Ausübung des gesetzlich<br />
eingeräumten außerordentlichen Kündigungsrechts<br />
dem Mandanten Mehrkosten entstehen, macht die Tätigkeit<br />
des Anwalts nicht nutzlos. Sein einziger Nutzen besteht<br />
schließlich nicht darin, „weitere Kosten zu vermeiden.“<br />
8 vgl. die Aufzählung der Fallgestaltungen zum vertragswidrigen Verhalten bei<br />
Pabst a.a.O. (Fußnote 5) 450/451.<br />
9 Staudinger-Otto, 13. Aufl., § 325, Rdnr. 115.<br />
10 Emmerich im Münchner Kommentar 3. Aufl., § 325 Rdnr. 143.<br />
11 Schwerdtner a.a.O. (Fußnote 4) § 628, Rdnr. 25.<br />
Die GmbH als<br />
Kooperationsform für die<br />
österreichische Anwaltschaft<br />
– Die Anwalts-GmbH im deutsch-österreichischen Vergleich –<br />
Wiss. Mitarbeiter Matthias Kilian, Köln *<br />
I. Einleitung<br />
Die Entwicklung des Gesellschaftsrechts der Rechtsanwälte<br />
in Deutschland und Österreich ist von einer bemerkenswerten<br />
Interdependenz geprägt. Die historische Ausgangsposition<br />
war für die Anwaltschaften beider Staaten<br />
* Ass. jur.; Dokumentationszentrum für das Europäische Anwaltsrecht. Das<br />
Dokumentationszentrum ist eine gemeinsame Forschungseinrichtung des Deutschen<br />
AnwaltVereins, der Bundesrechtsanwaltskammer und des Instituts für<br />
Anwaltsrecht an der Universität Köln.
22<br />
l<br />
praktisch identisch: Während den österreichischen Rechtsanwälten<br />
bei einer beabsichtigten Assoziierung traditionell<br />
als Rechtsform lediglich die Gesellschaft bürgerlichen<br />
Rechts nach den §§ 1175-1216 ABGB zur Verfügung stand,<br />
waren ihre deutschen Standeskollegen bei einer Vergesellschaftung<br />
auf die BGB-Gesellschaft nach §§ 705 ff. BGB<br />
beschränkt. Seit Anfang der siebziger Jahre war allerdings<br />
sowohl in Deutschland als auch in Österreich eine Diskussion<br />
entflammt, ob der Gesetzgeber Freiberuflern im Allgemeinen<br />
und Rechtsanwälten im Speziellen zeitgemäßere<br />
Rechtsformen für einen Zusammenschluß anbieten solle.<br />
Österreich übernahm zunächst eine Führungsrolle in der<br />
Rechtsentwicklung: Am 1. Januar 1991 trat das Erwerbsgesellschaftengesetz<br />
(EGG) in Kraft, das mit der Eingetragenen<br />
Erwerbsgesellschaft (EEG) für die gemeinsame Berufsausübung<br />
von Angehörigen Freier Berufe eine der OHG und<br />
KG vergleichbare Rechtsform zur Verfügung stellt. Das die –<br />
mit der EEG vergleichbare – Partnerschaftsgesellschaft<br />
(PartG) kreierende Partnerschaftsgesellschaftsgesetz<br />
(PartGG) des deutschen Rechts trat erst mehr als vier Jahre<br />
später als das EGG in Kraft. Die Entwicklung des „anwaltlichen<br />
Kapitalgesellschaftsrechts“ hingegen stand unter umgekehrten<br />
Vorzeichen; bei der Einführung der Rechtsanwalts-<br />
GmbH 1 kam Deutschland Schrittmacherfunktion zu: Nachdem<br />
der deutsche Gesetzgeber Ende 1994 durch die Entscheidung<br />
des Bayerischen Obersten Landgerichts zur Zulässigkeit<br />
der „Anwalts-GmbH“ 2 überrascht worden war, sah er<br />
sich veranlaßt, die von der Rechtsprechung herausgearbeiteten<br />
Anforderungen an eine solche Anwalts-Kapitalgesellschaft<br />
per 1.3.1999 gesetzlich in §§ 59c-m BRAO zu fixieren<br />
3 . Nicht zuletzt diese Entwicklung in Deutschland nahm<br />
der österreichische Gesetzgeber zum Anlaß, die Einführung<br />
der Anwalts-GmbH auch in Österreich voranzutreiben.<br />
Gesetzgebungstechnisch eingebettet ist dieses Vorhaben in<br />
eine umfassendere Berufsrechtsnovelle durch das „Rechtsanwalts-Berufsrechts-Änderungsgesetz<br />
1999“ 4 .<br />
II.Von der Eingetragenen Erwerbsgesellschaft zur<br />
Anwalts-GmbH<br />
Inspiriert von 1971 und 1975 in Deutschland gescheiterten<br />
parlamentarischen Bemühungen, eine sich eng an die<br />
Regelung der Offenen Handelsgesellschaft (oHG) anlehnende<br />
neue Gesellschaftsform für Freiberufler zu schaffen 5 ,<br />
wurden in Österreich seit 1977 Gesetzentwürfe über eine<br />
spezifische Personengesellschaft für Freiberufler, eine „Partnerschaft<br />
zum Betrieb eines nichtgewerblichen Unternehmens“,<br />
vorangetrieben. Es folgte eine gut zehnjährige Diskussion<br />
unter Beteiligung vor allem der Bundeskonferenz<br />
der Freien Berufe Österreichs, die neben den in den Entwürfen<br />
vorgesehenen gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen<br />
auch berufsspezifische Fragen, insbesondere berufsund<br />
standesrechtliche Pflichten der Gesellschafter einer<br />
Partnerschaft, geregelt sehen wollte. Der (damalige) Präsident<br />
des österreichischen Rechtsanwaltskammertages, Walter<br />
Schuppich, forderte 1987 auf dem Anwaltstag angesichts<br />
des langwierigen Legeferierungsverfahrens mit Nachdruck<br />
die Verabschiedung eines Partnerschaftsgesetzes, um Österreichs<br />
Anwaltschaft „...europareif zu machen“ 6 . Ein 1988<br />
vorgelegter Entwurf des BMJ sah u. a. die Schaffung einer<br />
Offenen Partnerschaft und einer Kommanditpartnerschaft<br />
vor, die nur den verkammerten freien Berufen offenstehen<br />
sollten. Aufgrund an diesem Entwurf geäußerter Kritik vor<br />
allem aus der Rechtswissenschaft erfolgte eine erneute<br />
Neukonzeption, die in dem am 1. Januar 1991 in Kraft getretenen<br />
Erwerbsgesellschaftengesetz (EEG) mündete 7 .<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze<br />
Seit dem Inkrafttreten des EEG gibt es als im Sinne des<br />
§ 1a RAO zulässige Gesellschaftsformen zur gemeinschaftlichen<br />
Ausübung des Anwaltsberufs neben der Gesellschaft<br />
bürgerlichen Rechts auch die Offene Erwerbsgesellschaft<br />
(OEG) und die Kommanditerwerbsgesellschaft (KEG) 8 .Die<br />
normative Regelung des grundlegenden Aufbaus der Gesellschaft<br />
und die Einzelheiten des Gesellschaftsverhältnisses erfolgen<br />
durch Rezeption der für die OHG und KG geltenden<br />
Regeln des HGB. Demzufolge besteht das EGG aus lediglich<br />
11 Paragraphen; § 4 Abs. 1 EEG enthält eine Verweisungsnorm<br />
auf das HGB. Auf die Einzelheiten des Rechts der Erwerbsgesellschaft<br />
kann in diesem Rahmen nicht eingegangen<br />
werden, so daß einige kursorische Hinweise genügen sollen:<br />
Die EEG ist auf gemeinschaftlichen Erwerb unter einer<br />
gemeinsamen Firma gerichtet; sie ist gemäß § 3 Abs. 1 EGG<br />
zum Firmenbuch („Handelsregister“) anzumelden. Vor 9 der<br />
Anmeldung zum Firmenbuch ist die Erwerbsgesellschaft –<br />
wie auch eine Anwalts-GbR – gemäß § 1a RAO bei einem<br />
Ausschuß der zuständigen Anwaltskammer zur Eintragung in<br />
eine eigene Liste der Rechtsanwalts-Gesellschaften anzumelden.<br />
Die Eintragung im Firmenbuch hat konstitutive Wirkung<br />
10 . § 1 EGG unterscheidet zwischen der offenen Erwerbsgesellschaft,<br />
wenn bei keinem der Gesellschafter die<br />
Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern beschränkt<br />
ist 11 , und der Kommandit-Erwerbsgesellschaft, wenn bei<br />
einem oder mehreren Gesellschaftern die Haftung gegenüber<br />
den Gesellschaftsgläubigern auf den Betrag einer bestimmten<br />
Vermögenseinlage beschränkt ist 12 . Allerdings ist Anwälten<br />
aufgrund eines entsprechenden Berufsrechtsvorbehalts in § 6<br />
Abs. 1 EGG die Beteiligung an einer KEG nur als Komplementär<br />
gestattet, da gemäß § 21c Ziffer 2 RAO Anwälte in<br />
Anwaltsgesellschaften nur als voll haftende Gesellschafter<br />
beteiligt sein dürfen (und zudem Berufsfremden in Anwaltsgesellschaften<br />
gemäß § 21c Ziffer 9 RAO keine Geschäftsund<br />
Vertretungsbefugnisse eingeräumt sein dürfen).<br />
1 Aufgrund § 59k Abs. 2 BRAO bezeichnet der Begriff „Rechtsanwaltsgesellschaft“<br />
nach deutschem Recht (gegenwärtig) ausschließlich einen Zusammenschluß<br />
von Rechtsanwälten in der Rechtsform der GmbH. Nach österreichischem<br />
Verständnis (vgl. § 1a RAO) handelt es sich hingegen um einen untechnischen<br />
Sammelbegriff für Zusammenschlüsse von Anwälten in beliebiger Rechtsform.<br />
Vor diesem Hintergrund wird der Begriff der „Anwalts-GmbH“ verwendet.<br />
2 BayObLG ZIP 1994,1868 = BB 1994, 2433 = DZWiR 1995,110 = MDR 1995,<br />
95 = NJW 1995,199.<br />
3 Hierzu umfassend etwa Henssler, NJW 1999, S. 241 ff.<br />
4 BGBl I 71/1999, S. 629 ff.<br />
5 Siehe hierzu Henssler, PartGG, München 1997, Einf. Rdnr. 2 ff.<br />
6 Schuppich, öAnwBl 1987, 629, 631.<br />
7 Bundesgesetz vom 25.4.1990 über eingetragene Erwerbsgesellschaften – Erwerbsgesellschaftengesetz<br />
(EGG); BGBl 1990, S. 257.<br />
8 In Anlehnung an die Diktion vorangegangener Gesetzesentwürfe wird eine Erwerbsgesellschaft<br />
mit anwaltlichen Gesellschaftern auch als ‚Anwalts-Partnerschaft„<br />
bezeichnet. Im folgenden Text wird der besseren begrifflichen Unterscheidbarkeit<br />
halber durchgängig der Begriff der EEG verwendet.<br />
9 Schuppich/Tades, RAO, 5. Auflage, Wien 1994, § 1a RAO Anm.3; Feil/Wennig,<br />
Anwaltsrecht, Wien 1998, § 1a Rdnr. 10. Bestehende Unklarheiten über<br />
den notwendigen Zeitpunkt der Anmeldung bei der Kammer sind durch die<br />
durch das RABerufsRÄndG 1999 erfolgte Neufassung des § 1a Abs. 2 S. 1<br />
RAO beseitigt worden. Dort heißt es nunmehr, daß die „beabsichtigte Errichtung“<br />
bei der Kammer anzumelden ist.<br />
10 Feil/Wennig, aaO (Fn. 9), § 1a Rdnr. 3.<br />
11 Unsicherheiten bestehen aufgrund dieser gesetzlichen Formulierung, ob durch<br />
§ 1 EGG der Freiberufler-GbR die Existenzgrundlage entzogen worden ist<br />
(mit der Folge einer grundsätzlichen Eintragungspflicht von Freiberufler-Personengesellschaften).<br />
In diesem Sinne etwa Roth/Fitz, WBl 1990, 191 f. Zur<br />
herrschenden Gegenauffassung und weiteren Nachweisen umfassend Cuber,<br />
Formen anwaltlicher Zusammenarbeit unter besonderer Berücksichtigung der<br />
Anwalts-EEG, Wien 1996, S. 56 ff.<br />
12 Der Firmenkern muß aus dem Nachnamen mindestens eines unbeschränkt haftenden<br />
Gesellschafters bestehen (§ 4 Abs. 1 EGG i. V. m. § 19 HGB). Die Firma<br />
muß weiterhin einen Rechtsformzusatz (OEG oder KEG, § 2 Abs. 1 EGG)<br />
und einen Hinweis auf den ausgeübten Beruf (§ 6 Abs. 2 S. 1 EGG) enthalten.<br />
Bei einer Freiberufler-OEG besteht ein Bezeichnungsprivileg, da auch der<br />
Rechtsformzusatz „Partnerschaft“ bzw. „und Partner“ gewählt werden kann.<br />
Umfassend Cuber, aaO (Fn. 11), S. 83 ff.
AnwBl 1/2000 23<br />
Aufsätze l<br />
Bemerkenswert im Vergleich zum deutschen Recht ist<br />
die KEG, die eine Beteiligung berufsfremder Personen als<br />
Kommanditisten gestattet. Anders als das EGG begrenzt allerdings<br />
die RAO in § 21c Nr. 1 den Kreis der denkbaren<br />
Kommanditisten auf Ehegatten (während bestehender Ehe)<br />
und Kinder (bis zum 35. Lebensjahr) 13 eines der Gesellschaft<br />
angehörenden Rechtsanwalts, auf ehemalige anwaltliche<br />
Gesellschafter der KEG sowie Witwen und Kinder<br />
eines anwaltlichen Gesellschafters. Die Gestattung der Aufnahme<br />
berufsfremder Gesellschafter in eine KEG dient im<br />
wesentlichen der Versorgung der Angehörigen des Rechtsanwalts.<br />
Das deutsche PartGG schließt eine solche gesellschaftsrechtliche<br />
Versorgung durch § 9 PartGG aus; gemäß<br />
§ 9 Abs. 4 S. 2 PartG können bei entsprechender gesellschaftsvertraglicher<br />
Vereinbarung in die Partnerschaft lediglich<br />
i. S. d. § 1 Abs. 1, 2 PartG taugliche Erben eintreten 14 .<br />
Strenger ist das österreichische Recht hingegen bei Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten,<br />
da in der EEG eine Haftungskonzentration<br />
auf den fehlerhaft handelnden Berufsträger<br />
anders als in § 8 Abs. 2 PartG nicht möglich ist.<br />
Trotz der bei der Eingetragenen Erwerbsgesellschaft im<br />
Vergleich zur deutschen PartG fehlenden Möglichkeit der<br />
Haftungskonzentration hat sich die EEG seit ihrer Schaffung<br />
in Österreich einer großen Beliebtheit erfreut. Per Stichtag<br />
31.12.1998 existierten bei einer Gesamtzahl von 3.696 österreichischen<br />
Rechtsanwälten 185 eingetragene Anwalts-Erwerbsgesellschaften<br />
(zum Vergleich 1994: 100), während die<br />
Zahl der Gesellschaften bürgerlichen Rechts ca. 470 betrug 15 .<br />
Bei dem Großteil der Erwerbsgesellschaften handelt es sich<br />
um Offene Erwerbsgesellschaften; von den 180 EEGs waren<br />
ca. 140 OEGs. Interessanterweise firmiert ein Großteil der<br />
EEGs trotz des Bezeichnungsprivilegs des § 6 Abs. 1 EGG<br />
ohne den möglichen Rechtsformzusatz „Partnerschaft“ bzw.<br />
„und Partner“, was aber auch durch die durchschnittlich geringe<br />
Größe der Erwerbsgesellschaften motiviert sein mag,<br />
die eine Berücksichtigung aller Gesellschafter in der Firma<br />
ermöglicht. Die größeren Sozietäten organisieren sich tendenziell<br />
in Erwerbsgesellschaften, so etwa die bekannteren<br />
Kanzleien „Cerha, Hempel & Spiegelfeld“, „Preslmayer &<br />
Partner“ und „Weiss-Tessbach“.<br />
III. Die Anwalts-GmbH im österreichischen Recht<br />
Wenngleich die vorstehenden Zahlen belegen, daß die<br />
EEG als neue Gesellschaftsform für Freiberufler in der<br />
österreichischen Anwaltschaft im Vergleich zur deutschen<br />
Partnerschaft vergleichsweise wohlwollend aufgenommen<br />
worden ist, haben Entwicklungen in anderen Staaten den<br />
Blick der österreichischen Anwaltschaft für eine anzustrebende<br />
Assoziierungsmöglichkeit in GmbH-Form geschärft.<br />
In den Gesetzesmaterialien zum RABerufsRÄndG 1999<br />
wird daher festgestellt, daß die Anforderungen der modernen<br />
Dienstleistungsgesellschaft den internationalen Trend<br />
zur Gründung von Rechtsanwaltsgesellschaften verstärkt<br />
haben, von dem sich Österreich nicht abkoppeln könne. Bereits<br />
1991 plädierte eine Arbeitsgruppe der RAK Wien für<br />
die Zulassung der Rechtsanwalts-GmbH 16 , nicht zuletzt<br />
auch mit Blick auf die auf den Rechtsberatungsmarkt drängenden<br />
Wirtschaftstreuhänder (Wirtschaftsprüfer), denen<br />
gemäß § 7 WTBO 17 der Zusammenschluß in einer Kapitalgesellschaft<br />
bereits gestattet worden war.<br />
1) Die „Partnerschaft mit Rechtspersönlichkeit“<br />
Im Zuge der 1971 in Österreich aufgekommenen Diskussion<br />
um die Schaffung einer Partnerschaft als Rechtsform für<br />
die Anwaltschaft gab es erste Überlegungen, auch eine<br />
Rechtsanwaltsgesellschaft zuzulassen, die sich als juristische<br />
Person in Konzeption und Ausgestaltung weitestgehend an<br />
die GmbH anlehnen sollte 18 . Nach den in Gänze gescheiterten<br />
Bemühungen um eine Novellierung des Gesellschaftsrechts<br />
der Anwälte (s. o.) konzentrierten sich in den folgenden Jahren<br />
die Überlegungen zunächst auf die Schaffung einer Partnerschaft;<br />
die Diskussion um die Öffnung des Kapitalgesellschaftsrechts<br />
für Assoziierungen von Rechtsanwälten ebbte<br />
ab. Anfang der achtziger Jahre drängte der Österreichische<br />
Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) in einem neuerlichen Gesetzgebungsverfahren<br />
darauf, neben der offenen Partnerschaft<br />
und der Kommanditpartnerschaft, die später in der OEG und<br />
KEG geschaffen wurden, auch eine Partnerschaft mit Rechtspersönlichkeit<br />
vorzusehen, in der das Gesellschaftsvermögen<br />
nicht den Partnern zur gesamten Hand zustehen, sondern im<br />
Eigentum der Gesellschaft stehen sollte. Allerdings entsprach<br />
diese „juristische Person“ in den persönlichen Beziehungen<br />
der Gesellschafter zueinander und in der Haftungsverfassung<br />
den Personengesellschaften. Der Unterschied lag allein in der<br />
Rechtsfähigkeit im Innenverhältnis und der damit verbundenen<br />
steuerrechtlichen Behandlung als GmbH mit der Konsequenz<br />
der Körperschaft- und Gewerbesteuerpflicht. Im weiteren<br />
Gesetzgebungsverfahren wurde die körperschaftliche<br />
Partnerschaft jedoch gegen den Widerstand der Anwaltschaft<br />
aus dem Gesetzesentwurf gestrichen und fand im 1991 in<br />
Kraft getretenen EGG keine Berücksichtigung 19 .<br />
2) Anwalts-GmbH im bisherigen Recht<br />
Nachdem die Bemühungen um eine positiv-rechtliche<br />
Regelung einer „Partnerschaft mit Rechtspersönlichkeit“ als<br />
Zwitter zwischen EEG und GmbH mit Verabschiedung des<br />
EGG endgültig gescheitert waren, wurde die Frage nach<br />
der Existenz und Reichweite eines gesetzlichen Verbots einer<br />
„echten“ Anwalts-GmbH wieder bedeutsamer. Einer<br />
„echten“ Anwalts-GmbH standen gesellschaftsrechtliche<br />
Hindernisse nicht entgegen, da auch im österreichischen<br />
Recht GmbH und AG zu jedem erlaubten Zweck errichtet<br />
werden können. Wenngleich auch kein ausdrückliches<br />
berufsrechtliches Verbot der gemeinschaftlichen Berufsausübung<br />
in einer Kapitalgesellschaft existierte, wurde die Unvereinbarkeit<br />
der Anwalts-GmbH mit dem geltenden Recht<br />
aus § 21c Ziffer 2 RAO abgeleitet 20 . Nach dieser Vorschrift<br />
dürfen Rechtsanwälte einer Anwaltsgesellschaft nur als persönlich<br />
haftende Gesellschafter angehören. In einer umfassenden<br />
Studie zu den Formen der anwaltlichen Zusammenarbeit<br />
belegte allerdings Cuber 1996, daß eine Anwalts-<br />
GmbH entgegen der herrschenden Meinung auch nach damals<br />
geltendem Recht zulässig war 21 . Begründen ließ sich<br />
diese Auffassung im wesentlichen mit Parallelen zur EEG<br />
und unter Heranziehung der im Zusammenhang mit ihrer<br />
Einführung bereits 1991 vorgenommenen Novellierungen<br />
der RAO 22 . Eine nähere Auseinandersetzung mit diesem<br />
Meinungsstreit ist mit der gesetzlichen Regelung der Anwalts-GmbH<br />
obsolet geworden. Der österreichische Gesetz-<br />
13 Ggf. auch länger, soweit sie zu diesem Zeitpunkt bereits als Rechtspraktikant<br />
tätig sind.<br />
14 Siehe umfassend Hetz, Anwaltsgemeinschaften, Wien 1995, S. 89 ff.<br />
15 Quelle; Österreichisches Anwaltsverzeichnis 1999.<br />
16 Sog. „Tulbinger Thesen“, öAnwBl 1991/9, S. XIII.<br />
17 Wirtschaftstreuhänder-Berufsordnung; BGBl. 1955, S. 125 ff. i. d. F. BGBl.<br />
1991, S. 340 ff.<br />
18 Zur geschichtlichen Entwicklung Cuber, aaO (Fn. 11), S. 45 ff.<br />
19 Zum Ganzen Cuber, aaO (Fn. 11), S. 53 f.<br />
20 Vgl. Hetz, aaO (Fn. 14), S. 20; Loimer, Der österreichische Anwalt in der<br />
Europäischen Union, Frankfurt 1997, S. 128; Raubal, öAnwBl 1996, S. 289<br />
ff.<br />
21 Cuber, aaO (Fn. 11).<br />
22 Vgl. Cuber, aaO (Fn. 11), S. 121 ff.
24<br />
l<br />
geber hat sich den Globalisierungstendenzen im Rechtsberatungsmarkt<br />
nicht entziehen können. Im Bericht des Justizausschusses<br />
über das RABerufsÄndG 1999 heißt es daher,<br />
daß der österreichischen Rechtsanwaltschaft zur<br />
Stärkung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit die<br />
Berufsausübung im Form der GmbH ermöglicht wird – unter<br />
gleichzeitiger Wahrung, so wird betont, der Unabhängigkeit<br />
der anwaltlichen Berufsausübung und der<br />
Rechtsschutzinteressen der rechtssuchenden Bevölkerung.<br />
3) Die gesetzliche Regelung der Anwalts-GmbH in der RAO<br />
Gesetzgebungstechnisch hat der Gesetzgeber die Vorschriften<br />
in der RAO, die sich mit der anwaltlichen Berufsausübung<br />
in einer EEG befassen, um sinnentsprechende<br />
Ausführungen zur Gesellschaft mit beschränkter Haftung<br />
ergänzt. Zudem wurden einige die Anwalts-GmbH betreffende<br />
Sondervorschriften neu in die RAO eingefügt. § 1a<br />
Abs. 1 S. 1 RAO bestimmt, daß die Ausübung der Rechtsanwaltschaft<br />
in Ergänzung zum klassischen Leitbild des<br />
Einzelanwalts „...auch in der Rechtsform der Gesellschaft<br />
bürgerlichen Rechts, der eingetragenen Erwerbsgesellschaft<br />
(Anwalts-Partnerschaft) und der Gesellschaft mit beschränkter<br />
Haftung möglich ist“.<br />
a) Eintragung/Anmeldung<br />
Wie auch die GbR und die EEG ist die GmbH gemäß<br />
§ 1a Abs. 1 S. 2 RAO in eine Liste der Rechtsanwaltsgesellschaften<br />
einzutragen und bereits vor der Anmeldung<br />
zum Firmenbuch bei der zuständigen regionalen Kammer<br />
zur Liste der Rechtsanwaltsgesellschaften anzumelden 23 .<br />
Der Eintrag in das Firmenbuch durch das Firmenbuchgericht<br />
erfolgt nur unter Vorlage der Erklärung der zuständigen<br />
Rechtsanwaltskammer, daß die Eintragung in die Liste<br />
der Anwaltsgesellschaften nicht verweigert werden wird<br />
(sog. „Unbedenklichkeitsbescheinigung“). Die Eintragung<br />
in diese Liste ist wiederum nur durch den Nachweis der erfolgten<br />
Eintragung in das Firmenbuch, durch deren konstitutive<br />
Wirkung die Anwalts-GmbH erst entsteht, möglich<br />
(§ 1a Abs. 5 S. 3 RAO).<br />
b) Firmierung<br />
Der neu in die RAO eingefügte § 1b enthält firmenrechtliche<br />
Bestimmungen für die Rechtsanwalts-GmbH.<br />
Dem Prinzip der persönlichen Berufsausübung der Rechtsanwaltschaft<br />
wird firmenrechtlich dadurch Rechnung getragen,<br />
daß nur eine Personenfirma zulässig ist, die mindestens<br />
den Namen eines Rechtsanwalts-Gesellschafters<br />
enthalten muß und andere Namen als jene von Anwaltsgesellschaftern<br />
nicht enthalten darf.<br />
Zudem muß die Firma einen die Ausübung der Rechtsanwaltschaft<br />
verdeutlichenden Hinweis enthalten. Die Notwendigkeit<br />
der Aufnahme eines Rechtsformzusatzes in die<br />
Firma ergibt sich hingegen nicht aus § 1 b RAO, sondern<br />
aus § 5 Abs. 2 GmbHG. Anders als § 59k Abs. 1 BRAO<br />
folgt die Ersichtlichkeit einer Vergesellschaftung nach dem<br />
Gesetzeswortlaut des § 1 b Abs. 1 RAO allein aus dem gesellschaftsrechtlich<br />
vorgegebenen Rechtsformzusatz; die<br />
Bezeichnung „Rechtsanwaltsgesellschaft“ muß in der gemischten<br />
Firma nicht zwangsläufig erscheinen. Gemäß<br />
§ 1b Abs. 2 RAO kann im Fall der Fortführung eines „Anwaltsunternehmens“<br />
– gemeint sind sowohl eine Einzelkanzlei<br />
als auch eine GbR und eine EEG – in der Rechtsform<br />
der GmbH die frühere Bezeichnung mit einem die<br />
neue Rechtsform belegenden Zusatz weiter verwendet werden.<br />
In einem solchen Fall können ausnahmsweise auch<br />
Nicht-Anwaltsgesellschafter in der Firma erscheinen.<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze<br />
c) Gesellschafterkreis<br />
Wie bereits bei der EEG können auch in einer Anwalts-<br />
GmbH berufsfremde Personen zum Gesellschafterkreis gehören:<br />
Enumerativ und abschließend zählt § 21c Nr. 1<br />
RAO den Ehegatten und (bis zum 35. Lebensjahr) die Kinder<br />
eines lebenden oder verstorbenen Anwaltsgesellschafters,<br />
Gesellschafter, die auf die Ausübung der Anwaltschaft<br />
verzichtet haben, und – neu – Privatstiftungen, die zum<br />
Zwecke der Unterstützung des vorstehenden Personenkreises<br />
errichtet worden sind24 , als mögliche weitere Gesellschafter<br />
auf. Die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Anwalts-GmbH<br />
und der EEG sind insoweit identisch. § 21c<br />
Nr. 2 S. 2 RAO stellt für nichtanwaltliche Gesellschafter<br />
der GmbH klar, daß diesen keine Geschäftsführungs- und<br />
Vertretungsbefugnis eingeräumt werden darf. Die treuhänderische<br />
Übertragung und Ausübung von Gesellschaftsrechten<br />
durch die berufsfremden Gesellschafter ist durch<br />
§ 21c Nr. 5 RAO ausgeschlossen.<br />
Aus der enumerativen Aufzählung des § 21c Nr. 1 RAO,<br />
der als denkbare Gesellschafter nur natürliche Personen aufzählt,<br />
wird entnommen, daß Gesamthandsgesellschaften<br />
und juristische Personen nicht Gesellschafter einer Anwaltsgesellschaft<br />
sein können25 und die Bildung sogenannter<br />
doppelstöckiger Gesellschaften nicht möglich ist. Die Berücksichtigung<br />
ausschließlich natürlicher Person in § 21c<br />
Nr. 1 RAO wird in der Tat dazu führen müssen, juristische<br />
Personen als Gesellschafter einer Anwalts-GmbH auszuscheiden.<br />
Auch wenn man einer Anwalts-GmbH eine eigene<br />
Berufsberechtigung zuerkennen und sie insofern selbst<br />
als „Rechtsanwalt“ erachten würde, wäre ihr eine Beteiligung<br />
an einer anderen Anwalts-GmbH bereits aufgrund<br />
§ 21c Nr. 8 RAO nicht möglich, der Anwaltsgesellschaften<br />
die Beteiligung an anderen Zusammenschlüssen zur gemeinschaftlichen<br />
Berufsausübung untersagt. Für die GbR<br />
liegt eine solche Konsequenz nicht ohne weiteres auf der<br />
Hand, wenngleich der Gesetzgeber wegen der u. a. durch<br />
§ 1a Abs. 2 Nr. 2 RAO beabsichtigten Sicherstellung der<br />
strukturellen Transparenz offensichtlich keine doppelstöckigen<br />
Gesellschaften gewünscht hat. Diese Sichtweise deckt<br />
sich mit der Regelung im deutschen Recht, die durch besitzstandswahrende<br />
Ausnahmebestimmungen für Steuerberatungsgesellschaften<br />
zusätzliche Problematiken birgt. Über<br />
die Notwendigkeit eines solchen Verbots läßt sich trefflich<br />
streiten 26 . Ohne eigene Rechtspersönlichkeit faßt eine GbR<br />
lediglich anwaltliche Gesellschafter in gesamthänderischer<br />
Verbundenheit zusammen. Daß die derart verbundenen Gesellschafter<br />
als GbR den Charakter des „Rechtsanwalts“ –<br />
etwa im Sinne des § 21c Nr. 1 RAO – verlieren, wird man<br />
bezweifeln können; sie sind ohne Kreierung einer neue<br />
Rechtspersönlichkeit eben nur in einer bestimmten Weise<br />
miteinander verbunden. Gestattet man, daß eine GbR (Allein-)<br />
Gesellschafterin einer GmbH sein kann und zugleich<br />
berufsrechtlich nicht vorgeschrieben wird, daß die Geschäftsanteile<br />
der GmbH den Gesellschaftern ungeteilt zur<br />
Verfügung stehen müssen, erscheint bei Fehlen eines ausdrücklichen<br />
gesetzlichen Verbots denkbar, daß Gesellschafterin<br />
einer Anwalts-GmbH auch eine GbR sein kann, deren<br />
ausschließlicher Zweck das Halten der Anteile an der Be-<br />
23 Zu den beizufügenden Unterlagen und zu machenden Angaben vgl. im einzelnen<br />
Kostner/Umfahrer, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Wien<br />
1998, Rdnr. 152 ff.<br />
24 Diese Variante soll die Geschäftsführung in Gesellschaften mit berufsfremden<br />
Gesellschaftern erleichtern.<br />
25 Für die EEG Helz, aaO (Fn. 14), S. 84.<br />
26 Siehe zur Problematik im deutschen Recht Zuck, Anwalts-GmbH, Köln 1999,<br />
§ 59c Rdnr. 36.
AnwBl 1/2000 25<br />
Aufsätze l<br />
rufsausübungskapitalgesellschaft ist. Ein solche Konstruktion<br />
erlaubt durch die vereinfachte Übertragungsmöglichkeit<br />
von GmbH-Gesellschaftsanteilen organisatorische und<br />
finanzielle Erleichterungen insbesondere für große Gesellschaften<br />
mit stetigem Wechsel im Gesellschafterbestand.<br />
d) Zweigniederlassungen<br />
Von großer Bedeutung ist die Vorschrift des § 21c Nr. 7<br />
i. V. m. mit § 7a RAO. Durch diese beiden neu in die RAO<br />
eingefügten Bestimmungen ist es über die Verweisungsnorm<br />
des § 21c Nr. 7 der Anwalts-GmbH – und erstmals über<br />
§ 7a RAO der Anwaltschaft allgemein – möglich, Zweigniederlassungen<br />
zu errichten. Bislang war der Betrieb einer<br />
Filialkanzlei nach § 50 der Richtlinien für die Ausübung des<br />
Rechtsanwaltsberufs, denen nach der Rechtsprechung des<br />
österreichischen Verfassungsgerichtshofs Verordnungscharakter<br />
zukommt, nicht gestattet. Das verbreitet für verfassungswidrig<br />
erachtete Verbot 27 ließ sich ferner § 21 RAO<br />
entnehmen. Anstoß für die Aufhebung des Verbots durch<br />
das RABerufsRÄndG 1999 war die Verabschiedung der EG-<br />
Richtlinie 98/5 („Rechtsanwalts-Niederlassungsrichtlinie“) 28 .<br />
Im Rahmen der bis zum März 2000 von Österreich zu realisierenden<br />
Umsetzung muß Anwälten aus anderen EU-Staaten<br />
die Möglichkeit eröffnet werden, bei einer Tätigkeit in<br />
Österreich unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung<br />
i. S. d. Art. 11 Abs. 1 RiLi 98/5 in einer Zweigstelle ihrer<br />
im Herkunftsstaat domizilierenden Anwaltsgesellschaft tätig<br />
werden zu können. Um die nationale Anwaltschaft durch<br />
diese europarechtliche Entwicklung nicht zu benachteiligen,<br />
entschied man sich auf Drängen des ÖRAK für eine gänzliche<br />
Aufhebung des Filialverbots 29 . Gemäß § 7a Abs. 1<br />
RAO sind Rechtsanwälte (und Anwaltsgesellschaften, § 21c<br />
Nr. 7 RAO) künftig berechtigt, auch außerhalb ihres Kanzleisitzes<br />
Kanzleiniederlassungen einzurichten, wenn die Leitung<br />
jeder dieser Niederlassungen einem Rechtsanwalt übertragen<br />
wird, der seinen Kanzleisitz an der Adresse der<br />
Niederlassung hat. Bemerkenswerterweise erhofft sich der<br />
Gesetzgeber durch diese Liberalisierung auch einen positiven<br />
beschäftigungspolitischen Effekt 30 .Gemäߧ7aAbs.2<br />
RAO bedarf die Gründung einer Filiale der Genehmigung<br />
der örtlich zuständigen Anwaltskammer, die zu erteilen ist,<br />
wenn mindestens ein Anwalt in der Kanzleiniederlassung<br />
den Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit hat. § 21c Nr. 7<br />
RAO stellt im Hinblick auf die neu eröffneten Möglichkeiten<br />
für Anwaltsgesellschaften weitergehend klar, daß zumindest<br />
ein Anwaltsgesellschafter seinen Kanzleisitz am Sitz der Gesellschaft<br />
haben muß. Bislang wurde zum Teil vertreten, daß<br />
alle der Gesellschaft angehörenden Rechtsanwälte ihren eigenen<br />
Kanzleisitz außerhalb des Sitzes der Gesellschaft haben<br />
dürfen 31 .<br />
e) Verbot der Stern-/Interprofessionellen Sozietät Fortgeschrieben<br />
wird das Verbot der sog. „Sternsozietät“ 32 .§21c<br />
Nr. 8 S. 1 RAO untersagt es einem Rechtsanwalt auch künftig,<br />
mehr als einer Gesellschaft anzugehören. Da die untechnische<br />
Formulierung „angehören“ gewählt wurde, ist nicht<br />
nur die Gesellschafterstellung in anderen Gesellschaften gemeint,<br />
sondern auch jede andere Form der Mitarbeit in oder<br />
Beteiligung an einer anderen Gesellschaft 33 . „Gesellschaft“<br />
meint nur die Anwaltsgesellschaft. Beteiligungen an Gesellschaften,<br />
die nicht die Anwaltschaft ausüben, sind im Rahmen<br />
des § 20 RAO möglich, wenn die Art und Weise, wie<br />
das Geschäfts ausgeübt wird, nicht Ehre und Ansehen des<br />
Anwaltsstandes zuwiderläuft. Allerdings ist es österreichischen<br />
Anwälten verwehrt, sich mit anderen Freiberuflern<br />
interprofessionell zu assoziieren. Ein entsprechendes Verbot<br />
wird § 21c Nr. 6 RAO entnommen, demgemäß an einer Gesellschaft<br />
zur Ausübung der Anwaltschaft mit Ausnahme zu<br />
versorgender Angehöriger keine Berufsfremden beteiligt<br />
sein dürfen. Gleichlautende Bestimmungen finden sich in<br />
den Berufsrechten anderer freier Berufe. Im Rahmen der<br />
weltweit intensiven Diskussion um die Zulassung interprofessioneller<br />
Freiberuflergesellschaften ist in Österreich eine<br />
bemerkenswerte Zurückhaltung festzustellen. Erfahrungen in<br />
anderen Ländern, etwa den Niederlanden, scheinen in der<br />
Anwaltschaft eine gewisse Skepsis ausgelöst zu haben, ob<br />
die Zulassung von „Multi-Disciplinary Partnerships“ interessengerecht<br />
ist 34 . In den Tulbinger Thesen des Jahres 1991<br />
wurde die Befürchtung artikuliert, daß im Falle der Zulassung<br />
von Gesellschaftsformen mit Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />
den anwaltlichen Gesellschaftern lediglich die<br />
Rolle eines Juniorpartners mit dem Charakter einer besseren<br />
Rechtsabteilung zukommen werde 35 . Es verwundert daher<br />
nicht, daß die Zulassung multiprofessioneller Gesellschaften<br />
erstmals in einem 1998 vorgestellten Entwurf eines neuen<br />
„Wirtschaftstreuhand-Berufsgesetzes“ vorgeschlagen worden<br />
ist. In den Gesetzesmaterialien zum RABerufsRÄndG 1999<br />
weist der Gesetzgeber ausdrücklich darauf hin, daß weiterer<br />
Diskussionsbedarf bestehe und vorerst am Verbot der multiprofessionellen<br />
Gesellschaften festgehalten werde 36 . Vor diesem<br />
Hintergrund erhellt sich das neu eingefügte Verbot des<br />
§ 21c Nr. 8 S. 2 RAO, der es auch der Anwaltsgesellschaft<br />
selbst untersagt, sich an anderen Zusammenschlüssen zur gemeinschaftlichen<br />
Berufsausübung zu beteiligen; erfaßt ist insofern<br />
auch die Assoziierung mit einer natürlichen Person.<br />
Hierdurch soll ebenso wie in § 59c Abs. 2 BRAO verhindert<br />
werden, daß die o. a. Verbote durch mehrstöckige Schachtelgesellschaften<br />
umgangen werden und wechselseitige Abhängigkeiten<br />
entstehen.<br />
f) Geschäftsführung<br />
Während nach bisherigem Recht für Anwaltsgesellschaften<br />
in § 21c Nr. 9 RAO bestimmt war, daß alle der Gesellschaft<br />
angehörenden Gesellschafter allein zur Geschäftsführung<br />
befugt (und nicht-anwaltliche Gesellschafter von<br />
derselben ausgeschlossen) sein müssen, enthält die neue<br />
Nr. 9a eine GmbH-spezifische Ergänzung: Anders als im<br />
deutschen Recht (vgl. § 59f Abs. 2 BRAO) wird Fremdgeschäftsführung<br />
unterbunden, da zusätzlich zu den anwaltlichen<br />
Gesellschaftern Nicht-Gesellschafter, etwa angestellte<br />
Anwälte, nicht zu Geschäftsführern berufen werden dürfen.<br />
Auch ist in Abweichung vom allgemeinen GmbH-Recht die<br />
Prokuraerteilung ausgeschlossen. Allerdings heißt es in den<br />
Gesetzesmotiven, daß diese Verbote nur „vorerst“ gelten und<br />
die Erfahrungen mit der neuen Gesellschaftsform beobachtet<br />
werden sollen 37 . § 21 c Nr. 10 RAO stellt sicher, daß den berufsfremden<br />
Gesellschaftern eine Einflußnahme auf die Man-<br />
27 Mayer, öAnwBl 1992, S. 712; Torgller, FS-Kastner (1992), S. 453, 467; Hoffmann,<br />
öAnwBl 1993, S. 801, 802. Umfassend Cuber, aaO (Fn. 11), S. 106 ff.<br />
28 Zu dieser umfassend Henssler ZEuP 1999, S. 689 ff.<br />
29 Vgl. auch Cuber, aaO (Fn. 11), S. 109.<br />
30 Drucksache Nationalrat 1638/XX, S. 12.<br />
31 Feil/Wennig, aaO (Fn. 9), § 21c RAO, Rdnr. 5.<br />
32 Vgl. zum deutschen Recht zuletzt BGH Beschl. vom 21. Juni 1999, AnzZ (B)<br />
89/98; Henssler, ZIP 1998, S. 2121 ff., Zuck, NJW 1999, 283, 285.<br />
33 Problematisch ist indes, daß Art. 11 Abs. 2 RiLi 98/5 europarechtlich die<br />
Möglichkeit eröffnet, daß in Österreich niedergelassene, assoziierte Anwälte<br />
in ihrem Herkunftsstaat einer anderen Berufsausübungsgesellschaft angehören<br />
dürfen. Das nationale Recht wirkt insoweit diskriminierend; bzgl. hierzu auch<br />
Henssler, ZeuP 1999, 689, 707.<br />
34 Siehe Hetz, aaO (Fn. 14), S. 88, unter Hinweis auf Henssler, NJW 1993,<br />
S. 2144.<br />
35 Tulbinger Thesen, öAnwBl 1991, <strong>Heft</strong> 9, XIV. Zurückhaltend auch Hetz, aaO<br />
(Fn. 14), S. 88 f.; Cuber, aaO (Fn. 11), S. 71.<br />
36 Drucksache Nationalrat 1638/XX, S. 17.<br />
37 Drucksache Nationalrat 1638/XX, S. 17. Anders § 59f Abs. 3 BRAO.
26<br />
l<br />
datsbearbeitung durch die Berufsträger nicht nur über den<br />
Ausschluß von der Geschäftsführung verwehrt wird, sondern<br />
auch nicht durch Beschlüsse der Gesellschafterversammlung<br />
nach § 35 GmbHG erreicht werden kann 38 : Die Ausübung<br />
eines Mandats darf nicht an eine Weisung oder Bestimmung<br />
der Gesellschafter gebunden werden. Diese Vorschrift ist<br />
insbesondere deshalb von Bedeutung, weil es hinsichtlich einer<br />
denkbaren Beteiligung gesellschaftsfähiger Berufsfremder<br />
an der GmbH keine Beschränkung des Umfangs der Geschäftsanteile<br />
oder Stimmrechte gibt.<br />
g) Vertretung<br />
Die gesetzliche Vertretungsregelung der Gesellschaft folgt<br />
der Geschäftsführungsbefugnis: Alle Anwaltsgesellschafter<br />
müssen alleinvertretungsberechtigt sein; berufsfremde Gesellschafter<br />
dürfen keine Vertretungsmacht besitzen. § 21e<br />
RAO stellt eine gesetzliche Vermutung auf, daß eine der Gesellschaft<br />
erteilte Vollmacht im Sinne einer gesetzlichen Substitution<br />
auch als den einzelnen Gesellschaftern erteilt gilt 39 .<br />
h) Berufsberechtigung der Gesellschaft<br />
Ob die nach § 21e RAO bevollmächtigten und vertretungsberechtigten<br />
Anwälte für die Gesellschaft auftreten,<br />
hängt von der Beantwortung der Frage nach der eigenen<br />
„Berufsberechtigung der Anwaltsgesellschaft“ ab, die in<br />
Deutschland unter dem Stichwort „Postulationsfähigkeit der<br />
Anwalts-GmbH“ erörtert wird. Das Problem der Prozeßund<br />
Postulationsfähigkeit (teil-)rechtsfähiger Anwaltsgesellschaften<br />
stellt sich seit der Schaffung der EEG insbesondere<br />
deshalb, weil eine für andere Freiberuflergesellschaften 40<br />
gesetzlich explizit angeordnete eigenständige Berufsberechtigung<br />
für Anwalts-EEG und Anwalts-GmbH unterblieben<br />
ist. § 21e RAO bestimmt lediglich, daß einer EEG und<br />
einer Anwalts-GmbH Vollmacht erteilt werden kann. Für<br />
die EEG wurde u. a. deshalb vertreten, daß aufgrund des<br />
Fehlens einer gesetzlichen Verleihung der Berufsberechtigung<br />
und der Existenz verfahrensrechtlicher Vorschriften,<br />
die das Handeln natürlicher Personen voraussetzen, eine an<br />
die Gesellschaft erteilte Vollmacht bei einer Prozeßhandlung<br />
durch eine natürliche Person substituiert werden müsse 41 .<br />
Hinsichtlich der Anwalts-GmbH werden ähnliche Probleme<br />
nicht angenommen, da die Diskussion in der Vergangenheit<br />
vor allem an die Teilrechtsfähigkeit der EEG anknüpfte 42 .<br />
Der ÖRAK geht daher davon aus, daß die Anwalts-GmbH<br />
selbst die Anwaltschaft ausübt.<br />
i) Haftpflichtversicherung<br />
Besondere Bestimmungen mußten in die RAO aufgenommen<br />
werden, um eine angemessene Haftpflicht der Anwalts-GmbH<br />
zu gewährleisten. Während für einen Einzelanwalt<br />
der Unterhalt einer Berufshaftpflichtversicherung<br />
mit einer Deckungssumme von 5,6 Mio. Schilling für jeden<br />
Versicherungsfall vorgesehen ist – und deren Nachweis erstmals<br />
als ausdrückliche Eintragungsvoraussetzung in die Anwaltsliste<br />
verlangt wird (§ 1 Abs. 2 lit. g RAO) –, beträgt<br />
sie für die Anwalts-GmbH das Sechsfache, nämlich 33,6<br />
Mio. Schilling (§ 21a Abs. 4 S. 1 RAO) 43 . Der Gesetzgeber<br />
hat sich zur Realisierung einer notwendigen Absicherung<br />
der Mandanten für eine hohe gesetzliche Haftpflichtversicherung<br />
entschieden und ebenso denkbare, systemwidrige<br />
Durchbrechungen des GmbH-Rechts etwa durch einen Haftungsdurchgriff<br />
(„Handelndenhaftung“) oder durch ein erhöhtes<br />
Mindestkapital der Gesellschaft vermieden. Die<br />
erhöhte Versicherungssumme für die Anwalts-GmbH wurde<br />
nicht nur im Hinblick auf die fehlende persönliche Haftung<br />
der Gesellschafter 44 , sondern auch wegen des erhöhten Risi-<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze<br />
kos hoher Schäden für die primäre Zielgruppe der neuen<br />
Rechtsform Anwalts-GmbH (Wirtschaftskanzleien) 45 , festgesetzt.<br />
Eine persönliche Haftung trifft die geschäftsführenden<br />
Gesellschafter – nicht die an der Gesellschaft zulässigerweise<br />
beteiligten Berufsfremden –, wenn die Versicherung<br />
die Schadensregulierung ablehnen kann, weil die<br />
vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung nicht oder<br />
nicht im vorgeschriebenen Umfang unterhalten worden ist.<br />
Diese gesamtschuldnerisch neben die Haftung der Gesellschaft<br />
tretende Haftpflicht der Gesellschafter ist aufgrund<br />
ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung verschuldensunabhängig.<br />
Eine summenmäßige Begrenzung der Leistungen<br />
innerhalb eines Versicherungsjahres durch den Versicherer<br />
ist, anders als in § 59j Abs. 2 BRAO, nicht möglich.<br />
IV. Österreich und Deutschland – Gemeinsamkeiten und<br />
Unterschiede<br />
Was fällt bei einem Vergleich der Rechtsanwaltgesellschaft<br />
mit beschränkter Haftung deutschen Rechts und der<br />
österreichischen Anwalts-GmbH auf?<br />
Identisch ist das zweigeteilte Zulassungsverfahren, das<br />
seine Berechtigung aus der Tatsache ableitet, daß die für<br />
die Führung des Firmenbuchs zuständige Stelle nicht über<br />
die notwendige Sachkunde verfügt, um die berufsrechtliche<br />
Seite der Errichtung einer Anwalts-GmbH umfassend zu<br />
begutachten. In Österreich ist der Verfahrensgang anders<br />
als in Deutschland gesetzlich genau vorgeschrieben: Zunächst<br />
berufsrechtliche Begutachtung, sodann Eintragung<br />
in das Firmenbuch aufgrund einer Unbedenklichkeitsbescheinigung<br />
und schließlich Eintragung in eine Liste der<br />
Anwaltsgesellschaften bei der zuständigen Anwaltskammer<br />
(diesen letzten Verfahrensschritt kennt das deutsche Recht<br />
nicht). Die in Deutschland diskutierte Frage, ob eine endgültige<br />
berufsrechtliche Genehmigung bereits vor einer<br />
Eintragung in das Handelsregister zu erlangen ist 46 , stellt<br />
sich daher nicht.<br />
Die Unterschiede beim möglichen Gesellschafterkreis<br />
sind bereits aufgezeigt worden: In Österreich gibt es zum<br />
einen keine weiteren „sozietätsfähigen“ Berufe als mögliche<br />
Gesellschafter, zum anderen aber die Möglichkeit, Familienangehörige<br />
oder nicht mehr aktive Gesellschafter durch eine<br />
Gesellschafterstellung ohne Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnisse<br />
zu versorgen. Die Existenz einer „Kommandit-Partnerschaft“<br />
(KEG) hat diesen Schritt für die GmbH<br />
sicherlich erleichtert. Wenngleich in Deutschland davon ge-<br />
38 § 35 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG sieht insbesondere „Maßregeln zur Prüfung und<br />
Überwachung der Geschäftsführung“ durch die Gesellschafterversammlung<br />
vor.<br />
39 Umfassend zur Vollmachterteilung an eine EEG Brugger, öAnwBl 1991,<br />
S. 773 ff.<br />
40 Für Wirtschaftstreuhänder in § 7 Abs. 1, 29 WTBO; für Ziviltechniker in § 21<br />
Abs. 2 ZTG.<br />
41 Vgl. Müller/Rief/Thiery, Eingetragene Erwerbsgesellschaften, 1994, S. 120;<br />
Hetz, aaO (Fn. 14), S. 118 sowie die Nachweise bei Brugger, AnwBl 1991,<br />
774.<br />
42 Nicht fruchtbar gemacht werden kann allerdings der neue § 1 Abs. 6 RAO,<br />
nach dem die „Rechtsanwälte betreffenden Vorschriften [...] sinngemäß auch<br />
für Rechtsanwalts-Gesellschaften“ gelten. Diese Vorschrift hat nach dem Willen<br />
des Gesetzgebers wohl lediglich die Bedeutung, die Anwendung anderer<br />
die anwaltliche Tätigkeit erfassender Gesetze – wie etwa des RATG – auch<br />
auf die Anwaltsgesellschaften sicherzustellen.<br />
43 Die „krummen“ Beträge ergeben sich aufgrund einer Anlehnung an den<br />
Wechselkurs des Euro. Die Schillingbeträge entsprechen 400.000 bzw. 2,4<br />
Mio. Euro. Aus Anlaß der Einfügung der Sondervorschriften für die Anwalts-<br />
GmbH wurde im übrigen die Mindestversicherungssumme für den Einzelanwalt<br />
von 500.000 auf 5.6 Mio. Schilling mehr als verzehnfacht.<br />
44 So die amtliche Begründung zu § 59j Abs. 2 S. 1 BRAO; BR-Drs. 1002/97,<br />
S. 18.<br />
45 Drucksache Nationalrat 1638/XX, S. 16.<br />
46 Vgl. Henssler NJW 1999, 241, 242.
AnwBl 1/2000 27<br />
Aufsätze l<br />
sprochen wird, daß „die Anwalts-GmbH die Möglichkeit zur<br />
anwaltlichen Arbeit, nicht die Möglichkeit, sein Kapital arbeiten<br />
zu lassen“ gibt, würde die Gestattung eines „stillen<br />
nicht-anwaltlichen Gesellschafters“ nach österreichischem<br />
Modell auch für Deutschland keinen tiefgreifenden berufsrechtlichen<br />
Bedenken begegnen. Ob es insbesondere für<br />
deutsche Großsozietäten, wie es sie in vergleichbarer Größe<br />
in Österreich nicht gibt, eine wünschenswerte und praktikable<br />
Alternative wäre, steht indes auf einem anderen Blatt.<br />
Unterschiede fallen bei der Regelung der Geschäftsführung<br />
auf: Das deutsche Recht hat sich bewußt gegen die<br />
Notwendigkeit der Geschäftsführungsbefugnis aller Gesellschafter<br />
entschieden, da sie auch bei einer Einzelgeschäftsführungsbefugnis<br />
z. B. bei Registeranmeldungen gemäß<br />
§§ 57, 58d GmbHG unpraktikabel ist 47 . Im österreichischen<br />
Recht ist gemäß § 51 Abs. 1 öGmbH für jede Abänderung<br />
des Gesellschaftsvertrages die Mitwirkung sämtlicher Geschäftsführer<br />
notwendig. Selbiges gilt für Kapitalerhöhungen<br />
(§ 51 Abs. 1 S. 1 öGmbHG) und -herabsetzungen (§ 59<br />
Abs. 1 S. 4 öGmbHG) 48 . Allerdings muß konzediert werden,<br />
daß sich das Problem bei der durchschnittlichen Größe<br />
österreichischer Anwaltsgesellschaften nicht mit der selben<br />
Intensität stellt wie in Deutschland. Glücklicher als in<br />
§ 59i Abs. 2 BRAO ist die österreichische Lösung der Leitung<br />
von Zweigstellen: Anders als in Deutschland setzt<br />
§ 7a Abs. 1 RAO nicht voraus, daß eine Zweigstelle von<br />
einem Anwaltsgesellschafter geleitet werden muß; vielmehr<br />
kann diese Funktion jeder Anwalt übernehmen, der seinen<br />
Kanzleisitz am Ort der Zweigniederlassung hat. Diese Lösung<br />
ist sachgerecht; die Motive des österreichischen Gesetzgebers<br />
sind von begrüßenswerten pragmatischen Erwägungen<br />
getragen: Insbesondere Berufsanfängern sollen<br />
Betätigungsmöglichkeiten in neu geschaffenen Zweigniederlassungen<br />
etablierter Kanzleien ermöglicht werden.<br />
Die Prozeßvertretung eines Mandanten unmittelbar<br />
durch eine Anwalts-GmbH ist im deutschen Recht –<br />
gleichsam in letzter Minute 49 – durch die Anerkennung der<br />
Postulationsfähigkeit der Anwalts-GmbH in § 59I BRAO<br />
ermöglicht worden. Wie bereits bei der EEG mangelt es für<br />
die Anwalts-GmbH österreichischen Rechts an einer entsprechenden<br />
Klarstellung. Geht man mit der herrschenden<br />
Auffassung von einer fehlenden „Berufsberechtigung“ der<br />
Anwaltsgesellschaften aus (s. o.), so hätte eine solche<br />
Sichtweise haftungsrechtlich ungünstige Konsequenzen, da<br />
die bei einem gerichtlichen Tätigwerden notwendige Substituierung<br />
eine persönliche Haftung des in concreto handelnden<br />
Prozeßanwalts nach sich ziehen würde. Dieses<br />
Problem stellt sich in Deutschland mit Inkrafttreten des<br />
§ 59I BRAO nicht mehr.<br />
Die Untersagung der Mehrfachbeteiligung an verschiedenen<br />
Berufsausübungsgesellschaften ist in Österreich und<br />
Deutschland vom Wortlaut her unterschiedlich geregelt.<br />
Ebenso wie § 21c Nr. 8 RAO sah § 59e Abs. 2 BRAO in<br />
der Fassung des Referentenentwurfs ein Verbot der „Beteiligung<br />
als Gesellschafter“ an einer weiteren Beteiligung vor.<br />
In der verabschiedeten Form untersagt § 59e Abs. 2 BRAO<br />
dem deutschen Rechtsanwalt hingegen, den in der Rechtsanwaltsgesellschaft<br />
ausgeübten Beruf in einer anderen Verbindung<br />
„auszuüben“. Aufgrund dieses Wortlauts sind in<br />
Deutschland weder reine Kapitalbeteiligungen – die wegen<br />
§ 59e BRAO berufsrechtlich allerdings nicht an Anwaltsgesellschaften,<br />
wohl aber z. B. an Steuerberatungsgesellschaften<br />
möglich sind – noch für Mehrfachqualifizierte die<br />
Ausübung eines anderen freien Berufs (Steuerberater, Wirtschaftsprüfer)<br />
in einer anderen Gesellschaft untersagt. In<br />
Österreich wird man wegen der Fassung des § 21c Nr. 8<br />
RAO 50 davon ausgehen müssen, daß jedenfalls das anwaltli-<br />
che Berufsrecht einem mehrfachqualifizierten Anwalt nicht<br />
verbieten kann, in einer nicht-anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft<br />
tätig zu werden, wenngleich die Norm an die<br />
Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft und nicht an die Ausübung<br />
des Anwaltsberufs anknüpft. Da es in § 21c Nr. 8 S.<br />
1 RAO heißt, daß ein Anwaltsgesellschafter zwar nur einer<br />
Gesellschaft angehören darf, bei einem entsprechenden gesellschaftsvertraglichen<br />
Vorbehalt die Anwaltschaft aber<br />
auch außerhalb der Gesellschaft ausüben darf, sind – jedenfalls<br />
nach der RAO – reine Kapitalbeteiligungen an nicht-anwaltlichen<br />
Berufsausübungsgesellschaften ebenso möglich<br />
wie nicht-anwaltliche Tätigkeiten in anderen Freiberuflergesellschaften.<br />
Die bloße kapitalmäßige Beteiligung an anderen<br />
Anwaltsgesellschaften wird hingegen durch den durch<br />
§ 21c Nr. 1 RAO vorgegebenen möglichen Gesellschafterkreis<br />
einer Anwaltsgesellschaft begrenzt.<br />
Bemerkenswert ist schließlich die identische Lösung der<br />
Haftungsproblematik durch eine der Anwalts-GmbH abverlangten,<br />
im Vergleich zu Einzelanwälten deutlich erhöhten<br />
Mindesthaftpflichtversicherung (Deutschland ein Fünf-,<br />
Österreich ein Sechsfaches). Dieses Modell ist nicht so<br />
selbstverständlich, wie es auf den ersten Blick scheinen<br />
mag. In Frankreich und England etwa haften Gesellschafter<br />
einer Anwaltskapitalgesellschaft für ihre beruflichen Kunstfehler<br />
im Sinne einer Durchgriffshaftung neben der Gesellschaft,<br />
lediglich ihre Mitgesellschafter bleiben vor den haftungsrechtlichen<br />
Folgen eines Haftpflichtfalles verschont 51 .<br />
V. Ausblick<br />
Mit zwei Problemkreisen wird sich die österreichische<br />
Anwaltschaft auch nach dem RABerufsRÄndG 1999 auseinanderzusetzen<br />
haben: Nach wie vor unbeantwortet ist die Frage<br />
nach der Legalisierung multiprofessioneller Anwaltsgesellschaften.<br />
Ihre Gestattung bringt ganz erheblichen<br />
weiteren Regelungsbedarf, so etwa hinsichtlich der Auswahl<br />
der gesellschaftsfähigen Berufe, der Mehrheitserfordernisse in<br />
der Gesellschaft und der kollidierenden Berufsrechte der<br />
Gesellschafter. Ebenso ungeklärt ist die Zulässigkeit der<br />
Anwalts-AG. Während die Anwalts-AG in Deutschland<br />
durchaus als für eine Freiberuflerkooperation geeignet erachtet<br />
wird 52 , sehen österreichische Autoren die AG wegen ihrer<br />
unpersönlichen Ausgestaltung, der reinen Kapitalbeteiligung<br />
der Mitglieder, dem Prinzip der Drittorganschaft und der Existenz<br />
eines Aufsichtsrates mit umfassenden Einsichtsrechten<br />
als wenig attraktive Gesellschaftsform für die Anwaltschaft 53 .<br />
Es bleibt abzuwarten, ob der internationale Trend hin zu<br />
Anwalts-Aktiengesellschaften, der nach Dänemark 54 , Norwegen,<br />
Schweden, Finnland 55 , Frankreich 56 und den Niederlanden<br />
57 mittlerweile auch Deutschland erreicht hat, auch im<br />
österreichischen Recht seinen Niederschlag finden wird.<br />
47 Henssler, ZIP 1997, S. 1481, 1484.<br />
48 Vgl. Kostner/Umfahrer, aaO (Fn. 23), Rdnr. 1098 auch für weitere Fallgruppen<br />
der Antragslegitimation.<br />
49 Vgl. Henssler, ZHR 161 (1997), S. 305 ff.; Dittmann ZHR 161 (1997), S.<br />
332, 336.<br />
50 „Rechtsanwälte dürfen nur einer Gesellschaft angehören“ – Gesellschaft bezieht<br />
sich hierbei nur auf den Begriff „Anwaltsgesellschaft“.<br />
51 Vgl. Henssler, ZHR 161 (1997); S. 305 ff.; Frieders, öAnwBl 1991, S. 281 ff.<br />
52 Henssler, NJW 1999, S. 241, 247.<br />
53 Cuber, aaO (Fn. 11), S. 25 f.<br />
54 Errens, in Henssler/Nerlich, Anwaltliche Tätigkeit in Europa, Köln 1994,<br />
S. 131.<br />
55 Pretzell, Anwaltsrecht in Finnland, Schweden und Norwegen, Köln 1997,<br />
S. 108 ff.<br />
56 Donath, ZHR 156 (1992), S. 135, 155 f.<br />
57 Nerlich, Internationale Kooperationen, Köln 1994 S. 146 ff.
AnwBl 1/2000 29<br />
Justizreform l<br />
Freitag, 4. Februar 2000 9.00 Uhr bis 19.30 Uhr<br />
9.00 Uhr A. Begrüßung durch den Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins, Rechtsanwalt<br />
Dr. Michael Streck, Köln<br />
9.10 Uhr B. Grußwort: Staatssekretär Dr. Hansjörg Geiger, Berlin<br />
9.15 Uhr C. Einführung durch den Vorsitzenden des DAV-Ausschusses „Justizreform“,<br />
Rechtsanwalt Felix Busse, Bonn<br />
9.30 Uhr D. Diskussion<br />
Verhandlungsleitung: RA Felix Busse, Bonn, Vorsitzender des DAV-Ausschusses<br />
„Justizreform“<br />
Hinweis: Die zu diskutierenden Fragen sollen in Themenkomplexen<br />
abgehandelt werden. Zu Beginn jedes Themenkomplexes<br />
werden zunächst alle vorgesehenen Statements im Block<br />
vorgetragen. Daran schließt sich die Diskussion an.<br />
Die Vielzahl der zu behandelnden Themen macht eine zeitliche<br />
Beschränkung der Diskussionsbeiträge auf max. 5 Minuten<br />
notwendig.<br />
Diskussion, erster Teil<br />
I. Zur Situation der Zivilgerichtsbarkeit (I. und II. Instanz) heute<br />
9.30 Uhr Erster Themenkomplex<br />
1. Belastung/Überlastung der Ziviljustiz:<br />
Sind die Zivilgerichte infolge der Entwicklung der Eingangszahlen<br />
überlastet?<br />
2. Verfahrensdauer:<br />
a) Dauern die zivilgerichtlichen Verfahren zu lange?<br />
b) Wie sind die zum Teil erheblichen Unterschiede in der Erledigungsgeschwindigkeit<br />
zwischen einzelnen Gerichten zu<br />
erklären und zu bewerten?<br />
3. Erledigungszahlen:<br />
a) Erreicht die Zivilgerichtsbarkeit angemessene Erledigungszahlen<br />
b) Sind die Unterschiede der Anzahl der Erledigungen zwischen<br />
Richtern am Amtsgericht und Richtern am Landgericht<br />
I. Instanz sowie zwischen Richtern der Berufungszivilkammern<br />
und Richtern am Oberlandesgericht noch<br />
gerechtfertigt, wenn ja, wodurch?<br />
9.30 Uhr Statements zu Fragen 1-3 (jeweils 7 Minuten)<br />
Staatsrat Ulrich Mäurer, Bremen<br />
PräsOLG Gero Debusmann, Hamm<br />
Rechtsanwalt und Notar Horst Eylmann, Stade<br />
4. Einzelrichter/Kollegialgericht I. Instanz:<br />
a) Wie wirkt sich die Einzelrichtertätigkeit I. Instanz im Hinblick<br />
auf Erledigungszahlen und Verfahrensdauer gegenwärtig<br />
im Vergleich zum Kollegialgericht aus?<br />
b) Gibt es meßbare Qualitätsunterschiede bei den Ergebnissen<br />
der richterlichen Tätigkeit des Einzelrichters gegenüber den<br />
Kollegialgerichten?<br />
9.55 Uhr Statements zu Frage 4 (jeweils 5 Minuten)<br />
RiLG Ulrich-Alfred Kleinert, Münster<br />
RiOLG Heribert Eggert, Hamm<br />
RA Dr. Hans C. Lühn, Münster<br />
5. Prozeßleitung durch das Gericht:<br />
a) Gibt die Verfahrensführung und Prozeßleitung durch das<br />
Gericht Anlaß zu Beanstandungen, wenn ja, worin bestehen<br />
diese?<br />
b) Sind Überraschungsentscheidungen zu beklagen?<br />
6. Streitschlichtung durch das Gericht:<br />
Bleibt der Erfolg der Gerichte bei ihren Bemühungen, den<br />
Rechtsstreit gütlich beizulegen, hinter den Erwartungen zurück?<br />
Wenn ja, worauf beruht dies?<br />
10.10 Uhr Statements zu Fragen 5-6 (jeweils 5 Minuten)<br />
PräsOLG Hartwin Kramer, Oldenburg<br />
Rechtsanwalt und Notar Dr. Eberhard Haas, Bremen<br />
10.20 Uhr Diskussion zum ersten Themenkomplex<br />
11.15 Uhr Kaffeepause<br />
11.45 Uhr Zweiter Themenkomplex<br />
7. Inanspruchnahme der Berufungsgerichte:<br />
Ist die gegenwärtige Inanspruchnahme der Berufungsgerichte<br />
unangemessen?<br />
a) Ist die I. Instanz in vielen Fällen nur Probelauf oder Durchgangsstation?<br />
b) Läßt sich ausmachen, daß viele Rechtsmittelkläger trotz erkennbar<br />
fehlender Berufungsaussichten die „Flucht in die<br />
Berufung“ antreten, um Zeit zu gewinnen?<br />
c) Besteht ein Mißverhältnis zwischen der Anzahl der Berufungen<br />
und deren Erfolg?<br />
d) Welche wesentlichen Kriterien für den Entschluß, Berufung<br />
einzulegen, lassen sich gegenwärtig erkennen?<br />
e) Werden gegenwärtig zuviele Richter bei den Berufungsgerichten<br />
im Verhältnis zur Zahl der erstinstanzlich tätigen<br />
Richter tätig?<br />
f) Wieviel Arbeitskraft der Berufungsrichter wird gebunden,<br />
weil Beweisaufnahmen I. Instanz wiederholt werden, ohne<br />
daß dem ersten Richter Rechtsfehler zur Last gelegt werden<br />
können oder weil neue Tatsachen vorgetragen werden,<br />
die schon in I. Instanz hätten vorgetragen werden können?<br />
g) Fördert oder behindert die Anwendung der geltenden Präklusionsvorschriften<br />
die Verfahren?<br />
8. Einheitlichkeit der Rechtsprechung:<br />
Ist bei Materien, die aufgrund der gegenwärtigen Gerichtsverfassung<br />
letztinstanzlich vom Landgericht entschieden werden, ein<br />
stärkeres Auseinanderdriften der Rechtsprechung zu beobachten<br />
als bei den Materien, die höchstrichterlich entschieden werden<br />
können? Inwieweit ist dies der Fall?<br />
11.45 Uhr Statements zu Fragen 7-8 (jeweils 5 Minuten)<br />
RA Dr. Bernd Hirtz, Köln<br />
PräsOLG Gero Debusmann, Hamm<br />
RDir Dr. Christian Meyer-Seitz, BMJ Berlin<br />
12.00 Uhr Diskussion zum zweiten Themenkomplex<br />
13.00 Uhr Dritter Themenkomplex<br />
9. Akzeptanz der Zivilgerichtsbarkeit beim Bürger heute:<br />
a) Stellt der gegenwärtige Gerichtsaufbau, insbesondere die<br />
gespaltene Zuständigkeit von Amts- und Landgericht als Gerichte<br />
I. Instanz und von Berufungszivilkammern und Oberlandesgerichten<br />
in II. Instanz ein Akzeptanzproblem dar?<br />
b) Ist in einer ins Gewicht fallenden Größenordnung feststellbar,<br />
daß Bürger beanstanden, daß in Rechtsstreitigkeiten<br />
bis 1.500,00 DM kein Rechtsmittel eingelegt werden<br />
kann?<br />
c) In bezug auf welche Gesichtspunkte steht die Ziviljustiz<br />
nach den Erfahrungen der Anwaltschaft, der Richterschaft<br />
und der Wirtschaft in der besonderen Kritik der Bürger?<br />
13.00 Uhr Statements zu Frage 9 (jeweils 5 Minuten)<br />
Dr. Joachim Jahn, FAZ Frankfurt<br />
Bernhard Töpper, ZDF Mainz (angefragt)<br />
13.10 Uhr Diskussion zum dritten Themenkomplex<br />
14.00 Uhr Mittagspause<br />
Diskussion, zweiter Teil 15.00 bis 19.30 Uhr<br />
II. Vorschläge zur Steigerung der Effektivität der I. Instanz<br />
15.00 Uhr Erster Themenkomplex<br />
1. Maßnahmen der Organisation der Gerichte, Einsatz von EDV<br />
15.00 Uhr Statement zu Frage 1 (7 Minuten)<br />
Prof. Dr. Maximilian Herberger, Saarbrücken<br />
2. Verbessertes Prozeßmanagement durch den Richter<br />
a) Verbesserte<br />
pflichten?<br />
Prozeßleitung, Ausdehnung der Hinweis-<br />
b) Mehr mündliche Verhandlung?<br />
c) Mehr oder weniger Aufklärung durch das Gericht „von<br />
Amts wegen“?<br />
3. Verstärkung der Mitwirkungspflichten der Prozeßvertreter und der Parteien?<br />
Verschärfung der Präklusionsvorschriften?<br />
15.10 Uhr Statements zu Fragen 2-3 (jeweils 7 Minuten)<br />
VRiLG Dr. Heidemarie Renk, Berlin<br />
RA Curt Engels, Hamburg<br />
15.25 Uhr Diskussion zum ersten Themenkomplex
30<br />
l<br />
16.15 Uhr Zweiter Themenkomplex<br />
4. Einführung der originären Entscheidungszuständigkeit des Einzelrichters?<br />
a) Generell oder ab einem bestimmten Streitwert? Welchem?<br />
b) Wie kann dabei die postassessorale Ausbildung der neu<br />
eingestellten Richter gewährleistet werden?<br />
c) Erwartung deutlich erhöhter Erledigungszahlen beim (Einzel-)<br />
Richter am Landgericht?<br />
5. Aufteilung der Entscheidungszuständigkeiten nach Rechtsgebieten (Spezialisierung)<br />
des Einzelrichters?<br />
16.15 Uhr Statements zu Fragen 4-5 (jeweils 7 Minuten)<br />
VRiOLG Manfred Kleinknecht, Nürnberg<br />
Rechtsanwalt und Notar Horst Eylmann, Stade<br />
16.30 Uhr Diskussion zum zweiten Themenkomplex<br />
17.30 Uhr Kaffeepause<br />
18.00 Uhr Dritter Themenkomplex<br />
6. Maßnahmen zur Steigerung der Zahl der gütlichen Einigungen<br />
a) vor dem Gericht selbst,<br />
b) durch Verweisung an einen Schlichter oder Mediator.<br />
18.00 Uhr Statement zu Frage 6 (5 Minuten)<br />
RA JR Dr. Karl Eichele, Koblenz<br />
7. Auswirkungen derartiger Maßnahmen auf die Akzeptanz beim Bürger.<br />
Was muß im Interesse größerer Akzeptanz beim Bürger noch geändert<br />
werden?<br />
18.05 Uhr Statement zu Frage 7 (5 Minuten)<br />
RA Hartmut Kilger, Hechingen/Tübingen<br />
8. Ist zur Umsetzung der Vorschläge ein neues Verständnis richterlicher<br />
Unabhängigkeit nötig? Stärkung des Kernbereichs, aber Einordnung in<br />
vorgegebene Arbeitsabläufe, verständige Produktivitätserwartungen und<br />
Fortbildungspflichten?<br />
18.10 Uhr Statements zu Frage 8 (jeweils 5 Minuten)<br />
Staatsrat Ulrich Mäurer, Bremen<br />
DirAG Geert W. Mackenroth, Mölln<br />
RA (BGH) Prof. Dr. Achim Krämer, Karlsruhe<br />
18.25 Uhr Diskussion zum dritten Themenkomplex<br />
Samstag, 5. Februar 2000 9.00 Uhr bis 17.30 Uhr<br />
Diskussion, dritter Teil<br />
III. Vorschläge zur Steigerung der Effektivität der Berufungsinstanz<br />
9.00 Uhr Erster Themenkomplex<br />
1. Umgestaltung in eine Instanz zur Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung?<br />
a) Weitergehende Bindung an die Tatsachenfeststellung der<br />
I. Instanz?<br />
b) Beschränkung des Vortrags neuer Tatsachen?<br />
c) Beschränkung von Verfahrensrügen?<br />
d) Auswirkung solcher Vorschläge auf die Effektivität: Entlastung<br />
oder Belastung?<br />
e) Auswirkung solcher Vorschläge auf die Akzeptanz beim<br />
Bürger.<br />
9.00 Uhr Statements zu Frage 1 (jeweils 5 Minuten)<br />
RDir Dr. Christian Meyer-Seitz, BMJ Berlin<br />
PräsOLG Hartwin Kramer, Oldenburg<br />
Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Scharf, Celle<br />
9.15 Uhr Diskussion zum ersten Themenkomplex<br />
10.10 Uhr Zweiter Themenkomplex<br />
2. Vorschaltung eines Annahmeverfahrens?<br />
3. Beschlußverwerfung mangels Erfolgsaussicht?<br />
4. Auswirkungen solcher Vorschläge auf die Akzeptanz beim Bürger.<br />
10.10 Uhr Statements zu Fragen 2-4 (jeweils 5 Minuten)<br />
Staatssekretär Dr. Stefan Franke, Dresden<br />
VRiOLG Manfred Kleinknecht, Nürnberg<br />
RA Dr. Bernd Hirtz, Köln<br />
10.25 Uhr Diskussion zum zweiten Themenkomplex<br />
11.15 Uhr Kaffeepause<br />
11.45 Uhr Dritter Themenkomplex<br />
5. Erhöhung oder Senkung der Berufungssumme, Zulassungsberufung in<br />
Bagatellsachen?<br />
11.45 Uhr Statements zu Frage 5 (jeweils 5 Minuten)<br />
Dr. Klaus Hahnzog, Bayerischer Landtag<br />
MinDirektor Steindorfner, Stuttgart<br />
11.55 Uhr Diskussion zum dritten Themenkomplex<br />
12.15 Uhr Vierter Themenkomplex<br />
6. Zusammenfassung der Entscheidungszuständigkeit beim OLG?<br />
7. Umsetzung erhöhter Erledigungszahlen durch die Berufungsrichter?<br />
8. Einzelrichterentscheidung auch durch das Berufungsgericht?<br />
12.15 Uhr Statements zu Fragen 6-8 (jeweils 5 Minuten)<br />
MD Dr. Hans Hilger, BMJ Berlin<br />
RAuN Dr. Friedhelm Kieserling, Hamm<br />
12.25 Uhr Diskussion zum vierten Themenkomplex<br />
13.00 Uhr Mittagspause<br />
14.00 Uhr Fünfter Themenkomplex<br />
9. Auswirkungen der Vorschläge auf die wirtschaftliche Situation der Anwaltschaft.<br />
14.00 Uhr Statement zu Frage 9 (10 Minuten)<br />
Rechtsanwalt und Notar Rembert Brieske, Bremen<br />
14.10 Uhr Diskussion zum fünften Themenkomplex<br />
Diskussion, vierter Teil 14.45 Uhr bis 17.00 Uhr<br />
IV. Revisionsverfahren<br />
AnwBl 1/2000<br />
Justizreform<br />
14.45 Uhr Erster Themenkomplex<br />
1. Zur Situation beim BGH heute:<br />
a) Entwicklung der Eingänge (Streitwert- und Zulassungsrevisionen),<br />
b) Entwicklung der Ergebnisse (Annahmequote, Erfolgsquote).<br />
14.45 Uhr Statements zu Frage 1 (jeweils 5 Minuten)<br />
PräsBGH Karlmann Geiß, Karlsruhe (angefragt)<br />
RA (BGH) Dr. Hermann Büttner, Karlsruhe<br />
2. Welchen Aufgaben muß der BGH verpflichtet sein?<br />
a) Der Rechtsfortbildung/Einheitlichkeit der Rechtsprechung,<br />
b) der Einzelfallgerechtigkeit<br />
und wird er diesen Aufgaben heute noch gerecht?<br />
14.55 Uhr Statements zu Frage 2 (jeweils 5 Minuten)<br />
Bundesanwalt Rolf Hannich, BMJ Berlin<br />
RiBGH Prof. Dr. Eike Ullmann, Karlsruhe<br />
RA (BGH) Prof. Dr. Achim Krämer, Karlsruhe<br />
15.10 Uhr Diskussion zum ersten Themenkomplex<br />
16.00 Uhr Zweiter Themenkomplex<br />
3. Ist das heutige System der Streitwertrevision unsozial und ungerecht?<br />
4. Wie würde sich die Abschaffung der Streitwertrevision und die Einführung<br />
der allgemeinen Zulassungsrevision ohne Anfechtungs-möglichkeit<br />
oder mit Nichtzulassungsbeschwerde<br />
a) auf die Belastung des BGH,<br />
b) auf die Breite des Zugangs zum BGH,<br />
c) auf die Akzeptanz beim Bürger<br />
16.00 Uhr<br />
auswirken?<br />
Statements zu Fragen 3-4 (jeweils 5 Minuten)<br />
Bundesanwalt Rolf Hannich, BMJ Berlin<br />
RABGH Dr. Herbert Messer, Karlsruhe<br />
PräsBGH Karlmann Geiß, Karlsruhe (angefragt)<br />
16.15 Uhr Diskussion zum zweiten Themenkomplex<br />
17.00 Uhr V. Zusammenfassung der Ergebnisse durch den Vorsitzenden des Ausschusses<br />
Justizreform des DAV, Rechtsanwalt Felix Busse, Bonn<br />
17.25 Uhr VI. Schlußworte des Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins, Rechtsanwalt<br />
Dr. Michael Streck, Köln
32<br />
9<br />
Ausbildungsreform I<br />
Zu Bischof, Kilger, Streck AnwBl 1999, 595<br />
Der Diskussionsbeitrag zur Juristenausbildungsreform<br />
von Hans Helmut Bischof, Vizepräsident des Oberlandesgerichts<br />
Koblenz, stellt deutlich dar, dass der Weg zu einer<br />
Ausbildungsreform, die insbesondere auch dem Berufsbild<br />
und den Berufsanforderungen an den Anwalt gerecht wird,<br />
noch ein weiter ist. Bischof emotionalisiert und wirft der<br />
Anwaltschaft vor, mit dolus directus dem Ansehen des Berufsstandes<br />
Rechtsanwalt zu schaden durch das Schaffen<br />
von Zugangssperren zum Anwaltsberuf. Aus meiner Sicht<br />
ordnet Bischof hier die Probleme falsch.<br />
Die Ansätze Bischofs, die die Lösung der Probleme nur<br />
marginal den Regeln des Marktes überlassen wollen, richten<br />
mehr Schaden an, als die Position der Anwaltschaft die<br />
Bischof kritisiert. Der Weg von Bischof führt zwangsläufig<br />
zu einem Verlust des gesellschaftlichen Ansehens der<br />
Rechtsanwaltschaft und nimmt damit billigend in Kauf,<br />
dass der Anspruch des Bürgers auf eine kompetente anwaltliche<br />
Unterstützung verletzt wird. Dies ist ein vorsätzlicher,<br />
jedenfalls mit dolus eventualis begangener, Angriff<br />
auf die Rechtspflege.<br />
Aber im Ernst: Bischof misst mit zweierlei Maß, wenn<br />
er die Praxis des Staates, nur besonders befähigte Examenskandidaten<br />
in den Richterdienst zu berufen, offensichtlich<br />
nicht vergleichen will mit der von ihm kritisierten<br />
Zugangskontrolle durch eine Anwaltsausbildung durch die<br />
Anwaltschaft selbst. Der entscheidende Unterschied ist,<br />
dass in der Justiz ein faktisch nicht zum Richteramt Befähigter<br />
„mitgetragen“ wird, in der Rechtsanwaltschaft der<br />
Betroffene über Marktregularien wirtschaftliche Einbußen<br />
und die Anwaltschaft insgesamt massive Ansehensverluste<br />
erleiden muss.<br />
Offen gesagt ist das Dilemma der heutigen Juristenausbildung<br />
doch folgende Situation:<br />
Wer die Ausbildung durchläuft und keine andere Wahl<br />
mehr sieht, als über die freie Anwaltschaft einen juristischen<br />
Beruf auszuüben, kann für sich nicht in Anspruch<br />
nehmen, tatsächlich die Qualifikation zum Rechtsanwalt zu<br />
haben, oftmals fehlt es an der menschlichen und teils auch<br />
an der fachlichen Befähigung hierzu. Die Konsequenz ist,<br />
dass der von Bischof bemühte Markt in zunehmendem<br />
Maße das Vertrauen in die Rechtsanwaltschaft verliert. Gerade<br />
dieses Vertrauen aber ist es, was der Anwalt zur<br />
pflichtgemäßen und auch verfassungsgemäßen Erfüllung<br />
seines beruflichen Auftrages benötigt. Insbesondere die<br />
Rechtsvertretung des sog. einfachen Bürgers wird durch<br />
diesen Zustand immer mehr erschwert.<br />
Hiergegen gibt es nur ein Gegenmittel, nämlich, dass<br />
diejenigen, die die Befähigung eines jungen Juristen für<br />
das Berufsbild des Anwalts beurteilen können, insofern regelnd<br />
eingreifen. Es sind die Anwälte, die entscheiden und<br />
beurteilen können, welche Bewerber sich in fachlicher und<br />
menschlicher Hinsicht für den Anwaltsberuf eignet.<br />
In diesem Zusammenhang ist es aus meiner Sicht kontraproduktiv,<br />
wenn von dem Kollegen Kilger noch das<br />
Wunschdenken einer freien Advokatur hervorgehoben wird.<br />
Ich darf die ketzerische Fragen stellen: Entspricht es Sinn<br />
und Zweck der freien Advokatur und der Rechtsstaatspflege,<br />
AnwBl 1/2000<br />
dass auch Nicht-Befähigte Zugang zur Anwaltschaft erhalten?<br />
Wird dies dem Leistungsverständnis der Deutschen<br />
Rechtspflege gerecht?<br />
Meines Erachtens kann der Ansatzpunkt für eine umfassend<br />
verantwortungsvolle Ausbildungsreform nur der sein,<br />
dass in der Ausbildung frühzeitig auf die Befähigung zum<br />
Anwaltsberuf abgestellt wird. Die Entscheidung hierüber<br />
sollte man denen überlassen, die dies beurteilen können:<br />
Der Anwaltschaft.<br />
Dass dieses Regularium auch für Qualität bürgt, ergibt<br />
sich aus der Feststellung Bischofs, dass Geld die Welt<br />
regiert. Nur diejenigen Anwälte, die dauerhaften Erfolg<br />
haben, werden wirtschaftlich dazu in der Lage sein, junge<br />
Kollegen auszubilden. Diejenigen Kollegen, die sich<br />
„mehr schlecht als recht“ durch den Anwaltsberuf über<br />
Wasser halten, haben schon wirtschaftlich keine Möglichkeit,<br />
junge Kollegen auszubilden; ich unterstelle hierbei,<br />
dass schon die Ausbildungsvergütung dem letztendlichen<br />
Berufsziel adäquat ist.<br />
Im Übrigen wird die Ausbildung durch die Anwaltschaft<br />
mit der aus meiner Sicht notwendigen Zugangssperre des<br />
Bewerbungserfordernisses auch den Interessen der jungen<br />
Juristen gerecht. Es ist gesellschaftspolitisch meines Erachtens<br />
unverantwortlich, einen Berufsanfänger in eine mindestens<br />
5 1/2jährige Ausbildung zu schicken und ihm danach<br />
das Risiko aufzubürden, nach weiteren Jahren festzustellen,<br />
dass er für den Anwalts- wie einen anderen juristischen Beruf<br />
ungeeignet ist. Dies verletzt existenzielle Interessen des<br />
jungen Berufseinsteigers ebenso, wie es der gesellschaftlichen<br />
Verantwortung der Rechtspflege nicht gerecht wird.<br />
Es wird in der Diskussion aus meiner Sicht nämlich entscheidend<br />
vernachlässigt, welchen Schaden der Mandant<br />
hat, der an einen ungeeigneten Anwalt gerät.<br />
Ich plädiere daher für eine leistungsorientierte Anwaltsausbildung<br />
durch die Anwaltschaft im Interesse der<br />
Rechtspflege, des Marktes und vor allem: der Mandanten.<br />
Rechtsanwalt Frank Daniel Ehrsam, München<br />
Ausbildungsreform II<br />
Zu Bischof, Kilger, Streck AnwBl 1999, 595<br />
Unter der Rubrik „Meinung und Kritik“ ist eine ausführliche<br />
Stellungnahme des Vizepräsidenten des OLG<br />
Koblenz, Bischof, nebst zwei Kommentaren zum Thema<br />
veröffentlicht.<br />
Ohne ins einzelne gehen zu wollen bin ich, und spreche<br />
hier für mich alleine, der Auffasung, daß es bei der bisherigen<br />
Referendarsausbildung grundsätzlich bleiben sollte.<br />
Dies insbesondere unter dem Gesichtspunkt, daß die Kommentatoren<br />
nicht darauf eingehen, wie sie sich im einzelnen<br />
eine Ausbildungsstelle vorstellen. Welches Gehalt soll<br />
den zukünftigen Anwaltsassessoren gezahlt werden? Oder<br />
zahlen diese dem ausbildenden Anwalt ein Gehalt?<br />
Jedem Verfasser stimmt der Unterzeichner zu, daß der<br />
freie Markt das Seine leistet. Dies wird er um so mehr tun<br />
,je härter der Wettbewerb wird. Der sogenannte Closed-<br />
Shop hingegen wird weit eher zu Wettbewerbsverzerrungen<br />
führen als das, was sich derzeit abspielt.<br />
Rechtsanwalt Matthias Görgen, Koblenz
AnwBl 1/2000 33<br />
Meinung & Kritik<br />
Reform der Juristenausbildung<br />
Ein Kommentar von einer frischgebackenen Volljuristin<br />
Nachdem ich nun mit dem Abschluss des 2. Juristischen<br />
Staatsexamens die Befähigung zum Richteramt erlangt<br />
habe und mich für den – aus meiner Warte – interessanten<br />
Rechtsanwaltsberuf entschieden habe, frage ich mich, ob<br />
ich mit dem nötigen Rüstzeug für diesen Beruf ausgestattet<br />
worden bin. Im Ergebnis wird man diese Frage wohl mit<br />
einem „Nein“ beantworten müssen, was nicht etwa mit<br />
meinem Desinteresse an der Ausbildung oder mangelnder<br />
Lernfähigkeit zusammenhängt.<br />
Wenn ich im Nachhinein die langwierige, nicht einfache<br />
Ausbildung Revue passieren lasse, kommen mir Gedanken,<br />
wie man vielleicht doch auf etwas andere, praktischere<br />
Weise zu seinem Ziel hätte hingeführt werden können. Da<br />
Kritik bekanntlich einfach und konstruktivere Vorschläge<br />
doch schon etwas schwieriger sind, möchte ich versuchen<br />
darzustellen, wie ich mir eine Juristenausbildung vorstellen<br />
könnte.<br />
1. Zum Studium<br />
Das Studium erscheint den meisten Jura-Studenten zu<br />
Beginn wohl in aller erster Linie als ein wenig unübersichtlich.<br />
Man sollte vielleicht im 1. Semester damit beginnen,<br />
einen Gesamtüberblick zu verschaffen, damit der Student<br />
weiß, wo irgendwann mal der Zug hinfährt.<br />
Im 2./3./4. Semester bekommt man in den drei Rechtsgebieten<br />
Zivilrecht, Strafrecht, Öffentliches Recht die<br />
Grundlagen vermittelt und beendet die Semester jeweils<br />
mit einer Abschlussprüfung.<br />
Im 5./.6./7. Semester erfolgt dann die Vertiefung dieser<br />
drei Rechtsgebiete, wobei auch hier die Semester mit einer<br />
Abschlussprüfung beendet werden.<br />
Damit mich keiner falsch versteht, neben den Pflichtfächern<br />
bleibt selbstverständlich das Angebot anderer<br />
Rechtsgebiete bestehen, in die man sich freiwillig je nach<br />
Interessenlage hineinarbeiten kann und im eigenen Interesse<br />
auch sollte.<br />
Zu den Abschlussprüfungen möchte ich anmerken, dass<br />
diese eher in Klausuren, als in allzu wissenschaftlichen<br />
Hausarbeiten liegen sollten. Hausarbeiten sind zudem sehr<br />
zeitintensiv und kommen der Praxis eines Juristen wenig<br />
nahe, da er zur Lösung eines Rechtsproblems selten 4 - 6<br />
Wochen zur Verfügung haben wird. Besonders sinnvoll<br />
zum Erlernen des unerlässlichen Klausurenschreibens sind<br />
Klausur-AGs und weniger wissenschaftliche Vorlesungen.<br />
Statt des Hausarbeitenschreibens in den Semesterferien,<br />
sollte man den Studenten durch noch mehr Praktika dazu<br />
verpflichten, jeweils ca. 3 Wochen in den Semesterferien<br />
bei einer juristischen Stelle zu arbeiten. In dieser Zeit<br />
könnte man erste wertvolle praktische Erfahrungen sammeln<br />
und bereits erste Berufsvorstellungen entwickeln sowie<br />
die durch nichts zu ersetzenden Kontakte sammeln.<br />
Zwei Pflichtpraktika, wie derzeit zumeist üblich, sind meiner<br />
Auffassung nach dazu nicht ausreichend. Trotz dieser<br />
drei-wöchigen Praktika dürfte das Jobben in den Semesterferien<br />
zum Auffrischen des Studentenbeutels auch noch<br />
möglich sein. Und warum sollte man nicht auch schon<br />
während des Praktikums oder darüber hinaus etwas Geld<br />
in seinem vielleicht zukünftigen Beruf verdienen?<br />
Im 8. Semester beendet man sein Studium dann mit jeweils<br />
einer Examensklausur in den Pflichtfächern und mit<br />
einer mündlichen Prüfung.<br />
Manch einer wird sich nun fragen, was hieran so bahnbrechend<br />
anders sein soll.<br />
Entscheidend ist, dass die zuvor erbrachten Abschlussprüfungen<br />
sowie die Examensprüfungen eine Einheit bilden<br />
und zusammen die Endnote des 1. Staatsexamens bilden.<br />
Des weiteren sollte man die ersten drei Klausuren ähnlich<br />
einem Vordiplom behandeln und nach jeweils zwei<br />
vergeblichen Versuchen das Scheitern des Studiums herbeiführen.<br />
Dies mag zunächst hart klingen, aber ich habe persönlich<br />
miterlebt, wie ein Examensprüfling nach 11 Semestern<br />
im zweiten Anlauf sein Examen endgültig nicht<br />
bestanden hat. Ich glaube, dass dieser Person mehr damit<br />
gedient gewesen wäre, wenn sie bereits nach vier Semestern<br />
gescheitert wäre und dann einen Neuanfang gemacht hätte.<br />
Im übrigen ist es auch unzumutbar über mindestens<br />
8 Semester alle möglichen Rechtsgebiete durchzuarbeiten,<br />
um dann „ernsthaft“ erst nach über 4 Jahren darin geprüft<br />
zu werden. Es würde bei der zunehmenden Masse an Materie,<br />
die auf einen zukommt, eher dem Menschenverstand<br />
entsprechen, das neu Gelernte gleich zum Semesterende<br />
abzuprüfen und in die Endwertung einzubeziehen, wie dies<br />
in so vielen anderen Studiengängen üblich ist. Dabei denke<br />
ich nicht an das bereits übliche „Scheine sammeln“,<br />
sondern an ernsthafte Prüfungen.<br />
Auch halte ich eine rein wissenschaftliche Schwerpunktausbildung<br />
im Studium für überflüssig. Es überfrachtet<br />
lediglich das Studium und verlängert die Ausbildung. Dies<br />
ist aber weder in finanzieller Hinsicht, noch im Hinblick<br />
auf die kurzen Ausbildungszeiten im europäischen Vergleich<br />
sinnvoll. Daher zum nächsten Punkt:<br />
2. Das Referendariat<br />
Das Referendariat hat mir weitaus besser gefallen, als<br />
das Studium. Hier erst wurde mir klar, was von einem Juristen<br />
überhaupt erwartet wird. Hatte ich vorher noch leicht<br />
verfälschte Vorstellungen vom Beruf des Staatsanwalts<br />
oder Richters, so wurde ich bald eines Besseren belehrt.<br />
Vielleicht wären mir meine Illusionen auch schon früher<br />
genommen worden, wenn ich mehrere Praktika absolviert<br />
hätte. Selbstverständlich ist immer Eigeninitiative gefordert<br />
und selbstverständlich hätte ich auch von mir aus<br />
freiwillig mehrere Praktika machen können. Aber was<br />
macht der Mensch schon freiwillig, und da die Ausbildung<br />
ja sonst auch so reglementiert ist, warum nicht auch in<br />
diesem Bereich.<br />
Um auch hier wieder einen Überblick zu bekommen, ist<br />
es wohl unerlässlich, an der derzeitigen Regelung festzuhalten<br />
und dem Referendar auf jedem Gebiet einen Einblick<br />
zu verschaffen. Allerdings sind die derzeitigen Aufenthalte<br />
bei den jeweiligen Stationen zeitlich zu lang und<br />
oft uneffektiv gestaltet. Nutzt man intensiv 3 Monate Zivilgericht,<br />
3 Monate Staatsanwaltschaft/Strafgericht, 3 Monate<br />
Verwaltung und 3 Monate Rechtsanwalt/Wirtschaftsunternehmen,<br />
so sollte diese Zeit reichen, um einen<br />
Überblick zu erlangen.<br />
Nun kommt die entscheidende Frage: Was will ich (auf<br />
diesem so unendlichen Gebiet des Rechts) überhaupt<br />
machen? Schließlich gibt es viele Berufsfelder und dort<br />
wiederum viele Schwerpunkte. Ohne eine gewisse Spezialisierung<br />
wird man von der Masse der Materie (die ein Volljurist<br />
beherrschen soll) erdrückt werden.<br />
An dieser Stelle daher mein Vorschlag: 12 Monate<br />
Schwerpunktausbildung auf dem Berufsfeld, bei dem man
34<br />
voraussichtlich bleiben will (am Besten bei der Stelle, bei<br />
der man später auch bleiben kann). In dieser Zeit können<br />
wertvolle und unerlässliche Erfahrungen gesammelt und<br />
Kontakte geknüpft werden.<br />
Nun die nächste Frage: Wie soll das 2. Juristische<br />
Staatsexamen gestaltet werden?<br />
Nun man könnte es sich so vorstellen, dass jede der<br />
Stationen nach den 3 Monaten mit einer Klausur abschließt.<br />
Die Schwerpunktausbildung könnte mit etwa 3<br />
Klausuren beendet werden. Hier wieder der Vorteil: Die<br />
Prüfung findet statt, solange der Stoff noch präsent ist.<br />
Nach den Schwerpunkt-Klausuren müsste dann die<br />
mündliche Prüfung stattfinden. Aus all diesen Einzelprüfungen<br />
setzt sich dann im Ergebnis das 2. Staatsexamen<br />
zusammen.<br />
3. Die Finanzierung<br />
Zum Schluss noch ein viel diskutiertes Thema, dass ich<br />
hier nur kurz ansprechen will: Die Finanzierung des Referendariats.<br />
In Anbetracht dessen, dass die wenigsten Juristen später<br />
einmal in den Staatsdienst gehen werden, sondern sich<br />
vielmehr auf den Stand der Rechtsanwälte oder auf Unternehmen,<br />
Banken, Versicherungen u. ä. verteilen werden,<br />
wäre es sicherlich nicht ganz neben der Sache, wenn auch<br />
diese Berufszweige sich an dem Unterhalt des Referendars<br />
beteiligen. Es wird schließlich nicht nur Konkurrenz, sondern<br />
auch brauchbarer und erforderlicher Nachwuchs<br />
ausgebildet.<br />
Das Problem ist die Ausgestaltung einer solchen Mitfinanzierung.<br />
Die Beiträge zum Gehalt direkt von den Anwälten<br />
u. ä. zu fordern hätte wenig Erfolg, da diese dann<br />
von einer Ausbildung des Referendars aus Kostengründen<br />
absehen werden. Es wäre wohl sinnvoller, an eine Einbeziehung<br />
der Rechtsanwaltskammern, der Industrie- und<br />
Handelskammern u. ä. zu denken.<br />
Rednerwettstreit des DAV<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Auf diesem Gebiet müsste man sich sicherlich mal<br />
ernsthafte Gedanken machen, wobei ja bekanntlich beim<br />
Geld der Spaß aufhört.<br />
4. Fazit<br />
Im Ergebnis hätte ich mir eine praxisorientiertere, überschaubarere<br />
Ausbildung gewünscht, bei der der „große<br />
Knall“ nicht nach vielen Jahren im Wege der beiden<br />
Staatsexamina erfolgt. Im übrigen würden die Studienzeiten<br />
bei Prüfungen im Sinne eines Vordiploms, wie es oben<br />
beschrieben wurde, erheblich verkürzt werden.<br />
Durch die 12-monatige Schwerpunktausbildung hätte<br />
man die Möglichkeit, sich auf ein Berufsfeld vorzubereiten<br />
und sich eventuell seinen späteren Arbeitsplatz zu erarbeiten.<br />
Bei einer Beteiligung anderer Berufsgruppen an der<br />
Finanzierung des Referendariats wird das Interesse an einer<br />
qualifizierten Ausbildung voraussichtlich steigen (man<br />
würde nicht mit einer Akte für 2 Wochen nach Hause geschickt<br />
werden), denn schließlich will der „Arbeitgeber“<br />
für sein Geld ja auch was sehen.<br />
5. Nachtrag<br />
Besonders erschreckt hat mich an der so langen und<br />
harten Ausbildung, dass der „krönende“ Abschluss zum<br />
Volljuristen nur allzu traurig „gestaltet“ wurde. Bekam<br />
man doch tatsächlich sein Zeugnis bzw. seine Urkunde per<br />
Post zugeschickt.<br />
Ich habe kürzlich den Abschluss der Ausbildung zur Stewardess<br />
sehen können. Dort gab es eine nette Abschiedsfeier<br />
mit Überreichung der Urkunden, einem Händedruck<br />
und einem Glas Sekt. Sollte man nicht auch bei uns (wieder)<br />
darüber nachdenken, ob ein so entscheidender Augenblick<br />
nicht etwas feierlicher gestaltet werden könnte? -- Die<br />
Urkunden vom örtlichen Turnverein sehen übrigens schöner<br />
aus.<br />
Rechtsanwaltin Nicole Böcker, Bremen<br />
Der DAV schreibt zum ersten Mal einen Rednerwettstreit aus. Die Kunst der Rhetorik hat bei uns, selbst<br />
bei uns Anwälten, keinen besonderen Stellenwert. Das gute Argument trägt sich selber vor – diese<br />
„Erkenntnis“ hat ihre Dominanz noch nicht verloren. Angeregt durch ausländische, insbesondere<br />
französische Vorbilder, soll der Rednerwettstreit nun einen deutlichen Akzent setzen. Die Ausschreibung<br />
finden Sie abermals in diesem <strong>Heft</strong> S. V. Die Teilnahmebedingungen können bei der DAV-Geschäftsstelle<br />
angefordert werden. Die beiden Generalthemen sind nicht zugleich Themen der Rede. Bereits hier soll<br />
die Phantasie ansetzen. Die Konkretisierung der allgemeinen Aussage soll der Start in ein rhetorisches<br />
Kammerstück sein; hier fängt das Vergnügen an. Ort der Premiere ist der Anwaltstag 2000 in Berlin.<br />
Die Sieger treten durch die Wiederholung ihrer Rede in der Zentralveranstaltung des Anwaltstages in<br />
das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit.<br />
Ich lade alle Kolleginnen und Kollegen, die nicht älter als 38 sind, herzlich ein, an diesem Wettstreit, an<br />
dieser Premiere teilzunehmen.<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Präsident des DAV
AnwBl 1/2000 35<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Anwaltstag 2000 in Berlin<br />
AdvoJob – DAV veranstaltet<br />
erstmals Personalmesse<br />
Erstmalig am 1. Juni 2000 veranstaltet<br />
der Deutsche Anwaltverein und<br />
das Forum Junge Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte anlässlich des<br />
Deutschen Anwaltstages die Personalmesse<br />
AdvoJob.<br />
Trotz der nach wie vor steigenden<br />
Zahlen der Juraabsolventen Deutscher<br />
Universitäten ist es für viele Kanzleien<br />
schwierig, ausreichend qualifizierten<br />
Nachwuchs zu finden. Die AdvoJob<br />
als Personalmesse des Deutschen Anwaltvereins<br />
und des Forums Junge<br />
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />
soll hier in Ergänzung der bestehenden<br />
Personalmessen für Juristen eine Lükke<br />
schließen. Die AdvoJob richtet<br />
sich ausschließlich an Rechtsanwaltskanzleien<br />
unterschiedlicher Größe, da<br />
für zahlreiche Top-Nachwuchsjuristen<br />
auch mittlere Kanzleien und Spezialkanzleien<br />
an Attraktivität gewinnen.<br />
Die AdvoJob soll den beteiligten<br />
Kanzleien die Möglichkeit geben, auf<br />
ihr Tätigkeitsfeld und Anforderungsprofil<br />
hinsichtlich des Nachwuchses<br />
hinzuweisen und gleichzeitig ersten<br />
Kontakt mit qualifizierten, interessierten<br />
Nachwuchsjuristen aufzunehmen.<br />
Für die Teilnehmer bietet sich die<br />
Möglichkeit, das Anforderungsprofil,<br />
die Karrieremöglichkeiten und Strukturen<br />
verschiedener Kanzleien kennenzulernen.<br />
Neben der reinen Messepräsenz<br />
bietet die AdvoJob den beteiligten<br />
Kanzleien die Möglichkeit, sich in Unternehmenspräsentationen<br />
einer breiteren<br />
Öffentlichkeit vorzustellen.<br />
Durch intensive Werbung wird bei<br />
Referendaren und jungen Anwälten<br />
auf die AdvoJob aufmerksam gemacht<br />
werden, so dass mit ca.. 800 – 1000<br />
Teilnehmern gerechnet wird.<br />
Zusätzlich plant der Deutsche Anwaltverein<br />
ab Mitte Februar 2000, zusammen<br />
mit dem Forum Junge Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte, eine<br />
interaktive Bewerberdatenbank für Juristen<br />
ins Internet zu stellen. Hier wird<br />
dem qualifizierten Nachwuchs die<br />
Möglichkeit gegeben, die wichtigsten<br />
Daten seiner fachlichen Qualifikation<br />
ins Internet zu stellen (ohne Nennung<br />
von persönlichen Daten). Die Kanzleien<br />
können dann aus diesem Pool der<br />
zur Verfügung stehenden Daten den<br />
für sich passenden Nachwuchs heraus-<br />
filtern. Die Bewerberdatenbank wird<br />
unter www.advojob.de zu finden sein.<br />
Der Deutsche Anwaltverein möchte<br />
den Bereich Nachwuchsrekrutierung<br />
nicht allein kommerziellen Anbietern<br />
überlassen und dieses Feld besetzen.<br />
Die genauen Preise und Leistungen<br />
für die Personalmesse AdvoJob können<br />
im Berliner Büro des Deutschen Anwaltvereins,<br />
Schiffbauerdamm 17, 10117 Berlin,<br />
Tel.: 030/2808004, Fax: 030/<br />
2808005, e-mail: berlin@anwaltverein.de<br />
angefordert werden.<br />
Rechtsanwalt Andreas Hagenkötter,<br />
Berlin<br />
PR-Referat<br />
Hier eine verkürzte Übersicht der<br />
Presseresonanz auf die Arbeit des DAV.<br />
Den vollständigen Bericht finden Sie im<br />
Internet unter www.anwaltverein.de/02/.<br />
Strafverteidiger-Kolloquium<br />
in Berlin<br />
Anlässlich des Strafverteidiger-Kolloquiums<br />
der Arbeitsgemeinschaft<br />
Strafrecht im Deutschen Anwaltverein<br />
vom 12. bis zum 13. November 1999<br />
organisierte die Arbeitsgemeinschaft<br />
in Zusammenarbeit mit dem PR-Referat<br />
ein Pressegespräch.<br />
Das Thema war die „Anwaltliche<br />
Tätigkeit und strafrechtliche Risiken –<br />
Geldwäsche und Parteiverrat“. Damit<br />
griff die Arbeitsgemeinschaft Strafrecht<br />
eine Thematik auf, die in jüngster<br />
Zeit an Aktualität und Brisanz gewonnen<br />
hat, nachdem sich bundesweit<br />
namhafte Kollegen den Vorwurf der<br />
Geldwäsche gefallen lassen müssen.<br />
Dabei haben die Strafrechtler festgestellt,<br />
dass viele Strafverteidigerinnen<br />
und Strafverteidiger befürchten, dass<br />
durch Einleitung derartiger Verfahren<br />
eine „Disziplinierung“ engagierter,<br />
aber unbequemer Strafverteidiger die<br />
Folge sein könnte.<br />
Anwälte würden kein Mandat mehr<br />
übernehmen, wenn sie anschließend<br />
darüber selbst vor Gericht gestellt werden<br />
könnten, so der Vorsitzende des<br />
Strafrechtsausschusses im Deutschen<br />
Anwaltverein, Rechtsanwalt und Notar<br />
Eberhard Kempf. Er forderte in der<br />
Frankfurter Rundschau vom 13.11.99<br />
ein „Mindestmaß an Schutz“ für die<br />
Verteidiger. Gegen diese dürfe nur<br />
dann ermittelt werden, wenn sie von<br />
der illegalen Herkunft der Gelder<br />
„sicher“ wüssten. Der Vorsitzende der<br />
Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im<br />
Deutschen Anwaltverein, Rechtsanwalt<br />
Prof. Dr. Volkmar Mehle, erläuterte,<br />
dass die Anwendung der Geldwäschevorschriften<br />
auf<br />
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />
das rechtsstaatliche Statut der freien<br />
Verteidigerwahl bedrohe. Schließlich<br />
würden Finanzbeamte auch nicht wegen<br />
Geldwäsche verfolgt, wenn sie<br />
etwa einen korrupten Beamten dazu<br />
zwängen, seine illegalen Gewinne als<br />
sonstigen Einnahmen zu versteuern,<br />
schreibt die Frankfurter Rundschau.<br />
Die O-Ton-Mitschnitte des Pressegesprächs<br />
wurden in Beiträgen der Radiosender<br />
100,6 und 104,6 RTL wiedergegeben.<br />
Für den Fernsehsender<br />
TV Berlin stand Rechtsanwalt und<br />
Notar Eberhard Kempf zu diesen Problemen<br />
vor der Kamera.<br />
Internationaler Rechtsverkehr<br />
Die Herbstveranstaltung der<br />
Arbeitsgemeinschaft Internationaler<br />
Rechtsverkehr widmete sich diesmal<br />
der Dominanz anglo-amerikanischer<br />
Vertragsgestaltungen. Im internationalen<br />
Rechtsverkehr drohen knappe<br />
deutsche Vertragstexte ins Hintertreffen<br />
zu geraten gegenüber ihren umfang-<br />
und detailreichen Konkurrenzen<br />
aus dem anglo-amerikanischen Raum.<br />
Dies sei auf einer Veranstaltung der<br />
Arbeitsgemeinschaft in München deutlich<br />
geworden, schreibt die Frankfurter<br />
Allgemeine Zeitung am 5. November<br />
1999. Insbesondere im Bereich<br />
des Unternehmenskaufs hätten sich<br />
US-amerikanische Verträge längst<br />
durchgesetzt, berichtet das Handelsblatt<br />
am 3. November 1999.<br />
Das Handelsblatt kommentierte<br />
die Veranstaltung am 8. November<br />
1999 u. a. wie folgt: „Die Teilnehmer<br />
des Seminars des Deutschen Anwaltvereins<br />
zur „Dominanz anglo-amerikanischer<br />
Vertragsgestaltung“ brachten<br />
ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass die<br />
Entwicklung eine einseitige ist und<br />
auch die Qualität der deutschen<br />
Rechtssystematik darin eine Rolle<br />
spielen wird – schließlich erfreuen<br />
sich auch andere deutsche Markenartikel<br />
großer Beliebtheit in den Vereinigten<br />
Staaten.<br />
Informationstechnologie<br />
Die Arbeitsgemeinschaft Informationstechnologie<br />
traf sich zu ihrer<br />
ersten Anwaltskonferenz in München.<br />
„Die über 100 versammelten Anwältinnen<br />
und Anwälte waren sich im<br />
wesentlichen darüber einig, dass die
36<br />
Chancen des Cyberspace zumindest gegenwärtig<br />
durch eine Vielzahl von Gefahren<br />
und Schwierigkeiten aufgewogen<br />
werden“, berichtet das<br />
Handelsblatt am 27.10.99. Nach Ansicht<br />
von Rechtsanwalt Jochen Schneider,<br />
Mitglied der Arbeitsgemeinschaft,<br />
würden die Anwälte nicht die Kommunikation<br />
per E-Mail bevorzugen, wenn<br />
sie dazu nicht von ihren Mandanten gezwungen<br />
würden. Inhalt, Authentizität,<br />
Zugang von E-Mails – nichts von dem<br />
lasse sich vor Gericht beweisen.<br />
Steuerrecht<br />
In einem Interview mit der Süddeutschen<br />
Zeitung am 16. September<br />
1999 wies der Vorsitzende des Steuerrechtsausschusses<br />
im Deutschen Anwaltverein,<br />
Rechtsanwalt und Steuerberater,<br />
Dr. Ingo Flore, darauf hin,<br />
dass ein wichtiger Vorschlag zur Verfahrensänderung<br />
im wesentlichen vom<br />
DAV initiiert war. Dabei ging es um<br />
die Erleichterung für den Zugang zum<br />
Bundesfinanzhof.<br />
Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft<br />
Steuerrecht im DAV, Rechtsanwalt<br />
Dr. Rolf Schwedhelm, wurde am<br />
8. November 1999 vom Handelsblatt<br />
zum Thema der Steuerreform interviewt.<br />
Durch die Steuerdiskussion sei<br />
zunehmend die Rechtsunsicherheit das<br />
Hauptproblem. In den letzten Jahren<br />
habe es im Steuerrecht fast halbjährliche<br />
Gesetzesänderungen gegeben.<br />
Steueranwälte und Berater müssen<br />
ständig ihre Gestaltung, die sie zusammen<br />
mit den Mandanten entwickelt haben,<br />
daraufhin überprüfen, ob sie vor<br />
dem Hintergrund der gerade aktuellen<br />
Gesetzgebung noch Bestand haben.<br />
Am 29. Oktober 1999 schreibt die<br />
Nachrichtenagentur ADN: „Der Deutsche<br />
Anwaltverein hat eine Verpflichtung<br />
der Banken zu Kontrollmitteilungen<br />
an die Finanzbehörden vehement<br />
abgelehnt. Die Beratungspraxis der<br />
Steueranwälte zeige, dass dies nicht zu<br />
einer ordentlichen Besteuerung der Zinseinkünfte<br />
führen würde.“ Solche Kontrollmitteilungen<br />
der Banken würden<br />
nur zu einer weiteren Kapitalflucht führen,<br />
wird der Präsident des Deutschen<br />
Anwaltvereins, Rechtsanwalt Dr. Michael<br />
Streck, zitiert. Diese Agenturmeldung<br />
wurde u. a. in der Lausitzer<br />
Rundschau am 30. Oktober 1999 abgedruckt.<br />
Verkehrsrecht<br />
Nach Mitteilung der Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht im Deutschen<br />
Anwaltverein kam es in den ver-<br />
gangenen Monaten zu einem sprunghaften<br />
Anstieg der Feststellung von<br />
Fahren unter Drogeneinfluss. In mehr<br />
als einem Drittel aller Blutproben, die<br />
im August 1999 im Saarland verkehrsauffälligen<br />
Kraftfahrern in der Altersgruppe<br />
der 18- bis 24jährigen entnommen<br />
wurden, waren ausschließlich<br />
Drogen nachweisbar. Hinzu kommen<br />
die vielen Blutproben, die neben Alkohol<br />
auch Drogen enthalten. Hierüber<br />
berichtet beispielsweise die Sächsische<br />
Zeitung am 30. Oktober 1999.<br />
Der Sender Freies Berlin widmete<br />
am 20. November 1999 eine Hörfunksendung<br />
dem Thema „90 Jahre Verkehrsrecht“.<br />
Als Gesprächspartner für<br />
den Deutschen Anwaltverein stand<br />
hier der Regionalbeauftragte der<br />
Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht,<br />
Rechtsanwalt Klaus-Peter Stiewe, aus<br />
Berlin zur Verfügung.<br />
Großen Anklang findet auch immer<br />
der monatlich von der Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht herausgegebene<br />
Pressedienst, in dem auf interessante<br />
verkehrsrechtliche Urteile hingewiesen<br />
wird.<br />
Eine örtlich unzuständige Behörde<br />
ist nicht berechtigt, einen Verkehrsverstoß<br />
mit einem Bußgeld zu ahnden.<br />
Ein entsprechendes Verfahren muss<br />
eingestellt werden, entschied das<br />
Amtsgericht Magdeburg (AZ: 30 Owi<br />
779 Js 29587/98 a).<br />
Juristenausbildung<br />
„Jura darf vor allem dass nicht<br />
sein, was es für viele junge Leute immer<br />
noch ist: ein Verlegenheitsstudium“,<br />
fordert Rechtsanwalt Dr. Michael<br />
Streck, Präsident des Deutschen Anwaltvereins,<br />
in einem von dem Themendienst<br />
dpa verbreiteten Beitrag.<br />
Wer heute Jura studiere, müsse es<br />
auch tatsächlich wollen und dabei immer<br />
im Kopf behalten, dass niemand<br />
auf ihn als Anwalt nur warte. „Man<br />
muss früh dafür sorgen, dass die<br />
Bewerbungsunterlagen für Kanzleien<br />
interessant werden“; wird Rechtsanwalt<br />
Dr. Streck im General-Anzeiger<br />
vom 6.11.1999 zitiert. Wichtig sei es,<br />
im Studium solide Wurzeln zu bilden,<br />
die dann später die Blüte und Früchte<br />
der Spezialisierung überhaupt erst ermöglichen.<br />
DAVgründet<br />
Arbeitsgemeinschaft Sportrecht<br />
Der Deutsche Anwaltverein hat<br />
seinen Arbeitsgemeinschaften eine<br />
weitere hinzugefügt. Die Arbeitsgemeinschaft<br />
dient insbesondere dem<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Erfahrungsaustausch zwischen Rechtsanwälten,<br />
die im Sportrecht zu tun<br />
haben. Der Vorsitzende der neuen<br />
Arbeitsgemeinschaft, Rechtsanwalt<br />
und Notar Paul-Werner Beckmann,<br />
Herford, wird im Handelsblatt am<br />
10.11.1999 mit den Worten zitiert,<br />
dass nicht in erster Linie die spektakulären<br />
Sportrechtsfälle – wie der Streit<br />
über die Vermarktung der Fußballfernsehrechte<br />
oder die Auswirkung des<br />
Busmann-Urteils – die Bildung einer<br />
Abteilung für Sportrecht im DAV beeinflusst<br />
hätten, sondern die ständig<br />
wachsende Bedeutung sportrechtlicher<br />
Fragen für „Otto-Normal-Verbrauche“.<br />
Über die Gründung berichtete auch die<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung am<br />
12.11.1999. Im Vorfeld der Gründung<br />
berichtete hierüber Rechtsanwalt<br />
Beckmann im Westdeutschen Rundfunk<br />
am 26.10.1999.<br />
Strafrecht<br />
Der alternative Strafrahmenkatalog<br />
ist immer noch in der Diskussion.<br />
Hierzu hat der Bayerische Rundfunk<br />
am 27.11.1999 eine Sendung ausgestrahlt,<br />
bei der im Studio die Bundesministerin<br />
der Justiz, Prof. Dr. Herta<br />
Däubler-Gmelin, Gast war. Die Haltung<br />
des Deutschen Anwaltvereins erläuterte<br />
in einem Beitrag Rechtsanwalt<br />
JR Prof. Dr. Franz Salditt, Mitglied<br />
des Strafrechtsausschusses im Deutschen<br />
Anwaltverein.<br />
Große Wellen schlug auch das Ermittlungsverfahren<br />
gegen den minderjährigen<br />
Raoul in den USA. Für den<br />
Deutschen Anwaltverein stand Rechtsanwalt<br />
Peter Michael Müller als Mitglied<br />
der Arbeitsgemeinschaft Internationaler<br />
Rechtsverkehr sowohl für das<br />
Radio Regenbogen aus Mannheim als<br />
auch für die SAT 1-Nachrichten zur<br />
Verfügung.<br />
Sonstiges<br />
Der Hessische Rundfunk widmete<br />
seine Sendung Hessenstudio Live im<br />
Fernsehen dem Thema der Bürgschaft.<br />
Für den Deutschen Anwaltverein<br />
stand Rechtsanwalt Hanns Peter Zoll<br />
aus Frankfurt Rede und Antwort.<br />
„Der elektronische Geschäftsverkehr<br />
wird am 4. und 5. November<br />
1999 Gegenstand einer Anhörung der<br />
Europäischen Kommission in Brüssel<br />
sein (.......). Anlass für die Anhörung<br />
ist nach Information des Deutschen<br />
Anwaltvereins die Revision des Europäischen<br />
Gerichtsstands und Vollstrekkungsabkommens“,<br />
schreibt die FAZ<br />
am 29.10.1999.
AnwBl 1/2000 37<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Anlässlich der Diskussion um eine<br />
Begnadigung von Egon Krenz interviewte<br />
der Mitteldeutsche Rundfunk<br />
zum Thema des Gnadenrechts Rechtsanwalt<br />
Prof. Dr. Rainer Hamm aus<br />
Frankfurt, Mitglied des Strafrechtsausschusses<br />
des Deutschen Anwaltvereins.<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski,<br />
Bonn<br />
Anwaltvereine &Landesverbände<br />
Kurzer Prozeß mit den<br />
Rechten der Verbraucher?!<br />
1. Rechtsanwaltsforum Bayern am<br />
24.11.1999 in München<br />
Unter diesem Motto hatte der<br />
Bayerische Anwaltsverband anläßlich<br />
eines erstmals veranstalteten Rechtsanwaltsforum<br />
in Bayern gerufen, Richter,<br />
Rechtsanwälte und Politiker waren<br />
diesem Ruf am 24.11.1999 in München<br />
zahlreich gefolgt.<br />
Anlaß der Podiumsdiskussion war<br />
die von der Bundesjustizministerin<br />
Prof. Dr. Däubler-Gmelin geplante<br />
Zivilprozeßreform. Die Bundesjustizministerin<br />
beabsichtigt, die Berufung<br />
zu beschränken und Richterstellen abzubauen<br />
mit den Argumenten, daß die<br />
Zivilgerichte zu überlastet seien, die<br />
Zivilprozeßordnung darüber hinaus<br />
unübersichtlich, die Verfahrensdauer<br />
zu lang und die Justiz zu teuer.<br />
Das Podium war hochkarätig besetzt.<br />
Neben dem Vizepräsidenten des Bayerischen<br />
Obersten Landesgericht Herrn Peter<br />
Gummer hatten sich erfreulicherweise<br />
zur Diskussion noch für den<br />
Deutschen Anwaltsverband Herr RA<br />
Felix Busse, der Präsident der Rechtsanwaltskammer<br />
Nürnberg Herr RA Dr.<br />
Bissl, als Moderator und Vertreter der<br />
Bayer. Anwaltschaft Herr RA Anton<br />
Mertl sowie Herr Ministerialdirigent<br />
Weiß als Vertreter der Zivilabteilung des<br />
Bayerischen Justizministeriums gestellt.<br />
Bereits zu Beginn konnten anhand<br />
von Statistiken fast sämtliche Argumente<br />
der Bundesjustizministerin<br />
widerlegt werden. Eine vielbemühte<br />
Prozeßflut habe in den vergangenen<br />
Jahren nicht stattgefunden, seit 1994<br />
sind rückläufige Eingangszahlen an<br />
den Gerichten festzustellen. Im europäischen<br />
Vergleich arbeiten die deutschen<br />
Gerichte schnell und qualitativ<br />
auf sehr hohem Niveau. Allerdings<br />
waren bei den Verfahrenslaufzeiten<br />
deutliche Unterschiede zwischen den<br />
Bundesländern festzustellen, was nach<br />
allgemeiner Ansicht der Diskussionsteilnehmer<br />
einer Aufklärung bedürfe.<br />
Die bayerischen Richter und<br />
Rechtsanwälte stellten übereinstimmend<br />
fest, daß die von der Justizministerin<br />
behaupteten Mängel nicht vorhanden<br />
sind und der Gesetzesentwurf<br />
nicht zu dem von der Bundesregierung<br />
gewünschten Ziel führen wird, denn<br />
bereits das erste Ziel der Bundesjustizministerin,<br />
die Berufung zu beschränken,<br />
soll durch eine Güteverhandlung<br />
in 1. Instanz mit ausführlichen Hinweisen<br />
des Richters erkauft werden.<br />
Die Prozessparteien und deren Anwälte<br />
werden gezwungen sein, den gesamten<br />
möglichen Prozessstoff mit allen<br />
Nebensächlichkeiten bereits in der<br />
1. Instanz vorzutragen, weil künftig<br />
das Berufungsgericht an die Tatsachenfeststellungen<br />
des Eingangsgerichtes<br />
gebunden sein wird.<br />
Für den rechtsuchenden Bürger<br />
bringt die Justizreform weder mehr<br />
Transparenz noch gar Bürgernähe oder<br />
Bürgerrechte, sie birgt vielmehr die<br />
Gefahr in sich, daß der Rechtsuchende<br />
seiner Rechte leichter vollständig verlustig<br />
gehen wird. Heute noch vertritt<br />
sich der Verbraucher am Amtsgericht<br />
häufig selbst. Aufgrund seiner Rechtsunkenntnis<br />
werden jedoch Fehler gemacht,<br />
die heute noch in der Berufungsinstanz<br />
berichtigt werden<br />
können. Dieser Chance wird der Verbraucher<br />
künftig beraubt, da der Berufungsrichter<br />
an die Feststellungen des<br />
Erstgerichts gebunden sein wird.<br />
Zudem werden für Berufungen<br />
grundsätzlich nur noch Einzelrichter<br />
am Oberlandesgericht zuständig sein<br />
statt der bisherigen Kollegialgerichte.<br />
Auch dies, stellt nach einhelliger Ansicht<br />
des Plenums, eine unvertretbare<br />
Aufgabe hergebrachter Prinzipien dar,<br />
da künftig nur noch ein einzelner<br />
Richter die Entscheidung eines einzelnen<br />
Kollegen korrigieren soll.<br />
Die Kürzungen von Richterstellen<br />
werden die Rechte der Bürger erheblich<br />
beschneiden, die beabsichtigte<br />
Einsparung von 450 Richterstellen in<br />
Deutschland wird zwangsläufig zu einem<br />
Qualitätsverlust führen, denn die<br />
Stärkung der 1. Instanz macht mehr<br />
Richterstellen nötig, als bei der Beschränkung<br />
der Berufung in 2. Instanz<br />
überhaupt eingespart werden könnten.<br />
Nur mit Kritik alleine wollte sich<br />
das Rechtsanwalts-Forum Bayern aber<br />
nicht begnügen. Begrüßt haben die<br />
Teilnehmer grundsätzlich die Stärkung<br />
der 1. Instanz, da dieser mehr Richter<br />
zur Verfügung gestellt werden würde.<br />
Derzeit haben die Richter an den<br />
Amtsgerichten ca. 800 Fälle im Jahr<br />
zu bearbeiten. Durch eine Stärkung<br />
der ersten Instanz wird der Richter<br />
künftig mehr Zeit haben, sich mit dem<br />
Anspruch des Bürgers zu befassen und<br />
diesem das Gefühl geben, gehört und<br />
ernst genommen zu werden, und auch<br />
nur dann werden die Urteile von dem<br />
Bürger eher akzeptiert und weniger<br />
Berufungen eingelegt werden.<br />
Einig war sich das Forum darüber,<br />
daß die geplante Justizreform zur Bürgerferne,<br />
keinesfalls zu größerer Bürgernähe<br />
führt, da das geplante Berufungssystem,<br />
nur noch die Überprüfung<br />
von Rechtsfehlern, für den Bürger<br />
undurchschaubar, unvorhersehbar<br />
und damit unberechenbar wird.<br />
Durch die formalistische Änderung<br />
der Rechtsmittelinstanz wird die Behauptung<br />
der Justizministerin, der Bürger<br />
bekäme auch im Rechtsmittel<br />
mehr Rechte, deutlich konterkariert.<br />
Der vielzitierte und vielbemühte<br />
Rechtsfrieden kann nach Ansicht<br />
sämtlicher Diskussionsteilnehmer<br />
nicht dadurch herbeigeführt werden,<br />
daß nach dem Urteil 1. Instanz quasi<br />
„das Fallbeil fällt“.<br />
Ein Verzicht auf die hergebrachte<br />
Berufung kann im alltäglichen Prozeßgeschehen<br />
nur durch eine Akzeptanz<br />
der Parteien erzielt werden, etwa durch<br />
einen Vergleich, kulmunierend in eine<br />
Klagerücknahme oder jedenfalls durch<br />
ein überzeugendes Ersturteil.<br />
Die Diskussionsteilnehmer befürchten,<br />
dass die geplante Justizreform<br />
Verhältnisse schaffen wird, in denen<br />
zwar auch Richter und Anwälte<br />
zu leiden haben; Betroffener wird zuletzt<br />
jedoch immer der ratsuchende<br />
Bürger selbst sein.<br />
Die Anwaltschaft in Bayern wird<br />
daher mit rechtspolitischen Maßnahmen<br />
der Unbeirrbarkeit der Bundesjustizministerin<br />
entgegentreten.<br />
Rechtsanwältin Rita Schulz-<br />
Hillenbrand,<br />
Würzburg<br />
Kölner Anwaltverein<br />
I. Mitgliederstand auf 3.000<br />
angewachsen<br />
Der Kölner Anwaltverein hat Ende<br />
Juni 1999 die 3.000-Mitglieder-Grenze<br />
überschritten. Die junge Kollegin Uta<br />
Rieforth aus der Kanzlei Bach, Lang-
38<br />
heid und Dallmayr, wurde am<br />
6.7.1999 vom Vorsitzenden als 3.000<br />
Mitglied mit einem kleinen Präsent<br />
begrüßt.<br />
Mit dieser Mitgliederzahl ist der<br />
KAV in absoluten Zahlen der größte<br />
und in relativen Zahlen einer der größten<br />
örtlichen Anwaltvereine, die dem<br />
Dachverband DAV angeschlossen sind.<br />
Zum Vergleich seien einmal die<br />
Mitgliederzahlen (Stand 1.1.1999) der<br />
anderen Großstadtvereine angeführt:<br />
Berlin 2.752 (ca. 42%), Frankfurt<br />
1.833 (ca. 34%), Hamburg 2.171 (ca.<br />
41%) und München 1.918 (ca. 24%).<br />
Die in Klammern gesetzten Angaben<br />
verdeutlichen, dass der KAV mit ca.<br />
70 % auch den mit weitem Abstand<br />
höchsten Repräsentationsgrad der örtlich<br />
zugelassenen Kolleginnen und<br />
Kollegen aufweist. Über alle Ortsvereine<br />
sind im DAV mehr als 50.000 Anwälte<br />
Mitglied; dies entspricht einem<br />
Organisationsgrad von mehr als 50%<br />
der in Deutschland zugelassenen Kollegen.<br />
Der durchschnittliche Organisationsgrad<br />
aller Ortsvereine liegt ebenfalls<br />
bei mehr als 50%.<br />
Der KAV erreichte im Verlaufe des<br />
Jahres 1992 die Mitgliederzahl von<br />
2.000. In den sieben folgenden Jahren<br />
haben sich also 1.000 weitere Kolleginnen<br />
und Kollegen unserem Verein<br />
angeschlossen. Auch dieser Anstieg ist<br />
überproportional hoch.<br />
Das erreichte Ergebnis verdeutlicht,<br />
dass die Kolleginnen und Kollegen den<br />
KAV als Vertreter ihrer Interessen und<br />
Dienstleister rund um den Anwaltsberuf<br />
betrachten. Im KAVarbeiten ca. 120 Anwälte<br />
ehrenamtlich mit, so in 9 Fachausschüssen<br />
und 3 Arbeitskreisen, womit<br />
die Leistungen und Angebote des KAV<br />
eine hohe Sachkompetenz erfahren.<br />
All diesen Kolleginnen und Kollegen<br />
sei an dieser Stelle einmal herzlicher<br />
Dank ausgesprochen. Ebenso gebührt<br />
Dank all denjenigen, die mit Anregungen,<br />
Hinweisen und Kritik zur Arbeit des KAV<br />
beitragen. Hierdurch kommt oft ein<br />
fruchtbarer Dialog zustande, der u. a. im<br />
Rahmen unserer Fortbildungsveranstaltungen<br />
innerhalb der Kollegenschaft zum<br />
Ausdruck kommt, aber auch mit Berufsträgern<br />
der Richterschaft und Staatsanwaltschaft.<br />
Die vom KAV initiierten<br />
Begegnungsforen, wie z. B. Sommerempfang<br />
in der Geschäftsstelle, Organfest und<br />
Juristenball tragen zu der grundsätzlichen<br />
außergewöhnlich guten Atmosphäre bei.<br />
Mit der erreichten Mitgliederzahl<br />
fühlt sich der KAV in seiner Arbeit bestätigt<br />
und wird sie mit großem Engagement<br />
fortsetzen.<br />
II. Digitale Signatur: Anwendung,<br />
Nutzen, Mehrwert für Anwälte<br />
– Robert-Schuman-Projekt<br />
Nachdem am 12.11.1999 die Auftaktveranstaltung<br />
der KAV-Seminare<br />
im Rahmen des Robert-Schumann-<br />
Projekts zur Sensibilisierung der juristischen<br />
Berufe für das Gemeinschaftsrecht,<br />
welches von der EU-<br />
Kommission gefordert wird, in feierlichem<br />
Rahmen im Plenarsaal des Oberlandesgericht<br />
Köln stattfand, freuen<br />
wir uns, Ihnen nunmehr den zweiten<br />
Termin in dieser Vortragsreihe bekannt<br />
geben zu können.<br />
Das Symposium zu dem genannten<br />
Thema findet statt am:<br />
Donnerstag, dem 27.1.2000,<br />
17.00-20.00 Uhr,<br />
im Joseph-DuMont-Berufskolleg,<br />
Escher Str. 217, 50739 Köln.<br />
Voraussichtlich Mitte nächsten Jahres<br />
wird das „Gesetz zur Anpassung<br />
der Formvorschriften des Privatrechts<br />
an den modernen Rechtsverkehr“, das<br />
weitgehend den durch die Europäische<br />
Kommission vorgegebenen Anforderungen<br />
des Richtlinienvorschlages<br />
über gemeinsame Rahmenbedingungen<br />
für elektronische Signaturen und<br />
dem Vorschlag der Europäischen<br />
Kommission vom 18.12.1998 für eine<br />
Richtlinie des Europäischen Parlaments<br />
und des Rates in bestimmten<br />
rechtlichen Aspekten des elektronischen<br />
Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt<br />
entspricht, verabschiedet.<br />
Ziel des Gesetzes ist die Förderung<br />
rechtlicher Sicherheit bei der elektronischen<br />
Übermittlung von Willenserklärungen.<br />
Von herausragender Bedeutung<br />
ist dabei die Einführung der<br />
sogenannten „elektronischen Form“.<br />
Sie ist Substitut einer eigenhändigen<br />
Unterschrift und damit für die Schriftform<br />
im Sinne des § 126 BGB. Wesentliche<br />
Voraussetzung ist die „Unterzeichnung“<br />
einer elektronischen<br />
Erklärung mittels digitaler Signatur im<br />
Sinne des Signaturgesetzes. Sie ermöglicht<br />
die sichere Identifikation von<br />
Kommunikationspartnern und Feststellung<br />
der Unverfälschtheit elektronisch<br />
übermittelter Daten. Das Gesetz wird<br />
erhebliche Auswirkungen sowohl auf<br />
das materielle als auch auf das Prozessrecht<br />
haben.<br />
Unter der Moderation von Rechtsanwalt<br />
Klaus Brisch, LL.M. Köln,<br />
werden das Symposium gestalten:<br />
Wendelin Bieser, Beauftragter der<br />
Bundesregierung für Angelegenheiten<br />
der Kultur und der Medien, Bonn;<br />
Sigrun Erber-Faller, Geschäftsführe-<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
rin der Bundesnotarkammer, Köln;<br />
Judith Herchenbacher, Regulierungsbehörde<br />
für Telekommunikation und<br />
Post; Marcus Belke, Justitiar der Post-<br />
Com AG; Michael Leistenschneider,<br />
Mitglied des Vorstandes der DATEV<br />
e. G., Nürnberg.<br />
Information und Anmeldung: Kölner<br />
Anwaltverein, Justizgebäude Zimmer<br />
103, Luxemburger Straße 101, 50939<br />
Köln; Tel: 02 21 /41 10 41, Fax: 02 21 /<br />
44 14 57.<br />
Deutsche Anwaltauskunft<br />
Auch die außerordentlichen<br />
Mitglieder werden benannt<br />
Seit November sind in dem Datenbestand<br />
der Deutschen Anwaltauskunft<br />
auch die außerordentlichen Mitglieder<br />
des Deutschen Anwaltvereins<br />
eingepflegt. Dies bedeutet, dass die<br />
Mitbürgerinnen und Mitbürger auch in<br />
Rom, Spanien usw. Kolleginnen und<br />
Kollegen benannt bekommen können.<br />
So findet man nun den deutschsprechenden<br />
Anwalt beim Verkehrsunfall<br />
im Ausland, im Erbfall der Villa in<br />
der Toskana oder aber auch der Unternehmer,<br />
der eine Geschäftsstelle in<br />
Madrid eröffnen möchte.<br />
Mit welchen Daten man bei der<br />
Deutschen Anwaltauskunft gespeichert<br />
ist, kann man überprüfen, in dem<br />
man sich an die Deutsche Anwaltadresse,<br />
Wachsbleiche 7, 53111 Bonn,<br />
Tel. 0228/9636534, Fax 0228/<br />
9636536, wendet. Dort kann man den<br />
Datenbogen anfordern und diesen<br />
dann korrigieren und ergänzen und unterschrieben<br />
an die Anwaltadresse zurücksenden.<br />
Die Daten der Deutschen Anwaltauskunft<br />
werden aber nicht online gepflegt.<br />
Es erfolgt ein monatlicher Datenabzug.<br />
Die Änderungen werden<br />
dann aber alsbald im Datenbestand der<br />
Deutschen Anwaltauskunft erscheinen.<br />
Selbstverständlich besteht auch für<br />
die außerordentlichen Mitglieder die<br />
Möglichkeit, sich zu besonderen günstigen<br />
Konditionen eine Homepage<br />
durch die Hans Soldan GmbH erstellen<br />
zu lassen. Wer dies möchte oder<br />
aber einen Link zu seiner bestehenden<br />
Homepage haben möchte kann sich<br />
mit Herrn Markus Zens (Tel. 0201/<br />
8612313) in Verbindung setzen und<br />
weitere Informationen anfordern.<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski, Bonn
AnwBl 1/2000 39<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
AG Anwaltsnotariat<br />
Herbsttagung 1999 in<br />
Göttingen<br />
In überaus erfreulicher Weise hielt<br />
die Arbeitsgemeinschaft Anwaltsnotariat<br />
des Deutschen Anwaltvereins ihre<br />
Herbsttagung 1999 am 17. und 18.<br />
September 1999 in Göttingen. Seit<br />
kurzem stellt die Arbeitsgemeinschaft<br />
ihre Veranstaltungen unter den ebenso<br />
ansprechenden wie vielseitig verwendbaren<br />
Titel „Neues im Notariat“. Sie<br />
trägt damit auch dem Umstand Rechnung,<br />
dass sie nicht nur dem blanken<br />
Informations- und Fortbildungsbedürfnis<br />
der Mitglieder und Interessierten<br />
Rechnung tragen, sondern auch einen<br />
deutlichen berufspolitischen Akzent<br />
setzen will. Die Veranstaltungen der<br />
Arbeitsgemeinschaft im Frühjahr und<br />
im Herbst reichen jeweils von Freitagmittag<br />
bis Samstagmittag. In Göttingen<br />
begann Rechtsanwalt und Notar<br />
Rembert Brieske, Bremen, mit seinem<br />
Vortrag „Unabhängigkeit und Unparteilichkeit<br />
im Spannungsfeld des § 17<br />
Beurkundungsgesetz“. Die genannte<br />
Vorschrift ist zentral und von großer<br />
Bedeutung für die notarielle Tätigkeit,<br />
denn sie zeigt erst deutlich, zu welchem<br />
Zweck bestimmte Rechtsgeschäfte<br />
und rechtlich relevante Ereignisse<br />
von der Rechtsordnung der<br />
Obhut der als Amtsperson fungierenden<br />
Notare anvertraut sind. Der<br />
Grundgedanke steht aller formularmäßig<br />
reproduzierenden Geschäftigkeit<br />
von Grund auf entgegen. Der Referent<br />
gab einen systematischen Überblick<br />
sowie viele Details und viele Handreichungen<br />
für die tägliche Praxis.<br />
Das Anderkonto des Notars war<br />
und ist ein sicherer Hort und spendet<br />
dem Bürger das Vertrauen und die Gewissheit<br />
auf eine korrekte und sichere<br />
Abwicklung seiner Geldangelegenheiten.<br />
Neuere Tendenzen nach neuerem<br />
Beurkundungsrecht wollen den Gebrauch<br />
des Notaranderkontos zurücknehmen<br />
und auf sog. besondere Fälle<br />
beschränken. Notar Dr. Jörg Tröder,<br />
Düsseldorf, analysierte in seinem Vortrag<br />
„Pro und Contra Anderkonto<br />
nach neuem Beurkundungsrecht“ die<br />
Situation und setze einen deutlichen<br />
Akzent pro Anderkonto. Der Vortrag<br />
ist in AnwBl 1999, 633 veröffentlicht.<br />
Den Schlusspunkt des freitäglichen<br />
Teils der Veranstaltung setze Rechtsanwalt<br />
und Notar Wolfgang Eule,<br />
Neuenhaus, mit dem Thema „Der Einfluss<br />
der Globalisierung auf die<br />
Tätigkeit des Anwaltsnotars, Herausforderung<br />
an die Qualität durch das<br />
IPR“. Im allgemeinen Vermögensprivatrecht<br />
wird das IPR zunehmend verdrängt<br />
durch europarechtliche und allgemein<br />
völkerrechtliche Kodifikationen.<br />
Im Erbrecht und Familienrecht<br />
hingegen hat das internationale Privatrecht<br />
mit seinen kollisionsrechtlichen<br />
und ausländische Rechtsordnungen in<br />
den Blick nehmenden Eigentümlichkeiten<br />
sowie besonderen Denkweisen<br />
nach wie vor ein zentrales Gestaltungsfeld.<br />
Dessen Bedeutung wächst<br />
mit der zunehmenden Vernetzung der<br />
familiären und gesellschaftlichen Beziehungen<br />
der Bürger über die Staatsund<br />
Kulturgrenzen hinweg ständig.<br />
Hiervon berichtete der Referent höchst<br />
anschaulich und wies eindringlich darauf<br />
hin, dass jeder Notar zum Zwecke<br />
der Bewältigung seiner täglichen Arbeit<br />
sich mit dem schwierigen Gebiet<br />
des IPR befassen müsse.<br />
Herausragend und in dieser die<br />
Dinge überblickenden Form so noch<br />
nicht gehört war der Vortrag von Vorsitzendem<br />
Richter am BGH Dr. Eberhard<br />
Rinne, Karlsruhe, „Die Rechtsprechung<br />
des Notarsenats des<br />
Bundesgerichtshofs“. Der Referent<br />
sprach über die Organisation und Arbeitsweise<br />
des Senats, behandelte als<br />
dessen Rechtsprechungsschwerpunkte<br />
die Errichtung von Notarstellen, den<br />
Zugang zum Notariat, die Amtsausübung,<br />
die Beendigung des Amtsverhältnisses<br />
und widmete sich abschließend<br />
Aspekten des Berufsbildes. Reicher<br />
Gewinn für alle Teilnehmer. Der<br />
Vortrag ist in diesem <strong>Heft</strong> publiziert.<br />
Nach der Novellierung der Bundesnotarordnung<br />
ist es eine der Aufgaben<br />
der Notarkammern, Richtlinien für die<br />
Berufsausübung zu entwerfen und zu<br />
beschließen. Die Pluralität der Normsetzungskompetenz,<br />
freilich abgemildert<br />
durch eine Empfehlungskompetenz<br />
der Bundesnotarkammer, erschwert<br />
dennoch den Überblick. Außerdem<br />
ist die Abgrenzung dieser Regelungswerke<br />
zu der Dienstordnung<br />
der Notare delikat. Rechtsanwalt und<br />
Notar Wolfgang Grebe, Olpe, in seiner<br />
Eigenschaft als Vizepräsident der Notarkammer<br />
für den OLG-Bezirk Hamm<br />
von Grund auf mit dem Problemkreis<br />
befasst, verschaffte mit seinem Vortrag<br />
„Richtlinien der Notarkammern,<br />
Überblick und Analyse“ in anschaulicher<br />
Weise die zur Stunde mögliche,<br />
erwünschte und notwendige Klarheit.<br />
Die Vorträge sollen in das für dieses<br />
Jahr 2000 geplante Mitteilungsblatt<br />
der Arbeitsgemeinschaft Aufnahme<br />
finden. Dieser zusätzliche Service soll<br />
nicht etwa dazu dienen, den Veranstaltungen<br />
fernbleiben zu dürfen. Wer in<br />
Göttingen erlebte, wie froh sich die<br />
Teilnehmer über das Fachliche hinaus<br />
im Gespräch und Informationsaustausch<br />
mit Hilfe gepflegter Gastlichkeit<br />
zusammenfanden, wird die Unmittelbarkeit<br />
der Tagungen auch<br />
schwerlich missen mögen.<br />
Die nächste Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft<br />
Anwaltsnotariat findet<br />
statt am 31. März und 1. April<br />
2000 in Düsseldorf. Sie tagt im Rahmen<br />
des Anwaltstages 2000 in Berlin<br />
am 3. Juni 2000. Die Herbstveranstaltung<br />
der Arbeitsgemeinschaft findet<br />
statt am 8. und 9. September 2000 in<br />
Bremen.<br />
Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher,<br />
Köln<br />
AG der Fachanwälte für<br />
Arbeitsrecht im DAV<br />
38. Arbeitstagung in Leipzig<br />
Die Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte<br />
für Arbeitsrecht im DAV hielt<br />
ihre 38. Tagung am 24. und 25. September<br />
1999 in Leipzig. Wiederum<br />
zeigte sich eine große Zahl von<br />
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten<br />
an der traditionellen Herbsttagung<br />
hoch interessiert. Die kurze Revue des<br />
dargebotenen Programms macht dies<br />
sehr verständlich. Rechtsanwalt Ulrich<br />
Fischer, Frankfurt am Main, eröffnete<br />
den Reigen der Vorträge, in dem er<br />
sehr interessant und verständlich die<br />
„Vorschläge des DGB und der DAG<br />
zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes“<br />
vorstellte und würdigte. Der<br />
Koalitionsvertrag und die Entwicklung<br />
des europäischen Arbeitsrechts zeigen<br />
an, dass eine Modernisierung und teilweise<br />
Neugestaltung des für die<br />
Arbeitswelt zentralen Gesetzes mittelfristiger<br />
Diskussionsgegenstand ist. Zu<br />
den Problemfeldern werden gehören<br />
eine Ausweitung des Arbeitnehmerbegriffs,<br />
die Definition des Betriebs,<br />
Einschränkungen des Tendenzschutzes,<br />
die Gewichtung des Gesamt- und Konzernbetriebsrats,<br />
die Neugestaltung der<br />
Betriebsratswahl, die Stellung der<br />
Gewerkschaften im Betrieb, die Unterrichtungspflichten<br />
in der Aktiengesellschaft,<br />
Funktions- und Arbeitsweise<br />
der Einigungsstellen. Der Vortrag<br />
schloss mit Bemerkungen zur Stellung<br />
des Anwalts in einer neu zu ordnenden<br />
Betriebsverfassung.
40<br />
Im Anschluss an diesen rechtspolitischen<br />
Vortrag gab Rechtsanwältin<br />
Dr. Katharina Reidel, Nürnberg, eine<br />
exakte, die Dogmatik voll ausleuchtende<br />
Darstellung der „Einstweiligen<br />
Verfügung auf Weiterbeschäftigung“.<br />
Auf dieser theoretischen Grundlegung<br />
und mit den daraus gefolgerten Arbeitshinweisen<br />
dürfte die Praxis das<br />
Institut sicher handhaben können.<br />
Rechtsanwalt Thomas Schwirtzek, Berlin,<br />
betreute den Veranstaltungsteil<br />
„Neue Entwicklungen im Arbeitsrecht“<br />
mit Hinweisen zu aktueller<br />
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts<br />
und des EuGH zum Individualund<br />
kollektiven Arbeitsrecht.<br />
In dem groß angelegten Vortrag<br />
„Der Erhalt von Arbeitsplätzen in der<br />
Insolvenz des Arbeitgebers nach<br />
neuem Recht“ kennzeichnete Professor<br />
Dr. Stefan Smid, Martin-Luther-<br />
Universität Halle/Wittenberg, die neue<br />
Insolvenzordnung mit Blick auf das<br />
Thema als durchaus signifikanten<br />
Tiefpunkt der Gesetzgebung. Nach einem<br />
Überblick über die<br />
Gesetzgebungsgeschichte stellte sich<br />
der Referent der Frage, ob der Arbeitsplatzerhalt<br />
nach neuem Recht<br />
eine Insolvenzziel sein könne, würdigte<br />
die Entscheidungslagen in der<br />
Insolvenz des Arbeitgebers und besprach<br />
u. a. das Insolvenzplanverfahren<br />
und dessen Eignung für den Arbeitsplatzerhalt.<br />
Die Vorträge der Tagung werden<br />
wie gewohnt in der NZA veröffentlicht.<br />
Die 39. Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft<br />
findet statt am 10. und<br />
11. März 2000 in Straßburg, Hotel Holiday<br />
Inn, 20, Place de Bordeaux, F –<br />
67000 Straßburg . Das Programm der<br />
Tagung lautet wie folgt: „Kündigungsschutz<br />
in Kleinbetrieben“<br />
(Rechtsanwältin Dr. Nicola Gragert);<br />
„Die Geltendmachung des Annahmeverzugslohnanspruchs“<br />
(Rechtsanwalt<br />
Axel Groeger); „Neue Entwicklungen<br />
im Arbeitsrecht“ (Rechtsanwalt Dr.<br />
Klaus Neef); „Die betriebsbedingte<br />
Änderungskündigung“ (RiBGH Dr.<br />
Ernst Fischermeier)<br />
Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher,<br />
Köln<br />
AG Internat. Rechtsverkehr<br />
Mitgliederversammlung<br />
der Arbeitsgemeinschaft<br />
Internationaler Rechtsverkehr<br />
am 20. Oktober 1999 in München<br />
Bericht der Vorsitzenden,<br />
Rechtsanwältin Dr. Claudia Seibel,<br />
Frankfurt<br />
Frau Dr. Seibel berichtet über den<br />
Zeitraum von der letzten Mitgliederversammlung<br />
im Mai 1998 bis zum<br />
heutigen Tage.<br />
Der Arbeitsgemeinschaft für Internationalen<br />
Rechtsverkehr im DAV gehören<br />
nunmehr ca. 650 Mitglieder an.<br />
Die Mitgliederzahl ist seit etwa zwei<br />
Jahren gleichbleibend.<br />
Die von der Mitgliederversammlung<br />
am 22.5.1998 beschlossene Satzung<br />
ist zwischenzeitlich vom Vorstand<br />
des Deutschen Anwaltvereins<br />
genehmigt worden. Anlässlich des<br />
zeitgleich stattgefundenen Anwaltstages<br />
ist seinerzeit Herr Kollege Dr.<br />
Streck als Präsident des DAV gewählt<br />
worden. Herr Dr. Streck hatte sich es<br />
zu einer seiner ersten Aufgaben gemacht,<br />
die Satzungen der Arbeitsgemeinschaften<br />
und diese auf ihre<br />
Stimmigkeit hin zu überprüfen. Als<br />
Ergebnis dieser Überprüfung wurde<br />
sodann eine Mustersatzung entworfen,<br />
die der nunmehr geltenden Satzung<br />
der Arbeitsgemeinschaft vom<br />
22.5.1998 an einigen Stellen widersprach.<br />
Der Geschäftsführende Ausschuss<br />
schlägt daher der Mitgliederversammlung<br />
bereits jetzt die Fassung für<br />
die nächste Mitgliederversammlung<br />
vor, die im Mai 2000 anlässlich des<br />
DAT in Berlin am 2. Juni 2000 stattfinden<br />
wird.<br />
Unabhängig von der geplanten Satzungsänderung,<br />
die nur einige Marginalien<br />
enthält, hat sich die finanzielle<br />
Situation der Arbeitsgemeinschaft insofern<br />
verändert, als der bestehende<br />
Überschuss abgebaut werden konnte.<br />
Gleichwohl haben die letzten Jahre gezeigt,<br />
dass die Seminarveranstaltungen<br />
wesentlich teurer geworden sind und<br />
dies bei einem gleichbleibenden Beitrag<br />
von 60 DM für die Arbeitsgemeinschaft<br />
im Jahr. In diesem Zusammenhang<br />
sei angemerkt, dass der<br />
Betrag von 60,00 DM dem Betrag entspricht,<br />
der im Jahre 1989 von der<br />
Gründungsversammlung beschlossen<br />
wurde. Auch im Vergleich zu den anderen<br />
Arbeitsgemeinschaften im DAV,<br />
deren Durchschnittsbeiträge zwischen<br />
100,00 und 150,00 DM liegen, ist es<br />
aus Sicht des Geschäftsführenden Ausschusses<br />
angemessen, den Beitrag auf<br />
100,00 DM zu erhöhen, um eine adäquate<br />
Durchführung der Arbeit zu ermöglichen.<br />
In diesem Zusammenhang<br />
sei auch berücksichtigt, dass das Mit-<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
teilungsblatt nunmehr in einer veränderten<br />
Form vorliegt und diese Form<br />
bereits einen gewissen Teil des Jahresbudgets<br />
besetzt.<br />
Der Geschäftsführende Ausschuss<br />
schlägt daher vor, auf der im Juni<br />
2000 stattfindenden Mitgliederversammlung<br />
eine rückwirkende Beitrittserhöhung<br />
zum 1.1.2000 auf DM 100,–<br />
zu beschließen. Dies wird den Mitgliedern<br />
bei der Einladung zur nächsten<br />
Mitgliederversammlung schriftlich angekündigt.<br />
Anfang Juli 1998 fand ein zweitägiges<br />
Seminar der Arbeitsgemeinschaft<br />
in Kooperation mit der AIJA und der<br />
lettischen Anwaltskammer statt. Thema<br />
war Reorganisation of companies –<br />
crisis management. Ein eingehender<br />
Bericht über die Veranstaltung befindet<br />
sich im Mitteilungsblatt 3/98 wieder.<br />
Am 2. Oktober 1998 fand in London<br />
die gemeinsame Veranstaltung der<br />
Arbeitsgemeinschaft mit der Europäischen<br />
Rechtsakademie in Trier (ERA)<br />
und der Law Society of England and<br />
Wales zum Thema Legal Aspects of<br />
the Introduction of the Euro and its<br />
Impact on Lawyes’ Activities statt.<br />
Ausgangspunkt für die gemeinsame<br />
Veranstaltung mit den englischen Anwälten<br />
waren die überaus positiven<br />
Erfahrungen mit Seminaren im<br />
deutsch-französischen Rechtsverkehr.<br />
Dank einer Teilnehmerzahl von fast 60<br />
Personen wurde die Veranstaltung zum<br />
vollen Erfolg. Dies war insofern erstaunlich,<br />
als nach Berichten unserer<br />
Kooperationspartner in Trier bereits<br />
mehrfach in der Bundesrepublik Veranstaltungen<br />
zum Thema Euro mangels<br />
einer ausreichenden Teilnehmerzahl<br />
abgesagt werden mussten. Ein<br />
ausführlicher Bericht über die Veranstaltung<br />
befindet sich im Mitteilungsblatt<br />
4/98.<br />
Im Berichtszeitraum fanden die<br />
Wiederholungsseminare mit der Deutschen<br />
Institution für Schiedsgerichtsbarkeit<br />
zu den Themenkreisen ,Ihr<br />
Mandat bei der Einschaltung staatlicher<br />
Gerichte vor, während und<br />
nach einem Schiedsgerichtsverfahren’,<br />
,Ihr Mandat als Schiedsrichter’.<br />
Ort der Veranstaltungen waren Wien<br />
am 26./27. März 1999, Bremen am 3./<br />
4. September 1999 sowie Würzburg<br />
am 11./12. Dezember 1998.<br />
Am 30. April und 1. Mai 1999 fand<br />
in Potsdam das dritte Seminar zu aktuellen<br />
Fragen im deutsch-französischen<br />
Rechtsverkehr statt. Die zweitägige<br />
Seminarveranstaltung, die bereits in<br />
einer gewissen deutsch-französischen
AnwBl 1/2000 41<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Tradition abgehalten wurde, zeichnete<br />
sich sowohl durch exzellente Referenten<br />
als auch durch eine erfreulich<br />
hohe Zahl an Teilnehmern aus beiden<br />
Ländern aus. Das Verhältnis der Teilnehmer<br />
aus Frankreich und Deutschland<br />
war nahezu paritätisch. Auch in<br />
diesem Jahr fand die Veranstaltung<br />
wieder in Kooperation mit der Europäischen<br />
Rechtsakademie Trier und<br />
der Association Française des Avocats<br />
Conseils d’Entreprise (ACE) statt.<br />
Nachdem die Teilnehmer durch die<br />
Präsidenten bzw. Vorsitzenden der beteiligten<br />
Organisationen und den Präsidenten<br />
des Deutschen Anwaltvereins,<br />
Herrn Rechtsanwalt Dr. Michael<br />
Streck, begrüßt worden waren, folgte<br />
eine rechtsvergleichende Studie zu<br />
Fragen der Gewährleistung und der<br />
allgemeinen Geschäftsbedingungen in<br />
Deutschland und Frankreich. Am<br />
Nachmittag folgten zwei Seminare<br />
zum Stand der EU-Richtlinien zur Vereinheitlichung<br />
des Gewährleistungsrechtes<br />
sowie zur neuesten Entwicklung<br />
im deutschen und französischen<br />
Urheberrecht. Abgerundet wurde der<br />
erste Tag mit einer Führung durch den<br />
historischen Teil des Schlosses Cecilienhof,<br />
in dessen Innern vom 17. Juli<br />
bis 2. August 1945 die Konferenz der<br />
alliierten Siegermächte stattgefunden<br />
hatte. Im Anschluss gab es bei einem<br />
gemeinsamen Abendessen ausreichend<br />
Gelegenheit für die Referenten und<br />
Teilnehmer, über die dargestellten<br />
Rechtsfragen weiter zu diskutieren<br />
und den Tag in einer angenehmen Atmosphäre<br />
ausklingen zu lassen.<br />
Der zweite Tag war durch Vorträge<br />
zum Arbeitsrecht und den Vorschlag<br />
zur Zweiten Richtlinie über die europäische<br />
Gesellschaft geprägt. Im Anschluss<br />
gab es eine Möglichkeit zur<br />
offenen Diskussion, die von den Teilnehmern<br />
sehr rege wahrgenommen<br />
wurde. Als gegen Mittag des zweiten<br />
Tages die Veranstaltung zu Ende ging,<br />
war der dominierende Eindruck, dass<br />
der weitaus größte Teil der Teilnehmer<br />
dies mit zufriedenen Gesichtern tat<br />
und ihren Wunsch zum Ausdruck<br />
brachte, auch im nächsten Jahr an der<br />
dann in Frankreich stattfindenden 4.<br />
deutsch-französischen Seminarveranstaltung<br />
teilzunehmen. Zur Zufriedenheit<br />
der Teilnehmer konnte diesen ausführliche<br />
Seminarunterlagen zur<br />
Verfügung gestellt werden. Am Ende<br />
des zweiten Tages lud der Vorsitzende<br />
der ACE, Maître André-Philippe Dupont-Champion,<br />
zum Seminar im<br />
nächsten Jahr nach Cap d’Antibes, Côte<br />
d’Azur, ein. Termin ist der 14./16.<br />
April 2000, und viele der Anwesenden<br />
bekundeten ihre Bereitschaft, auch im<br />
nächsten Jahr wieder zu erscheinen.<br />
Am 18./19. Juni 1999 fand in Berlin<br />
das Seminar zum Telekommunikationsrecht<br />
statt. Dieses wurde erstmalig<br />
in Zusammenarbeit mit der Industrieund<br />
Handelskammer zu Berlin und<br />
dem Deutschen Industrie- und Handelstag<br />
veranstaltet. Anlass für die<br />
Tagung waren Schätzungen, die davon<br />
ausgehen, dass im Jahr 2002 die Umsätze<br />
mit Internet- und online-Geschäften<br />
rund 430 Millionen Teilnehmer<br />
weltweit erreichen werden, so dass der<br />
Umsatz bei ca. 1 Billiarde liegen wird.<br />
Insgesamt hatten sich ca. 70 Personen<br />
angemeldet. Dies verwundert insbesondere<br />
vor dem Hintergrund, daß<br />
dieses Seminar mit leicht verändertem<br />
Inhalt bereits im Dezember 1997 ohne<br />
durchschlagenden Erfolg angesetzt<br />
worden war. Aus dieser Erfahrung heraus<br />
hatte die Arbeitsgemeinschaft beschlossen,<br />
die diesjährige Veranstaltung<br />
in Kooperation mit Industrie und<br />
Handwerk durchzuführen, was, wenn<br />
man sich die Provenienz der Teilnehmer<br />
ansah, offensichtlich eine gute<br />
Idee war. Inhaltlich beschäftigte sich<br />
die Veranstaltung mit den sprachlichen<br />
sowie visuellen Möglichkeiten der<br />
Darstellung des Telecommerce, Fragen<br />
nach Vertragsschluss im Internet, Einbeziehung<br />
der AGB, Anwendbarkeit<br />
des Verbraucherkreditgesetzes und des<br />
Haustür-Widerrufsgesetzes. Der Rahmen,<br />
den das Grand Hyatt Hotel in<br />
Berlin stellte, war für sich genommen<br />
ebenso futuristisch wie die Veranstaltung<br />
als solche.<br />
Ende September diesen Jahres hat<br />
die Arbeitsgemeinschaft Internationaler<br />
Rechtsverkehr im DAV in Zusammenarbeit<br />
mit dem Förderverein für<br />
freie Advokatur in Mittel- und Osteuropa,<br />
der IRZ Stiftung und den Anwaltskammern<br />
aus Litauen, Lettland<br />
und Estland drei jeweils 1tägige Seminarveranstaltungen<br />
in den drei Hauptstädten,<br />
d.h. in Vilnius (Litauen), Riga<br />
(Lettland) und Tallinn (Estland) durchgeführt.<br />
Das Seminar beschäftigte sich mit<br />
zwei grundsätzlichen Ansätzen: Zum<br />
einen mit der Frage nach dem Management<br />
einer Anwaltskanzlei, zum anderen<br />
mit den drei Anwaltsrichtlinien<br />
der Europäischen Union. Ersteres wurde<br />
von Herrn Rechtsanwalt Christoph<br />
Vaagt von AdvoConsult dargestellt,<br />
letzteres von Rechtsanwalt Andreas<br />
Klein. Die Veranstaltung wurde in englischer<br />
Sprache abgehalten, wobei in<br />
Litauen und Lettland jeweils eine Si-<br />
multanübersetzung in die dortigen<br />
Sprachen stattfand. Lediglich in Estland<br />
wurde aufgrund des nicht vorhandenen<br />
Bedürfnisses einer Übersetzung<br />
auf eine solche verzichtet. Finanziert<br />
wurden die drei Veranstaltungen zu<br />
zwei Dritteln vom Förderverein für<br />
freie Advokatur und zu einem Drittel<br />
von der IRZ-Stiftung. Die Arbeitsgemeinschaft<br />
Internationaler Rechtsverkehr<br />
stellte zwar keine unmittelbaren<br />
Finanzmittel zur Verfügung, brachte<br />
allerdings durch den Unterzeichner<br />
personelles know-how mit und ließ die<br />
gesamte organisatorische Vorbereitung<br />
und Abwicklung über die Geschäftsstelle<br />
des DAV in Bonn ablaufen.<br />
Zielgruppe der Veranstaltungen war<br />
zwar jeweils die gesamte Anwaltschaft<br />
in den drei Staaten, aber realistischerweise<br />
beschränkt sich der Teilnehmerkreis<br />
auf die Hauptstädte und deren<br />
unmittelbares Einzugsgebiet. In Litauen<br />
gab es bei einer Gesamteinwohnerzahl<br />
von 4,5 Millionen und 700<br />
Rechtsanwälten 35 Teilnehmer. Die<br />
Zahlen für Lettland beliefen sich bei<br />
einer Gesamteinwohnerzahl von 3,7<br />
Millionen und 700 Rechtsanwälten auf<br />
knapp 40 Teilnehmer. In Estland nahmen<br />
bei einer Gesamteinwohnerzahl<br />
von 1,5 Millionen und 200 Rechtsanwälten<br />
22 Anwältinnen und Anwälte<br />
teil. Es wurde darauf verzichtet, den<br />
Anwaltskolleginnen und -kollegen vor<br />
Ort die Kosten für die Veranstaltung<br />
auf zu bürden. Lediglich in Lettland<br />
und Litauen wurde ein Betrag von 10<br />
Euro von den Teilnehmern bezahlt, mit<br />
dem die Kosten des gemeinsamen Mittagessens<br />
gedeckt werden konnten. Die<br />
Veranstaltungen waren nach Meinung<br />
der örtlichen Kammervertreter ebenso<br />
wie nach der Meinung der Teilnehmer<br />
gut besucht. Die Schüchternheit der<br />
Teilnehmer während der Seminarveranstaltung<br />
war spätestens während des<br />
gemeinsamen Mittagessen abgelegt, so<br />
dass bei dieser Gelegenheit abermals<br />
ein reger Austausch stattfinden konnte.<br />
Insgesamt bleibt fest zu halten,<br />
dass der Deutsche Anwaltverein nunmehr<br />
in den Baltischen Staaten der<br />
Anwaltschaft ein Begriff ist – eben so<br />
wie in Polen, wo eine vergleichbare<br />
Veranstaltungen in den Jahren 1994/<br />
1995 durchgeführt worden waren.<br />
Für den Außenstehenden besonders<br />
interessant war, dass die baltischen<br />
Saaten sehr unterschiedlich voneinander<br />
sein wollen, es aber auch tatsächlich<br />
sind. Letzteres zeigt sich insbesondere<br />
in der wirtschaftlichen Entwicklung,<br />
die in Litauen am schwierigsten<br />
verläuft, in Lettland bereits besser und<br />
+O +O
42<br />
in Estland sich mit Abstand am besten<br />
darstellt. Dies hat auch die Europäische<br />
Kommission zum Anlass genommen,<br />
Estland als einen derjenigen<br />
Staaten zu benennen, die bei der ersten<br />
Welle der Verhandlungen in Bezug auf<br />
einen EU-Beitritt vertreten sind, während<br />
Litauen und Lettland nicht dazu<br />
gehören. Selbstredend spielten auch<br />
die Verwirklichung rechtsstaatlicher<br />
Prinzipien, zu denen u.a. eine unabhängige<br />
Anwaltschaft gehört, bei der<br />
Entscheidung der Kommission eine<br />
große Rolle. Nimmt man den Umgang<br />
der staatlichen Obrigkeit mit dem Bürger<br />
als Maßstab für den Grad der<br />
Rechtsstaalichkeit, so sind insbesondere<br />
in Litauen noch gewaltige Defizite<br />
zu verzeichenen.<br />
Bemerkenswert war auch, dass ein<br />
Bedürfnis der dortigen Anwälte in<br />
Bezug auf eine Nachfolgeveranstaltung<br />
klar artikuliert wurde. Eine solche<br />
Veranstaltung sollte sich vorrangig mit<br />
Richtlinien der Europäischen Union<br />
im Bereich des Wirtschaftsrechts befassen,<br />
da diese Richtlinien auf lange<br />
Sicht auch für diese Staaten geltendes<br />
Recht würden – so auf jeden Fall die<br />
Hoffnung der dortigen Anwaltschaft.<br />
Die Arbeitsgemeinschaft Internationaler<br />
Rechtsverkehr hatte bereits im Vorfeld<br />
die Bereitschaft geäußert, eine solche<br />
Nachfolgeveranstaltung im Jahre<br />
2000 durchzuführen, sollten die Seminare<br />
im Jahr 1999 ein Erfolg werden.<br />
Daneben betont die Vorsitzende,<br />
dass es das 10jährige Jubiläum<br />
der Arbeitsgemeinschaft Internationaler<br />
Rechtsverkehr zu feiern gebe. Sie zitiert<br />
den damaligen Geschäftsführenden<br />
Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft<br />
und hebt das Engagement des Gründervaters,<br />
Herrn Rechtsanwalt Prof. Dr.<br />
Rabe, hervor. Herr Prof. Dr. Rabe war<br />
seinerzeit das vom Vorstand des DAV<br />
delegierte natürliche Mitglied des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses. Die Vorsitzende<br />
berichtet, dass die Mitgliederzahlen<br />
von anfangs ca. 250 auf heute<br />
fast 700 Mitglieder gestiegen sind.<br />
In Ergänzung zu obigem Bericht erläutert<br />
die Vorsitzende, dass der Geschäftsführende<br />
Ausschuss am Vortage<br />
die Seminarplanung für das Jahr 2000<br />
abgeschlossen hat. Es werden ein Seminar<br />
zum Wettbewerbsrecht in Wien im<br />
März 2000, ein deutsch-französisches<br />
Seminar im April in Frankreich und ein<br />
Seminar zum Verbraucherschutz im<br />
September 2000 in Budapest stattfinden.<br />
Daneben wird die Arbeitsgemeinschaft<br />
im Juni 2000 auf dem Anwaltstag<br />
zusammen mit der International Bar<br />
Association eine Veranstaltung durch-<br />
führen. Darüber hinaus wird Ende Juni<br />
2000 eine Seminarveranstaltung in Tallinn<br />
(Estland) als Folgeveranstaltung zu<br />
der Seminarreihe im September 1999<br />
stattfinden. Schließlich wird im Oktober<br />
2000 das Seminar in Krakau nachgeholt<br />
werden, das im Jahr 1999 nicht durchgeführt<br />
werden konnte.<br />
AG Verkehrsrecht<br />
Neues über die Internet-Präsentation<br />
der Arbeitsgemeinschaft<br />
Die Internet-Präsentation der Arbeitsgemeinschaft<br />
erfreut sich nach<br />
wie vor einer steigenden Beliebheit.<br />
Im Monat September 1999 erfolgten<br />
insgesamt 89.560 Zugriffe auf die<br />
Internet-Präsentation. Dabei entfielen<br />
allein 7.900 Zugriffe auf die Mitgliederliste<br />
bzw. die zu der Mitgliederliste<br />
erstellten Homepages. Man kann daher<br />
davon ausgehen, daß in weit über<br />
7.000 Fällen potentielle Mandanten<br />
sich über ihren Anwalt vor Ort anhand<br />
der Mitgliederliste der Arbeitsgemeinschaft<br />
im Internet informiert haben.<br />
Um die Attraktivität der Internet-<br />
Präsentation für die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft<br />
zu verbessern, wird<br />
zum Januar 2000 ein Diskussionforum<br />
eingerichtet. Gegenstand des Informationsforums<br />
soll der Gedankenaustausch<br />
zwischen den Mitgliedern der<br />
Arbeitsgemeinschaft sein. Hier können<br />
Fragen, welche im Zusammenhang mit<br />
der Abwicklung von Schäden entstehen,<br />
gestellt werden. Es können aber<br />
auch Tips oder Hinweise zum Regulierungsverhalten<br />
einzelner Versicherer<br />
gegeben werden. Der Phantasie sind<br />
hier keine Grenzen gesetzt.<br />
Den Zugang zum Diskussionsforum<br />
erhält jedoch nur derjenige, wer<br />
eine Homepage unterhält. Den Schlüssel<br />
zum Diskussionforum bildet dabei<br />
die Kundennummer des Homepage-Inhabers<br />
beim Provider SoftNet.<br />
Die technischen Einzelheiten zum<br />
Ablauf des Diskussionsforums wir die<br />
Firma SoftNet noch gesondert mitteilen.<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael Burmann,<br />
Erfurt<br />
Fortbildungsarbeit der AG<br />
Verkehrsrecht in den neuen<br />
Bundesländern<br />
Gleich nach der Wende, verstärkt<br />
nach der Wiedervereinigung, sah es<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
die Arbeitsgemeinschaft als ihre Aufgabe<br />
an, den Kolleginnen und Kollegen<br />
in den neuen Bundesländern das<br />
nach dem Einigungsvertrag nun auch<br />
dort geltende Verkehrsrecht zu vermitteln.<br />
Dies geschah ab Januar 1991 mit<br />
Einführungsveranstaltungen in Leipzig,<br />
Dresden, Cottbus, Berlin, Greifswald,<br />
Rostock, Schwerin und Magdeburg.<br />
Im 1. Halbjahr 1993 führte die<br />
Arbeitsgemeinschaft in Schwerin, Berlin<br />
und Halle/Saale Einführungslehrgänge<br />
durch und bezog die neuen<br />
Bundesländer ab dem 2. Halbjahr<br />
1993 in ihr laufendes Regionalfortbildungsprogramm,<br />
den „Wanderzirkus“,<br />
mit den Standorten in Neubrandenburg,<br />
Halle/Saale, nunmehr Leipzig<br />
und auch Erfurt ein. Daneben wurden<br />
und werden in den neuen Bundesländern<br />
wie in den alten Sonderveranstaltungen<br />
für junge Kollegen und Referendare<br />
durchgeführt, so in Erfurt,<br />
Dresden und Neubrandenburg 1 .<br />
Die Oberlandesgerichte in den neuen<br />
Bundesländern entwickelten sehr<br />
schnell nach Aufnahme ihrer Tätigkeit<br />
ein eigenes Selbstverständnis mit<br />
eigenständiger Rechtsprechung. Den<br />
regionalen Bezug kennenzulernen, ist<br />
für die Anwaltschaft vor Ort von erheblichem<br />
Interesse und Nutzen. Auch<br />
geht es darum, eine Verbundenheit mit<br />
„ihrem“ Oberlandesgericht zu entwikkeln.<br />
Ab 1995 führte die Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht deshalb unter<br />
Beteiligung der DAV-Landesverbände<br />
und örtlichen Anwaltvereine verkehrsrechtliche<br />
Fortbildungsveranstaltungen<br />
auf OLG-Ebene durch, dies mit großem<br />
Erfolg. Konzipiert wurden sie zugleich<br />
als Werbeveranstaltungen auch<br />
für den DAV; dies schon dadurch, dass<br />
sämtliche im betreffenden neuen Bundesland<br />
zugelassenen Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte eine Einladung<br />
erhielten.<br />
Die erste Veranstaltung dieser Art<br />
fand in Brandenburg im September<br />
1995 2 statt , gefolgt im Herbst 1996<br />
von der in Thüringen und 1997 in<br />
Mecklenburg-Vorpommern 3 .<br />
Zwei weitere Fortbildungsseminare<br />
auf OLG-Ebene führte die Arbeitsgemeinschaft<br />
jetzt durch, nämlich eine<br />
1 Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen<br />
Anwaltvereins Festschrift und Dokumentation<br />
zum 20-jährigen Bestehen S. 97.<br />
2 AnwBl 95, 545.<br />
3 AnwBl 98, 26.
AnwBl 1/2000 43<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
zweite Veranstaltung in Brandenburg<br />
und eine weitere in Sachsen-Anhalt<br />
mit den Themen „Die verkehrsrechtliche<br />
Rechtsprechung des Brandenburgischen<br />
Oberlandesgerichts unter besonderer<br />
Berücksichtigung der Rechtsprechung<br />
zum Schmerzensgeld“ und<br />
„Die verkehrsrechtliche Rechtsprechung<br />
des Oberlandesgerichts Naumburg“.<br />
1. Brandenburg<br />
Der Präsident des Brandenburgischen<br />
Oberlandesgerichts Dr. Peter Macke<br />
stellte als Gastgeber der Veranstaltung<br />
vom 29.9.1999 in Brandenburg/Havel im<br />
Gerichtsgebäude die erforderlichen<br />
Räumlichkeiten zur Verfügung.<br />
Persönlich angeschrieben und eingeladen<br />
wurden wiederum sämtliche im<br />
Land Brandenburg zugelassenen Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte. Es kamen<br />
mehr als 120, mithin fast 10 %. Zumal<br />
davon bisher nur ein geringer Teil<br />
dem DAV angehört, erschien die Gelegenheit<br />
günstig, ihn, d. h. seine Geschichte,<br />
seine Aufgaben, Organisation<br />
und Serviceleistungen, vorzustellen.<br />
Referent war der Vizepräsident des<br />
Brandenburgischen Oberlandesgerichts<br />
Dr. Wolfgang Farke, der die materiellund<br />
verfahrensrechtlichen Fragen bis<br />
in Einzelheiten gehend abhandelte,<br />
z. B. Funktion des Schmerzensgeldes,<br />
Abwägungsproblematik, Klageanträge,<br />
Verjährung u. a. m. Er orientierte sich<br />
an der höchstrichterlichen Rechtsprechung,<br />
aber insbesondere auch der des<br />
Brandenburgischen Oberlandesgerichts.<br />
Wie interessiert die Teilnehmer<br />
waren, zeigten die vielen Fragen und<br />
Diskussionsbeiträge nach Abschluss<br />
des Referats.<br />
Die Veranstaltung kann, nicht zuletzt<br />
auch durch die organisatorische<br />
Hilfe der Justiz, als voller Erfolg gewertet<br />
werden.<br />
2. Sachsen-Anhalt<br />
Am 30. Oktober 1999 fand die Veranstaltung<br />
in Naumburg statt. Das<br />
Interesse der in Sachsen-Anhalt<br />
zugelassenen Rechtsanwältinnen und<br />
Rechtsanwälte – wiederum wurden<br />
alle eingeladen – war mit 184 Anmeldungen,<br />
das sind 12% der gesamten<br />
Anwaltschaft, so groß, dass der im Plenarsaal<br />
des Oberlandesgerichts Naumburg<br />
zur Verfügung stehende Platz bei<br />
weitem nicht ausreichte und in den<br />
Ratskeller, am historischen Marktplatz<br />
gelegen, ausgewichen werden mußte.<br />
Nach der Eröffnung, in der der<br />
DAV, seine satzungsgemäßen Aufgaben,<br />
das Service-Angebot und die<br />
Arbeitsgemeinschaften ausführlich<br />
vorgestellt wurden, sprach der<br />
VRiOLG Albrecht Hennig in Vertretung<br />
der urlaubsbedingt abwesenden<br />
Chef-Präsidentin Grußworte.<br />
Am Vormittag referierte RiOLG<br />
Stefan Geib über die zivilrechtliche<br />
Rechtsprechung des Oberlandesgerichts<br />
Naumburg in Verkehrssachen, einschließlich<br />
Versicherungsrecht mit<br />
Schwerpunkten Unfallursachen, Haftungsquoten,<br />
Schadenposten sowie<br />
Probleme der Kaskoversicherung.<br />
Am Nachmittag erläuterte VRiOLG<br />
Albrecht Hennig die Judikatur in Verkehrsstraf-<br />
und Ordnungswidrigkeitensachen.<br />
Seine Ausführungen hatten die<br />
Schwerpunkte Alkoholdelikte, Verkehrsgefährdung<br />
– ohne Alkohol –,<br />
Verkehrsflucht, Schuldfähigkeit, Verkehrsordnungswidrigkeiten<br />
und ihre<br />
Folgen, dazu Verfahrensfragen. Die<br />
Diskussion im Anschluß an die Redebeiträge<br />
war rege. Unterbrochen wurden<br />
die Vorträge von einer Mittagspause,<br />
in der ein ausgezeichnetes kaltwarmes<br />
Buffet angeboten wurde, alles,<br />
zudem auch die Getränke, im Tagungspreis<br />
von 100 DM mitenthalten.<br />
Auch diese Veranstaltung war, nicht<br />
zuletzt wegen der Unterstützung durch<br />
das OLG Naumburg, ein voller Erfolg.<br />
Rechtsanwalt und Notar<br />
Dr. Georg Greißinger, Hildesheim<br />
Personalien<br />
Neue Vorsitzende von<br />
Anwaltvereinen<br />
Anwaltsverein Bocholt e.V.<br />
Vorsitzender: Rechtsanwalt Harald<br />
P i e t z onka , Salierstraße 4, 46395<br />
Bocholt<br />
Borkener Anwaltsverein<br />
Vorsitzender: Derk R ö t t g e r i n g ,<br />
Hauptstraße 10, 48712 Gescher<br />
Münchener Anwaltverein e.V.<br />
Vorsitzende: Rechtsanwältin Petra<br />
H e i n i c k e , Dachauer Straße 17,<br />
80335 München<br />
Buchhinweis<br />
Jobst-Hubertus Bauer: Arbeitsrechtliche<br />
Aufhebungsverträge, Arbeits-, Gesellschafts-,<br />
Steuer- und Sozialversicherungs-<br />
rechtliche Hinweise zur einvernehmlichen<br />
Beendigung von Dienst- und Arbeitsverhältnissen;<br />
6. neubearbeitete Auflage<br />
1999; Verlag C.H. Beck, München; XXXII<br />
und 613 Seiten, 90,– DM.<br />
Es ist Freude und Gewinn, die komplette<br />
Überarbeitung des Standardwerks per<br />
15. April 1999 anzuzeigen. Zu bescheiden<br />
spricht das Buch in seinem Untertitel nur<br />
von Hinweisen. Es behandelt vielmehr ein<br />
zentrales Instrument arbeits- und dienstvertraglichen<br />
Handelns und Disponierens<br />
vollständig und vor allem auf die Praxis<br />
zugeschnitten. In einer Zeit, in der<br />
die arbeitsrechtlichen, einschließlich der<br />
damit verknüpften sozialversicherungs- und<br />
steuerrechtlichen Rahmenbedingungen, die<br />
Innenpolitik und die Befindlichkeit der Gesellschaft<br />
nahezu vollständig bestimmen,<br />
kann der Wert einer derartig zuverlässigen<br />
Informationsquelle, wie sie das Werk bietet,<br />
schwerlich überschätzt werden. Es gefällt<br />
nach wie vor und wiederum verbessert die<br />
Versammlung zahlreicher Check-Listen,<br />
Muster und Beispielsfälle. Besondere<br />
Aktualitäten des Buches sind die<br />
Darstellungen zu den Fragen: Neuregelung<br />
der Entlassungsentschädigung im Sozialund<br />
Steuerrecht, Altersteilzeit, Frühpensionierung,<br />
steuerliche Neuregelungen ab<br />
1. Januar 1999.<br />
Im „Hüh und Hott“ der kürzlichen und<br />
gegenwärtigen gesetzgeberischen Leistungen<br />
ist das Buch eine unerläßliche Informationsquelle<br />
und Arbeitshilfe, die Orientierung<br />
für besonnene und über den Tag<br />
hinaus wirkende Entscheidungen ausstrahlt.<br />
Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Köln<br />
Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte,<br />
Kommentar; begründet von Wilhelm<br />
Gerold\+, fortgeführt von Herbert<br />
Schmidt \+, Kurt von Eicken, Wolfgang<br />
Madert; 14. Auflage 1999; Verlag C.H.<br />
Beck;XXIV und 1560 Seiten;176,– DM.<br />
Das Standardwerk liegt nun wieder –<br />
höchst verdienstvoll – in neuer Auflage und<br />
aktuell auf dem Tisch. Die neueste Rechtsprechung,<br />
welche zahlreiche Streitfragen<br />
des Gebührenrechts abklärt, ist natürlich<br />
eingearbeitet. Bearbeitet sind auch die<br />
gesetzgeberischen Änderungen durch die<br />
zum 1. Januar 1999 in Kraft getretene Insolvenzordnung,<br />
das Kindschaftsrechtsreformgesetz<br />
vom 16. Dezember 1997, die zweite<br />
Zwangsvollstreckungsnovelle vom 17. Dezember<br />
1999, das Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz<br />
vom 22. Dezember 1997, die<br />
Änderungen des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten<br />
vom 26. Januar 1998, das Kindesunterhaltsgesetz<br />
vom 6. April 1998, das<br />
Zeugenschutzgesetz vom 30. April 1998 sowie<br />
das Betreuungsrechtsänderungsgesetz<br />
vom 25. Juni 1998. Es ist und bleibt klar,<br />
daß der Rechtsanwalt und die Rechtsanwältin<br />
mit diesem Buch rechnen können. Sie<br />
sollten es auch wirklich tun. Voraussetzung<br />
dafür ist, daß der Kommentar bei der täglichen<br />
Arbeit stets zur Hand ist.<br />
Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Köln
44<br />
EUROPA<br />
Europa im Überblick<br />
Wöchentliche EU-Informationen des Deutschen Anwaltvereins,<br />
Büro Brüssel (Auswahl der 49. Woche)<br />
Elektronischer Geschäftsverkehr – Rat<br />
Der Rat der Europäischen Union hat sich über den geänderten<br />
Kommissionsvorschlag für die „Richtlinie über bestimmte<br />
rechtliche Aspekte des elektronischen Geschäftsverkehrs<br />
im Binnenmarkt“ (KOM(1999) 427 endg., s. EiÜ<br />
35-99) politisch geeinigt.<br />
Der neue RL-Vorschlag sieht weiterhin das auch vom<br />
Deutschen Anwaltverein (DAV) befürwortete Herkunftslandprinzip<br />
vor; dieses soll jedoch bspw. aus Gründen des<br />
Jugend- und Verbraucherschutzes eingeschränkt werden<br />
können. Der Vorschlag geht nun zur zweiten Lesung an das<br />
Europäische Parlament.<br />
Unternehmensübergang – EuGH-Urteil<br />
Der EuGH hat entschieden, daß die „Richtlinie zur Angleichung<br />
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über<br />
die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang<br />
von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen“ (RL<br />
77/187/EWG v. 14.2.1977, EG-ABl. L 61 v. 5.3.1977, S. 26)<br />
auf einen Übergang zwischen zwei Gesellschaften desselben<br />
Konzerns angewendet werden könne (Urteil v. 2.12.1999,<br />
Rs. C-234/98, G. C. Allen u. a. / Amalgamated Construction<br />
Co. Ltd; im Internet abrufbar unter http://curia.eu.int).<br />
Entscheidend sei, daß die beiden Tochtergesellschaften<br />
gesonderte juristische Personen darstellten und jeweils spezifische<br />
Arbeitsverhältnisse mit ihren Arbeitnehmern eingegangen<br />
seien. In diesem Fall sei selbst bei gemeinsamem<br />
Eigentümer und Management, gemeinsamen Gebäuden und<br />
gemeinsamer Arbeit zweier Tochtergesellschaften nicht notwendig<br />
ein einziges Unternehmen im Sinne der RL gegeben,<br />
so daß bei der Übertragung des wesentlichen Belegschaftsteils<br />
ein Unternehmensübergang vorliegen könne.<br />
Öffentliche Aufträge – EuGH-Urteil<br />
Unter Auslegung der „Richtlinie über die Koordinierung<br />
der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge“<br />
(92/50/EWG v. 18.6.1992; EG-ABl. L 209, S. 1) entschied<br />
der EuGH, daß ein Dienstleistungserbringer sich für<br />
den Nachweis, daß er die nötigen Voraussetzungen für die<br />
Teilnahme an einem Vergabeverfahren hinsichtlich eines<br />
öffentlichen Dienstleistungsauftrags erfüllt, auf die Leistungsfähigkeit<br />
Dritter, die er bei Erhalt des Auftrags in<br />
Anspruch nehmen will, berufen dürfe. Er müsse jedoch<br />
nachweisen, daß er tatsächlich über die zur Auftragserfüllung<br />
nötigen Mittel verfügen kann (EuGH, Urteil v.<br />
2.12.1999, Rs. C-176/98, Holst Italia SpA / Comune di<br />
Cagliari; im Internet unter http://curia.eu.int).<br />
Dokumentenzugang – EuGH-Urteil<br />
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften darf<br />
den Zugang zu bestimmten Dokumenten, die im Rahmen<br />
einer reinen Verwaltungsangelegenheit erstellt worden sind,<br />
nicht verweigern (EuG-Urteil v. 7.12.1999, Rs. T-92/98,<br />
AnwBl 1/2000<br />
Interporc Im- und Export GmbH / Kommission der<br />
Europäischen Gemeinschaften; im Internet abrufbar unter:<br />
http://curia.eu.int).<br />
Das EuG bekräftigte jedoch, daß für Dokumente, die die<br />
Kommission für ein anhängiges Gerichtsverfahren erstellt<br />
habe, einschließlich des anwaltlichen Schriftverkehrs, eine<br />
Ausnahme von der Regel des möglichst umfassenden Informationszugangs<br />
gelte.<br />
91.Vollversammlung des CCBE am 12. und<br />
13. November 1999 in Athen<br />
Nach der Veröffentlichung der Satzung des CCBE im<br />
belgischen Gesetzblatt (Moniteur belge) ist diese nun formell<br />
in Kraft getreten, sodass auf der Vollversammlung in<br />
Athen erstmals die neuen Mehrheitsverhältnisse zur Anwendung<br />
kamen (vgl. für Details der Mehrheitsverhältnisse<br />
AnwBl 1999/104).<br />
Die Anwaltskammer von Estland hatte ebenso wie die<br />
polnischen Rechtsberater einen Antrag auf Aufnahme als<br />
Mitglied mit Beobachterstatus gestellt. Beobachterstaaten<br />
haben lediglich das Recht zur Teilnahme an den Vollversammlungen,<br />
ohne ein Stimmrecht zu haben. Allerdings<br />
können Beobachterstaaten in den verschiedenen Arbeitsgruppen<br />
des CCBE mitwirken, jedoch auch dort ohne<br />
Stimmrecht. Dem Antrag Estlands wurde ohne größere<br />
Aussprache einstimmig entsprochen. Der Abstimmung zur<br />
Aufnahme der polnischen Rechtsberater ging eine intensive<br />
Diskussion in der Vollversammlung voraus, die dadurch<br />
ausgelöst war, dass die polnischen Rechtsanwälte (Adwokaten)<br />
bereits einen Beobachterstatus haben. Die Rechtsberater<br />
unterscheiden sich von den Adwokaten insofern als sie<br />
nicht im Familien- und Strafrecht tätig werden dürfen. Ein<br />
weiterer Unterschied ist, dass die Adwokaten nicht in einem<br />
Angestelltenverhältnis arbeiten dürfen, was mit eine<br />
Ursache für die relativ große Zahl der Rechtsberater ist, da<br />
in Polen traditionell viele Juristen bei Unternehmen beschäftigt<br />
sind.<br />
Die schließlich getroffene Entscheidung zugunsten der<br />
Rechtsberater wurde mit der Maßgabe verknüpft, dass –<br />
entsprechend der CCBE-Satzung – Polen auf der nächsten<br />
Vollversammlung sich durch nur „eine physische Person“<br />
vertreten lassen darf.<br />
Nachdem der CCBE sich im Jahre 1996 letztmalig zu<br />
der Frage der multidisziplinären Partnerschaften geäußert<br />
hatte (die damalige Resolution kann auf der DAV-Geschäftsstelle<br />
angefragt werden oder in naher Zukunft auf der neu<br />
eingerichteten CCBE Web-site eingesehen werden), hatte<br />
der CCBE Anfang 1998 erneut eine Arbeitsgruppe MDP<br />
geschaffen. Diese Arbeitsgruppe legte in Athen einen Resolutionsentwurf<br />
vor. Der Entwurf wurde, nachdem er noch in<br />
der Vollversammlung leicht modifiziert worden war, einstimmig<br />
angenommen. Im Prinzip spricht sich die nunmehr<br />
vorliegende Resolution gegen die Möglichkeit von multidisziplinären<br />
Partnerschaften aus, ohne jene Jurisdiktionen, in<br />
denen es die Möglichkeit solcher beruflicher Kooperationen<br />
gibt, aufzufordern, dies zu ändern. Für diesen Fall spricht<br />
sich die Resolution dafür aus, dass „lawyer independence,<br />
client confidentiality and disciplinary supervision of con-
AnwBl 1/2000 45<br />
Mitteilungen l<br />
flict-of-interest rules must be safeguarded. Der englische<br />
Wortlaut kann jederzeit bei der Geschäftsstelle des DAV per<br />
Fax angefordert werden (0228 – 260757).<br />
Die Vollversammlung brachte erneut ihre ablehnende<br />
Haltung gegenüber dem Richtlinienentwurf zur geplanten<br />
Zweiten Geldwäscherichtlinie insoweit zum Ausdruck als<br />
der Entwurf die Rechtsanwälte in den Anwendungsbereich der<br />
Richtlinie mit einbezieht, wenn sie im Bereich von Finanztransaktionen<br />
tätig werden. Außerdem wurde Kritik an den<br />
unterschiedlichen Sprachfassungen geübt, die im Englischen<br />
und Französischen einen engeren Rahmen für Ausnahmetatbestände<br />
eröffnen als die deutsche Fassung. Während es in<br />
der deutschen Fassung von Artikel 6, Absatz 3, Unterabsatz<br />
2, Satz 1 heißt, dass „die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet<br />
sind, die in Absatz 1 niedergelegten Verpflichtungen auf<br />
selbständige Juristen anzuwenden, wenn es sich um Informationen<br />
handelt, die sie von einem Kunden zum Zwecke<br />
der Vertretung in einer Rechtssache oder im Rahmen einer<br />
Rechtsberatung erhalten“ ist im englischen Wortlaut an<br />
gleicher Stelle nur die Rede von „in legal proceedings“ und<br />
in der französischen Fassung von „dans une procédure judiciaire“,<br />
was den Gestaltungsspielraum wesentlich zuungunsten<br />
der Anwaltschaft einengt. Da nach dem EG-Vertrag sowie<br />
nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes<br />
(EuGH) alle elf Sprachen authentisch und damit<br />
gleichermaßen verbindlich sind, wäre der EuGH gezwungen,<br />
die entsprechende Stelle auszulegen. Dies geschähe unter<br />
Zugrundlegung aller Sprachfassungen, was, wenn die breite<br />
Mehrheit der Sprachen in die englische und französische<br />
Richtung tendiert, dazu führen müsste, dass die für die Anwaltschaft<br />
„bessere“ Lösung des deutschen Wortlautes nicht<br />
zum tragen käme. Daher wird der DAV sowohlmitseinen<br />
europäischen Partnern als auch im Rahmen des CCBE weiterhin<br />
dafür eintreten, die Anwaltschaft insgesamt aus dem<br />
Richtlinienentwurf zu streichen.<br />
6<br />
Justizreform<br />
Stellungnahme des Anwaltsverbandes<br />
Baden-Württemberg<br />
I.<br />
Sogenannte Beschleunigungsnovellen, Rechtspflegevereinfachungsgesetze<br />
und Rechtspflegeentlastungsgesetzte,<br />
die in der Vergangenheit in die Regelungen über den Zivilprozess<br />
eingriffen, haben überwiegend zu einem Abbau des<br />
Rechtsschutzsystems geführt. Die Anwaltschaft hat derartige<br />
punktuelle Maßnahmen, durch die die Rechtsstellung<br />
des Bürgers geschwächt wurde, aus diesem Grunde stets<br />
kritisiert, teilweise ausdrücklich abgelehnt.<br />
Wenn nun vom Bundesministerium der Justiz eine Große<br />
Justizreform angestrebt wird, die den Anspruch erhebt<br />
das Rechtsschutzsystem und die Bürgernähe der Justiz<br />
durch ein in sich stimmiges Konzept zu verbessern, so ist<br />
dieser Ansatz grundsätzlich überlegenswert.<br />
Die Delegationen teilten den Stand der Umsetzung der<br />
Niederlassungsrichtlinie in die nationalen Rechtsordnungen<br />
mit. Als einziges Land hat Schweden bereits den Gesetzgebungsprozess<br />
abgeschlossen. Die übrigen Mitgliedstaaten<br />
des CCBE, darunter auch die EWR-Staaten Norwegen und<br />
Island teilten mit, dass die Umsetzungsarbeiten entweder bis<br />
zum 14. März 2000 oder spätestens im Laufe des Frühsommers<br />
abgeschlossen sein werden. Einzige Ausnahme bildete<br />
Luxemburg, das bisher keinerlei Umsetzungsbemühungen<br />
unternommen hat, da es Klage gegen die Niederlassungsrichtlinie<br />
beim EuGH erhoben hat. Mit einer Entscheidung<br />
des EuGH wird nicht vor Mitte nächsten Jahres gerechnet<br />
und die Chancen auf eine erfolgreiche Anfechtung werden<br />
allgemein als nicht sehr hoch eingeschätzt. Es sei darauf hingewiesen,<br />
dass die Richtlinie mit Ablauf des Umsetzungsdatums<br />
14. März 2000 nach der Rechtsprechung des EuGH<br />
unmittelbare Wirkung in denjenigen Vorschriften entfaltet,<br />
aus denen subjektive Rechte für den einzelnen ohne weitere<br />
Auslegung abgeleitet werden können. Mit anderen Worten<br />
bedeutet dies, dass deutsche Anwälte mit Ablauf des 14.<br />
März 2000 in jedem anderen EU-Staat sich niederlassen und<br />
im Recht des Aufnahmestaates tätig werden können. Der<br />
deutsche Wortlaut der Richtlinie kann ebenso wie der Gesetzentwurf<br />
der Bundesregierung (BR Drucksache 567/99)<br />
bei der Geschäftsstelle des DAV abgefragt werden.<br />
Schließlich befasste sich die Vollversammlung mit dem<br />
Thema WTO/GATS 2000, ohne jedoch eine einheitliche<br />
Position zu verabschieden. Eine Festlegung des CCBE auf<br />
eine Position wird erst im ersten Halbjahr des neuen Jahres<br />
erfolgen, was ausreichend ist, da die Europäische Kommission,<br />
die im Rahmen der WTO-Gespräche die Verhandlungsführerschaft<br />
inne hat, frühestens Ende Juni 2000 eine<br />
erste Liste mit konkreten Forderungen an die WTO-Mitgliedstaaten<br />
stellen wird.<br />
Rechtsanwalt Andreas Klein, LL.M., Bonn<br />
Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass das<br />
Reformvorhaben in Gestalt des bislang bekannten Berichts<br />
vom Juni 1999 den selbstgesteckten Ansprüchen nicht<br />
gerecht wird und vor allem der behauptete „unabweisbare<br />
Reformbedarf“, mit dem die Eile der Reformdurchsetzung<br />
begründet wird, nicht ersichtlich ist.<br />
Zweifel ergeben sich bereits aus dem Ansatz des<br />
Reformvorhabens. Das Grundübel des Zivilprozesses soll<br />
darin bestehen, dass die erste Instanz lediglich als „Durchgangssation“<br />
auf dem Weg in die Berufungsinstanz sei, in<br />
der das erstinstanzliche Verfahren wiederholt werde. Diese<br />
„Entdeckung“ verwundert, nachdem das Grundkonzept des<br />
Rechtsschutzsystems seit weit über 100 Jahren in der jetzt<br />
noch geltenden Weise funktioniert.<br />
Die Anwaltschaft sieht keinen Reformbedarf. Sie kann<br />
trotz oder gerade wegen des Berichts zur Justizreform einen<br />
solchen nicht erkennen.<br />
II.<br />
Die Argumente, mit denen die Notwendigkeit einer Justizreform<br />
begründet wird, vermögen nicht zu überzeugen.
46<br />
l<br />
1. Ein Beschleunigungseffekt kann nicht erwartet werden.<br />
Die Verfahrensdauer von Zivilprozessen beträgt derzeit<br />
beim Amtsgericht 4,4 Monate, beim Landgericht 6,6<br />
Monate und beim Oberlandesgericht durchschnittlich acht<br />
bis neun Monate 1 . Zivilverfahren werden damit regelmäßig<br />
innerhalb weniger Monate erledigt. Damit nimmt die deutsche<br />
Zivilgerichtsbarkeit einen Spitzenwert im europäischen<br />
Vergleich ein.<br />
So lange im Übrigen die Zwangsvollstreckung durch<br />
Gerichtsvollzieher mindestens genauso lange dauert wie<br />
das gerichtliche Erkenntnisverfahren, wenn nicht noch länger,<br />
sieht die Anwaltschaft in Bezug auf die Verfahrensdauer<br />
der Zivilprozesse keinen Handlungsbedarf. Der rechtsuchende<br />
Bürger ist für die Durchsetzung seines Rechts auf<br />
das staatliche Gewaltmonopol sowohl in Bezug auf die<br />
Urteilsfindung als auch hinsichtlich der späteren Vollstrekkung<br />
angewiesen.<br />
2. Eine Kosteneinsparung, die offensichtlich mit der<br />
Justizreform verfolgt werden soll, ist nicht ersichtlich.<br />
Der Anteil der Justizhaushalte an den Gesamthaushalten<br />
der einzelnen Bundesländer schwankt zwischen 2,4%<br />
(Thüringen), 2,8% (Baden-Württemberg) und 4,2% (Hessen);<br />
lediglich Nordrhein-Westfalen nimmt insoweit als bevölkerungsreichstes<br />
Bundesland mit 5,9% eine Ausnahmestellung<br />
ein2 . Der Kostendeckungsgrad der ordentlichen<br />
Gerichtsbarkeit, deren Kosten nur einen Teil der vorgenannten<br />
Justizhaushalte ausmachen, betrug in Baden-Württemberg<br />
in den Jahren 1994 bis 1998 zwischen 90% und<br />
104,1% 3 . Selbst wenn insoweit lediglich eine Refinanzierungsquote<br />
über die Gerichtsgebühren lediglich in Höhe<br />
von 90% angenommen wird, so waren noch nicht einmal<br />
0,3% des Gesamthaushaltes des jeweiligen Bundeslandes<br />
betroffen. Bereits dieser Umstand lässt keine großen Einsparpotenziale<br />
vermuten.<br />
In diesem Zusammenhang ist die vergleichsweise geringe<br />
Anzahl der Rechtsmittelverfahren zu sehen, die kontinuierlich<br />
zurückgeht. 94% aller Verfahren werden endgültig<br />
bei den Amtsgerichten erledigt, 86% bei den Landgerichten.<br />
Lediglich die restlichen Verfahren werden im Berufungsweg<br />
weiterverfolgt.<br />
Angesichts dessen stellt sich für die Anwaltschaft mit<br />
Nachdruck die Frage, welches die möglichen Einsparpotentiale<br />
sein sollen, über die im Zusammenhang mit einer Einschränkung<br />
des Zugangs zum Berufungsrechtszug nachgedacht<br />
wird. Die Frage stellt sich umso drängender, als<br />
die durchschnittlichen Kosten eines Berufungsverfahrens<br />
unbekannt sind. Keiner der Länderjustizminister ist in der<br />
Lage, konkret zu beziffern, welche Kosten ein Berufungsverfahren<br />
durchschnittlich verursacht.<br />
An dieser Stelle ist Refinanzierungsquote durch Gerichtsgebühren<br />
ein weiteres Mal zu beachten. Es spricht<br />
eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass mit steigendem<br />
Streitwert auch die Bereitschaft der Parteien zunimmt, ein<br />
Rechtsmittel gegen ein ihnen ungünstiges Urteil einzulegen.<br />
Aus den hohen Streitwerten resultiert jedoch zugleich ein<br />
relativ hoher Anteil an den Einnahmen der Gerichtsgebühren.<br />
Eine Rechtsmittelbeschränkung führt somit zwangsläufig<br />
zu einer Verschlechterung der Refinanzierungsmöglichkeiten.<br />
Die Bundesrechtsanwaltskammer rechnet mit jährlichen<br />
Gebührenmindereinnahmen in Höhe von DM 28<br />
Mio. 4 . Zugleich wird aber geschätzt, dass die Justizreform<br />
allein Personalmehrkosten in Höhe von jährlich rund DM<br />
8,4 Mio. mit sich bringt5 .<br />
AnwBl 1/2000<br />
Mitteilungen<br />
Bei nüchterner Betrachtung ist deshalb mit einer Kosteneinsparung<br />
nicht zu rechnen.<br />
3. Weder eine größere Bürgernähe noch eine Verbesserung<br />
des Rechtsschutzes für den Bürger als Folge der<br />
Reform sind ersichtlich. Die als Rechtsvereinfachung<br />
gepriesene Konzentration der Berufungsmittel sowohl<br />
gegen amtsgerichtliche als auch gegen landgerichtliche<br />
Urteile beim Oberlandesgericht soll der Erhöhung der<br />
Transparenz der Gerichtsbarkeit und damit zugleich der<br />
Akzeptanz beim Bürger dienen. Hierbei handelt es sich aus<br />
der Sicht der Anwaltschaft um ein Scheinargument. Sämtliche<br />
Prozessbeteiligte – d. h. nicht nur Kläger und Beklagter,<br />
sondern regelmäßig auch alle Zeugen und Sachverständigen,<br />
sowie, etwa im Falle eines Ortstermins, auch das<br />
Gericht selbst – werden durch die großen räumlichen Entfernungen,<br />
die in der Mehrzahl der Verfahren überwandt<br />
werden müssen, ebenso belastet, wie in den Zweigen der<br />
Fachgerichtsbarkeit, in denen die Rechtsmittel bereits jetzt<br />
bei nur einem Gericht in jedem Bundesland konzentriert<br />
sind.<br />
Für die Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen durch<br />
den Bürger ist vielmehr erforderlich, dass eine eingehende<br />
Auseinandersetzung mit dessen berechtigem Anliegen erfolgt.<br />
Ein gerichtliches Urteil kann nur dann tatsächlich die<br />
ihm zukommende befriedende Funktion erfüllen, wenn sich<br />
der rechsuchende Bürger mit seinem Begehren ernstgenommen<br />
fühlt und zu verstehen vermag, warum er damit ggf.<br />
nicht oder nur teilweise durchzudringen vermochte. Hieran<br />
fehlt es aber nach den jetzigen Reformvorschlägen, die eine<br />
ausdrückliche Annahme der Berufung erfordern und das<br />
Berufungsgericht zugleich an rechtsfehlerfreie Tatsachenfeststellungen<br />
der ersten Instanz binden wollen.<br />
Das Berufungsgericht soll nur dann nicht an die Beweiswürdigung<br />
der ersten Instanz gebunden sein, wenn diese<br />
rechtsfehlerhaft erfolgte. Dies wäre nur dann der Fall,<br />
wenn die beweisrelevanten Umstände entweder gar nicht<br />
oder nicht vollständig berücksichtigt wurden, oder aber<br />
wenn gegen Denk- bzw. Erfahrungssätze verstoßen wurde.<br />
In allen übrigen Fällen soll die Berufungsinstanz auf eine<br />
reine Rechtskontrolle beschränkt sein. Es wäre dem Berufungsgericht<br />
damit insbesondere versagt, sich selbst ein<br />
Bild der Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit eines Zeugen<br />
zu machen, eine unvollständige oder mehrdeutige Zeugenaussage<br />
zu ergänzen oder zu konkretisieren oder etwa ein<br />
nachweislich falsches Sachverständigengutachten, das auf<br />
einer unzutreffenden Tatsachenermittlung des Sachverständigen<br />
beruht, vom erstinstanzlichen Gericht aber in seinem<br />
Ergebnis zutreffend verwertet würde, zu verwerfen.<br />
Angesichts der vielfach festzustellenden Unbeholfenheit,<br />
ja Hilflosigkeit von Richtern im Umgang mit Zeugen und<br />
Sachverständigen mangels ausreichender Kenntnis von Vernehmungstechniken<br />
und unzureichender Erfahrung mangels<br />
systematischer Auswertung von Sachverständigengutachten<br />
erscheint dies für die Anwaltschaft nicht hinnehmbar. Vor<br />
allem aber aus der Sicht des rechtsuchenden Bürgers ist zu<br />
berücksichtigen, dass die Rechtsverhältnisse immer komple-<br />
1 Vgl. allgemein Weiß, BRAK-Mitt. 1999, 61 (63); für Baden-Württemberg LT-<br />
Drs. BW 12/3687, S. 92 f.<br />
2 Vgl. LT-Drs. BW 12/3687, S. 10.<br />
3 Vgl. LT-Drs. BW 12/3687, S. 15.<br />
4 Vgl. Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Bericht der Rechtsmittelreform<br />
in Zivilsachen vom 7.10.99, S. 14.<br />
5 Vgl. Münchbach/Lotz, ZRP 1999, 374 (378).
AnwBl 1/2000 47<br />
Mitteilungen l<br />
xer werden. Eine der Hauptaufgaben der Anwaltschaft besteht<br />
darin, dem rechtunterworfenen Bürger das Recht bzw.<br />
die aufgrund dessen ergehenden Urteile verständlich zu vermitteln.<br />
Die hieraus resultierende Filterwirkung anwaltlicher<br />
Tätigkeit zeigt sich darin, dass es auf diese Weise gelingt,<br />
etwa 70% aller Streitfälle ohne Anrufung der<br />
Gerichte zu erledigen 6 .<br />
Der rechtsunterworfene Bürger vermag die rechtlichen<br />
Regelungen und Wertungen vielfach nicht nachzuvollziehen.<br />
Er versteht vielmehr in erster Linie die tatsächliche<br />
Seite seines Falles. Für ihn sind aus diesem Grunde Fehler<br />
der Beweisführung – seien sie tatsächlicher oder rechtlicher<br />
Art – zumindest gleichwertig; tendenziell muss sogar davon<br />
ausgegangen werden, dass aus seiner Sicht Fehlern tatsächlicher<br />
Natur weit größeres Gewicht zukommt, weil er<br />
sie ohne weiteres nachzuvollziehen vermag. Aus diesem<br />
Grunde ist ihm nicht zu vermitteln, dass gerade diese Fehler<br />
in tatsächlicher Hinsicht unberücksichtigt bleiben und<br />
nur die für ihn weit schwerer verständlichen Fehler rechtlicher<br />
Natur beachtlich sein sollen.<br />
Vor dem Hintergrund der jeweils angestrebten Einzelfallgerechtigkeit<br />
ist eine Unterscheidung zwischen einer rechtsfehlerhaften<br />
und einer in tatsächlicher Hinsicht fehlerhaften<br />
Beweiserhebung nicht rechtfertigen. Die Beschränkung auf<br />
Rechtsfehler beruht offensichtlich auf der Annahme, diese<br />
seien leichter zu kontrollieren. Hieraus spricht allein eine für<br />
Juristen typische Überschätzung von Rechtsfragen und zugleich<br />
eine Unterschätzung der richterlichen Fähigkeiten,<br />
Sachverhalte in tatsächlicher Hinsicht zu durchdringen.<br />
In diesem Zusammenhang ist an eine Äußerung von<br />
Konrad Redeker im Vorfeld der 6. Novelle zur Verwaltungsgerichtsordnung<br />
zu erinnern:<br />
„Eine Novellierung sollte von dem ausgehen, was ist,<br />
nicht von dem, was sich Ministerialbeamte als Wirklichkeit<br />
vorstellen und in politischen Aktionismus umzusetzen<br />
haben“ 7 .<br />
4. Im Zusammenhang mit der Rechtsmittelbeschränkung<br />
durch Einführung einer Annahmeberufung fällt auf, dass<br />
seitens des Bundesministeriums der Justiz bereits ein unabweisbarer<br />
Reformbedarf behauptet wird, obwohl der<br />
abschließende Bericht des in Auftrag gegebenen Rechtstaatsachenforschungsvorhabens<br />
noch nicht vorliegt. Die<br />
Anwaltschaft vermisst darüber hinaus rechtsvergleichende<br />
Untersuchungen in den europäischen Nachbarländern.<br />
Auf völliges Unverständnis seitens der Anwaltschaft<br />
stößt vor allem der Umstand, dass die bislang gesammelten<br />
Erfahrungen mit der zum 1.1.1997 in Kraft getretenen<br />
6. Novelle der Verwaltungsgerichtsordnung in keiner Weise<br />
Berücksichtigung gefunden haben, obwohl dort mit der Einführung<br />
der Zulassungsberufung eine ähnliche Rechtsmittelbeschränkung<br />
vorgenommen wurde, wie sie nun für den<br />
Zivilprozess beabsichtigt ist.<br />
Gerade aufgrund der Novelle wird im Verwaltungsprozess<br />
ein deutlicher Verlust an Rechtskultur sowohl von der<br />
Anwaltschaft als auch von der Richterschaft beklagt, der zu<br />
erheblichen Frustrationen führt. So hat der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes<br />
Baden-Württemberg, Prof. Dr. Meissner,<br />
auf dem Triberger Symposium im November 1998 über<br />
die Erfahrungen mit dem beschränkten Zugang zur Berufungsinstanz<br />
durch die 6. Novelle zur Verwaltungsgerichtsordnung<br />
beklagt, dass die verminderte Kontrolle der erstinstanzlichen<br />
Richter dazu geführt habe, „dass die Qualität<br />
der erstinstanzlichen Entscheidungen – jedenfalls was Baden-Württemberg<br />
betrifft – deutlich zurückgegangen ist“ 8 .<br />
Auch der Präsident des Bundesgerichtshofs, Geiß, hat in<br />
der Vergangenheit festgestellt, dass Rechtsmittel unverkennbar<br />
ein Stück sachlicher Qualitätskontrolle und Qualitätsdurchsetzung<br />
seien, die in dem Maße zurückgingen, in<br />
dem Rechtsmittel beschnitten würden 9 .<br />
Der Verlust an Rechtsqualität durch Einführung der Zulassungsberufung<br />
im Verwaltungsprozess lässt sich daran<br />
ablesen, dass – bezogen auf Baden-Württemberg – im Jahre<br />
1996 vor In-Kraft-Treten der 6. Novelle zur Verwaltungsgerichtsordnung<br />
59,2% aller Berufungen zurückgewiesen<br />
wurden, 8,2% hatten in vollem Umfang Erfolg, 2,5% führten<br />
immerhin zu einem teilweisen Erfolg. Die restlichen<br />
Berufungsverfahren endeten durch Verwerfung, Rücknahme,<br />
Erledigung oder Verbindung zweier oder mehrerer<br />
Verfahren zu einem. Werden die ganz oder teilweise erfolgreichen<br />
Berufungen mit den Erledigungen zusammengenommen,<br />
so kann davon ausgegangen werden, dass in<br />
rund einem Drittel aller Berufungsverfahren die erstinstanzliche<br />
Entscheidung keinen Bestand hatte.<br />
Nach In-Kraft-Treten der 6. Novelle zur Verwaltungsgerichtsordnung<br />
bedarf die Berufung der vorherigen Zulassung.<br />
Im Jahre 1997 hatten lediglich 17,5% aller Zulassungsanträge<br />
Erfolg, im Jahre 1998 20,4 %. Damit ist noch<br />
keine Aussage darüber getroffen, wie das Verfahren aufgrund<br />
der zugelassenen Berufung enden wird. Festgehalten<br />
werden kann jedoch, dass eine weit geringere Anzahl an<br />
Verfahren zur Zulassung der Berufung führt als vor der<br />
Novelle zu einer Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung<br />
führte. Danach ergibt sich bereits rein rechnerisch ein<br />
erhebliches Defizit an Einzelfallgerechtigkeit.<br />
Derzeit führen rund 50% aller Berufungen im Zivilprozess<br />
zu einer Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.<br />
Aufgrund der Erfahrungen im Verwaltungsprozess ist zu<br />
befürchten, dass infolge der Einführung der Annahmeberufung<br />
nun auch eine deutlich geringere Zahl der eingelegten<br />
Berufung zur Entscheidung angenommen wird, als vor der<br />
Reform im Ergebnis zu einer Änderung der erstinstanzlichen<br />
Entscheidung führten.<br />
Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, dass der Verwaltungsprozess<br />
vom Amtsermittlungsgrundsatz, der Zivilprozess<br />
aber vom Beibringungsgrundsatz beherrscht wird.<br />
Das Verwaltungsgericht, das den Sachverhalt von Amts wegen<br />
ermitteln muss, kann und wird somit Defizite des Vortrags<br />
der Parteien ausgleichen, während das Zivilgericht<br />
darauf angewiesen ist, dass die Prozessparteien alles ihnen<br />
günstige vortragen.<br />
5. Hieraus resultieren angesichts der hypertrophierenden<br />
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anwaltshaftung<br />
erhebliche Risiken für die Anwaltschaft. Wenn der Bundesgerichtshof<br />
dem Rechtsanwalt bereits eine Mitverantwortung<br />
dafür anlastet, dass ein mit immerhin drei Berufsrichtern<br />
besetzter Senat eines Oberlandesgerichts in Verkennung<br />
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einem rechtlich<br />
nicht haltbaren Ergebnis gelangt 10 , so ist eine erhebliche<br />
Ausweitung der Anwaltshaftung zu befürchten, wenn<br />
6 Vgl. Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Bericht zur Rechtsmittelreform<br />
in Zivilsachen vom 7.10.1999, S. 4.<br />
7 Redeker, NVwZ 1996, 521 (526).<br />
8 Symposium „Rechtsstaat-Rechtsmittelstaat“ am 19./20.11.1998 in Triberg, S. 158.<br />
9 Geiß, BRAK-Mitt. 1997, 46 (48).<br />
10 BGH, Urteil vom 2.4.1998, NJW 1998, 2048.
48<br />
l<br />
das Berufungsgericht weitgehend an Feststellungen der<br />
ersten Instanz gebunden ist.<br />
Es geht jedoch nicht an, dass das Rechtsschutzsystem<br />
auf diese Weise auf Kosten der Anwaltschaft abgebaut<br />
wird. Vielmehr ist mit Nachdruck zu betonen, dass die Parteien<br />
des Zivilprozesses auf die Durchsetzung ihrer Ansprüche<br />
durch das staatliche Gewaltmonopol, und das heißt<br />
hier: durch die Gerichte, angewiesen sind. Aus diesem<br />
Grunde muss der Staat fehlerhafte Rechtsprechung entweder<br />
korrigieren oder kompensieren.<br />
Als Korrekturmöglichkeiten können nur Rechtsmittel dienen,<br />
deren Gebrauch durch die beabsichtigte Justizreform jedoch<br />
gerade eingeschränkt werden soll. Eine Kompensation<br />
ist jedoch gegenwärtig nicht gegeben, nachdem eine Amtshaftung<br />
für fehlerhafte Gerichtsentscheidungen regelmäßig<br />
durch das sogenannte Spruchrichterprivileg ausgeschlossen<br />
ist. Dieses Spruchrichterprivileg dient der Erhaltung der Unabhängigkeit<br />
der rechtsprechenden Gewalt, weshalb es auch<br />
von der Anwaltschaft für sinnvoll und notwendig erachtet<br />
wird. Es ist jedoch daran zu erinnern, dass die Freistellung<br />
des Richters von einer Haftung für pflichtwidrig gesprochene<br />
Fehlurteile erst durch § 839 Abs. 2 BGB eingeführt<br />
wurde 11 , und zwar in Kenntnis eines ausgefeilten Rechtsschutzsystems<br />
durch Berufung und Revision, durch die ein<br />
angemessener und wirkungsvoller Ausgleich für den Haftungsausschluss<br />
beider spruchrichterlichen Tätigkeit geschaffen<br />
wurde. Es besteht somit ein evidentes Regelungsgleichgewicht,<br />
dass empfindlich gestört wird, wenn der Zugang zu<br />
den Rechtsmitteln eingeschränkt wird. Aus diesem Grunde<br />
wird dann das Spruchrichterprivileg bei fahrlässig falschen<br />
Entscheidungen nicht mehr zu rechtfertigen sein.<br />
III.<br />
Zusammenfassend lässt sich deshalb feststellen, dass die<br />
Anwaltschaft bereit ist, an einer Reform mitzuarbeiten,<br />
wenn der Reformbedarf tatsächlich besteht und nachgewiesen<br />
wird, und darüber hinaus Einigkeit über das Ziel einer<br />
solchen Reform besteht, dass nur in einer Verbesserung des<br />
Rechtsschutzes für den Bürger gesehen werden kann.<br />
Eine solche Reform muss dann jedoch gemeinsam mit<br />
den Praktikern, nämlich mit der Richterschaft und der Anwaltschaft<br />
erarbeitet werden.<br />
Eine Reform jedoch, die lediglich Sparmaßnahmen in<br />
ein rechtspolitisches Deckmäntelchen einzuhüllen und von<br />
einem Abbau des Rechtsschutzsystems abzulenken versucht,<br />
wird von der Anwaltschaft abgelehnt.<br />
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr.<br />
Peter Kothe, Vorsitzender des Anwaltsverbandes Baden-<br />
Württemberg<br />
11 Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Band II, 1896,<br />
S. 819 ff.<br />
Freie Mitarbeiter /Scheinselbständigkeit<br />
Korrektur des Korrekturgesetzes:<br />
Neues vom freien Mitarbeiter<br />
Im Januarheft 1999 hatte ich über das unmittelbar zuvor<br />
in Kraft getretene Korrekturgesetz berichtet, welches sich<br />
auch mit den Scheinselbständigen und den arbeitnehmer-<br />
AnwBl 1/2000<br />
Mitteilungen<br />
ähnlichen Selbständigen befaßt hat. Nachdem dieses Gesetz<br />
schon im April durch das 630-Mark-Gesetz geringfügig geändert<br />
worden war, setzt der Gesetzgeber uns auch für das<br />
Januarheft 2000 unter Zugzwang.<br />
Zur Erinnerung: nach etwa zweimonatiger Ladehemmung<br />
war im Frühjahr letzten Jahres über das Gesetz eine<br />
Diskussion in Politik und Wirtschaft hereingebrochen, wie<br />
sie bisher kaum ein Gesetz ausgelöst hat. Zahllose Fortbildungsveranstaltungen<br />
waren angesagt. Die Spitzenorganisation<br />
der Sozialversicherungsträger sahen sich veranlaßt,<br />
sich schon früh in einem Rundschreiben vom 19. Januar<br />
1999, dann zur Jahresmitte am 16.6.1999 und in einer korrigierten<br />
Fassung am 18.8.1999 umfangreich zu äußern.<br />
Mehrere Eilverfahren beim Bundesverfassungsgericht wurden<br />
angestrengt, alle mit negativem Erfolg. Die Bundesregierung<br />
hat eine Kommission unter Führung des ehemaligen<br />
BAG-Präsidenten zur Prüfung eines Änderungsbedarfs<br />
eingesetzt. Ab Mitte Oktober wurde ein interner Entwurf<br />
des zuständigen Ministeriums bekannt. Mitte November<br />
wurde das Gesetz in dritter Lesung im Bundestag beraten.<br />
Es ist anzunehmen, daß es bei Druck dieses <strong>Heft</strong>es bereits<br />
im Bundesgesetzblatt steht.<br />
Der Gesetzgeber beschreitet den Weg feiner Ironie: er<br />
nennt sein Gesetz nämlich „Gesetz zur Förderung der<br />
Selbständigkeit“. Es erweckt bei oberflächlicher Betrachtung<br />
den Eindruck, als wäre man vor der politischen Diskussion<br />
in die Knie gegangen. In den Zeitungen konnte<br />
man deswegen auch lesen, die gesetzliche Vermutung –<br />
Hauptgegenstand aller Kritik – sei gestrichen worden. Davon<br />
kann allerdings keine Rede sein. Tatsächlich enthält<br />
das Gesetz eine Reihe von wichtigen Änderungen, von denen<br />
einige – jedenfalls aus dogmatischer Sicht – durchaus<br />
als sensationell bezeichnet werden können. Dem Tiger ist<br />
aber der Zahn nicht gezogen: es wird vielmehr notwendig<br />
sein, sich das Gesetz sehr genau anzusehen. Im Rahmen<br />
dieses kurzen Beitrages sollen nur einige Hinweise gegeben<br />
werden.<br />
Zunächst sind die sattsam bekannten vier Tatbestandsmerkmale<br />
des § 7 Abs. 4 SGB IV teilweise geändert, vor allem<br />
durch ein fünftes Merkmal ergänzt worden. Nun müssen<br />
drei davon erfüllt sein. Der Effekt wird eine geringere<br />
„Streubreite“ sein; der Ausstoßwinkel der Schrotflinte ist<br />
schmaler geworden, es werden voraussichtlich weniger Unbeteiligte<br />
getroffen. Die Getroffenen haben dann gegen die<br />
Vermutung anzukämpfen. Hier gibt es nichts Neues: Die<br />
Vermutung greift erst, wenn die im Bereich der Sozialversicherung<br />
vorgegebene Ermittlung von Amts wegen keine<br />
Klarheit erbringt. Die Vermutung kann dann Anwendung<br />
finden, wenn die „erwerbsmäßig tätige Person“ ihren Aufklärungs-<br />
und Mitteilungspflichten nicht nachkommt. Vorsicht:<br />
gemeint ist der Beschäftigte, also der freie Mitarbeiter!<br />
Diese Lösung hat der Gesetzgeber offensichtlich in<br />
letzter Minute gewählt; im vorangegangenen inoffiziellen<br />
Entwurf war noch von den Konsequenzen die Rede, die eintreten,<br />
wenn beide Teile (Auftraggeber und -nehmer) „mauern“.<br />
Jetzt kommt es allein auf den Auftragnehmer an. Ob<br />
das eine Verbesserung ist? Ich habe den Eindruck, daß die<br />
Stellung des Scheinselbständigen damit eher gestärkt ist.<br />
Als sensationell bezeichnet werden kann, was sich der<br />
Gesetzgeber im neuen § 7 a SGB IV ausgedacht hat. Dort<br />
ist nämlich der Beginn einer Versicherungspflicht erst mit<br />
dem Zeitpunkt statuiert, in welchem der Sozialversicherungsträger<br />
die entsprechende Feststellung trifft. Das heißt<br />
im Ergebnis: es sind keine Zahlungen nach „rückwärts“<br />
mehr nötig. Sozialrechtlich wäre das neu: eine Person ist
AnwBl 1/2000 49<br />
Mitteilungen l<br />
entweder abhängig beschäftigt oder sie ist es nicht – dann<br />
könnte es nicht darauf ankommen, wann die Obrigkeit das<br />
feststellt. Aber auch hier Vorsicht: die Rückschlagsperre<br />
wirkt nur, wenn der Auftraggeber innerhalb eines Monats<br />
nach Beginn des Auftragsverhältnisses einen Prüfantrag gestellt<br />
hat, wenn der Arbeitnehmer anderweitig vorgesorgt<br />
hat und – erneut! – wenn der Beschäftigte zustimmt. Ob er<br />
dies tut, wenn zwischen den beiden Beteiligten Streit entstanden<br />
ist, kann bezweifelt werden. Wird der eine oder<br />
der andere seine Zustimmung erkaufen wollen?<br />
Damit nicht genug: Widerspruch und Klage haben aufschiebende<br />
Wirkung. Das ist im Rahmen des Beitragsrechts<br />
ein höchst ungewöhnliches Novum. Wenn man weiß, wie<br />
lange Widerspruchsverfahren und Sozialgerichtsklagen<br />
dauern, wird man die Prognose wagen können, daß diese<br />
Bestimmung die Flucht ins Verfahren schon wegen des langen<br />
Suspensiveffektes provozieren wird. – Es folgen einige<br />
im einzelnen nicht unkomplizierte Bestimmungen über andere<br />
Verfahrensarten und die Behandlung der Übergangsfälle.<br />
Auch hier gibt es eine Überraschung. Die Wirkungen<br />
des Gesetzes treten rückwirkend zum 1.1.1999 in Kraft!<br />
Die Regelung über die arbeitnehmerähnlichen Selbständigen<br />
wird geändert und hier auch verbessert. Zunächst gibt<br />
es eine dreijährige Karenzfrist für Existenzgründer, die der<br />
Gesetzgeber für jede Person sogar zweimal im Leben<br />
zuläßt – eine Art sozialversicherungsrechtlicher Freischuß.<br />
Ergraute Existenzgründer (ab 58. Lebensjahr) sind bei Erstgründung<br />
ausgenommen – wenn sie nach einer vorangegangenen<br />
Selbständigkeit erstmals dem Gesetz unterfallen würden.<br />
Die Befreiungs- und Anpassungssperren sind um ein<br />
Jahr auf den 30.6.2000 verlängert worden; die Anpassungsmöglichkeiten<br />
wurden auch inhaltlich erweitert. Dies kann<br />
auch das Zusammenspiel mit der Befreiungsmöglichkeit<br />
zugunsten des Versorgungswerks erleichtern.<br />
Es sei noch angefügt: viel Kritik hat die Doppelprüfung<br />
hervorgerufen. Erst prüfte die Krankenkasse nach § 28 h<br />
SGB IV, später der Rentenversicherungsträger nach § 28 p<br />
SGB IV. Jetzt ist die Prüfung auch zu § 28 h SGB IV auf<br />
die BfA (und die LVA‘s) übergegangen. Das heißt: das Nebeneinander<br />
der Zuständigkeiten ist beseitigt. Künftig ist<br />
eine einzige Zentrale für alles zuständig – das Verfahren<br />
wird effektiver. Gleichzeitig wird (wie man hört) der Personalbestand<br />
der Kontrolleure aufgestockt, so daß nach heutigem<br />
Erkenntnisstand jeder Arbeitgeber damit rechnen muß,<br />
innerhalb von vier Jahren geprüft worden zu sein, und zwar<br />
von BfA oder LVA.<br />
Im Ergebnis heißt dies:<br />
a) Die Vermutung ist nicht abgeschafft. Ihr Damoklesschwert<br />
liegt in der möglicherweise gestaltenden Hand des<br />
abhängig Beschäftigten. Die neuen Tatbestandsmerkmale<br />
verringern nur die Streubreite der gesetzgeberischen<br />
Schrotflinte.<br />
b) Die Musik spielt künftig im Verfahren. Der schützende<br />
Effekt der „Rückschlagsperre“ ist von der Zustimmung<br />
des freien Mitarbeiters abhängig. Der Beratungsbedarf beginnt<br />
bereits bei Aufnahme des Auftragsverhältnisses; Vertretungsbedarf<br />
besteht vor allem dann, wenn der Prüfer erscheint.<br />
Das neue Gesetz hat die rechtliche Situation eher<br />
kompliziert.<br />
c) Der alleinunternehmende selbständige Existenzgründer<br />
genießt eine dreijährige Erprobungsphase – dies zweimal<br />
im Leben. Ist er über 58, wird er – wenn vorher selbständig<br />
– nicht mehr behelligt.<br />
d) Über Frequenz und Intensität der Kontrollmaßnahmen<br />
nach dem erneut gestärkten § 28 p SGB IV hofft der<br />
Gesetzgeber, die Scheinselbständigen restlos aufzuspüren.<br />
e) Die Hoffnung, mit dem neuen Gesetz könne das Kapitel<br />
Scheinselbständigkeit ad acta gelegt werden, ist vergeblich.<br />
Die Merkwürdigkeit eines arbeitnehmerähnlichen<br />
Selbständigen bleibt uns ohnehin erhalten.<br />
Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Tübingen<br />
Geldwäsche _. Europa<br />
Einbeziehung von Rechtsanwälten in die Meldepflicht<br />
der Geldwäsche-Richtlinie?<br />
– Bericht über einen inakzeptablen Brüsseler Plan<br />
Am 14.7.1999 hat die Kommission einen Vorschlag zur<br />
Änderung der Geldwäsche-Richtlinie vom 10.6.1991 vorgelegt.<br />
Danach sollen „Notare und andere selbständige<br />
Juristen“ bei bestimmten Tätigkeiten denselben Verpflichtungen<br />
unterliegen wie der sogenannte Finanzsektor. Gemeint<br />
ist insbesondere eine Meldepflicht bei dem Verdacht<br />
von Aktivitäten im Zusammenhang mit organisiertem Verbrechen<br />
oder von Straftaten zum Nachteil der Europäischen<br />
Gemeinschaften.<br />
Diese Meldepflicht, die sich gegen Mandanten richten<br />
soll, ist vorgesehen, wenn die genannten Berufsträger ihre<br />
Klienten „bei den folgenden Tätigkeiten unterstützen oder<br />
vertreten“: Kauf und Verkauf von Grundstücken oder Gewerbebetrieben;<br />
Verwaltung von Geld, Wertpapieren oder<br />
sonstigen Vermögensgegenständen; Verwaltung von Bank-,<br />
Spar- oder Wertpapierkonten; Gründung, Betrieb oder Verwaltung<br />
von Gesellschaften, Treuhandgesellschaften oder<br />
ähnlichen Strukturen; Ausführung von Finanzgeschäften.<br />
Den Mitgliedstaaten soll auferlegt werden, für eine Zusammenarbeit<br />
der betroffenen Berufsträger mit den zur<br />
Bekämpfung von Geldwäsche zuständigen Behörden zu<br />
sorgen. Diese Zusammenarbeit soll darin bestehen, dass<br />
die Betroffenen „von sich aus über alle Tatsachen, die ein<br />
Indiz für eine Geldwäsche sein könnten, unterrichten“ und<br />
auf Verlangen „alle erforderlichen Auskünfte erteilen.“<br />
Im Falle der „selbständigen Juristen“ enthält der Entwurf<br />
eine Option für die Mitgliedstaaten, „die Anwaltskammer<br />
oder die entsprechende Selbstverwaltungseinrichtung<br />
der betreffenden Berufsgruppe“ als Behörde zu<br />
benennen und „die angemessenen Formen der Zusammenarbeit<br />
zwischen diesen und den anderen Behörden, die für<br />
die Bekämpfung von Geldwäsche zuständig sind, nieder(zu)legen.“<br />
Erteilte Informationen dürfen nach dem Richtlinien-Vorschlag<br />
„nur zur Bekämpfung der Geldwäsche benutzt werden.<br />
Die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen, dass<br />
diese Informationen auch für andere Zwecke verwendet<br />
werden.“<br />
Im übrigen gestattet der Entwurf den Mitgliedstaaten<br />
eine Sonderregelung, wonach die Meldepflicht entfallen<br />
soll, wenn die „selbständigen Juristen“ die Informationen<br />
„zum Zwecke der Vertretung in einer Rechtssache oder im<br />
Rahmen einer Rechtsberatung erhalten.“ Diese Ausnahme<br />
soll indes nicht gelten, wenn „der Verdacht besteht, dass<br />
Erkundigungen, die auf die Erleichterung der Geldwäsche<br />
gerichtet sind, eingeholt werden.“
50<br />
l<br />
Der DAV ist seit langem in enger Zusammenarbeit mit<br />
der Bundesrechtsanwaltskammer bemüht, der Kommission<br />
zu verdeutlichen, dass die beabsichtigte Regelung bei<br />
Rechtsanwälten verfassungsrechtlich unzulässig und<br />
rechtspolitisch untragbar wäre. Die CCBE hat sich ähnlich<br />
geäussert. Auch innerhalb der zuständigen Ressorts der<br />
Bundesregierung gibt es vermutlich eine Unterstützung unserer<br />
Position; doch beruht der Entwurf auf einem sogenannten<br />
Aktionsplan, den der Europäische Rat am<br />
28.4.1997 angenommen und in Amsterdam im Juni 1997<br />
gebilligt hat. Danach ist die Meldepflicht „auf alle Strafsachen<br />
im Zusammenhang mit schweren Verbrechen und auf<br />
andere Personen und Berufszweige als die in der Richtlinie<br />
genannten Kredit- und Finanzinstitute“ auszudehnen.<br />
Am 23.11.1999 hat beim Europäischen Parlament in<br />
Brüssel der Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der<br />
Bürger, Justiz und Innere Angelegenheiten über den Vorschlag<br />
der Kommission beraten. Berichterstatter des Ausschusses<br />
ist der Abgeordnete Rechtsanwalt Klaus-Heiner<br />
Lehne, Düsseldorf. Weiterhin gehört zu den Mitgliedern<br />
des Ausschusses der Abgeordnete Rechtsanwalt Dr. Rainer<br />
Wieland, Gerlingen. Ausserdem ist der Abgeordnete<br />
Rechtsanwalt Willy Rothley, Kaiserslautern, als Mitglied<br />
des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt zu nennen.<br />
Zu der Sitzung am 23.11.1999 hatte der Ausschuss<br />
Sachverständige geladen. Dazu gehörte, als einziger Angehöriger<br />
der Freien Berufe, Franz Salditt, Mitglied im Strafrechtsausschuss<br />
des DAV.<br />
Salditt erhielt im Ausschuss das Wort für eine auf zehn<br />
Minuten bemessene Erklärung und konnte danach auf Fragen<br />
antworten. Der deutsche Text seiner Erklärung, die<br />
aus Sicht des Ausschusses mehr den rechtstechnischen Details<br />
und weniger der Grundsatzfrage zu widmen war, hat<br />
den folgenden Wortlaut:<br />
I. Die Strafbarkeit wegen Geldwäsche reicht in<br />
Deutschland sehr weit. Der Kreis der Vortaten ist mehrfach<br />
ausdehnt worden, für die Bestrafung genügt Leichtfertigkeit.<br />
Deshalb ist Geldwäsche in der öffentlichen Diskussion<br />
bei uns heute fast ein Synonym für ein allgemeines Instrument<br />
der Verbrechensbekämpfung.<br />
Eine Verpflichtung der Anwaltschaft, eigene Mandanten<br />
wegen Verdachte von Geldwäsche zur Anzeige zu bringen,<br />
träfe das Selbstverständnis dieses Berufs im Kern. Die<br />
Schweigepflicht der Anwälte hat aus deutscher Sicht – im<br />
Sinne eines Grundrechts der zu schützenden Bürger – Verfassungsqualität,<br />
ebenso die Unschuldsvermutung zugunsten<br />
des Mandanten, als deren Hüter die Anwaltschaft sich<br />
versteht. Dies hat auch mit der bedrückenden Erinnerung<br />
an die staatliche Vereinnahmung von Anwalten in der NS-<br />
Zeit und in der DDR zu tun. Das historische Fundament unseres<br />
Berufs ist dünn und zerbrechlich. Der Schaden, der<br />
aus der Auferlegung einer Anzeigepflicht folgen würde,<br />
wäre bedrohlich. Aus den Erfahrungen der Finanz- und<br />
Kreditinstitute ist bekannt, dass das rechnerische Verhältnis<br />
unbegründeter Verdachtsanzeigen zu den begründeten mit<br />
99:1 noch eher beschönigt wird.<br />
II. Ich will damit die Grundsatzdiskussion nicht erneut<br />
beginnen. Doch liegt mir daran, verständlich zu machen,<br />
warum eine äusserst enge Begrenzung der beabsichtigten<br />
Richtlinie unerlässlich wäre.<br />
1. Der Entwurf hat nicht etwa vorgesehen, dass eine Anzeigepflicht<br />
nur entstehen kann, sofern „bestimmte Tatsachen“<br />
auf Geldwäsche hindeuten. Es darf und kann aber<br />
keine Verpflichtung des Anwalts geben, Untersuchungen ge-<br />
AnwBl 1/2000<br />
Mitteilungen<br />
gen den Mandanten zu führen, und deshalb liesse sich eine<br />
Mitteilungspflicht weder aus Vermutungen noch aus einem<br />
blossen Anfangsverdacht ableiten.<br />
2. Nach Art. 2a Abs. 5 des Entwurfs tritt die dort geregelte<br />
Anzeigepflicht des Rechtsanwalts ein, wenn er bei<br />
den Transaktionen dem Mandanten „assistiert“ oder wenn<br />
er diesen dabei „vertritt“. Der blosse Rechtsrat darf nicht<br />
hierunter eingeordnet werden, weil jedenfalls er keine finanzielle<br />
(bankähnliche) Dienstleistung ist. Bislang fehlt es<br />
an einer entsprechenden Klarstellung.<br />
3. Durch ein Verwertungsverbot muss über Art. 6 Abs.<br />
4 hinaus abgesichert sein, dass die Verwendung der Angaben<br />
allenfalls zur Prävention, also zur Verhinderung von<br />
Geldwäsche, zulässig sein kann, nicht aber als Beweismittel<br />
oder Ermittlungsansatz zur Strafverfolgung. An dieser<br />
zentralen Stelle entscheidet sich, ob Rechtsanwälte in den<br />
Dienst der Strafverfolgung genommen werden sollen oder<br />
ob es nur darum geht, dem Missbrauch ihrer Dienstleistungen<br />
zur Geldwäsche vorzubeugen. Im übrigen erstaunt es,<br />
dass der Entwurf die Verwertbarkeit nicht einmal auf Fälle<br />
schwerer organisierter Kriminalität begrenzen will.<br />
4. Dem Rechtsanwalt darf – im Gegensatz zum Entwurf<br />
– nicht auferlegt werden, eine Anzeige vor seinem<br />
Mandanten zu verbergen. Er kann nicht nach aussen Ratgeber<br />
und hinter der Fassade Gegner des Mandanten sein.<br />
5. Da die Anwaltschaft das Recht durch den vertrauensvollen<br />
und vertraulichen Kontakt mit dem Mandanten gewährleistet,<br />
muss sich jede Anzeige erübrigen, wenn der<br />
Anwalt die Aufgabe aus eigener Kraft bewältigt:<br />
a) wenn nämlich die befürchtete Geldwäsche unterbleibt,<br />
weil der Anwalt darauf hinwirken konnte;<br />
b) oder wenn der Anwalt des Mandat niederlegt, bevor<br />
seine Hinzuziehung die vermutete Geldwäsche förderte.<br />
6. Von elementarer Tragweite erscheint es, dass dem<br />
nationalen Gesetzgeber freigestellt bleibt, die öffentlichrechtlichen<br />
Rechtsanwaltskammern als alleinige Adressaten<br />
der Anzeige zu bestimmen. Eine andere Regelung wäre aus<br />
deutscher Sicht ein massiver Grundrechtsverstoß. Der von<br />
der Richtlinie überlassene Spielraum muss grosszügig sein,<br />
weil nur der nationale Gesetzgeber zwischen den Besonderheiten<br />
der unterschiedlichen beratenden Berufe in notwendiger<br />
Weise differenzieren kann. Vor diesem Hintergrund<br />
sollte es den Berufskammern obliegen, durch die erforderlichen<br />
Abklärungen dazu beizutragen, dass die Dienstleistungen<br />
der Rechtsanwälte nicht zum Zwecke der Geldwäsche<br />
missbraucht werden können. Bei Verletzung der<br />
Berufspflichten kämen berufsrechtliche Massnahmen in Betracht.<br />
Eine Verpflichtung der Kammern, die staatlichen Behörden<br />
über die eingehenden Informationen zu unterrichten,<br />
ist auszuschliessen. Nur eine solche Regelung könnte<br />
mit der Verfassung in Einklang stehen und würde dazu beitragen,<br />
dass Rechtsanwälte sich in Zweifelsfällen an die<br />
Kammer wenden. Nur eine solche Regelung dient erfolgreicher<br />
Prävention.<br />
III. Ich bin lange in der Berufsgerichtsbarkeit der Anwaltschaft<br />
tätig. Dabei ist mir bislang kein einziger Fall<br />
eines Anwalts bekanntgeworden, dem die Mitwirkung an<br />
einer Geldwäsche vorgeworfen wird. Aus anderen Quellen<br />
habe ich vage von einer Handvoll einschlägiger Fälle gehört,<br />
bei denen es typischerweise um Verteidiger geht,<br />
deren Honorar aus bemakelten Mitteln stammen soll.<br />
Dies wirft die Frage auf, ob es überhaupt hinreichenden<br />
Anlass für eine allgemeine Anordnung einschlägiger Mitteilungen<br />
geben kann, die ein eklatanter Bruch der beruflichen
AnwBl 1/2000 51<br />
Mitteilungen l<br />
Verschwiegenheit wären. Auf der Grundlage einer Richtlinie,<br />
die Mitteilungen an die Behörden verlangt oder zulässt,<br />
würde der Anwaltsstand als Spion der Polizei betrachtet.<br />
Dann wäre die Gelegenheit, den Mandanten im vertraulichen<br />
Gespräch zu beeinflussen und zum Recht anzuhalten,<br />
verloren.<br />
Dieses Parlament muss eine Abwägung versuchen – zwischen<br />
der geringen Chance, die Verfolgung von Geldwäsche<br />
durch eine behördliche Heranziehung der Anwälte zu verbessern,<br />
und dem grossen Schaden, der einem Berufsstand<br />
droht, dessen Nutzen für die Gesellschaft davon abhängt,<br />
dass die berufliche Verschwiegenheit erhalten bleibt. Stellen<br />
Sie sich die öffentliche Wirkung vor, falls ein Rechtsanwalt,<br />
der eine ihm auferlegte Anzeigepflicht erfüllt hat, als Belastungszeuge<br />
gegen den eigenen Mandanten vor Gericht auftreten<br />
muss. Eine Mitteilungspflicht könnte in dem betroffenen<br />
Bereich die Berufsverschwiegenheit und damit das<br />
Zeugnisverweigerungsrecht aufheben – Rechtsanwälte wären<br />
an der Seite der Strafverfolgung angelangt.<br />
Ein solches Szenario wäre für den Berufsstand und die<br />
Bürgerrechte eine wahrhaftige Bedrohung – eine Herausforderung,<br />
gegen die sich die Anwaltschaft mit allen Anstrengungen<br />
bei den nationalen und internationalen Gerichten<br />
zur Wehr setzen muss. Die von mir eingangs erwähnten<br />
technischen Punkte dürfen daher nur als verzweifelter Versuch<br />
verstanden werden, das möglicherweise drohende<br />
Übel zu begrenzen, in keinem Fall aber als Zustimmung zu<br />
einer Lösung, die mit diesem Beruf unvereinbar ist. Die<br />
deutsche Anwaltschaft hält sich in ihren Gremien, über deren<br />
Einschätzung ich unterrichtet bin, für verantwortlich,<br />
den Berufsstand zu schützen und damit zugleich die Fähigkeit<br />
des Berufsstands zu bewahren, dem Recht zu dienen.<br />
Mitgeteilt vom Deutschen Anwaltverein<br />
Haftpflichtfragen<br />
Rechtsanwältin Antje Jungk<br />
Allianz Versicherungs-AG München<br />
Anwalt 2000<br />
Das Schlagwort „2000“ stand viele Jahre für Fortschrittlichkeit,<br />
hohen technischen Standard und überhaupt für das<br />
„bessere Konzept“. Nun ist das Jahr 2000 erreicht, und tatsächlich<br />
ist auch im Leben der Rechtsanwälte ein veränderter<br />
Standard zu erkennen. Über die Änderungen des Berufsbildes<br />
ist schon viel geäußert, auch geklagt worden – daß<br />
sich die Tätigkeit in vielerlei Hinsicht in der jüngeren Vergangenheit<br />
stark verändert hat und weiter verändern wird,<br />
steht jedoch fest. Auch haftungsrechtlich sind die Entwicklungen<br />
nicht ohne Konsequenzen geblieben.<br />
1. Sozietätshaftung<br />
Das seit langem anerkannte Prinzip der gesamtschuldnerischen<br />
Haftung aller in einer Sozietät zusammengeschlossenen<br />
Rechtsanwälte gilt auch heute noch unverändert. Gerade<br />
unlängst (mit Urt. v. 8.7.99, NJW 99, 3040) hat der<br />
BGH dies wieder deutlich gemacht und insbesondere die<br />
Voraussetzungen der Haftung von „Scheinsozien“, also auf<br />
dem Briefkopf erscheinender, aber nicht gesellschaftsrechtlich<br />
verbundener Rechtsanwälte erörtert, nach denen die Sozietätsvermutung<br />
nur sehr schwer widerlegbar ist.<br />
Haftungsrechtliche Auswirkungen haben die neuen Formen<br />
der Sozietät: War noch vor wenigen Jahren eine<br />
Rechtsanwaltssozietät immer als Gesellschaft bürgerlichen<br />
Rechts ausgestaltet, so sind nun die Partnerschaftsgesellschaft<br />
und die GmbH anerkannt. Bei der Partnerschaft ergeben<br />
sich haftungsrechtlich an sich kaum Besonderheiten, da<br />
grundsätzlich ebenfalls eine gesamtschuldnerische Haftung<br />
vorgesehen ist (§ 8 Abs. 1 PartGG). Zu beachten ist hier<br />
derzeit aber noch das Problem der Postulationsfähigkeit:<br />
Vor dem BFH (z. B. BRAK-Mitt. 99, 152) wurde der Partnerschaft<br />
die Prozeßführungsbefugnis abgesprochen. Wie<br />
dies vor den Zivilgerichten ist, ist derzeit noch offen; eine<br />
ausdrückliche Bestimmung im Gesetz wird aber angestrebt.<br />
Bis eine ausdrückliche Regelung erfolgt ist, sollte aber aus<br />
Sicherheitsgründen immer (auch) ein zugelassener Rechtsanwalt<br />
im eigenen Namen handeln.<br />
Durch Einfügung der §§ 59 c ff. in die BRAO ist nun<br />
nach heftiger Diskussion die Rechtsanwalts-GmbH als zulässige<br />
Rechtsform anerkannt worden. Hier kann tatsächlich<br />
die persönliche Haftung der einzelnen Gesellschafter<br />
ausgeschlossen werden. Eine persönliche Haftung kommt<br />
nur für die Verantwortlichen wegen Nichteinhaltung der<br />
Pflicht zum Abschluß einer – sehr weitgehenden – Haftpflichtversicherung<br />
(§ 59 j Abs. 4 BRAO) in Betracht. Falls<br />
die Versicherung jedoch – z. B. wegen einer wissentlichen<br />
Pflichtverletzung des handelnden Sozius – keine Leistungen<br />
erbringt, entfällt die persönliche Haftung gleichwohl<br />
(vgl. z. B. Feuerich/Braun, BRAO § 59 Rdz. 6). Es verbleibt<br />
allenfalls eine deliktische Haftung des handelnden<br />
Rechtsanwaltes.<br />
Neu ist schließlich auch die Sozietät in Form einer<br />
„GbR mbH“. In einem aktuellen Urteil vom 27.9.99 (NJW<br />
99, 3483) macht der BGH in Abkehr von der bisherigen<br />
Rechtsprechung deutlich, daß eine Haftungsbegrenzung nur<br />
durch eine Individualvereinbarung erreicht werden kann.<br />
Eine einseitige Erklärung reicht auch bei Erkennbarkeit der<br />
eingeschränkten Vertretungsbefugnis nicht aus.<br />
2. Erweiterte Postulationsfähigkeit<br />
Neu ist seit 1.1.2000 die Postulationsfähigkeit aller in<br />
Deutschland zugelassenen Rechtsanwälte bei allen Landgerichten<br />
(zumindest in „ihrer“ Hälfte Deutschlands – diese<br />
Problematik war bei Verfassen des Beitrags noch nicht ausgestanden,<br />
vgl. dazu z.B. die Beiträge in BRAK-Mitt. 99,<br />
199 ff). Bis Klarheit herrscht, ist daher jeder Rechtsanwalt<br />
gehalten, auf „Nummer sicher“ zu gehen und sich auf die<br />
Prozeßführung in der einen Hälfte Deutschlands zu beschränken.<br />
Die neue Freiheit birgt allerdings auch neue Haftungsrisiken,<br />
die sich daraus ergeben, daß man als ortsfremder<br />
Anwalt die Gepflogenheiten des jeweiligen Gerichts nicht<br />
kennt. Die Möglichkeiten der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“<br />
zwischen Gerichten und Anwaltschaft, einer der<br />
Rechtfertigungen für die einschränkende Wirkung des<br />
Lokalisationsprinzips, darf man nicht unterschätzen. Sie ist<br />
gerade zur Korrektur bereits gemachter Fehler sehr wichtig:<br />
Ein Richter wird beispielsweise eher geneigt sein, einen<br />
ihm aus zahlreichen Prozessen bekannten ortsansässigen<br />
Anwalt kurz anzurufen, um ihn auf noch korrigierbare<br />
Unstimmigkeiten hinzuweisen. Aber auch die Kenntnis der<br />
„örtlichen“ Rechtsprechung zu bestimmten Rechtsproblemen<br />
kann aus haftungsrechtlicher Sicht von entscheidender<br />
Bedeutung sein: Jedenfalls das Kammergericht hatte (MDR<br />
1993, 179) die Ansicht geäußert, der Anwalt hätte sich zu-
52<br />
l<br />
vor über die Rechtsprechung des LG Berlin in Mietsachen<br />
konkret informieren und seine Prozeßführung daran ausrichten<br />
müssen.<br />
3. Globalisierung und Spezialisierung<br />
Die Erwartungshaltung der Mandanten hat sich sicher<br />
auch in bezug auf das Fachwissen des beauftragten Anwalts<br />
geändert. Mandate kommen zu immer neuen Rechsgebieten,<br />
die sich aber jeweils auch rasant weiterentwickeln.<br />
Gefragt und im Vormarsch sind demzufolge die Großkanzleien,<br />
die die volle Bandbreite des Rechts bieten können<br />
und gleichzeitig für fast jedes Gebiet auch über Spezialisten<br />
verfügen. Der von einer solchen Kanzlei angebotene Service<br />
ist naturgemäß für viele Mandanten, gerade im wirtschaftsrechtlichen<br />
Bereich, attraktiver. Diese Entwicklung<br />
kann bedenklich sein im Hinblick auf den von der Rechtsprechung<br />
angelegten Sorgfaltsmaßstab des „durchschnittlichen“<br />
Rechtsanwalts. Eine kaum spezialisierte Allgemeinkanzlei<br />
kann den Standard von Großkanzleien naturgemäß<br />
nicht erreichen. Sollte die Rechtsprechung die Anforderungen<br />
z. B. bei der Rechtsprüfung, entsprechend höher<br />
schrauben, so besteht die Gefahr, daß viele Anwälte ihnen<br />
nicht mehr gerecht werden können.<br />
Ein großer Schritt ist getan worden in bezug auf die<br />
„Globalisierung“: Gerade wirtschaftsrechtlich ausgerichtete<br />
Rechtsanwälte können sich nicht mehr auf die Beratung zum<br />
deutschen Recht zurückziehen, sondern sind wegen der<br />
grenzüberschreitenden Tätigkeit ihres Mandanten gefordert,<br />
auch ausländisches, europäisches und internationales Recht<br />
anzuwenden. Der Anwalt muß also insbesondere sämtliche<br />
internationalen Abkommen kennen, die für den Fall einschlägig<br />
sind (OLG Koblenz, NJW 89, 2699) und richtig anwenden,<br />
was durchaus seine Tücken hat, da die Rechtsbegriffe<br />
dort vielfach eine andere Bedeutung haben können als im<br />
deutschen Recht. Ist kein internationales Abkommen einschlägig,<br />
muß der Rechtsanwalt die internationalprivatrechtliche<br />
Prüfung durchführen. Findet danach ausländisches<br />
Recht Anwendung, muß der Rechtsanwalt entscheiden, ob<br />
er sich selbst damit befaßt, oder einen ausländischen Kollegen<br />
beauftragt. Da den Rechtsanwälten bei Anwendung ausländischen<br />
Rechts dieselben Pflichten obliegen wie im deutschen,<br />
sollte sich jeder Anwalt an diesem Punkt ernsthaft<br />
fragen, ob er dazu wirklich in der Lage ist. In jedem Fall<br />
sollte geprüft werden, ob der Versicherungsschutz ausreicht.<br />
4. Anwalt und Technik<br />
Zum Thema „2000“ gehört schließlich auch und insbesondere<br />
der Einfluß der technischen Fortentwicklung auf<br />
die Arbeit der Rechtsanwälte. Ein Anwaltsbüro ohne PC<br />
und Fax ist heutzutage kaum noch denkbar, die Vorteile<br />
sind unbestreitbar. Aus haftungsrechtlicher Sicht sind die<br />
sich aus der Verwendung solcher Hilfsmittel ergebenden<br />
Pflichten zu beachten, die sich im einzelnen aus der bereits<br />
ergangenen Rechtsprechung, insbesondere zur Wiedereinsetzung,<br />
ergeben.<br />
Grundsätzlich ist inzwischen anerkannt, daß fristwahrende<br />
Schriftsätze per Fax an das Gericht übermittelt werden können<br />
(BGH NJW 1997, 250). Dem Anwalt werden dabei allerdings<br />
erhebliche Sorgfaltspflichten in bezug auf die tatsächliche<br />
Übermittlung auferlegt, z. B. Kontrolle der zutreffenden<br />
Faxnummer (BGH NJW 99, 583), der übermittelten Seitenzahl,<br />
eigenes Einschreiten bei Übermittlungsproblemen<br />
(BGH NJW-RR 98, 1361; vgl. ausführlich Laghzaoui/Wirges,<br />
AnwBl 99, 253). Die durch Faxübertragung „kopierte“<br />
Unterschrift reicht hier aus, anders als bei der Einhaltung des<br />
Schriftformerfordernisses bei Willenserklärungen und Verträgen:<br />
Dort ist nach bisheriger Auffassung (z. B. BGH NJW<br />
97, 3169) nur die „echte“ Unterschrift wirksam.<br />
Die neueste Entwicklung hat die Rechtsprechung hingegen<br />
noch nicht mitvollzogen: den Einsatz von Computerfax<br />
und Übermittlung per Internet. Die Rechtsprechung hat<br />
hier bislang noch Probleme mit der eingescannten Unterschrift<br />
(s. dazu Borgmann, AnwBl 99, 50). Über den Vorlagebeschluß<br />
des BGH vom 29.9.98 war bei Verfassen dieses<br />
Beitrages noch nicht entschieden. Die Rechtsprechung wird<br />
sich indes den neuen Möglichkeiten nicht verschließen können.<br />
War mit der Anerkennung der Faxunterschrift erst einmal<br />
eine „kopierte“ Unterschrift gültig, so ist nicht erkennbar,<br />
warum eine eingescannte Unterschrift anders zu bewerten<br />
wäre. Wie wären demgegenüber beispielsweise mit Hilfe<br />
eines Grafikprogrammes unterzeichnete Computerschriftsätze<br />
zu bewerten? Die technische Entwicklung<br />
hat die Rechtsprechung offenbar bereits überholt. Sofern,<br />
was zu erwarten ist, durch eine europäische Richtlinie oder<br />
auch durch eine deutsche Gesetzesänderung die Wahrung<br />
der Schriftform durch Computerschriftsätze anerkannt wird,<br />
wird sich die weitere Diskussion erübrigen. Die durch die<br />
Benutzung des Internet sich ergebenden Probleme mit der<br />
Vertraulichkeit des Schriftstücks (§ 43 a BRAO bzw. § 203<br />
Abs. 1 Nr. 3 StGB) werden hierdurch allerdings nicht gelöst.<br />
Buchhinweis<br />
AnwBl 1/2000<br />
Mitteilungen<br />
Wilhelm E. Feuerich, Anton Braun: Bundesrechtsanwaltsordnung,<br />
Recht für Anwälte auf dem Gebiet der Europäischen Union,<br />
Kommentar; 4. Auflage 1999; Verlag Franz Vahlen GmbH<br />
München;1447 Seiten, 238,– DM<br />
Das bestens eingeführte und seit langem bewährte große Werk bedarf<br />
zum Zwecke seiner Verbreitung keiner erläuternden Worte.<br />
Seine Wertschätzung ist mit Recht allenthalben unbestritten. Mit<br />
Genugtuung und Freude ist hier nur zu vermerken, daß erstmals die<br />
jüngere Entwicklung des Berufsrechts in gewohnt ausgreifender,<br />
dichter und erschöpfender Kommentierung und Versammlung der<br />
Rechtsquellen dargeboten wird. Das gilt eben z.B. für die Berufsordnung<br />
und die Fachanwaltsordnung, erfaßt in geglückter Verknüpfung<br />
mit den Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsordnung,<br />
zu deren Konkretisierung sie aufrufen; für die genaue Nachzeichnung<br />
der Arbeit der Satzungsversammlung; für die Novellierung<br />
des Jahres 1998, welche die Errichtung der Rechtsanwalts-GmbH<br />
und die Neuerungen des Zulassungsverfahrens brachte. Schon dokumentiert<br />
ist die EU-Niederlassungsrichtlinie vom 16. Februar<br />
1998, deren Bedeutung für die künftige Berufsausübung kaum<br />
überschätzt werden kann. Jahrzehntelanger Vorbereitungen hat die<br />
Richtlinie bedurft. Die Bundesregierung hebt soeben zu einer hoffentlich<br />
nicht (wie früher) zu engherzigen Umsetzung in das nationale<br />
Recht an. Wohltuend und zeitsparend ist die Sammlung und<br />
Bündelung der Entwicklungslinien des anwaltlichen Werberechts<br />
sowie der modernen Instrumentarien anwaltlichen Wirkens. Unzählige,<br />
weiterführende, klärende, aber oft auch kuriose Fälle des Lebens<br />
aus Rechtsprechung und Literatur galt es in Reih’ und Glied<br />
zu bringen. Es bleibt so, wie es war: Wer sich mit anwaltlichem<br />
Berufsrecht befassen muß, nebenbei: das muß anders als früher<br />
heute jeder Anwalt und jede Anwältin, dem bleibt nichts anderes<br />
übrig, als mit Lust und Freude auch, und in vielen Fällen vornehmlich<br />
zum „Feuerich/Braun“ nicht nur zu greifen, sondern auch darin<br />
zu lesen.<br />
Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Köln
AnwBl 1/2000 53<br />
7<br />
Berufsrecht<br />
FAO § 3; RAFachBezG § 7Abs. 2<br />
Eine dreijährige ununterbrochene Zulassung und Tätigkeit als<br />
Rechtsanwalt ist als Voraussetzung für die Verleihung der Bezeichnung<br />
„Fachanwalt für Verwaltungsrecht“ auch dann maßgeblich,<br />
wenn der Antragsteller über 30 Jahre alsVerwaltungsbeamter,<br />
davon 25 Jahre als städtischer Beigeordneter und<br />
Rechtsdezernent tätig war, aber erst zehn Wochen als Rechtsanwalt<br />
zugelassen ist. (LS der Red.)<br />
AnwGH NRW, Beschl. v. 2.10.1998 – 1 ZU 41/98 AGH Hamm<br />
Aus den Gründen: Der Antragsteller hat unter dem 2.4.1997<br />
bei der Antragsgegnerin beantragt, die Führung der Bezeichnung<br />
„Fachanwalt für Verwaltungsrecht“ zu gestatten.<br />
Der Antragsteller war zu diesem Zeitpunkt erst zehn Wochen<br />
als Rechtsanwalt zugelassen. Der Antragsteller, der 1931 geboren<br />
ist, war in den Jahren von 1962 bis 1996 als Verwaltungsbeamter,<br />
davon in der Zeit von 1971 bis zu seiner Pensionierung im Jahre<br />
1996 als Beigeordneter tätig, und zwar in dieser Eigenschaft auch<br />
als Rechtsdezernent.<br />
Der Antragsteller weist darauf hin, daß er auf allen Gebieten<br />
des Verwaltungsrechtes in dieser Stellung tätig war und darüber<br />
hinaus auch in erheblichem Umfange Aufsätze und Urteilsanmerkungen<br />
geschrieben hat.<br />
Die Antragsgegnerin ist auf diese Frage offensichtlich nicht<br />
weiter eingegangen, obwohl der Antragsteller weder die Vorlage<br />
der erforderlichen Fälle, noch die Vorlage der Kursbescheinigung<br />
veranlaßt hatte. Offensichtlich ist die Antragsgegnerin der Auffassung,<br />
daß grundsätzlich die erforderlichen praktischen und theoretischen<br />
Kenntnisse für die Führung des Fachanwaltstitels bei dem<br />
Antragsteller vorliegen. Die Antragsgegnerin hat jedoch, worauf<br />
sie von vornherein hingewiesen hat, mit Bescheid v. 30.6.1998 den<br />
Antrag zurückgewiesen, da der Antragsteller die erforderliche Voraussetzung<br />
der ununterbrochenen dreijährigen Zulassung und Tätigkeit<br />
als Rechtsanwalt vor Antragserteilung nicht darlegen und<br />
nachweisen kann, da er zum Zeitpunkt der Antragstellung erst<br />
zehn Wochen Anwalt war und auch zum Zeitpunkt des Ausspruchs<br />
der ablehnenden Entscheidung erst knapp 18 Monate.<br />
Nach Auffassung der Antragsgegnerin sind Ausnahmen vom<br />
Erfordernis der dreijährigen ununterbrochenen Zulassung und Tätigkeit<br />
als Rechtsanwalt vor Antragstellung nicht vorgesehen und<br />
daher auch nicht zulässig. Die Entscheidung ist dem Antragsteller<br />
am 2.7.1998 zugestellt worden. Mit Schriftsatz v. 7. 7.1998, eingegangen<br />
beim Anwaltsgerichtshof am 9.7.1998, hat der Antragsteller<br />
gerichtliche Entscheidung beantragt.<br />
Der Antrag ist form- und fristgerecht angebracht, er ist jedoch<br />
nicht begründet. Mit Recht hat die Antragsgegnerin unter Hinweis<br />
auf § 3 FAO den Antrag auf Gestaltung der Fachbezeichnung zurückgewiesen.<br />
Diese Entscheidung hat nichts mit der Frage der<br />
praktischen oder theoretischen Kenntnisse, die nachgewiesen werden<br />
müssen, zu tun. § 3 FAO bestimmt vielmehr, daß eine dreijährige<br />
ununterbrochene Zulassung und Tätigkeit als Rechtsanwalt<br />
Voraussetzung für die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung ist.<br />
Von dieser Vorschrift gibt es ersichtlich keine Ausnahmen. Die<br />
Satzungsversammlung hat die Bestimmung anders formuliert, als<br />
die alte Regelung des § 7 Abs. II des RAFachBezG, wonach der<br />
Bewerber in der Regel mindestens zwei Jahre als Rechtsanwalt<br />
tätig gewesen sein muß. Während die Formulierung des RAFach-<br />
BezG eine Zeit von nur zwei Jahren und auch eine Ausnahme<br />
durch die Formulierung „in der Regel“ zuließ, ist § 3 der Fachanwaltsordnung<br />
insoweit eindeutig.<br />
Im Gegensatz zur Auffassung des Antragstellers beziehen sich<br />
die Ausführungen bei Hartung Holl, § 3, Rdnr. 11 u. 12 auch nur<br />
l<br />
auf die Fragen der Unterbrechung der vorherigen anwaltlichen Tätigkeit,<br />
nicht aber auf den Grundsatz.<br />
Die vorliegende Problematik, daß höhere Verwaltungsbeamte,<br />
Justitiare und sonstige auf den Sonderrechtsgebieten besonders tätige<br />
Personen, die in Ruhestand gehen oder den Beruf wechseln, auf<br />
ihrem Hauptgebiet Fachanwalt werden wollen, ist allen Beteiligten<br />
aus der Rechtsprechung der Vergangenheit bekannt gewesen. Wenn<br />
der Satzungsgesetzgeber in diesem Falle so eindeutig formuliert,<br />
hat diese Fristbestimmung auch ihren Sinn. Die Anwaltstätigkeit<br />
ist gegenüber allen anderen erhebliche Kenntnisse auf dem Fachgebiet<br />
verlangenden Tätigkeiten eben von der Arbeitsweise und der<br />
Aufgabe völlig anders. Wenn mit Billigung der Rechtsanwaltskammer<br />
daher ein Bewerber die Bezeichnung „Fachanwalt“ erhalten<br />
soll, ist auch eine längere nachgewiesene anwaltliche Tätigkeit erforderlich,<br />
wenn die Fachbezeichnung nicht letztlich in der Bevölkerung<br />
an Wert verlieren soll.<br />
Jedenfalls drückt diese Bestimmung des § 3 FAO ein legitimes<br />
Ziel aus, so daß die Antragsgegnerin mit Recht von dieser Bestimmung<br />
nicht abgewichen ist. Diese Bestimmung ist auch nicht unwirksam,<br />
weil die Fachanwaltsordnung insgesamt wegen Veröffentlichungsfehler<br />
unwirksam sei. Der Senat, der diese Frage<br />
bereits entschieden hat, ist der Auffassung, daß die Fachanwaltsordnung<br />
mit der Berufsordnung wirksam in Kraft getreten ist.<br />
Nach alledem bleibt dem Antrag der Erfolg zu versagen, wobei<br />
offenbleibt, ob und inwieweit die Antragsgegnerin die praktischen<br />
Kenntnisse und theoretischen Kenntnisse zu prüfen gehabt hätten,<br />
wenn die Zurückweisung nicht schon wegen § 3 der Fachanwaltsordnung<br />
notwendig gewesen wäre.<br />
Nach alledem war der Antrag zurückzuweisen.<br />
Die Kostenentscheidung beruht auf § 201 BRAO. Die Festsetzung<br />
des Geschäftswertes (Anm. der Red.: 25 000 DM) beruht auf<br />
der ständigen Rechtsprechung des Senates.<br />
StBerG § 57a; BOStB § 11 Abs. 1; UWG § 1<br />
Die drucktechnische Hervorhebung einer Werbeangabe in der<br />
Zeitungsanzeige einer Steuerberatungsgesellschaft durch eine<br />
6 x 1 cm breitflächige, grüne Unterlegung ist nicht berufs- und<br />
wettbewerbswidrig.<br />
OLG Dresden, Urt. v. 20.4.1999 – 14 U 3257/97<br />
Aus den Gründen: Die Berufung ist begründet. Die angegriffene<br />
Zeitungsanzeige kann nicht als berufswidrige, gegen § 1<br />
UWG verstoßende Werbung untersagt werden.<br />
1. Die berufsrechtliche Zulässigkeit der beanstandeten Werbeanzeige<br />
beurteilt sich nach §§ 57 Abs. 1, 57a StBerG. Nach § 57<br />
Abs. 1 StBerG haben Steuerberater ihren Beruf unter Verzicht auf<br />
berufswidrige Werbung auszuüben. Dieses Werbeverbot wurde mit<br />
Einfügung des § 57a StBerG durch das Sechste Gesetz zur Änderung<br />
des Steuerberatungsgesetzes vom 24.6.1994 (BGBl. I, 1387)<br />
gelockert. Danach ist die Werbung eines Steuerberaters erlaubt, soweit<br />
sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich<br />
unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrages im Einzelfall<br />
gerichtet ist. Ziel der Novellierung war es, die Werbebefugnis<br />
der freien rechts-, wirtschafts- und steuerberatenden Berufe maßvoll<br />
zu erweitern, ohne dabei das Bild der klassischen freien<br />
Berufsausübung in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen (BT-Ds.<br />
12/6753, s. 17). Ein reklamehaftes Anpreisen oder Verwenden von<br />
Werbemethoden, wie sie in der gewerblichen Wirtschaft üblich<br />
sind, sollte jedoch nach wie vor ausgeschlossen bleiben (BGH,<br />
NJW 1998, 1965).<br />
Für die Beurteilung, ob ein Werbeverhalten diese vom Gesetz<br />
gezogenen Grenzen für eine berufswidrige Werbung überschreitet,<br />
ist auch die Auffassung des beteiligten Berufsstandes, die hier in<br />
der Berufsordnung der Bundessteuerberaterkammer v. 2.6.1997<br />
(BOStB) ihren Niederschlag gefunden hat, zu berücksichtigen
54<br />
l<br />
(BGH, WRP 1999, 824, 826 – Steuerberaterwerbung auf Fachmessen).<br />
Zwar hat der Satzungsgeber der BOStB für Zeitungsanzeigen<br />
keine Vorgaben hinsichtlich Form, Farbe und/oder Größe sowie<br />
sonstiger Gestaltungsmittel gemacht. In Bezug auf die Aufmachung<br />
eines Inserats bestimmt § 11 Abs. 1 BOStB jedoch ähnlich<br />
wie früher Nr. 34 Abs. 4 der Standesrichtlinien, daß Anzeigen<br />
keine übertriebene, auffällige oder in sonstiger Weise reklamehafte<br />
Form haben dürfen.<br />
2. Auf dieser Grundlage ergibt sich, daß die angegriffene Werbeanzeige<br />
nach ihrer Form und Gestaltung nicht gegen das Sachlichkeitsgebot<br />
des § 57a StBerG verstößt. Ein Unterlassungsanspruch<br />
aus § 1 UWG steht dem Kl deshalb nicht zu.<br />
a) Die Grenze zu einer reklamehaften und damit berufswidrigen<br />
Gestaltung einer Werbeanzeige ist im Einzelfall danach zu bestimmen,<br />
ob die Anzeige nach ihrem Gesamteindruck vom Standpunkt<br />
der angesprochenen Verkehrskreise aus unlauter erscheint (BGH,<br />
WRP 1999, 824, 826 – Steuerberaterwerbung auf Fachmessen).<br />
Von Bedeutung ist insoweit nicht nur die Formulierung und Abfassung<br />
des Textes, sondern auch die Verwendung einer bestimmten<br />
Schrifttype, die grafische und farbliche Gestaltung und die Größe<br />
und Raumaufteilung der Werbefläche. All dies sind zulässige Mittel<br />
zum Ausdruck des eigenen Selbstverständnisses und der Identität<br />
des Werbenden (vgl. BVerfG, MDR 1997, 984, 985; OLG Dresden,<br />
WRP 1998, 317, 322 – Zeitungsanzeige). Ihre übertriebene<br />
Verwendung gehört zwar zu den vom Gesetzgeber für die Angehörigen<br />
der steuerberatenden Berufe mißbilligten Werbemethoden der<br />
gewerblichen Wirtschaft. So liegt der Fall hier jedoch nicht.<br />
b) Ohne Erfolg beanstandet der Kl, daß die Bekl die Angabe<br />
„Lohnsteuerberatung“ durch eine farbliche Unterlegung drucktechnisch<br />
hervorgehoben hat.<br />
Mit der Neuregelung des § 57a StBerG hat der Gesetzgeber beabsichtigt,<br />
eine Ausuferung der Werbemethoden im Sinne einer unsachlichen,<br />
über eine berufsbezogene Information hinausgehenden<br />
Beeinflussung zu verhindern, die mit dem klassischen Berufsbild der<br />
freien steuerberatenden Berufe nicht mehr vereinbar wäre (vgl. BT-<br />
DS. 12/6753). Zugleich sollten die Wettbewerbschancen der steuerberatenden<br />
Berufe – auch im internationalen Vergleich – verbessert<br />
und eine sachbezogene, dienstleistungsorientierte Unterrichtung der<br />
Bevölkerung über das vorhandene Angebot gewährleistet werden<br />
(aaO). Gemessen an diesem Gesetzeszweck verbieten §§ 57a<br />
StBerG, 11 Abs. 1 BOStB nicht jegliche Verwendung von werbewirksamen<br />
Ausdrucksformen. Eine zulässige Selbstdarstellung umfaßt<br />
auch den maßvollen Einsatz von Gestaltungsmitteln, die zu einer<br />
erkennbaren Abgrenzung des eigenen Angebots von denjenigen<br />
der Mitbewerber führt. Mit einer begrenzten farblichen und grafischen<br />
Gestaltung ist eine berufswidrige Reklamehaftigkeit nicht notwendig<br />
verbunden. Eine von individuellen Gestaltungsmerkmalen<br />
freie Darstellung zu fordern, widerspräche der vom Gesetzgeber beabsichtigten<br />
– maßvollen – Erweiterung der Wettbewerbschancen<br />
der Berufskammer-Angehörigen. Denn eine werbende Aussage über<br />
die eigenen Leistungen liefe Gefahr, ihren Zweck zu verfehlen,<br />
wenn die dabei zulässigen Ausdrucksformen derart reduziert wären,<br />
daß dem Verkehr im Wesentlichen gleichgestaltete Zeitungsanzeigen<br />
gegenüberträten. Dies würde es erschweren, Angeboten durch Beilegung<br />
eines individuellen Charakters Werbekraft zu verleihen, sie<br />
wiederzuerkennen und zu vergleichen.<br />
Zu der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschätzten Freiheit der Berufsausübung<br />
gehört auch die berufliche Außendarstellung einschließlich<br />
der Werbung für die Inanspruchnahme der angebotenen<br />
Dienste (vgl. BVerfGE 85, 248, 256). Die Schwere eines Eingriffs<br />
in diesen grundrechtlichen Schutzbereich ist bei der Annahme einer<br />
der Form nach unzulässigen – nämlich eindeutig reklamehaften<br />
und damit unsachlichen – Werbung zu berücksichtigen. Ihrer Form<br />
nach unsachlich ist die Werbung eines Angehörigen der steuerberatenden<br />
Berufe – vergleichbar der anwaltlichen Werbung nach<br />
§ 43b BRAO (vgl. BGH, NJW-RR 1998, 1282) – im Falle eines<br />
marktschreierischen Werbungsstils, der jedoch bei einer zweifarbigen<br />
Gestaltung wie hier nicht zum Tragen kommt.<br />
Die angegriffene Anzeige weist neben dem grünen Logo mit<br />
der klarstellenden Firmenbezeichnung der Bekl lediglich eine<br />
grüne Linie am Kopfende der Werbeanzeige und die vom Kl vorrangig<br />
beanstandete grüne Unterlegung der Angabe „Lohnsteuerbe-<br />
AnwBl 1/2000<br />
Rechtsprechung<br />
ratung“ auf. Diese zurückhaltende farbliche Unterlegung dient nur<br />
dazu, das Angebot einer besonderen Dienstleistung zu unterstreichen.<br />
Eine weitergehende Werbewirkung kommt dieser Hervorhebung<br />
nicht zu. Der angesprochene Verkehr entnimmt der grünen<br />
Unterlegung des Schlagsworts „Lohnsteuerberatung“ entgegen der<br />
Auffassung des Kl auch keinen Bezug zur redaktionellen Berichterstattung<br />
auf der gleichen Seite, die mit einer Überschrift in<br />
gleichem Grün versehen ist. Die erforderliche Trennung vom redaktionellen<br />
Teil ergibt sich bereits aus der Einrahmung der Werbeanzeige<br />
und ist auf den ersten Blick erkennbar. Durch die gleiche<br />
Farbgebung wirkt die farbliche Unterlegung darüber hinaus eher<br />
zurückhaltend.<br />
Diese verwendeten Ausdrucksmittel erscheinen nicht derart<br />
übertrieben und aufdringlich, daß ihre Untersagung gerechtfertigt<br />
ist. Das Verbot berufswidriger Werbung dient dem Zweck, eine<br />
Verfälschung des jeweiligen Berufsbildes durch Verwendung kommerzieller<br />
Werbemethoden zu verhindern (vgl. BVerfGE 85, 248,<br />
260) Dies liegt im Interesse einer wirksamen Steuerrechtspflege<br />
als einem wichtigen Gemeinschaftsgut (vgl. BVerfG, NJW-RR<br />
1996, 439, 440). Das Ziel einer geordneten Steuerrechtspflege und<br />
der Erhaltung des mit den Werbemethoden der gewerblichen Wirtschaft<br />
nicht zu vereinbarenden Berufsbildes des Steuerberaters erfordert<br />
und gebietet jedoch keine Einschränkung der Verwendung<br />
solcher Ausdrucksmittel, die zwar mehr als unbedingt nötig, aber<br />
nicht übertrieben oder reklamehaft auf das Dienstleistungsangebot<br />
der Bekl aufmerksam machen.<br />
c) Auch die weiteren Gestaltungsmerkmale der beanstandeten<br />
Werbeanzeige führen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung nicht<br />
dazu, daß die Anzeige als eine mit dem Berufsbild des Steuerberaters<br />
nicht zu vereinbarende Reklame einzuordnen wäre.<br />
Zwar werden durch Groß- und Fettdruck u. a. die Anschrift der<br />
Bekl und deren Sprechzeiten hervorgehoben. Auch das Logo am<br />
rechten Rand der Anzeige weist eine grafische Gestaltung auf. Der<br />
übrige Text ist jedoch kleingedruckt, übersichtlich angeordnet und<br />
nicht auffällig gestaltet. Die mit der Hervorhebung durch die farbliche<br />
Unterlegung, den Groß- und Fettdruck und das Logo verbundene<br />
Werbewirkung geht nicht über das Maß hinaus, welches ein<br />
Steuerberater zur Selbstdarstellung und Information über sein berufliches<br />
Dienstleistungsangebot einsetzen darf. Sie ist weder aufdringlich,<br />
noch erscheint sie dem inzwischen auch an anlaßunabhängige,<br />
zurückhaltende Werbehinweise von Angehörigen der<br />
freien Berufe gewöhnten Betrachter als besonders außergewöhnlich<br />
(vgl. OLG Dresden, WRP 1998, 317, 322 – Zeitungsanzeige).<br />
Die Bekl hat aus der Vielzahl von Werbe- und Ausdrucksformen<br />
nur solche Darstellungsmittel gewählt, die zwar durchaus zur<br />
optischen Hervorhebung geeignet sind, sich aber im Rahmen der<br />
den Betrachtern insgesamt begegnenden Werbehinweise als maßvoll<br />
und zurückhaltend erweisen und nicht als besonders auffällig<br />
angesehen werden können. Eine besondere Art der Gestaltung,<br />
durch die eine über den sachlichen Inhalt des Textes hinausgehende<br />
Werbebotschaft vermittelt wird, weist die Anzeige nicht auf<br />
(vgl. OLG Nürnberg, MDR 1998, 684). Auch eine besonders aufwendige<br />
Gestaltung der Anzeige ist nicht ersichtlich, so daß durch<br />
diese Werbung der Wettbewerb um Mandate nicht mit den Mitteln<br />
des Kapitaleinsatzes für Reklame ausgetragen wird (vgl. OLG<br />
Nürnberg, Urt. v. 17.3.1998 – 3 U 3571/97).<br />
Die von der Bekl gewählte Gestaltungsform steht mit dem Berufsbild<br />
der kammerangehörigen Steuerberater und Steuerbevollmächtigten<br />
in Einklang, zumal die Anzeige selbst mit den Maßen<br />
von 20 cm x 9 cm hinsichtlich ihrer Größe keinen Bedenken unterliegt<br />
(vgl. OLG Dresden, WRP 1998, 317 – Zeitungsanzeige). Die<br />
vorhandenen Freiflächen legen zwar nahe, daß der Text der Anzeige<br />
ohne weiteres auch auf kleinerem Raum hätte untergebracht<br />
werden können. § 11 BOStB erlaubt den Angehörigen der steuerberatenden<br />
Berufe jedoch, auch ohne besonderen Anlaß und ohne<br />
Beschränkung auf die notwendigen Angaben in Anzeigen über ihre<br />
berufliche Tätigkeit sachlich zu unterrichten. Eine Eingrenzung der<br />
beanspruchten Fläche auf den unbedingt benötigten Raum ist deshalb<br />
in Abkehr von den früheren Standesrichtlinien nicht mehr erforderlich.<br />
Mitgeteilt von den Mitgliedern des 14. Zivilsenats des<br />
OLG Dresden
AnwBl 1/2000 55<br />
Rechtsprechung l<br />
ZPO § 233<br />
Ein Rechtsanwalt ist zwar nicht verpflichtet, die Vollständigkeit<br />
der in einem fristwahrenden Schriftsatz angegebenen Anschrift<br />
des Gerichts zu prüfen. Er hat jedoch durch geeignete organisatorische<br />
Maßnahmen sicherzustellen, dass seine Mitarbeiter die<br />
für ein Gericht bestimmten Sendungen vollständig adressieren.<br />
BGH, Urt. v. 15.10.1999 – V ZR 50/99<br />
Aus den Gründen: ... II. Es kann dahingestellt bleiben, ob der<br />
Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtzeitig gestellt<br />
wurde, insbesondere ob der Prozessbevollmächtigte der Kl,<br />
bei der Unterzeichnung des Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist<br />
verpflichtet war, die Einhaltung der Berufungsfrist<br />
zu prüfen (offen gelassen BGH, Beschl. v. 22.1.1997,<br />
XII ZB 195/96, NJW-RR 1997, 759, 760). Einer Entscheidung im<br />
Sinne der Kl steht jedenfalls entgegen, dass auf der Grundlage ihres<br />
Vorbringens nicht auszuschließen ist, dass ihr Prozessbevollmächtigter<br />
schuldhaft eine zurechenbare Ursache für die Verspätung<br />
der Auslieferung der nach ihrer Darstellung am 15.4.1998 zur<br />
Post gegebenen Berufungsschrift gesetzt hat, so dass die Verzögerung<br />
nicht mehr unverschuldet ist (BverfGE 50, 1, 4; BVerfG NJW<br />
1992, 38; BGHZ 105, 116, 118). Denn bei der angegebenen Anschrift<br />
des OLG fehlte die Postleitzahl. Damit musste die Sendung<br />
aus der automatischen Sortierung ausgesondert und dem Ermittlungsdienst<br />
der Post zur Vervollständigung der Anschrift zugeleitet<br />
werden. Die Technik der Postsortierung hat insoweit in den letzten<br />
Jahren einen grundlegenden Wandel erfahren.<br />
Auch wenn die Einschaltung des Ermittlungsdienstes bei Sendungen<br />
innerhalb Düsseldorfs regelmäßig nicht zu einer Verzögerung<br />
der Zustellung um mehr als zwei Tage führen mag, bestand<br />
für ein Vertrauen hierauf zumindest am 15.4.1998 keine hinreichende<br />
Grundlage. Es gibt weder eine allgemeine Aussage der<br />
Post zur Dauer der Arbeit Ihrer Ermittlungsdienste, noch konnte<br />
am 15.4. mit einer Nachbearbeitung der unvollständig adressierten<br />
Sendung gerechnet werden, auf Grund deren die Zustellung bis<br />
zum Ablauf der Berufungsfrist am 20.4., einem Montag, zu erwarten<br />
war. Um eine Zustellung bis zu diesem Tage zu ermöglichen,<br />
musste die Vervollständigung der Anschrift am Donnerstag, dem<br />
16.4., oder Freitag, dem 17.4.1998, erfolgen. Schon das war nicht<br />
gewährleistet. Bei der Woche vom 12. bis 19.4.1998 handelte es<br />
sich überdies um die Woche nach Ostern. Diese Woche wird häufig<br />
für Urlaub genutzt, was erfahrungsgemäß zu Verzögerungen führt.<br />
Der Prozessbevollmächtigte der Kl war bei der Unterzeichnung<br />
der Berufungsschrift zwar nicht verpflichtet, die Vollständigkeit<br />
der in dieser angegebenen Anschrift des OLG zu prüfen (BGH,<br />
Beschl. v. 2.5.1990, XII ZIB 17/90, BGHR ZPO § 233, Büropersonal<br />
3; v. 23.3.1995, VII ZB 19/94, BGHR ZPO § 233, Telekopie 1),<br />
er hatte jedoch durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass<br />
fristwahrende Schriftsätze von den Mitarbeitern seines Büros vollständig<br />
adressiert werden (BGH, Beschl. v. 10.3.1993, VIII ZB<br />
1/93, VersR 1994, 75; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 233<br />
Rdnr. 79). Hierzu hat die Kl nichts vorgebracht. Die Tatsache, dass<br />
auch die Berufungsbegründung vom 24.6.1998 in derselben Weise<br />
wie die Berufungsschrift unvollständig adressiert ist, rechtfertigt<br />
vielmehr die Annahme, dass organisatorische Vorkehrungen fehlen,<br />
die Versäumnissen bei der Adressierung von für das OLG bestimmten<br />
Schriftsätzen zuverlässig entgegen wirken.<br />
Gebührenrecht<br />
BRAGO § 15 Abs. 1<br />
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, daß § 15 Abs. 1<br />
BRAGO dann nicht anzuwenden ist, wenn das Betragsverfahren<br />
nach dem Berufungsverfahren über das Grundurteil weitergeführt<br />
wird (Bestätigung des Beschl.v. 22.10.1993 – 11W 2422/93 –,<br />
Rpfleger 1994, 272 = JurBüro 1994, 543 = OLGR 1994, 95).<br />
OLG München, Beschl. v. 17.9.1998 – 11 W 2282/98<br />
Aus den Gründen: I. Die Parteien streiten über die Frage, ob<br />
bei der Bestätigung eines Grundurteils durch die Rechtsmittel-<br />
instanzen wegen des in der ersten Instanz verbliebenen Betragsverfahrens<br />
§ 15 BRAGO anzuwenden ist mit der Folge, daß die<br />
anwaltlichen Verhandlungs- und Beweisgebühren sowie die Auslagenpauschale<br />
nach § 26 BRAGO erneut anfallen. ...<br />
II. Die form- und fristgerechte Erinnerung der Kl, die nach<br />
Nichtabhilfe und Vorlage an das OLG als zulässige sofortige Beschwerde<br />
zu behandeln ist (§§ 104 Abs. 3 ZPO, 11 Abs. 1 und 2<br />
RPflG), hat keinen Erfolg.<br />
Der Senat bleibt nach Überprüfung bei seiner im Beschl. v.<br />
22.10.1993 niedergelegten Rechtsansicht, daß das an ein Grundurteil<br />
und das hierauf bezogene Berufungsverfahren anschließende<br />
Betragsverfahren nicht als neuer Rechtszug i. S. v. § 15 Abs. 1<br />
BRAGO zu werten ist (Senat, OLGR 1994, 95 = Rpfleger 1994,<br />
272 = JurBüro 1994, 543).<br />
1. Der Rechtsauffassung des Senats steht § 538 Abs. 1 Nr. 3<br />
ZPO nicht entgegen. Bei richtiger Auslegung bedeutet die Vorschrift<br />
nur, daß eine Sache, die auch beim Berufungsgericht anhängig<br />
geworden ist, zurückzuverweisen ist. Bereits die vereinigten<br />
Senate des Reichsgerichts (RGZ 70, 179, 183) haben ausgesprochen,<br />
daß § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO den hier gegebenen Fall nicht<br />
betrifft, weil der Streit über den Betrag von vornherein in der ersten<br />
Instanz anhängig geblieben ist. Die Vorschrift solle insbesondere<br />
den Fall erfassen, daß, wenn bei einem nach Grund und Betrag<br />
streitigen Anspruch die Klage in erster Instanz abgewiesen<br />
worden ist, das Berufungsgericht bei Bejahung des Grundes nicht<br />
nach § 537 ZPO genötigt ist, auch über den Betrag zu entscheiden.<br />
Der BGH hat sich der Meinung des Reichsgerichts angeschlossen<br />
(BGHZ 27, 15, 27).<br />
In diesem Zusammenhang ist das Argument, das Berufungsgericht<br />
könne auch das Betragsverfahren an sich ziehen, wenn es<br />
inzwischen entscheidungsreif oder leicht entscheidungsreif zu<br />
machen sei, unbehelflich. Denn in diesem zulässigen Fall wird die<br />
Sache nach dem Willen des Berufungsgerichts nachträglich auch<br />
bezüglich des Betragsverfahren bei ihm rechtshängig. Dann wird<br />
das vorher in der ersten Instanz anhängig gewesene Verfahren<br />
durch eine Entscheidung des Berufungsgerichts erledigt, so daß<br />
schon deswegen keine weiteren Gebühren in der ersten Instanz anfallen<br />
können.<br />
2. Gegen die Anwendung des § 15 Abs. 1 BRAGO spricht, daß<br />
nach § 304 Abs. 2 Hs. 2 ZPO in erster Instanz über den Betrag<br />
trotz des Rechtsmittelverfahrens über den Grund weiterverhandelt<br />
werden und die Sache durch Endurteil abgeschlossen werden kann<br />
(vgl. RGZ aaO). Theoretisch wäre damit denkbar, daß über den Betrag<br />
in erster Instanz bis zur Entscheidungsreife verhandelt ist und<br />
danach das angefochtene Grundurteil, das den Anspruch zugesprochen<br />
hatte, rechtskräftig wird. Es liegt auf der Hand, daß dieses Ereignis<br />
nicht dazu führen könnte, daß die Prozeßbevollmächtigten<br />
ihre Gebühren nur wegen der inzwischen eingetretenen Rechtskraft<br />
des Berufungsurteils noch einmal verdienen würden.<br />
3. Eine Anwendung des § 15 Abs. 1 BRAGO auf den vorliegenden<br />
Fall aus Billigkeitsüberlegungen ist nicht geboten. Daß für<br />
die Prozeßbevollmächtigten nach Bestätigung des Grundurteils für<br />
die Bearbeitung des in erster Instanz anhängig gebliebenen Betragsverfahrens<br />
im Hinblick auf die Begründung des bestätigenden<br />
Urteils wegen geänderter Verfahrensbasis regelmäßig ein erheblicher<br />
zusätzlicher Arbeitsaufwand entstehen würde, ist eine durch<br />
nichts belegte Behauptung. In vielen Fällen wird das Gegenteil der<br />
Fall sein. Im übrigen ist eine solche Veränderung der Verfahrensbasis<br />
in jedem Prozeß zu jedem Zeitpunkt möglich, weil das<br />
Gericht jederzeit seine Rechtsansicht ändern und entsprechende<br />
aufklärende Hinweise geben kann oder weil eine neue geänderte<br />
höchstrichterliche Rechtsprechung zu beachten ist.<br />
4. Die – wie der Senat nicht verkennt – wohl herrschende<br />
Gegenauffassung übersieht, daß § 15 Abs. 1 BRAGO dem Umstand<br />
Rechnung trägt, daß der Rechtszug und damit der konkrete<br />
Auftrag erledigt ist, soweit die erste Instanz über den Klageanspruch<br />
entschieden hat. Ein neuer Rechtszug durch Zurückverweisung<br />
wird daher insoweit eröffnet, als über Streitgegenstände<br />
nochmals zu entscheiden ist, über die bereits mit Urteil entschieden<br />
war. Nach Bestätigung des Grundurteils ist aber nur das noch anhängige<br />
Verfahren, dessentwegen der Rechtszug eben nicht beendet<br />
war, fortzusetzen.<br />
Mitgeteilt von Richter am OLG Dr. Rönnebeck, München
56<br />
l<br />
BRAGO § 99<br />
Es wird nur in der Regel geboten sein, sich der Einschätzung<br />
des Vorsitzenden bei der Beurteilung der Frage, ob es sich bei einem<br />
Verfahren um ein „besonders schwieriges“ i. S.v. § 99 BRA-<br />
GO gehandelt hat, anzuschließen; ist die Einschätzung des Vorsitzenden<br />
nach Aktenlage nicht nachvollziehbar, kommt ein<br />
Anschluß nicht in Betracht.<br />
OLG Hamm, Beschl. v. 10.12.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 245/98<br />
Aus den Gründen: Dem Antragsteller war gem. § 99 Abs. 1<br />
BRAGO eine Pauschvergütung zu bewilligen, da er in einem „besonders<br />
umfangreichen“ Verfahren tätig geworden ist. Zur Begründung<br />
wird, insbesondere auch wegen der von dem Antragsteller für<br />
den ehemaligen Angeklagten erbrachten Tätigkeiten, zur Vermeidung<br />
von Wiederholungen auf die Stellungnahme des Leiters<br />
des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des OLG Hamm v.<br />
16.11.1998 Bezug genommen. Diese ist dem Antragsteller bekannt.<br />
Der Senat ist allerdings nicht der Auffassung, daß das Verfahren<br />
auch „besonders schwierig“ i. S. v. § 99 Abs. 1 BRAGO war.<br />
Zwar hat der Vorsitzende des Schwurgerichts in seiner Stellungnahme<br />
angegeben, daß das Verfahren besonders Schwierigkeiten in<br />
rechtlicher Hinsicht geboten habe. Dieser Einschätzung hat der<br />
Leiter des Dezernats 10 der hiesigen Verwaltungsabteilung nicht<br />
widersprochen. Er hat sich dabei auf die ständige Rechtsprechung<br />
des Senats bezogen, wonach es wegen der besonderen Sachnähe<br />
des Gerichtsvorsitzenden in der Regel geboten sein wird, sich dieser<br />
Einschätzung anzuschließen (vgl. Senatsbeschluß in 2 (s) Sbd.<br />
5 – 245/98 v. 15.1.1998 in AnwBl 1998, 416 = Anwaltsgebühren-<br />
Spezial 1998, 104 = ZAP EN-Nr. 609/98). Dazu ist folgendes anzumerken:<br />
Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest, weist aber darauf<br />
hin, daß es, wie er auch schon in seinem Beschl. v. 15.1.1998 ausgeführt<br />
hat, nur in der Regel geboten sein wird, sich der Einschätzung<br />
des Vorsitzenden anzuschließen. Ist diese aufgrund der Aktenlage<br />
nicht nachvollziehbar, kommt ein Anschluß nicht in<br />
Betracht. Davon ist vorliegend auszugehen. Die Überprüfung des<br />
Verfahrensstoffs hat für den Senat keine Anhaltspunkte ergeben,<br />
die eine Beurteilung des Verfahrens als „besonders schwierig“ als<br />
angebracht erscheinen ließen. Es handelt sich um ein „normales“<br />
Totschlagsverfahren, in dem der ehemalige Angeklagte von Anfang<br />
an geständig war. Auch die ihm zusätzlich noch vorgeworfenen<br />
Verstöße gegen das WaffenG rechtfertigen eine Beurteilung als<br />
„besonders schwierig“ nicht. Der Gerichtsvorsitzende hat zudem<br />
mit keinem Wort begründet, warum das Verfahren rechtlich besonders<br />
schwierig war. Bei der vom Senat somit vorgenommenen Einordnung<br />
des Verfahrens als „normales“ Schwurgerichtsverfahren<br />
ist, worauf auch noch einmal hinzuweisen und was vom Vertreter<br />
der Staatskasse auch nicht verkannt worden ist, zudem von besonderem<br />
Belang gewesen, daß der Gesetzgeber dem in der Regel höheren<br />
Schwierigkeitsgrad (und größerem Umfang) von<br />
Schwurgerichtssachen bereits durch erheblich höhere gesetzliche<br />
Gebühren gegenüber sonstigen Strafsachen, die vor einer großen<br />
Strafkammer verhandelt werden, Rechnung getragen hat. Ließe<br />
man das unberücksichtigt, wäre jedes vor dem Schwurgericht verhandelte<br />
Verfahren „besonders schwierig“ mit der Folge, daß in allen<br />
Schwurgerichtsverfahren eine Pauschvergütung nach § 99<br />
BRAGO zu gewähren wäre. Das entspricht jedoch nicht dem Sinn<br />
und Zweck der Pauschvergütung.<br />
Nach allem war dem Antragsteller somit nur wegen des „besonderen<br />
Umfangs“ des Verfahrens eine Pauschvergütung nach § 99<br />
Abs. 1 BRAGO zu bewilligen. Bei deren Bemessung hat der Senat<br />
alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Danach erschien eine<br />
Pauschvergütung von 4100 DM, was einer Gebühr von etwa<br />
700 DM unter der Mittelgebühr eines Wahlverteidigers entspricht,<br />
angemessen, aber auch ausreichend. Der Senat hat bei der Bemessung<br />
dieser Pauschvergütung die auch für ein Verfahren vor dem<br />
Schwurgericht schon überdurchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungstermine,<br />
die durchschnittlich sieben Stunden gedauert haben,<br />
wie insbesondere auch die Tätigkeit des Antragstellers im Revisionsverfahren<br />
berücksichtigt. Der Senat hat diese jedoch nur als<br />
durchschnittlich angesehen. Die Frage, ob die Tätigkeit im Revisionsverfahren<br />
schon, wie der Leiter des Dezernats 10 meint, überdurchschnittlich<br />
war, konnte dahinstehen. Denn selbst wenn das der<br />
Fall wäre, wäre unter Berücksichtigung der sonstigen Tätigkeiten<br />
des Antragstellers eine höhere Pauschvergütung nicht zu gewähren<br />
AnwBl 1/2000<br />
Rechtsprechung<br />
gewesen. Das gilt auch, soweit der Antragsteller vorgetragen hat,<br />
er habe den ehemaligen Angeklagten mehrfach in der Justizvollzugsanstalt<br />
besucht. Diesem unsubstantiierten Vortrag läßt sich<br />
nämlich, worauf der Leiter des Dezernats 10 in seiner dem Antragsteller<br />
bekannten Stellungnahme zutreffend hinweist, nicht entnehmen,<br />
wieviel Besuche und wielange unternommen worden sind.<br />
Damit kann der Senat nicht beurteilen, ob der Antragsteller insoweit<br />
mehr an Tätigkeiten für den ehemaligen Angeklagten erbracht<br />
hat, als in Verfahren, in denen der Angeklagte inhaftiert ist, üblich<br />
ist (vgl. dazu Beschl. des Senats v. 15.5.1998 – 2 (s) Sbd. 5-98/98,<br />
in NStZ-RR 1998, 254 = StraFo 1998, 321, 356 = Anwaltsgebühren-Spezial<br />
1998, 140). Nur diese Tätigkeiten können aber bei der<br />
Bemessung der Pauschvergütung erhöhend berücksichtigt werden.<br />
Zu Gunsten des Antragstellers hat der Senat aber die Teilnahme<br />
des Antragstellers an einem Haftprüfungstermin, an dem der Antragsteller<br />
noch neben mehrfachen Besuchen in der Justizvollzugsanstalt<br />
teilgenommen hat, als pauschvergütungserhöhend einbezogen.<br />
Nach allem erschien damit die gewährte Pauschvergütung von<br />
4100 DM ausreichend und angemessen.<br />
Der weitergehende, bei weitem übersetzte Antrag des Antragstellers,<br />
der eine Pauschvergütung etwa in Höhe der Wahlverteidigerhöchstgebühr<br />
beantragt hat, war demgemäß abzulehnen. Eine<br />
Pauschvergütung in dieser Höhe kommt nach ständiger Rechtsprechung<br />
des Senats nur dann in Betracht, wenn der Antragsteller<br />
durch die Tätigkeit im Verfahren über einen längeren Zeitraum<br />
ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch genommen<br />
worden wäre (vgl. u. a. zuletzt Senat in JurBüro 1997, 84). Das ist<br />
hier aber indes nicht der Fall.<br />
Mitgeteilt von Richter am OLG Detlef Burhoff, Ascheberg<br />
BRAGO §§ 99, 97<br />
Der besondere Umfang einer Strafsache mit 1450 Blättern und<br />
besonderer Beanspruchung des Pflichtverteidigers durch Haftprüfungsverfahren<br />
rechtfertigt keine höhere Pauschvergütung<br />
als die Verdoppelung der gesetzlichen Gebühren auf 1200 DM.<br />
(LS der Redaktion)<br />
OLG Nürnberg, Beschl. v. 18.1.1999 – ARs 1256/98<br />
Aus den Gründen: Mit zutreffender Begründung, die der ständigen<br />
Rechtsprechung des Senats entspricht, hat der Bezirksrevisor<br />
bei dem OLG Nürnberg in seiner Stellungnahme vom 5.11.1998<br />
ausgeführt, daß wegen des besonderen Umfanges der Strafsache<br />
mit 1450 Blätter bis zur Einstellung vom 6.11.1997 und der besonderen<br />
Beanspruchung des Pflichtverteidigers durch Haftprüfungsverfahren<br />
eine Verdoppelung der gesetzlichen Gebühren auf 1200<br />
DM angemessen und vertretbar erscheint und im übrigen keine<br />
Kriterien vorliegen, die unter Berücksichtigung der Besonderheiten<br />
des Einzelfalls eine höhere Pauschvergütung rechtfertigen könnten.<br />
Diese Bewertung gibt weder in tatsächlicher noch in rechtlicher<br />
Hinsicht Anlaß zur Beanstandung und wird auch nicht durch die<br />
Gegenäußerung des Pflichtverteidigers, die in akribischer Form<br />
den Schriftwechsel mit dem Verurteilten auflistet, entkräftet.<br />
Insoweit weist der Senat darauf hin, daß die Gebühren des<br />
Pflichtverteidigers in erster Linie nicht nach dem tatsächlich geleisteten<br />
Aufwand, sondern nach dem System der Wert- und Rahmengebühren<br />
berechnet werden. Die Pauschvergütung muß auch nicht<br />
kostendeckend sein; sie soll nur das dem Pflichtverteidiger auferlegte<br />
Opfer mildern.<br />
Insgesamt war eine Pauschvergütung von 1200 DM zu bewilligen<br />
und im übrigen der Antrag zurückzuweisen.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ulrich Bias, Ausbach<br />
BRAGO § 128 Abs. 4, § 31 Abs. 1 Nr. 3; ZPO § 613<br />
Dem Entstehen einer Beweisgebühr auch zur Folgesache elterlicher<br />
Sorge steht nicht entgegen, daß es an einer förmlichen Anordnung<br />
fehlt und das Protokoll auch die Durchführung der Anhörung<br />
nicht eindeutig erweist. (LS der Red.)<br />
KG, Beschl. v. 1.7.1999 – 19 WF 2978/99
AnwBl 1/2000 57<br />
Rechtsprechung l<br />
Aus den Gründen: Die gem. § 128 Abs. 4 BRAGO zulässige<br />
Beschwerde ist begründet.<br />
Der Beschwerdeführer macht mit seiner Beschwerde mit Erfolg<br />
geltend, daß sich die Beweisgebühr gem. §§ 11, 31 Abs. 1 Nr. 3,<br />
123 BRAGO nach einem Gebührenstreitwert von 6.500 DM bestimmt.<br />
In der seit dem 1.7.1998 geltenden Fassung des § 613<br />
Abs. 1 S. 2 ZPO ist bestimmt, daß das Gericht die Ehegatten auch<br />
zur elterlichen Sorge anzuhören hat, wenn gemeinschaftliche Kinder<br />
vorhanden sind. Die persönliche Anhörung gem. § 613 ZPO ist<br />
keine Maßnahme der Beweisaufnahme und ist mit einer solchen<br />
auch nicht vergleichbar. Sie bezweckt vielmehr neben der Aufklärung<br />
des Sachverhaltes auch die Sicherstellung, daß über höchstpersönliche<br />
Angelegenheiten wie hier die Regelung der elterlichen<br />
Sorge nicht entschieden wird, ohne daß sich die Parteien persönlich<br />
geäußert haben. Es ergibt sich weder aus dem Wortlaut des § 613<br />
Abs. 1 S. 2 ZPO noch dem des § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO ein Anhaltspunkt<br />
dafür, daß die Auslösung einer Beweisgebühr auf die<br />
Anhörung der Parteien zum Vorliegen zu den Scheidungsvoraussetzungen<br />
beschränkt sein soll.<br />
Dem Entstehen einer Beweisgebühr auch zur Folgesache elterliche<br />
Sorge steht nicht entgegen, daß es an einer förmlichen Anordnung<br />
fehlt und das Protokoll auch die Durchführung der Anhörung<br />
nicht eindeutig erweist. Die Anhörung nach § 613 ZPO<br />
bedarf um die Beweisgebühr auszulösen, keiner ausdrücklichen<br />
förmlichen Anordnung (siehe KG; JurBüro 1986, 1530 f.; Zöller/<br />
Philippi, ZPO, 21. Aufl., § 613 Rdnr. 10 mit weiteren Nachweisen),<br />
wenngleich eine solche Anordnung zur Vermeidung von Zweifeln<br />
auch zweckmäßig ist. Der Feststellung, daß eine Anhörung auch<br />
zur elterlichen Sorge nach § 613 ZPO stattgefunden hat, steht auch<br />
nicht § 165 ZPO entgegen, wonach die Beachtung der für die<br />
mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur<br />
durch das Protokoll bewiesen werden kann. Der Begriff der Förmlichkeit<br />
ist eng auszulegen. Auch wenn man annähme, daß die Anhörung<br />
einer Partei nach § 613 ZPO wie die Aussagen im Falle einer<br />
Parteivernehmung nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO im Protokoll<br />
festzustellen sei, hätte der Verstoß gegen die Protokollierungspflicht<br />
nicht zur Folge, daß die Durchführung der Anhörung zur elterlichen<br />
Sorge nicht auf andere Weise festgestellt werden könnte.<br />
Denn zu den Förmlichkeiten im Sinne des § 165 ZPO gehören die<br />
Fälle des § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO nicht (siehe Zöller/Stöber, ZPO,<br />
21. Aufl., § 165 Rdnr. 2). Entscheidend ist mithin allein, ob tatsächlich<br />
eine Anhörung nach § 613 ZPO stattgefunden hat. Dies<br />
ergibt sich aber eindeutig aus dem Tatbestand und Entscheidungsgründen<br />
des am 5.10.1995 verkündeten Urteils des AG Tempelhof-<br />
Kreuzberg. Dort ist ausdrücklich erwähnt, daß eine Anhörung der<br />
Mutter zur elterlichen Sorge erfolgt ist.<br />
Dem Beschwerdeführer ist daher antragsgemäß eine Beweisgebühr<br />
in Höhe von 375 DM nebst anteiliger Umsatzsteuer zu erstatten.<br />
Die Landeskasse hat dem Beschwerdeführer den insgesamt<br />
begehrten Betrag von 1.351,40 DM zu erstatten.<br />
Die Nebenentscheidung folgt aus § 128 Abs. 5 BRAGO.<br />
BRAGO § 132 Abs. 3, § 24<br />
Die Erledigungsgebühr nach § 152 Abs. 3 BRAGO fällt schon<br />
dann an, wenn ein von dem Rechtsanwalt eingelegter Widerspruch<br />
zur Erledigung führt; besondere Bemühungen um die<br />
Erledigung sind nicht erforderlich. (LS des Einsenders)<br />
LG Aachen, Beschl. v. 16.9.1998 – 3 T 192/98<br />
Aus den Gründen: Die gem. §§ 133, 128 Abs. 4 BRAGO statthafte<br />
und auch im übrigen zulässige Beschwerde des Bezirksrevisors<br />
hat in der Sache selbst keinen Erfolg.<br />
Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2. steht dem Beteiligten<br />
zu 1. die vom ihm geltend gemachte Erledigungsgebühr<br />
gem. § 132 Abs. 3 BRAGO zu. Nach dieser Vorschrift erhält der<br />
Rechtsanwalt eine gesonderte Gebühr in Höhe von 135,00 DM,<br />
wenn seine nach § 132 Abs. 2 Satz 1 BRAGO vergütete Tätigkeit<br />
zu einer Erledigung der Rechtssache i. S. v. § 24 BRAGO geführt<br />
hat. Diese Voraussetzungen für die Entstehung der Erledigungsgebühr<br />
liegen hier vor. Der Beteiligte zu 1. hat hinreichend schlüssig<br />
dargelegt und glaubhaft gemacht, daß seine Tätigkeit nach § 132<br />
Abs. 1 Satz 1 BRAGO zu einer Erledigung der Sache geführt hat.<br />
Der Beteiligte zu 1. hat durch Vorlage von Urkunden (Bl. 3 ff.<br />
d. A.) hinreichend glaubhaft gemacht, daß er gegen den Bescheid<br />
des Sozialamtes der Stadt Aachen vom betreffend die Sozialhilfeleistungen<br />
für Frau mit Schriftsatz vom 7.7.1997 Widerspruch eingelegt<br />
hat und das dem Widerspruch durch Bescheid des Sozialamtes<br />
vom 17.7.1997 abgeholfen worden ist. Die Erledigung der<br />
Rechtssache ist mit der Abhilfeentscheidung eingetreten. Mit der<br />
Einlegung des Widerspruchs hat der Beteiligte zu 1. eine Tätigkeit<br />
nach § 132 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO ausgeführt.<br />
Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (vgl. etwa<br />
Beschl. v. 30.11.1992 – 3 T 281/92 –; Beschl. v. 8.12.1997 – 3 T<br />
363/97 –) reicht es aus, wenn diese Tätigkeit zu einer Erledigung<br />
der Rechtssache geführt hat. An dieser Rechtsauffassung hält die<br />
Kammer nach erneuter Überprüfung im vorliegenden Verfahren<br />
fest.<br />
Die Frage, ob für den Anfall der Gebühr des § 132 Abs. 3<br />
BRAGO jede Tätigkeit nach § 132 Abs. 2 Satz 1 BRAGO, also<br />
jede der in § 118 BRAGO bezeichneten Tätigkeiten und damit<br />
auch die bloße Einlegung und Begründung eines Widerspruchs im<br />
Verwaltungsverfahren, ausreicht, oder ob neben Einlegung und Begründung<br />
des Widerspruchs ein zusätzliches, auf die außergerichtliche<br />
Erledigung des Rechtsstreits gerichtetes Tätigwerden des<br />
Rechtsanwaltes, ein besonderes Einwirken des Rechtsanwaltes auf<br />
die Verwaltungsbehörde, erforderlich ist, wird in Rechtsprechung<br />
und Literatur unterschiedlich gesehen (vgl. einerseits Klinge, <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
1981, 166, 167; Kalthoener/Büttner, Prozeßkostenhilfe<br />
und Beratungshilfe, Fußnote 32 zu Rdnr. 1000; andererseits LG<br />
Frankfurt, JurBüro 1986, 886; LG Koblenz, JurBüro 1996, 378;<br />
Schoreit/Dehn, Beratungshilfe und Prozeßkostenhilfe, 5. Aufl.,<br />
§ 132 BRAGO Rdnr. 45; Göttlich/Mümmler, Bundesgebührenordnung<br />
für Rechtsanwälte, 19. Aufl., Beratungshilfe Anm. 6.12c).<br />
Der klare Wortlaut des § 132 Abs. 3 BRAGO spricht für die von<br />
der Kammer vertretene Auffassung. Danach muß „die Tätigkeit<br />
des Rechtsanwaltes nach Absatz 2 Satz 1“ zu einem Vergleich oder<br />
einer Erledigung der Rechtssache führen. Da Absatz 2 Satz 1 auf<br />
„die in § 118 BRAGO bezeichneten Tätigkeiten“ verweist, ist jede<br />
der dort bezeichneten Tätigkeiten für den Gebührenanfall ausreichend,<br />
wenn diese nur für die Erledigung der Rechtssache ursächlich<br />
war („führt“). Darüber, daß die Einlegung und Begründung<br />
eines Widerspruchs eine Tätigkeit i. S. v. § 118 BRAGO ist,<br />
herrscht kein Streit. Weitergehende Anforderungen für das Anfallen<br />
der Gebühr ergeben sich auch nicht daraus, daß der Gesetzgeber<br />
in § 132 Abs. 3 BRAGO nach den Worten „Vergleich oder Erledigung<br />
der Rechtssache“ den Klammerzusatz „§§ 23, 24“<br />
aufgenommen hat. Nach richtiger Auffassung werden durch diesen<br />
Klammerzusatz die §§ 23, 24 BRAGO nicht in vollem Umfang für<br />
anwendbar erklärt. Vielmehr wird dadurch lediglich für die Begriffe<br />
„Vergleich“ und „Erledigung“ auf die genannten Vorschriften<br />
verwiesen, nicht jedoch zugleich auf die übrigen Voraussetzungen<br />
für die Erfüllung des Gebührentatbestandes. Diese Voraussetzungen<br />
ergeben sich vielmehr unmittelbar aus § 132 Abs. 3 BRAGO<br />
(so zu Recht auch Schoreit/Dehn, Beratungshilfe und Prozeßkostenhilfe,<br />
5. Aufl., § 132 BRAGO Rdnr. 31; vgl. ferner Kalthoener/<br />
Büttner, Beratungshilfe und Prozeßkostenhilfe, Rdnr. 998; Lindemann/Trenk-Hinterberger,<br />
Beratungshilfegesetz, § 10 Rdnr. 20). Im<br />
Hinblick darauf kann hier auch dahinstehen, welche Tätigkeiten<br />
für einen Anfall der Gebühr nach § 24 BRAGO erforderlich sind<br />
(vgl. dazu BVerwG, JurBüro 1986, 215, welches auf den in § 24<br />
BRAGO, nicht aber in § 132 Abs. 3 BRAGO enthaltenen Begriff<br />
der „Mitwirkung“ abstellt).<br />
Nach dem Inhalt der Akte steht für die Kammer schließlich<br />
außer Frage, daß die Einlegung des Widerspruchs durch den Beteiligten<br />
zu 1. ursächlich für den Abhilfebescheid des Sozialamtes<br />
vom 17.7.1997 war. Ausreichend ist bereits eine Mitursächlichkeit<br />
(vgl. Schoreit/Dehn, Beratungshilfe und Prozeßkostenhilfe, 5. Aufl.,<br />
§ 132 BRAGO Rdnr. 48; Hartmann, Kostengesetze, 27. Aufl.,<br />
§ 132 BRAGO Rdnr. 18). Zumindest diese ist hier gegeben. Zwar<br />
spricht – worauf der Oberbürgermeister der Stadt Aachen in seinem<br />
Schreiben vom 29.1.1998 (Bl. 20 d. A.) hinweist – keine rechtliche<br />
Vermutung für die Ursächlichkeit der Tätigkeit des Rechtsanwalts.<br />
Jedoch ist die Ursächlichkeit tatsächlich zu vermuten, wenn der<br />
Rechtsanwalt – wie hier – mit dem Ziel der Abänderung des Verwaltungsaktes<br />
tätig geworden ist und wenn die Verwaltungsbehörde<br />
daraufhin den Verwaltungsakt aufhebt oder abändert. Im vorliegen-
58<br />
l<br />
den Fall ist durch den Inhalt des vorgelegten Bescheides des<br />
Sozialamtes vom 17.7.1997 die Ursächlichkeit zudem belegt.<br />
Mitgeteilt von Richter am LG Dr. Volker Voormann, Köln<br />
Beratungshilfe<br />
BeratHG § 4 Abs. 1 S. 1; BRAGO § 133 S. 3<br />
Wechselt der Rechtsuchende nach der Inanspruchnahme von<br />
Beratungshilfe seinen Wohnsitz, so ist bei der Bestimmung der<br />
örtlichen Zuständigkeit des AG auf den Wohnsitz des Antragstellers<br />
bei Auftreten des Bedürfnisses der Beratungshilfe abzustellen.<br />
(LS der Redaktion)<br />
OLG Hamm, Beschl. v. 7.12.1998 – 15 Sbd. 32/98<br />
Aus den Gründen: Die Beteiligten zu 1) haben in dem Zeitraum<br />
ab August bis September 1997 die Beratungshilfe der Beteiligten<br />
zu 2) in Anspruch genommen mit dem Ziel, von der Gemeinde H,<br />
ihrem damaligen Wohnsitz, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz<br />
zu erhalten. Die Beteiligten zu 1) sind zeitlich nachfolgend<br />
nach B umgezogen. Sie haben nunmehr bei dem AG B mit<br />
Datum vom 17.9.1998 die nachträgliche Bewilligung von Beratungshilfe<br />
beantragt. Gleichzeitig haben die Beteiligten zu 2) die<br />
Festsetzung einer Vergütung für ihre Tätigkeit gem. § 132 BRAGO<br />
beantragt.<br />
Das AG B, das sich’ für örtlich unzuständig hält, hat die Sache<br />
an das AG D abgegeben. Das AG D hat mit Verfügung vom<br />
16.10.1998 die Übernahme der Sache abgelehnt, weil es das AG B<br />
für örtlich zuständig hält. Die Rpflegerin des AG B hat nunmehr<br />
mit Beschl. v. 29.10.1998 die Sache dem Senat zur Bestimmung<br />
des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt.<br />
Der Senat ist nach den §§ 5 Beratungshilfegesetz, 5 Abs. 1 S. 1<br />
FGG zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts berufen.<br />
Die Sachentscheidungsvoraussetzungen liegen vor, weil zwischen<br />
den beteiligten AG B und D Streit darüber besteht, welches der<br />
beiden Gerichte zur Entscheidung über den Antrag auf nachträgliche<br />
Bewilligung von Beratungshilfe sowie den Vergütungsfestsetzungantrag<br />
örtlich zuständig ist.<br />
In der Sache hat der Senat das AG D als örtlich zuständiges<br />
Gericht bestimmt.<br />
Nach § 4 Abs. 1 S. 1 Beratungshilfegesetz entscheidet über den<br />
Antrag auf Beratungshilfe dasjenige AG, in dessen Bezirk der<br />
Rechtssuchende seinen allgemeinen Gerichtsstand, also seinen<br />
Wohnsitz (§§ 13 ZPO, 7 BGB), hat. Dieselbe Zuständigkeit gilt<br />
nach § 133 S. 3 BRAGO für die Entscheidung über den Vergütungsfestsetzungsantrag<br />
der Beteiligten zu 2). Der Wortlaut der<br />
gesetzlichen Vorschrift des § 4 Abs. 1 S. 1 Beratungshilfegesetz<br />
regelt nicht ausdrücklich, wie zu verfahren ist, wenn der Rechtsuchende<br />
nach der Inanspruchnahme von Beratungshilfe seinen<br />
Wohnsitz gewechselt hat. Der Senat hat bereits durch Beschl. v.<br />
10.1.1995 (Rpfleger 1995, 365) entschieden, daß bei der Bestimmung<br />
der örtlichen Zuständigkeit auf den Wohnsitz des Antragstellers<br />
bei Auftreten des Bedürfnisses der Beratungshilfe abzustellen<br />
ist. Allerdings hat das BayObLG zeitlich später durch Beschl. v.<br />
16.2.1995 (JurBüro 1995, 366 = Rpfleger 1996, 93 L S) den gegenteiligen<br />
Standpunkt eingenommen und die örtliche Zuständigkeit<br />
ausschließlich nach dem Wohnsitz des Antragstellers zum Zeitpunkt<br />
des Eingangs des Antrags bei Gericht abgestellt (ebenso<br />
Schoreit/Dehm, Beratungshilfegesetz, 6. Auflage, § 4 Rdnr. 2; wie<br />
hier Geißinger <strong>Anwaltsblatt</strong> 1996, 609).<br />
Der Senat hält nach erneuter Überprüfung an seiner bisherigen<br />
Rechtsprechung fest. Richtig ist zwar, daß die Zuständigkeitsregelung<br />
in § 4 Abs. 1 S. 1 Beratungshilfegesetz im Gegensatz zu der<br />
Sonderregelung in § 4 Abs. 1 S. 2 Beratungshilfegesetz nicht ausdrücklich<br />
auf den Zeitpunkt abstellt, in dem das Bedürfnis für die<br />
Beratungshilfe auftritt. Der Senat ist indessen weiterhin der<br />
Ansicht, daß die vom Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Neufassung<br />
des § 133 S. 3 BRAGO durch Artikel 7 des Kostenrechtsänderungsgesetz<br />
1994 vom 24.6.1994 (BGBl. I Seite 1325) beabsichtigte<br />
Zuständigkeitskonzentration am Wohnsitzgericht des<br />
Rechtsuchenden dafür spricht, maßgebend auf den Zeitpunkt abzu-<br />
AnwBl 1/2000<br />
Rechtsprechung<br />
stellen, in dem das Bedürfnis für die Beratungshilfe auftritt. Diese<br />
gilt insbesondere unter dem auch vom BayObLG hervorgehobenen<br />
Gesichtspunkt, einem Mißbrauch der Inanspruchnahme von Beratungshilfe<br />
entgegenzutreten. Nach § 7 Beratungshilfegesetz hat der<br />
Rechtsuchende zu versichern, daß ihm in derselben Angelegenheit<br />
Beratungshilfe bisher weder gewährt noch durch „das“ AG versagt<br />
worden ist. Die sachliche Nachprüfung der Richtigkeit dieser Erklärung<br />
wäre erschwert, wenn es der Antragsteller in der Hand<br />
hätte, nach Inanspruchnahme der Beratungshilfe durch einen<br />
Wohnsitzwechsel die örtliche Zuständigkeit eines anderen Amtsgerichts<br />
zu begründen.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwältin Birgit Hanke, Bielefeld<br />
BRAGO § 132; BerHG § 1<br />
Die Bewilligung von Beratungshilfe für die „Beratung wegen<br />
Unterhalt – elterlicher Sorge“ erfaßt auch die Beratung über<br />
die Aussichten eines Antrags auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe,<br />
erstreckt sich jedoch nicht auf die Vertretung im Bewilligungsverfahren.<br />
OLG München, Beschl. v. 17.2.1998 – 11 WF 1093/97<br />
Aus den Gründen: Nach der überwiegenden Auffassung kann<br />
für das Prozeßkostenhilfe-Bewilligungsverfahren grundsätzlich<br />
keine Prozeßkostenhilfe gewährt werden (vgl. BGH JurBüro 1994,<br />
1349 = AnwBl. 1985, 216 = NJW 1984, 2106; Gerold/Schmidt/<br />
Madert, 13. Aufl., Rdnr. 5 vor § 131). Streitig ist, ob für die Einleitung<br />
eines solchen Verfahrens oder für die weitere Vertretung in<br />
diesem Verfahren Beratungshilfe gewährt werden kann. Der BGH<br />
(aaO) hat hierzu ausgeführt, daß die Interessen des Antragstellers<br />
hinreichend dadurch gewahrt sind, daß er sich im Rahmen der Beratungshilfe<br />
über die Aussichten eines Antrags auf Bewilligung<br />
von Prozeßkostenhilfe beraten lassen, diesen jedoch selbst stellen<br />
kann. Demgegenüber wird die Ansicht vertreten, daß dem Antragsteller<br />
Beratungshilfe für die Vertretung im Bewilligungsverfahren<br />
gewährt werden müsse, damit der anwaltliche Vertreter auch dieses<br />
Verfahren steuern könne (vgl. Gerold/Schmidt/Madert, aaO;<br />
Schoreit-Dehn, 5. Aufl., Rdnr. 13; Lindemann/Trenk-Hinterberger,<br />
Rdnr. 11 je zu § 1 BerHG; AG Arnsberg JurBüro 1991, 803).<br />
Dieser Meinung vermag sich der Senat jedoch nicht anzuschließen.<br />
Nach § 1 BerHG beschränkt sich die Beratungshilfe auf die<br />
Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens.<br />
Das Prozeßkostenhilfe-Bewilligungsverfahren (§ 118 ZPO)<br />
ist ein gerichtliches Verfahren in diesem Sinne (Mümmler JurBüro<br />
1990, 1419; Hansens JurBüro 1986, 1610; AG Arnsberg 1991,<br />
803). Allerdings steht die Anhängigkeit eines Verfahrens der Beratungshilfe<br />
nicht entgegen, wenn der Rechtsanwalt nur außergerichtlich<br />
tätig wird, beispielsweise über die Aussichten einer Rechtsverteidigung<br />
gegen die Klage berät (vgl. Gerold/Schmidt-Madert,<br />
aaO; OLG Frankfurt JurBüro 1990, 1610). Keineswegs kann jedoch<br />
von einer Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens<br />
i. S. v. § 1 BerHG gesprochen werden, wenn der Anwalt seine Partei<br />
im Prozeßkostenhilfe-Bewilligungsverfahren vertritt, insbesondere<br />
den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe stellt. Zu<br />
Unrecht beruft sich die Gegenmeinung (vgl. AG Arnsberg JurBüro<br />
1991, 803) auf die Vorschrift des § 2 Abs. 1 BerHG, wonach die<br />
Beratungshilfe in Beratung und soweit erforderlich in Vertretung<br />
besteht. Im Hinblick auf § 1 BerHG kann es sich hier nur um eine<br />
außergerichtliche Vertretung handeln.<br />
Sowohl die Stellung des Antrags auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe<br />
vom 14.10.1996 als auch die Zurücknahme dieses<br />
Antrags vom 31.10.1996 sind damit durch die bewilligte Beratungshilfe<br />
für „Unterhalt – elterliche Sorge“ nicht gedeckt. Allerdings<br />
kann davon ausgegangen werden, daß die Anwälte der<br />
Antragstellerin diese vorher über die Aussichten eines Antrags auf<br />
Prozeßkostenhilfe im Zusammenhang mit der Beratung über die<br />
Durchsetzung des Sorgerechts beraten haben. Insoweit handelt es<br />
sich jedoch zusammen mit der Beratung und Vertretung hinsichtlich<br />
der Unterhaltsansprüche um dieselbe Angelegenheit.<br />
Wie der Senat bereits entschieden (vgl. JurBüro 1988, 593 =<br />
MDR 1988, 330), betreffen die Beratung über eine beabsichtigte<br />
Ehescheidung und ihre Auswirkungen (z. B. elterliche Sorge; Ver-
AnwBl 1/2000 59<br />
Rechtsprechung l<br />
sorgungsausgleich; Unterhalt; Vermögensauseinandersetzung) sowie<br />
die außergerichtliche Vertretung in dieser Sache dieselbe Angelegenheit,<br />
so daß die Gebühren des Rechtsanwalts für die Beratungshilfe<br />
nur einmal entstehen. In den Gründen dieser<br />
Entscheidung hat der Senat auch ausgesprochen, daß dasselbe auch<br />
bezüglich einer Beratung über die Regelung des durch eine bereits<br />
erfolgte Trennung der Ehegatten entstandenen Zustandes gilt (Hdb.<br />
FamRZ Müller-Rabe, 15. Kapitel, Rdnr. 101 S. 1068). Es handelt<br />
sich damit um dieselbe Angelegenheit, soweit anläßlich einer Trennung<br />
der Ehegatten der Rechtsanwalt eine Partei über die daraus<br />
entstehenden Ansprüche berät oder wegen dieser Ansprüche mit<br />
dem Antragsgegner oder dessen Bevollmächtigten korrespondiert.<br />
Damit ist für die Tätigkeit der Rechtsanwälte Dr. Sch. und E. im<br />
Prozeßkostenhilfe-Bewilligungsverfahren eine Gebühr nach § 132<br />
Abs. 2 BRAGO nicht festsetzbar.<br />
Mitgeteilt von dem 11. Zivilsenat des OLG München<br />
Prozesskostenhilfe<br />
ZPO §§ 114, 127<br />
Prozeßkostenhilfe für die Vorinstanz kann das Beschwerdegericht<br />
der bedürftigen Partei grundsätzlich nicht (mehr) gewähren,<br />
wenn und soweit sie in der Hauptsache – jedenfalls zwischenzeitlich<br />
– rechtskräftig unterlegen ist.<br />
OLG Dresden, Beschl. v. 22.4.1999 – 8 W 288/99<br />
Aus den Gründen: I. Das LG hat der unter anderem gegen die<br />
Beschwerdeführerin erhobenen Zahlungsklage stattgegeben und<br />
ihrem Prozeßkostenhilfegesuch wegen fehlender Erfolgsaussicht<br />
nicht entsprochen. Urteil und – drei Tage vor dessen Verkündung<br />
begründungsgleich gefaßter – Versagungsbeschluß wurden ihr am<br />
26.1.1999 zugestellt. Während die Beschwerdeführerin ihre Verurteilung<br />
hingenommen hat, erstrebt sie mit der Beschwerde die<br />
rückwirkende Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für die erste Instanz.<br />
Sie meint, der vom Gläubiger in Anspruch genommene Bürge<br />
habe Anspruch darauf, seinen Fall anhand der gewandelten<br />
höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Bürgschaftsrecht überprüfen<br />
zu lassen. Zudem habe sich das LG nicht hinreichend mit ihrem<br />
tatsächlichen Vorbringen auseinandergesetzt.<br />
Die Beschwerde muß schon deswegen erfolglos bleiben, weil<br />
die Hauptsacheentscheidung, die Verurteilung der Beschwerdeführerin,<br />
mittlerweile unanfechtbar geworden ist. Nach einhelliger<br />
Ansicht, der der Senat beitritt, kann das Beschwerdegericht der bedürftigen<br />
Partei keine Prozeßkostenhilfe für die Vorinstanz gewähren,<br />
wenn und soweit sie in der Hauptsache – jedenfalls zwischenzeitlich<br />
– rechtskräftig unterlegen ist (OLG Frankfurt, MDR 1998,<br />
494; OLG Köln, NJW-RR 1998, 511; JurBüro 1996, 254 und MDR<br />
1994, 950 f.; OLG Bamberg, JurBüro 1996, 254 f; OLG Düsseldorf,<br />
JurBüro 1994, 176; OLG München, OLGR München 1994,<br />
46; Zöller/Philippi, ZPO, 21. Aufl., § 119 Rdnr. 47 m. w. N.). ...<br />
Mitgeteilt von Richter am AG Bokern, Dresden<br />
§§ 114, 254 ZPO<br />
1. Werden Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche im<br />
Wege der Stufenklage geltend gemacht, bezieht sich die vorbehaltslose<br />
Prozeßkostenbewilligung auf sämtliche Stufen.<br />
2. Dennoch besteht für die Staatskasse nicht die Gefahr, für die<br />
Kosten überhöhter Zahlungsanträge aufkommen zu müssen. Die<br />
Prozeßkostenhilfe ist auf den Antrag beschränkt, der sich aus<br />
der Auskunft ergibt. Sofern der Kl mehr fordert, als die Auskunft<br />
ergibt, erstreckt sich die Prozeßkostenhilfe nicht auf die<br />
Mehrforderung.<br />
3. Das Gericht kann sich in der ersten Entscheidung über die<br />
Prozeßkostenhilfe vorbehalten, nach Bezifferung des Klageantrags<br />
erneut über die Prozeßkostenhilfe zu entscheiden. Auch<br />
wenn ein solcher Vorbehalt fehlt, kann das Gericht nach der Bezifferung<br />
durch Beschluß klarstellen, wie weit der neue Antrag<br />
von der Prozeßkostenhilfebewilligung gedeckt ist. Dem Kl ist die<br />
Möglichkeit einzuräumen, Klarstellung zu schaffen, in dem er<br />
für den bezifferten Antrag erneut Prozeßkostenhilfe beantragt.<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.4.1999 – 7 W 29/99<br />
Aus den Gründen: Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.<br />
Das LG hat mit zutreffender Begründung der Kl Prozeßkostenhilfe<br />
lediglich für eine Gesamtforderung von 22.621,30 DM bewilligt.<br />
... Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.<br />
Dem Kl ist zunächst durch Beschluß der Kammer vom<br />
1.1.1998 für die von ihm eingereichte Klage ohne sachliche Einschränkung<br />
Prozeßkostenhilfe bewilligt werden. Da der Kl Pflichtteils-<br />
und Pflichtteilsergänzungsansprüche im Wege der Stufenklage<br />
geltend machte, bezog sich die Prozeßkostenhilfebewilligung<br />
zutreffend auf sämtliche Stufen (vgl. auch OLG Karlsruhe, FamRZ<br />
1984, 501; OLG Koblenz, FamRZ 1985, 953; OLG Frankfurt,<br />
FamRZ 1991, 1458; OLG München, FamRZ 1993, 340 und 1184;<br />
OLG Hamm, FamRZ 1994, 312; OLG Köln, NJW RR 1995, 707;<br />
OLG Düsseldorf, FamRZ 1985, 417; 87, 1281). Bei der Bewilligung<br />
stand der Wert des letzten Antrages der Stufenklage – unbezifferter<br />
Leistungsantrag – noch nicht endgültig fest. Damit der<br />
beigeordnete Anwalt seinen Gebührenvorschußanspruch geltend<br />
machen konnte, hat das LG zutreffend mit der Bewilligung den<br />
Streitwert für die gesamte Stufenklage vorläufig festgesetzt. Dabei<br />
ist der unbezifferte Leistungsantrag zunächst mit 126.680,45 DM<br />
bewertet worden. Dennoch bestand für die Staatskasse nicht die<br />
Gefahr, für die Kosten überhöhter Zahlungsanträge aufkommen zu<br />
müssen. Die Prozeßkostenhilfe ist nämlich auf den Antrag beschränkt,<br />
der sich aus der Auskunft ergibt (vgl. OLG Karlsruhe,<br />
FamRZ 1984, 501 und FamRZ 1995, 1504; OLG Koblenz, FamRZ<br />
1985, 953; OLG Köln, NJW RR 1995, 707; Zöller-Philippi, 20.<br />
Aufl., § 114 ZPO Rdnr. 37; Münchner Kommentar-Wachs, § 114<br />
ZPO Rdnr. 13). Soweit der Kl mehr fordert, als die Auskunft ergibt,<br />
erstreckt die Prozeßkostenhilfe sich nicht auf die Mehrforderung.<br />
Das Gericht kann sich in der ersten Prozeßkostenhilfebewilligung<br />
vorbehalten, nach Bezifferung des Klageantrags erneut über<br />
die Prozeßkostenhilfe zu entscheiden. Auch wenn – wie hier – ein<br />
solcher Vorbehalt fehlt, kann das Gericht nach der Bezifferung<br />
durch Beschluß klarstellen, wie weit der neue Antrag von der<br />
Prozeßkostenhilfebewilligung gedeckt ist (vgl; OLG Hamm,<br />
FamRZ 1994, 312; OLG Karlsruhe, FamRZ 1995, 1504). Vorliegend<br />
ist weder ein Vorbehalt gemacht worden noch ist eine Klarstellung<br />
durch die Kammer erfolgt, daß es den bezifferten Leistungsantrag<br />
nur zum Teil für berechtigt erachtet. Dem Kl ist aber<br />
die Möglichkeit einzuräumen, hier Klarstellung zu schaffen, in<br />
dem er – wie hier – für den bezifferten Antrag erneut Prozeßkostenhilfe<br />
beantragt (vgl. hierzu OLG Frankfurt, FamRZ 1991,<br />
1458; OLG München, FamRZ 1993, 340 und 1184; vgl. auch OLG<br />
Karlsruhe, FamRZ 1984, 501 sowie OLG Koblenz, FamRZ 1985,<br />
953). Diesem Antrag hat das LG mit zutreffender Begründung nur<br />
für eine geltend gemachte Gesamtforderung von 22.621,30 DM<br />
entsprochen.<br />
Mitgeteilt von Richter am OLG H. C. Ibold, Düsseldorf<br />
ZPO §§ 114 ff., § 270 Abs. 3<br />
Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe unter gleichzeitiger<br />
Einreichung eines Entwurfs der Klageschrift und vollständiger<br />
Unterlagen über die persönlichen und wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse des Antragstellers wahrt rückwirkend eine tarifliche<br />
Ausschlußfrist, die die gerichtliche Geltendmachung eines<br />
Anspruchs verlangt, sofern unverzüglich nach positiver oder<br />
negativer rechtskräftiger Entscheidung über den Antrag auf<br />
Bewilligung von Prozeßkostenhilfe die Klage zugestellt wird.<br />
LAG Niedersachsen, Beschl. v. 25.3.1999 - 16a Ta 119/99<br />
Aus den Gründen: B. ... 2. Die Zahlungsansprüche des Antragstellers<br />
für September und Oktober 1998 sind noch nicht verfallen.<br />
Mit seinem Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe hat er<br />
(vorläufig) auch die Ausschlußfrist des § 54 Zf. 2 RTV gewahrt.<br />
Dies ergibt sich aus § 46 Abs. 2 ArbGG, § 270 Abs. 3 ZPO.
60<br />
l<br />
§ 54 Zf. 2 RTV bestimmt: Lehnt die Gegenpartei den schriftlich<br />
geltend gemachten Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb<br />
von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs,<br />
so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei<br />
Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend<br />
gemacht wird. ...<br />
Der Antragsteller hat seine Zahlungsansprüche für September<br />
und Oktober 1998 gegenüber der Antragsgegnerin mit Schreiben<br />
vom 9.11.1998 geltend gemacht. Dieses Schreiben kann frühestens<br />
am 10.11.1998 zugegangen sein. Die zweite Stufe der tariflichen<br />
Ausschlußfrist begann somit frühestens am 25.11.1998 zu laufen<br />
und lief frühestens am Montag, dem 25.1.1999, ab. Mit seinem bereits<br />
am 20.1.1999 beim ArbG eingegangenen Antrag auf Bewilligung<br />
von Prozeßkostenhilfe hat der Antragsteller diese Frist (vorläufig)<br />
gewahrt.<br />
a) Der Antragsteller hat im Schriftsatz vom 18.1.1999 erklärt,<br />
die Klage solle erst nach Bewilligung von Prozeßkostenhilfe erhoben<br />
werden. Er hat damit eindeutig klargestellt, daß er den Klagantrag<br />
nur unter der Bedingung stellen wolle, daß ihm Prozeßkostenhilfe<br />
bewilligt werde und er zunächst lediglich eine Entscheidung<br />
über das Prozeßkostenhilfegesuch begehre. Die<br />
Zahlungsansprüche, für deren Durchsetzung der Antragsteller Bewilligung<br />
von Prozeßkostenhilfe begehrt, sind deshalb durch die<br />
Einreichung des Schrittsatzes vom 18.1.1999 am 20.1.1999 und<br />
dessen formlose Übersendung an die Antragsgegnerin zur Stellungnahme<br />
nicht rechtshängig geworden (vgl. OLG Dresden,<br />
19.9.1997, 6 W 1000/97, MDR 1998, S. 181 ; Zöller-Philippi,<br />
ZPO, 21. Aufl., 1999, § 117, Rdnr. 7 . m. w. N.).<br />
b) Die Stellung des Prozeßkostenhilfeantrags am 20.1.1999<br />
unter gleichzeitiger Einreichung der Klageschrift und vollständiger<br />
Prozeßkostenhilfeunterlagen wahrt jedoch rückwirkend die zweite<br />
Stufe der tariflichen Ausschlußfrist, sofern unverzüglich nach positiver<br />
oder negativer rechtskräftiger Entscheidung über die Prozeßkostenhilfe<br />
die Klage zugestellt wird. Dies ergibt sich aus einer<br />
verfassungskonformen Auslegung des § 270 Abs. 3 ZPO.<br />
aa) Gemäß § 270 Abs. 3 ZPO tritt die fristwahrende Wirkung<br />
der Zustellung der Klage bereits mit der Einreichung des Antrags<br />
ein, sofern die Zustellung demnächst erfolgt. Diese Vorschrift soll<br />
denjenigen begünstigen, der darauf angewiesen ist, sich der Mitwirkung<br />
der Gerichte zu bedienen, um bestimmte Fristen zu wahren<br />
(BAG, 4.11.1969, 1 AZR 141/69, AP Nr. 3 zu § 496 ZPO<br />
). Sie findet daher nicht nur bei gesetzlichen Fristen,<br />
sondern bei sämtlichen Fristen, die die gerichtliche Geltendmachung<br />
eines Anspruchs verlangen, Anwendung (vgl. Münch-<br />
Komm-Lüke, ZPO, 3. Aufl., 1992, § 270, Rdnr. 21 f.), also auch<br />
bei tariflichen Ausschlußfristen, die zur Fristwahrung die gerichtliche<br />
Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis<br />
verlangen. Lediglich bei tariflichen Ausschlußfristen, die zur Fristwahrung<br />
die mündliche oder schriftliche Geltendmachung ausreichen<br />
lassen, gilt § 270 Abs. 3 ZPO nicht (BAG, AP Nr. 3 zu § 496<br />
ZPO; BAG, 18.1.1974, 3 AZR 3/73, AP Nr. 4 zu § 345 ZPO ; BAG, 8.3.1976, 5 AZR 361/75, AP Nr. 4 zu § 496 ZPO<br />
).<br />
bb) Eine Zustellung erfolgt i. S. d. § 270 Abs. 3 ZPO „demnächst“,<br />
wenn sie innerhalb einer nach den Umständen angemessenen,<br />
selbst längeren Frist bewirkt wird und die Partei und ihr Prozeßbevollmächtigter<br />
unter Berücksichtigung der Gesamtsituation<br />
alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan haben (BGH,<br />
21.3.1991, III ZR 94/89, NJW 1991, S. 1745 ). Auch<br />
die Verzögerung durch ein Prozeßkostenhilfeverfahren ist nach diesen<br />
Grundsätzen einer unbemittelten Partei nicht zuzurechnen,<br />
wenn bereits mit dem Antrag der Entwurf der Klageschrift eingereicht<br />
wird und dem Antrag vollständige Prozeßkostenhilfeunterlagen<br />
beigefügt sind. Dann haben die unbemittelte Partei und ihr<br />
Prozeßbevollmächtigter das ihnen Zumutbare getan, um für eine<br />
alsbaldige Zustellung Sorge zu tragen (vgl. BGH, 1.10.1986, IVa<br />
ZR 108/85, NJW 1987, S. 255 ).<br />
(1) Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG<br />
geregelten Rechtsstaatsgrundsatz gebieten eine weitgehende Angleichung<br />
der Situation der bemittelten und der unbemittelten<br />
Partei bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Der Rechtsstaatsgrundsatz<br />
verwehrt es den Parteien grundsätzlich, ihre Rechtsansprüche<br />
eigenmächtig durchzusetzen, und verweist sie auf die<br />
Inanspruchnahme der staatlichen Gerichte. Dies bedingt im Um-<br />
AnwBl 1/2000<br />
Rechtsprechung<br />
kehrschluß die Pflicht des Staates, Gerichte zur Durchsetzung privatrechtlicher<br />
Ansprüche einzurichten und den Zugang zu diesen<br />
jedermann in grundsätzlich gleicher Weise zu eröffnen. Daraus<br />
folgt, daß der Staat Vorkehrungen treffen muß, die auch unbemittelten<br />
Parteien einen weitgehend gleichen Zugang zu Gericht ermöglichen.<br />
Derartige Vorkehrungen sind durch die Möglichkeit der<br />
Gewährung von Prozeßkostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO) getroffen.<br />
Diese Vorschriften verhindern, daß eine Partei lediglich aus wirtschaftlichen<br />
Gründen daran gehindert wird, ihr Recht vor Gericht<br />
zu suchen (BVerfG, 13.3.1930, 2 BvR 94/88 u. a., 3VerfGE 81, 344<br />
m. w. N.).<br />
(2) Die Fachgerichte, die an die Grundrechte als unmittelbar<br />
geltendes Recht gebunden sind (Art. 1 Abs. 3 GG), haben bei der<br />
Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Zivilrechts diesen<br />
sich aus der Verfassung ergebenden Zweck der Prozeßkostenhilfe<br />
zu beachten, denn das Grundgesetz enthält in seinem Grundrechtsabschnitt<br />
verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche<br />
des Rechts, die die Fachgerichte zu wahren haben (BVerfG,<br />
15.1.1958, 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 )<br />
(3) Bei Anwendung dieser Grundsätze gebieten es Art. 3 Abs.<br />
1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG geregelten Rechtsstaatsgrundsatz,<br />
die Verzögerung durch ein Prozeßkostenhilfeverfahren<br />
der unbemittelten Partei, die für die Durchsetzung ihrer Ansprüche<br />
aus dem Arbeitsverhältnis infolge einer zweistufigen<br />
Ausschlußfrist auf eine gerichtliche Geltendmachung angewiesen<br />
ist, nicht zum Nachteil gereichen zu lassen. Sie kann auch im Gegensatz<br />
zur Auffassung des ArbG nicht darauf verwiesen werden,<br />
den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe so frühzeitig zu<br />
stellen, daß unter normalen Umständen mit seiner Bescheidung vor<br />
Ablauf der Ausschlußfrist zu rechnen ist. Dies würde zum einen<br />
die tarifliche Ausschlußfrist für den unbemittelten Arbeitnehmer<br />
verkürzen, während ein bemittelter Arbeitnehmer die Frist bis zum<br />
letzten Tag ausnutzen könnte. Zum anderen bestünde die Gefahr,<br />
daß der Arbeitgeber, der bereits durch das Gericht einen Schriftsatz,<br />
mit dem Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für eine Zahlungsklage<br />
begehrt wird, zur Stellungnahme zugeleitet bekommt,<br />
nicht mehr freiwillig zahlt, sondern es auf eine gerichtliche Klärung<br />
ankommen läßt. Der unbemittelte Arbeitnehmer wäre also einem<br />
erhöhten Risiko ausgesetzt, sein Recht gerichtlich durchsetzen<br />
zu müssen. Schließlich erlegt diese Auffassung dem unbemittelten<br />
Arbeitnehmer ein erhebliches Risiko auf. Er muß prognostizieren,<br />
innerhalb welcher Frist unter normalen Umständen mit einer Bescheidung<br />
seines Antrags zu rechnen ist, und muß befürchten, daß<br />
sich seine Prognose nachträglich als falsch erweist und die Frist<br />
daher versäumt ist. Diese unverhältnismäßige Erschwerung der<br />
Durchsetzung der Ansprüche des unbemittelten Arbeitnehmers aus<br />
dem Arbeitsverhältnis widerspricht dem Sinn und Zweck der Prozeßkostenhilfe.<br />
Auch dem unbemittelten Arbeitnehmer muß es<br />
daher möglich sein, die tarifliche Ausschlußfrist bis zum letzten<br />
Tag auszunutzen (vgl. BGH, 19.1.1978, II ZR 124/76, MDR 1978,<br />
S. 472 ; BGH, NJW 1987, S. 255 ).<br />
Der unbemittelte Arbeitnehmer kann auch nicht darauf verwiesen<br />
werden, vor dem ArbG unter Zuhilfenahme der Rechtsantragsstelle<br />
kostenfrei Klage zu erheben und bei mangelnder Erfolgsaussicht<br />
nach rechtlichem Hinweis vor Eintritt in die streitige Verhandlung<br />
kostenfrei die Klage zurückzunehmen (so aber LAG<br />
Köln, 8.10.1997, 2 Sa 587/97, LAGE Nr. 45 zu § 4 TVG – Ausschlußfristen).<br />
Angesichts des zunehmend komplizierter werdenden<br />
Arbeitsrechts, das zudem ständigen Änderungen durch Rechtsprechung<br />
und Gesetzgebung unterworfen ist, sind zahlreiche Fälle<br />
denkbar, in denen einem Arbeitnehmer nur unter Hinzuziehung eines<br />
Rechtsanwalts eine aussichtsreiche gerichtliche Durchsetzung<br />
seiner Ansprüche möglich ist. Dabei ist auch zu beachten, daß vor<br />
den Arbeitsgerichten die Dispositionsmaxime gilt, so daß die Bedeutung<br />
der Vertretung durch einen Rechtsanwalt anders als in Verfahren<br />
mit Offizialmaxime nicht zurücktritt (vgl. dazu BVerfG,<br />
22.1.1959, 1 BvR 154/55, BVerfGE 9, 124 ). Bei Rücknahme<br />
der Klage vor streitiger Verhandlung entfallen jedoch nur die Gerichtskosten,<br />
der Gebührenanspruch des vom Arbeitnehmer beauftragten<br />
Rechtsanwalts bleibt davon unberührt. Aus Gründen der<br />
Rechtssicherheit ist aber eine Differenzierung zwischen einfachen<br />
Fällen, in denen ein durchschnittlicher Arbeitnehmer ohne Hinzuziehung<br />
eines Rechtsanwalts seinen Zahlungsanspruch selbst vor<br />
Gericht durchsetzen kann, also eine Verzögerung durch ein Prozeßkostenhilfeverfahren<br />
ihm zum Nachteil gereicht, und schwierigen
AnwBl 1/2000 61<br />
Rechtsprechung l<br />
Fällen, in denen er sich eines Rechtsanwalts zur Durchsetzung seiner<br />
Interessen bedienen kann, in denen daher ein Prozeßkostenhilfeantrag<br />
das Verfahren nicht verzögert und dieser daher die zweite<br />
Stufe einer tariflichen Ausschlußfrist wahrt, nicht möglich. Der unbemittelten<br />
Partei kann es somit nicht verwehrt werden, sich zur<br />
effektiven Durchsetzung ihrer dem Geltungsbereich einer zweistufigen<br />
tariflichen Ausschlußfrist unterfallenden Ansprüche eines<br />
Rechtsanwalts zu bedienen und zur Minimierung ihres Kostenrisikos<br />
vor Durchführung des Erkenntnisverfahrens zunächst einen<br />
Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zu stellen.<br />
c) Der Antragsteller hat auch im Anschluß an die Einreichung<br />
seines ordnungsgemäßen Prozeßkostenhilfeantrags alles Zumutbare<br />
getan, damit die Zustellung „demnächst“ i. S. d. § 270 Abs. 3 ZPO<br />
erfolgen kann. Er hat innerhalb von zwei Wochen Beschwerde gegen<br />
den Beschluß des ArbG, durch den ihm die beantragte Prozeßkostenhilfe<br />
verweigert worden ist, erhoben. Er hat damit innerhalb<br />
des Zeitraums, der Frist Rücksicht auf die schutzwürdigen Belange<br />
des Gegners als angemessen angesehen wird, das Verfahren vorangetrieben<br />
(vgl. BGH, NJW 1987, S. 255 ). ...<br />
Mitgeteilt von dem LAG Niedersachsen<br />
ZPO § 114; GKG § 58 Abs. 2, § 65 Abs. 1<br />
Der Kl erhält im Falle des Obsiegens gegen eine Prozeßkostenhilfepartei<br />
die von ihm bereits gezahlten Gerichtskosten undVorschüsse<br />
von der Staatskasse zurück.<br />
(Aufgabe der bisherigen gegenteiligen Senatsrechtsprechung –<br />
JurBüro 1994, 109 – im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG<br />
vom 23.6.1999, Az. 1 BvR 984/89<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.8.1999 – 10 WF 26/99<br />
Das gem. § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO i. V. m. § 11 Abs. 1 RPflG<br />
n. F. als sofortige Beschwerde zu behandelnde Rechtsmittel der<br />
Bekl führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die<br />
Bekl ist als die in dem Verfahren (vor dem) AG Neuss unterlegene<br />
Partei infolge der Prozeßkostenhilfebewilligung gem. § 58 Abs. 2<br />
Satz 2 GKG davor geschützt, im Wege der Kostenausgleichung die<br />
durch den obsiegenden Kl in Höhe von 1.425 DM geleistete Vorauszahlung<br />
auf die Gerichtsgebühr für das Verfahren im allgemeinen<br />
(§ 65 Abs. 1 GKG) erstatten zu müssen. Aus diesem Grund ist<br />
der angefochtene Beschluß, der sich allein über diese Ausgleichungsverpflichtung<br />
der Bekl verhält, ersatzlos aufzuheben. Der<br />
obsiegende und nach dem amtsgerichtlichen Urteil mit keinen<br />
Kosten belastete Kl ist bezüglich seiner Vorauszahlung auf eine insoweit<br />
bestehende Rückerstattungsverpflichtung der Landeskasse<br />
zu verweisen.<br />
1. Die Kostenfrage, ob der Kl als Gegner der Prozeßkostenhilfepartei<br />
die von ihm bereits gezahlten Gerichtskosten und Vorschüsse<br />
im Falle des Obsiegens von der Staatskasse zurückerhält, wird in<br />
der Rechtsprechung einerseits und im Schrifttum andererseits unterschiedlich<br />
behandelt. Nach der in Übereinstimmung mit der gefestigten<br />
Rechtsprechung der OLG stehenden früheren Auffassung<br />
des Senats erfaßt die Vorschrift des § 58 Abs. 2 GKG nur die im<br />
Zeitpunkt des Eintritts der Erstschuldnerhaftung der PKH-Partei<br />
noch nicht gezahlten Gebühren, Auslagen und Vorschüsse, die dann<br />
im Sinne dieser Bestimmung nicht mehr durch die Landeskasse<br />
geltend gemacht werden dürfen. Dementsprechend soll eine Befreiung<br />
von der Zweitschuldnerhaftung nach dieser Vorschrift für die<br />
bereits entrichteten Gebühren, Auslagen und Vorschüsse ausgeschlossen<br />
sein mit der Folge der insoweit bestehenden Rückgriffsmöglichkeit<br />
des obsiegenden Kl gegen den als PKH-Partei unterlegenen<br />
Bekl (Senat Rpfleger 1978, 4<strong>64</strong> = JurBüro 1978, 1702 =<br />
KostRspr. GKG § 58 Nr. 11; Senat JurBüro 1994, 109 = FamRZ<br />
1995, 494; OLG Oldenburg JurBüro 1998, 654; OLG Zweibrücken<br />
JurBüro 1998, 595; OLG Koblenz JurBüro 1998, 368; OLG Nürnberg<br />
FamRZ 1997, 755; OLG Braunschweig MDR 1997, 1071;<br />
OLG Hamm JurBüro 1994, 679, OLG Hamburg JurBüro 1984,<br />
894; OLG Köln Rpfleger 1981, 243; OLG München JurBüro 1979,<br />
871; OLG Frankfurt MDR 1978, 413; KG JurBüro 1978, 1702;<br />
OLG Bamberg JurBüro 1978, 1362, Oestreich/Winter/Hellstab,<br />
Kommentar zum GKG, § 58, Anm. 16; anderer Ansicht: OLG<br />
Hamm NJW 1977, 2081; Markl/Meyer, Kommentar zum GKG,<br />
3. Aufl., § 58, Rdnr. 27; Lappe Kommentar zum GKG, 58, Rdnr. 9;<br />
Wax in Münchener Kommentar zur ZPO, § 122, Rdnr. 29; Bork in<br />
Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO, 21. Aufl., § 123 Rdnr. 5; Zöller/<br />
Philippi, Kommentar zur ZPO, 21. Aufl., § 122, Rdnr. 25).<br />
2. Im Hinblick auf den Beschluß des BVerfG vom 23.6.1999,<br />
Az. 1 BvR 984/89 (bisher noch nicht veröffentlicht) zum Umfang<br />
des Schutzes der im Rechtsstreit unterlegenen mittellosen beklagten<br />
Partei nach Maßgabe des § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG sieht sich<br />
der Senat veranlaßt, seine bisherige Rechtsprechung aufzugeben<br />
und im vorliegenden Fall eine Verpflichtung der Beschwerdeführerin<br />
als PKH-Partei zur Erstattung bereits durch den Beschwerdegegner<br />
als Kl verauslagter Gerichtskosten zu verneinen.<br />
a) Nach der Entscheidung des BVerfG dürfen im Rechtsstreit<br />
durch Urteil unterlegene Bekl, denen Prozeßkostenhilfe bewilligt<br />
worden ist, wegen Art. 3 Abs. 1 GG ohne rechtfertigende Gründe<br />
bei der Festsetzung der konkret entstandenen Gerichtskosten nicht<br />
anders behandelt werden als Kl in vergleichbarer prozessualer<br />
Lage, denen ebenfalls Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist. Ein<br />
durch eine unbeschränkte Prozeßkostenhilfeanordnung unterstützter<br />
unterlegener Kl muß weder an die Landeskasse (§ 122 ZPO)<br />
noch an die obsiegende Gegenpartei Gerichtskosten zahlen, weil<br />
diese wegen der einstweiligen Befreiung von Gerichtskosten bis<br />
zur gerichtlichen Kostenentscheidung (§ 122 Abs. 2 ZPO) insoweit<br />
keinen Erstattungsanspruch nach § 123 ZPO hat. Im Hinblick darauf<br />
besteht nach Auffassung des BVerfG das Gebot einer Anwendung<br />
des § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG dahingehend, daß der in ihm enthaltene<br />
Haftungsausschluß sämtliche Gerichtskosten –<br />
einschließlich schon gezahlter Gerichtskostenvorschüsse – umfaßt,<br />
um eine grundrechtsverletztende Ungleichbehandlung der unterlegenen<br />
beklagten PKH-Partei zu vermeiden. Als Folge einer solchen<br />
Auslegung nimmt das BVerfG eine Rückerstattungspflicht der<br />
Landeskasse hinsichtlich schon verauslagter Gerichtskostenvorschüsse<br />
gegenüber einem durch gerichtliche Entscheidung obsiegenden<br />
Kl an, dessen Prozeßgegner Prozeßkostenhilfe bewilligt<br />
worden ist.<br />
b) In Anbetracht der gebotenen verfassungskonformen Auslegung<br />
der Vorschrift des § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG ist im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
kein Raum für eine Inanspruchnahme der<br />
unterlegenen und durch eine Prozeßkostenhilfebewilligung unterstützten<br />
Beschwerdeführerin durch den Beschwerdegegner wegen<br />
der durch ihn verauslagten Gebühr für das Verfahren im allgemeinen<br />
(§ 65 Abs. 1 GKG; Nr. 1220 KV-GKG) in Höhe von 1.425 DM.<br />
Insoweit besteht eine Erstattungsverpflichtung der Landeskasse.<br />
ZPO § 116<br />
Der Umstand, daß am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich<br />
Beteiligte nicht bereit sind, sich an den Kosten des Rechtsstreits<br />
zu beteiligen, hat nicht zur Folge, daß dem Konkursverwalter<br />
Prozeßkostenhilfe zu gewähren ist.<br />
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 13.1.1998 – 14 w 79/97<br />
Aus den Gründen: Zu den Voraussetzungen dafür, daß einer<br />
Partei kraft Amtes – eine solche ist der Antragsteller als Konkursverwalter<br />
– die von ihr beantragte Prozeßkostenhilfe zu gewähren<br />
ist, gehört, daß zum einen die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse<br />
nicht aufgebracht werden kann und zum anderen den<br />
am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht<br />
zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen (§ 116 S. 1 Nr. 1 ZPO).<br />
Daß es im vorliegenden Fall an letzterem fehlt, hat das LG zutreffend<br />
ausgeführt. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere<br />
Beurteilung.<br />
a) „Wirtschaftlich beteiligt“ am Gegenstand des Rechtsstreits<br />
sind im Sinne der genannten Vorschrift all diejenigen Konkursgläubiger,<br />
deren Befriedigungsaussichten sich im Falle des Obsiegens<br />
des Konkursverwalters im Prozeß verbessern würden (vgl. die<br />
Nachweise bei Zöller/Philippi, ZPO, 20. Aufl. 1997, Rdnr. 6 zu<br />
§ 116). Bei dem vom Antragsteller beabsichtigten Rechtsstreit sind<br />
dies sämtliche im Gläubigerverzeichnis vom 9.4.1997 (AS 29/35)<br />
genannte Gläubiger, die Antrag auf Anmeldung zur Konkurstabelle<br />
gestellt haben: Einerseits könnten angesichts der Dürftigkeit der<br />
verwalteten Vermögensmasse auch bevorrechtigte Gläubiger ohne
62<br />
l<br />
Führung des beabsichtigten Rechtsstreits nicht mit auch nur teilweiser<br />
Befriedigung rechnen; und andererseits würden sich im<br />
Hinblick darauf, daß sich die bekannten Verbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin<br />
auf weniger als bekannten Verbindlichkeiten der<br />
Gemeinschuldnerin auf weniger als 700000 DM belaufen, nach<br />
der Beurteilung durch den Antragsteller aber ein Verkauf des mit<br />
der beabsichtigten Klage zurückzufordernden Patents zu einem<br />
Preis von ca. 1 Mio. DM realistisch ist, die Befriedigungsaussichten<br />
sämtlicher Beteiligter – unabhängig von der Rangstellung –<br />
entscheidend verbessern.<br />
b) „Zumutbar“ i. S. v. § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO ist einem wirtschaftlich<br />
Beteiligten die Aufbringung der Prozeßführungskosten<br />
jedenfalls dann, wenn er leistungsfähig ist (hierzu Zöller/Philippi,<br />
aaO, Rdnr. 8 zu § 116), seine Forderung vom Konkursverwalter<br />
nicht bestritten ist (Zöller/Philippi, aaO, Rdnr. 7) und der erforderliche<br />
Einsatz den bei der Verteilung der Masse zu erwartenden Betrag<br />
übersteigt (vgl. Wax in: Münchener Kommentar zur ZPO,<br />
1992, Rdnr. 18 zu § 116; auch Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl.<br />
1994, Rdnr. 31 zu § 6). Daß all diese Voraussetzungen jedenfalls<br />
bei den auf S. 3 (letzter Abschnitt) des angefochtenen Beschlusses<br />
genannten Gläubigern erfüllt sind, steht außer Zweifel und wird –<br />
abgesehen von dem in dieser Undifferenziertheit nicht richtigen<br />
und vom Verweis auf BGH NJW 1993, S. 135 ff., 136 auch nicht<br />
getragenen Einwand, öffentlich-rechtlichen Gläubigern sei eine<br />
Vorschußleistung unzumutbar – auch nicht in Abrede gestellt. Der<br />
Umstand, daß einige der genannten Großgläubiger dem Antragsteller<br />
mitgeteilt haben, sie wollten sich an der Kostentragung nicht<br />
beteiligen, ist nicht gleichbedeutend damit, daß diesen Gläubigern<br />
die Kostenaufbringung unzumutbar ist. Fehlende Zahlungswilligkeit<br />
der wirtschaftlich Beteiligten, denen Kostentragung zumutbar<br />
ist, führt nicht zur Gewährung von Prozeßkostenhilfe (Zöller/Philippi,<br />
aaO, Rdnr. 7 zu § 116; auch Kuhn/Uhlenbruck, aaO, Rdnr.<br />
31b zu § 6). ...<br />
Mitgeteilt von Richter am OLG Dr. Ernst-Friedrich Krauß,<br />
Freiburg<br />
ZPO § 119<br />
1. PKH kann i. d. R. rückwirkend nur auf den Zeitpunkt bewilligt<br />
werden, in dem der Antrag mit der Formularerklärung über<br />
die pers. und wirtsch.Verhältnisse sowie den erforderlichen Belegen<br />
versehen war.<br />
2. Über diesen Zeitpunkt hinaus kann PKH ausnahmsweise<br />
rückwirkend auch auf den Zeitpunkt einer nur unvollständigen<br />
Antragstellung bewilligt werden, wenn das Gericht hierfür einen<br />
Vertrauenstatbestand geschaffen hat.<br />
3. Dies ist in dem durch kurze Fristen und Beschleunigungsgrundsatz<br />
geprägten Arbeitsgerichtsverfahren, in dem ein Großteil<br />
der Rechtsstreite bereits in der Güteverhandlung endet,<br />
jedenfalls dann der Fall, wenn in das Protokoll der Güteverhandlung<br />
vor Erlass eines Versäumnisurteils ohne weiteren Hinweis<br />
aufgenommen wird, dass der Prozeßbevollmächtigte des Kl<br />
(und Antragstellers) verspreche, die Erklärung über die persönlichen<br />
und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nachzureichen.<br />
LAG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 7.12.1998 – 8 Ta 176/98<br />
Aus den Gründen: Die Beschwerde des Kl ist begründet.<br />
1. Das Arbeitsgericht hat dem Kl Prozeßkostenhilfe nicht mit<br />
Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Antragstellung, sondern lediglich<br />
mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt bewilligt, in dem der gestellte<br />
Antrag zusätzlich vollständig begründet und korrekt belegt<br />
war. Dies war der 13.10.1998. Ein solches Vorgehen entspricht der<br />
ganz herrschenden Meinung (vgl. Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl.,<br />
§ 119, Rdnr. 28 m. w. N.; BGH Beschl. v. 30.9.1981 – IV b ZR<br />
694/80 – zum Armenrecht).<br />
2. Etwas anderes nimmt die herrschende Meinung jedoch an,<br />
wenn das Gericht einen besonderen Vertrauenstatbestand gesetzt<br />
hat. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn es den Antragsteller<br />
zur Glaubhaftmachung auffordert uns sein Prozeßbevollmächtigter<br />
im Vertrauen hierauf einen gebührenpflichtigen Tatbestand<br />
setzt (vgl. Stein/Jonas/Bork, aaO, Rdnr. 28 m. w. N., insbesondere<br />
AnwBl 1/2000<br />
Rechtsprechung<br />
Fn. 81). Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist dieser<br />
Fall hier gegeben. Dies folgt zum einen aus dem Sitzungsprotokoll<br />
der Güteverhandlung und zum anderen aus einer besonderen Fürsorgepflicht<br />
des Gerichts im arbeitsgerichtlichen Verfahren wegen<br />
der dort geltenden Beschleunigungsmaxime.<br />
a) Gem. § 61a Abs. 2 ArbGG soll die Güteverhandlung innerhalb<br />
von 2 Wochen nach Klageerhebung stattfinden. Tatsächlich<br />
findet die Güteverhandlung in der Praxis wenige Wochen nach<br />
Klageerhebung statt. Die dazwischenliegende Zeit ist oft nicht ausreichend<br />
für die Prüfung des Prozeßkostenhilfeantrages und die<br />
Einreichung ergänzender Unterlagen nach Auflage des Gerichts.<br />
Im Gütetermin erledigt sich jedoch ein hoher Anteil aller Verfahren.<br />
In dieser Lage würde dem Antragsteller – erst recht, wenn es<br />
sich um die beklagte Partei handelt – regelmäßig Prozeßkostenhilfe<br />
zu versagen sein, wenn nicht sämtliche erforderlichen Erklärungen<br />
in der richtigen Form sowie alle notwendigen Belege eingereicht<br />
sind. Hat er indessen im Vertrauen auf die Bewilligung von<br />
Prozeßkostenhilfe einen Rechtsanwalt beauftragt, müßte er die Kosten<br />
hierfür selbst aufbringen, wenn sich der Rechtsstreit im Gütetermin<br />
erledigt. Die Prozeßkostenhilfe begehrende Partei und ihr<br />
Rechtsanwalt stehen daher vor der Wahl, den Rechtsstreit im Gütetermin<br />
ohne Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zu beenden oder<br />
dies erst in einem weiteren Termin nach vollständiger Einreichung<br />
der erforderlichen Unterlagen zu tun, um die nicht geplanten<br />
Rechtsverfolgungskosten abwenden zu können.<br />
Auf diese besondere Lage muß das Gericht Rücksicht nehmen.<br />
Nimmt es ins Protokoll ausdrücklich die Erklärung des Prozeßbevollmächtigten<br />
des Antragstellers auf, daß er „verspricht, die Erklärung<br />
über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse<br />
des Kl umgehend nachzureichen“, so darf der Prozeßbevollmächtigte<br />
und damit der Kl regelmäßig darauf vertrauen, daß das Gericht<br />
die Nachreichung der Unterlagen noch als ausreichend ansieht.<br />
Dies folgt insbesondere aus den Worten „versprechen“ und<br />
„nachreichen“, die eine Verpflichtung der Partei zur Nachreichung<br />
begründen, was aber keinen Sinn macht, wenn das Gericht erst ab<br />
Einreichung der Unterlagen Prozeßkostenhilfe bewilligen wollte.<br />
Eine solche Absicht hätte das Gericht in dieser Lage unmißverständlich<br />
deutlich machen müssen. Dann hätte der Prozeßbevollmächtigte<br />
die Wahl gehabt, den gebührenpflichtigen Tatbestand<br />
nicht im Gütetermin zu verwirklichen, sondern erst in einem weiteren<br />
Termin nach Vervollständigung der Unterlagen.<br />
Danach durfte der Prozeßbevollmächtigte des Kl darauf vertrauen,<br />
daß das Gericht die nachzureichenden Unterlagen noch als<br />
rechtzeitig anerkennen werde. Im Vertrauen hierauf hat er die gebührenauslösende<br />
und letztlich instanzbeendende Handlung, nämlich<br />
die Beantragung des Versäumnisurteils, vorgenommen. In diesem<br />
Vertrauen darf das Gericht den Rechtsuchenden nicht<br />
enttäuschen.<br />
Mitgeteilt von dem Präsidenten des LAG Sachsen-Anhalt<br />
ZPO § 119 Ab. 2, § 121 Abs. 2<br />
Auch nach dem 1.1.1999 ist dem Gläubiger im Wege der Prozeßkostenhilfe<br />
für das Verfahren der Zwangsvollstreckung in das<br />
bewegliche Vermögen kein Rechtsanwalt beizuordnen.<br />
(LS des Einsenders)<br />
LG Ulm, Beschl. v. 22.2.1999 – 5 T 29/99<br />
Aus den Gründen: I. Mit Schriftsatz vom 28.1.1999 begehrte<br />
der Antragsteller Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung seines Prozeßbevollmächtigten<br />
für die Zwangsvollstreckung gegen N. N., gegen<br />
die er eine Forderung aus Versäumnisurteil des AG Nürtingen<br />
vom 4.12.1998 in einer Gesamthöhe von 9.594,83 DM hat. Mit<br />
Beschl. v. 2.2.1999 bewilligte der Rechtspfleger beim AG Göppingen<br />
die Prozeßkostenhilfe ohne Ratenzahlung für die Zwangsvollstreckung<br />
in das bewegliche Vermögen. Er lehnte jedoch die beantragte<br />
Beiordnung des Prozeßbevollmächtigten ab, weil dies nicht<br />
erforderlich sei. Die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen<br />
könne nicht als so schwierig angesehen werden, daß eine<br />
rechtlich nicht geübte Person nicht auch mit Hilfe der Rechtsantragsstelle<br />
beim AG die jeweils erforderlichen angemessenen<br />
Maßnahmen rechtzeitig treffen könne. Gegen diesen Beschluß er-
AnwBl 1/2000 63<br />
Rechtsprechung l<br />
hob der Antragsteller am 10.2.1999 Beschwerde, soweit die Beiordnung<br />
abgelehnt wurde. Zur Begründung trägt er vor, § 119 ZPO<br />
sei mit Wirkung vom 1.1.1999 dahingehend geändert worden, daß<br />
nunmehr über die Prozeßkostenhilfe für das gesamte Vollstrekkungsverfahren<br />
zu entscheiden sei. Es könne nicht davon ausgegangen<br />
werden, daß vorliegend die Zwangsvollstreckung mit einem<br />
Mobiliarvollstreckungsauftrag und einem Antrag auf Termin<br />
zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erledigt sein würde.<br />
Der Antragsteller sei rechtlich ungeübt und nicht in der Lage, z. B.<br />
Forderungsaufstellungen zu berechnen. Die Beiordnung eines Anwalts<br />
sei daher geboten, damit die Zwangsvollstreckung durchgeführt<br />
und ggf. weitere Anträge rasch gestellt werden könnten, z. B.<br />
Kontenpfändung etc.<br />
Der Rechtspfleger hat der Erinnerung nicht abgeholfen.<br />
II. Die Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen<br />
Erfolg.<br />
Nach der am 1.1.1999 in Kraft getretenen Bestimmung des<br />
§ 119 Abs. 2 ZPO umfaßt die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe<br />
für die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen alle<br />
Vollstreckungshandlungen im Bezirk des Vollstreckungsgerichts<br />
einschließlich des Verfahrens auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung.<br />
Diese Vorschrift führt zu keiner neuen Rechtslage.<br />
Vielmehr schließt sich der Gesetzgeber damit der bisher herrschenden<br />
Meinung an, daß jedes Gericht im Umfang seiner Zuständigkeit<br />
pauschal Prozeßkostenhilfe für die Vollstreckung bewilligen<br />
darf. Diese Frage war streitig, nachdem das Prozeßkostenhilfegesetz<br />
von 1980 die bis dahin geltende Regelung des<br />
§ 119 Abs. 1 ZPO beseitigte, wonach die Prozeßkostenhilfe für<br />
die erste Instanz auch für die Zwangsvollstreckung galt. Danach<br />
wurde streitig, ob Prozeßkostenhilfe weiterhin pauschal für die<br />
gesamte Zwangsvollstreckung oder nur für jede einzelne Vollstreckungsmaßnahme<br />
zu bewilligen sei (Zöller, 21. Aufl., § 119<br />
ZPO,Rdnr.33m.w.N.).<br />
Die Frage der Gewährung von Prozeßkostenhilfe ist zu unterscheiden<br />
von der Frage, ob im Parteiprozeß die Vertretung durch<br />
einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, § 121 Abs. 2 ZPO. Die<br />
Gewährung von Prozeßkostenhilfe und damit insbesondere die<br />
Freistellung von den damit verbunden Kosten und Vorschüssen für<br />
die gesamte Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen bedeutet<br />
nicht, daß damit auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts<br />
für jede einzelne Vollstreckungshandlung notwendig ist.<br />
Die Kammer schließt sich der hierzu vertretenen Auffassung<br />
an, daß die Partei bei der Mobiliarzwangsvollstreckung in der<br />
Regel keinen Anwalt benötigt, um den Gerichtsvollzieher zu beauftragen<br />
oder eine eidesstattliche Versicherung zu beantragen.<br />
Hierfür ist die Mithilfe der Rechtsantragsstelle weiterhin ausreichend.<br />
Sollten sich im Laufe des Zwangsvollstreckungsverfahrens<br />
Maßnahmen als notwendig erweisen, die anwaltliche Hilfestellung<br />
erforderlich machen, z. B. Einstellungsanträge des Schuldners, Beschwerden<br />
etc., ist eine spätere Beiordnung eines Anwalts immer<br />
noch möglich. Insofern bedarf es jedoch weiterhin einer Begründung<br />
des Antragstellers im einzelnen.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Georg Cless, Göppingen<br />
ZPO § 120 Abs. 3 Nr. 2, § 127Abs. 2 S. 2<br />
Gegen die vorläufige Einstellung der bei Bewilligung der Prozeßkostenhilfe<br />
auferlegten Ratenzahlungen ist eine Beschwerde<br />
der Landeskasse statthaft.<br />
SchlHOLG, Beschl. v. 15.12.1998 – 9 W 194/98<br />
Aus den Gründen: Die gem. §§ 11 Abs. 3 RPflG a. F., 127 Abs.<br />
2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde ist unbegründet.<br />
Die Beschwerde der durch die Bezirksrevisorin vertretenen<br />
Landeskasse ist statthaft. Die Bestimmung der vorläufigen Einstellung<br />
der auf die Prozeßkosten zu leistenden Ratenzahlungen nach<br />
§ 120 Abs. 3 Nr. 2 ZPO gehört zu den Entscheidungen, gegen die<br />
die Beschwerde nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO stattfindet.<br />
Unter § 127 Abs. 2 Satz 1 ZPO kann die vorläufige Einstellung<br />
der Ratenzahlungen schon begrifflich nicht eingeordnet werden.<br />
Auch spricht ihr vorläufiger Charakter, der bei Unpfändbarkeit des<br />
Prozeßgegners eine Rückgängigmachung zuläßt (vgl. BGH NJW-<br />
RR 1991, 827; Bischof AnwBl 1981, 234; HansOLG Hamburg<br />
MDR 1985, 941), dagegen, sie mit der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe<br />
gleichzusetzen.<br />
Damit fällt die Anordnung nach § 120 Abs. 3 Nr. 2 ZPO aber<br />
ohne weiteres unter § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Diese Vorschrift ist<br />
nämlich nicht auf solche Entscheidungen beschränkt, die im<br />
Gegensatz zu Satz 1 eine Verweigerung der Prozeßkostenhilfe zum<br />
Inhalt haben, wozu die vorläufige Einstellung der Ratenzahlungen<br />
sicher nicht gehören würde. Denn nach ihrem Wortlaut (“im übrigen„)<br />
und ihrer Entstehungsgeschichte soll sie alle anderen als bewilligende<br />
PKH-Entscheidungen erfassen (vgl. OLG Hamm<br />
FamRZ 1989, 412 ; OLG Celle Rpfleger 1989, 290; a. A.<br />
OLG Düsseldorf FamRZ 1986, 1230 f.).<br />
Ist die Beschwerde bei Entscheidungen nach § 120 Abs. 3 Nr.<br />
2 ZPO überhaupt statthaft, dann steht sie auch der Landeskasse zu<br />
(vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 54. Auflage,<br />
§ 127 Rdnr. 78; OLG Köln FamRZ 1986, 926). Dabei macht es<br />
keinen Unterschied, daß die vorläufige Einstellung der Ratenzahlungen<br />
hier darauf beruht, daß das LG die vom Rechtspfleger am<br />
22.4.1998 aufgehobene Einstellungsentscheidung wieder rückgängig<br />
gemacht hat.<br />
Die Beschwerde ist auch zulässig, weil die Landeskasse durch<br />
die Entscheidung beschwert ist (vgl. zur Beschwer des beigeordneten<br />
Rechtsanwalts: OLG Frankfurt a. M. JurBüro 1985, 1728;<br />
OLG Hamm FamRZ 1989, 412). Nach § 130 BRAGO sind die<br />
Ansprüche des der Bekl beigeordneten Rechtsanwaltes gegen<br />
seine Mandantin und gegen den Prozeßgegner (§ 126 BRAGO)<br />
auf die Landeskasse übergegangen, soweit sie an ihn Zahlungen<br />
in Höhe von 1.860,70 DM geleistet hat. Wegen dieser Kosten hat<br />
sie sich im Hinblick auf den für den Kl ungünstigen Prozeßausgang<br />
wegen des Ausgleichs vorrangig an diesen als Entscheidungsschuldner<br />
zu halten (§ 130 Abs. 2 BRAGO i. V. m. §§ 58<br />
Abs. 2, 54 Nr. 1 GKG). Nach § 58 Abs. 2 Satz 1 GKG können<br />
nachrangige Kostenschuldner, zu denen die Bekl infolge des<br />
Überganges des ihrem Rechtsanwalt gegen sie zustehenden<br />
Vergütungsanspruchs auf die Landeskasse gehört (§ 130 Abs. 1<br />
BRAGO), aber wieder in Anspruch genommen werden, wenn die<br />
Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen des Entscheidungsschuldners<br />
erfolglos geblieben ist oder aussichtslos erscheint<br />
(§ 58 Abs. 2 Satz 2 GKG steht dem nicht entgegen, vgl.<br />
OLG Oldenburg JurBüro 1987, 1834; OLG Köln FamRZ 1986,<br />
926). Die Einstellung der Ratenzahlungen erschwert für diesen<br />
Fall aber das Rückgriffsrecht der Landeskasse.<br />
Die Beschwerde ist jedoch aus den zutreffenden Gründen der<br />
angefochtenen Entscheidung und des Nichtabhilfebeschlusses des<br />
LG vom 29.10.1998 nicht begründet.<br />
Die Wiederaufnahme der Zahlungen – als actus contrarius<br />
zur Einstellung nach § 120 Abs. 3 Nr. 2 ZPO – ist anzuordnen,<br />
wenn die Landeskasse die Kosten gegen einen anderen am Verfahren<br />
Beteiligten nicht geltend machen kann. Das kann gem.<br />
§ 58 Abs. 2 Satz 1 GKG der Fall sein, wenn die Zwangsvollstreckung<br />
gegen den Prozeßgegner erfolglos geblieben ist oder<br />
aussichtslos erscheint. Diese Voraussetzungen können hier nicht<br />
festgestellt werden. Zwar war die Landeskasse nicht verpflichtet,<br />
wie das LG meint, mehrere Vollstreckungsversuche zu unternehmen<br />
(SchlHOLG SchlHA 1984, 167 ). Zutreffend hat das<br />
LG jedoch in seinem Nichtabhilfebeschluß darauf hingewiesen,<br />
daß es bislang überhaupt keinen Vollstreckungsversuch gegeben<br />
hat.<br />
Auch konnte auf der Grundlage der vom Kl mit Schriftsatz seiner<br />
Prozeßbevollmächtigten vom 9.4.1998 vorgelegten Unterlagen<br />
über seine finanziellen Verhältnisse nicht davon ausgegangen werden,<br />
daß eine Vollstreckung in das bewegliche Vermögen aussichtslos<br />
sei. Abgesehen davon, daß in der vorgelegten Erklärung vom<br />
6.4.1998 keine Angaben über das bewegliche Vermögen gemacht<br />
wurden, ergab sich aus der daraus ersichtlichen Differenz von<br />
monatlichem Bruttoeinkommen (3.973,81 DM) und monatlichen<br />
Nettobelastungen (1.977,06 DM) unter Berücksichtigung von Steuern<br />
und Sozialversicherungsabgaben kein Betrag, der die Annahme<br />
verbot, der Kl verfüge nicht über nennenswertes bewegliches Vermögen.<br />
Mitgeteilt von Richter am OLG E. Staben, Schleswig
<strong>64</strong><br />
l<br />
ZPO § 124, § 122 Abs. 2; GKG § 58<br />
Vor Aufhebung der Prozeßkostenhilfebewilligung ist auch der<br />
Prozeßgegner zu hören, wenn er durch die Aufhebung die Vergünstigungen<br />
der §§ 122 ZPO, 58 II 2 GKG verlieren kann.<br />
LG Koblenz, Beschl. v. 28.8.1997 – 6 T 82/97, 6 T 83/97<br />
Aus den Gründen: Die zulässigen Rechtsmittel (§ 5 Abs. 2<br />
Satz 1 GKG) bleiben in der Sache ohne Erfolg.<br />
Als Antragsteller i. S. d. § 49 GKG haftet der Kl – gem. § 58<br />
Abs. 1 GKG als Gesamtschuldner mit dem Bekl – für die gerichtlichen<br />
Kosten des Verfahrens mit der Maßgabe, daß seine Haftung<br />
nur geltend gemacht werden soll, wenn eine Inanspruchnahme des<br />
„Erstschuldners“ erfolglos geblieben ist oder aussichtslos erscheint<br />
(§ 58 Abs. 2 Satz 1 GKG).<br />
Jedenfalls von der Aussichtslosigkeit einer Zwangsvollstrekkung<br />
gegen den Bekl geht auch der Kl aus, wenn er in seinem<br />
Schriftsatz vom 10.7.1997 diesbezüglich ausführt:<br />
„Daß jemand, der in der JVA einsitzt, dann, wenn er bereits zuvor<br />
nicht in der Lage war, die Prozeßkosten aufzubringen, auch<br />
dann nicht in der Lage sein würde, die Prozeßkosten aufzubringen,<br />
bedarf sicherlich keiner näheren Darlegung. Richtig ist, daß der<br />
Bekl schlicht und einfach vermögenslos ist...“<br />
Der Kl kann seine Beschwerden gegen die Inanspruchnahme<br />
als Zweitschuldner nicht mit Erfolg auf die von ihm behauptete<br />
Tatsache stützen, die Aufhebung der Prozeßkostenhilfebewilligung<br />
betreffend den Bekl sei in verfahrensfehlerhafterweise erfolgt.<br />
Zu Recht wendet der Kl allerdings ein, der Rpfleger des AG<br />
habe ihn bei Überprüfung der rechtlichen Voraussetzungen für den<br />
Fortbestand der zu Gunsten des Bekl getroffenen Entscheidung<br />
über die Zahlungsbestimmung (§ 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO) nicht angehört.<br />
Vor Aufhebung der Prozeßkostenhilfebewilligung gem.<br />
§ 124 Nr. 2 ZPO war der Kl anzuhören (vgl. Zöller-Philippi, ZPO,<br />
20. Auflage, § 124, Rdnr. 21).<br />
Dieser Verfahrensverstoß im Rahmen des Aufhebungsverfahrens<br />
nach § 124 ZPO führt indes nicht zur Begründetheit der Beschwerden.<br />
Ungeachtet der Tatsache, daß die die Prozeßkostenhilfebewilligung<br />
aufhebende Entscheidung nur die hilfsbedürftige Partei beschwert,<br />
der Gegner indes weder beteiligt noch betroffen ist (vgl.<br />
Zöller-Philippi, aaO § 127 Rdnr. 43), hat die Kammer die fehlende<br />
Anhörung des Kl im Beschwerdeverfahren nachgeholt; sie hat die<br />
Einwände des Kl bei ihrer Überprüfung der angefochtenen Entscheidung<br />
berücksichtigt.<br />
Gleichwohl führen die (unbefristeten) Beschwerden des Kl<br />
nicht zum Erfolg.<br />
Nach Aufhebung des die Prozeßkostenhilfe bewilligenden Beschlusses<br />
stehen einer Inanspruchnahme des Kl als Zweitschuldner<br />
keine gesetzlichen Hindernisse entgegen; der Kl haftet unter den<br />
Voraussetzungen der §§ 49 Abs. 1, 58 Abs. 2 GKG.<br />
Dem steht auch der Einwand des Kl, die mittellose Partei habe<br />
es so stets in der Hand, durch nachlässiges Verhalten willkürlich<br />
(z. B. durch Nichterteilung der geforderten Auskünfte) die Voraussetzungen<br />
einer Aufhebung der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe<br />
zu schaffen und somit Eintritt der Zweitschuldnerhaftung herbeizuführen.<br />
Diese aus der Sicht des Zweitschuldners als unbillig erscheinende<br />
Folge hat der Gesetzgeber in Kauf genommen.<br />
Nichts anderes würde auch dann gelten, wenn die arme Partei<br />
trotz ihrer Leistungsunfähigkeit keinen Antrag auf Bewilligung<br />
von Prozeßkostenhilfe stellt, jedenfalls für solche von ihr veranlaßten<br />
gerichtlichen Kosten, für die eine Vorschußpflicht nicht besteht<br />
oder sich der geleistete Vorschuß nicht als ausreichend erweist.<br />
§ 58 Abs. 2 Satz 2 GKG, der den Zweitschuldner von einer<br />
Kostenhaftung freistellt, soweit dem nach § 54 Nr. 1 GKG verpflichteten<br />
Kostenschuldner Prozeßkostenhilfe bewilligt wird, dient<br />
ausschließlich dem Schutz der bedürftigen Partei.<br />
Würde der leistungsfähige Prozeßgegner auf Zahlung von<br />
Gerichtskosten in Anspruch genommen, für die der mittellose Partei<br />
Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, so könnte er, wenn der die Prozeßkostenhilfe<br />
besitzenden Partei durch gerichtliche Entscheidung<br />
die Kosten des Verfahrens auferlegt werden (§ 54 Nr. 1 GKG), Erstattung<br />
der von ihm geleisteten gerichtlichen Auslagen verlangen;<br />
AnwBl 1/2000<br />
Rechtsprechung<br />
die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe hat auf die Verpflichtung<br />
zur Erstattung der dem Gegner erwachsenen Kosten keinen Einfluß<br />
(§ 125 ZPO). Dies hätte zur Folge, daß der Schutz, der dem Prozeßkostenhilfebegünstigten<br />
gewährt werden soll, unterlaufen würde,<br />
da er von seiten des Zweitschuldners letztlich doch in Anspruch<br />
genommen werden könnte. Um dies zu verhindern,<br />
bestimmt § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG, daß die Haftung des Zweitschuldners<br />
entgegen § 49 Abs. 1 GKG nicht geltend gemacht werden<br />
soll, wenn dem primärhaftenden Kostenschuldner Prozeßkostenhilfe<br />
bewilligt ist. Ist der Sekundärhaftende nicht zur Zahlung<br />
verpflichtet, erwirbt er auch keinen Erstattungsanspruch gegen die<br />
hilfsbedürftige Partei mit der Folge, daß letztere auch in Anbetracht<br />
der Regelung des § 125 ZPO geschützt bleibt (zur Problematik<br />
vgl. Markl/Meyer, Gerichtskostengesetz, 3. Auflage, § 58 Rdnr.<br />
26).<br />
Aus den vorgenannten Erwägungen folgt weiter, daß die dem<br />
Zweitschuldner durch § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG gewährte Begünstigung<br />
entfällt, wenn ein Schutzbedürfnis für die mittellose Partei<br />
nicht mehr besteht. Der dem Zweitschuldner zuteil gewordene Vorteil<br />
stellt lediglich einen Reflex des zu Gunsten der armen Partei<br />
bezweckten Schutzes dar. Wird die Prozeßkostenhilfe nachträglich<br />
aufgehoben, so vermag sie auch keine Reflexwirkung in bezug auf<br />
den leistungsfähigen Gegner zu bewirken.<br />
Nach allem entspricht die angefochtene Entscheidung der Sachund<br />
Rechtslage; die Beschwerden sind daher zurückzuweisen.<br />
Gemäß § 5 Abs. 6 GKG ergeht die Entscheidung über die Beschwerdeverfahren<br />
gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten<br />
werden nicht erstattet.<br />
Mitgeteilt von Justizamtsrat Günter Müller, Koblenz<br />
impressum<br />
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53113 Bonn, Tel. 0228/2607-0, Fax 0228/ 260746, e-Mail:<br />
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d. P.) und Udo Henke, Rechtsanwälte, Anschrift des Herausgebers.<br />
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8612208, Fax 0201/8612241. Erscheinungsweise: Monatlich zur<br />
Monatsmitte. Bezugspreis: Jährlich 198,– DM (inkl. MWSt.) zzgl.<br />
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des Deutschen Anwaltvereins ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag<br />
enthalten. Bestellungen: Über jede Buchhandlung und beim<br />
Verlag; Abbestellungen müssen einen Monat vor Ablauf des Kalenderjahres<br />
beim Verlag vorliegen. Zuschriften: Für die Schriftleitung<br />
bestimmte Zuschriften sind nur an die Adresse des Herausgebers<br />
zu richten. Honorare werden nur bei ausdrücklicher<br />
Vereinbarung gezahlt. Copyright: Alle Urheber-, Nutzungs- und<br />
Verlagsrechte sind vorbehalten. Das gilt auch für Bearbeitungen<br />
von gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen. Der Rechtsschutz<br />
gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen Einrichtungen.<br />
Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich der Einwilligung<br />
des Herausgebers. ISSN 0171-7227.<br />
w
XVIII<br />
4<br />
9 Eine Suchmaschine zum Thema Finanzen<br />
bereichert nun die große Anzahl<br />
bereits vorhandener Suchinstrumente.<br />
Dieser von der financial.de AG betreute<br />
Service namens FinanzRadar basiert<br />
ähnlich Yahoo auf einem moderierten<br />
und ständig aktualisierten Themenkatalog.<br />
Kategorien sind beispielsweise Börsen,<br />
Geld-Zahlungsverkehr, Gewerbliche<br />
Anlageberatung, Going-Public, Immobilien,<br />
Versicherungen. Registrierte Nutzer<br />
werden einmal die Woche über neue<br />
Adressen benachrichtigt.<br />
http://www.finanzradar.de (HIT)<br />
9 Mit dem kostenlosen SMS-Gateway<br />
von TeldaFax lassen sich per WWW-Formular<br />
Kurznachrichten von bis zu 120<br />
Zeichen Länge an Handy-Nutzer verschicken.<br />
Die Nachricht erscheint dann<br />
auf dem Display des Handys, egal ab<br />
dieses sich im D1-, D2-, E-Plus- oder<br />
E2-Netz operiert. Eine Einwilligung in<br />
Adressdatenspeicherung und Verwendung<br />
zu Werbungszwecken muß allerdings<br />
mit abgegeben werden.<br />
http://www.teldafax.de/deut/share/faco/<br />
sms.htm<br />
Ähnliche Dienste werden angeboten<br />
von:<br />
Beyond The Net (T-Mobil, D2, E-Plus,<br />
VIAG, Swisscom, diAx, Orange)<br />
http://sms-kostenlos.btn.de/<br />
SMS to (D1, D2)<br />
http://send.sms.to/free.asp<br />
mtnsms.com (D1, D2, E-Plus, E2; sowie<br />
weltweit in rund 42 Länder; auf der<br />
WWW-Site fehlte allerdings Deutschland)<br />
http://www.mtnsms.com/ (HIT)<br />
9 Weiter etabliert haben sich „providerlose“<br />
Internet-Zugänge im Call-by-<br />
Call-Verfahren. Die Tarife liegen zur<br />
Zeit (12/99) ab etwa DM 0,04 für die<br />
online-Minute inklusive Telefonkosten<br />
(und ohne Grund- oder Volumengebühren).<br />
Bei preiswert-telefonieren.de werden<br />
über 60 Dienstleister mit ihren Einwahlnummern<br />
geführt, darunter aber<br />
auch viele, die kein echtes Call-by-Call<br />
anbieten, z. B. T-Online.<br />
http://www.preiswert-telefonieren.de/<br />
(HIT)<br />
9 Auf Anhieb billiger, in jedem Fall<br />
aber schneller ist das neue T-ISDN-dsl-<br />
Angebot der Deutschen Telekom AG.<br />
Bei diesem Internet- und T-Online-<br />
Zugang fallen minütlich nur noch<br />
DM 0,0248 an.<br />
Internet –Aktuell<br />
Zum Einsatz kommt aktuelle DSL-Kommunikationstechnik,<br />
die auf Anwenderseite<br />
lediglich einen ISDN-Zugang sowie<br />
T-DSL-Modem und Splitter voraussetzt.<br />
Das einmalige Bereitstellungsentgelt beträgt<br />
allerdings DM 229, dann monatliche<br />
DM 99 Grundgebühr. Der Vorteil<br />
liegt in der überragenden Datentransferrate<br />
von 768 kbit/s (downloads). Das<br />
entspricht einer 12-fachen Rate des<br />
simplen ISDN.<br />
Noch höhere Transferraten werden mit<br />
den Produkten T-InterConnect dsl oder<br />
T-ATM dsl angeboten.<br />
http://www.dtag.de/angebot/bba/right.htm<br />
(HIT)<br />
9 Für Schlagzeilen sorgte ein Gesetzesentwurf<br />
der britischen Regierung zur<br />
elektronischen Kommunikation, wonach<br />
Nutzer auf Anforderung der Polizei<br />
gezwungen werden können, Paßwörter,<br />
private Schlüssel oder Daten in Klarform<br />
herauszugeben. Wer weder Schlüssel<br />
noch Daten in Klarform vorweisen<br />
könne, sei mit Gefängnis von bis zu<br />
zwei Jahren bestrafbar. Demnach müßten<br />
unter Verdacht stehende Personen ihre<br />
Unschuld beweisen, nicht der Staat die<br />
Schuld. Die Meldung ist unter anderem<br />
bei heise online im News-Archiv vom<br />
13.7.99 nachlesbar).<br />
http://www.heise.de/newsticker/data/<br />
ame-13.07.99-000/ (HIT)<br />
9 Die Jura-Data GmbH München hat<br />
ihr Angebot an juristischen Internet-<br />
Seminaren erweitert. Gleichzeitig ist<br />
man mit einem langjährigen Partner zusammen<br />
gegangen und firmiert nun unter<br />
united-systems GmbH. Seminartermine<br />
für das 1. Halbjahr 2000 (grunds. Tagesseminare):<br />
Einführung Internet für Juristen: Fr.<br />
21.1., Do. 24.2., Sa. 18.3., Di. 11.4.,<br />
Fr. 19.5., Do. 29.6.;<br />
Einführung Internet für Steuerberater:<br />
Di. 25.1., Mi. 29.3., Sa. 27.5.;<br />
Wie finde ich juristische Informationen<br />
im Internet?: Fr. 25.2., Mi. 12.4., Sa.<br />
20.5.;<br />
E-Commerce und Online-Zahlungssysteme:<br />
Fr. 4.2., Sa. 8.4., Do. 8.6.;<br />
Kennzeichenschutz im Internet: Di.<br />
18.1., Fr. 3.3., Do. 18.5. (jew. 19.00 –<br />
22.00 Uhr).<br />
Weitere Infos unter: united-systems<br />
GmbH, Abt. juristische Informationssysteme,<br />
Nailastraße 11, 81737 München,<br />
Telefon: 0 89/ 63005181, Fax: 0 89/<br />
63005100<br />
http://www.united-systems.de (HIT)<br />
9 BVerfG im Internet: Ab dem 20. September<br />
1999 ist das BVerfG unter der<br />
Adresse http://www.bundesverfassungsgericht.de<br />
mit einer eigenen Homepage<br />
im Internet vertreten.<br />
Das Gericht nutzt damit die moderne<br />
Technik, um interessierte Bürgerinnen<br />
und Bürger auch auf diesem „schnellen“<br />
Weg über seine Entscheidungen, seine<br />
Organisation und die Richterinnen und<br />
Richter zu informieren.<br />
Die Homepage ist in Kooperation<br />
mit dem Institut für Rechtsinformatik<br />
der Universität Saarbrücken (http://<br />
www.jura.uni-sb.de) entwickelt worden<br />
und wird von diesem auch zukünftig<br />
technisch betreut.<br />
Das BVerfG ist das erste Gericht in der<br />
Bundesrepublik, das alle seine Entscheidungen<br />
in vollständiger Fassung (rückwirkend<br />
ab 1. Januar 1998) in das Internet<br />
einstellt. Eine elektronische Signatur<br />
gewährleistet die Authentizität der Texte<br />
und bietet die Möglichkeit, BVerfG-Entscheidungen<br />
in der Internet-Fassung zu<br />
zitieren.<br />
Neben den Entscheidungen können folgende<br />
Informationen (ab Oktober z. T.<br />
auch in englischer und französischer<br />
Sprache) abgerufen werden:<br />
– Aufgaben, Verfahren und Organisation,<br />
– Lebensläufe der derzeit amtierenden<br />
Richterinnen und Richter,<br />
– Pressemitteilungen,<br />
– Bibliothek,<br />
– ausländische Oberste Gerichte und internationale<br />
Gerichte.<br />
Diese Informationen stehen über eine<br />
„Braille-Tastatur“ auch blinden Internet-<br />
Nutzern zur Verfügung. (Quelle: Pressemitteilung<br />
Nr. 99/99 der Pressestelle des<br />
BVerfG vom 20.9.1999) (HEN)<br />
9 Ein Großteil der bisherigen Internet-<br />
Beiträge dieser Seite kann im Internet<br />
abgerufen werden. Ohne Gewähr für<br />
Aktualität und Richtigkeit zum heutigen<br />
Zeitpunkt.<br />
http://www.hitzfeld.de/veroef.htm (HIT)<br />
Zusammengestellt von Rechtsanwalt<br />
Timm Hitzfeld, Augsburg (HIT)<br />
und Rechtsanwalt Udo Henke, DAV,<br />
Bonn (HEN).