TRAVELERS
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Ein besonderer Dank an Hilario und Mauricio Galguera für die Realisierung dieses Buches.
A special thank to Hilario and Mauricio Galguera for the realization of this book.
TRAVELERS
Herausgegeben von | Edited by:
� Jürgen Krieger
Interview von | by:
� Mauricio Galguera
Essays von | by:
� Harald Kunde
� Erik Castillo
� Francesco Pellizzi
� Hilario Galguera
DANIEL
LEZAMA
12 13
»MEIN HERZ SEHNT SICH IMMER NACH
DEM WESENTLICHEN, nach dem Ursprünglichen,
der Entstehung, natürlich nicht im Hinblick auf
Annehmlichkeiten der Lebewesen, aber im Hinblick auf
existenzielle und SPIRITUELLE NOTWENDIGKEITEN.
Die Elemente, die Reiche, die Behausungen, der Schutz,
das Verlangen, die Notwendigkeit, der Tod, die
Wieder geburt: was in aller Welt könnte interessanter sein?
VIELE DINGE, SAGT DIE WELT.« DANIEL LEZAMA
»My heart always yearns for the essential, for the primordial,
for the origin, not of course in terms of creature comforts, but
in terms of existential and spiritual necessity. THE ELEMENTS,
THE REALMS, DWELLING, PROTECTION, DESIRE, NECESSITY,
DEATH, REBIRTH, WHAT ON EARTH COULD BE MORE
INTERESTING THAN THAT? Lots of things, says the world.«
DANIEL LEZAMA
INHALTSÜBERSICHT
CONTENT
Mauricio Galguera
Ein kurzer Gedankenaustausch mit Daniel Lezama 14
A brief exchange of thoughts with Daniel Lezama
Harald Kunde
Schaubühnen der Imagination
Anmerkungen zum Bildprogramm von Daniel Lezama 28
Stages for the imagination
Notes of Daniel Lezama‘s pictorial program
Erik Castillo
Briefe aus weiter Ferne
Gemälde von Daniel Lezama, 2009 – 2011 130
Letters from a unfathomable distance
Paintings by Daniel Lezama, 2009 – 2011
Francesco Pellizzi
Ent-Täuschungen und Kapricen des Daniel Lezama 144
Ein italienischer Blickpunkt
Dis-Enchantments and Caprices of Daniel Lezama
An Italien viewpoint
Hilario Galguera
Allegorien der Fahne 174
Allegories of the fl ag
Mauricio Galguera
Biografi e / Biography 203
Hilario Galguera 204
Anmerkungen zu einem kleinen Gemälde
Schlusspunkt der Gemäldeserie »Travelers«
Notes on a small painting
The conclusion of the »Travelers« series
Impressum / Imprint 208
16 17
: Der Tod des Empedokles
The death of Empedocles
2005
Oil on linen, 190 x 230 cm
Colección, Monterrey, Mexico
Der Farbenbaum von 2010 nichts mehr zu spüren: in einer alche-
30 This position takes on virtually programmatic proportions in his Traveler
31
Der Farbenbaum
The tree of color
Seite/page 82 – 83
�
Selbstbildnis als J.M. Rugendas
Self-portrait as J.M. Rugendas
Seite/page 36
�
Geradezu programmatisch hat sich diese
Haltung in seinem Zyklus der Traveler-Serie
niedergeschlagen, den er seit einigen
Jahren verfolgt und der Protagonisten
Series cycle, which he has pursued for several years and which is
specifi cally dedicated to protagonists of the nineteenth century whose
biographies and intellectual horizons were profoundly shaped by their
encounters with the New World. Scientists, artists and adventurers – all
of those who arrived after the conquistadors, missionaries and merchants,
and whose undertakings were always accompanied by danger, sickness
and other existential imponderables despite their peaceful intentions –
constitute the illustrious cast that Daniel Lezama adopts and joins as a
companion from another time. In Self-Portrait as J. M. Rugendas from
2008, he depicts himself as a naked boy who matures into a student
of painting on the heels of the Augsburg-born artist Johann Moritz
Rugendas. The South-German landscape painter, who spent several
years in Brazil and Chile in addition to a three-year sojourn in Mexico
and was the benefi ciary of Alexander von Humboldt’s support, was
considered an exquisite topographer. His pencil drawings and precise
coloring instructions were drawn from nature and later painted as oil
studies, helping to shape more accurate ideas about a continent that
was still largely thought of as terra incognita. Daniel Lezama evidently
considers himself a legitimate successor to this observational point of
view from a position of the reclaimed visual innocence of the beginning.
Enthusiastic and defenseless, he stands on the plateau of the volcanic
massif of Popocatépetl and awaits further instruction from the master.
None of this ostentatious reverence remains in The color tree, executed
shortly afterwards, in 2010. The mystery of making paint from ground
minerals takes place in alchemistic-looking scenery that looms like a
nightmare in front of the painter, who has grown up but is still nude. The
liquid primary colors are collected in large bowls before they are poured
in various combinations over two fi gures (a pregnant woman and an
arduously restrained boy), who have been fettered upside-down, and
fi nally swirl around the eponymous color tree in fi ery rivers. This magical
plant, essentially a symbol of painting, illuminates the concrete night like
any other dramatic event: wherever it glows, it gives hope and meaning
beyond the turmoil of bodies and the earthly bustle that takes place
between birth and death. The painter inhabits this scene of the existential
metamorphosis like a specter. He hovers, slightly removed, above the
real world, establishing a connection to the sphere of a starry surface
that unfolds in the background. In Daniel Lezama’s pictorial cosmos, this
blue drapery with gold stars always refers to a religious image revered
throughout Mexico: Our Lady of Guadalupe. This object of unlimited
adoration has mesmerized pilgrims for hundreds of years, and has
naturally played a central role as a tangible apparition in all missionary
processes in both the past and the present. Her shimmering presence
corresponds to the small, illuminated tree. Both appear to represent to
namentlich des 19. Jahrhunderts gewidmet ist, deren Biografi e und Denkhorizont nachhaltig
durch die Begegnung mit der Neuen Welt geprägt wurde. Wissenschaftler, Künstler, Abenteurer
– all jene, die nach den Konquistadoren, den Missionaren und Händlern kamen und in ihren jeweils
verfolgten Unternehmungen trotz friedlicher Absichten immer von Gefahren, Krankheiten und
anderen existenziellen Unwägbarkeiten begleitet waren – bilden dabei den illustren Reigen, den
Daniel Lezama sich einverleibt und dem er sich als zeitenferner Gefährte zugesellt. In der Arbeit
Selbstbildnis als J. M. Rugendas von 2008 zeigt er sich denn auch als nackter Knabe, der auf den
Spuren des gebürtigen Augsburger Künstlers Johann Moritz Rugendas zum Eleven der Malerei
heranreift. Der süddeutsche Landschaftsmaler, der neben einem dreijährigen Aufenthalt in Mexiko
auch mehrere Jahre in Brasilien und Chile verbrachte und von Alexander von Humboldt wohlwollend
gefördert wurde, galt als exquisiter Topograph, dessen vor der Natur entstandene Bleistiftzeichnungen
samt präziser Farbangaben später in Ölstudien ausgeführt wurden und genauere Vorstellungen
über den noch weithin als terra incognita geltenden Kontinent herausbilden halfen. Im
wiedererlangten Stand dieser visuellen Unschuld des Anfangs begreift sich Daniel Lezama off enbar
als legitimer Nachfolger dieser konstatierenden Betrachtungsweise; eifrig und doch schutzlos steht
er auf der Hochebene des Vulkanmassivs des Popocatépetl und erwartet die weiteren Weisungen
des Meisters. Von dieser ostentativen Verhaltenheit ist in der nur wenig später entstandenen Arbeit
mistisch anmutenden Szenerie, die wie ein Albtraum vor dem nun
erwachsenen, doch noch immer nackten Maler aufsteigt, vollzieht
sich das Mysterium der Farbgewinnung aus zerriebenen Mineralien.
In großen Schalen werden die fl üssigen Primärfarben gesammelt, bevor
sie in verschiedenen Abmischungen über zwei kopfüber gefesselte
Gestalten – eine schwangere Frau und einen nur mühsam gebändigten
Jungen – gegossen werden und hernach in feurigen Bächen den titelgebenden
Farbenbaum umspülen. Das magische Gewächs, quasi ein
Symbol der Malerei, erleuchtet diese konkrete Nacht
ebenso wie jedes sonstige dramatische Geschehen:
Wo er aufglüht, gibt es Hoff nung und Sinn über dem
Getümmel der Leiber, dem irdischen Gezappel zwischen
Geburt und Erlöschen. Der Maler wohnt dieser Szene
der Daseinsmetamorphose wie ein Schemen bei, der
leicht entrückt über dem Boden der Tatsachen schwebt
und die Verbindung zur Sphäre einer bestirnten Plane
herstellt, die sich im Hintergrund ausbreitet. Dieses blaue
Tuch mit goldenen Sternen verweist im Bildkosmos von
Daniel Lezama immer auf ein religiöses Kultbild ganz
Mexikos, nämlich auf die Jungfrau von Guadalupe, die
als Objekt einer unumschränkten Adoration seit Jahrhunderten
Pilger in ihren Bann zieht und die selbstredend
als fassbare Erscheinung bei allen Missionierungsprozessen
eine zentrale Rolle spielte und spielt. Sie korrespondiert
in ihrer schirmenden Präsenz dem illuminierten
Bäumchen; beide stellen off enbar für Daniel Lezama
die metaphysischen Bezugspunkte dar, die ihm in allen
Prozessen der Bildfi ndung Orientierung geben können
und für seine künstlerische Positionierung unabdingbar
sind. Ein drittes Beispiel für diese latente Befragung des
eigenen Standorts als Künstler innerhalb der Traveler-
Serie ist die Arbeit Äquator (Neuer Maler, neues Modell)
von 2009, die wiederum auf eindringliche Weise den
unvermittelten Zusammenprall indianischer und europäischer
Kulturen vor Augen führt. In dschungelartigem
Dickicht, in dem die Baumriesen anthropomorphe Züge
tragen und als männliche und weibliche Wächterfi guren
fungieren, richtet sich der Blick auf ein merkwürdiges
Geschehen am Lagerfeuer: Im Vordergrund stehen sich
ein nackter Knabe mit Malutensilien und ein nacktes
Mädchen fragend gegenüber – beide ein lebendiges
Echo der Baumdämonen – und weisen auf ein am Boden
liegendes Bild, das in dieser Umgebung völlig
unpassend wirkt. Es lässt sich unschwer als eine Arbeit
Lucio Fontanas identifi zieren, der in seiner berühmten
Serie der Concetto spaziale die zweidimensionale Leinwand
aufschlitzte und ihr so in seinem Verständnis
eine neue dramatische Raumtiefe verlieh. Dieser Bote
der europäischen Avantgarde der 1950er Jahre schlägt
in die animistische Szenerie wie ein Meteorit aus einer
Daniel Lezama the metaphysical
points of reference that allow him
to orient himself in the various
processes of pictorial composition,
and which are essential to his
artistic positioning. A third
example of this latent questioning
of his own position as an artist to
be found in the Traveler Series is
Equator (new painter,
new model). Executed in 2009,
it depicts in a haunting manner
the sudden clash of Indian and
European cultures. In a jungle-like
thicket in which the giant trees
have anthropomorphic features
and function as male and female
guards, our attention is drawn to
a bizarre scene by the camp fi re:
in the foreground, a naked boy
with painting utensils and a naked
girl stand opposite one another,
nonplussed. Living echoes of the
tree demons, both of them draw
attention to a painting that lies on
Der Äquator (neuer Maler, neues Modell)
The equator (new painter, new model)
Seite/page 64
the ground, entirely incongruous in these surroundings. It is easily
identifi ed as a work by Lucio Fontana, who in his famous Concetto
spaziale series made slits in two-dimensional canvases, thus imbuing
them with a new, dramatic spatial depth in his understanding. This
herald of the European avant-garde of the nineteen-fi fties abruptly
enters this animistic scene like a meteorite from another world. The
calm that reigns in the background of the painting, with the drunk and
pot-bellied white settler and sleeping Indios, is not at all disrupted by it,
however. Daniel Lezama must have felt something like this when he
absorbed the canon of modernity, of the avant-gardes, and of post -
mod ernism while he lived an everyday life that was virtually immune
to such sophisms. The apparent incompatibility of disparate approaches
to the world: this central theme of his work is to be found in programmatic
formulations here, and becomes a leitmotif that runs through the
polarities of that which is one’s own and that which is foreign, and of
that which is familiar and that which is threateningly ’Other.’
�
42
” Brief an Humboldt
Letter for Humboldt
2009
Oil on linen, 240 x 320 cm
Collection Heinz J. Angerlehner, Vienna, Austria
50
” Traum und Tod Egertons
Death and dream of Egerton
2009
Oil on linen, 240 x 320 cm
Murderme Collection
58 59
” Vinzenz und Paul in Amerika
Vincent and Paul in America
2004
Oil on linen, 225 x 330 cm
Collection of the artist, courtesy Galería
Hilario Galguera
: Lowry
Lowry
2009
Oil on linen, 150 x 190 cm
Colección Jan Hintze, Ciudad de México
75
Weitere Reiseabenteuer
in Yucatán
98 99
116 117
: Der Warntraum des John L. Stephens
Premonitory dream of John L. Stephens
2011
Oil on linen, 180 x 140 cm
Murderme Collection
Erik Castillo
BRIEFE
weiter
FERNE
GEMÄLDE VON
DANIEL LEZAMA, 2009-2011
Mr. Catherwood ist gefallen, als die Sonne am höchsten
stand. So zeigt ihn das Gemälde Der Sonnenstich des
F. Catherwoods in Palenque. Jetzt ist er das erlöste Kind
seiner selbst und sein Körper taucht in ein neues Land,
wo sich sein Blick auf wieder neue Ufer richten kann.
Hier ist die Todesart, die ihm das Schicksal auferlegt hat,
nicht mehr das wirkliche Ertrinken in der Neuen Welt,
sondern der letzte Nachhall zahlreicher Reinkarnationen.
Diese Vision setzt sich fort in dem Bild Otros incidentes
de viaje en Yucatán. Die Opferstätte im Hintergrund des
Gemäldes zeigt die Anbetung des Himmels (Itzamná,
das »Haus der Iguanas« nach den Maya), einen Kult der
Eingeborenen, der mit Sicherheit eine monströse Form
der Opferung einschloss. Inzwischen scheint sich Mr.
Stephens damit zu beschäftigen, die reichen Gaben der
Natur und die Anbetung der Raubvögel im dynamischen Flug ihres
Liebesspiels rings um den Opferpfahl festzuhalten. In diesem Kult verehren
die Eingeborenen den Flug des Adlers, der ihnen die Furcht vor
der Mutter aller Schlangen während eines Augenblicks schwebender
Vereinigung nehmen wird. Doch dieses Gefühl leidenschaftlicher
Liebe, das die ganze Szene in eine ekstatische Aura taucht, ist mehr als
eine individuelle Erfüllung des Begehrens; es handelt sich auch um eine
erotisch aufgeladene kollektive Vereinigung, ähnlich wie sie sich Herbert
Marcuse bei der Symbiose von libidinöser Phantasie und ungehemmter
Sublimierung in einer technisch fortgeschrittenen Gesellschaft wünschte.
Die Bestückung von Mr. Catherwoods Penis mit einer Pfauenfeder –
in Wirklichkeit ein baho, der Federstock, den die Eingeborenen als
rituellen Gebetsvermittler verwenden – lässt den Reisenden seinen
Status verlieren und integriert ihn in eine Gesellschaft am anderen
Ende der Welt. Der Iguana, der in einem doppelten Bild zu beiden
Seiten des Gemäldes rechts hinein- und links wieder herausschlüpft
– oh ja, wir sprechen hier von einem Gemälde – könnte durchaus
den rhythmischen zyklischen Ablauf der Zeit symbolisieren, der durch
diese in Trance befi ndlichen Nomaden in Bewegung gesetzt wird.
Denn die Eingeborenenvölker glaubten an eine regelmäßige Abfolge
Ride the snake
To the lake
The ancient lake, baby
The snake is long
Seven miles
Ride the snake
He’s old
And his skin is cold
The West is the best
Get here and we’ll do the rest
The blue bus
Is calling us
Driver, where are you taking us?
Father
Yes, son?
I want to kill you
Mother, I want to…
The Doors, The End.
LETTERS FROM AN
UNFATHOMABLE DISTANCE.
PAINTINGS BY
DANIEL LEZAMA, 2009-2011
Erik Castillo
Mr. Catherwood has fallen at high noon. He is now
the redeemed child of himself, his body sinking in a
new land from which his vision can grow once again;
but this manner of death that destiny has brought
him (no longer his actual drowning in Terranova) is
the fi nal echo of many reincarnations. The adoration
of the heavens (Itzamná, »The House of Iguanas«
of Mayan lore) practiced by the native peoples who
are the backdrop of this vision, certainly involved a
monstruous form of sacrality: the intuition of such
plenitude is only possible if each and every day is
accepted as an immaculate era in itself. Meanwhile,
Mr. Stephens seems to be engrossed in a form of
non-textual writing, involving the reception and
amassment of the off erings of abundant life and
the consecration of the fury of winged lovers: they
worship the fl ight of the eagle, that will conceal the
fear created by the mother of all serpents during a
moment of weightless communion. Yet, this ardour
of love which gives an essential patina to the entire
von Zerstörung und Wiedererschaff ung der Welt, die sich innerhalb eines bestimmten Zeitzyklus, nicht im linearen Zeitablauf,
abspielte, und die eine Zeit der Erlösung und des Vergessens mit sich brachte. Man hielt also die Transformation des Bestehenden,
nicht die Kreation aus dem Nichts, für den Ursprung der Dinge und des Lebens. Nach einem ersten Blick auf das Gemälde
beschwören all die Praktiken, die hier vor Augen geführt werden, im Geist des Betrachters die reichen Möglichkeiten einer
off enen, nicht allein materiellen, Lebenskraft herauf: die mögliche Akzeptanz der verschlungenen Wege des Schicksals.
Die eigenartig simultane Inszenierung der Ereignisse, die sich dem Blick des Betrachters in Daniel Lezamas Weitere Reiseerlebnisse
in Yucatán bieten, entfalten die Rhetorik einer syntaktischen Erzählung – eine Gattung der Bildgestaltung, die in der Malerei der
Renaissance üblich war (vgl. Boticellis Begebenheiten aus dem Leben des Mose in der Sixtina oder Die Befreiung Petri aus dem
Kerker von Raff ael in der Stanza di Eliodoro im Vatikan). In diesen Darstellungen wer-
den die Hauptpersonen in verschiedenen Momenten oder Phasen ihres Lebens und
in verschiedenen Tätigkeiten an ein und demselben Schauplatz wiedergegeben. Hier
sehen wir die Forscher Catherwood und Stephens jeweils in doppelter Erscheinung
in ein und derselben tropischen Landschaft. Gehalt und Verlauf ihrer Tätigkeiten können
nur im Kontext der Ereignisse verstanden werden, die nach unserer Meinung an
einem geheiligten Schauplatz der Weihe und Initiation in der heidnischen Welt
stattfanden, an einem Ort ähnlich dem Mysterientempel Telesterion von Eleusis oder
dem Apollotempel in Delphi. Leben und Tod des englischen Zeichners und eine Episode
aus den Abenteuern des nordamerikanischen Schriftstellers – die beide ab 1839
Mexiko bereisten – sind von Lezama in ein und dasselbe malerische Kontinuum von
Zeit und Raum gesetzt worden.
Das panoramische Szenario dieser Allegorie ist Lezamas Paraphrase einer berühmten
Ansicht, die Catherwood für sein Album mit Zeichnungen der Mayaruinen festgehalten
hatte. Die gesamte Atmosphäre der Szene vermittelt den Eindruck eines außergewöhnlichen
Geschehens und das Gefühl absurden Tuns: die Wahl der Ruinen von
Uxmal als Bühne beschränkt sich nicht nur auf die Beschreibung eines Mayatempels,
sondern bietet Lezama die Möglichkeit, seine Phantasie mit all den indianischen
Ruinen und Bauwerken spielen zu lassen, die uns entweder von der ethnologischen
oder der archäologischen Forschung überliefert wurden. Er tut dies mit Vorliebe
dann, wenn seine Protagonisten durch die Kraft visionärer Spiritualität tief bewegt
worden sind oder ihr Leben sich durch den Einfl uss des Sexualtriebs zutiefst veränderte,
ja, eine Umwälzung erfuhr, in beiden Fällen eine Folge der Notwendigkeit zur Erneuerung.
Auch repräsentieren die Eingeborenen um die beiden berühmten Reisenden
in dem Gemälde, die mit ihnen interagieren, keineswegs eine bestimmte Ethnie, sie
könnten Angehörige irgendeines die Jahrhunderte überdauernden Stammes oder
Dorfes sein. Darüber hinaus ist es klar, dass für die Eingeborenen in dem Gemälde
die Ruinen der Bauwerke Strukturen einer vergangenen Epoche verkörpern: sie sind
selbst Reisende, durch die Schicksalsschläge ihrer Geschichte in die Gegenwart geworfen,
und Wächter eines Prinzips, das weit über die ursprüngliche Bedeutung der Tempel
und der Religionen hinausweist, die von einer gesellschaftlich hierarchisch aufgebauten
Pyramide getragen werden.
Die ethnografi sche Aura dieses Gemäldes, das wie in einer Art Chronik die Kräfte
des kollektiven Unbewussten vor Augen führt, erinnert an den beeindruckenden
Reise bericht, den der deutsche Forscher Aby Warburg, der Begründer der ikonologischen
Forschung, nach seinem Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik Bellevue
scene, is more than the individual fulfi llment of the tapestry of desire;
it is also about a collective reconcilement laden with Eros, not unlike the
one Herbert Marcuse wished for in the symbiosis of libidinal fantasy
and non-repressive sublimation in a technically advanced society. The
pro pitiation of Mr. Catherwood’s penis with a peacock feather –an actual
baho, the feather duster used by North American natives as ritual gobetween–
makes the traveler lose his standing as such, and guides him
to his integration in a socius located the antipodes of his own world.
The iguana that comes and goes through the hat of the explorer in the
double image at both sides of the painting oh, yes, we are talking about
a painting here might well embody the rythmic, circular mode of time
set in motion by these nomads in a trance, a time involving salvation and
oblivion. At fi rst take, all the practices described in this canvas evoke in
the imagination of the audience a wealth of possibilites of vital aperture,
amounting to an acceptance of the meandering chords of the song of fate.
The strangely simultaneous staging of events in Daniel Lezama’s Other
incidents of travel in Yucatan, involves the rhetoric of syntactical narrative,
a mode of iconographic arrangement common in Renaissance painting
(i.e., Boticelli’s Tribulations of Moses in the Sistine Chapel, or the Liberation
of St. Peter by Rafael in the Vatican Stanza Eliodoro) where the main
characters are depicted in various moments of an action in the same
visual forum: here, explorers Catherwood and Stephens are depicted twice
each in the same tropical landscape. The script of their actions can only
be understood in the context of the events that we believe took place in
the theaters of consecration and initiation of pagan antiquity, such as
the Thelesterion of Eleusis or the Temple of Apollo in Delphi. The life and
death of the English draughtsman and an episode of the adventures of
the North American writer –who began their travels in Mexico in 1839– are
placed by the artist in a same painterly continuum of time and space.
The panoramic view that provides the scenario for this allegory is Lezama’s
paraphrase of a famous view drawn from life by Catherwood for his
album of Mayan ruins. And the overall mood of the scene is precisely
that of an extraordinary event that begets a sensation of productive
absurdity: the election of the ruins of Uxmal as a stage not only proposes
the description of one Mayan temple, but off ers Lezama the opportunity
to fantasize with all the native ruins and dwellings consigned by either
ethnologic or archeological research, as long as the characters involved
have been deeply moved by the strength of spiritual reverie or their life
transfi gured by sexual impulse, in both cases urged by the need of
renewal. Neither are the natives who surround, and interact with, both
famous travelers in the canvas merely a representation of a specifi c cultural
background they could pertain to any tribe or community sidelined by
passing centuries. It is very clear that even for the native characters, the
ruins of past monuments are structures from a previous era they are
themselves travelers brought to the present day by the vicissitudes of
history, and guardians of a meaning that trascends the original purpose
of temples and religions supported on a pyramid of social hierarchy.
131
Die verschwenderische Mutter
The prodigal mother
2008
Oil on linen, 640 x 240 cm
The Hermes Trust Collection, New York
�
: Daniel Lezama:
Der Traum vom 16. September
The dream of September 16th
2001
Oil on linen, 145 x 195 cm
Private collection, Monterrey, Mexico
157
Pose erinnert an ein Bild von Mantegna, das von Caravaggio neu gemalt wurde. Die
exponierten Genitalien der Leiche und des Jungen befi nden sich auf derselben
Achse, fast in Opposition (oder komplementär) zueinander. Der Titel des Gemäldes
mit seinem Reigen von semantisch kontrastierenden Begriff en: Tod / Tiger, Tiger /
Heiliger, Julia / Tod bezieht sich auf ein tatsächliches Ereignis und der Künstler
spricht ausführlich über den Veränderungsprozess, der im kollektiven Gedächtnis
des Volkes die wahre Erinnerung an diesen Fall überlagert hat: »Der Tiger von Santa
Julia war ein bekannter und blutdürstiger Bandit der postrevolutionären Ära um 1920
in Mexico City. Erst nachdem die Polizei in einer langwierigen Operation das Domizil
seiner Geliebten ausspioniert und umstellt und gewartet hatte, bis er die Nacht dort
verbrachte, war es möglich, seiner habhaft zu werden. Als er in der Morgendämmerung
herauskam, um im Patio seinen Darm zu entleeren, wurde er am Boden hockend festgenommen,
während seine Waff e neben ihm lag. Einige Zeit später wurde er nach
einem Gerichtsverfahren exekutiert und sein Schädel im Naturwissenschaftlichen
Museum der Nationalen Universität ausgestellt. Das Gemälde illustriert perfekt Mircea
Eliades Theorie über die Entstehung von Mythen: Die Menschen kennen die wahre
Geschichte, glauben aber, dass der Mann beim Kacken erschossen wurde. In der
kollektiven Erinnerung wird die prosaische Geschichte durch das spektakuläre Bild
überlagert und niemand glaubt mehr an die wirkliche und dokumentierte Version.
Ich gab der Geschichte eine weitere Wendung. Der Tiger war der letzte Bandit des
›Wilden Mexiko‹, und seine Hinrichtung stand am Beginn des Weges zu einer modernen
City, die frei von schießwütigen Revolverhelden war. In meinem Bild wird er mit
heruntergelassener Hose von seinem Teenagersohn getötet, den darauf die Konkubine
des Vaters liebevoll wäscht. Er hat den
Vater getötet, um seinen Platz einzunehmen,
eine Metapher für die gewalttätige
Geburt des modernen Mexiko.«
Die von Lezama im magischen Kreis der
vier Personen dieses Bildes heraufbeschwo
rene Spannung ist so intensiv, dass
man kaum beachtet, dass an den Rändern
der Darstellung auch ein Publikum gezeigt
wird: einem Chor ähnlich, wie in vielen
Szenen Tiepolos oder sogar in Manets
Die Erschießung Kaiser Maximilians von
Mexiko, einem Bild, das wiederum von
Goyas Die Erschießung der Aufständischen
am 3. Mai 1808 in Madrid inspiriert worden
war. Die ästhetische und symbolische Rolle
dieses Chores ist es, Zeuge des vertrauten
und zugleich geheimen Ereignisses
zu sein. In Der Besuch, 2002, und
bereits in Das blaue Zimmer, 2001, haben
wir es zwar mit einem privaten Ritual zu
tun, das sich vor dem Hintergrund des
: Daniel Lezama:
Der Tod des Tigers von Santa Julia
The death of the Santa Julia Tiger
2000
Oil on canvas, 270 x 195 cm
Colección INBA, Acervo del Museo de Arte Moderno,
Ciudad de México
In his own words: »The Santa Julia Tiger was a well-known and bloodthirsty bandit of
the post-Revolutionary era (ca. 1920) in Mexico City. The police operation that led to his
capture involved spying on and surrounding the home of his girlfriend, until he spent the
night there. When he came out at dawn to defecate in the patio he was captured, squatting
down and with his weapon on the ground next to him. Some time later, he was executed
after a judicial process, and his skull is on display at the Museum of Sciences of the National
University. The interesting part is that it illustrates perfectly the theory of creation of myth
by Mircea Eliade: people know his legendary story, but they believe he was shot to death
while defecating. In the collective imaginary, the prosaic story is overshadowed by the
specta cular image, and no one believes now in the real and documented version. I gave the
story a further twist. The Tiger was the last bandit of the »Wild Mexico« and his execution
inaugurated the modern city, free of trigger-happy gunmen. In my image, his teenage son
kills him with his pants down and is then lovingly washed by the concubine. He has killed
him to take his place, a metaphor of the birth of modern Mexico.«
The tension recreated by Lezama in the magic circle of the four cha racters in this picture
is so intense, as in many other cases, that it is easy to forget that there is also an audience
depicted in the fringes of this re presentation: a choir, so to speak (as in many scenes by
Tiepolo, or even in The execution of Maximilian of Manet, in turn inspired by Goya’s 5th of
May), whose aesthetic and symbolic role is essential: to bear witness of the particular,
familiar and secret event (or even its offi cial version), in order to confer the historic and
mythological transcendence that makes it part of a tradition and a culture (as Jorge Luis
Borges well knew). In The visit, 2002, and already in The blue room, 2001, we are dealing
with a private ritual, against the background of the fl uorescent blue light of a motel (as in
Faun and witch, Fright night, and The new discovery of Pulque, all three from 2002 as
well, and maybe in The triumph of racial integration, and The drunks, both from 2001,
or in The family bath from 1999), yet there are almost always witnesses –an imperative for
every initiation and every sacrifi ce–. We have already seen that in Daniel Lezama’s world,
at once imaginary and hyperreal, this role is parallel and coexistent with the one played
by a woman that is a somewhat aggressive initiator herself, not unlike an avatar of the
muse-sorceress that is determined to carry along to its conclusion (but not without infi nite
tests) the poetic destiny of the artist (this is abundantly clear in, for example, The painting
Class, 2002, The dream of Juan Diego and Allegory of Guelatao, both from 2004, The plain
in fl ames, 2005, and The sowing, 2005). Likewise, the ‘adolescent-painter’ i.e., he whom is
in a quest for, or is a prisoner of, his artistic education is also present in the aforementioned
�
Daniel Lezama:
Der Triumph der Verschmelzung der Rassen
The triumph of the amalgamation of the races
2001
Oil on linen, 225 x 225 cm
Collection of the artist,
courtesy Galería Hilario Galguera
�
Édouard Manet:
Die Erschießung Kaiser Maximilians von
Mexico
The execution of emperor Maximilian
1868 – 69
Oil on canvas, 252 x 305 cm
Kunsthalle Mannheim
165
172 173
� Die große mexikanische Nacht
The big Mexican night
2005
Oil on linen, 240 x 300 cm
Colección Günther Rohde, Atlixco, Puebla
: Der blinde Adler
Blind eagle
2008
Oil on linen, 170 x 130 cm
Private Collection
Monterrey, Mexico
� Die Verkündigung
Annunciation
2008
Oil on linen, 170 x 130 cm
Colección Jan Hintze,
Ciudad de México
198 199