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K a trin G la tz e l E d ito ria l

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Ka<strong>trin</strong> G<strong>la</strong><strong>tz</strong>el Ed<strong>ito</strong><strong>ria</strong>l<br />

Transnationale Utopie? Internationalisierung in der Krise.<br />

Internationalisierung, Globalisierung, Transnationalisierung – kaum ein<br />

Phänomen hat in den vergangenen Jahren die Aufmerksamkeit derart auf<br />

sich gezogen, wie die zunehmende wirtschaftliche, politische und mediale<br />

Verflechtung der Welt. Gerade die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise ist<br />

ein eindrücklicher Beleg für die real erfahrbaren Auswirkungen dieser Verne<strong>tz</strong>ung.<br />

Internationale, globale oder transnationale Organisationen sind Treiber<br />

wie Getriebene dieser Entwicklungen. Vielen Organisationen gelingt immer<br />

wieder aufs Neue die unwahrscheinliche Leistung, ihre Entscheidungen<br />

über Raum-, Kultur- und Sprachgrenzen hinweg so zu koordinieren, dass ihr<br />

Überleben möglich wird – und andere scheitern an diesem Entwicklungsschritt.<br />

Diese Beobachtung ist für uns Grund genug, dem Thema Internationalisierung<br />

eine Ausgabe der Revue zu widmen. In die frühen Heftp<strong>la</strong>nungen<br />

hinein p<strong>la</strong><strong>tz</strong>te die bereits erwähnte weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise,<br />

die in ihrem Ausmaß, ihren Wirkungen und auch Chancen einzigartig ist.<br />

Unsere Beiträge fragen somit nicht nur nach den Ausprägungen internationaler<br />

Organisationen, sondern tun dies vor dem Hintergrund der gegenwärtigen<br />

wirtschaftlichen Gesamtsituation.<br />

So starten wir dann auch mit zwei Beiträgen, die die Hintergründe der aktuellen<br />

Krisensituation im Blick haben. Henry Min<strong>tz</strong>berg, der als Vordenker<br />

wie auch Enfant terrible der Managementgurus gilt, sieht die Verantwortung<br />

für die weltweite Finanzkrise in erster Linie beim Management und<br />

insbesondere in dessen Ausbildungskontext: den renommierten MBA-Kaderschmieden.<br />

Die italienische Soziologin Elena Espos<strong>ito</strong> entwickelt anhand des<br />

Beispiels der Finanzmärkte ihre (theoriegeleiteten) Ideen zum Umgang mit<br />

riskanten Risiken.<br />

Die Harvard-Professoren Christopher A. Bartlett und Sumantra Ghoshal<br />

haben die Auseinanderse<strong>tz</strong>ung mit dem Management und der Organisation<br />

internationaler Unternehmen maßgeblich geprägt. Wir drucken das zentrale<br />

Kapitel ihres Bestsellers Managing Across Borders – The Transnational Solution<br />

im Original noch einmal ab. Auf Basis einer empirischen Studie in international<br />

agierenden Organisationen entwickeln die Autoren ihr (Ideal-) Modell<br />

der transnationalen Organisation. Im Anschluss reflektiert Christopher A.<br />

Bartlett im Interview mit Rob Wiechern aus heutiger Perspektive die For-<br />

schungen zum transnationalen Unternehmensmodell. Reinhart Nagel und<br />

Thomas Schumacher knüpfen mit ihrem Beitrag The World is Not F<strong>la</strong>t hieran an<br />

und beschreiben Organisations- wie Führungsimplikationen international<br />

tätiger Unternehmen.<br />

Wie ist es um die Internationalität deutscher Unternehmen bestellt? Rob<br />

Wiechern und Torsten Groth geben einen Denkanstoß und liefern uns auf<br />

einer Doppelseite ein deutliches »Bild« deutscher Vorstandsetagen.<br />

Vom börsennotierten Großkonzern begeben wir uns in die Welt familiär<br />

geprägter Unternehmen. Leonie Ma<strong>ria</strong> Koenen stellt am Beispiel großer<br />

Ed<strong>ito</strong><strong>ria</strong>l 3 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Familienunternehmen Überlegungen an, welche Ressourcen die Eigentümerfamilien<br />

für die internationale Aufstellung der Unternehmen bieten können.<br />

Interviewt von Torsten Groth ergänzt Helmut Kostal diese Überlegungen und<br />

gibt Einblick in die Internationalisierungserfahrungen eines Automobilzulieferers.<br />

Einen weiteren heftinternen Schwerpunkt widmen wir dem Thema der<br />

interkulturellen Kommunikation. Den Auftakt hierzu bildet ein Gespräch,<br />

das Gerhard P. Krejci in Granada mit dem Gründer des Intercultural Communication<br />

Institutes, Milton J. Bennett, führte. Während der anschließende<br />

Beitrag von Auer-Welsbach et al. die Ergebnisse einer Befragung der Mitglieder<br />

internationaler Managementteams schildert, geht es in dem Beitrag von<br />

Stefan Strohschneider um eine Simu<strong>la</strong>tion – aber um was für eine!<br />

Es folgen drei Beiträge, die sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln der<br />

Frage nach der Globalität der Gesellschaft widmen. Boris Holzer stellt fest,<br />

dass es die »eine« Welt heute nicht geben kann, und macht Vorschläge dazu,<br />

wie wir mit der Überforderung an Möglichkeiten umgehen können. Stefan<br />

Kühl schildert die Expansion von Organisationen in der Weltgesellschaft<br />

anhand der Metapher der Kontaktinfektion – in Zeiten der Grippe ist dieses<br />

Bild mehr als selbsterklärend. Stefan Jung und Stefan Friedrichs schließlich<br />

beschäftigt die Frage, was auf internationaler Ebene getan wird, um eine bessere<br />

Welt möglich zu machen.<br />

Jekaterina Anzupowa nimmt Phänomene der Globalisierung als Performance-Künstlerin<br />

in den Blick und begibt sich auf die Spuren eines Erdbeerjoghurts.<br />

Das Projekt in Bildern sowie dessen Reflexion gemeinsam mit Fri<strong>tz</strong><br />

B. Simon finden Sie auf den Seiten 60 ff.<br />

Die Theatermacher Nele Hertling und Stefan Schmidtke <strong>la</strong>ssen sich von<br />

Eva Kiefer zu einem Gespräch über Möglichkeiten und Grenzen internationaler<br />

Theaterarbeit inspirieren. Wie ein deutscher Modemacher zum Kaiser von<br />

Frankreich werden konnte, schildert uns schließlich Marie Ganier-Raymond.<br />

Nicht fehlen dürfen selbstverständlich die bewährten Kolumnen von Dirk<br />

Baecker, Birger P. Priddat und Fri<strong>tz</strong> B. Simon. Darüber hinaus haben auch die-<br />

ses Mal wieder vier AutorInnen für uns gelesen bzw. Trainingsmate<strong>ria</strong>lien<br />

getestet. Das Resultat können sie »hören und sehen«.<br />

»Wer Schwarz sieht, sieht nicht schwarz, sondern lässt sich auf die Logik des<br />

Unterscheidens ein. Er sucht im Wirklichen das Mögliche und geht an die<br />

Arbeit.« Dirk Rustemeyer<br />

Der Titel sowie die künstlerischen Arbeiten im Heftinnern wurden von<br />

Dirk Hupe gestaltet. Dirk Hupe liefert uns mit einer Serie mehr oder minder<br />

schwarzer Arbeiten viel Raum für Projektionen. Wir bieten Ihnen gleich zwei<br />

mögliche Interpretationen – lesen Sie selbst, wie Dirk Baecker und Dirk<br />

Rustemeyer das »Nichts« mit Inhalt füllen.<br />

Expliziter Dank gebührt Rob Wiechern und Hel<strong>la</strong> Kotrubczik für die durchgängige<br />

Unterstü<strong>tz</strong>ung in der Konzeption und Finalisierung dieses Heftes.<br />

Ich wünsche Ihnen im Namen der Redaktion viel Spaß und womöglich<br />

einige spektakuläre Ideen bei der Lektüre.<br />

Ihre Ka<strong>trin</strong> G<strong>la</strong><strong>tz</strong>el<br />

Ed<strong>ito</strong><strong>ria</strong>l 4 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

Redaktionsteam: (von oben nach unten) Torsten Groth, Dirk Baecker, Ka<strong>trin</strong> G<strong>la</strong><strong>tz</strong>el, Andreas Szankay, Fri<strong>tz</strong> B. Simon, Rudolf Wimmer. Illustration: Clemens Habicht, www.clemenshabicht.com


Inhalt<br />

3 Ed<strong>ito</strong><strong>ria</strong>l von Ka<strong>trin</strong> G<strong>la</strong><strong>tz</strong>el<br />

6 Henry Min<strong>tz</strong>berg<br />

America’s Monumental Failure of Management<br />

10 Featured Artist<br />

Dirk Hupe<br />

16 Elena Espos<strong>ito</strong><br />

Riskante Risiken<br />

22 Christopher A. Bartlett, Sumantra Ghoshal<br />

The Transnational: The Emerging Organization Model<br />

32 Christopher A. Bartlett im Interview<br />

The Transnational Solution<br />

38 Reinhart Nagel, Thomas Schumacher<br />

The World is Not F<strong>la</strong>t<br />

48 Rob Wiechern, Torsten Groth<br />

Transnationale Utopie?<br />

50 Leonie Ma<strong>ria</strong> Koenen<br />

Von Großfamilien und internationalen Unternehmensgruppen<br />

56 Helmut Kostal im Interview<br />

Wir haben nie eine riesige Investition auf der grünen Wiese gemacht<br />

60 Jekaterina Anzupowa<br />

Erdbeerjoghurt 150 g – Reiseperformance in zwei Teilen<br />

62 Fri<strong>tz</strong> B. Simon im Interview<br />

Realitätskonstruktion per Fruchtjoghurt<br />

65 Stefan Strohschneider<br />

Zur See! – Teamtraining mit der MS ANTWERPEN<br />

68 Milton J. Bennett im Interview<br />

Working with Culture: From Observation to Competence<br />

74 C<strong>la</strong>udia Auer-Welsbach, Matthias Lang, Ka<strong>trin</strong> Wulf, Margit Gietler<br />

Internationales Managementteam?<br />

80 Boris Holzer<br />

Orbis (non) sufficit: Wie global ist die Weltgesellschaft?<br />

86 Stefan Kühl<br />

Von Filial- zu Kontaktgründungen<br />

92 Stefan Friedrichs, Stefan Jung<br />

Das Unmögliche wird eine Weile dauern<br />

98 Eva Kiefer im Gespräch mit Nele Hertling und Stefan Schmidtke<br />

… zu Aspekten des Internationalen im Theater<br />

106 Wozu Wirtschaft? Transnationale Utopie von Birger P. Priddat<br />

108 Management für Fortgeschrittene Krisenkultur von Dirk Baecker<br />

112 Hollywood Lost in Trans<strong>la</strong>tion von Fri<strong>tz</strong> B. Simon<br />

116 Marie Ganier-Raymond<br />

Der Kaiser in Frankreich<br />

122 Hören & Sehen<br />

129 Leserrevue<br />

130 Überblick, Bestellservice, Impressum<br />

Inhalt 5 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Henry Min<strong>tz</strong>berg, Prof., is Cleghorn Professor of Management Studies at McGill University in Montreal.<br />

Throughout his life Henry Min<strong>tz</strong>berg has devoted himself to writing and research about manage<strong>ria</strong>l work, strategy<br />

formation, and forms of organizing. He is one of the world's most influential teachers of business strategy.<br />

Henry Min<strong>tz</strong>berg<br />

America’s Monumental Failure of Management*<br />

»If you always do as you always did, you will always get what<br />

you always got.« So goes an old saying. And so goes the American<br />

economy.<br />

The problem has become the solution. Americans are<br />

now getting from their government what they got from<br />

their corporations. The automobile companies are col<strong>la</strong>psing<br />

because of their short-term perspectives and so<br />

the government has provided one bailout projected to<br />

<strong>la</strong>st a few weeks, and here comes another.<br />

We call this a financial crisis or an economic one, but<br />

at the core it is a crisis of management. To understand<br />

this, consider the mortgage debacle.<br />

How could these mortgages have come to exist in the<br />

first p<strong>la</strong>ce and, worse, how could they have spread to so<br />

many of the bluest of blue-chip financial institutions?<br />

The answers seem readily apparent. Those who promoted<br />

these mortgages were intent on driving up sales as<br />

quickly as possible for the benefit of their own bonuses,<br />

the ultimate consequences be damned. In fact, they sold<br />

off these mortgages as quickly as possible.<br />

But how could any serious financial institution have<br />

bought this junk – or, more to the point, tolerated a culture<br />

of people too <strong>la</strong>zy or disinterested to realize it was<br />

junk? That, too, is simple: these companies were not<br />

being managed. They were being »led« – heroically, no<br />

doubt – for short-term spectacu<strong>la</strong>r performance. The executives<br />

didn’t know, and the employees didn’t care.<br />

What we have here is a monumental failure of management.<br />

American management is still revered across<br />

much of the globe for what it used to be. Now, a great<br />

deal of it is just p<strong>la</strong>in rotten – detached and hubristic.<br />

Instead of rolling up their sleeves and getting engaged,<br />

too many CEOs sit in their offices and deem: they pronounce<br />

targets for others to meet, or else get fired.<br />

»Cash for Trash«<br />

And the new U.S. administration? It rushes in with dramatic<br />

actions, paying out »cash for trash,« deeming the<br />

movement of massive amounts of money around the<br />

economy, much of it to prop up dying businesses in the<br />

short run. More quick fixes for an economy brought<br />

down by quick fixes.<br />

The problem has been evident for a long time. Executive<br />

compensation, the most evident manifestation of<br />

America’s Monumental Failure of Management 6 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Every decade, American business<br />

schools have been graduating<br />

more than a million MBAs, most of<br />

whom believe that, because they<br />

sat still for a couple of years, they<br />

are ready to manage anything.<br />

In fact, they have been prepared<br />

to manage nothing.<br />

this legal corruption of management, was <strong>la</strong>belled scandalous<br />

by Fortune magazine more than twenty years<br />

ago, and repeatedly ever since, to no avail. While America<br />

esca<strong>la</strong>ted its love affair with leadership, its corporate<br />

leaders singled themselves out for increasingly obscene<br />

pay packages, all the while extolling the virtues of teamwork<br />

and sustainable enterprise.<br />

Alongside this came all that »downsizing«: fail to<br />

make the targets, no matter how profitable the company<br />

remained, and out the door went thousands of employees,<br />

those »human resources.« So conveniently called, in<br />

fact, because while managers have to be careful about<br />

human beings, they can dispose of human resources like<br />

any other resources.<br />

But at what cost? Rather high, because these people<br />

carried out much of the critical knowledge of their companies,<br />

as well as those companies’ hearts and souls. A<br />

robust enterprise is a community of human beings, not<br />

a collection of human resources.<br />

We have been told how productive the American<br />

economy has been. Well, check the way productivity is<br />

calcu<strong>la</strong>ted: firing great numbers of people, and expecting<br />

those left behind to carry the load before they burn<br />

out, is productive, indeed – until the longer-term consequences<br />

show up. They have been partly showing up in<br />

the massive U.S. trade deficits. The U.S. economy is col<strong>la</strong>psing<br />

because the American enterprises – and worse<br />

still, the country’s legendary sense of enterprise – have<br />

been col<strong>la</strong>psing.<br />

To get bailed out yet again, the auto companies have<br />

to offer p<strong>la</strong>ns. No problem: American companies specialize<br />

in making p<strong>la</strong>ns. It’s the execution that’s been the<br />

problem. (Remember those grand auto shows, with all<br />

...........<br />

their exotic cars that never made it to market? That was<br />

»p<strong>la</strong>nned obsolescence.«) These companies couldn’t succeed<br />

by doing, so how are they supposed to succeed by<br />

p<strong>la</strong>nning? The only thing we know for certain is that<br />

these p<strong>la</strong>ns will result in many more <strong>la</strong>yoffs. That’s some<br />

way to fix an economy.<br />

What we have is a government that palliates: it provides<br />

ge<strong>ria</strong>tric medicine to its oldest, sickest enterprises<br />

in a country that requires pediatric and obstetric medicine<br />

for its young and vibrant enterprises, the ones that<br />

create the jobs, not eliminate them.<br />

We hear now about »too big to fail.« »Too big to succeed«<br />

is more like it. General Motors has been going<br />

slowly and painfully bankrupt for decades, manage<strong>ria</strong>lly<br />

as well as financially. The new money will only put<br />

off its demise. Americans will have to face this reality<br />

sooner or <strong>la</strong>ter.<br />

From where I sit, management education appears to<br />

be a significant part of this problem. For years, the business<br />

schools have been promoting an excessively analytical,<br />

detached style of management that has been dragging<br />

down organizations.<br />

Every decade, American business schools have been<br />

graduating more than a million MBAs, most of whom<br />

believe that, because they sat still for a couple of years,<br />

they are ready to manage anything. In fact, they have<br />

been prepared to manage nothing.<br />

Hubris on a massive scale<br />

Management is a practice, learned in context. No man-<br />

ager, let alone leader, has ever been created in a c<strong>la</strong>ss-<br />

room. Programs that c<strong>la</strong>im to do so promote hubris<br />

instead. And that has been carried from the business<br />

schools into corporate America on a massive scale.<br />

Harvard Business School, according to its MBA website,<br />

is »focused on one purpose – developing leaders.« At<br />

Harvard, you become such a leader by reading hundreds<br />

of brief case studies, each the day before you or your colleagues<br />

are called on to pronounce on what that company<br />

should do. Yesterday, you knew nothing about Acme<br />

Inc.; today, you’re pretending to decide its future. What<br />

kind of leader does that create?<br />

* Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.<br />

Erschienen in »The Globe and Mail«, Kanada, 16.3.2009<br />

America’s Monumental Failure of Management 7 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Harvard prides itself on how many of its graduates make<br />

it to the executive suites. Learning how to present arguments<br />

in a c<strong>la</strong>ssroom certainly helps. But how do these<br />

people perform once they get to those suites? Harvard<br />

does not ask. So we took a look.<br />

Joseph Lampel and I found a list of Harvard Business<br />

School superstars, published in a 1990 book by a long-<br />

term insider. We tracked the performance of the nineteen<br />

corporate chief executives on that list, many of<br />

them famous, across more than a decade. Ten were outright<br />

failures (the company went bankrupt, the CEO was<br />

fired, a major merger backfired, etc.); another four had<br />

questionable records at best. Five out of the nineteen<br />

seemed to do fine. These figures, limited as they were,<br />

sounded pretty damning. (When we published our results,<br />

there was nary a peep. No one really cared.)<br />

How much discussion has there been at Harvard<br />

about the role it might have p<strong>la</strong>yed in forming the<br />

management styles of graduates who, over the past eight<br />

years, have been running America and what used to be<br />

its <strong>la</strong>rgest company? The school is now reviewing its<br />

MBA program, but the dean has made it clear that ques-<br />

tioning the case-study method will not be on the agenda.<br />

In this, we have America’s problem in a nutshell: the<br />

utter absence of collective introspection, whether it be<br />

the current crisis, the re<strong>la</strong>tionship between the Vietnam<br />

and Iraq debacles, even what might have contributed to<br />

9/11, as well as the way it has been compensating and<br />

educating its corporate »leaders.« The country seems<br />

incapable of learning from its own mistakes.<br />

Our p<strong>la</strong>net is becoming as sick as<br />

many of these corporations, yet<br />

we are being implored to get back<br />

to consumption.<br />

Put differently, the U. S. appears to be in social gridlock.<br />

Thanks to vested interests and their powerful lobbyists,<br />

as well as an economic, individualistic dogma that has<br />

been embraced so thoughtlessly, it is business as usual in<br />

America. And beyond: our p<strong>la</strong>net is becoming as sick as<br />

many of these corporations, yet we are being implored to<br />

get back to consumption. Fix the problem now; continue<br />

to forget about the future. Except this time, we may be<br />

consuming ourselves.<br />

No country in the world has been more admired for<br />

its capacity to change, to learn with the times. This re-<br />

mains true of technological change; but, on the social<br />

front, America seems incapable of changing.<br />

Will Barack Obama be able to change that? I hope so. I<br />

fear not. A huge infusion of money may merely stave off<br />

the financial crisis while the management crisis continues<br />

to fester, masked by this very money. The dean at<br />

Harvard said recently that »we must be involved … in<br />

fixing the problem.« The U.S. government thinks likewise.<br />

How are the perpetrators of this mess supposed to<br />

get us out of it? Maybe the rest of the world will have to<br />

wake up, finally, to the realization that continuing to follow<br />

America’s lead may be the worst possible strategy. Do<br />

we really need to continue to get what we already have?<br />

¶<br />

.........<br />

America’s Monumental Failure of Management 8 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

dirk hupe, 2009. Werk-Nr. 0074_2008: o.T., Text-, Wortfragmente (...), Druck-,Acryl- und Dispersionsfarbe, Lack, U-Profile, Rohspanp<strong>la</strong>tte, 103 x 80,3 x 8,5 cm; Hintergrundabbildung Fotoarbeit, 2008


Dirk Hupe, Studium der Philosophie, Germanistik in Düsseldorf, Kommunikationsdesign Folkwang Essen,<br />

Hoogeschool voor de Kunsten, Ateliers Arnhem zahlreiche Stipendien, Kunstpreise, Lehraufträge und<br />

Ausstellungen in Museen, Kunstvereinen sowie Galerien. Weitere Informationen unter www.dirk-hupe.de<br />

Dirk Baecker leitet seit Herbst 2007 den Lehrstuhl für Kulturtheorie und -analyse an der Zeppelin University<br />

in Friedrichshafen am Bodensee. Zuvor war er Professor für Soziologie an der Universität Witten/Herdecke.<br />

Dirk Baecker<br />

Nichts: Eine Anmerkung zu den Bildern von Dirk Hupe<br />

x 10<br />

Langsam, aber sicher löst sich die Gesellschaft aus einer Fixierung auf die<br />

Sache und deren Rationalität, die der Moderne seit der Aufklärung ihre<br />

Ordnung und deren Durcheinander diktiert hat. Sogar der Mensch wurde<br />

erst vom Humanismus, dann von der Anthropologie als eine Sache behandelt,<br />

die sich von allen anderen Sachen dadurch unterscheidet, dass ihr<br />

Vernunft eignet. Weder die Zeit noch das Soziale konnten sich gegen diese<br />

Sachordnung der Vernunft behaupten. Die Zeit wurde darauf reduziert,<br />

einen Begriff für den Fortschritt (die Tendenz) und seine Störung (das<br />

ic<br />

Ereignis) berei<strong>tz</strong>ustellen, konturiert durch die Gegentendenz der Dekadenz<br />

und die kreative Auseinanderse<strong>tz</strong>ung mit ihr, das Soziale darauf, die Ein-<br />

sichtigen von den Begriffsstu<strong>tz</strong>igen zu unterscheiden und für beide Karrieren,<br />

sei es des Erfolgs, sei es des Misserfolgs, vorzusehen.<br />

Die Einführung des Computers und seiner Derivate macht es unvermeidbar,<br />

das Ende der durch die Einführung des Buchdrucks gekennzeichneten<br />

Gutenberg-Ga<strong>la</strong>xis zur Kenntnis zu nehmen, das Marshall McLuhan hellsichtig<br />

bereits auf die Einführung der Elektrizität datiert hat. Die instanta-<br />

nen Verknüpfungen, die die mit Lichtgeschwindigkeit operierende Elektri-<br />

zität ermöglicht, spotten jeder vernünftigen Sachordnung, die allenfalls<br />

dazu noch taugt, den allfälligen Kurzschluss zu verzögern. Die Ordnung der<br />

Instantaneität, die je<strong>tz</strong>t erforderlich wird und die zunächst vom Schnitt der<br />

bewegten Bilder in Film und Fernsehen und später von schnellen Rechnern,<br />

umfangreichen Datenspeichern und ebenso verdichteten wie verteilten Ne<strong>tz</strong>werken<br />

übernommen wird, erfordert andere Zugriffe als jene, die wir von<br />

den Katalogen der Bibliotheken, den Inhaltsverzeichnissen der Bücher und<br />

den Gliederungen unserer Argumente her gewohnt sind.<br />

Nik<strong>la</strong>s Luhmann hat dafür plädiert, neben der Sachdimension auch eine<br />

Zeitdimension und eine Sozialdimension als eigenständige Dimensionen des<br />

Sinns zu berücksichtigen und somit von einer Weltunordnung auszugehen,<br />

in der das Ding, das Ereignis und die Perspektive je eigene Ansa<strong>tz</strong>punkte<br />

für ein Verständnis des aktuellen Geschehens bieten. Damit steigt die<br />

Komplexität des Zugriffs auf die Welt nicht nur um den Faktor 3, sondern um<br />

den Faktor 6, wenn man nicht nur die zusä<strong>tz</strong>lichen Dimensionen, sondern<br />

auch deren unterschiedlichen Kombinationen untereinander berücksichtigt.<br />

Wir gehen nicht nur von einer Sachlogik der Welt, sondern von einer Sach-<br />

logik, einer Zeitlogik und einer Soziallogik sowie von unterschiedlichen<br />

Allianzen und Widersprüchen zwischen diesen Logiken aus. Die Sachlogik<br />

postuliert die Vernunft und kontrolliert die Unvernunft der Dinge. Die Zeit-<br />

logik postuliert die Irreversibilität und kontrolliert die Reversibilität der<br />

Ereignisse. Und die Soziallogik postuliert Konsenschancen zwischen unter-<br />

hts<br />

schiedlichen Beobachterperspektiven und kontrolliert ihren Dissens. Das<br />

Postu<strong>la</strong>t kann jeweils normativ ausgelegt werden, die Kontrolle operiert<br />

empirisch und pragmatisch. Die Kontrolle fängt wieder ein, und dies nicht<br />

selten im Rückgriff auf eine der beiden anderen oder auch auf beide<br />

Dimensionen, was andernfalls aus dem Ruder läuft. Eine Re<strong>la</strong>tivitätstheorie<br />

ist das Mindeste, was wir zur Bewältigung dieser Zuordnungsmöglichkeiten<br />

benötigen.<br />

Nichts: Eine Anmerkung zu den Bildern von Dirk Hupe Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

dirk hupe. Werk-Nr. 0043_2008_F; o.T., Text-, Wortfragmente (...), Fotoprint (1/5), ungerahmt 72,5 x 52,7 x 3,0 cm, 2008


Aber wir gehen hier, angeregt durch die Reihe »Schwarze Bilder« von Dirk<br />

k<br />

Hupe, nur einer einzigen, allerdings zentralen Konsequenz dieses Abschieds<br />

von der Dominanz der Sachordnung zur Gleichgewichtung der Sachordnung<br />

mit einer Zeit- und einer Sozialordnung nach. Wir wollen wissen, was aus<br />

dem Nichts wird, wenn es nicht mehr nur einfach als Negativ des Seins gelten<br />

kann, sondern in eine möglicherweise auch positive Re<strong>la</strong>tion mit einer<br />

Ordnung der Ereignisse und einer Ordnung der Perspektiven gerät.<br />

So wenig wie sich die Malerei je damit begnügen konnte, die Schwärze als<br />

Abwesenheit aller Farben zu definieren, so wenig hat auch die Philosophie<br />

ihrer eigenen Auskunft getraut, dass das Nichts nicht in ihren Erkenntnisbereich<br />

fällt, da sie als Ontologie eine Lehre vom Seienden, nicht vom Nicht-<br />

Seienden ist. Aristoteles diente das Nichts auf die denkbar strengste ontologische<br />

Weise als eine Kategorie, deren negative (»leere«, der Magie keinerlei<br />

Raum mehr <strong>la</strong>ssende) Referenz es im Umkehrschluss ermöglicht, einen ma-<br />

om<br />

teriell und somit kausal auch dort gefüllten Raum zu postulieren, wo nichts<br />

zu sehen ist. Doch spätestens für Hegel und Heidegger gewinnt dieses Nichts<br />

einen seinerseits positiven Charakter, da es das Werden, den Übergang vom<br />

Sein zum Nichts, und das Dasein als prinzipiell begrenztes und somit prinzipiell<br />

ergänzungsbedürftiges, vom Nichts sich abstoßendes Seiendes zu denken<br />

er<strong>la</strong>ubt. Schelling, theologisch abgesichert, denkt dasselbe Nichts als<br />

einen »finsteren Grund«, ein Gottesgeschenk, in dem alle menschliche (weil<br />

kreatürliche) Freiheit wurzelt, da sie aus ihm ihre eigene Wirklichkeit gewinnt.<br />

Erst Günther jedoch zieht daraus und mit Verweis auf Schelling die<br />

den europäischen Kanon überwindende Konsequenz, dass die Philosophie,<br />

die sich bisher nur darum bemüht hat, Positivsprachen zu entwickeln, die<br />

das Seiende in seiner Vielfalt zu beschreiben vermögen, auch Negativspra-<br />

chen entwickeln müsse, um beschreiben zu können, was es neben dem Den-<br />

ken mit dem Willen auf sich hat.<br />

In dieser ebenso selbstreferenziell wie differenziert konzipierten Welt erhält<br />

das Nichts als Leerstelle einen positiven Wert, der darin besteht, dass die<br />

Leerstelle neu beschrieben werden kann. Gleichzeitig behält das Nichts seinen<br />

negativen Wert, denn es er<strong>la</strong>ubt, jede Stelle als eine Stelle zu beschreiben,<br />

die in eine Leerstelle verwandelt werden kann, wenn es gelingt, ihren<br />

Inhalt durch eine Rekontextualisierung zu löschen. Das ist wie der En<strong>tz</strong>ug<br />

von Farbe, der allerdings auch nur als eine positive Operation, als Aktion<br />

eines Beobachters verstanden werden kann, weil er sonst nicht vorkäme.<br />

x<br />

for<br />

Deshalb ist die B<strong>la</strong>ckbox als heuristische Figur der Kybernetiker in der Auseinanderse<strong>tz</strong>ung<br />

mit einer komplexen Welt nicht etwa der Grund dafür, alle<br />

Hoffnung fahren zu <strong>la</strong>ssen, sondern der Ausgangspunkt für eine Auseinanderse<strong>tz</strong>ung<br />

des Beobachters mit seiner aktiven Rolle in der von ihm erlebten<br />

und erhandelten Welt. Inside every white box there are two b<strong>la</strong>ck boxes trying to get<br />

out, sagt Ranulph G<strong>la</strong>nville. Aus ökologischen Gründen wollen und müssen<br />

wir heute in der Lage sein, jede unserer Praktiken als eine Problemlösung zu<br />

betrachten, die unter Umständen mehr Probleme schafft, als sie löst. Dazu<br />

muss jedes gelungene Etwas in ein rätselhaftes Nichts, jede Whitebox in eine<br />

B<strong>la</strong>ckbox verwandelt werden können. »Kultur« heißt für uns, uns in diesen<br />

Nichts: Eine Anmerkung zu den Bildern von Dirk Hupe 12 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Dirk Rustemeyer lehrt Philosophie an der Universität Witten/Herdecke und Bildungsphilosophie an der<br />

Universität Trier. Arbeitsschwerpunkte: Kulturphilosophie, Semiotik, Theorie des Wissens und der Gesellschaft.<br />

Dirk Rustemeyer Schwarzsehen<br />

ation<br />

Prozess und in diese Politik mit hineinziehen zu <strong>la</strong>ssen, das heißt, mit dem<br />

Etwas, das für einen Moment als Nichts gese<strong>tz</strong>t wird, auch uns, den Beobachter,<br />

sich unbekannt werden zu <strong>la</strong>ssen. Nur so können die Kontexte, Zeithorizonte<br />

und Perspektiven neu aufgerufen, neu gemischt und anders als<br />

zuvor erprobt werden.<br />

Schwarze Bilder sind Bilder, die ihren Betrachter wiederentdecken <strong>la</strong>ssen,<br />

dass sehen ein Tätigkeitswort und kein Untätigkeitswort ist. Sie verwandeln<br />

uns in aktive Beobachter unserer Welt. Davon profitiert auch der Künstler.<br />

Denn nur unter der Vorausse<strong>tz</strong>ung, dass auch er als aktiver, sich aus seiner<br />

Welt seine Welt erschaffender Künstler wahrgenommen wird, kann seine<br />

Kunst angemessen gewürdigt werden. ¶<br />

un<br />

der<br />

Schwarzsehen gilt als die möglichkeitsärmste Art zu sehen. Wer schwarz-<br />

sieht, sieht nicht einmal, dass er nichts sieht, sieht er doch auch kein<br />

Schwarz. Für ihn existieren keine Möglichkeiten mehr, die etwas unterscheidbar<br />

und damit entscheidbar machen. Um Flexibilität zurückzugewinnen,<br />

muss die Unterscheidungsform sichtbar werden, die Alternativen ausoder<br />

einschließt. Wie aber wird eine Form »sichtbar«? Was muss geschehen,<br />

damit Formen in Wahrnehmungs- und Kommunikationsprozessen als Formen<br />

Unterschiede machen und Sinn, also Verweisungsreichtum, anse<strong>tz</strong>en<br />

können? Diese Frage stellt sich für die Philosophie der Form und die Semiotik<br />

der Kultur ebenso wie für das Management in Organisationen. Kunstwerke<br />

können hierfür Hinweise liefern, weil sie mit der Logik der Formen auf der<br />

Ebene der Wahrnehmung operieren und Wahrnehmungsdifferenzen kommunizieren.<br />

Im Falle von Dirk Hupes Serie schwarzer Arbeiten, die seine Erforschung<br />

fel<br />

des Verhältnisses von Schrift und Bild um den Aspekt von Zeichen und<br />

Mate<strong>ria</strong>lität, Form und Grund ergänzen, sieht der Betrachter nicht schwarz,<br />

sondern Schwarz. Dieses Schwarz ist ein Konkretes, das die Wahrnehmung<br />

fasziniert und einen maximalen Unterschied zu seinem Kontext macht, weil<br />

es interne Unterscheidungen auf den ersten Blick minimiert. Bevor das<br />

Schwarze sich dann differenziert und ein Maximum an Unterschieden aus<br />

minimalen Unterscheidungen generiert, markiert es einen Kontrast zu seinem<br />

Hintergrund. Die Außenseite der Form wird demonstrativ ausgeschlossen,<br />

um die Innenseite als Umkehrung der Außenseite weiterzubestimmen.<br />

Dabei ruft das Bild als sichtbarer Unterschied Reihen anderer Unterschei-<br />

men<br />

dungen auf – beispielsweise die Tradition schwarzer Bilder in der Malerei<br />

oder die Farbfeldmalerei. Das schwarze Bild zu sehen heißt sogleich, seinen<br />

Kontext mi<strong>tz</strong>usehen, den es einschließt, indem es einen Unterschied vorschlägt,<br />

der zunächst in der Wahrnehmung auffällt. Sehen ist Vollzug von<br />

Sinn, und wer wahrnimmt, erzeugt Verweisungsne<strong>tz</strong>e, die Nichtsichtbares<br />

einbeziehen. Der Unterschied, den die sichtbare Form in der Gegenwart der<br />

Schwarzsehen 13 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Wahrnehmung macht, ist die Möglichkeit der Simultaneität der Verweisung<br />

auf andere Unterscheidungen.<br />

Was sieht ein Betrachter, wenn er Schwarz sieht? Stellt ein schwarzes Bild<br />

etwas dar? Stellt es, wenn es keinen Gegenstand zeigt, Schwarz dar? Oder ein<br />

Bild? Vollzieht es eine Unterscheidung im Kommunikationsfeld der Malerei,<br />

nach der dieses Feld – man denke an Malewitschs »Schwarzes Quadrat« –<br />

nicht mehr dasselbe Feld ist, indem es das Schwarz wiederholt, zitiert und<br />

operativ in neue Bildserien transformiert? Offensichtlich führt die Frage<br />

in eine Sackgasse, wenn sie auf der Grund<strong>la</strong>ge eines Modells der Repräsen-<br />

tation formuliert wird. Dies wird sofort k<strong>la</strong>r, wenn wir uns schwarzen<br />

Bildern gegenübersehen. Sie geben sich so selbstverständlich als Bilder zu<br />

erkennen, wie sie ein Modell der Repräsentation durchkreuzen und nicht<br />

in Kommunikation aufgehen. Unmittelbar springen diese Bilder als markante<br />

Zeichen in die Wahrnehmung. Wirksamkeit entfalten sie gerade<br />

durch den scheinbaren En<strong>tz</strong>ug von Referenz. Schwarze Bilder ver<strong>la</strong>ngen nach<br />

Kommunikation, weil sie intelligible Differenzierungen in der Wahrnehmung<br />

provozieren. Sie fordern den Willen zum Sehen heraus, der ein Wille<br />

zum Etwas-Sehen ist, und rufen andere Bilder ins Gedächtnis, die sie doch<br />

keineswegs »repräsentieren«. Der Unterschied, den schwarze Bilder als mate<strong>ria</strong>le<br />

wie als formale Unterscheidungen machen, wird unmittelbar als En<strong>tz</strong>ug<br />

einer Sehintention spürbar. Dieser En<strong>tz</strong>ug treibt die Wahrnehmung in<br />

eine Reflexion, die im konkret Unsichtbaren bereits Gesehenes evoziert. Der<br />

Unterschied des Schwarzen ist eine Unterscheidung, die nicht nur als Verbindung,<br />

sondern zugleich als Trennung auffällt. Schwarze Bilder trennen<br />

und verbinden Sichtbares und Unsichtbares, Sinnliches und Intelligibles,<br />

Wahrnehmung und Kommunikation. Ihre Wahrnehmung ist eine<br />

Beobachtung, die in die Reflexion des Beobachtens umschlägt, gerade wenn<br />

sie sich der Konkretion des Sichtbaren überlässt. Die Operation des Unterscheidens<br />

führt als sinnlicher Vorgang so auf sich selbst zurück, dass er als<br />

Form verallgemeinerbar und kommunikativ anschlussfähig wird. Für eine<br />

Theorie der Form des Unterscheidens und der Funktion der Zeichen ist dies<br />

folgenreich, macht es doch darauf aufmerksam, dass im Zentrum des Bestimmens<br />

– der Welt – die Trennung wohnt.<br />

Sehen und Denken verknüpfen sich rekursiv. Dirk Hupes Arbeiten irri-<br />

tieren die Vorstellung von Erkenntnis. Eine binäre Logik behandelt die<br />

Unterscheidung als zweitrangig gegenüber dem Unterschiedenen. Das ausgeschlossene<br />

Dritte, die Form als Form und Prozess, bleibt verdeckt. Weil die<br />

abendländische Philosophie aber von der Idee einer Form fasziniert war, die<br />

selbst von allen Inhalten unterschieden, von Sinnlichkeit nicht affiziert und<br />

als reine Form beobachtbar wäre, entfaltete sie die Theorie der Unterscheidung<br />

als Theorie des Denkens und die Theorie des Denkens als Theorie der<br />

Logik. Gegenüber diesen reinen Formen wurden inhaltliche und mate<strong>ria</strong>le<br />

Bestimmungen ebenso abgeblendet wie die Sinnlichkeit der Wahrnehmung<br />

Werk-Nr.<br />

und die symbolische Struktur der Unterscheidungen, mit denen diese Sinnliches<br />

replizierbar markieren – und auf diese Weise denkbar werden <strong>la</strong>ssen. hupe.<br />

Der Preis dafür besteht in einer Unflexibilität, die Verweisungsstruktur von dirk<br />

Schwarzsehen 14 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

0060_2008, o.T., Text-, Wortfragmente (...), Druck-,Acryl- Und Dispersionsfarbe, U-Profile, Rigips, 51 x 77 x 9,5 cm, 2009


Sinn operativ auszunu<strong>tz</strong>en, kann doch die Unterscheidung dieser Unter-<br />

scheidung nur noch als Paradox dargestellt werden, das es nicht zu entfalten,<br />

sondern auszuschließen gilt. Möglichkeitsreichere Unterscheidungs-<br />

ordnungen, die mit mehr als zwei Werten arbeiten und zirkulierende<br />

Beobachterpositionen sowie simultane Unterscheidungsformen akzeptieren,<br />

galten <strong>la</strong>nge als Bedrohung epistemischer Repräsentationen der Welt, als<br />

Sabotage von Rationalität statt als Gewinn von Möglichkeiten.<br />

Dirk Hupes schwarze Bilder bedrohen als Unterscheidungsordnungen das<br />

Fundament dieser Logik und Ontologie. Sie realisieren im Feld der Malerei<br />

semiotische Möglichkeiten des Umgangs mit Formen, die als konkret sichtbare,<br />

symbolisch als Bild codierte, kulturell als Kunst akzeptierte und damit<br />

sozial zumutbare Unterscheidungen die zirkuläre Reflexion von Rationalität<br />

und Paradoxie, Form und Prozess, Sinnlichem und Intelligiblem, Wahrnehmung<br />

und Kommunikation, Konkretem und Abstraktem stimulieren, nu<strong>tz</strong>en<br />

und vorführen. Damit verse<strong>tz</strong>en sie in der Form der Malerei Ordnungen<br />

des Unterscheidens in einen Prozess reflexiven Beobachtens. Ein Manager<br />

mag solche Kunst unter dem Gesichtspunkt beobachten, wie Unterschei-<br />

dungsordnungen sichtbar und dadurch anschlussfähig werden können. Wie<br />

für den Künstler besteht die Aufgabe des Managers darin, sich in seinen<br />

Unterscheidungen so beobachtbar zu machen, dass seine Beobachter nicht<br />

schwarz, sondern Schwarz sehen. Denn wer Schwarz sieht, sieht nicht<br />

schwarz, sondern lässt sich auf die Logik des Unterscheidens ein. Er sucht im<br />

Wirklichen das Mögliche und geht an die Arbeit. ¶<br />

Schwarzsehen 15 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Elena Espos<strong>ito</strong> lehrt Kommunikationssoziologie an der Universität Reggio Emilia (Italien). Aktuelle Forschungsschwerpunkte<br />

sind: soziologische Medientheorie, Gedächtnisforschung sowie Soziologie der Finanzmärkte. Sie<br />

ist Vortragende im Rahmen der Veranstaltung X-Organisationen im November 2009 in Berlin<br />

Elena Espos<strong>ito</strong> Riskante Risiken.<br />

Die Produktion der Zukunft durch die Finanzmärkte<br />

Wenn es stimmt, dass Krisen Probleme (die wir sehr gut<br />

kennen) aber auch Gelegenheiten schaffen, was sind die<br />

Vorteile der aktuellen Krise? Man sagt, Krisen dienen dazu,<br />

aufzuräumen, sich darüber k<strong>la</strong>r zu werden, was man<br />

wirklich tut und tun will, indem man alte Gewohnheiten<br />

und obsolet gewordene Ideen verwirft. Stimmt<br />

das in diesem Fall?<br />

Was bisher als Einziges k<strong>la</strong>r verstanden wurde, ist,<br />

dass wir nichts verstanden haben: Keinem Modell und<br />

keiner Theorie gelingt es, wirklich zu klären, wie die Krise<br />

entstanden ist oder was gerade passiert. Es gibt natürlich<br />

Elemente: die Überbewertung und das Wachstum<br />

des Immobilienmarktes (vor allem in den USA), die Intransparenz<br />

der strukturierten Finanzinstrumente, der<br />

Mangel an Reglementierung usw. Aber ein richtig über-<br />

zeugendes Allgemeinbild fehlt: Wo haben wir etwas<br />

falsch gemacht und warum? Wie hat eine solche Lage<br />

entstehen können, dass der Finanzmarkt mit allen seinen<br />

Modellen und Strategien scheinbar seinen Weg gegangen<br />

ist, ohne jegliche Bindung an den Ver<strong>la</strong>uf der<br />

»realen Wirtschaft« und ohne jemanden, der ihn stoppen<br />

konnte oder wollte?<br />

Da die zirkulierenden Theorien wenige Anhaltspunkte<br />

anbieten, könnte man versuchen, woanders einen<br />

Interpretationsschlüssel für Finanz (und Wirtschaft all-<br />

gemein) wiederzuentdecken, der eine <strong>la</strong>nge und an-<br />

gesehene Tradition hat, aber in der Wirtschaftstheorie<br />

immer etwas unterbelichtet geblieben ist: die Vorstellung,<br />

dass es zum Verständnis der Dynamik der Finanzmärkte<br />

(und insbesondere der neuen geheimnisvollen<br />

Finanzmittel) nötig sei, die Rolle der Zeit in der Wirt-<br />

schaft, also die Zeit des Geldes, neu zu denken. Man<br />

sollte sich dann fragen, wie die Wirtschaft mit der Zeit<br />

umgeht und die Zeit betrachtet, wie die Zeit sich aufgrund<br />

der Weise, wie sie benu<strong>tz</strong>t wird, verändert und<br />

schließlich was die Zeit im Allgemeinen ist (wenn die<br />

Zeit davon abhängig ist, wie sie benu<strong>tz</strong>t und wie sie<br />

verstanden wird).<br />

K<strong>la</strong>ssische Autoren der ökonomischen Reflexion1 haben<br />

vor vielen Jahren signalisiert, dass Geld in seiner Essenz<br />

Zeit ist: Es dient nicht dazu, gegenwärtige Bedürfnis-<br />

se zu befriedigen (würden wir sie befriedigen, hätten<br />

wir kein Geld mehr), sondern dazu, uns in der Gegen-<br />

wart gegenüber dem unbestimmten Nebel der mögli-<br />

chen künftigen Bedürfnissen zu versichern. Wir wissen<br />

Riskante Risiken 16 Revue für postheroisches Management / Heft 5


nicht, was wir morgen brauchen werden, möchten aber<br />

dafür gerüstet sein, um es uns zu besorgen, wenn es<br />

nötig wird. Wenn wir in der Lage sein werden zu bezah-<br />

len, werden wir das tun können: Deshalb müssen wir<br />

Geld haben und deshalb reicht es nie – die möglichen<br />

künftigen Bedürfnisse haben keine Grenze. Die Finanzmärkte<br />

spielen mit diesen künftigen Möglichkeiten: Sie<br />

verflechten und kompensieren sie gegenseitig, imaginieren<br />

und negieren sie und produzieren gegenwärtige Ge-<br />

winne, ausgehend von der Tatsache, dass die Zukunft<br />

unbekannt ist. Im Grunde tun die Finanzmärkte nur zugespi<strong>tz</strong>ter,<br />

was das Geld immer getan hat: Sie handeln<br />

und tauschen in der Gegenwart die Unsicherheit von<br />

morgen.<br />

Die Finanzmärkte interessieren sich nicht dafür, was<br />

der Fall ist, noch wie es der Welt geht. Es ist nicht ihre<br />

Aufgabe. Sie verkaufen keine Güter und keine Leistungen,<br />

nicht einmal indirekt, noch mit Zeitverzögerung.<br />

Sie hängen auch nicht direkt vom Ver<strong>la</strong>uf der Märkte ab,<br />

weil sie gewinnen können, wenn die Märkte schlecht<br />

gehen, und verlieren können, wenn sie gut gehen. Wovon<br />

hängen sie dann ab, und was verkaufen sie?<br />

Es ist heute offensichtlich, dass es auf den Finanzmärkten<br />

(ausgestattet mit den neuen Mitteln strukturierter<br />

Finanzinstrumente, vor allem dem Schwindel erregenden<br />

und geheimnisvollen Derivatehandel) in erster<br />

Linie um die Zeitverwaltung geht – in Form des Risikos,<br />

seines An- und Verkaufs, sowie des Spiels von Einflüssen<br />

und Verweisungen darauf, wie die Gegenwart die Zukunft<br />

sieht und wie die Zukunft sich dann tatsächlich<br />

verwirklicht. Was auf den Finanzmärkten verkauft wird,<br />

ist die Möglichkeit, Bindungen über die Zeit zu schaffen,<br />

sie miteinander zu kombinieren und Profitgelegenheiten<br />

zu gewinnen, die oft auf dem gegenwärtigen Gebrauch<br />

der Zukunft beruhen – auch und gerade, wenn<br />

die Zukunft unbekannt bleibt.<br />

Die berüchtigten Derivate (Futures, Optionen, Swaps<br />

und ähnliche Mittel) sind zum Kern (und zum geheimnisvolleren<br />

Aspekt) der Dynamik der Finanzmärkte geworden,<br />

gerade weil sie Eigenschaften haben, die er<strong>la</strong>uben,<br />

sich von den konkreten Weltgegebenheiten und von<br />

der Bezugsgegenwart zu befreien und sich direkt auf die<br />

Zeit und ihre Verwaltung zu beziehen. Die Futures zum<br />

Beispiel sind Abkommen zwischen zwei Parteien, um<br />

etwas zu einem künftigen Datum zu einem gegebenen<br />

Preis zu kaufen oder zu verkaufen; der Preis wird schon<br />

in der Gegenwart festgestellt und ist meistens anders als<br />

der aktuelle Marktpreis (Spot Price) des betreffenden Gutes<br />

oder der Leistung und auch anders als der künftige<br />

Preis. Mit Optionen dagegen gewinnt der Halter das<br />

Recht, aber nicht die Pflicht, die im Vertrag vorgesehe-<br />

ne Handlung zu vollziehen: Er kann in der Zukunft ent-<br />

scheiden, ob er kaufen/verkaufen will oder nicht, d. h., ob<br />

er die Option ausüben oder darauf verzichten will. Wer<br />

eine Option kauft, kauft damit die Möglichkeit, künftig<br />

eine Entscheidung zu treffen. Er legt aber noch nicht<br />

fest, wie er entscheiden wird: Er beeinflusst die Zukunft,<br />

bindet aber das eigene Verhalten nicht.<br />

Mit diesen Mitteln produzieren die Finanzmärkte die<br />

Zukunft mit denselben Operationen, die sie zu antizipieren<br />

versuchen – indem sie Derivate verkaufen, welche in<br />

der Gegenwart die Zukunft binden, und dann sehen, was<br />

der Fall ist, wenn die Zukunft kommt. Wer eine Option<br />

kauft, generiert eine Bindung, die den Lauf der Zeit beeinflusst<br />

und dazu beiträgt, die künftige Realität zu<br />

schaffen. Wenn aber diese Zukunft gegenwärtig wird,<br />

kann der Käufer immer noch anders entscheiden. Die<br />

Zukunft ist gebunden und offen zugleich, und die<br />

Märkte handeln gerade mit diesen Bindungen und mit<br />

ihren Umwandlungen: Sie handeln nämlich mit dem<br />

Risiko und mit seiner Verwaltung.<br />

Das passiert in sehr komplexen und raffinierten Formen:<br />

Der Punkt ist hier, dass alle Bewegungen der Finanzen<br />

als rein virtuell, haltlos und oft von einer unverständlichen<br />

Irrationalität geleitet erscheinen, wenn die Rolle<br />

der Zeit nicht berücksichtigt wird. Und so werden in der<br />

Tat die Finanzmärkte meistens dargestellt: als das Reich<br />

des Wagnisses und der Unvernünftigkeit (tro<strong>tz</strong> des Gebrauchs<br />

von Computern und komplexen, formalisierten<br />

kalku<strong>la</strong>torischen Techniken). Nimmt man die Rolle der<br />

Zeit nicht in Kauf, lässt man sich ständig von den überraschenden<br />

Bewegungen der Märkte überraschen. Wenigstens<br />

die Überraschung sollten wir erwarten können,<br />

denn wir produzieren sie zum Teil durch unser Verhalten<br />

selbst.<br />

Eigentlich sollten die Finanzmärkte sehr gut dazu<br />

ausgerüstet sein, das Risiko zu behandeln und zu verwal-<br />

1 Inbesondere Keynes, aber auch die österreichische Schule und<br />

dann die ganze Tradition der Autoren, die sich auf Schackle<br />

beziehen.<br />

Riskante Risiken 17 Revue für postheroisches Management / Heft 5


ten. Seit den siebziger Jahren haben sich hoch formalisierte<br />

(auch von Computern gestü<strong>tz</strong>te) Finanztechniken<br />

verbreitet, die sich genau auf dieses Problem beziehen.<br />

Wir verfügen über komplexe Modelle zum Risikokalkül<br />

(ausgehend vom Harry Markowi<strong>tz</strong>s CAPM), über Ver-<br />

fahren zur Schä<strong>tz</strong>ung der Preise von Optionen und der<br />

Vo<strong>la</strong>tilität (B<strong>la</strong>ck-Scholes) und insgesamt über eine Reihe<br />

von Methoden, die es er<strong>la</strong>uben, die Risikoverteilung<br />

auf den Märkten zu gewährleisten und zu verwalten<br />

(oder besser: sie versprechen es wenigstens).<br />

Deshalb meinen viele Beobachter, dass die Finanz-<br />

märkte sich in den le<strong>tz</strong>ten Jahrzehnten radikal verändert<br />

haben. Obwohl die Derivatenmärkte seit der zweiten<br />

Hälfte des 19. Jahrhundert existieren und Optionen und<br />

Futures bereits in Mesopotamien und im alten Griechen<strong>la</strong>nd<br />

aufgefunden wurden, haben die heute verfügbaren<br />

Techniken die Rolle und die Bedeutung des Risikos drastisch<br />

verändert – und deshalb hat die Finanz an Relevanz<br />

und Umfang gewonnen, wie sie früher unbekannt (und<br />

eigentlich undenkbar) waren. Die Finanztechniken haben<br />

das Risiko in eine Art Objekt umgewandelt, das verkauft,<br />

gekauft und wiederverkauft werden kann; man<br />

kann verschiedene Risiken miteinander ausgleichen,<br />

oder man kann sie mit der Produktion neuer Risiken vermehren<br />

und sehen, was passiert. Die heutigen Finanzmärkte<br />

verkaufen und kaufen nur Risiko – also künftige<br />

Unsicherheit – und sollten in Bezug auf diese Leistung<br />

erklärt werden. Risiko ist keine zusä<strong>tz</strong>liche Komponente<br />

oder Komplizierung, sondern der eigentliche Gegenstand<br />

der Transaktion: das, was gekauft, verkauft, beobachtet<br />

und antizipiert wird.<br />

In den le<strong>tz</strong>ten Jahrzehnten hat sich also die Rolle des<br />

Risikos in den Finanzmärkten verändert, ohne dass wirk-<br />

lich verstanden worden wäre, was passierte. Früher ver-<br />

kaufte man den Schu<strong>tz</strong> vor Risiko – heute werden Risiken<br />

direkt verkauft und gekauft. Die Finanzmärkte sind<br />

nunmehr direkt Märkte des Risikos als solches, und es<br />

spielt weder eine große Rolle, woher das Risiko kommt<br />

oder worum es sachlich geht. Was allein zählt, ist der<br />

Schu<strong>tz</strong> vor Risiko und seine Bewertung auf den Märkten.<br />

In vielen Fällen (vor allem im Lauf der Krise) haben wir<br />

aber gesehen, dass all diese Kalküle nicht funktionieren<br />

– im Gegenteil: Die Anwendung der Kalküle zur Risikokontrolle<br />

vermehrt die Risiken (man denke nur an den<br />

verblüffenden Zusammenbruch des sehr raffinierten<br />

LTCM Fonds, der von mehreren Nobelpreisträgern konzipiert<br />

wurde). Warum aber? Was haben sie falsch gemacht?<br />

Das Problem der Modelle der Risikoverwaltung ist,<br />

dass sie einen zu einfachen (obwohl sehr technischen)<br />

Risikobegriff unterstellen – und das wird riskant. Das<br />

ist auch keine Neuheit: Benoît Mandelbrot signalisier-<br />

te es seit einigen Jahrzehnten, aber auf eine Weise, mit<br />

der nicht leicht umzugehen war und die, vor allem, kein<br />

dringendes Problem der Händler traf. Die Krise könnte<br />

nun dazu dienen, die Lage zu ändern. Um zu erklären<br />

wie, müssen wir auf eine theoretischere Ebene übergehen<br />

und Theorien verwenden, die bisher eine nur<br />

sekundäre Rolle in der Finanz-Reflexion gespielt haben:<br />

die Soziologie des Risikos und die Theorie sozialer<br />

Systeme.<br />

Das Risiko ist die in der Gegenwart erlebte Sorge für<br />

künftige Schäden: die heutige Angst, dass das, was wir<br />

tun (oder nicht tun), sich morgen als falsch erweisen<br />

kann oder dass morgen Umstände entstehen, auf die wir<br />

nicht vorbereitet sein werden. Deshalb schü<strong>tz</strong>en wir uns,<br />

indem wir uns versichern oder Derivate kaufen – und es<br />

ist diese Art Garantie, die auf den Finanzmärkten verkauft<br />

wird. Man g<strong>la</strong>ubt daher, das Risiko kontrolliert zu<br />

haben, das mit verschiedenen, immer formalisierteren<br />

Techniken neutralisiert wird. Und die Risikoverwaltung<br />

erfolgt dann mithilfe ihrerseits riskanter und kalkulierter<br />

Produkte (in Form von Verbriefungen, Swaps und vielen<br />

anderen Mitteln). Vorannahme ist dabei immer, dass<br />

die möglichen künftigen Schäden kontrolliert werden<br />

könnten.<br />

Das echte Problem der Märkte und die Herkunft der<br />

Krise liegt genau in dieser Vorstellung: in der Überzeugung,<br />

dass Risiken (wenn man dazu fähig ist und keine<br />

Fehler macht) kontrolliert werden können. Obwohl wir<br />

nicht wissen, was der Fall sein wird, denkt man, die Mög-<br />

lichkeiten vorhersehen und gegenseitig ausgleichen zu<br />

können. Dann wären wir geschü<strong>tz</strong>t, weil was immer der<br />

Fall wäre, würden wir auf die Füße fallen. Und wir können<br />

diesen Schu<strong>tz</strong> auch verkaufen, zirkulieren <strong>la</strong>ssen<br />

oder irgendwie benu<strong>tz</strong>en, um Profite zu erzielen. Alle ge-<br />

bräuchlichen Modelle, vom CAPM zum Value-at-Risk, von<br />

den Vo<strong>la</strong>tilitätskalkülen zu den verschiedenen Techniken<br />

des Derivatehandels, beruhen auf dieser Vorstellung. Sie<br />

ist aber falsch, tro<strong>tz</strong> ihrer <strong>la</strong>ngen Tradition in den raffinierteren<br />

ökonomischen Theorien.<br />

Riskante Risiken 18 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

dirk hupe, 2009. Werk-Nr. 0089_2008: o.T., Text-, Wortfragmente, Druck-,Acryl- und Dispersionsfarbe, U-Profile, Hartfaser, ca. 81 x 123 x 3,3 cm, 2008; Hintergrundabbildung Fotoarbeit, 2008


Es handelt sich um die Annahme, obwohl die Welt unvorhersehbar<br />

ist (und einem »Random Walk« folgt), sei<br />

das Risiko vorhersehbar und deshalb könnten seine Bewegungen<br />

antizipiert werden. Das Risiko ist aber nicht<br />

vorhersehbar, die Vo<strong>la</strong>tilität bleibt vo<strong>la</strong>til, und sie wird<br />

immer vo<strong>la</strong>tiler, je mehr wir versuchen, sie mit den<br />

Kalkülen der impliziten Vo<strong>la</strong>tilität vorherzusehen. Der<br />

Grund ist einfach: Er betrifft den Zeitbegriff und die<br />

Vorstellung der Zukunft. Die Systemtheorie signalisiert,<br />

dass die Zukunft (wie die Zeithorizonte jeder Gegen-<br />

wart) keine eindeutige (obwohl komplexe) Gegebenheit<br />

ist, sondern immer von unserem gegenwärtigen Verhalten<br />

abhängt und deshalb grundsä<strong>tz</strong>lich unkontrollierbar<br />

ist. Man muss die gegenwärtige Zukunft (die Art und<br />

Weise, wie die Zukunft mit allen ihren Unsicherheiten<br />

und mit ihrer Offenheit uns heute erscheint) von der<br />

künftigen Gegenwart (das, was sich morgen tatsächlich<br />

verwirklichen wird, auch infolge unserer gegenwärtigen<br />

Wahlen und Entscheidungen) unterscheiden: Die Zu-<br />

kunft besteht in der Verflechtung dieser Perspektiven,<br />

die beide berücksichtigt werden müssen.<br />

Die Techniken der Risikoverwaltung sammeln Daten<br />

und entwerfen Projektionen in Bezug auf die Zukunft,<br />

wie wir sie heute sehen, d. h. die gegenwärtige Zukunft.<br />

Sie sind mehr oder weniger gut und mehr oder weniger<br />

vollständig, je nach Quantität und Qualität der betrachteten<br />

Daten und der benu<strong>tz</strong>ten Modelle. Sie betrachten<br />

sogar mehrere unterschiedliche Zukünfte, weil man nie<br />

wissen kann, welche sich tatsächlich verwirklichen wird.<br />

Ein geschickterer Händler (oder ein mächtigeres System)<br />

kann mehrere alternative Zukünfte berücksichtigen und<br />

miteinander kombinieren, um dann, egal was passiert,<br />

vorbereitet zu sein. Man vermutet dann, mehr riskieren<br />

zu können und dabei weniger zu riskieren, und neigt da-<br />

zu, die Risiken zu vermehren (wie die Krise reichlich<br />

gezeigt hat). Warum hat der Mechanismus nicht funk-<br />

tioniert? Wo war der Fehler? Die Art und Weise, die Zu-<br />

kunft zu verwalten, hat nicht funktioniert. Was sich realisiert,<br />

ist nämlich weder die vorgesehene Zukunft noch<br />

eine der betrachteten Zukünfte, sondern eine künftige<br />

Gegenwart, die nicht vorhergesehen werden konnte und<br />

nicht kontrolliert werden kann, weil sie von unserem gegenwärtigen<br />

Verhalten und auch von unseren Kontrollversuchen<br />

abhängig ist.<br />

Kehren wir zum Anfang der Krise zurück: die berüchtig-<br />

ten Subprime-Darlehen. Das dahintersteckende Kalkül<br />

war nicht aus der Luft gegriffen und keine bloße Verantwortungslosigkeit:<br />

Kredite wurden frei gewährt, gerade<br />

weil man dachte, auch mit ein wenig Risiko riskiere<br />

man eigentlich nichts. Und die Kalküle bestätigten das:<br />

Auch wenn eine gewisse Zahl von »NINJA« (No Income,<br />

No Job, no Asset) die Raten nicht zahlten, wäre der Wert<br />

des Hauses gestiegen, und man hätte eine neue Hypo-<br />

thek aufnehmen können; die eventuelle Insolvenz wäre<br />

außerdem in komplexen Paketen verbriefter Kredite aufgenommen,<br />

und das Risiko hätte sich bis zur Irrelevanz<br />

verteilt.<br />

Was hat nicht funktioniert? Nicht nur, dass die<br />

Immobilienpreise gesunken sind; die Folgen der Krise<br />

haben sich viel weiter als nur im Immobilienbereich ver-<br />

breitet und viel weiter als die tatsächlichen Insolvenzen:<br />

Die Angst vor der Insolvenz hat eine viel größere Rolle<br />

als die tatsächliche Insolvenz gespielt und sich übermäßig<br />

vermehrt. Das ganze Spiel beruhte darauf, dass<br />

man heute eine Bindung für die Zukunft verkaufte: Man<br />

benu<strong>tz</strong>te heute die Gelder von morgen – tro<strong>tz</strong> der Flexibilität<br />

der gegenseitigen Kompensationen der Risiken<br />

und der alternativen Szenarien und tro<strong>tz</strong> der Tatsache,<br />

dass mehrere unterschiedliche Zukünfte betrachtet wurden<br />

(all diejenige, die von der Gegenwart her imaginiert<br />

werden konnten). Das Problem ist, dass es die heute gebundene<br />

Zukunft noch nicht gibt, und wenn sie sich<br />

dann verwirklicht (d. h., wenn sie gegenwärtig wird), ist<br />

sie anders als alle imaginierte Szenarien – gerade weil sie<br />

von unseren Erwartungen und Szenarien verändert worden<br />

ist. Je mehr wir versuchen, die Zukunft vorherzusehen,<br />

desto mehr wirken wir auf sie ein, also verändern<br />

sie – und dann weicht die Zukunft von unseren Vorhersagen<br />

ab.<br />

Mit den Worten der Systemtheorie kann man sagen,<br />

dass die gegenwärtige Zukunft (das, was wir uns heute<br />

vorstellen) anders als die künftige Gegenwart ist (das,<br />

was sich morgen verwirklichen wird). Deshalb haben alle<br />

Schemata zur Verwaltung und Kalku<strong>la</strong>tion des Finanz-<br />

risikos nicht funktioniert: Sie haben nicht berücksichtigt<br />

(und konnten es nicht), wie die Zukunft auf die Kontrollversuche<br />

und auf die Interventionen reagiert. Wir<br />

haben uns auf viele durch unsere eigenen Operationen<br />

gebundene Zukünfte eingestellt, aber keine Bewegungs-<br />

Riskante Risiken 20 Revue für postheroisches Management / Heft 5


freiheit mehr, wenn einmal die Zukunft tatsächlich gegenwärtig<br />

wird. Die Zukunft war schon benu<strong>tz</strong>t worden.<br />

Das Ergebnis war der Eindruck, ohne Zukunft zu sein.<br />

Das hat die Märkte gelähmt. So erklären sich Credit<br />

Crunch und Def<strong>la</strong>tion: Während zuerst in der Gegen-<br />

wart die Zukunft zu viel benu<strong>tz</strong>t wurde und die künftige<br />

Verfügbarkeit in gegenwärtigen Reichtum umgewandelt<br />

wurde, will je<strong>tz</strong>t keiner die Zukunft benu<strong>tz</strong>en, und<br />

die Wirtschaft steht still. Denn Wirtschaft und Geld sind<br />

le<strong>tz</strong>tlich immer Gebrauch der Zukunft.<br />

Das Risiko bleibt riskant, und dieses Risiko kann weder<br />

kontrolliert noch vorhergesehen werden – man muss<br />

anders operieren. Nunmehr weiß man es – obwohl sehr<br />

ungenau –, und die Händler nehmen es im Kauf. Aber es<br />

gibt weder eine Theorie, die es erklärt, noch eine Tech-<br />

nik, die angibt, was man tun muss. Das zeigen die Bewegungen<br />

der Vo<strong>la</strong>tilität, wo das »Vo<strong>la</strong>tility Skew« angibt,<br />

dass die Finanzmärkte anfangen, Überraschungen<br />

zu erwarten: Es wird erwartet, dass etwas Unerwartetes<br />

passiert. Das, was unsere Kalküle und Instrumente nicht<br />

kontrollieren können, weil es gerade dadurch entsteht,<br />

dass wir unsere Kalküle und unsere Instrumente benu<strong>tz</strong>en.<br />

Seit ein Paar Jahrzehnten wendet George Soros seinen<br />

Begriff der Reflexivität an, um diese Bewegungen zu beschreiben;<br />

er hat bekanntlich damit viel Geld verdient,<br />

aber nicht immer und nicht mit Sicherheit. Er hat keine<br />

Theorie und schlägt keine Formeln vor, obwohl er sehr<br />

viele Kalküle und eine raffinierte Verwaltung der Markt-<br />

daten benu<strong>tz</strong>t. Kalküle und Techniken sind nü<strong>tz</strong>lich,<br />

aber man sollte wissen, dass sie keine Sicherheit und<br />

keine Garantie für das anbieten, was wir von der Zukunft<br />

erwarten können. Es ist ratsam, sie nicht dazu zu benut-<br />

zen, Überraschungen zu vermeiden, sondern dazu, besser<br />

ausgerüstet zu sein, wenn sie unvermeidlich auftreten.<br />

In den hoch abstrakten (exotischen) Märkten der struk-<br />

turierten Finanzprodukte ist der geschickte Händler<br />

nicht derjenige, der Risiken besser vorhersieht und verwaltet<br />

(was unmöglich ist), sondern derjenige, der mit<br />

der Unvorhersehbarkeit der Risiken umgehen kann, weil<br />

er weiß, dass sie davon abhängen, was wir heute tun und<br />

nicht tun (auch und gerade, um Risiken zu verwalten).<br />

Die Mittel dazu sind schon verfügbar – aber die Fähigkeit,<br />

sie anders als gewohnt zu benu<strong>tz</strong>en und zu deuten,<br />

ist nur gering. Was dahinter steckt, ist le<strong>tz</strong>tlich die Logik<br />

der Derivate und der Grund dafür, dass sie so mächtig<br />

sind: Man entscheidet etwas für die Zukunft (eine long<br />

position on a call), d. h. bindet sie, lässt aber die Möglich-<br />

keit offen, anders zu entscheiden, wenn später die Dinge<br />

anders als erwartet ver<strong>la</strong>ufen (man übt die Option nicht<br />

aus). Man benu<strong>tz</strong>t Modelle und Kalküle, um die Zukunft<br />

zu produzieren (sonst wäre alles zufällig), und bleibt<br />

dadurch in Kontakt mit der Welt und mit der »realen«<br />

Wirtschaft (die es in Kauf nehmen) – obwohl man weiß,<br />

dass an der Börse die Gewinne nicht mit den Trends der<br />

Wirtschaft zusammenhängen (man kann gewinnen,<br />

wenn die Märkte – und die Börse selbst – fallen und umgekehrt).<br />

Dann guckt man, was die Welt damit anfängt,<br />

und bereitet sich darauf vor, zu reagieren.<br />

Die Versuche, die Krise zu bewältigen, haben sich als<br />

unterschiedlich wirksam erwiesen, abhängig davon, wie<br />

sie die Zukunft und ihre Bindungen behandelt haben.<br />

Denn es geht nicht darum, das Risiko zu neutralisieren,<br />

sondern darum, zu lernen, kompetent mit der Riskant-<br />

heit des Risikos umzugehen. Die Zukunft bindet man<br />

sowieso, das kann man nicht vermeiden (auch wenn<br />

man nichts tut) – man kann aber versuchen, das möglichst<br />

offen zu tun, also ohne den Anspruch, die Zukunft<br />

zu kontrollieren oder vorherzusehen. Wer bewusst die<br />

Risiken des Risikos verwaltet, tut etwas ohne den An-<br />

spruch, die Zukunft zu kontrollieren, sondern um von<br />

dem, was passiert, zu lernen. Die Organisationstheorie<br />

sagt es seit Langem: Zuerst tut man etwas, und erst im<br />

nachhinein versteht man, was dessen echter Sinn war.<br />

Die Finanzmärkte haben die Mittel, diese Logik viel raffinierter<br />

als jeder andere Bereich der Gesellschaft zu<br />

praktizieren, wenn sie lernen, sie in komplexerer Weise<br />

zu benu<strong>tz</strong>en. Womit sie handeln, sind ja gerade Zeit und<br />

Risiko. ¶<br />

Elena Espos<strong>ito</strong>, Il futuro dei futures, ETS, Pisa, 2009 (deutsche Überse<strong>tz</strong>ung<br />

in Vorbereitung bei Carl Auer Ver<strong>la</strong>g, Heidelberg)<br />

Benoît Mandelbrot, Richard L. Hudson 2004, The (mis)Behavior<br />

of Markets. A Fractal View of Risk, Ruin, and Reward, Basic Books, New York<br />

Nik<strong>la</strong>s Luhmann 1991, Soziologie des Risikos, de Gruyter, Berlin-New<br />

York<br />

George Lennox, Sherman Shackle 1900, Time, Expectations and<br />

Uncertainty in Economics, edited by James Lorne Ford, Edward Elgar,<br />

Aldershot (Eng<strong>la</strong>nd)<br />

Donald MacKenzie 2006, An Engine, Not a Camera. How Financial Models<br />

Shape Markets, The MIT Press, Cambridge (Mass.)<br />

George Soros 1987, The Alchemy of Finance. Reading the Mind of the Market,<br />

Wiley, s.l.<br />

Riskante Risiken 21 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Christopher A. Bartlett is Professor of Business Administration, Emeritus, at Harvard Business School.<br />

He has published eight books, including »Managing Across Borders: The Transnational Solution,« named by<br />

the Financial Times as one of the fifty most influential business books of the century. Professor Bartlett<br />

maintains ongoing research interests in the organization and management of multinational enterprises and<br />

in the impact of radical corporate transformation on management. Having been made an emeritus professor,<br />

he now works worldwide as a volunteer consultant for non-profit organizations.<br />

Sumantra Ghoshal was a Fellow of the Advanced Institute of Management Research (AIM) in the U.K. and<br />

a Professor of Strategic and International Management at the London Business School. He served as a member<br />

of The Committee of Overseers of the Harvard Business School and was the Founding Dean of the Indian<br />

School of Business in Hyderabad. Sumantra Ghoshal died in 2004 at age fifty-five.<br />

Christopher A. Bartlett, Sumantra Ghoshal<br />

The Transnational: The Emerging Organization Model*<br />

As we have described in Chapter 2, managers in most<br />

worldwide companies recognize the need for simultaneously<br />

achieving global efficiency, national responsiveness,<br />

and the ability to develop and exploit knowledge on<br />

a worldwide basis. Some, however, regard the goal as inherently<br />

unattainable. Perceiving irreconci<strong>la</strong>ble contradictions<br />

among the three objectives, they opt to focus on<br />

one of them, at least temporarily. The transnational company<br />

is one that overcomes these contradictions. 1<br />

We begin this chapter with a brief discussion of why<br />

traditional management modes cannot effectively re-<br />

spond to the multidimensional and dynamic demands<br />

of today’s transnational industries. Next we highlight<br />

some key attributes that allow the transnational organization<br />

to overcome the contradictions among various<br />

strategic demands. The chapter concludes with a brief<br />

discussion of the main management tasks involved in<br />

building and managing a transnational organization.<br />

Subsequent chapters will flesh out this sketch in greater<br />

detail. Our primary objective here is to provide a conceptual<br />

summary and a road map for the second and third<br />

parts of the book.<br />

Our account of the transnational describes an idealized<br />

organization type rather than any specific company.<br />

Such an organizational form is not easy to develop and<br />

manage. Even while we were conducting our research,<br />

two of the nine companies we studied in detail quit the<br />

business on which we were focusing. In both cases, the<br />

decision was due in part – we would suggest in <strong>la</strong>rge<br />

part – to the difficulty of evolving toward the kind of<br />

transnational organization that could prosper in the<br />

changing businesses. The remaining companies in the<br />

study all shared one common characteristic: top management<br />

recognized the need to build and manage a very<br />

different kind of worldwide organization. It made strong<br />

and consistent efforts to develop the organizational capabilities<br />

characteristic of the transnational company.<br />

Dilemmas and Trade-offs<br />

All nine companies we studied had implicitly recog-<br />

nized the need to manage efficiency, responsiveness, and<br />

knowledge simultaneously. However, as we have shown,<br />

all of them found the challenge a difficult one – some<br />

more so than others. The ways in which they tradition-<br />

ally approached different strategic tasks led to dilemmas<br />

that prevented them from achieving any one objective<br />

The Transnational 22 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Table 1<br />

Organizational Characteristics<br />

Configuration of assets<br />

and capabilities<br />

Role of overseas<br />

operations<br />

Development and diffusion<br />

of knowledge<br />

without sacrificing, or at least seriously compromising,<br />

the others. 2 These dilemmas arose from the ways in<br />

which companies configured their assets and capabilities,<br />

assigned roles to their overseas units, and diffused<br />

knowledge within the company.<br />

With its resources and capabilities consolidated at the<br />

center, the global company achieves efficiency primarily<br />

by exploiting potential scale economies in all its activities.<br />

Such a configuration of assets, however, also implies<br />

that national subsidiaries are managed without any<br />

s<strong>la</strong>ck resources and thus have neither the motivation nor<br />

the ability to respond to local market needs. Simi<strong>la</strong>rly,<br />

centralization of knowledge and skills allows the global<br />

company to be highly efficient in managing innovations.<br />

It can create new products and processes at re<strong>la</strong>tively low<br />

cost and high speed. Yet the central groups responsible<br />

for innovation often <strong>la</strong>ck adequate understanding of the<br />

market needs and production realities outside of the<br />

home market. Even when diverse local needs are under-<br />

stood, the central responses can be inapprop<strong>ria</strong>te because<br />

of either overspecification that tries to satisfy all the<br />

demands, or a grand compromise that satisfies none.<br />

Limited resources and the narrow implementation role<br />

of its overseas units prevent the company from tapping<br />

into learning opportunities outside its home environ-<br />

ment. These are problems that a global organization can-<br />

not overcome without jeopardizing its trump card of<br />

global efficiency.<br />

Multinational Global International<br />

Decentralized and nationally<br />

self-sufficient<br />

Sensing and exploiting local<br />

opportunities<br />

Knowledge developed and retained<br />

within each unit<br />

Organizational Characteristics of Multinational, Global, and International Companies<br />

Centralized and globally scaled Sources of core competencies<br />

centralized, others decentralized<br />

Implementing parent company<br />

strategies<br />

Knowledge developed and retained<br />

at the center<br />

Adapting and leveraging parent<br />

company competencies<br />

With dispersed resources and decentralized decision making,<br />

subsidiaries of the multinational company can respond<br />

to local needs, but the fragmentation of activities<br />

inevitably carries efficiency penalties. Learning also suf-<br />

The Transnational 23 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

Knowledge developed at the center<br />

and transferred to overseas units<br />

* Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und<br />

des Ver<strong>la</strong>gs. Erschienen in: Bartlett, Ghoshal: Managing Across<br />

Borders: The Transnational Solution, 2nd ed. Boston, Mass.:<br />

Harvard Business School Press 2002.<br />

1 The concept of the transnational that we present in this chapter<br />

has many features that have been highlighted by other authors.<br />

The concept closest to our view, and the one that has substantially<br />

influenced our approach and interpretations, is in the seminal<br />

work of Perlmutter (1969). He developed a typology of different<br />

multinational mentalities or cognitive orientations toward<br />

international business, and this typology remains as valid today<br />

as it was when proposed over two decades ago. He c<strong>la</strong>ssified<br />

multinationals as ethnocentric, polycentric, and geocentric:<br />

The first refers to an approach of home country dominance that<br />

is central to the centralized <strong>la</strong>b model we have described; the<br />

second describes companies that treat each subsidiary on a country-by-country<br />

basis, simi<strong>la</strong>r to our model of the decentralized<br />

federation; and the third identifies companies that develop a cosmopolitan<br />

and integrative style – an approach that is simi<strong>la</strong>r to<br />

the organizational form we describe as the transnational.<br />

Simi<strong>la</strong>rly, the heterarchy model of MNCs proposed by Hedlund<br />

(1986), the multifocal organization described by Praha<strong>la</strong>d and<br />

Doz (1987), and the horizontal organizational form suggested by<br />

White and Poynter (1989) identify many of the environmental<br />

and organizational forces that are driving multinational companies<br />

to develop modern complex organizational capabilities<br />

and highlight some of the features of what we describe as the<br />

transnational. These models differ significantly in their levels<br />

of specificity but share the overreaching conclusion that organizational<br />

capability is increasingly the key constraint for effective<br />

worldwide operations.<br />

2 For a more theory-grounded discussion of these dilemmas, see<br />

Ghoshal (1986).


fers, because knowledge is not consolidated and does not<br />

flow among the various parts of the company. Local innovations<br />

often represent little more than the efforts of<br />

subsidiary management to protect its turf and autonomy,<br />

or reinventions of the wheel caused by blocked communication<br />

or the not-invented-here (NIH) syndrome.<br />

In contrast, the international company is better able<br />

to leverage the knowledge and capabilities of the parent<br />

company. But its resource configuration and operating<br />

systems make it less efficient than the global company,<br />

and less responsive than the multinational company.<br />

Attributes of the Transnational<br />

The transnational company redefines the problem in<br />

very different terms. It seeks efficiency not for its own<br />

sake, but as a means to achieve global competitiveness. It ac-<br />

knowledges the importance of local responsiveness, but<br />

as a tool for achieving flexibility in international operations.<br />

Innovations are regarded as an outcome of a <strong>la</strong>rger<br />

process of organizational learning that encompasses<br />

every member of the company. This redefinition of the<br />

issues allows managers of the transnational company to<br />

develop a broader perspective and leads to very different<br />

crite<strong>ria</strong> for making choices.<br />

The Integrated Network Configuration<br />

Beneath each of the traditional models of worldwide<br />

management lie some implicit assumptions about how<br />

best to build global competitive positions. The global<br />

company assumes that scale and the resulting cost leadership<br />

are the key sources of competitive advantage; the<br />

multinational company sees differentiation as the pri-<br />

mary way to enhance performance; and the international<br />

company expects to use innovations, created at<br />

headquarters, to reduce costs, increase revenues, or both.<br />

The transnational recognizes that each approach is<br />

partially true and has its own merits, but none represents<br />

the whole truth. To achieve global competitive<br />

advantage, costs and revenues have to be managed simultaneously,<br />

efficiency and innovation are both important,<br />

and innovations can arise in many different parts<br />

of the organization. Therefore, instead of centralizing or<br />

decentralizing assets, the transnational makes selective<br />

decisions.<br />

Certain resources and capabilities are best centralized<br />

within the home country operation, not only to realize<br />

scale economies, but also to protect certain core competencies<br />

and to provide the necessary supervision of<br />

corporate management. Basic research is often viewed as<br />

such a capability, best kept at home. The same is true, to<br />

a lesser extent, of the treasury function or international<br />

management development.<br />

Certain other resources are also centralized by the<br />

transnational, but not necessarily at home. World-scale<br />

production p<strong>la</strong>nts for <strong>la</strong>bor-intensive products may be<br />

built in a low-wage country such as Mexico or Singapore.<br />

The advanced state of a particu<strong>la</strong>r technology may demand<br />

centralization of relevant resources and activities<br />

in Japan, Germany, or the United States. Such flexible<br />

centralization complements the benefits of scale economies<br />

with the advantages of low input costs or ready<br />

access to scarce resources.<br />

Some other resources may be best decentralized, on a<br />

local-for-local basis, either because potential economies<br />

of scale are small compared with the benefits of differentiation,<br />

or because of the need to create flexibility and to<br />

avoid exclusive dependence on a single facility. Local-forlocal<br />

facilities may protect against exchange rate shifts,<br />

strikes, natural disasters, and other disruptions, and may<br />

also reduce the need for coordination. In addition, such<br />

facilities may help build the organizational capability of<br />

national subsidiaries, making small efficiency sacrifices<br />

worthwhile.<br />

The transnational centralizes some resources at<br />

home, some abroad, and distributes yet others among its<br />

many national operations. The result is a complex con-<br />

figuration of assets and capabilities that are distributed,<br />

yet specialized. 3 Furthermore, the company integrates<br />

the dispersed resources through strong interdependencies.<br />

The world-scale production p<strong>la</strong>nt in Singapore may<br />

depend on world-scale component p<strong>la</strong>nts in Australia,<br />

Mexico, and Germany; major sales subsidiaries worldwide<br />

may in turn depend on Singapore for their finished<br />

products. Such interdependencies may be reciprocal rather<br />

than sequential. 4 The British subsidiary may depend<br />

on France for one range of products, while the French<br />

depend on the British for others. Some of these inter-<br />

dependencies are automatic outcomes of the specialized<br />

and distributed configuration of assets and resources.<br />

Frequently, however, they are specifically designed to<br />

build self-enforcing cooperation among interdependent<br />

units.<br />

The Transnational 24 Revue für postheroisches Management / Heft 5


As discussed in Chapter 2, global competitiveness increas-<br />

ingly requires the simultaneous optimization of scale,<br />

scope, and factor cost economies, along with the flexi-<br />

bility to cope with unforeseen changes in exchange<br />

rates, tastes, and technologies. The transnational’s com-<br />

plex configuration of organizational assets and capabil-<br />

ities more closely approximates this optimization than<br />

the traditional organization’s centralization or decen-<br />

tralization.<br />

In Chapter 3, we described three organizational models<br />

– the centralized hub, the decentralized federation,<br />

and the coordinated federation – as stylized representations<br />

of the configurations typically associated with<br />

global, multinational, and international companies. The<br />

distribution of the transnational’s assets and resources is<br />

best represented as an integrated network. This term emphasizes<br />

the very significant flows of components, products,<br />

resources, people, and information that must be<br />

managed in the transnational. 5 Beyond the rationalization<br />

of physical facilities, the company must integrate<br />

tasks and perspectives; rich and complex communica-<br />

tion linkages, work interdependencies, and formal and<br />

informal systems are the true hallmarks of the transnational.<br />

6 In Chapter 5, we shall illustrate this organizational<br />

model and suggest how such a configuration can<br />

be built and managed.<br />

Differentiated Organizational Roles and Responsibilities<br />

In the global organization, the cost and quality advantages<br />

of global efficiency are expected to provide sufficient<br />

value that customers will eschew idiosyncratic<br />

differences in preferences and accept standard products.<br />

In the multinational organization, it is assumed that tai-<br />

loring products and strategies to individual national<br />

markets will offset the higher costs that may result.<br />

The international organization settles on a middle path,<br />

allowing local operations to choose from a menu of products<br />

and processes, perhaps modifying them in minor<br />

ways to suit local conditions.<br />

All these organizations, however, make a common assumption:<br />

the subsidiary’s role is local, limited to activ-<br />

ities within its own environment; the headquarters p<strong>la</strong>ys<br />

a global role, deciding on issues that affect the company’s<br />

operations in multiple environments.<br />

We argued in Chapter 2 that in transnational industries<br />

the need for responsiveness is complex. Customers<br />

demand differentiated products, but with the same high<br />

quality and low cost as standard global products. In such<br />

an environment, the local-for-local responsiveness of the<br />

multinational organization is decreasingly viable economically,<br />

while the center-for-global insensitivity of the<br />

global organization is increasingly vulnerable to more<br />

nationally responsive compet<strong>ito</strong>rs.<br />

The challenge of responsiveness is exacerbated by the<br />

unpredictable and frequent changes in economic, technological,<br />

political, and social environments. The real<br />

challenge is not to be responsive today, but to build the<br />

capability to remain responsive as tastes, technologies,<br />

regu<strong>la</strong>tions, exchange rates, and re<strong>la</strong>tive prices change.<br />

Flexibility in sourcing, pricing, product design, and over-<br />

all strategies is now the key for maintaining »requisite<br />

differentiation.« 7 Both the centralized and the<br />

dispersed organizational forms are too inflexible to meet<br />

the challenge.<br />

The transnational develops responsiveness by building<br />

multinational flexibility in many ways. It designs<br />

some s<strong>la</strong>ck into its production facilities and adopts flexible<br />

automation to respond to unforeseen shifts in de-<br />

mand or in supply. It creates products with modu<strong>la</strong>r<br />

structures so that features and styling can be differentiated<br />

by market while basic components and core design<br />

are standardized. Most important, the transnational<br />

builds systematic differentiation of roles and responsibilities<br />

into different parts of its organization. 8<br />

Recognizing that differentiation is not necessary in<br />

all markets, only in some, the transnational varies the<br />

roles of its national operations. In some markets, national<br />

subsidiaries adopt standard global products, and their<br />

3 This approach to configuration of assets and resources is consistent<br />

with work of Kogut (1985a) and Porter (1986) who differentiated<br />

the activities of the MNC into different value-generating<br />

activities – the so-called value-added chain – and proposed<br />

different strategic logics for the configuration of each of the<br />

activities.<br />

4 The distinction among pooled, sequential, and reciprocal interdependencies<br />

has been made by Thompson (1967). For each type<br />

of interdependencies he proposed an approp<strong>ria</strong>te coordination<br />

mechanism: rules, p<strong>la</strong>ns, and mutual adjustment, respectively.<br />

5 For an excellent conceptualization of networks as a distinctive<br />

organizational form, see Aldrich and Whetten (1981).<br />

6 Our use of »integrated« parallels Kanter’s (1983) description of<br />

the »integrative« organization.<br />

7 This conception of requisite differentiation follows from Ashby’s<br />

(1956) <strong>la</strong>w of requisite variety: »only variety can kill variety.«<br />

8 The theoretical underpinnings of our conception of differentiation<br />

may be traced to B<strong>la</strong>u and Schoenherr (1971), Lawrence<br />

and Lorsch (1967), and Lawrence and Dyer (1983).<br />

The Transnational 25 Revue für postheroisches Management / Heft 5


ole is limited to effective and efficient implementation<br />

of central decisions. Other subsidiaries are encouraged to<br />

differentiate. Often the <strong>la</strong>tter category creates products<br />

that other subsidiaries adopt. In such cases, headquarters<br />

relinquishes its lead role to the subsidiary – a key<br />

attribute of the transnational that contrasts sharply<br />

with the uniformity of organizational roles in more traditional<br />

companies.<br />

In addition to customer tastes, government regu<strong>la</strong>tions,<br />

the avai<strong>la</strong>bility of leading-edge technologies, and<br />

the position of global compet<strong>ito</strong>rs are all considered in<br />

determining subsidiary roles in the transnational. Subsidiaries<br />

in highly regu<strong>la</strong>ted countries may be given an<br />

autonomous role and managed in a decentralized federation<br />

mode, while subsidiaries in more open economies<br />

are managed in an integrated, interdependent mode.<br />

Subsidiaries in the home countries of global compet<strong>ito</strong>rs,<br />

or in centers of technological excellence, may be assigned<br />

roles and resources that help them disrupt the compet<strong>ito</strong>r’s<br />

cash flow, or exploit the technology for the trans-<br />

national’s worldwide use. The subsidiaries’ internal<br />

resources and capabilities may also be a factor in de-<br />

termining their roles and responsibilities. 9 A subsidiary<br />

in a strategically important location may not have the<br />

resources required to p<strong>la</strong>y a global role, while a subsid-<br />

iary in a noncritical environment may be resource-rich.<br />

Their roles may be adjusted accordingly.<br />

In Chapter 6, we describe how some companies are<br />

building such a differentiated system and suggest how<br />

other companies could develop simi<strong>la</strong>r capabilities. Differentiation<br />

in subsidiaries’ roles, however, is only one<br />

aspect of a broader system of internal differentiation<br />

in the transnational. Businesses, products, and functions<br />

are all managed differently, with an eye to industry<br />

structures, competitive positions, and the nature of the<br />

strategic tasks. This system of internal differentiation<br />

implies an overall management mentality very different<br />

from those of the global, multinational, and internation-<br />

al traditions. In the absence of such a transnational<br />

mentality, a mechanical adoption of our framework (or<br />

any other system of differentiation) cannot become effective.<br />

On the contrary, it can be severely dysfunctional,<br />

destroying internal norms of equity, creating enormous<br />

ambiguity, and increasing complexity with few compensating<br />

benefits. But in a company that adopts the transnational<br />

mentality, such a system of differentiation be-<br />

comes a dynamic and self-regu<strong>la</strong>ting process through<br />

which the firm can build flexibility in its worldwide<br />

operations and achieve responsiveness with a minimum<br />

sacrifice of efficiency, and often with considerable enhancement<br />

of its competitiveness.<br />

Managing Multiple Organizational Processes<br />

Most <strong>la</strong>rge companies with worldwide operations have<br />

recognized that managing innovations is a key strategic<br />

capability. As structural changes in many industries<br />

forced out weaker compet<strong>ito</strong>rs, the survivors often<br />

found that they had comparable scale and differentiation<br />

capability. Thus, competition often shifted to companies’<br />

ability to sense emerging trends, to develop creative<br />

responses, and to diffuse their innovations worldwide<br />

– their capability for worldwide learning. 10 This has<br />

certainly been the case in the telecommunications industry.<br />

Learning is also rapidly becoming the central<br />

game in consumer electronics and is emerging as a key<br />

competitive capability in branded packaged goods.<br />

Traditionally, both global and international companies<br />

have depended on a central process for creating and<br />

exploiting innovations: sensing a new opportunity in<br />

the home country, using the centralized development resources<br />

of the parent company to create a new product or<br />

process, and then adopting the innovation in approp<strong>ria</strong>te<br />

locations around the world. Multinational companies, on<br />

the other hand, relied heavily on local innovations: their<br />

autonomous, self-contained national subsidiaries used<br />

their own resources to create new products or processes<br />

that met the needs of their local environments. Earlier<br />

in this chapter we described some of the limitations of<br />

these traditional innovation processes.<br />

Managers of transnational companies approach the<br />

management of innovations and learning very differ-<br />

ently. They recognize that environmental demands and<br />

opportunities vary widely from country to country. Some<br />

markets have more sophisticated consumers; in some<br />

countries, key compet<strong>ito</strong>rs are more active; and in some<br />

environments, certain technologies are more advanced<br />

than others. Furthermore, the home country may be the<br />

most critical environment for some businesses and activ-<br />

ities, but not necessarily for all.<br />

These managers also recognize that different parts of<br />

the company possess different capabilities. Often, key<br />

physical and organizational assets of the company are<br />

The Transnational 26 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Table 2<br />

Organizational<br />

Characteristics<br />

Configuration of assets<br />

and capabilities<br />

Role of overseas operations<br />

Development and diffusion<br />

of knowledge<br />

Decentralized and<br />

nationally self-sufficient<br />

Sensing and exploiting<br />

local opportunities<br />

Knowledge developed and<br />

retained within each unit<br />

Organizational Characteristics of the Transnational<br />

Multinational Global International Transnational<br />

located overseas, developed there in response to local<br />

demands (or simply by chance). A worldwide company’s<br />

exposure to a range of environmental stimuli represents<br />

an important potential advantage over a national company.<br />

The broader range of customer preferences, compet<strong>ito</strong>r<br />

behavior, government demands, and technological<br />

stimuli can trigger learning and innovation within the<br />

organization. 11 Transnational managers see no reason to<br />

prevent resources outside the home environment from<br />

benefiting the entire corporation. Instead, they foster the<br />

development of such organizational assets, and ensure<br />

that the whole firm has access to them.<br />

Centrally designed products and processes still p<strong>la</strong>y<br />

an important global role in the transnational. But innovations<br />

are created by the subsidiaries as well. Often,<br />

instead of finding a central solution to an emerging glob-<br />

Centralized and globally<br />

scaled<br />

Implementing parent<br />

company strategies<br />

al opportunity (as in a global or international organization)<br />

or different local solutions in each environment<br />

(as in a multinational), the transnational will pool the<br />

resources of central facilities and many national subsidiaries<br />

to develop a worldwide solution for its dispersed<br />

organization. Efficient local p<strong>la</strong>nts may be converted into<br />

international production centers; innovative national or<br />

regional development <strong>la</strong>bs may be designated as »worldwide<br />

centers of excellence« for specific product or process<br />

development; and creative subsidiary marketing groups<br />

may be given lead roles in developing worldwide strategies<br />

for certain products or businesses.<br />

Such transnational innovation processes support and<br />

complement the traditional central and local processes.<br />

Knowledge developed<br />

and retained at the center<br />

Sources of core competencies<br />

centralized,<br />

others decentralized<br />

Adapting and leveraging<br />

parent company competencies<br />

Knowledge developed at<br />

the center and transferred<br />

to overseas units<br />

The task of worldwide learning requires that the company<br />

nurture all possible ways of developing innovative<br />

products and processes. The issue of worldwide learning<br />

will be the main topic of Chapter 7. There, we will review<br />

a number of specific innovation cases in different companies,<br />

and will offer some general guidelines on how<br />

managers can enhance the efficiency and effectiveness<br />

of these processes.<br />

An Internally Consistent Organizational System<br />

Table 2 recapitu<strong>la</strong>tes the key organizational attributes<br />

of the multinational, global, and international compa-<br />

nies (from Table 1) and adds those of the transnational<br />

company. The attributes of the transnational are inter-<br />

nally consistent and mutually reinforcing. The inte-<br />

grated network configuration, the differentiation of sub-<br />

9 Lawrence and Dyer (1983) integrated these two previously separate<br />

logics for differentiation – the environmental contingency<br />

perspective (Lawrence and Lorsch, 1967) and the resource dependency<br />

perspective (Pfeffer and Sa<strong>la</strong>ncik, 1978; Aldrich, 1979).<br />

10 The concept of organizational learning has been discussed by<br />

various organizational theorists such as Cyert and March (1963),<br />

March and Olsen (1976), Argyris and Schon (1978), Duncan and<br />

Weiss (1979), and Hedberg (1981). There are considerable differences,<br />

however, in their conceptualization of organizational<br />

learning. In a comprehensive review of this literature, Fiol and<br />

Lyles (1985) distinguished between learning as the development<br />

of insights and change in knowledge states on the one hand<br />

and structural and organizational adaptive outcomes on the<br />

other. Our own conception is intended to capture both strands.<br />

Our focus, though, is on innovation processes within the or-<br />

ganization, as this is perhaps the most important part of the<br />

broader concept of organizational learning.<br />

11 This point has been highlighted by Vernon (1979).<br />

The Transnational 27 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

Dispersed, interdependent,<br />

and specialized<br />

Differentiated contributions<br />

by national units<br />

to integrated worldwide<br />

operations<br />

Knowledge developed<br />

jointly and<br />

shared worldwide


Table 3<br />

Strategic Capability<br />

Global competitiveness Dispersed and interdependent assets and resources Legitimizing diverse perspectives and capabilities<br />

Multinational flexibility<br />

Worldwide learning<br />

Building and Managing the Transnational<br />

sidiary roles and responsibilities, and the simultaneous<br />

management of multiple innovation processes collec-<br />

tively constitute an integrated and viable organizational<br />

system.<br />

The integrated network configuration of resources is<br />

essential for developing transnational innovations, as<br />

well as the more complex and flexible responsiveness we<br />

have described. The differentiated and specialized capabilities<br />

of organizational units make mutual cooperation<br />

necessary in creating new products and processes; the<br />

reciprocal interdependency among units allows such cooperation<br />

to be self-sustaining.<br />

At the same time, the differentiation of organiza-<br />

tional roles leads certain parts of the company to develop<br />

specialized resources and capabilities, which in turn<br />

allow them to p<strong>la</strong>y unique roles in the various innovation<br />

processes. The very existence of such processes also<br />

creates the need for differentiated roles and dedicated<br />

resources. All three attributes of the transnational are<br />

intertwined into a complex organizational system. It is<br />

this complex organizational system, rather than a particu<strong>la</strong>r<br />

structure or even a specific »way of doing things,«<br />

that characterizes the transnational organization.<br />

Building and Managing the Transnational<br />

Organizational Characteristics Management Tasks<br />

Differentiated and specialized subsidiary roles Developing multiple and flexible coordination processes<br />

Joint development and worldwide sharing of knowledge Building shared vision and individual commitment<br />

The strengths of the transnational are also the source of<br />

its problems. The distributed and specialized configuration<br />

of assets, the diversity of organizational roles and<br />

responsibilities, and the multiplicity of innovation and<br />

learning processes can lead to internal fragmentation<br />

and dissipation. To make such an organization work,<br />

management needs to marshal equally powerful forces<br />

of integration and unification. 12 Otherwise, the organi-<br />

zation can easily become too dispersed to be competitive,<br />

too interdependent to be flexible, and too complex to<br />

develop or leverage its learning capability.<br />

To build and manage the transnational as an effective<br />

strategic entity, management faces several admin-<br />

istrative challenges (see Table 3). First, it must be able<br />

to ba<strong>la</strong>nce the diversity of perspectives and capabilities<br />

within the organization and ensure that no single man-<br />

agement group dominates others. Second, given the<br />

differences in the roles and responsibilities of organi-<br />

zational units, management must build a set of flexible<br />

coordination processes so that each unit and task is man-<br />

aged in the most approp<strong>ria</strong>te manner. But, while approp<strong>ria</strong>te<br />

systems and management processes are essential,<br />

in themselves they cannot counteract the enormous<br />

centrifugal force in such organizations. Therefore, the<br />

most crucial task of transnational managers is to en-<br />

courage a shared vision and personal commitment to<br />

integrate the organization at the fundamental level of<br />

individual members.<br />

Ba<strong>la</strong>ncing Perspectives and Capabilities<br />

In Chapters 2 and 3 we have seen some of the pitfalls<br />

that await companies trying to respond to the changing<br />

strategic demands in their businesses. Over time, most<br />

companies develop somewhat biased (and in some cases,<br />

highly skewed) organizational capabilities and management<br />

perspectives. Unilever’s early international success<br />

was due to its sensitivity to national market structures<br />

and local consumer preferences. As a result, the company<br />

developed a strategy based on multinational respon-<br />

siveness and paid less attention to global efficiency<br />

and worldwide learning. In contrast, Matsushita owed<br />

The Transnational 28 Revue für postheroisches Management / Heft 5


its early success to the cost advantage it gained from its<br />

global-scale R&D and manufacturing operations in<br />

Japan, while Procter & Gamble leveraged its strong domestic<br />

technology and marketing expertise worldwide.<br />

Like Unilever, both companies focused on a single dominant<br />

source of competitive advantage, and their management<br />

perspectives and capabilities became biased.<br />

Strong unidimensional strategic biases were rein-<br />

forced by the organizational difficulties the companies<br />

faced. The very act of going international multiplies organizational<br />

complexity. Typically, a third dimension must<br />

be added to the existing business- and functionally<br />

oriented management structure of domestic operations.<br />

The trauma of integrating a geographic dimension into<br />

the management process strains manage<strong>ria</strong>l re<strong>la</strong>tion-<br />

ships. For most companies it was a difficult enough chal-<br />

lenge to create product divisions while maintaining the<br />

effectiveness and legitimacy of corporate staffs whose<br />

functional expertise and access to information gave<br />

them an important counterba<strong>la</strong>ncing role. 13 The thought<br />

of adding geographically oriented management and<br />

maintaining a three-way ba<strong>la</strong>nce of perspectives and<br />

capabilities was intimidating to most managers. Their<br />

task was to resolve tensions among operating units divided<br />

by distance and time, and managers separated by<br />

culture and <strong>la</strong>nguage.<br />

In many companies, the group that responds to the<br />

most critical strategic tasks gains organizational power.<br />

14 By enabling the company to sense and respond to<br />

the needs of national markets, the geographic managers<br />

in Unilever became the dominant group, since their contribution<br />

was crucial to achieving the dispersed responsiveness<br />

central to Unilever’s multinational strategy. In<br />

Matsushita, managers in the powerful product divisions<br />

dominated most decision making, since strong business<br />

management was key to the company’s dependence on<br />

global-scale efficiency. Not surprisingly, Procter & Gam-<br />

ble’s historically strong functional groups retained their<br />

influence through many reorganizations, since managers<br />

with specialized technical and marketing knowledge<br />

were vital to the company’s strategy of building and<br />

transferring its core competencies – a capability vital to<br />

worldwide learning. 15<br />

The transnational company, however, must develop a<br />

multidimensional organization that maintains the via-<br />

bility and effectiveness of each organizational group.<br />

Any bias that favors a particu<strong>la</strong>r business, function, or<br />

area management must be eliminated, and the company<br />

must adopt a decision process in which each perspective<br />

is represented, albeit with a differing level of influence. 16<br />

As the experience of ITT, Kao, and GE illustrates, it is<br />

no small task to move from unidimensional to multidimensional<br />

management, and to maintain a ba<strong>la</strong>nce<br />

among competing perspectives. In Chapter 8, we will describe<br />

how some companies, such as Procter & Gamble<br />

and Ericsson, have created such ba<strong>la</strong>nce in their organizations.<br />

We will contrast their experiences with those of<br />

companies that failed to overcome their unidimensional<br />

biases, drawing some broad conclusions on how managers<br />

can build the multidimensional organizational capability<br />

needed in a transnational company.<br />

Developing Flexible Coordination Processes<br />

Changes in structure and re<strong>la</strong>tionships influence a com-<br />

pany’s management processes. As companies develop<br />

more multidimensional capabilities, the differences in<br />

tasks and roles amplify the diversity of management<br />

perspectives. In most companies, such diversity cannot<br />

be effectively integrated through existing management<br />

processes. The growing interdependencies of the various<br />

organizational units further strain avai<strong>la</strong>ble control<br />

systems and emphasize the need for more sophisticated<br />

coordination capabilities.<br />

The vo<strong>la</strong>tility of the external environment compounds<br />

the need for flexible coordination processes.<br />

12 This concept is in keeping with Lawrence and Lorsch (1967), who,<br />

in addition to need for requisite differentiation, stressed the importance<br />

of approp<strong>ria</strong>te integration devices for improved organization<br />

performance.<br />

13 The matrix organizational structure (Davis and Lawrence, 1977)<br />

evolved as a response to the needs to ba<strong>la</strong>nce project/product<br />

and functional inputs but it required mechanisms of mutual adjustment<br />

to resolve the conflicts that it inevitably engendered.<br />

This is a topic to which we shall return in Chapter 8.<br />

14 This conception of the transnational recognizes that organizations<br />

are also political arenas (Cyert and March, 1963; Pettigrew,<br />

1973; Pfeffer, 1981; and Min<strong>tz</strong>berg, 1983) and the importance of<br />

the dominant coalition in the organization (Thompson, 1967).<br />

15 These dominant coalitions are consistent with the predictions of<br />

the previous research on the determinants of intraorganizational<br />

power. The view that power accrues to the organizational subunit<br />

that handles critical contingencies was discovered in a field<br />

study of two French bureaucracies by Crozier (1964), theoretically<br />

formalized by Hickson et al. (1971), and empirically established<br />

by Hickson et al. (1971) and Hinings et al. (1974).<br />

16 The difficulties of achieving this ba<strong>la</strong>nced approach for managing<br />

the distribution of power and influence in organizations are discussed<br />

in Bacharach and Lawler (1981).<br />

The Transnational 29 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Since consumer needs, technologies, political forces, and<br />

competitive strategies are in constant flux, any company<br />

with a static view of coordination needs, or an inflexible<br />

approach to problems will face significant difficulties,<br />

not unlike those of ITT.<br />

The very nature of the transnation-<br />

al organization dramatically<br />

expands the number of issues that<br />

have to be integrated<br />

Most companies tend to concentrate on one primary<br />

mechanism for coordination and control – one »way of<br />

doing things.« At ITT, for example, it was »the sys-<br />

tem« – Harold Geneen’s sophisticated control mecha-<br />

nisms, which were highly formalized and institutional-<br />

ized throughout the organization. At Kao, coordination<br />

and control were achieved primarily through centralization<br />

of decision making; corporate management was<br />

directly involved in most strategic and even operation-<br />

al tasks. Unilever relied primarily on socialization –<br />

an intricate process of instilling a common culture and<br />

a shared perspective in all managers – to hold the organization<br />

together and integrate managers responsible<br />

for different areas and functions. But no single mechanism<br />

can deal with the complex coordination needs<br />

that arise in worldwide companies.<br />

The transnational requires highly flexible coordination<br />

processes to cope with both short-term shifts in specific<br />

role assignments and long-term realignments of<br />

basic responsibilities and reporting re<strong>la</strong>tionships. Furthermore,<br />

it must be capable of modifying roles and re<strong>la</strong>tionships<br />

on a decision-by-decision basis. The company<br />

must develop multiple means of coordination and allocate<br />

its scarce coordinating resources on the basis of a<br />

careful assessment of specific task demands. 17<br />

The very nature of the transnational organization<br />

dramatically expands the number of issues that have to<br />

be integrated. But three flows are crucial. First, the company<br />

has to coordinate the flow of parts, components,<br />

and finished goods. Second, it must manage the flow of<br />

funds, skills, and other scarce resources among units.<br />

Third, it must link the flow of intelligence, ideas, and<br />

........<br />

knowledge that are central to its innovation and learning<br />

capabilities.<br />

The transnational company builds a portfolio of coor-<br />

dinating processes that includes centralization (substantive<br />

decision making by senior management), formalization<br />

(institutionalization of systems and procedures to guide<br />

choices), and socialization (building a context of common<br />

purpose, values, and perspectives among managers to influence<br />

their judgments). 18 It uses the entire portfolio,<br />

rather than just one process, to achieve a richer and more<br />

differentiated kind of coordination. The flow of parts,<br />

components, and products is often managed through systems;<br />

the flow of resources is usually directed through<br />

more substantive involvement of top management; and<br />

the flow of information and knowledge may be facili-<br />

tated primarily through mechanisms that lead to norma-<br />

tive integration of managers and to a common culture<br />

and unifying vision. Simi<strong>la</strong>rly, different parts of the<br />

organization may be managed differently: some businesses,<br />

functions, and areas may require more direction<br />

and centralization, while formalization or socialization<br />

may be the primary integrative process in others.<br />

Chapter 9 will examine how the transnational develops<br />

and deploys its diverse coordination tools. We will<br />

draw on the experiences of Philips, Unilever, and Ericsson<br />

to illustrate the process of differentiation in coordinative<br />

processes and to exp<strong>la</strong>in the choice of different<br />

tools for different tasks. We shall also describe how<br />

such companies use both the visible hand of managed<br />

integration and the invisible hand of coordination<br />

through internal market mechanisms to build powerful<br />

centripetal forces and counterba<strong>la</strong>nce the pressures of<br />

fragmentation that are unavoidable in the transnational<br />

mode of operation. 19<br />

Unifying the Organization Through Vision and Cooption<br />

Transnational management processes differ from those<br />

of more traditional organizations in two significant<br />

ways. First, the reliance on control tends to erode as unidimensional<br />

systems and practices are supplemented by<br />

new coordination mechanisms. Second, the processes are<br />

managed in a differentiated fashion, not only from issue<br />

to issue, but across businesses and organizational units.<br />

Internal differentiation in organizational roles and<br />

management processes can lead to severe conflict within<br />

The Transnational 30 Revue für postheroisches Management / Heft 5


a company. To maintain morale and to provide a sense of<br />

unity at every level of the company, the transnational<br />

has to move beyond restructuring assets and remolding<br />

management processes. Top management must obtain<br />

the personal commitment of every individual in the firm<br />

to the overall corporate agenda. We call this process cooption.<br />

Its integrative effects often prove to be more<br />

powerful than those of any structure or system, however<br />

sophisticated. 20<br />

To develop such commitment, each individual must understand<br />

and share the company’s purposes and values,<br />

must identify with the broader goals and objectives, and<br />

must accept and internalize its key strategies. In essence,<br />

the company must build on an overall management<br />

mentality that sees beyond the organization’s specific<br />

economic purposes to a <strong>la</strong>rger mission that deserves to be<br />

supported and cherished. In Chapter 10, we will describe<br />

how such a mentality can be embedded and nurtured.<br />

In any complex organization, the main difficulty in<br />

obtaining individual commitment to an overall purpose<br />

is the limited perspectives and parochial interests of<br />

managers in key positions. Neither organization structure<br />

nor coordination systems can fully neutralize the<br />

typical hierarchy of manage<strong>ria</strong>l loyalties, which p<strong>la</strong>ce<br />

local above global interests. Therefore, a fundamental<br />

prerequisite for the normative integration a transnational<br />

seeks is a sophisticated human resource management<br />

system. The transnational uses systems of recruitment,<br />

training and development, and career path management<br />

to help individuals cope with its diversity and<br />

complexity. 21<br />

These, then, are the broad characteristics of the trans-<br />

national – the organization model that is becoming<br />

increasingly necessary for companies operating in today’s<br />

international competitive environment. In the next<br />

part of the book we will describe in more detail the trans-<br />

national characteristics and capabilities that we observed<br />

several of our sample companies creating. ¶<br />

17 The idea that the allocation of administrative resource be considered<br />

akin to a constrained maximization problem in economics<br />

has been suggested by Caves (1982), who admonished organization<br />

theorists for paying little attention to the costs/benefits<br />

of different administrative mechanisms. Important exceptions<br />

among organization theorists are Thompson (1967) and Ouchi<br />

(1977, 1980).<br />

18 The use of centralization, formalization, and socialization as<br />

means of coordination and control has been discussed by many<br />

authors including Pugh et al. (1968, 1969), B<strong>la</strong>u and Schoenherr<br />

(1971), Child (1972, 1973), and Ouchi (1977, 1980). In the specific<br />

context of the multinational corporation, the process implications<br />

of these mechanisms were described by Bartlett (1979) in<br />

a model that distinguished »substantive decision management,«<br />

»temporary coalition management,« and »decision context management«<br />

as alternative management process modes in MNCs.<br />

See also the contributions by various scho<strong>la</strong>rs in a volume<br />

edited by Otterbeck (1981).<br />

19 Nonaka (1972) pointed out that the interpenetration of market<br />

and hierarchical coordination was an important feature of<br />

Japanese organizations.<br />

20 This is perhaps one of the most enduring insights in management<br />

theory and was the central theme in the works of both<br />

Barnard (1938) and Selznick (1959).<br />

21 Compelling evidence for the importance of enlightened human<br />

resource management programs for corporate performance has<br />

been provided by Kanter (1983), based on a survey of the HRM<br />

practices of several major American corporations.<br />

The Transnational 31 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Christopher A. Bartlett is Professor of Business Administration, Emeritus, at Harvard Business School. He has<br />

published eight books, including »Managing Across Borders: The Transnational Solution« (with Sumantra Ghoshal),<br />

named by the Financial Times as one of the fifty most influential business books of the century.<br />

(For further information see above.)<br />

Rob Wiechern is currently completing his doctoral thesis on »Strategic Decision Making in International Companies,«<br />

supervised by Prof. Dr. Wimmer. He will subsequently head the research department »Electric Vehicles & Systems«<br />

at RGE Energy AG, Frankfurt am Main. This follows a four-year appointment in Daimler’s Society & Technology<br />

Research Group.<br />

Interview with Christopher A. Bartlett<br />

The Transnational Solution<br />

Interview with Christopher A. Bartlett, author of the international<br />

bestseller »Managing Across Borders – The Transnational Solution«<br />

(together with Sumantra Ghoshal)<br />

The interview was conducted by Rob Wiechern via phone between<br />

Berlin, Germany, and Sydney, Australia, March 15, 2009.<br />

Rob Wiechern: Prof. Bartlett, let’s start with your start: by<br />

the end of the 1970s, Yves Doz, Coimbatore Praha<strong>la</strong>d, and<br />

you – now all well-known professors in your fields of scientific<br />

interest – joined the Harvard PhD program at the<br />

same time. How do we have to think of that time?<br />

Christopher A. Bartlett: That is right. CK (Praha<strong>la</strong>d, A.d.V.)<br />

was a year ahead of Yves, who was a year ahead of me.<br />

Because we were separated by a year, we weren’t doing<br />

courses at the same time. It was more that we were bumping<br />

into each other in seminars, presenting early papers,<br />

and so on. Yves, CK, and I we were good friends, but there<br />

wasn’t so much col<strong>la</strong>boration going on.<br />

At that stage there was a lot of interest in the multina-<br />

tional enterprise, and not a lot of work being done, particu<strong>la</strong>rly<br />

from a more manage<strong>ria</strong>l perspective. It was really a<br />

golden era for this kind of work.<br />

How did you meet Sumantra Ghoshal, the co-author of<br />

»The Transnational Solution«? Reading the book, one gets<br />

the impression that there was a good »vibe« between the<br />

two of you.<br />

It started when Sumantra was at the stage of a doctoral<br />

student. He was in fact doing his PhD at Massachusetts<br />

Institute of Technology (MIT), attending a seminar I was<br />

giving. I was presenting some of my early research on the<br />

»transnational« project. He saw it, and immediately wanted<br />

to be involved. He wanted to do field work in companies,<br />

which he was getting less of an opportunity to do in<br />

MIT. So I said, »O.K., let’s carve off a piece of the project for<br />

you to do with me.« Sumantra was an incredibly highenergy<br />

individual.<br />

I have always been a great believer in col<strong>la</strong>boration. I think<br />

a lot of doctoral students do a lot of work that isn’t well<br />

recognized and I didn’t want to just make a footnote, »This<br />

section was contributed by Sumantra Ghoshal.« I thought<br />

it was a partnership and as we traveled, ideas were flowing<br />

and we started writing articles together. That was a<br />

decision that I was incredibly happy with in the years that<br />

followed. The re<strong>la</strong>tionship evolved from teacher-student to<br />

colleagues to very close friends. Then, everything that we<br />

did for the next twenty-plus years we did col<strong>la</strong>boratively.<br />

Christopher A. Bartlett im Interview 32 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Often one of us would take the lead on an article, but<br />

always we would bang things back and forth. It was a bit<br />

like Lennon and McCartney: you never were quite sure<br />

which was Lennon’s piece that also got McCartney’s name<br />

on it, and which was McCartney’s piece that also got<br />

Lennon’s name on it. There are not many col<strong>la</strong>borative<br />

partnerships that have endured, and ours did, in a very<br />

healthy and enjoyable way.<br />

If we go back to the roots of »The Transnational Solution«:<br />

what were the major observations that made you write<br />

this book?<br />

It started in Australia before I became an academic. I used<br />

to work for an honest living (<strong>la</strong>ughs). After I got an eco-<br />

nomics degree, I worked first with ICI, the big English<br />

chemical company, and then with Alcoa, the American aluminum<br />

company. In 1969 I left Australia and went to get<br />

an MBA at Harvard, followed by an engagement at Mc-<br />

Kinsey Consulting, again working mostly with multi-<br />

nationals; then I worked at Baxter Laboratories with the<br />

president of the international division, and then I ran their<br />

French subsidiary.<br />

Through all of those experiences dealing with multination-<br />

al companies, I started to develop a great interest in them,<br />

because it was obviously – in the 60s and 70s – a time of incredible<br />

expansion, particu<strong>la</strong>rly of American multinationals.<br />

I could see both from the headquarter’s perspective, and<br />

then from a subsidiary’s perspective, how powerful they<br />

were and yet how poor their management processes were.<br />

Part of it was also that multinationals’ management didn’t<br />

really seem to understand very well what was happening<br />

in their foreign markets. It became a natural thing, when<br />

I went back to Harvard to get a doctorate, that this would<br />

be an interest.<br />

Within the international business field, Stopford and Wells 1<br />

had developed a structural life cycle model of multination-<br />

al companies that described their evolution from the inter-<br />

national division into a product division or an area divi-<br />

sion, and then into a matrix. This didn’t ring true to me. I<br />

tried to understand why so many companies kept an international<br />

division structure long after this stages theory<br />

indicated that they should have abandoned it. This question<br />

became the basis of my doctoral dissertation.<br />

Then, teaching a course called »Management of International<br />

Business« got me into doing research with a lot of<br />

companies. I started to believe that the structure of multinational<br />

companies was much less important than the<br />

processes and the cultures that were built within them.<br />

That is what framed the research that I put in motion and<br />

that was <strong>la</strong>ter joined by Sumantra, leading us to the publication<br />

of »Managing Across Borders: The Transnational<br />

Solution.«<br />

This is, one of your main observations was that multinational<br />

companies particu<strong>la</strong>rly had problems with managing<br />

their overseas operations?<br />

At that time there were enormous opportunities for almost<br />

all companies managing across borders. But in terms of<br />

multinationals’ management processes, there was a whole<br />

lot of things that were, if not pathological, at least difficult<br />

for them. What became very clear was that the American<br />

companies, as they went overseas with what we characterized<br />

as the »international« model, often had a mentality<br />

that they came from the world’s <strong>la</strong>rgest, richest, most<br />

technologically developed market; they didn’t always understand<br />

national markets, and so they would try to drive<br />

the American way through. So did the Europeans with<br />

their »multinational« model, and Japanese companies with<br />

their »global« approach.<br />

I was much more interested in the organization and the<br />

manage<strong>ria</strong>l side of this, because I thought companies strategically<br />

understood what they had to do. The great challenge<br />

was organizationally and manage<strong>ria</strong>lly: how to take<br />

the strategic intent and deliver that in a global market<br />

where managers are separated by distance, <strong>la</strong>nguage,<br />

time, and culture.<br />

Within the »Transnational Solution« you argue that one<br />

reason why international companies have such difficulties<br />

to adapt to foreign market needs is their administrative heritage.<br />

You use this term to describe the formal and informal<br />

organizational structure and how it has evolved from the<br />

past. At the same time you avoid calling it, at least in part,<br />

corporate culture. You further argue that a company’s unique<br />

strategic capabilities are deeply embedded in this admin-<br />

istrative heritage, but on the other hand you regard the<br />

heritage as a liability that has to be changed. So what is it?<br />

Your point is exactly right. It is a neutral term. Companies<br />

not only have to figure out where they are going to, which<br />

is their strategy, but where they are coming from, which<br />

we called their »administrative heritage.« I don’t call it corporate<br />

culture because it is more than that. It is built into<br />

1 Stopford, John M./Wells Louis T. (1972): Managing the Multinational<br />

Enterprise. London: Longman.<br />

Christopher A. Bartlett im Interview 33 Revue für postheroisches Management / Heft 5


a whole lot of things. It is what has shaped a company’s<br />

mental set.<br />

In the case of the two Philips brothers, the values that<br />

they put in p<strong>la</strong>ce got deeply embedded, just as Konosuke<br />

Matsushita’s (Panasonic) values got embedded. So administrative<br />

heritage is shaped by a founder or influential<br />

leader. But it is also shaped by the company’s national<br />

culture. In Japan, the whole management model is based<br />

around culturally embedded processes like Ringi and<br />

Nemawashi. 2 These are processes that are much more national<br />

culture than they are corporate culture. And it is the<br />

history, the time in which companies expanded: if you<br />

expanded like the Europeans at a time when tariff barriers<br />

were very high, then you would give a great deal more<br />

freedom to your national subsidiaries.<br />

It is a whole lot of influences that get embedded in more<br />

than the corporate culture. It gets embedded in management<br />

mindsets, assumptions, and beliefs. It gets embedded<br />

in structures, processes, and systems. So culture is<br />

important, but we talk about administrative heritage in a<br />

much <strong>la</strong>rger sense. It is the embeddedness of the whole<br />

corporate context that becomes this incredible asset.<br />

That is what allowed the Japanese companies like Toyota<br />

to develop huge scale and enormous cost efficiency that<br />

drove them through the world. By the same token, it is<br />

an enormous liability when host country governments<br />

around the world tell them, »You can’t just regard us as a<br />

marketp<strong>la</strong>ce, you have also got to regard us as a p<strong>la</strong>ce<br />

where you invest.« They end up with administrative heritage<br />

being a constraint rather than just being an asset.<br />

Administrative heritage is both an asset and a liability.<br />

Perhaps we can stay a little longer with the internal conditions<br />

of international companies. Within the framework<br />

of the »Transnational Solution« you distinguish four models<br />

of cross-border companies: international, multinational,<br />

global, and transnational companies, the <strong>la</strong>tter being an<br />

idealized future model. Now, twenty years <strong>la</strong>ter, would you<br />

say that most companies changed and became trans-<br />

nationals?<br />

Let’s be clear, first, that like any typology in academic<br />

research, those are archetypes. There is no clear, precise<br />

model; the boundaries are fuzzy. I think that the point that<br />

we wanted to make is that multinational companies like<br />

Philips or Unilever that have grown up as decentralized<br />

federations were battling very hard to overcome that heritage<br />

and to become more integrated and coordinated, and<br />

in fact moving on that grid from being a multinational to<br />

becoming a transnational. Just as the Japanese were being<br />

forced to move and to become more sensitive and responsive<br />

to national differences. That trend emerged from our<br />

research and certainly continues today.<br />

.........<br />

The dominant source of competitive<br />

advantage in most industries<br />

today is the third factor: the ability<br />

to develop and diffuse innovation,<br />

knowledge, and expertise on a<br />

worldwide basis.<br />

Obviously industry difference matters a lot. But the price<br />

of admission in almost any industry now is that you have<br />

to capture global scale efficiencies – you need to have a<br />

minimum efficient scale to compete. The price of admis-<br />

sion is also that you have to understand host country<br />

governments around the world and national markets<br />

around the world. Those two things – the need for global<br />

efficiency and the need for national responsiveness – are<br />

the price of admission in almost any industry. As com-<br />

panies equate on these two dimensions, the dominant<br />

source of competitive advantage in most industries today<br />

is the third factor: the ability to develop and diffuse inno-<br />

vation, knowledge, and expertise on a worldwide basis.<br />

Building a global network of knowledge and expertise, and<br />

then being able to take an idea from one market, link it<br />

with a resource in another market, leverage it with an<br />

expertise in a third market, and build something that can<br />

be rolled out as a worldwide innovation, is at the core of<br />

transnational competition; it is the way the game is being<br />

p<strong>la</strong>yed now. Most companies have to – and in fact I<br />

think the data would show that most companies are moving<br />

towards a model that we describe as the transnational.<br />

Within the »Transnational Solution« you stress matters of<br />

ownership of multinationals only indirectly as part of their<br />

history and administrative heritage. In Europe, and especially<br />

in Germany, there is considerable research on <strong>la</strong>rge<br />

family-owned companies like Dr. Oetker, Freudenberg, or<br />

Voith. These family-run companies seem to have a very<br />

different approach to international business than <strong>la</strong>rge<br />

companies listed on public stock markets. Do you think<br />

ownership matters in international management?<br />

Christopher A. Bartlett im Interview 34 Revue für postheroisches Management / Heft 5


What you are talking about is a management model that<br />

is based more on personal contacts and re<strong>la</strong>tionships. In<br />

fact, if you look back at the foundation of companies like<br />

Philips and Unilever that were in our core sample, it was<br />

the Philips brothers, and Lord Lever, who set up their glob-<br />

al operations in ways that sound like the family companies<br />

that you are talking about, where they would send<br />

a trusted family member overseas, or an individual that<br />

they knew very well. Essentially, the coordination was<br />

done as much through trust and informal contacts as it<br />

was through formal systems. We term this coordination<br />

through socialization, which is an informal network of<br />

trust and so on. That has remained an important part of<br />

coordinating worldwide operations.<br />

But once companies get to the size and complexity that<br />

most of the public companies have, you need to develop a<br />

wider portfolio of coordinating mechanisms because, as<br />

you move more towards a transnational, network-based<br />

organization, the coordination of flows of goods, resources,<br />

and knowledge requires different kinds of coordination. On<br />

top of coordination through socialization you need to<br />

over<strong>la</strong>y formalization, which is a system of processes that<br />

is often very good for coordinating flows of products (or<br />

mate<strong>ria</strong>ls, finished goods, etc.) around the world. Finally,<br />

there are some things that management just may need to<br />

keep close to the center, particu<strong>la</strong>rly everything that is re<strong>la</strong>ted<br />

to scarce financial and human resources. These often<br />

require coordination through centralization.<br />

To look at it from a different perspective: capital markets<br />

seem to become stronger and stronger in influencing major<br />

management decisions, calling for short-term interest,<br />

strong top-down management control, and so forth. Would<br />

you agree?<br />

Multinationals can source financial resources from all over<br />

the world. If the Brazilian government offers them incentive<br />

to go on and set up a p<strong>la</strong>nt there that gives them a<br />

lower cost of capital and lower global costs for a research<br />

center or whatever, then there is incentive to do that because<br />

it makes them more competitive. But in »The Individualized<br />

Corporation« 3 Sumantra and I argued that for<br />

most companies, the scarce, constraining resource is no<br />

longer financial capital. Most companies historically have<br />

had more financial capital than they had great ideas to<br />

fund. What is the scarce and therefore strategic resource<br />

in this information-based, knowledge-intensive, and service-driven<br />

era, is intellectual human capital. Now the bat-<br />

tle is really on for how companies develop and reward the<br />

scarce resource of human capital. Companies are strug-<br />

gling with that right now and will continue to do so, in-<br />

cluding transnational companies.<br />

Referring to the actual worldwide financial crisis, do you<br />

think that multinational companies are part of the problems<br />

that caused this crisis? And how will the crisis in turn<br />

affect multinational companies?<br />

I think the cause of the current crisis is pretty clear. It was<br />

overleveraging of financial assets in the United States,<br />

packaging them in poorly understood financial instruments,<br />

then selling these toxic assets around the world.<br />

This process led to the global cross-infection of markets.<br />

There were multiple contributors to the crisis – poorly<br />

designed financial instruments, the culture of greed, the<br />

<strong>la</strong>ck of regu<strong>la</strong>tion – a whole lot of things that have been<br />

widely discussed in the press. But I wouldn’t put multinationals<br />

at the center of the crisis.<br />

........<br />

I think that the nature of the corporation<br />

will be challenged. …<br />

The whole financial model of the<br />

corporate world will be reassessed<br />

and with it the evaluation of risk.<br />

Having said that, I think there are some issues that are<br />

very important to talk about. As we reassess a lot of the<br />

assumptions about our capital markets, and indeed about<br />

our global business markets, I think that the nature of the<br />

corporation will be challenged. A lot of companies gained<br />

competitiveness by overleveraging, whether they were<br />

multinational or national. The whole financial model of<br />

the corporate world will be reassessed and with it the evaluation<br />

of risk. It will be forced on it both by governments<br />

and by investors who will be a lot more conservative.<br />

2 »Nemawashi« (»die Wurzeln bündeln«) oder »Ringi« bezeichnen<br />

in Japan verbreitete, informelle Arten der Entscheidungsfindung,<br />

bei denen in einem zeitintensiven, systematischen und zielge-<br />

richteten Prozess die Zustimmung aller relevanten Mitarbeiter<br />

eingeholt wird. Diese Form der Entscheidungsfindung steht damit<br />

mitunter im Gegensa<strong>tz</strong> zu einer stärker hierarchischen, Top<br />

Management orientierten Entscheidungsfindung in westlichen<br />

Unternehmen.<br />

3 Ghoshal, S./Bartlett, Christopher A. (1999): The Individualized<br />

Corporation: A Fundamentally New Approach to Management.<br />

London: William Heinemann.<br />

Christopher A. Bartlett im Interview 35 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Accordingly, the expectation of growth is going to change<br />

significantly. Like other companies, a lot of multinationals<br />

used overseas acquisitions to drive growth. For many,<br />

it seemed a quicker and easier source of value creation.<br />

Today, there is a much clearer view that growing organically<br />

by expanding into new markets is a much more sustainable<br />

source of value creation.<br />

The other thing that will – and should – come into ques-<br />

tion, is multinational companies operating beyond the<br />

control and regu<strong>la</strong>tion of any single government. Multinationals<br />

have sometimes been able to sidestep the regu<strong>la</strong>tory<br />

controls by p<strong>la</strong>ying one country against the other, to<br />

source in low-cost countries under conditions that were<br />

not acceptable in their home country, or to shelter profits<br />

in tax havens. All of those things will be tightened up and<br />

need to be tightened up. In fact, multinational companies<br />

need to move ahead of government regu<strong>la</strong>tion in mon<strong>ito</strong>ring<br />

their own behavior. I think this is about a corporate<br />

responsibility response to this crisis and I happen to think<br />

that trend is already in p<strong>la</strong>ce or in motion among »best<br />

practice« multinationals.<br />

There is currently a public debate about intensifying con-<br />

trol and oversight by global authorities, and there are pro-<br />

tectionist tendencies, especially in the developed countries.<br />

Is this a long-term or rather a short-term trend?<br />

I hope it is a short term trend. I think that the world is getting<br />

a little savvier. The politicians are getting a little savvier<br />

that free trade doesn’t mean anarchy, but that free<br />

trade needs to be carefully managed so that it doesn’t<br />

become so disruptive that it creates political dynamite in<br />

one country. I can understand why politicians get con-<br />

cerned, but I hope this is just a short-term response to a<br />

global financial crisis that eventually will pass. There will<br />

be some careful mon<strong>ito</strong>ring and framing, but I don’t think<br />

that we are headed for another protectionist era.<br />

Prof. Bartlett, if you agree, I would like to jump to another<br />

topic: theory. Your distinction of four different strategic<br />

and organizational patterns of multinational companies<br />

still seems to be valid today. There has been a great deal<br />

of progress in the details, but it seems as if there has been<br />

little progress in the general development of scientific<br />

ideas towards multinational companies since the 1980s.<br />

Do you see any major developments in international<br />

management or international organization theory? Are<br />

there any authors or ideas you think are particu<strong>la</strong>rly interesting?<br />

That is a hard question. First, let me say that I don’t think<br />

of what we have developed as »theory.« Essentially, what<br />

we did was hypothesis-generating research. With a small<br />

sample of nine companies, we went out and created a<br />

framework, a model, or, if you like, a <strong>la</strong>nguage. With the<br />

small sample size that we had, we couldn’t do anything<br />

more than say that this is »one« way to think about the<br />

world. It is not definitive, but we believe that it is descrip-<br />

tive and that it could be prescriptive. Since then, a lot of<br />

people have gone out and tested and e<strong>la</strong>borated it with<br />

<strong>la</strong>rge data samples, research, or just in practice, which has<br />

been terrific. We are blessed by the fact that it seems<br />

to have held up.<br />

Others have drilled down to further develop pieces of<br />

the basic model. Yves Doz has drilled down on cross-<br />

border innovation, knowledge management, and world-<br />

wide learning. 4 The book he wrote recently was an excel-<br />

lent e<strong>la</strong>boration and extension of that key element of<br />

transnational companies. There is wonderful research that<br />

was done over a long time by the <strong>la</strong>te John Dunning.<br />

But before I offend anyone through omission, let me say<br />

that there have been many great contributors who have<br />

done interesting work that has kept the field evolving.<br />

Your idea was probably never to give a full description<br />

of the potential organizational dynamics in international<br />

companies, but from my point of view, your typology<br />

should and would meet well with an organizations theory<br />

perspective.<br />

.....<br />

It is the management of complexity<br />

that we are all dealing with.<br />

I think a lot of the research that has been done is just describing<br />

different parts of the »elephant.« 5 What we and<br />

other authors have in common and what we are trying to<br />

describe – although through different lenses – is the man-<br />

agement of complexity. That is what we do as academics.<br />

We each grind a lens and we grind that lens by rubbing up<br />

against companies in a certain framework that allows us<br />

to look at little pieces. Someone can grind a very different<br />

lens if they look at the family-owned cross-border companies<br />

that you referred to earlier, or if they look at the 1990s<br />

high-tech companies: a whole new generation of companies<br />

that came out of Silicon Valley and its equivalents<br />

Christopher A. Bartlett im Interview 36 Revue für postheroisches Management / Heft 5


around the world, that were essentially »born global«<br />

because of the nature of their software-based Internetlinked<br />

business. There is a whole different lens you can<br />

apply if you look at that. It is the management of com-<br />

plexity that we are all dealing with.<br />

If you will allow me one more question I would like to look<br />

at the role of consultants in international business today.<br />

The major management consultancies seem to work with<br />

concepts and approaches that are simi<strong>la</strong>r worldwide. You<br />

yourself worked for McKinsey in your early years. What is<br />

your perspective on the role of consultants in multination-<br />

al companies?<br />

Consultants have always had a role of diffusing and applying<br />

knowledge and have done that historically. The way in<br />

which McKinsey internationalized was essentially to take<br />

the divisionalized organization model that was developed<br />

in the United States and spread it around the world.<br />

What consultants do very well is<br />

what I call »forward backwardation.«<br />

They take ideas of the leading<br />

edge and transfer them to<br />

the rest of the world.<br />

If you remember Chandler’s6 work on strategy and structure,<br />

the divisional model was developed by four American<br />

companies. DuPont, Sears, Standard Oil, and General Motors<br />

were the first four companies to develop business<br />

diversity that then required a different organization mod-<br />

el, moving them from the functional structure to the<br />

multidivisional structure. In doing that, they needed sophisticated<br />

information, p<strong>la</strong>nning, and control systems,<br />

and so they developed a management model based on<br />

delegation and control. This American model based on<br />

divisionalized structure supported by strong systems, delegation,<br />

and control became the model that subsequently<br />

rolled around and became the standard structure and<br />

management model of companies around the world: the<br />

strategy structure systems model. McKinsey internationalized<br />

by taking that model and rolling it out, first in Eu-<br />

rope, and then in Latin America, Asia, and other countries.<br />

What consultants do very well is what I call »forward<br />

backwardation.« They take ideas of the leading edge and<br />

.........<br />

transfer them to the rest of the world. Their value is in<br />

being able to adapt, tailor, and fit those ideas to companies<br />

around the world.<br />

This almost sounds like your »international« strategy model:<br />

the development and establishment of advanced »prod-<br />

ucts« in strong home markets, especially the U.S., and then<br />

spreading it all over the world and adapting it locally?<br />

That, in fact, was their initial model, and what they have<br />

subsequently done as they have expanded internationally<br />

is to say, »Now we have access to a worldwide network of<br />

bright people tapped into worldwide practice that some-<br />

times is ahead of the U.S. …« As they move into that mod-<br />

el, McKinsey actually operates more in a transnational fash-<br />

ion. You don’t have to centralize in order to get scale, you<br />

have to specialize. Then the challenge is to integrate those<br />

specialized entities into an interdependent network. Mc-<br />

Kinsey has specialized expertise by industry and by function,<br />

led out of different offices around the world. They<br />

have developed the ability to capture and leverage that<br />

knowledge and expertise, and diffuse the resulting innovation<br />

around the world. And through the McKinsey Global<br />

Institute, they are doing research to develop new knowledge,<br />

not just transfer and apply ideas and innovations developed<br />

by others.<br />

So the short answer to your question is that McKinsey al-<br />

ready has made a business out of doing what all transnational<br />

companies need to do: sensing and responding<br />

using a worldwide network of knowledge and expertise.<br />

And they are doing this by taking leading-edge practice in<br />

one country and transferring that to another country and<br />

applying that knowledge locally by transferring consul-<br />

tants, sharing best practice, and so on around the world.<br />

And finally – is there any question we should have asked<br />

but didn’t?<br />

I am sure there is. We could go on forever. It is a fascinating<br />

field of study but I think you already have enough to<br />

digest.<br />

Prof. Bartlett, thank you very much! ¶<br />

4 Doz, Yves L. (2001): From Global to Metanational: How Companies<br />

Win in the Knowledge Economy; Mcgraw-Hill Professional<br />

5 Min<strong>tz</strong>berg, H./ Ahlstrand, B./ Lampel J. (2005): Strategy Safari:<br />

A Guided Tour Through the Wilds of Strategic Mangament,<br />

Free Press<br />

6 Chandler, A. (1969): Strategy and Structure: Chapters in the History<br />

of the American Indust<strong>ria</strong>l Enterprise<br />

Christopher A. Bartlett im Interview 37 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Reinhart Nagel, Dr., Geschäftsführer der osb Wien Consulting GmbH und Vorstand der osb international Consulting AG,<br />

Studium der Wirtschaftswissenschaften, 20-jährige Erfahrung als Organisationsberater mit den Schwerpunkten Strategisches<br />

Management sowie Begleitung von Führungskräften und Managementteams bei Veränderungsvorhaben, Beratung<br />

von Unternehmen, Business Units und Funktionsbereichen bei deren strategischer Neupositionierung.<br />

Thomas Schumacher, Dr., Dipl.-Kfm., Dipl.-Psych., ist Lehrbeauftragter an den Universitäten St. Gallen und K<strong>la</strong>genfurt<br />

sowie Dozent an der Executive School der Universität St. Gallen. Geschäftsführender Gesellschafter der osb Tübingen GmbH.<br />

Studium in Köln, Dublin, Bonn und St. Gallen. Verschiedene systemische Beratungs- und Therapieausbildungen, seit ca. 15<br />

Jahren Trainer und Organisationsberater. Arbeitsschwerpunkte Strategieentwicklung und -umse<strong>tz</strong>ung, Begleitung und<br />

Unterstü<strong>tz</strong>ung von nationalen und internationalen Veränderungsprozessen, Konzeption und Umse<strong>tz</strong>ung von Managementund<br />

Leadership-Qualifizierungen.<br />

Reinhart Nagel, Thomas Schumacher<br />

The World is Not F<strong>la</strong>t – Organisations- und Führungsimplikationen<br />

für international tätige Unternehmen<br />

1. Herausforderungen international tätiger Unternehmen<br />

Thomas Friedman hat mit seinem Buch über die angeblich<br />

f<strong>la</strong>ch gewordene Welt nicht unwesentlich das Bild<br />

von Globalisierung in den Köpfen vieler Manager geprägt<br />

(Friedman, 2005). Aber ist die Welt nach dem Zusammenbruch<br />

der Sowjetunion, der Entwicklung des Internet<br />

und dem Aufstieg von China und Indien ein einheitlicher<br />

Markt geworden? Ghemawat z. B. spricht von einer<br />

Semiglobalisierung und weist auf die zunehmende Bedeutung<br />

von Regionen hin (Ghemawat, 2007). Aus seiner<br />

Sicht bestehen weltweit vielfach Unterschiede, die international<br />

tätige Unternehmen vor allem in zusä<strong>tz</strong>lichem<br />

Volumen, Kostenersparnissen, Stimu<strong>la</strong>tion der eigenen<br />

Produktentwicklung, größerer Einkaufsmacht, besserer<br />

Risikosteuerung sowie der Know-how-Entwicklung zu<br />

nu<strong>tz</strong>en versuchen.<br />

Alle größeren und mittelständischen Unternehmen, die<br />

heute nicht mehr nur national tätig sind, haben für sich<br />

über die Jahre eine organisatorische Struktur für ihre<br />

internationale Geschäftstätigkeit entwickeln müssen.<br />

Meist ist diese Struktur nicht präskriptiv am Reißbrett<br />

entstanden. In aller Regel erfolgt ein solcher Internatio-<br />

nalisierungsprozess schrittweise, in dem aus den vorhandenen<br />

nationalen Strukturen und dem etablierten<br />

Führungsverständnis das Unternehmen evolutionär<br />

internationalisiert. Organisations- und Führungsstrukturen<br />

entwickeln sich dann häufig eher »nebenher«.<br />

Mit fortschreitender internationaler Geschäftstätigkeit<br />

stellt sich aber die Frage, wie die Steuerung und die<br />

Integration von internationalen Organisationseinheiten<br />

mit der notwendigen Sensibilität für die lokalen Bedürfnisse<br />

organisatorisch und führungsbezogen verein-<br />

bart werden kann. Hier gilt es, Organisationsprinzipien<br />

für das Zusammenspiel der vielfältigen Subsysteme zu<br />

finden: Was ist die Rolle des Headquarters? Wie ist<br />

die Governance zwischen der Zentrale und den lokalen<br />

Einheiten organisiert? Welche Aufgaben werden auf<br />

regionaler Ebene angesiedelt? Welche Verantwortung<br />

haben die weltweiten Produkt- oder Technologieeinheiten?<br />

Wie greifen die Unternehmensfunktionen (z. B. HR,<br />

Finanzen, IT) auf die einzelnen Einheiten zu? Wie kann<br />

ggfs. ein Key-Account-Manager mit Verantwortung für<br />

globale Kunden organisiert werden? Will man diesen<br />

The World is Not F<strong>la</strong>t 38 Revue für postheroisches Management / Heft 5


vielfältigen Anforderungen nachkommen und die damit<br />

einhergehende Komplexität bewältigen, so ist die Entwicklung<br />

und permanente Pflege entsprechender Organisations-<br />

und Führungsstrukturen eine Conditio sine<br />

qua non.<br />

2. Wozu Organisationsdesign? – Eine systemtheoretische<br />

Perspektive<br />

Competing by Design – so einer der prominentesten Buchtitel<br />

zum Thema Organisationsdesign, in dem Prinzipien<br />

der Organisationsgestaltung, aufbauend auf einem kon-<br />

gruenztheoretischen Theoriehintergrund, entwickelt<br />

werden. Die dem rationalitäts- und zweckorientierten<br />

Paradigma verpflichteten Autoren verstehen unter<br />

einem Organisationsdesign »Entscheidungen über die<br />

Konfiguration der formalen Organisationsanordnungen<br />

sowie die Strukturen, Prozesse und Systeme, die die<br />

Organisation ausmachen« (Nadler und Tushmann, 1997).<br />

Das Organisationsdesign dient in dieser Lesart von<br />

Organisation als Mittel zur – als einheitlich angesehenen<br />

– Zielerreichung bzw. dem Zweck der Organisation.<br />

An Stelle dieser Rationalitätsannahmen und der Unterscheidung<br />

von Zweck und Mittel arbeitet die neuere<br />

Systemtheorie mit der Unterscheidung von System und<br />

Umwelt und begreift Organisationen als selbstreferenzielle<br />

soziale Systeme. Die Entwicklung und Anwendung<br />

eines Organisationsdesigns dient dann nicht in erster<br />

Linie zu einer von außen definierten Zielerreichung sondern<br />

zum Selbsterhalt des Systems. Die Unterscheidung<br />

von System und Umwelt sowie die in der neueren Systemtheorie<br />

damit verbundene operative Schließung der<br />

Organisation impliziert aber gleichzeitig dessen strukturelle<br />

Kopplung mit der Umwelt (Luhmann, 2000).<br />

Versteht man vor diesem Hintergrund das Verhältnis von<br />

Person und Organisation als eine lose (»Person als Um-<br />

welt von Organisation«) und nicht als eine strikte Kop-<br />

plung (»die Organisation als die Summe ihrer Personen«),<br />

dann hat das weitreichende Folgen für das Organisationsdesign.<br />

Das Organisationsdesign fokussiert Organisationsmitglieder<br />

nicht nur auf das für die Organisation<br />

Wesentliche und schränkt damit den Spielraum ein,<br />

sondern ermutigt diese auch zu eigenmächtigen Ent-<br />

scheidungen zum Erhalt der Organisation. Das Manage-<br />

ment dieser Paradoxie im Sinne der »konditionierten<br />

Autonomie« (Baecker, 1994) kann selbstredend nicht<br />

allein durch das Organisationsdesign geleistet werden,<br />

sondern bedarf der Koevolution des entsprechenden<br />

Führungsverständnis.<br />

Aber damit nicht genug: Das Organisationsdesign einer<br />

internationalen Organisation muss ebenso Rahmenbe-<br />

dingungen für die Bearbeitung von Spannungsfeldern<br />

wie etwa der Standardisierung bei gleichzeitiger Berücksichtigung<br />

lokaler Anforderungen bieten.<br />

3. Geschäftslogik und Organisationsdesign<br />

Branche, Marktdynamik aber auch technische und gesellschaftliche<br />

Entwicklungen bilden heute die relevante<br />

Umwelt und die Anforderungen, für die die jeweilige<br />

Organisationsform einen angemessenen Bearbeitungsrahmen<br />

bereitstellen muss. Die Organisationsarchitektur<br />

kann gewissermaßen als ein Teil der Antwort auf die<br />

jeweiligen Herausforderungen der Organisation verstanden<br />

werden.<br />

Die Anforderungen an die Organisation bzw. das zu<br />

lösende Umweltproblem sind in einem internationalen<br />

Umfeld dabei häufig deutlich komplexer als in einem<br />

lokalen oder nationalen Umfeld. Widersprüchliche<br />

Marktentwicklungen z. B. auf unterschiedlichen Märkten<br />

machen es in der Praxis nicht leicht, die Geschäftslogik<br />

als Bezugsrahmen für das Organisationsdesign eindeutig<br />

zu identifizieren (und dadurch als zentrales Entscheidungskriterium<br />

bei der Auswahl von alternativen Organisationsmöglichkeiten<br />

heranzuziehen).<br />

Für die Architektur eines global agierenden Unternehmens<br />

ist die Frage der Unterschiede zwischen den<br />

Märkten zentral: Je homogener ein globaler Markt ist,<br />

desto zentraler und standardisierter kann eine Organisation<br />

gebaut werden. Je differenzierter und lokaler<br />

ein Markt »tickt«, desto dezentraler und lokaler wird<br />

das Unternehmen die Marktanforderungen beantworten<br />

müssen.<br />

Ghemawat bietet mit seinem CAGE framework ein Beobachtungssystem,<br />

mit dessen Hilfe eine Orientierung<br />

über das Maß der globalen Unterschiedlichkeiten gewonnen<br />

werden kann: CAGE steht dabei für Cultural distance,<br />

Administrative distance, Geographic distance and Economic<br />

distance (Ghemawat, 2007). Ziel des Instruments ist es, die<br />

Unterschiede sichtbar und verständlich sowie ausländische<br />

Märkte und Wettbewerber vergleichbar zu machen.<br />

The World is Not F<strong>la</strong>t 39 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Kulturelle Distanz<br />

Kulturelle Unterschiede sind dann<br />

besonders bedeutend, wenn<br />

• Produkte der Branche einen<br />

hohen sprachlichen Inhalt aufweisen<br />

(z. B. TV-Programme)<br />

• Produkte Teil der kulturellen<br />

oder nationalen Identität sind<br />

(Bsp. Speisen)<br />

• die Produktmerkmale hinsichtlich<br />

der Größe (Autos) oder der<br />

Standards (elektrische Geräte)<br />

variieren<br />

• Produkte mit <strong>la</strong>ndesspezifischen<br />

Assoziationen belegt sind (z. B.<br />

Weine, Käse, lokaler Geschmack)<br />

4. Grundprinzipien bei der Gestaltung internationaler<br />

Organisationsdesigns<br />

Geht man davon aus, dass die Grundlogik des Geschäfts<br />

(z. B. bestimmte Entfernungsgrenzen, innerhalb derer ein<br />

Transport von Gütern wie Zement oder Toilettenpapier<br />

noch wirtschaftlich ist) maßgeblichen Einfluss auf<br />

die Organisation hat, so müssen diese Überlegungen Be-<br />

rücksichtigung finden bei der Gestaltung des Organi-<br />

sationsdesigns. Bei der konkreten Konzeption helfen die<br />

nachfolgenden Organisationsmodelle, die sich an den<br />

jeweilig verfolgten strategischen Stoßrichtungen orientieren.<br />

Local responsiveness<br />

Administrative Distanz<br />

Starker Regierungseinfluss und<br />

die damit verbundenen differenzierten<br />

Branchen sind gegeben<br />

• bei der Infrastruktur<br />

(z. B. Stromerzeugung)<br />

• wenn hohe nationale Beschäf-<br />

tigtenzahlen auf dem Spiel<br />

stehen (z. B. Landwirtschaft)<br />

• wenn die Marktteilnehmer<br />

bedeutende Lieferanten der<br />

Regierung sind (Verteidigung)<br />

• in nationalen Leitindustrien<br />

(Raumfahrt)<br />

• wenn sie für die nationale<br />

Sicherheit bedeutend sind<br />

(Telekommunikation)<br />

• nationale Rohstoffe im Spiel<br />

sind (Öl, Bergbau)<br />

Viele Branchen wie Versicherungen, Medien und lokalspezifische<br />

Lebensmittelproduktion sind durch nationale<br />

Eigenheiten geprägt. In solchen Märkten erreichen<br />

internationale Unternehmen Wachstum und Marktan-<br />

teilsgewinne durch lokale Anpassung – Adjusting to differences<br />

nennt Ghemawat diese strategische Ausrichtung.<br />

Die strukturelle Antwort auf die erforderliche lokale<br />

Anpassung ist häufig ein Portfolio nationaler Einheiten<br />

mit hohen Gestaltungsfreiräumen. Die lokalen Töchter<br />

agieren wie weitgehend eigenständige Unternehmen.<br />

Bartlett/Ghoshal bezeichnen dieses Organisationsdesign<br />

als »multinationales Unternehmen« (Bartlett und Ghoshal,<br />

1989).<br />

Geografische Entfernung<br />

Die Geografie spielt für die<br />

Heterogenität der Branche eine<br />

besondere Rolle<br />

• bei Produkten mit einem niedrigen<br />

Wert pro Masse (z. B.<br />

Zement)<br />

• für zerbrechliche oder verderbliche<br />

Produkte (G<strong>la</strong>s, Früchte)<br />

• wenn lokale Unterstü<strong>tz</strong>ung und<br />

Service für den Erfolg in der<br />

Branche »kriegsentscheidend«<br />

ist (bei vielen Dienstleistungen)<br />

Die Beziehung zwischen den Teilunternehmen und dem<br />

headquarter ist durch eine lose Koppelung geprägt.<br />

Bartlett/Ghoshal definieren diese Koordinationsstrukturen<br />

als eine »dezentrale Föderation« in der Entscheidungen<br />

und Verantwortlichkeiten auf viele Einheiten<br />

verteilt sind. Die Grundparadoxie zwischen lokaler Eigenverantwortung<br />

und zentralem Steuerungsanspruch wird<br />

durch eine Kontextsteuerung bzw. durch strategische<br />

Rahmense<strong>tz</strong>ung bei gleichzeitigen hohen lokalen Gestal-<br />

tungsmöglichkeiten prozessiert.<br />

Wirtschaftliche Unterschiede<br />

Wirtschaftliche Unterschiede<br />

haben dann einen besonderen<br />

Einfluss auf die Branche, wenn<br />

• Standardisierungs- und Skaleneffekte<br />

begrenzt sind (Zement)<br />

• Lohnkostenunterschiede<br />

bedeutend sind (Textilien)<br />

• Vertriebs- oder Geschäftsmodelle<br />

unterschiedlich sind<br />

(z. B. bei Versicherungen)<br />

• Unternehmen schnell reagieren<br />

müssen (z. B. Reparatur<br />

von Haushaltsgeräten)<br />

Dieses Organisationsprinzip lässt sich vielfach am<br />

Beginn von Internationalisierungsprozessen beobachten.<br />

Die geringe Kenntnis über die Dynamik fremder aber<br />

potenziell attraktiver Märkte führt zu einem vorsichtigen<br />

und schrittweisen Aufbau lokaler Einheiten. Einerseits<br />

wird dadurch Know-how zu Markteintrittsstrategien<br />

im Unternehmen aufgebaut. Andererseits vertraut<br />

das Mutterunternehmen auf die evolutionäre Anpas-<br />

sungsfähigkeit der Systeme vor Ort. Diese country-centered<br />

organization folgt dem Prinzip der Selbstähnlichkeit bzw.<br />

Fraktalität (z. B. <strong>la</strong>uter kleine IBMs). Es werden über-<br />

schaubare und ähnlich strukturierte Einheiten gebildet,<br />

die ihre Aufgaben weitgehend eigenverantwortlich wahr-<br />

nehmen. Die spezifische Marktsituation ist das Leit-<br />

prinzip der organisationsinternen Ausgestaltung. Die<br />

Orientierung an den lokalen bzw. nationalen Markt-<br />

erfordernissen steht daher im Zentrum der lokalorientierten<br />

Organisationsarchitektur.<br />

The World is Not F<strong>la</strong>t 40 Revue für postheroisches Management / Heft 5


standardization<br />

local responsiveness<br />

exploiting differences<br />

Versicherungen als ursprünglich primär nationales Geschäft<br />

Das Versicherungsgeschäft ist traditionell ein Geschäft, das ein<br />

hohes Maß an Handlungsspielräumen vor Ort erfordert, um den<br />

lokalen Besonderheiten vor allem in Bezug auf gese<strong>tz</strong>liche Unterschiede<br />

gerecht zu werden (Bsp. Riester-Rente).<br />

Darüber hinaus finden sich in der Versicherungsbranche eine<br />

Reihe von maßgeschneiderten Produkten, die den spezifischen<br />

Anforderungen der Kunden vor Ort gerecht werden. Viele Versicherungsunternehmen<br />

sind bzw. waren deshalb zu Beginn ihrer<br />

Internationalisierung sehr dezentral aufgestellt. Die Konsequenz<br />

war allerdings häufig ein ausufernd breites Produktportfolio.<br />

Die Liberalisierung der le<strong>tz</strong>ten Jahre hat den Wettbewerb verschärft,<br />

was u. a. zu einem hohen Preisdruck führte. Die stark autonom<br />

agierenden lokalen »Fürstentümer« boten zwar maßgeschneiderte<br />

Lösungen, konnten jedoch alleine nicht die notwendigen<br />

Kostenvorteile in der Leistungserbringung erzielen.<br />

Daher versuchen manche international aufgestellte Versicherungsunternehmen<br />

durch Zusammenlegungen im operativen Bereich<br />

in den Ländergesellschaften, Skaleneffekte zu realisieren sowie<br />

Optionen wie Outsourcing umzuse<strong>tz</strong>en (bspw. in der operativen IT),<br />

um Effizienzsteigerungen zu erzielen.<br />

Standardisierung<br />

In vielen Branchen erfordert die Wettbewerbssituation<br />

Organisationslösungen, die mit einer herkömmlichen<br />

Optimierung der Subeinheiten bzw. der lokalen Einheiten<br />

nicht zu realisieren sind. Das Wettbewerbsumfeld<br />

ver<strong>la</strong>ngt die Nu<strong>tz</strong>ung von Skaleneffekten (economies of<br />

scale), um die Größenvorteile eines international tätigen<br />

Unternehmens auch tatsächlich zu realisieren. Overcoming<br />

differences nennt Ghemawat das Leitprinzip dieser Aggregationsstrategie.<br />

Die strukturelle Antwort auf diese strategischen Herausforderungen<br />

zielt auf die Nu<strong>tz</strong>ung von Ähnlichkeiten<br />

zwischen Ländern, Produkten, Entwicklungsinvestitio-<br />

nen oder Produktionsprozessen. Meist werden dafür ver-<br />

tikal und weltweit verantwortliche Divisionen, Geschäftsfelder<br />

oder Business Units aufgebaut. Bartlett/<br />

Ghoshal bezeichnen diese Organisationen als globale<br />

Unternehmen. Sie betrachten den Weltmarkt als Ganzes,<br />

entwickeln weitgehend einheitliche Produkte und versuchen<br />

durch Standardisierung bzw. Vereinheitlichung des<br />

Produkt- und Serviceangebotes, eine operational excellence<br />

(Treacy und Wiersema, 1995) der Leistungsprozesse zu<br />

erreichen.<br />

standardization<br />

local responsiveness<br />

Globalchips – ein divisional aufgestelltes Unternehmen<br />

der Halbleiterbranche1 Die Halbleiterindustrie war <strong>la</strong>nge Zeit ausschließlich fertigungsgetrieben<br />

– Technologieführerschaft in der Ferti-<br />

gung war der zentrale Erfolgsfaktor. Es galt: Je größer<br />

das Unternehmen, desto eher konnte es die notwendigen<br />

Skaleneffekte erzielen und von den sinkenden Stückkosten<br />

profitieren.<br />

Größe und Technologie alleine reichen aber heute<br />

nicht mehr aus, um im Wettbewerb zu bestehen. Während<br />

vor 20 Jahren noch 70 Prozent der Chips in den<br />

neuesten Technologien gefertigt wurden, sind es heute<br />

nur noch 40 Prozent. Damit verlor die Fertigung ihre<br />

Differenzierungskraft im Wettbewerb. Der Markt fordert<br />

neue Fähigkeiten: Kundenorientierung, profundes Applikationswissen<br />

und besondere Expertise in spezifischen<br />

Segmenten.<br />

Globalchips, ein großer, integrierter Halbleiterherstel-<br />

ler, wurde mit seiner bisherigen komplexen Matrixor-<br />

ganisation und dem funktional aufgestellten Vorstand<br />

der Größe und der Marktsituation nicht mehr gerecht.<br />

1 Diese anonymisierte Fallbeschreibung basiert auf einer von<br />

der GTZ beauftragten Studie, die von Mirko Zwack und von Rob<br />

Wiechern (beide MZW) gemeinsam mit osb International verfasst<br />

wurde.<br />

The World is Not F<strong>la</strong>t 41 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

exploiting differences


Die ursprünglich funktionale Struktur wurde durch eine<br />

divisionale erse<strong>tz</strong>t.<br />

Im Rahmen der Neuorganisation wurden die bestehenden<br />

Business Units adaptiert. Ziel war es, die Verantwortungen<br />

tiefer ins Unternehmen zu tragen. Divisionale<br />

Geschäftsbereiche und Business Units wurden mit<br />

allen wesentlichen Funktionen eines »Unternehmens im<br />

Unternehmen« ausgestattet.<br />

Die Globalchips AG als die Führungsgesellschaft des<br />

Konzerns übernahm übergreifende Aufgaben wie z. B. das<br />

konzernweite Finanz- und Rechnungswesen und das<br />

Personalwesen. Die Fertigung wurde über das Cost Center<br />

Operations gesteuert. Die Business Groups verfügten<br />

über je eigene weltweit zuständige Vertriebs- und Forschungseinheiten<br />

sowie weitere Supportfunktionen.<br />

Dadurch wurde versucht, möglichst viele Prozesse weltweit<br />

zu standardisieren und dadurch entsprechende Skalen-<br />

und Synergieeffekte zu heben.<br />

Globalchips AG<br />

Corporate Functions<br />

• Audit & Risk Management<br />

• Communication<br />

• Procurement & Logistics<br />

• Quality Management<br />

• Strategy<br />

• Finance & Treasury<br />

Globale Arbitrage<br />

• Compliance<br />

• HR<br />

• Information Technology<br />

• Legal & Patents<br />

• Reporting, P<strong>la</strong>nning & Conrolling<br />

• IT<br />

Business Group A Business Group B Cost Center Operations<br />

Group Functions<br />

• Sales & Group<br />

Marketing<br />

• Research<br />

& Development<br />

• Support Functions<br />

Group Functions<br />

• Sales & Group<br />

Marketing<br />

• Research<br />

& Development<br />

• Support Functions<br />

Business Unit 1 bis 7 Business Unit 1 bis 6<br />

• Production<br />

• Supply Chain<br />

Management<br />

• Production<br />

Alliances<br />

Lego in der Krise<br />

Lego ist ein traditioneller und uns allen vertrauter Hersteller von<br />

Kinderspielzeug.<br />

Im le<strong>tz</strong>ten Jahrzehnt kam Lego durch einen aggressiven Wettbewerber,<br />

MEGA Brands aus Kanada, der aufgrund seiner Produktion<br />

in China mit wesentlich billigeren Produkten auf den Markt<br />

kam, erheblich unter Druck. Doch Lego behielt die Produktion in der<br />

Schweiz und in Dänemark bei, wodurch sich Marktanteil und Profi-<br />

tabilität weiter erheblich verschlechterten.<br />

Erst nachdem Lego die Produktion dem asiatischen Hersteller<br />

Flextronis übertrug, konnte das Traditionsunternehmen seine Profi-<br />

tabilität wieder verbessern – allerdings um den Preis, dass es durch<br />

die verspätete Ver<strong>la</strong>gerung der Produktion einem bis dahin unbedeutenden<br />

Wettbewerber den P<strong>la</strong><strong>tz</strong> für eine erhebliche Marktanteilsverschiebung<br />

eröffnete.<br />

Globale Arbitrage ist ein seit <strong>la</strong>ngem bekanntes historisches<br />

Phänomen: Schon am Beginn des Welthandels<br />

stand dieses Prinzip, denn der Gewürzhandel entwickelte<br />

sich unter anderem deshalb so enorm, weil Gewürze<br />

in Europa Hunderte Male teurer verkauft werden konn-<br />

ten als in ihrem Ursprungs<strong>la</strong>nd Indien.<br />

Die Globalisierung internationaler Unternehmen<br />

bedeutet vielfach, dort zu produzieren, wo es am kostengünstigsten<br />

ist, wo Kapital oder Subventionen genu<strong>tz</strong>t<br />

werden kann oder bestimmte Know-how-Träger anzutreffen<br />

sind (z. B. IT-Spezialisten in Kalifornien). Im<br />

Unterschied zur Standardisierung geht es hier nicht um<br />

Skaleneffekte durch Vereinheitlichung, sondern um die<br />

Nu<strong>tz</strong>ung absoluter ökonomischer Unterschiede. Nationale<br />

und regionale Unterschiede sind daher weniger Begrenzungen<br />

und Probleme, die mit komplexen Strukturen<br />

immer suboptimal gelöst werden müssen, sondern<br />

sie bieten wirtschaftliche Chancen, die es gezielt zu nu<strong>tz</strong>en<br />

gilt.<br />

Geeignete Organisationsstrukturen weisen in der<br />

Regel große Entscheidungskompetenz in der Zentrale<br />

auf, während das Wissen und die Fähigkeiten vieler<br />

Funktionen weltweit ausgerollt bzw. dort zum Einsa<strong>tz</strong><br />

gebracht werden, wo die größte Wertschöpfung für das<br />

Ganze ermöglicht wird.<br />

Bezüglich der Koordination hat die globale Arbitrage<br />

gewisse Ähnlichkeiten mit dem Konzept der »koordinier-<br />

ten Föderation« einer internationalen Unternehmung<br />

von Bartlett/Ghoshal. Wiewohl in diesem Organisations-<br />

design durchaus eine Dezentralisierung der Wert- und<br />

standardization<br />

local responsiveness<br />

The World is Not F<strong>la</strong>t 42 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

exploiting differences


der Ressourcenverwendung ermöglicht wird, wird versucht,<br />

das Unternehmen durch eine starke formale<br />

Kontrolle und P<strong>la</strong>nungssysteme auszurichten.<br />

Für Ghemawat ist das führende Organisationsdesign<br />

der globalen Arbitrage die funktionale Organisation. Die<br />

funktionale Organisationslogik an der Spi<strong>tz</strong>e der Organisation<br />

fördert den weltweiten Überblick über die<br />

jeweilige Ausprägung der Wertschöpfungskette. Das Expertenwissen<br />

ist jeweils bei den zentral organisierten<br />

Funktionen und Stäben angesiedelt (Ghemawat, 2007).<br />

Integration<br />

Ein Blick auf die Mehrheit heutiger Organisationsarchitekturen<br />

zeigt schnell, dass die meisten multinationalen<br />

Unternehmen mit ihrem Organisationsdesign eine<br />

Ba<strong>la</strong>nce zwischen den idealtypischen Grundprinzipien<br />

der lokalen Anpassung, der Standardisierung und der<br />

Nu<strong>tz</strong>ung weltweiter Unterschiede suchen.<br />

Die drei vorangestellten Strukturoptionen international<br />

tätiger Unternehmen beschreiben demzufolge Reinformen,<br />

die in Praxis eher die Ausnahme bilden. Für<br />

viele Märkte gibt es in gewissem Umfang parallele Anforderungen<br />

der lokalen Anpassung, der Standardisierung<br />

und auch der Nu<strong>tz</strong>ung globaler Unterschiede. Dies<br />

macht in der Regel eine Kombination der beschriebenen<br />

Organisationsprinzipien erforderlich.<br />

Bartlett/Ghoshal versuchen mit ihrem Konzept der<br />

»transnationalen Organisation«, einen Typus zu beschreiben,<br />

in dem eine Verbindung von globaler Effi-<br />

zienz, lokaler Anpassungsfähigkeit und weltweiter<br />

Lernfähigkeit erreicht wird. In dieser integrierten Ne<strong>tz</strong>werkstruktur<br />

werden global unterschiedlich ausgeprägte<br />

Werte und Ressourcen in einem Unternehmensne<strong>tz</strong>werk<br />

koordiniert, in dem jede Unternehmenseinheit<br />

ihre differenzierte Rolle erfüllt.<br />

Auch Ghemawat bietet mit seinem AAA T<strong>ria</strong>ngle ein<br />

Denkmodell an, welches es er<strong>la</strong>ubt, die drei vorgestellten<br />

Grundlogiken der local responsiveness (Adaption), der Stan-<br />

dardisierung (Aggregation) und der Nu<strong>tz</strong>ung globaler<br />

Unterschiede (Arbitrage) auch in kombinierter Form differenziert<br />

zu betrachten. Je nach Bedeutung der einzelnen<br />

Organisationsprinzipien ergeben sich dabei Anfor-<br />

derungen an die Organisation, die sowohl strategisch<br />

wie auch organisatorisch schnell eine Überforderung der<br />

Organisation darstellen können.<br />

Die nachfolgende Darstellung verdeutlicht die in der<br />

Praxis häufig anzutreffende gleichzeitige Berücksichtigung<br />

mehrerer Dimensionen. Allerdings ist es für global<br />

tätige Unternehmen zunehmend schwieriger allen drei<br />

strategischen Stoßrichtungen gleichzeitig gerecht zu<br />

werden, da sie in der Umse<strong>tz</strong>ung (z. B. starke lokale Anpassung<br />

vs. weltweiter Standard) zu widersprüchlichen<br />

Konsequenzen führen.<br />

Adaptation Aggregation<br />

Arbitrage<br />

Beispielhafte Ausprägung einer dominanten Aggregationsarchitektur<br />

Die aufgezeigten Grundtypen von Organisationsdesigns<br />

stellen le<strong>tz</strong>tlich nur einen Teil der Bearbeitung für die im<br />

Kern nicht aufzuhebenden Widersprüche international<br />

agierender Unternehmen dar. Das Management dieser<br />

Widersprüche bedarf über ein »Management by design« hinaus<br />

vor allem einer Führung, die kompetent im Umgang<br />

mit den strategischen, organisatorischen und personenbezogenen<br />

Unterschieden agiert.<br />

5. Das Management von Unterschieden als zentrale<br />

Führungsherausforderung in internationalen Organisationen<br />

Folgt man Wimmer in seiner Hypothese, dass Organisation<br />

und Führung zwei Seiten der gleichen Medaille<br />

sind (Wimmer, 2008), ist gerade die Führung internationaler<br />

Unternehmern aufgrund der ungleich größeren<br />

Komplexität, Unterschiede und Widersprüche heute<br />

eine besondere Herausforderung. Ein »Funktionieren<br />

tro<strong>tz</strong> der Unterschiede« reicht heute bei Unternehmen,<br />

die international auf unterschiedlichen Märkten tätig<br />

sind, nicht mehr aus, um im internationalen Wettbewerb<br />

zu bestehen. Vorbei sind die Zeiten, in denen ein<br />

paar gut gemeinte Hinweise an die reisefreudigen Manager<br />

à <strong>la</strong> »think globally, act locally« oder »when you<br />

are in Rome, do like the Romans« ausreichten.<br />

The World is Not F<strong>la</strong>t 43 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Um heute die Organisations- und Führungsherausforderungen<br />

z. B. einer internationalen Zwei-Produktstrategie<br />

im Low- und High-Cost-Segment umzuse<strong>tz</strong>en, geht es für<br />

international agierende Unternehmen darum, Markt-,<br />

Know-how- und le<strong>tz</strong>tlich auch kulturelle Unterschiede<br />

aktiv aufzugreifen und gezielt zu nu<strong>tz</strong>en. Vorrausset-<br />

zung dafür ist nicht nur die Internationalisierung der<br />

Organisation selber, sondern auch die Entwicklung einer<br />

entsprechenden Führungsfähigkeit. Entgegen der oft-<br />

mals geäußerten Meinung entwickelt sich die Fähigkeit,<br />

mit internationalen Unterschieden umzugehen, aber<br />

nicht schon durch den bloßen Kontakt mit dem internationalen<br />

Umfeld. Vielmehr erfordert die Fähigkeit, solche<br />

Unterschiede individuell oder organisational gezielt<br />

zu nu<strong>tz</strong>en, vor allem die Sensibilität für die jeweiligen<br />

Unterschiede.<br />

Die Fähigkeit, kulturelle Unterschiede wahrzunehmen<br />

und zu erfahren, hängt nach Bennett maßgeblich<br />

davon ab, wie komplex kulturelle Unterschiede konstruiert<br />

werden (Bennett, 2001). Er unterscheidet in seinem<br />

Developmental Model of Intercultural Sensitivity (DMIS) Entwicklungsstufen<br />

der interkulturellen Kompetenz. Auch<br />

wenn der von Bennett vorgenommene Transfer von personenbezogenen<br />

Mustern auf die Organisationsebene<br />

systemtheoretisch fraglich erscheint, können mithilfe<br />

des DMIS hilfreiche Ansä<strong>tz</strong>e und Hinweise für die Führung<br />

in den oben beschriebenen Organisationsdesigns<br />

abgeleitet werden.<br />

Bennett unterscheidet zwei Grundformen im Umgang<br />

mit interkulturellen Unterschieden: Ethnozentrismus<br />

beschreibt eine Wirklichkeitskonstruktion, die die<br />

eigene Kultur als zentral vorausse<strong>tz</strong>t und daher die Idee<br />

kultureller Unterschiede als eine implizite oder explizite<br />

Gefahr für die eigene kulturelle Erfahrung versteht. Im<br />

Ethnore<strong>la</strong>tivismus wird dagegen bewusst wahrgenommen,<br />

dass jegliches (auch das eigene) Verhalten in einem<br />

kulturellen Kontext stattfindet und dieser zum Ver-<br />

ständnis anderer deshalb notwendig ist.<br />

Das Kontinuum dieser ethnozentristischen und eth-<br />

nore<strong>la</strong>tivistischen Wirklichkeitskonstruktionen diffe-<br />

renziert er noch einmal in sechs Umgangsformen mit<br />

kulturellen Unterschieden, die sowohl auf der individu-<br />

ellen wie auch der organisationalen Ebene beobachtet<br />

werden können. Den deutlichsten ethnozentristischen<br />

Umgang beschreibt die Ablehnung/Verleugnung von<br />

Unterschieden, gefolgt von einer Abwehr/Verteidigung<br />

von kulturellen Unterschieden sowie deren Minimierung.<br />

Ethnore<strong>la</strong>tivistische Formen der Auseinanderse<strong>tz</strong>ung<br />

mit kulturellen Unterschieden sind die Akzeptanz,<br />

die Anpassung sowie die Integration.<br />

Ethnozentrismus<br />

Ablehnung/<br />

Verleugnung<br />

Abwehr/<br />

Verteidigung<br />

Erfahrung/Wahrnehmung von Unterschieden<br />

Developmental Model of Intercultural Sensitivity (Bennett, 2001)<br />

Studien zum DMIS zeigen, dass Individuen und Organisationen<br />

sich jeweils vorwiegend in einer Entwicklungsphase<br />

befinden und ein entsprechendes Muster im<br />

Umgang mit kulturellen Unterschieden aufweisen.<br />

Wenngleich die oben aufgeführten Organisationsdesigns<br />

nicht einem Entwicklungsmodell folgen, können mit<br />

Blick auf das DMIS zumindest zentrale Entwicklungsanforderungen<br />

an die Führung in Bezug auf den Umgang<br />

mit interkulturellen Unterschieden in den jeweiligen<br />

Organisationsstrukturen beschrieben werden.<br />

Local responsiveness<br />

Minimierung<br />

Akzeptanz<br />

Internationale Organisationen, die vor allem auf die Berücksichtigung<br />

lokaler Besonderheiten ausgerichtet<br />

sind, verfügen in der Regel über Ländergesellschaften,<br />

die einen großen Gestaltungsspielraum haben. Die lokale<br />

Präsenz in den Märkten ist für die Geschäftslogik von<br />

entscheidender Bedeutung, weshalb z. B. das Marketing<br />

in der Regel lokale Besonderheiten stark berücksichtigt.<br />

Die Führung der Gesamtorganisation ist in solchen<br />

Unternehmen gefordert, die lokalen Unterschiede wahrzunehmen,<br />

wer<strong>tz</strong>uschä<strong>tz</strong>en und eine Differenzierung<br />

der Leistungen und der Produkte entsprechend den Erfordernissen<br />

des Marktes zu ermöglichen. Aus Sicht des<br />

Headquarters sollten nationale Unterschiede nicht als<br />

Effizienzhindernisse, sondern als Chance zur Nu<strong>tz</strong>ung<br />

lokaler Marktchancen und -lücken gesehen werden. Dafür<br />

ist ein Vertrauen in die Adaptionsfähigkeit der Teil-<br />

systeme und deren jeweilige nationale Unterschiede erforderlich.<br />

The World is Not F<strong>la</strong>t 44 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

Ethnore<strong>la</strong>tivismus<br />

Anpassung<br />

Integration<br />

dirk hupe 2009. Werk-Nr. 0147_2009; Instal<strong>la</strong>tionansicht: U-Profile, Regips, Bodenp<strong>la</strong>tten, Spiegelfolie, Acryl, Dispersion etc. Galerie Heimeshoff 2009, ca. 4,40 m x 4,40 m x 2,60 m, Hintergrundabbildung Fotoarbeit, 2008


Eine Anpassung an die lokalen Unterschiede seitens der<br />

Gesamtorganisation ist nur begrenzt erforderlich, d. h.,<br />

eine Anpassung von zentralseitigen Prozessen wie z. B.<br />

des HR sind nicht erforderlich, da es sich bei den lokalen<br />

Organisationen in der Regel um selbstständige Unternehmen<br />

handelt. Das reduziert einerseits die Gesamtkomplexität<br />

für die Führung, birgt aber auf der anderen<br />

Seite die Gefahr, dass dominante Länderchefs den Bedürfnissen<br />

der Zentrale bisweilen zurückhaltend begegnen<br />

bzw. diesen nur widerwillig entsprechen. Die zentrale<br />

Herausforderung für die lokalen und zentralen<br />

Organisationseinheiten im Sinne des DMIS ist daher vor<br />

allem die Akzeptanz und Wertschä<strong>tz</strong>ung der wechselseitigen<br />

Unterschiede.<br />

Standardisierung<br />

In den von Bartlett/Ghoshal als global beschriebenen<br />

Organisationen werden kulturelle Unterschiede häufig<br />

als hinderlich oder störend wahrgenommen. Das primäre<br />

Interesse seitens der Zentrale ist, dass die notwendige<br />

Standardisierung konsequent entsprechend der Vorgaben<br />

umgese<strong>tz</strong>t wird. Einheitliche Produkte, Services oder Vorgehensweisen<br />

führen in diesen Organisationen eher zu<br />

einer Verteidigung und einem »Durchdrücken« der gewählten<br />

Va<strong>ria</strong>nte gegen lokale Alternativen.<br />

Auer Newbies!<br />

Ver<strong>la</strong>g für Systemische Forschung<br />

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Bartlett beschreibt die Mentalität mit der amerikanische<br />

Unternehmen in der Vergangenheit ihren Internationalisierungsprozess<br />

gestalteten im Sinne dieses Ver-<br />

meidungs- bzw. Minimierungsmuster (vgl. das Interview<br />

in diesem Heft). Das Bewusstsein, aus dem technologisch<br />

fortgeschrittensten und größten Markt zu kommen,<br />

führte häufig zu einem »american way«, einem Gefühl<br />

der Überlegenheit und einem überzogenen Selbstbe-<br />

wusstsein nach dem Motto »wir wissen es besser«. In<br />

einigen Fällen wird die eigene Sensibilität für die jeweiligen<br />

Unterschiede überschä<strong>tz</strong>t und gutgemeinte<br />

Maßnahmen dann von der anderen Seite als »kultureller<br />

Impe<strong>ria</strong>lismus« verstanden, der dann zu Abwehrmustern<br />

führt. Dieser ethnozentralistische Umgang mit<br />

Unterschieden führt auf der Seite der lokalen Organisationen<br />

zu einem Gefühl der Bedrohung und damit<br />

zur Gefährdung der Kooperation.<br />

Ein erster Schritt für die Weiterentwicklung dieses<br />

Musters, welches im Rahmen des DMIS als »Verteidi-<br />

gung von Unterschieden« beschrieben wird, besteht in<br />

der Hervorhebung von kulturellen Gemeinsamkeiten<br />

sowie von Seiten der Zentrale auch der Entwicklung des<br />

Bewusstsein für die eigene kulturelle Prägung.<br />

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Nu<strong>tz</strong>ung von Unterschieden/internationale Arbitrage<br />

Für die nach Bartlett/Ghoshal sogenannten internationa-<br />

len Organisationen sind Unterschiede eine notwendige<br />

Vorausse<strong>tz</strong>ungen, um durch die internationale Speziali-<br />

sierung administrative, geografische oder ökonomische<br />

Unterschiede nu<strong>tz</strong>en zu können. Dies führt dazu, dass<br />

Teile der Wertschöpfungskette an unterschiedlichen<br />

Orten des Globus konfiguriert werden (beispielsweise<br />

Callcenter in Indien, Produktionsstätten in China, Ver-<br />

triebsstrukturen in Westeuropa etc.). Das Headquarter<br />

versteht sich in diesen Organisationen häufig als<br />

»Brain«, von dem aus die verschiedenen Teilsysteme des<br />

Gesamtunternehmens gesteuert werden.<br />

Eine konstruktiver Dialog und eine tragfähige Kooperation<br />

zwischen den weltweit verteilten Funktionen<br />

gelingt in diesen Organisationen in der Regel nur, wenn<br />

im Sinne des DMIS neben der Akzeptanz für die Unterschiede<br />

auch die Fähigkeit, sich kognitiv und verhaltensbezogen<br />

auf die Unterschiede einstellen zu können, vorhanden<br />

ist. Die Führung muss hier vor allem daran<br />

arbeiten, Respekt für die Diversität aufzubauen, sodass<br />

die Unterschiedlichkeit der Kulturen tatsächlich als Ressource<br />

z. B. in der Zusammenarbeit in multikulturellen<br />

Teams wahrgenommen und genu<strong>tz</strong>t werden kann.<br />

6. Fazit<br />

Das perfekte Organisationsdesign gibt es nicht – irgendwo<br />

ist die Decke immer zu kurz bzw. <strong>la</strong>ssen sich die<br />

Widersprüche und Spannungsfelder, in denen interna-<br />

tionale Organisationen stehen, nicht endgültig lösen.<br />

Wenngleich dies auch für den nationalen Kontext gilt, ist<br />

die angemessene Gestaltung des Organisationsdesigns<br />

und des Führungssystems bei international tätigen<br />

Unternehmen noch bedeutsamer. Die höhere Komplexität<br />

und Dynamik sowie das im Vergleich zu nationalen<br />

Organisationen höhere Maß an – nicht nur kulturellen –<br />

Unterschieden erfordern eine permanent mit<strong>la</strong>ufende<br />

Beobachtung, wie diese Differenzen intern bearbeitbar<br />

gemacht werden können.<br />

Worauf die einzelne Organisation hierbei reagieren<br />

muss, entscheidet im Sinne eines »difference that makes a<br />

difference« die jeweilige Geschäftlogik die das Unternehmen<br />

verfolgt. Hier bieten die eher strategisch ausgerichteten<br />

Modelle von Bartlett/Ghoshal und Ghemawat mit<br />

ihren archetypischen Unterscheidungen Ansa<strong>tz</strong>punkte,<br />

um die strategische Stoßrichtung und aufbauend darauf<br />

Gestaltungsprinzipien für das Organisationsdesign zu<br />

entwickeln.<br />

Die hier vorgestellten Aspekte des Organisationsdesigns<br />

und der Führung in internationalen Unternehmen<br />

stellen le<strong>tz</strong>tlich Kernbestandteile für die Zukunftsfähigkeit<br />

internationaler Organisationen dar. Allerdings<br />

sollte man nicht dem Kurzschluss aufsi<strong>tz</strong>en, dass sich<br />

ausgehend von den Umweltherausforderungen, Strategie,<br />

Organisationsdesign und Führung quasi wie mit<br />

einem »Organisationskonfigurator« definieren <strong>la</strong>ssen.<br />

Le<strong>tz</strong>tlich führt kein Weg an der differenzierten Auseinanderse<strong>tz</strong>ung<br />

mit der eigenen Organisations- und<br />

Führungsstruktur vorbei. ¶<br />

Baecker, D. (1994). »Experiment Organisation.« Lettre international:<br />

22-24.<br />

Bartlett, C. und S. Ghoshal (1989). Managing across borders: the<br />

transnational solution. Cambridge, MA, Harvard Business School<br />

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Bennett, M. (2001). Developing intercultural competence for global<br />

managers. Interkulturelles Management. R. D. Reineke. Wiesbaden,<br />

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Friedman, T. (2005). The world is f<strong>la</strong>t: A Brief History of the Twenty-<br />

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Ghemawat, P. (2007). »Managing Differences – The Central Challenge<br />

of Global Strategy.« Harvard Business Review (3).<br />

Ghemawat, P. (2007). Redefining global strategy: crossing borders<br />

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School Press.<br />

Luhmann, N. (2000). Organisation und Entscheidung. Op<strong>la</strong>den/<br />

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Nadler, D. und M. Tushmann (1997). Competing by Design. Oxford,<br />

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Treacy, M. und F. Wiersema (1995). Discipline of Market Leaders,<br />

HarperCollins.<br />

Wimmer, R. (2008). »Führung und Organisation. Zwei Seiten ein<br />

und derselben Medaille.« Revue für postheroisches Management 4:<br />

20-33.<br />

The World is Not F<strong>la</strong>t 47 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Rob Wiechern arbeitet zurzeit am Abschluss seiner Promotion zum Thema »Strategieprozesse in internationalen<br />

Unternehmen« bei Prof. Dr. Wimmer. Anschließend wird er die Leitung des Forschungsbereichs Elektromobilität bei<br />

der RGE Energy AG übernehmen, nachdem er zuvor vier Jahre für die Zukunftsforschung der Daimler AG in Berlin<br />

und als selbständiger Unternehmensberater tätig war.<br />

Torsten Groth ist Geschäftsführer des Management Zentrum Witten (MZW) und dort auch als Berater und<br />

Trainer tätig. Zudem ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU)<br />

der Universität Witten/Herdecke.<br />

Rob Wiechern, Torsten Groth Transnationale Utopie?<br />

Die Mehrheit der deutschen DAX-30-Konzerne erzielt weit mehr als 50% des<br />

Umsa<strong>tz</strong>es im Aus<strong>la</strong>nd, beschäftigt dort mehr als 50% seiner Mitarbeiter und<br />

ist – was weniger Beachtung findet – zu mehr als 50% im Besi<strong>tz</strong> ausländischer<br />

Aktionäre.<br />

Vor dem Hintergrund dieses Internationalisierungsgrades zeigt sich eine<br />

bemerkenswerte Disba<strong>la</strong>nce in der Bese<strong>tz</strong>ung der Vorstandsposten: Man(n)<br />

ist deutsch, und man spricht zumeist auch deutsch!<br />

Ein Leichtes wäre es nun, einzufordern, dass das Topmanagement dieser<br />

Unternehmen stärker international bese<strong>tz</strong>t sein sollte – etwa, um größere<br />

Marktnähe herzustellen, internationales Know-how zu kombinieren und<br />

auch die jeweiligen Kulturen besser verstehen zu können. Und noch leichter<br />

wäre es angesichts der »Deutschtümelei« in deutschen Vorstandsetagen,<br />

diese Forderung mit einer gehörigen Portion Spott zu unterlegen.<br />

Doch wie sähe stattdessen eine angemessene Antwort auf die Frage nach<br />

dem »richtigen« Internationalisierungsgrad deutscher Vorstandsetagen aus?<br />

Wir wissen es (auch) nicht, stellen jedoch die Frage: Was ist das Problem, für<br />

das diese (deutsch<strong>la</strong>stige) Bese<strong>tz</strong>ung eine Lösung darstellt?<br />

Vielleicht handelt es sich um eine Lösung, die auf die Bewältigung gerade<br />

derjenigen spezifischen Unsicherheit abzielt, die sich aus der Internationalität<br />

dieser Unternehmen ergibt?<br />

»Sie müssen sich einen Vorstand immer als Schicksalsgemeinschaft vorstellen<br />

…« Michael Hartmann<br />

»Verantwortlichkeit muss immer auf Personen zugeschnitten werden,<br />

die Entscheidungen selbst haben ja keine Dauer.« Nik<strong>la</strong>s Luhmann<br />

Anton Weinmann<br />

Vorstandsvorsi<strong>tz</strong>ender<br />

Deutsch<br />

Dr. Jürgen Großmann<br />

Vorstandsvorsi<strong>tz</strong>ender<br />

Deutsch<br />

Lars Wrebo<br />

Production and Logistics<br />

Schwedisch<br />

Dr. Leonhard Birnbaum<br />

u. a. Konzernstrategie<br />

Deutsch<br />

Sabine Drzisga<br />

u. a. Controlling<br />

Deutsch<br />

»… das symbolische Kapital (ist) jene eigentlich magische Kraft … die …<br />

zwischen … Personen besteht, die über einen entsprechenden Blick verfügen,<br />

die gleichen Kategorien der Wahrnehmung, des Urteilsvermögens und des<br />

Denkens besi<strong>tz</strong>en, kurz einen bestimmten Habitus haben …« Pierre Bourdieu<br />

Dr. Rolf Martin Schmi<strong>tz</strong><br />

Chief National Officer<br />

Deutsch<br />

Bernd Maierhofer<br />

u. a. Portfolio Development<br />

Deutsch<br />

Alwin Fitting<br />

u. a. Personalmanagement<br />

Deutsch<br />

MAN<br />

Aus<strong>la</strong>ndsumsa<strong>tz</strong> 74%<br />

Mitarbeiter Aus<strong>la</strong>nd 36 %<br />

Eigentum Aus<strong>la</strong>nd 46 %<br />

Dr. Ulrich Jobs<br />

u. a. Organisation<br />

Deutsch<br />

Dr. Rolf Pohlig<br />

Finanzen, Controlling<br />

Deutsch<br />

RWE<br />

Aus<strong>la</strong>ndsumsa<strong>tz</strong> 45 %<br />

Mitarbeiter Aus<strong>la</strong>nd 43 %<br />

Eigentum Aus<strong>la</strong>nd 36%<br />

Das Unternehmen hat einen<br />

deutschen Großaktionär.<br />

Transnationale Utopie? 48 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Quelle der Fotos: Unternehmenshomepages / Quellen der Daten: www.fazfinance.net/Aktuell/Adieu-Deutsch<strong>la</strong>nd-Der-Dax-haut-ab-3929.faz<br />

Telekom<br />

Aus<strong>la</strong>ndsumsa<strong>tz</strong> 44%<br />

Mitarbeiter Aus<strong>la</strong>nd 30 %<br />

Eigentum Aus<strong>la</strong>nd 35 %<br />

Das Unternehmen hat einen<br />

deutschen Großaktionär.<br />

Münchener<br />

Rückversicherung<br />

Aus<strong>la</strong>ndsumsa<strong>tz</strong> 54 %<br />

Mitarbeiter Aus<strong>la</strong>nd 27 %<br />

Eigentum Aus<strong>la</strong>nd 50 %<br />

Siemens<br />

Aus<strong>la</strong>ndsumsa<strong>tz</strong> 79%<br />

Mitarbeiter Aus<strong>la</strong>nd 64%<br />

Eigentum Aus<strong>la</strong>nd 56%<br />

»Eine Information ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht …«<br />

Gregory Bateson<br />

»Unternehmen p<strong>la</strong>nen und handeln ihre Umwelt intern so aus, dass die<br />

Unsicherheit beseitigt wird.« Richard Cyert/ James March<br />

René Obermann<br />

Vorstandsvorsi<strong>tz</strong>ender<br />

Deutsch<br />

Peter Löscher<br />

Vorstandsvorsi<strong>tz</strong>ender<br />

Österreichisch<br />

Dr. Manfred Balz<br />

u. a. Datenschu<strong>tz</strong>, Recht<br />

Deutsch<br />

Wolfgang Dehen<br />

Sector CEO Energy. Asien, Australien<br />

Deutsch<br />

Timotheus Höttges<br />

Finanzen<br />

Deutsch<br />

Dr. Heinrich Hiesinger<br />

Sector CEO Industry, Verantwortung IT<br />

Deutsch<br />

Thomas Sattelberger<br />

Personal<br />

Deutsch<br />

Joe Kaeser<br />

Corporate Finance und Controlling<br />

Deutsch<br />

Niek Jan van Damme<br />

Deutsch<strong>la</strong>nd<br />

Niederländisch<br />

Barbara Kux<br />

Supply Chain Management<br />

Schweizerisch<br />

Reinhard Clemens<br />

T-Systems<br />

Deutsch<br />

Prof. Dr. Hermann Requardt<br />

Sector CEO Healthcare<br />

Deutsch<br />

Hamid Akhavan<br />

Operating Officer (COO)<br />

Iranisch<br />

Dr. Siegfried Russwurm<br />

Human Resources<br />

Deutsch<br />

Guido Kerkhoff<br />

Südosteuropa<br />

Deutsch<br />

»An Organization is a collection of choices looking for problems …«<br />

Michael Cohen, James March, Johan Olsen<br />

»Der Ver<strong>la</strong>uf von Unsicherheitsabsorption wird über Stellen und Personen<br />

punktiert.« Nik<strong>la</strong>s Luhmann<br />

Dr. Niko<strong>la</strong>us von Bomhard<br />

Vorstandsvorsi<strong>tz</strong>ender<br />

Deutsch<br />

Dr. Thomas Blunck<br />

Special and Financial Risks<br />

Chilenisch<br />

Dr. Torsten Jeworrek<br />

u. a. Controlling, IT<br />

Deutsch<br />

Dr. Jörg Schneider<br />

u. a. Controlling, Finance<br />

Deutsch<br />

Dr. Ludger Arnoldussen<br />

Germany, Asia Pacific and Africa<br />

Deutsch<br />

Dr. Peter Röder<br />

Global Clients and North America<br />

Deutsch<br />

Dr. Wolfgang Strassl<br />

Munich Health, Human Resources<br />

Deutsch<br />

Georg Daschner<br />

Europe and Latin America<br />

Deutsch<br />

»Für den Vertrauenden ist seine Verwundbarkeit das Instrument, mit dem er<br />

eine Vertrauensbeziehung in Gang bringt.« Nik<strong>la</strong>s Luhmann<br />

»Wo jedoch das Vertrauen fehlt, verändert sich die Art und Weise, wie die<br />

Menschen über wichtige Fragen entscheiden. Vertrauen ist … eine Haltung,<br />

die risikobereite Entscheidungen zulässt.« Nik<strong>la</strong>s Luhmann<br />

Peter Y. Solmssen<br />

Corporate Legal and Compliance<br />

US-amerikanisch<br />

Dr. Joachim Wenning<br />

Lifeinsurance<br />

Israelisch<br />

Transnationale Utopie? 49 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Leonie Ma<strong>ria</strong> Koenen, geb. 1981, schloss Anfang dieses Jahres ihr Masterstudium der Kultur- und<br />

Wirtschaftswissenschaften an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen mit einer Arbeit über die<br />

Unternehmenskultur von Mehrgenerationen-Familienunternehmen ab. Derzeit lebt und arbeitet<br />

sie in Berlin und widmet sich weiterhin Familienunternehmen in Forschung und Praxis.<br />

Leonie Ma<strong>ria</strong> Koenen<br />

Von Großfamilien und internationalen Unternehmensgruppen<br />

»Family domination of groups provides one common source of identity.«<br />

Granovetter 2005: 441<br />

Mehrgenerationen-Familienunternehmen, die sich im<br />

Besi<strong>tz</strong> einer Großfamilie befinden, können nicht nur unter<br />

dem Aspekt ihres Daseins als Familienunternehmen,<br />

sondern auch als Unternehmensgruppe betrachtet wer-<br />

den. Nach einer Darstellung der Grundzüge dieser Fa-<br />

milienunternehmen in fortgeschrittenem Alter und des<br />

Prinzips von Unternehmensgruppen werden drei Unternehmensbeispiele<br />

anhand ihrer Unternehmenskulturen<br />

analysiert und daraufhin überprüft, welchen Unter-<br />

schied die Großfamilie als Besi<strong>tz</strong>erin und Ressource für<br />

die internationale Aufstellung der Unternehmen macht.<br />

Über Mehrgenerationen-Familienunternehmen<br />

Die Andersartigkeit von Familienunternehmen hat ihre<br />

Ursprünge in der Verflechtung und wechselseitigen<br />

Prägung der Systeme Familie und Unternehmen; sie<br />

wird insbesondere offenbar im Zusammenspiel von Familie<br />

und Unternehmen in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium,<br />

bei so genannten Mehrgenerationen-<br />

Familienunternehmen1 oder Vettern-Konsortien2 : Diese<br />

befinden sich in ihrer Geschäftsentwicklung seit mindestens<br />

drei Generationen unter dem maßgeblichen Einfluss<br />

einer oder mehrerer – der Natur der Sache gemäß<br />

stetig wachsender – Eigentümerfamilien, 3 wobei diese<br />

Langlebigkeit nicht als die Regel in der Entwicklung<br />

eines Familienunternehmens angesehen werden kann.<br />

Unternehmerfamilien entwickeln verschiedene Strategien,<br />

diesem Wachstum der Familie und damit einher-<br />

gehend dem Wachstum der Anzahl der potenziellen<br />

Eigentümer zu begegnen: Eine ist die Vererbung von<br />

Anteilen an alle Nachfahren, wodurch im Laufe der Generationen<br />

ein weit über explizierbare Verwandtschaftsverhältnisse<br />

hinaus verzweigtes Verwandtschaftsne<strong>tz</strong>werk<br />

entsteht, welches dennoch als Familie bezeichnet<br />

wird. 4 Für das <strong>la</strong>ngfristige Überleben eines Fami-<br />

lienunternehmens über Generationen hinweg scheint<br />

das Modell der lebendigen Großfamilie als Eigentümerin<br />

am besten geeignet zu sein. 5<br />

Richtet man seinen Blick weg von der Eigentumsstruktur<br />

und hin zum Unternehmen selbst, so stehen<br />

hier diversifizierte Familienkonzerne im Mittelpunkt<br />

der Betrachtung; große Unternehmensgruppen, deren<br />

einzelne Gesellschaften unter der Leitung einer Holding<br />

Von Großfamilien und internationalen Unternehmensgruppen 50 Revue für postheroisches Management / Heft 5


stehen. Im Gegensa<strong>tz</strong> zu einer Kapitalgesellschaft im<br />

Streubesi<strong>tz</strong>, aufgestellt als anonymer Publikumskonzern,<br />

stellt hier eine Familie maßgeblich das Kapital bereit<br />

und beeinflusst in gleichem Maße die Führung. 6<br />

Das Gruppen-Prinzip – business groups weltweit<br />

Nathaniel H. Leff identifizierte mit dem Prinzip von<br />

(Unternehmens-)Gruppen, dem »group principle«, ein<br />

Muster der Organisation von Industrie in Entwicklungsländern<br />

vor allem in Lateinamerika, Asien und Afrika: 7<br />

»The group is a multicompany firm which transacts in<br />

different markets but which does so under common entrepreneu<strong>ria</strong>l<br />

and financial control.« 8 Ihre Diversifizierung<br />

er<strong>la</strong>ubt eine Reduzierung von Unsicherheit und<br />

Risiken. 9 Unternehmensgruppen zeichnen sich außerdem<br />

dadurch aus, dass sie Funktionen des Marktes übernehmen,<br />

ihr Kapital und ihre Führungskräfte aus mehr<br />

als einer Familie beziehen, das heißt wiederum von<br />

einer Gruppe geführt werden: Die Gruppenmitglieder<br />

verbindet Vertrauen aufgrund ihres ähnlichen persönlichen<br />

Hintergrunds. 10 Als typisches Beispiel für das<br />

Gruppenprinzip, welches die Industrieentwicklung vor<br />

allem in den genannten Kontinenten prägte und prägt,<br />

gelten die japanischen Zaibatsu vor dem Zweiten Weltkrieg<br />

und ihre bis heute existierenden Nachfolgeorganisationen<br />

Keiretsu. 11<br />

Doch können Unternehmensgruppen immer als<br />

Antwort auf Marktversagen in Entwicklungsländern verstanden<br />

werden? Nach Mark Granovetter kann dies nicht<br />

der einzige Grund für ihr erfolgreiches Bestehen sein; 12<br />

sonst könnte man die Beharrlichkeit von Unternehmensgruppen<br />

in Industrieländern wie Japan (Keiretsu), Korea<br />

(Chaebol) und Westeuropa nicht erklären. 13 Insgesamt<br />

lässt sich feststellen, dass Unternehmensgruppen in<br />

verschiedenen Ländern in verschiedenem Ausmaß vorhanden<br />

sind und in verschiedenem Ausmaß als solche<br />

wahrgenommen werden: »Because component firms are<br />

legally separate, business groups can be invisible. This is<br />

one reason they were <strong>la</strong>rgely ignored in theories of economic<br />

organization until recent years.« 14 Vermutlich<br />

sind Unternehmensgruppen weltweit familiendominiert,<br />

15 weshalb das wichtigste Element der auf Vertrauen<br />

beruhenden interpersonalen Beziehungen innerhalb<br />

von Unternehmensgruppen Verwandtschaft ist. 16<br />

Die internationalen Unternehmensgruppen der Familien<br />

Brenninkmeyer, Freudenberg und Haniel<br />

Die folgenden drei Familienkonzerne sind Beispiele<br />

dafür, wie im Laufe der Geschichte aus zuvor eigen-<br />

tümergeführten Familienunternehmen, die von ihrem<br />

Heimatstandort aus in einem Markt tätig waren, sowohl<br />

Großfamilien als auch diversifizierte, international aufgestellte<br />

Unternehmensgruppen entstanden: Die Unternehmen<br />

Franz Haniel & Cie. GmbH, Freudenberg & Co.<br />

KG und Cofra Holding AG – die Unternehmensgruppe der<br />

Familie Brenninkmeyer, unter anderem C&A – wurden<br />

danach ausgesucht, dass sie sich in Bezug auf den Einfluss<br />

der Großfamilie auf die Steuerung der jeweiligen<br />

Familienunternehmen unterscheiden. Die möglichen<br />

Positionen von Familienmitgliedern in der Führung des<br />

Unternehmens sind im Kontext der Unternehmenskultur<br />

dieser Unternehmen von besonderer Bedeutung. Familie<br />

Haniel und Familie Brenninkmeyer bilden die Pole<br />

eines Spektrums: Bei den Brenninkmeyers können nur<br />

im Unternehmen tätige Familienmitglieder Gesellschafter<br />

werden, im Gegensa<strong>tz</strong> zu den Haniels, bei denen<br />

weder Familienmitglieder noch Gesellschafter im Unternehmen<br />

tätig werden dürfen. 17 Familie Freudenberg befindet<br />

sich in der Mitte dieses Spektrums, da grundsä<strong>tz</strong>lich<br />

möglich ist, dass Familienmitglieder eine operative<br />

Führungsposition einnehmen. Dieser Typ kann unter<br />

den dreien als der häufigste bezeichnet werden, wohingegen<br />

die beiden anderen Beispiele in ihrer Gesamtkonstel<strong>la</strong>tion<br />

vermutlich einzigartig sind.<br />

Die Abbildung ökonomischer und nicht ökonomischer<br />

Ziele und Motive ist nach Mark Granovetter Vorausse<strong>tz</strong>ung<br />

für eine adäquate Erforschung von Unter-<br />

1 vgl. Simon et al. 2005<br />

2 vgl. Gersick et al. 1997, 17, 175<br />

3 vgl. Simon et al. 2005, 13<br />

4 vgl. Klett 2005, 31<br />

5 vgl. Simon et al. 2005, 205<br />

6 vgl. Oetker 1999, 20<br />

7 vgl. Leff 1976<br />

8 Leff 1978, 663<br />

9 vgl. Leff 1978, 673<br />

10 vgl. Leff 1978, 663<br />

11 vgl. Morikawa 1992, XV-XIX<br />

12 vgl. Granovetter 2005, 343<br />

13 vgl. Granovetter 1994, 457<br />

14 Granovetter 2005, 430<br />

15 vgl. Granovetter 2005, 441<br />

16 vgl. Granovetter 1994, 463<br />

17 vgl. Simon et al. 2005, 92<br />

Von Großfamilien und internationalen Unternehmensgruppen 51 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Operationalisierung<br />

Organisationsaufbau, 4 Kriterien<br />

(Personalrekrutierung, Finanzierung, Führung, Kontrolle)<br />

Überzeugungen und Werte des<br />

Unternehmensgründers, historische Wurzeln<br />

Unternehmen<br />

Elementare Aspekte des Lebens<br />

Familie<br />

Modell der Organisationskultur nach Edgar H. Schein 20 ; ergänzt um die Operationalisierung für die Analyse der Unternehmensbeispiele<br />

nehmensgruppen. 18 Das Modell der Unternehmenskultur<br />

nach Edgar H. Schein könnte geeignet sein, ökonomische<br />

und nicht ökonomische Faktoren zu integrieren. So<br />

können innerhalb der ersten, obersten Ebene ökonomische<br />

Faktoren als Artefakte aufgenommen werden, nicht<br />

ökonomische in der zweiten und dritten Ebene. Die Abbildung<br />

zeigt, wie das Modell der Organisations- oder<br />

Unternehmenskultur nach Schein operationalisiert werden<br />

kann: 19<br />

Im Rahmen der ersten Ebene der Unternehmenskulturen<br />

ist in diesem Kontext die internationale Aufstellung<br />

der drei Familienkonzerne von Bedeutung: Die<br />

Cofra Holding AG, der Familienkonzern der Familie Brenninkmeyer,<br />

2001 als strategisch agierende Holding in der<br />

Schweiz gegründet, umfasst Aktivitäten in den Bereichen<br />

Einzelhandel – vor allem C & A –, Immobilien, Finanzdienstleistungen,<br />

Private Equity und erneuerbare Energien.<br />

Die einzelnen Unternehmen befinden sich in<br />

Europa, Nord- und Lateinamerika und Asien. Die Textilhandelskette<br />

C & A operiert in 16 europäischen Ländern,<br />

drei Ländern Lateinamerikas und in China. 21 Internationale<br />

Produktionsstandorte sind vor allem in China und<br />

Indien, aber auch in Osteuropa und Nordafrika zu finden.<br />

22 Auch die Freudenberg & Co. KG ist mit ihren 14 Geschäftsgruppen<br />

in verschiedenen Branchen und Märkten<br />

weltweit in 52 Ländern tätig und entwickelt und produziert<br />

Dichtungen, schwingungstechnische Komponenten,<br />

Filter, Vliesstoffe, Trennmittel, Spezialschmier-<br />

stoffe und mechatronische Produkte. Die selbstständig<br />

geführten Gesellschaften werden von einer Führungs-<br />

Artefakte<br />

Verinnerlichte<br />

Überzeugungen<br />

und Werte<br />

Grundlegende<br />

Annahmen<br />

Modell der Organisationskultur nach E. H. Schein<br />

Sichtbare organisationale Strukturen und Prozesse<br />

(schwer zu en<strong>tz</strong>iffern)<br />

Strategien, Ziele und Philosophien<br />

(verinnerlichte Einstellungen)<br />

Unbewusste, angenommene Vorstellungen,<br />

Sichtweisen, Gedanken und Gefühle …<br />

(le<strong>tz</strong>tendlicher Ursprung von Werten und Handlungen)<br />

gesellschaft mit Si<strong>tz</strong> am Heimatstandort Weinheim gesteuert,<br />

koordiniert und überwacht. 23 Die Franz Haniel &<br />

Cie. GmbH mit Si<strong>tz</strong> am Gründungsstandort Duisburg ist<br />

ähnlich wie in den anderen zwei Beispielen für die konzernübergreifende<br />

strategische und finanzielle Führung<br />

sowie die Personalentwicklung zuständig. Das diversifizierte<br />

handels- und dienstleistungsorientierte Portfolio<br />

enthält derzeit neben einer Beteiligung an der Metro AG<br />

die Unternehmensbereiche Celesio, CWS-boco, ELG und<br />

TAKKT, die insgesamt an 500 Standorten in rund 40 Ländern<br />

vertreten sind – vor allem in Nordamerika, Europa,<br />

Russ<strong>la</strong>nd, Asien und Australien. 24<br />

Wollte man die drei Unternehmensbeispiele in die<br />

Systematik multinationaler, globaler und internationaler<br />

Unternehmen von Christopher A. Bartlett und Sumantra<br />

Ghoshal25 einordnen, müssten die Aktivitäten der einzelnen<br />

Unternehmen und deren Beziehung zur Holding genauer<br />

untersuchen werden. Es kann jedoch vermutet<br />

werden, dass es sich bei den dargestellten Unternehmen<br />

am ehesten um internationale Unternehmen handelt.<br />

Insgesamt kann festgestellt werden, dass die dargestellten<br />

Unternehmen neben ihrer Tradition, international<br />

aktiv zu sein, in ihrer Heimat verwurzelt sind.<br />

Anknüpfend an die erste Ebene der Unternehmens-<br />

kulturen, kann über die zweite Ebene konstatiert werden,<br />

dass in allen drei Beispielen die heutigen Geschäftstätigkeiten<br />

ebenso wie die im Unternehmen vertretenen<br />

Überzeugungen und Werte ihre Ursprünge im weitesten<br />

Sinn in der Unternehmensgründung im Umfeld der Vorindust<strong>ria</strong>lisierung<br />

des 19. Jahrhunderts finden. Aus den<br />

Von Großfamilien und internationalen Unternehmensgruppen 52 Revue für postheroisches Management / Heft 5


drei Unternehmensbeispielen soll die Familie Brenninkmeyer<br />

und das Umfeld ihrer Unternehmensgründung<br />

herausgegriffen werden, welches die historische Gewachsenheit<br />

der internationalen Tätigkeiten dieser Unternehmensgruppe<br />

veranschaulicht: Im 17. Jahrhundert begann<br />

der streng katholische, westfälische Bauer Johann<br />

Gerhard Brenninkmeyer, Leinenstoffe zu Fuß zu verkaufen.<br />

Er war Wanderhändler, Tödde genannt. 26 Im West-<br />

falen des 18. und 19. Jahrhundert entwickelte sich der<br />

Leinenhandel als wichtiges Geschäftsfeld. Aus den<br />

Tödden gingen selbstständige Kaufmannsfamilien hervor.<br />

Sie wurden als Pioniere der Globalisierung gefeiert;<br />

hatten sie doch ein über 200 Jahre <strong>la</strong>ng bestehendes<br />

europaweites Handelssystem aufgebaut. Nach dessen<br />

Zusammenbruch bauten die Nachkommen der Tödden<br />

das auch noch heute existierende Konfektionsgeschäft<br />

auf. Nach der Eröffnung des ersten Konfektionsgeschäfts<br />

im niederländischen Sneek durch die Brüder Clemens<br />

und August Brenninkmeyer im Jahr 1861 begannen sie<br />

ihre Expansion im Aus<strong>la</strong>nd mit der Eröffnung einer<br />

ersten Filiale in Berlin im Jahr 1911; auf diese folgten<br />

weitere in Deutsch<strong>la</strong>nd, in den 1920er-Jahren Filialen in<br />

Eng<strong>la</strong>nd und 1948 die ersten zwei Filialen in New York. 27<br />

Die dritte Ebene der Unternehmenskulturen ist vor-<br />

wiegend geprägt durch die Familie und ihre Werte:<br />

Tendenziell sind Familienunternehmen eher gemeinschaftlich<br />

und kooperativ – als individualistisch und<br />

kompetitiv – eingestellt. Diese Beobachtung kann durch<br />

die Stewardship-Theorie28 erklärt werden, die in Fami-<br />

lienunternehmen ein ideales Feld ihrer Anwendung<br />

findet. 29<br />

Implikationen der drei Unternehmensbeispiele<br />

Die drei dargestellten familiengeführten Unterneh-<br />

mensgruppen können erste Anhaltspunkt dafür bieten,<br />

welchen Unterschied der Familienbesi<strong>tz</strong> für die internationale<br />

Aufstellung von Unternehmen machen kann.<br />

Spezifische Beeinflussung der Unternehmenskultur<br />

durch die Familie<br />

Die dritte Ebene der grundlegenden Annahmen einer<br />

Unternehmenskultur wird in Familienunternehmen in<br />

besonderer Weise von der Unternehmerfamilie geprägt: 30<br />

Hierin kann eine Grund<strong>la</strong>ge für internationale Kooperationen<br />

zwischen Familienunternehmen vermutet werden.<br />

Die Kontaktaufnahme kann von Unternehmerfa-<br />

milie zu Unternehmerfamilie geschehen, Ne<strong>tz</strong>werke und<br />

<strong>la</strong>ngfristige Kooperationen können zwischen Unterneh-<br />

merfamilien verschiedener Nationalitäten aufgebaut<br />

werden. Eine Zusammenarbeit zwischen Familienunternehmen<br />

auf Grund<strong>la</strong>ge einer persönlichen Ebene kann je<br />

nach Kulturkreis von Vorteil sein.<br />

.........<br />

Für eine internationale Aufstellung<br />

eines Familienkonzerns können<br />

durch Prinzipal-Steward-Beziehun-<br />

gen … grundsä<strong>tz</strong>lich günstige<br />

Vorausse<strong>tz</strong>ungen angenommen<br />

werden.<br />

Stewardship-Phänomene<br />

Die Unternehmerfamilien übernehmen in den Familien-<br />

konzernen auch noch heute Funktionen, die zur Zeit der<br />

Unternehmensgründung und des Unternehmensaufbaus<br />

während der Vor- und Frühindust<strong>ria</strong>lisierung mangels<br />

marktlicher Alternativen nur durch diese übernommen<br />

werden konnten und heute auf gewisse Weise unzeitgemäß<br />

erscheinen. Manche Großfamilie rekrutiert immer<br />

noch Teile ihres Führungspersonals aus den eigenen<br />

Reihen, so zum Beispiel bei Familie Brenninkmeyer, obwohl<br />

der gesamte Bedarf an Führungskräften über den<br />

Arbeitsmarkt gedeckt werden könnte. Die Großfamilie<br />

fungiert hier als Reservoir für begabte Führungskräfte, 31<br />

die dann auf wirksame Art und Weise die familiengeprägte<br />

Unternehmenskultur leben. Die familieneigenen<br />

Führungskräfte spielen für die internationalen Aktivitäten<br />

der einzelnen Gesellschaften der Cofra Holding AG<br />

18 vgl. Granovetter 2005, 443<br />

19 vgl. für eine ausführlichere Analyse der drei folgenden<br />

Unternehmensbeispiele Koenen 2008, 2009<br />

20 nach Schein 2004, 26, eigene Überse<strong>tz</strong>ung<br />

21 vgl. www.cofraholding.com 2009<br />

22 vgl. Weiguny 2007, 121<br />

23 vgl. www.freudenberg.de 2009<br />

24 vgl. www.haniel.de 2009<br />

25 vgl. Bartlett / Ghoshal 2002<br />

26 vgl. Weiguny 2007, 9ff.<br />

27 vgl. Weiguny 2007, 20-26, www.cofraholding.com 2009<br />

28 vgl. Davis et al. 1997<br />

29 vgl. Rossaro 2007, 114<br />

30 vgl. Koenen 2008, 2009<br />

31 vgl. Simon et al. 2005, 211<br />

Von Großfamilien und internationalen Unternehmensgruppen 53 Revue für postheroisches Management / Heft 5


eine besondere Rolle: Aus<strong>la</strong>ndsgesellschaften werden<br />

meist von Familienmitgliedern aufgebaut und geführt. 32<br />

Für eine internationale Aufstellung eines Familienkonzerns<br />

können durch Prinzipal-Steward-Beziehungen – im<br />

Vergleich zum Agent richtet der Steward sein Verhalten<br />

an organisationalen, nicht an persönlichen Zielen<br />

aus33 – grundsä<strong>tz</strong>lich günstige Vorausse<strong>tz</strong>ungen angenommen<br />

werden. Dies kann sowohl für familienfremde<br />

als auch für familieneigene Führungskräfte gelten, die in<br />

einer von Vertrauen geprägten Beziehung zur Führung<br />

der Unternehmensgruppe stehen, in deren Sinne sie Anpassungen<br />

an die jeweilige Landeskultur vornehmen.<br />

Vertrauen in familiengeführten Unternehmensgruppen<br />

Das Beispiel der Familie Freudenberg verdeutlicht, welchen<br />

Einfluss Vertrauen in einer familiengepräg-<br />

ten Unternehmenskultur für eine Unternehmensgruppe<br />

mit weltweiten Nieder<strong>la</strong>ssungen haben kann: Ein Zitat<br />

von Reinhart Freudenberg, ehemals Sprecher der Unter-<br />

nehmensleitung der familieneigenen Unternehmen und<br />

Vorsi<strong>tz</strong>ender des Gesellschafterausschusses, veranschaulicht,<br />

was Granovetter, wie zu Anfang zitiert, mit der<br />

Rolle der Familie als Quelle von Identität meinen könnte.<br />

Auf die Fragen: »Würden Sie sagen, Freudenberg hat<br />

auch international eine eigene Unternehmenskultur?<br />

Wofür steht Freudenberg? Oder ist das Unternehmen<br />

inzwischen so dezentral organisiert, dass Mitarbeiter in<br />

Kentucky mit einer anderen Unternehmenskultur rech-<br />

nen müssen als in Weinheim?«, antwortet Reinhart Freudenberg:<br />

»Ja natürlich ist sie nicht die gleiche. Amerika<br />

ist immer noch Amerika, China ist China, und Japan ist<br />

Japan. Aber ich wundere mich selber doch immer wieder,<br />

wenn ich dahin fahre, dass das Familienunternehmen<br />

irgendwie schon eine Rolle spielt, und zwar eine vertrauensbildende.«<br />

34 . ¶<br />

32 vgl. Weiguny 2007<br />

33 vgl. Davis et al. 1997, 21-25, 43<br />

34 Simon et al. 2005, 143<br />

Bartlett, Christopher A. / Ghoshal, Sumantra (2002): Managing<br />

Across Borders. The Transnational Solution. 2. überarbeitete Auf<strong>la</strong>ge.<br />

Boston, Massachusetts: Harvard Business School Press.<br />

Davis, James H. / Schoorman, F. David / Donaldson, Lex (1997):<br />

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Princeton University Press.<br />

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Rossaro, Fabiana (2007): Zu den Beständigkeitsmerkmalen von<br />

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Der Aufstieg der Brenninkmeyers. München, Zürich: Piper.<br />

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unter www.cofraholding.com/en/gro_org.asp, Abruf 6.8.09<br />

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unter www.haniel.de/public/de/portfolio, Abruf 6.8.09<br />

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unter www.freudenberg.de/ecomaXL/index.php?site=<br />

FCO_DE_fuehrungsstruktur_der_freudenberg_gruppe, Abruf 6.8.09<br />

Von Großfamilien und internationalen Unternehmensgruppen 55 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Helmut Kostal trat 1972 trat in das Unternehmen Leopold Kostal GmbH & Co. KG ein, seit 1981 ist er geschäftsführender<br />

Gesellschafter.<br />

Torsten Groth ist Geschäftsführer des Management Zentrums Witten (MZW) und dort auch als Berater und<br />

Trainer tätig. Zudem ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU)<br />

der Universität Witten/Herdecke.<br />

Interview mit Helmut Kostal<br />

Wir haben nie eine riesige Investition auf der<br />

grünen Wiese gemacht<br />

Helmut Kostal im Interview<br />

Das Unternehmen Kostal in Lüdenscheid zählt mit ca. 11.000 Mitarbeitern<br />

und einem Umsa<strong>tz</strong> von ca. 1,2 Milliarden Euro zu den großen<br />

Automobilzulieferern in Deutsch<strong>la</strong>nd. Gegründet im Jahre 1912<br />

hat sich das Unternehmen auf elektronische und mechatronische<br />

Produkte spezialisiert. Für weltweit führende Automobilhersteller<br />

werden u. a. Lenksäulen- und Mittelkonsolenmodule und elektronische<br />

Steuergeräte produziert. Mehr als 2/3 der Mitarbeiter sind in den<br />

Aus<strong>la</strong>ndsgesellschaften in 15 verschiedenen Ländern tätig.<br />

Torsten Groth: Herr Kostal, wie waren Ihre ersten Er-<br />

fahrungen mit der Internationalisierung? Wann ging es los<br />

mit Kostal außerhalb Lüdenscheids?<br />

Helmut Kostal: Wir müssen zurückgehen ins Jahr 1972, als<br />

ich ins Unternehmen eingetreten bin. Dies ist je<strong>tz</strong>t 37 Jahre<br />

her, und ich war in einer Assistenzfunktion in der Geschäftsführung<br />

tätig, zusammen mit einem erfahrenen<br />

Produktionsmanager. Mit 27 und 33 Jahren waren wir die<br />

»Jungen Wilden«. Während die damalige Führungsgeneration<br />

eher 64 bis 65 Jahre alt war. Uns war schnell k<strong>la</strong>r, dass<br />

die Automobilindustrie eine stärker internationale Industrie<br />

werden würde; dass insbesondere der reine Export von<br />

Fahrzeugen aus Deutsch<strong>la</strong>nd ins Aus<strong>la</strong>nd Grenzen hat, sodass<br />

die deutschen Automobilhersteller im Aus<strong>la</strong>nd produzieren<br />

mussten. Auf die Entwicklung wollten wir vorbereitet<br />

sein. Jedoch war die anfängliche Internationalisierung<br />

eher eine lose Willenserklärung, als dass dahinter bereits<br />

ein strategischer Ansa<strong>tz</strong> stand.<br />

Das heißt, Sie sind als Zulieferer keinem Automobilhersteller<br />

ins Aus<strong>la</strong>nd gefolgt?<br />

Nein, obgleich unser erster Ansa<strong>tz</strong> nicht initiativ von uns<br />

ausging, sondern von einem Deutschen, der in Mexiko lebte<br />

und der im Umfeld des VW-Werkes in Mexiko mögliche<br />

Hersteller suchte, die Produkte für VW-Mexiko produzieren<br />

konnten. Die rechtliche Situation war damals so, dass die<br />

Automobilindustrie in Mexiko als strategische Industrie<br />

eingestuft wurde und Ausländer nur höchstens 24 Prozent<br />

an einem Unternehmen halten durften. Tro<strong>tz</strong>dem haben<br />

wir uns für die Kooperation entschieden; sind also mit<br />

diesem Mexiko-Deutschen zusammen in ein Joint Venture<br />

eingetreten, einfach um mal den ersten Schritt zu machen<br />

und zu sehen, ob es funktioniert.<br />

Kannten Sie den Herrn schon vorher?<br />

Nein, wir kannten ihn vorher nicht. Er ist übrigens auch<br />

heute noch in Mexiko ein erfolgreicher Unternehmer und<br />

hatte schon damals k<strong>la</strong>re Vorstellungen von dem, was er<br />

wollte. Unsere waren bei Weitem nicht so k<strong>la</strong>r, sodass wir<br />

56 Revue für postheroisches Management / Heft 5


– salopp gesagt – leisteten und er verdiente. Als sich die<br />

mexikanischen Gese<strong>tz</strong>e bzgl. der Beteiligungsverhältnisse<br />

änderten, haben wir etwa vier Jahre später eine Neugründung<br />

in Mexiko vorgenommen, die ausschließlich den Namen<br />

Kostal trug.<br />

Wie muss man sich das vorstellen, wenn Kostal als sauer-<br />

ländisches Unternehmen in Mexiko ein Werk aufbauen<br />

will? Wie sind Sie konkret vorgegangen?<br />

Wie sind wir vorgegangen? Wir hatten bewährte Mitarbeiter<br />

hier im Unternehmen, von denen wir wussten, dass die<br />

so etwas können. Es ging auch nicht darum, ein komplettes<br />

Werk mit allen Funktionen aus dem Boden zu stamp-<br />

fen, sondern es ging darum, eine Endmontage von Tei-<br />

len, die aus Deutsch<strong>la</strong>nd geschickt wurden, vorzunehmen.<br />

Schwierig war natürlich immer die Frage, woher nehme<br />

ich Personal, das das technische Fachwissen hat, denn es<br />

galten ja die gleichen Qualitätsanforderungen wie hier<br />

in Deutsch<strong>la</strong>nd. Damals sprach hier niemand Spanisch<br />

und Englisch sprachen in dem Unternehmen Kostal von<br />

ca. 1500 Mitarbeitern vielleicht vier Leute soweit, dass<br />

man sie sorgenfrei ins Aus<strong>la</strong>nd schicken konnte.<br />

Geben Sie uns einen Überblick, wie es dann weiterging<br />

nach diesen Pionierschritten in Mexiko.<br />

Also in Mexiko sind wir, g<strong>la</strong>ube ich, zweimal Konkurs gegangen<br />

oder wären zahlungsunfähig gewesen, wenn die<br />

Muttergesellschaft nicht für die Verbindlichkeiten eingetreten<br />

wäre. Das <strong>la</strong>g vor allem an den völlig anderen<br />

politischen Rahmenbedingungen in diesen Ländern. Zum<br />

Beispiel war in Mexiko die Frage, wer gerade Präsident ist,<br />

von immenser Bedeutung. Je nachdem, ob der Präsident<br />

einer war, der sich und seinen C<strong>la</strong>n – ein mexikanischer<br />

C<strong>la</strong>n umfasst gleich 3.000 Leute – bereicherte oder ob er<br />

versuchte, Gutes für sein Land zu tun, fiel auch der Erfolg<br />

im Wirtschaften sehr unterschiedlich aus. Kurz gesagt, es<br />

gab maßgebliche Faktoren, die sie nicht beeinflussen können.<br />

Le<strong>tz</strong>tendlich waren wir erfolgreich und haben unsere<br />

Aus<strong>la</strong>ndsaktivitäten immer weiter ausgedehnt. Natürlich<br />

wollten wir auch verhindern, dass sich andere Zulieferer an<br />

Orten, wo sich die deutsche Autoindustrie im Aus<strong>la</strong>nd<br />

ansiedelte, mit unseren Produkten breit machten.<br />

In den 70er-Jahren war es noch so, dass man im Aus<strong>la</strong>nd<br />

nicht wie heute günstiger produzierte und niedrigere Prei-<br />

se hatte als hier in Deutsch<strong>la</strong>nd. Es war geradezu um-<br />

gekehrt. Wir bekamen je nach Land, Investitionen, Zöllen<br />

und Transportkosten den Faktor 1,3 bis 1,7 auf die deut-<br />

schen Preise. Das wurde, denke ich, von der Automobil-<br />

industrie bewusst so gesteuert, weil sie unter dem Schu<strong>tz</strong><br />

hoher Zölle für importierte Fahrzeuge mit ihren Liefer-<br />

anten um sich ihre Märkte aufbauen wollten. Erst viel<br />

später dann se<strong>tz</strong>te <strong>la</strong>ngsam der Preisverfall ein, der dazu<br />

führte, dass man aus Kostengründen im Aus<strong>la</strong>nd produziert.<br />

Was waren bzw. sind die Kriterien für die Internationalisierung?<br />

Wir hatten immer grundsä<strong>tz</strong>lich zwei Entscheidungskriterien,<br />

um ins Aus<strong>la</strong>nd zu gehen. Die eine war, wie schon<br />

erwähnt, den Markt wahrzunehmen bzw. den Wettbewerb<br />

fernzuhalten. Die zweite Argumentationslinie war die der<br />

verlängerten Werkbank, das heißt günstigere Entstehungs-<br />

kosten. Es ist ja bekannt, dass Deutsch<strong>la</strong>nd nicht gerade<br />

ein Ort der Billiglöhne ist, und deshalb sind Ländergesellschaften<br />

wie Ir<strong>la</strong>nd und Tschechien ausschließlich unter<br />

dem Gesichtpunkt »Wahrnehmen günstigerer Produktionskosten«<br />

gegründet worden. So sind sie dann auch strukturiert;<br />

dort finden Sie weder die volle Administration oder<br />

den Vertrieb noch alles Weitere, was nötig wäre, wenn sie<br />

einen Kunden direkt beliefern. Diese Werke haben viele,<br />

viele Jahre über Kostal Deutsch<strong>la</strong>nd ihre Kunden gefunden.<br />

Heute ist es anders, heute wird fast alles direkt zu den Au-<br />

tomobilherstellern geliefert, Deutsch<strong>la</strong>nd wird davon nicht<br />

mehr berührt. Le<strong>tz</strong>tendlich ist die Entwicklung dahin gegangen,<br />

dass von unseren heute rund 11.000 Mitarbeitern<br />

über 8.000 im Aus<strong>la</strong>nd beschäftigt sind, das heißt, die<br />

Schwerpunkte haben sich deutlich aus Deutsch<strong>la</strong>nd wegver<strong>la</strong>gert.<br />

Und wenn man die Aus<strong>la</strong>ndsgesellschaften je<strong>tz</strong>t jeweils<br />

fragen würde, wie würden die sich verstehen? Als Töchter<br />

eines deutschen Unternehmens oder werden stärker<br />

die <strong>la</strong>ndesspezifischen Eigenarten und Kulturen gepflegt?<br />

Ganz k<strong>la</strong>r, die verstehen sich als Tochtergesellschaft eines<br />

deutschen Familienunternehmens. Vor allem, weil wir als<br />

Familienunternehmen einige typische Verhaltensweisen an<br />

den Tag legen, die auch das Management in den Ländern<br />

beeinflussen, bzw. wir die Spielregeln vorgeben. Das fängt<br />

mit der Gründung an. Wir haben nie eine riesige Investition<br />

auf der grünen Wiese gemacht mit dem Ziel, den<br />

Markt mit einem Sch<strong>la</strong>g zu erobern, sondern wir haben<br />

immer gesagt, wir fangen klein an, der Erfolg im Land<br />

muss das Investment im Grunde verdienen. Das heißt, die<br />

Lösung muss eine generierte sein, und man muss jederzeit<br />

in der Lage sein, die Investitionsentscheidung bei Änderung<br />

der Vorausse<strong>tz</strong>ungen wieder zu revidieren.<br />

Helmut Kostal im Interview 57 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Ich g<strong>la</strong>ube, die meisten Familienunternehmen handeln be-<br />

wusst oder unbewusst nach dem Prinzip, keine Risiken einzugehen,<br />

die nicht revisionsfähig sind.<br />

Ich g<strong>la</strong>ube, die meisten Familienunternehmen<br />

handeln bewusst<br />

oder unbewusst nach dem Prinzip,<br />

keine Risiken einzugehen,<br />

die nicht revisionsfähig sind.<br />

Mit welchem Selbstverständnis, oder konkreter: Wie zentral<br />

bzw. dezentral steuern Sie von Lüdenscheid aus die<br />

ausländischen Tochtergesellschaften?<br />

Wir haben vom Grundsa<strong>tz</strong> zwei Führungsprinzipien. Als<br />

erstes ist der jeweilige Geschäftsführer ergebnisverant-<br />

wortlich. Er ist dennoch in seinen Entscheidungen nicht<br />

vollständig frei, denn in einem Umfeld von nur 15 Kunden<br />

weltweit muss natürlich eine zentrale Organisation bzw.<br />

zentrale Führung schon im Bearbeiten der Märkte und der<br />

Kunden vorgegeben sein, sodass wir neben dieser Ergeb-<br />

nisverantwortung, die jeder Geschäftsführer im Aus<strong>la</strong>nd<br />

hat, eine Funktionalverantwortung haben. Funktionalver-<br />

antwortung bedeutet, dass beispielsweise der Entwicklungsleiter<br />

in Deutsch<strong>la</strong>nd gleichzeitig die Verantwortung<br />

für die Funktion »Entwicklung« in allen Aus<strong>la</strong>ndsstandorten<br />

mitträgt: Für alle Entwicklungsrichtlinien, für die Ent-<br />

wicklungstools, für Grundsä<strong>tz</strong>e, welche Systeme eingese<strong>tz</strong>t<br />

werden, ist der Entwicklungsleiter Deutsch<strong>la</strong>nd in Funktio-<br />

nalverantwortung auch in den Aus<strong>la</strong>ndsstandorten verantwortlich.<br />

Er kann allerdings von dem örtlichen Geschäfts-<br />

führer nicht überstimmt, wohl aber neutralisiert werden.<br />

Tritt dieser Fall ein, dass sich die beiden Verantwortlichen<br />

nicht fachlich einigen können, <strong>la</strong>ndet das Problem le<strong>tz</strong>tlich<br />

auf meinem Tisch, damit es entschieden wird.<br />

Kommt das öfter vor?<br />

Re<strong>la</strong>tiv selten. Die Funktionalverantwortung beschränkt<br />

sich nicht nur auf die oberste Ebene. Das heißt, auch ein<br />

Entwickler – um in dem Bereich zu bleiben – spricht mit<br />

seinem Kollegen im Aus<strong>la</strong>nd, der an einem Produkt für den<br />

gleichen Kunden arbeitet, und stimmt sich mit ihm nach<br />

den Vorgaberichtlinien ab, die er hier aus Deutsch<strong>la</strong>nd<br />

kennt. So kann viel Abstimmung schon auf sehr niedriger<br />

Ebene <strong>la</strong>utlos funktionieren; die Unternehmensleitung<br />

merkt das gar nicht.<br />

........<br />

Und wenn es Streit gibt, mir fällt dazu ein Fall ein, den wir<br />

vor Kurzem mit unserer USA-Tochter hatten, wo ein Produkt,<br />

das hier fertig entwickelt und auch für den Einsa<strong>tz</strong> in<br />

den USA vorgesehen war, nach Meinung der Amerikaner<br />

für ihren Markt zu kompliziert und zu teuer sei. Sie woll-<br />

ten stattdessen ein eigenes Gerät entwickeln. Das ist eine<br />

Grundsa<strong>tz</strong>entscheidung, die man nicht auf der Ebene lösen<br />

kann, das haben wir dann hier im Sinne der Gleichteilephilosophie<br />

entschieden …<br />

… also zentral entschieden!<br />

Genau.<br />

Eine wichtige Steuerungsgröße ist die Bese<strong>tz</strong>ung der jeweiligen<br />

Spi<strong>tz</strong>enpositionen in den Ländergesellschaften.<br />

Wie bese<strong>tz</strong>en Sie die Positionen? Sind es zum großen Teil<br />

Deutsche?<br />

Das ist unterschiedlich. Zu Anfang haben wir eigentlich<br />

immer Geschäftsführer aus dem jeweiligen Land gesucht,<br />

einfach, weil sie die Gegebenheiten des Landes kennen,<br />

das Arbeitsrecht, aber auch der Kontakt zu den Mitarbeitern<br />

viel besser ist. Zusä<strong>tz</strong>lich, f<strong>la</strong>nkierend, haben wir in<br />

der Regel in der Ebene darunter die technische Leitung und<br />

das Controlling oder das Finanzwesen aus Deutsch<strong>la</strong>nd bese<strong>tz</strong>t.<br />

Das ist heute aber keine festgeschriebene Verfahrensregel<br />

mehr. Wir haben zum Beispiel einen deutschen Geschäftsführer<br />

in Brasilien, einfach weil er ein hervorragender<br />

Mann ist mit Autogefühl im Blut. Sein Vorgänger hingegen<br />

war Deutsch-Brasilianer, der davor war Brasilianer, unser<br />

Geschäftsführer in China ist geborener Chinese, ein hervorragender<br />

Mann mit ung<strong>la</strong>ublicher Ausbildung und einer<br />

guten Verne<strong>tz</strong>ung in China.<br />

Sie schauen da also auf die Potenziale der Führungsper-<br />

sonen. Inwieweit nehmen Sie darüber hinaus Rücksicht<br />

auf spezifische Länderkulturen? Oder sagen Sie: »Sie wollen<br />

eine Kostal-Qualität überall haben, und daran müssen sich<br />

alle anpassen?«<br />

Wir wollen überall Kostal-Qualität haben, aber passen uns<br />

vollständig an die Gegebenheiten in den jeweiligen Standorten<br />

an. Sie müssen Teil der Gesellschaft in dem Land<br />

werden. Jeder weiß, dass Kostal ein Unternehmen in deutschem<br />

Eigentum ist, aber das soll sich nicht dadurch differenzieren,<br />

dass es nicht in das Land passt. Natürlich haben<br />

wir deutsche Tugenden wie Ordnungen und Disziplin und<br />

Sauberkeit. Auf die legen wir großen Wert. Das durchzuse<strong>tz</strong>en,<br />

ist in der Regel auch kein Problem, weil die Leute<br />

sehr schnell die Vorteile dieser Tugenden akzeptieren –<br />

Helmut Kostal im Interview 58 Revue für postheroisches Management / Heft 5


leichter vielleicht als heute in Deutsch<strong>la</strong>nd. Aber tro<strong>tz</strong>dem<br />

müssen Sie auf die individuellen Gegebenheiten in den<br />

Ländern, auf die Mentalitäten und Religionen der Menschen<br />

ungeheuer Rücksicht nehmen. Wir können nicht als<br />

Deutsche kommen und Chinesen oder Indern sagen: »Je<strong>tz</strong>t<br />

seid mal deutsch.«<br />

Zum Abschluss noch eine Frage zur derzeitigen Krise, die<br />

sich ja gerade in der Automobilindustrie zeigt. Wie geht es<br />

für Sie weiter?<br />

Die derzeitige Krise ist anders<br />

als frühere Krisen eine wirklich<br />

weltweite.<br />

Die derzeitige Krise ist anders als frühere Krisen eine wirklich<br />

weltweite. Wir hatten zum Jahreswechsel 2008/09<br />

keinen Standort, der nicht betroffen war. Das war früher<br />

anders, da gab es terr<strong>ito</strong><strong>ria</strong>l begrenzte Krisen: Wenn Euro-<br />

pa schlecht lief, ging Nordamerika, oder Asien lief gut.<br />

Aber dass wirklich die gesamte Weltwirtschaft gleichermaßen<br />

betroffen ist mit Rückgängen zwischen 30 und 50 Prozent<br />

des Umsa<strong>tz</strong>volumens, das haben wir noch nie erlebt.<br />

Die Erholung der einzelnen Standorte verläuft je<strong>tz</strong>t unterschiedlich.<br />

In eher geschlossenen Volkswirtschaften wie<br />

China oder Brasilien haben interne Ankurbelungsprogramme<br />

schnell Erfolg gezeigt. Zum Beispiel sind wir in China<br />

bereits wieder im Produktionsvolumen über dem Stand<br />

von 2008, in Brasilien nur kurz darunter. In allen anderen<br />

Ländern sieht es leider ganz anders aus. Hier in Deutsch<strong>la</strong>nd<br />

beispielsweise liegen wir in unseren P<strong>la</strong>nungen für<br />

2009 immer noch um die 25 bis 30 Prozent unter den Zahlen<br />

von 2008. Der Ausgleich zwischen den verschiedenen<br />

Märkten hat diesmal nicht funktioniert, sondern der Absturz<br />

fand gleichmäßig statt. Die Erholung läuft allerdings<br />

in unterschiedlichen Geschwindigkeiten.<br />

Gibt es für Sie schon erste Lehren aus dieser Krise, stellen<br />

Sie sich noch anders auf?<br />

Wir werden viele Dinge weiter so machen wie in der Vergangenheit,<br />

das heißt, verdientes Geld weitestgehend im<br />

Unternehmen be<strong>la</strong>ssen, um eine solide Eigenkapitalbasis<br />

zu haben, die solche Stöße doch erheblich abfedert,<br />

schlicht weil sie nicht sogleich fremdfinanzieren müssen.<br />

Es hat sich erwiesen, dass dies die große Stärke von Familienunternehmen<br />

ist. Das wird in der ganzen Automobilbranche<br />

heute so gesehen. Viele sogenannte Heu-<br />

...... 59<br />

schrecken und Private-Equity-Gesellschaften pfeifen aus<br />

dem le<strong>tz</strong>ten Loch …<br />

… oder pfeifen schon noch nicht mal mehr …<br />

… während die re<strong>la</strong>tiv soliden Familienunternehmen, von<br />

denen man vorher nicht so viel gehört hat, die auch nicht<br />

so viel Lärm gemacht haben, ganz solide und zuverlässig<br />

als Partner der Autoindustrie durch diese Krise kommen.<br />

Was für mich noch auf der Erfahrungsliste für die Zukunft<br />

ganz oben steht, ist, sensibler für Schwankungen zu werden,<br />

Anzeichen dafür, dass etwas passiert, sehr frühzeitig<br />

versuchen wahrzunehmen, weil rech<strong>tz</strong>eitiges Handeln unendlich<br />

viel Geld spart.<br />

Ein passendes Schlusswort! Danke. ¶<br />

Helmut Kostal im Interview Revue für postheroisches Management / Heft 5


Jekaterina Anzupowa, Performancekünstlerin, lebt und arbeitet in Berlin.<br />

In der Reiseperformance Erdbeerjoghurt 150 g begibt sich Jekaterina Anzupowa auf die Spuren eines handelsüblichen<br />

Supermarkt-Joghurts. Auf zwei unterschiedlichen Reiserouten fährt sie sämtliche Transportwege von Erdbeeren,<br />

Joghurtkulturen, Milch und Zucker ab und steigt dabei vom Pkw auf Frachtschiff und Flugzeug um, ganz so wie die<br />

Zutaten auch. Der ersten Reise liegen Daten aus dem Jahr 1992, der zweiten von 2008 zugrunde.<br />

Mit dieser persönlichen Reiseerfahrung versucht Anzupowa, dem konkreten Moment von Ne<strong>tz</strong>werken nachzuspüren,<br />

die durch ihre Komplexität virtuell erscheinen. Die Sehnsucht nach greifbarer Realität wird dabei durch die Dokumentation<br />

in einem Internet-Reiseblog konterkariert. So untersucht das Projekt Handlungsmöglichkeiten innerhalb<br />

von Systemen, die sich einem le<strong>tz</strong>lichen Begreifen en<strong>tz</strong>iehen. http://erdbeerjoghurt150g.wordpress.com<br />

Erdbeerjoghurt 150 g<br />

Reiseperformance in zwei Teilen<br />

Jekaterina Anzupowa<br />

Und dann: Erdbeeren. Eine schwierige Entscheidung, sollen wir nun den Erdbeeren oder den Holzspänen und Schimmelpilzen, den für den Erdbeergeschmack/-geruch, für das gesamte Gefühl eines Erdbeerjoghurts verantwortlichen Aromastoffen folgen?<br />

Wir folgen der Erdbeere, weil sie den Zeiten tro<strong>tz</strong>t, weil sie immer noch im Erdbeer-<br />

Erdbeerjoghurt 150 g 60 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

joghurt ihren P<strong>la</strong><strong>tz</strong> findet ...<br />

Nebelbänke ziehen auf und penetrieren von beiden Seiten her die Fahrbahn. Der Nebel hat eine gespenstische Note, aber gleichzeitig holt er die Autobahn aus ihrer Paralleldimension in die Landschaft zurück, Rückintegration in die Wirklichkeit ...<br />

Erdbeerjoghurt 150 g 61 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Fri<strong>tz</strong> B. Simon, geb. 1948, Dr. med. habil., apl. Professor für Führung und Organisation, Wittener Institut für<br />

Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke. Systemischer Organisationsberater, Psychiater, Psychoanalytiker<br />

und systemischer Familientherapeut. Geschäftsführender Gesellschafter der Carl-Auer-Systeme Ver<strong>la</strong>gs GmbH und der<br />

Simon, Weber and Friends Systemische Organisationsberatung GmbH. Arbeitsschwerpunkte: Organisations-, Kommunikations-,<br />

Konfliktforschung und -beratung. Lehr- und Beratungstätigkeit in diversen europäischen Ländern, den USA, China.<br />

Jekaterina Anzupowa, Performancekünstlerin, lebt und arbeitet in Berlin.<br />

Interview mit Fri<strong>tz</strong> B. Simon<br />

So wertvoll wie ein kleines Steak –<br />

Realitätskonstruktion per Fruchtjoghurt<br />

Für die Vorstellung ihres Performanceprojektes »Erdbeerjoghurt 150 g«<br />

im Rahmen dieser Revue bat Jekaterina Anzupowa den Psychiater,<br />

Psychotherapeuten und Organisationsberater Fri<strong>tz</strong> B. Simon zum<br />

Gespräch. Bei der Verhandlung von Motiven des Kunstwerkes vor<br />

dem Hintergrund der Systemtheorie ergaben sich Themen wie die<br />

Konstruiertheit von Realität, das Zähnepu<strong>tz</strong>en in postmodernen Zei-<br />

ten und warum es bei Künstlern wie Beratern nur Täter gibt.<br />

Jekaterina Anzupowa: Herr Simon, was finden Sie an dem<br />

Projekt »Erdbeerjoghurt 150 g« aus systemtheoretischer<br />

Sicht interessant?<br />

Fri<strong>tz</strong> B. Simon: Als Systemtheoretiker interessiere ich mich<br />

für Beobachtung. Wer beobachtet was. Und die meisten<br />

Dinge beobachten wir gar nicht, die nehmen wir für selbst-<br />

verständlich und gegeben. Ich g<strong>la</strong>ube, dass die wenigsten<br />

Leute, die in den Supermarkt gehen und einen Erdbeer-<br />

joghurt in den Einkaufswagen legen, sich auch nur den<br />

geringsten Gedanken darüber machen, wie komplex der<br />

Prozess ist, der dieses Endergebnis hervorgebracht hat.<br />

Welche Orte damit verbunden werden, zum Beispiel. Also<br />

wenn man sich nicht nur den Inhalt, sondern auch die Verpackung<br />

und das Marketing anguckt, dann sieht man, dass<br />

da ein weitverzweigtes Ne<strong>tz</strong>werk von Hunderttausenden<br />

von Akteuren besteht, die verteilt sind über ein riesiges<br />

Terr<strong>ito</strong>rium, angeblich ja drei Kontinente.<br />

Und Sie begeben sich je<strong>tz</strong>t auf die Reise, Sie personifizieren<br />

sozusagen die Vorprodukte, erleben, wie es den Zutaten<br />

geht. Und das finde ich eine sehr pfiffige Idee, weil Sie<br />

damit den Blick auf etwas eröffnen, worauf man norma-<br />

lerweise nicht schaut. Das kann man machen, indem man<br />

auf einer wissenschaftlichen Ebene reflektiert, indem man<br />

neue Perspektiven einführt, oder aber man kann den betreffenden<br />

Beobachter mit hineinnehmen in die Situation,<br />

in der er auf einmal etwas anderes erlebt.<br />

Nun ist das Projekt ja nicht auf Aufklärung ausgelegt. Aber<br />

es scheint ein Wert an sich zu sein, mehr Informationen zu<br />

erhalten oder eine Perspektive mehr zu kennen.<br />

Ich würde das gar nicht zweckrational sehen, es ist einfach<br />

eine ästhetische Befriedigung, etwas anderes zu sehen, als<br />

man vorher gesehen hat. Zumindest für mich. Ich verstehe<br />

nicht viel von Kunst, aber mein Bild von Kunst ist es, dass<br />

es sozusagen eine gesellschaftliche Möglichkeit ist, Selbst-<br />

beobachtung zu initiieren. Die Gesellschaft beobachtet<br />

sich normalerweise nicht auf diese Weise, wie Kunst die<br />

Gesellschaft beobachtet.<br />

Fri<strong>tz</strong> B. Simon im Interview 62 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Die Gesellschaft beobachtet sich<br />

normalerweise nicht auf diese<br />

Weise, wie Kunst die Gesellschaft<br />

beobachtet.<br />

Das Projekt arbeitet mit der Frage nach Realität, Inszenierung<br />

von Realität. Was an meiner Realität ist überhaupt<br />

real und wozu kann dieser Begriff »Realität« nü<strong>tz</strong>lich sein?<br />

Die persönliche Reise wird in einen Internetblog zurücküberse<strong>tz</strong>t<br />

und bleibt damit nur virtuell wahrnehmbar. Was<br />

also ist in diesem Zusammenhang »Realität«, ein G<strong>la</strong>s sprudelndes<br />

Wasser, wie es gerade vor mir steht und mich über<br />

meine Sinneswahrnehmungen erreicht?<br />

Mir fällt dazu Woody Allen ein: »Ich g<strong>la</strong>ube nicht an die<br />

Realität, aber es ist der einzige Ort, wo es ein anständiges<br />

Steak gibt.«<br />

Eigentlich ist alles virtuell, sogar was wir für materielle Realität<br />

halten, Naturgese<strong>tz</strong>e, sind konstruiert. Für die meisten<br />

Menschen stellen sich diese Fragen aber gar nicht. In<br />

dem Moment, wo ich mit einem bestimmten Weltbild aufwachse,<br />

nehme ich das als Realität. Man stellt sich die<br />

Frage gar nicht. Genauso wenig wie Sie sich die Frage nach<br />

der Grammatik Ihrer Sprache stellen, wenn Sie sie sprechen.<br />

Aber nur so <strong>la</strong>nge nicht, bis ich eine zweite Sprache lerne.<br />

Genau. Und da denke ich kommt Kunst ins Spiel. Oder eben<br />

auch Wissenschaft, die ein alternatives Modell anbietet.<br />

Und deswegen schaue ich erst auf das scheinbar Naturgegebene.<br />

Wenn ich wie bei diesem Projekt als Performerin arbeite<br />

und einen Zeitraum innerhalb meines Lebens als Kunst<br />

rahme, wo beginnt da nach Ihrem Verständnis die Inszenierung?<br />

Die Inszenierung ist durchgängig. Seit Sie das Licht der<br />

Welt erblickt haben, inszenieren Sie. Wahrscheinlich sind<br />

Sie schon als Teil von irgendwelchen Inszenierungen ge-<br />

boren worden, für die andere das Skript geschrieben haben.<br />

Nach dem Motto: Wie lernt man seine Rolle als Baby?<br />

Man wird ja schon von vornherein mit gewissen Erwartungen<br />

konfrontiert und passt sich an, je nachdem, ob die<br />

Erwartung nun ist, dass man durchschläft oder nicht<br />

durchschläft und so weiter. Es besteht auch überhaupt<br />

kein Unterschied zwischen Ihrer Performance und meiner,<br />

die werden nur unterschiedlich gerahmt.<br />

.......<br />

Ein Unterschied zwischen unseren Performances besteht<br />

aber darin, dass es zu meinem gesellschaftlich definierten<br />

Berufsethos als Künstlerin dazugehört, dass ich mich nicht<br />

mit Wirtschaftsinteressen und Geld befasse, während Sie<br />

Ihre Performance zum Teil in den Dienst dieses existierenden<br />

wirtschaftlichen Systems stellen.<br />

Das scheint das Grunddilemma der Künstler zu sein, die<br />

Empörung darüber: Man macht so tolle Sachen und kein<br />

Schwein bezahlt einen dafür, ganz im Gegenteil, man lebt<br />

am Rande des Existenzminimums. Und auf der anderen<br />

Seite gehört dazu wohl auch eine geradezu beleidigte Phobie<br />

davor, in ökonomischen Kategorien zu denken. Eigent-<br />

lich zweifach beleidigt, die Beleidigung, dass man kein Geld<br />

bekommt, aber auch die beleidigte Ablehnung, irgendet-<br />

was zu tun, wofür man Geld bekäme. Ich g<strong>la</strong>ube, das hat<br />

etwas mit dieser Zaunposition zu tun, man si<strong>tz</strong>t auf dem<br />

Zaun der Gesellschaft, schaut von dieser Position nach<br />

drinnen und sagt: O Gott, wie schmu<strong>tz</strong>ig, das Geld. Gibt es<br />

sauberes Geld? Nein, aber man braucht welches. Und das<br />

ist mir nicht subversiv genug. Ich fände es viel eleganter,<br />

die Strukturen des Systems zu nu<strong>tz</strong>en und sie zu verän-<br />

dern. Das ist für mich die Definition von Subversion. In der<br />

Position kann man eigentlich ganz revolutionäre Sachen<br />

machen, sehr kritische Sachen machen, und sich dafür gut<br />

bezahlen <strong>la</strong>ssen.<br />

Sie sagten gerade, dass Realität ständig inszeniert wird.<br />

Wenn Sie sich bewusst sind, dass die gesamte »Realität«<br />

eine Konstruktion ist, was macht Sie dann noch morgens<br />

Zähne pu<strong>tz</strong>en?<br />

Es fühlt sich angenehmer an, als diesen komischen abge<strong>la</strong>bberten<br />

Geschmack im Mund zu haben. Aber ich brauche<br />

doch keine Realität, um z. B. tro<strong>tz</strong>dem genussfähig zu sein<br />

oder um mich für bestimmte Konstruktionen entscheiden<br />

zu können. Also manche sind p<strong>la</strong>usibler oder nicht, für<br />

mich gibt es ja tro<strong>tz</strong>dem eine Realität, die ich mir halt konstruiere.<br />

Ich sage immer noch: »Das ist ein Idiot, das ist ein<br />

sympathischer Mensch.« Ich habe immer meine Bewer-<br />

tung. Wohl wissend, dass es nicht objektivierbar ist, dass<br />

dies je<strong>tz</strong>t keine Wahrheit ist, die unabhängig von mir<br />

Bestand hat. Ich muss halt die Verantwortung für meine<br />

Konstruktionen übernehmen, das ist die Konsequenz. Alles<br />

ist konstruiert, also habe ich die Verantwortung für meine<br />

Konstruktionen und kann nicht sagen: »So ist es eben.«<br />

Das heißt, Sie besi<strong>tz</strong>en eine Art von Autorenschaft?<br />

Ja, natürlich, jeder besi<strong>tz</strong>t die Autorenschaft für seine<br />

Konstruktion. Die meisten wissen es nur nicht und fühlen<br />

Fri<strong>tz</strong> B. Simon im Interview 63 Revue für postheroisches Management / Heft 5


sich als Opfer der Umstände, der äußeren Realität, und<br />

sagen: »So ist es halt. Ich kann nichts tun«, anstatt zu<br />

sagen: »Ich kann es auch anders konstruieren.« Also sollte<br />

ich mir doch eine Konstruktion suchen, die mir wieder<br />

Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Das ist nebenbei gesagt<br />

auch die Hauptrichtung meiner Interventionen, wenn ich<br />

mit Leuten arbeite, unabhängig davon, ob in einer Organi-<br />

sation oder in der Therapie, dass ich diese alten Ursache-<br />

Wirkung-Modelle, die ja auf Personen überse<strong>tz</strong>t Täter-<br />

Opfer-Modelle sind, infrage stelle. Wir sind alle Täter. Und<br />

nur wenn wir alle Täter sind, haben wir eine Chance, etwas<br />

zu ändern. Zumindest an unserem Leben. Jeder muss die<br />

Verantwortung für seine Konstruktionen übernehmen, für<br />

die Auswahl dessen, was er wahrnimmt, für die Selektion<br />

der Phänomene, die überhaupt in sein Bewusstsein treten,<br />

und für die Kausalitäten, die er konstruiert, ob die magisch<br />

sind oder systemtheoretisch oder kabbalistisch, und dann<br />

entsprechend aus den Bewertungen, die sich da ergeben,<br />

seine Handlungsstrategien ableiten.<br />

»Ich kann es auch anders konstruieren.«<br />

Also sollte ich mir doch<br />

eine Konstruktion suchen, die mir<br />

wieder Handlungsmöglichkeiten<br />

eröffnet.<br />

Allerdings würden Menschen, die mit der Kabba<strong>la</strong> um-<br />

gehen, Ihnen in dem Punkt widersprechen, dass es keine<br />

Außenreferenzen gibt.<br />

Das ist das Problem. Wirklich gefährlich sind, aus meiner<br />

Sicht, die Leute, die sich auf eine höhere Wahrheit berufen,<br />

mit dem Argument, dass sie mit einer höheren Wahrheit<br />

auch höhere Werte vertreten, und andere dazu zwingen<br />

wollen, ihre Konstruktion zu übernehmen.<br />

Der Begriff des Autors birgt in sich eine Problematik der<br />

Schöpfung und des Subjekts, die spätestens in den 60er-<br />

Jahren des le<strong>tz</strong>ten Jahrhunderts radikal angegangen wurde,<br />

als der Autor für tot erklärt wurde.<br />

Wenn ich Autor bin, heißt das ja noch nicht, dass ich das<br />

alte Subjekt-Modell übernehmen muss. Ich bin Autor, weil<br />

ich nicht außengesteuert bin. Ich beteilige mich an Diskursen,<br />

und die <strong>la</strong>ssen mich nicht kalt, die beeinflussen<br />

mich, aber sie steuern mich nicht, sie sind nicht kausal. Sie<br />

sind nicht im Sinne der traditionellen Kausalität determi-<br />

........<br />

nistisch für das, was ich dann daraus mache. Ich bleibe<br />

immer Autor, ich bin immer derjenige, der die Geschichten<br />

schreibt, und der die Auswahl dessen, was ihn interessiert,<br />

vornimmt.<br />

Ist das eine Art von Autonomie?<br />

Das ist Autonomie. Alle Menschen sind autonom. Das ist<br />

eine der basalen Grundannahmen der neueren Systemtheorie:<br />

dass psychische Systeme autonom sind. Dass es überhaupt<br />

gar keine Möglichkeit für eine äußere Realität gibt,<br />

einen direkten Zugang zu einem psychischen System zu<br />

finden. Sondern dass alles, was äußerlich passiert, immer<br />

nur als Irritation wirkt, die dann intern aktiv zu irgendeiner<br />

Struktur oder zu irgendeiner Konsequenz verarbeitet<br />

wird. Sodass aus dem physisch oder faktisch selben Ereignis<br />

unterschiedliche Stories gestrickt werden können. So<br />

wie Sie aus einem Joghurtbecher eine wunderbare Performance<br />

machen, machen andere nur eine Magenverstimmung<br />

daraus.<br />

Vielen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch. ¶<br />

Fri<strong>tz</strong> B. Simon im Interview 64 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Stefan Strohschneider, Diplom-Psychologe, Professor für Interkulturelle Kommunikation an der Friedrich-Schiller-<br />

Universität Jena; Forschungsschwerpunkte in den Bereichen Kommunikation und Entscheiden in kritischen Situationen,<br />

Entwicklung von Trainingskonzepten für heterogene Teams unter Nu<strong>tz</strong>ung handlungsbasierter Lernformen, kulturvergleichende<br />

Problemlöseforschung, Sicherheitskultur; Forschungsprojekte in Indien, Schweden, Brasilien, Mexiko u. a.<br />

internationale Kooperationen.<br />

Stefan Strohschneider<br />

Zur See! – Teamtraining mit der MS ANTWERPEN*<br />

Meine Jugend war voller Helden – Seehelden zumeist:<br />

Cristoforo Colombo, Vasco da Gama, Fernando Magel-<br />

haes, später dann die Norweger Fridtjof Nansen, Roald<br />

Amundsen und Thor Heyerdahl, die Engländer James<br />

Cook, Fletcher Christian, Robert Scott und Ernest Shack-<br />

leton, die Männer der Essex (die historische Vor<strong>la</strong>ge für<br />

Melvilles Moby Dick) und der Noordster (ihre Geschichte<br />

wurde von Robert Haasnoot zu dem wunderbaren Roman<br />

Wahnsee verdichtet) und schließlich auch, etwas<br />

verschämt vielleicht, Felix Graf Luckner. Ich liebte die<br />

Vorstellungen von stürmischer See und kühnen Ent-<br />

scheidungen, durch die nie gesehene Meere durchmes-<br />

sen, Kontinente erobert und zeitloser Ruhm gewonnen<br />

wurden. Wiederum später habe ich gelernt, manche<br />

meiner Helden kritischer zu sehen. War Scott nicht in<br />

Wirklichkeit ein pomadiger, überforderter Salonlöwe?<br />

Und Fletcher Christian ein selbstsüchtiges Weichei? Und<br />

hat nicht Amundsen seine Männer wie seelenlose Instru-<br />

mente behandelt und Zeit seines Lebens keinen wirk-<br />

lichen Freund gefunden? War nicht Nansen ein arrogan-<br />

ter Schnösel, der Johansen auch nach dem gemeinsamen<br />

Winter im Eis immer noch gesiezt hat, weil der nicht zur<br />

richtigen Gesellschaftsschicht gehörte? Und verkörpern<br />

sie nicht tro<strong>tz</strong>dem, in ihrer Vielfalt, alles das, was Men-<br />

schen so interessant macht? Besessenheit und Rück-<br />

sichtnahme, Mut und Kopflosigkeit, Durchhaltevermögen<br />

und Verzweiflung, Neugier und Starrsinn? Kaum<br />

traue ich mich, davon zu erzählen, denn Helden sind<br />

ganz und gar aus der Mode gefallen, und ich, ich schreibe<br />

für die Revue für postheroisches Management. Oh<br />

Elend.<br />

Es gibt jedoch eine Verbindung zwischen dieser Auseinanderse<strong>tz</strong>ung<br />

mit den Helden meiner Jugend und diesem<br />

kleinen Beitrag:<br />

// Schnitt //<br />

Die sieben Personen rund um den großen Tisch werden<br />

zunehmend <strong>la</strong>uter. Seit gut einer Stunde agieren sie nun<br />

schon als Führungscrew der MS ANTWERPEN – eines<br />

alten, von allerlei Problemen gep<strong>la</strong>gten Kreuzfahrtschif-<br />

* Die MS ANTWERPEN entstand in Kooperation mit dem Universitätsklinikum<br />

der RWTH Aachen; ihr Einsa<strong>tz</strong> für Trainingszwecke<br />

unterliegt einer Lizensierungsk<strong>la</strong>usel. Die Originalpublikation:<br />

Strohschneider, S., & Gerdes, J. (2004). MS ANTWERPEN: Emergency<br />

Management Training for low risk environments. Simu<strong>la</strong>tion<br />

& Gaming, 35, 394-413.<br />

Zur See! 65 Revue für postheroisches Management / Heft 5


fes. Es handelt sich bei der MS ANTWERPEN nur um<br />

ein computersimuliertes P<strong>la</strong>nspiel, tro<strong>tz</strong>dem haben sich<br />

die Sieben mittlerweile mit ihrer jeweiligen Rolle (Kapitän,<br />

1. Ingenieur, Chefsteward, 1. Offizier usw.) identifi-<br />

ziert und in ihre Aufgabenfelder eingearbeitet. Langsam<br />

nimmt auch die Anspannung zu, zumal ein Drucker stän-<br />

dig neue Meldungen ausspuckt, auf die reagiert werden<br />

muss: Das Wetter verschlechtert sich immer weiter, und<br />

der Wind hat Sturmstärke erreicht. Der Seegang hier am<br />

Rande der Grand Banks mitten im Nordat<strong>la</strong>ntik ist<br />

unangenehm ruppig, viele Passagiere k<strong>la</strong>gen über Seekrankheit,<br />

und einige Maschinen, besonders der Backbord-Hilfsdiesel<br />

und ein Wellengenerator, machen Ärger<br />

und benötigen konstante Aufmerksamkeit. Außerdem<br />

muss man sich um einen besoffen randalierenden Passagier<br />

kümmern, das Radar wegen der vielen Fischtrawler<br />

in der Gegend besonders gründlich im Auge behalten,<br />

und nun schlägt auch noch ein Rauchmelder in einer<br />

Passagierkabine im weit unten liegenden C-Deck an.<br />

Der Kapitän (bis vorhin war er noch Sachgebietsleiter)<br />

versucht, schnell und entschlossen zu handeln.<br />

Seine Befehle sind aber leider so allgemein gehalten (»da<br />

soll sofort jemand nachgucken, was da los ist«), dass niemand<br />

weiß, wer eigentlich was tun soll. Aber es scheint<br />

so, als hielte er die Situation irgendwie für gefährlich,<br />

denn sein Ton gegenüber den anderen Gruppenmitgliedern<br />

verschärft sich deutlich. In diesem Moment trifft<br />

ein Funkspruch von einem in der Nähe befindlichen<br />

Trawler ein. Dieser meldet eine Störung seiner Radaran<strong>la</strong>ge<br />

und bittet um Positions- und Kursangaben. Diese<br />

Anfrage lenkt die Aufmerksamkeit der gesamten Besa<strong>tz</strong>ung<br />

vom Feuer weg, und erst einige Minuten später<br />

erinnert der 1. Offizier alle wieder daran, dass doch da<br />

noch was mit einem Rauchmelder war. Daraufhin wird<br />

entdeckt, dass niemand Besa<strong>tz</strong>ungsmitglieder zu der betreffenden<br />

Kabine geschickt hat, um nachzusehen, was<br />

los ist, und den Brand ggf. zu löschen, weil völlig unk<strong>la</strong>r<br />

geblieben war, wer dafür verantwortlich gewesen wäre.<br />

Zwar erteilt der Kapitän schließlich die entsprechenden<br />

Befehle, aber vorher verteidigt er sich ausführlich<br />

vor seiner Besa<strong>tz</strong>ung. Er wirkt in dieser Phase stark gestresst<br />

und niemand denkt daran, die Passagiere zu informieren,<br />

Verle<strong>tz</strong>te zu bergen oder benachbarte Kabinen<br />

auf eine eventuelle Feuerausbreitung hin zu kontrol-<br />

lieren. Eine weitere Meldung (eine unerhebliche Passagierbeschwerde)<br />

lenkt die Gruppe erneut ab. Nur der<br />

Kapitän brütet weiter über dem Generalp<strong>la</strong>n und den<br />

Rauchmeldern, aber da der Brand offenbar von allen<br />

anderen Besa<strong>tz</strong>ungsmitgliedern ignoriert wird, gibt er<br />

keine weiteren Befehle. Nachdem einige Minuten später<br />

der Rauchmelder auf »aus« springt, werden dem Passagier,<br />

der den Brand verursacht hat, ein paar kostenlose<br />

Drinks in einer der Bars angeboten. Ein Glück nur, dass<br />

das Feuer von der automatischen Sprinkleran<strong>la</strong>ge selbständig<br />

gelöscht worden war.<br />

// Schnitt //<br />

Diese kleine Szene ist die Nacherzählung einer Episode,<br />

die eine Gruppe von Teilnehmern an einem Teamtraining<br />

»produziert« hat. Die MS ANTWERPEN ist, wie<br />

bereits erwähnt, die Computersimu<strong>la</strong>tion eines alten<br />

Kreuzfahrtschiffes, das in einer stürmischen Nacht im<br />

Nordat<strong>la</strong>ntik unterwegs ist. Die Simu<strong>la</strong>tion ver<strong>la</strong>ngt den<br />

Teilnehmern einiges ab: so ist sie – wie jede Simu<strong>la</strong>tion<br />

– zunächst einmal interaktiv und dynamisch. Die Situation<br />

an Bord verändert sich <strong>la</strong>ufend, die Teilnehmer<br />

werden mit den verschiedenartigsten Ereignissen konfrontiert<br />

und müssen Entscheidungen treffen, die den<br />

weiteren Ab<strong>la</strong>uf beeinflussen. Darüber hinaus »leiden«<br />

die Spieler an dem für viele kritische Situationen typischen<br />

Mix aus Informationsüberflutung und Informationsmangel.<br />

Jeder der Spieler übernimmt eine eigene<br />

Rolle und bekommt die Informationen, die er kennen<br />

muss, um die Rolle auszufüllen – besonderes seemännisches<br />

Vorwissen ist also gar nicht erforderlich. Gleich-<br />

zeitig aber hat er kaum genügend Zeit, diese Infor-<br />

mationen zu verarbeiten, er weiß ferner nicht, was die<br />

anderen wissen, und er weiß nicht, welche der vielen<br />

ein<strong>la</strong>ufenden Meldungen Rauschen sind und welche<br />

wichtige Signale.<br />

Dazu kommt die Problematik der sozialen Situation.<br />

Nicht nur das Wissen ist im Team »verteilt«, jeder der<br />

Spieler hat auch andere Aufgaben und verfolgt andere<br />

Ziele. Das kann bei manchen Ereignissen zu heftigen<br />

Konflikten führen – soll man wegen eines schwer erkrankten<br />

Passagiers den Kurs ändern und den nächsten<br />

Hafen an<strong>la</strong>ufen, obwohl die Reederei »Druck macht« und<br />

der Kurs außerdem genau in den Sturm hineinführen<br />

würde? Eine Schiffsbesa<strong>tz</strong>ung hat – im Prinzip – eine<br />

streng hierarchische Struktur mit dem Kapitän an oberster<br />

Stelle. Wer übernimmt diese Rolle freiwillig? Wie<br />

füllt er oder sie sie aus? Wie organisiert man die Zu-<br />

Zur See! 66 Revue für postheroisches Management / Heft 5


sammenarbeit zwischen den verschiedenen Funktionsbereichen<br />

an Bord? Wer behält den Überblick?<br />

Mit all diesen Eigenschaften gehört die MS ANT-<br />

WERPEN zu einer neuen K<strong>la</strong>sse von Übungsformen, für<br />

die sich der Name »Mid-Fidelity-Simu<strong>la</strong>tionen« einzubürgern<br />

beginnt. Sie repräsentieren hochkomplexe<br />

Modelle einer Wirklichkeit; Modelle, deren Realitäts-<br />

treue weit über das k<strong>la</strong>ssische P<strong>la</strong>nspiel (»Low Fidelity«)<br />

hinausgeht. Auf der anderen Seite fehlt die sensorische<br />

Realitätstreue von High-Fidelity-Simu<strong>la</strong>toren (z. B. Flugsimu<strong>la</strong>toren);<br />

auch wenn man bei der MS ANTWER-<br />

PEN mit Meeresrauschen und Maschinengebrumm zusä<strong>tz</strong>lichen<br />

Realismus ins Spiel bringen kann. Allerdings<br />

ver<strong>la</strong>ngen solche Übungsformen Zeit, eine Fahrt mit der<br />

MS ANTWERPEN verschlingt mit entsprechender Vorund<br />

Nachbereitung leicht einen ganzen Tag.<br />

Was kann man mit solchen Übungsformen anfangen?<br />

Heldentraining im postheroischen Zeitalter? Eher<br />

nicht. Aber die Bewältigung schwieriger, neuartiger Aufgaben<br />

in einem heterogenen Team erfordert dann doch<br />

mehr als nur guten Willen und vielleicht noch die Einsicht,<br />

dass es allein mit Rumkommandieren noch nicht<br />

getan ist. Ich spreche von situationsübergreifend ein-<br />

se<strong>tz</strong>baren Systemsteuerungskompetenzen; generic com-<br />

petences für die Freunde englischer Sch<strong>la</strong>gwörter. Und<br />

dazu gehört vieles, Naheliegendes und Triviales, Überraschendes<br />

und Ungewohntes. Zum Beispiel zuhören lernen,<br />

zum Beispiel Informationen zu adressieren (und<br />

nicht nur in die Runde zu werfen), zum Beispiel nachzufragen,<br />

wenn man im Zweifel ist, ob man verstanden<br />

hat. Dazu gehört, komplexe Sachverhalte zu visualisieren,<br />

ein Logbuch zu führen und in Besprechungen ein<br />

gemeinsames Situationsbild zu erzeugen, zu dem jeder<br />

seinen Beitrag leistet. Dazu gehört das Bewusstmachen<br />

von impliziten strategischen Präferenzen wie Vorsicht<br />

und Kühnheit. Dazu gehört, die eigene Rolle im Team zu<br />

reflektieren und die anderen über die Interpretation in<br />

Kenntnis zu se<strong>tz</strong>en. Dazu gehört Sensibilität für Zwischentöne<br />

und den psychischen und physischen Zustand<br />

der anderen. Dazu gehört vor allem, die impliziten Vorstellungen<br />

von Führung und Zusammenarbeit transparent<br />

zu machen und untereinander abzustimmen. Die<br />

Rolle des Kapitäns der MS ANTWERPEN ist ein schönes<br />

Beispiel. Da gibt es <strong>la</strong>ute Kapitäne und stille, solche mit<br />

Feldherrngestus, die sich nur mit dem großen Ganzen<br />

beschäftigen, und solche, die ihr Glück im operativen<br />

Detail finden, solche, die das Hierarchiegefälle betonen,<br />

und solche, die sich als Primi inter Pares sehen. Es gibt<br />

keine Regel, was funktioniert und was nicht. Aber die<br />

Reflexion und Diskussion von Rolleninterpretationen auf<br />

der Metaebene verringert die Wahrscheinlichkeit des<br />

Scheiterns spürbar.<br />

Die reflexiven Schritte erfordern natürlich umfangreiche<br />

Nachbesprechungen und sollten durch übende<br />

Wiederholungen ergänzt werden. Aber das Schiff – das<br />

Narrenschiff – erweist sich als wunderbar tragfähiger<br />

Topos, in den sich solche Diskussionen einkleiden <strong>la</strong>ssen.<br />

Das gilt übrigens nicht nur für Männer, der Mythos<br />

»Schiff« scheint über Frauen eine ganz ähnliche Wirk-<br />

macht auszuüben. Wenn ich sehe, wie sich auch ge-<br />

standene Wirtschaftskapitäne (sic!) vom Sog des Spieles<br />

ansaugen <strong>la</strong>ssen, wie sie die Spie<strong>la</strong>n<strong>la</strong>ge mit Bildern in<br />

ihrem Kopf verknüpfen und nach 30 Minuten mit roten<br />

Ohren und glühenden Wangen Windrichtungen, Kurse,<br />

Schlingerdämpfungssystemwartungspläne und den Alkoho<strong>la</strong>usschank<br />

für die Passagiere zu koordinieren versuchen,<br />

dann merke ich, dass nicht nur ich wieder sehr<br />

nah an den Heldenträumen meiner Jugend bin. ¶<br />

Zur See! 67 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Milton J. Bennett, Dr., was a faculty member at Port<strong>la</strong>nd State University in Oregon, USA, where he created its<br />

graduate program in intercultural communication. He co-founded the Intercultural Communication Institute,<br />

the premier professional development program for interculturalists in the world, and he now consults worldwide<br />

with corporate executives and university professors on topics of intercultural diversity and competence.<br />

Gerhard P. Krejci. After having worked for many years in international organisations, Gerhard has been working<br />

as a consultant, trainer, and coach in various European countries (mainly CEE). He has consulted on various<br />

team development processes and delivered workshops on leadership, team development and project management.<br />

He holds a university degree in International Business Administration from the University of Vienna.<br />

Interview with Milton J. Bennett<br />

Working with Culture: From Observation to Competence<br />

An interview with Milton J. Bennett at the SIETAR World Congress<br />

in Granada/Spain, October 21, 2008<br />

What is Culture?<br />

Gerhard P. Krejci: I would like to start with a general ques-<br />

tion about culture. In various books authors have identified<br />

more than 100 different ways to use the term culture. 1 Is it<br />

possible to define culture?<br />

Milton J. Bennett: Well, you can define anything, so of<br />

course you can define culture. My feeling about culture as<br />

a topic, however, is that in general it refers to patterns of<br />

group behavior. It is meant to indicate a different level of<br />

analysis from an individual level, where we speak of one<br />

another in terms of personality. Culture allows us to speak<br />

of one another in terms of the ways in which we manifest<br />

group habits.<br />

What exactly the group patterns are, is where those 100<br />

definitions come from. Are they patterns of beliefs, behaviors,<br />

and values, or are they patterns of ways of being, or<br />

are they some other specific sets of characteristics? There<br />

are many ways people have tried to define the ingredients<br />

of these patterns. But most generally, »culture« refers to<br />

the group level of analysis and the patterns of behavior of<br />

human beings maintained through interaction within the<br />

group.<br />

Objective and Subjective Culture<br />

What is your opinion of definitions that focus on artefacts,<br />

values, basic assumptions, norms, etc.?<br />

Once you define culture as a group level of analysis, you<br />

can deal with constituents of that analysis in more or less<br />

reified ways. What I mean by »reified« is the turning of an<br />

observational category into a »thing.« For instance, we<br />

might understand the cultural dimension of a difficulty in<br />

communication between Germans and U.S. Americans as<br />

re<strong>la</strong>ted to a value difference between egalita<strong>ria</strong>nism and<br />

hierarchy. When we treat the value difference as an observational<br />

category that allows us to understand a difference<br />

for some reason, it is less reified. The more we think that<br />

our observational categories have some kind of ongoing<br />

existence – for instance, that there really is such a thing as<br />

egalita<strong>ria</strong>nism in the world – the more we have reified the<br />

observation.<br />

Institutions such as political and economic structures, architecture,<br />

literature, and all those things that are typically<br />

described by history can be seen as products of culture;<br />

Milton J. Bennett im Interview 68 Revue für postheroisches Management / Heft 5


that is, as products of groups of people who are cooperating<br />

in various ways to generate those things. The more<br />

you consider culture in terms of artefacts, the more you<br />

reify the concept of culture. By the way, Berger and Luckmann2<br />

called these products or artefacts of a culture »Objective<br />

Culture.«<br />

But we can also point to the patterns themselves. These<br />

are the ways in which people cooperate with one another<br />

to generate certain kinds of behavior. You and I, for instance,<br />

are cooperating right now in having a conversation<br />

in which there are some rules about who listens, who<br />

talks, how we make eye contact with one another, what<br />

kind of reinforcements – as you are nodding your head<br />

right now – you are giving me for continuing in this way.<br />

All of these things are agreements that we have (or that<br />

we are creating) about how to have a conversation. The<br />

conversation itself is the product of this, but the way in<br />

which we are engaged in this conversation is the pattern<br />

of behavior. According to Berger and Luckmann, this<br />

would be »Subjective Culture« – the kind of culture that we<br />

carry around with us, or the worldview that guides our<br />

group-re<strong>la</strong>ted experience of the world.<br />

In all cases, however, we should remember that culture is<br />

a way of observing something. Culture is really not a thing<br />

so much as it is an observational strategy. When we apply<br />

that strategy to observing human behavior, it generates<br />

patterns of group behavior that we call »culture.« But the<br />

group patterns that we describe are themselves products<br />

of our observational strategy. One of the confusions about<br />

culture, I think, is allowing the idea of culture to become<br />

so reified that we begin to treat culture as if it has an actual<br />

existence, as opposed to a way in which we are looking<br />

at some aspect of human behavior.<br />

Intercultural Training<br />

As a conclusion of these ideas for training and education,<br />

it would make sense to focus on both sides: the objective<br />

and the subjective side of culture.<br />

Depending on what your goal is. If the goal is knowledge<br />

of the products of one group versus another, then you<br />

would like to focus on objective culture. If the goal is to<br />

become more competent in communicating in another<br />

culture, the focus should be on the subjective culture.<br />

Knowing about the objective culture does not generate<br />

much skill in communicating in the other culture.<br />

How could individuals like managers, team members, consultants,<br />

students, and so on, be prepared for cultural communication<br />

and thus become culturally more competent?<br />

That is a very <strong>la</strong>rge subject. In general, we become more<br />

competent in dealing with other cultures because we are<br />

able to see the world more in their cultural way – that is,<br />

that we have access to worldviews other than our own.<br />

Then we can allow our behavior to be channelled in ways<br />

that are more approp<strong>ria</strong>te to the other culture. How we<br />

come to having such access is of course the basis of training<br />

strategies, educational approaches, and other aspects<br />

of developing intercultural competence.<br />

Our educational systems have <strong>la</strong>rgely been oriented<br />

towards objective culture. In general, people tend to think<br />

that if you have knowledge of something you therefore<br />

have competence in that thing. You can think of lots of<br />

situations where that is really not true. For instance, one<br />

can have knowledge of the human body and not be skilled<br />

in performing surgery. Simi<strong>la</strong>rly, having knowledge of different<br />

institutions – economic, political, social, artistic –<br />

does not necessarily lead to access to the other worldview<br />

and the potential for exercising intercultural competence.<br />

While skills usually demand knowledge, it is not equally<br />

the case that knowledge generates skill.<br />

As we are thinking about preparing people to work crossculturally,<br />

it is rather important that preparation should<br />

begin at the subjective cultural level and then include<br />

some objective culture as approp<strong>ria</strong>te to illustrate the subjective<br />

cultural process.<br />

Knowledge is also knowledge about yourself. However, it<br />

does not seem very helpful to me if you, for example, do a<br />

self-assessment which delivers results like »I am low in<br />

power distance and highly individualistic.«<br />

I disagree. On the contrary, I think that it is helpful to have<br />

an awareness of how you yourself could be described culturally.<br />

Whether it is in terms of Hofstede3 categories or in<br />

some of the many other ways of describing cultural differences,<br />

I think it is a necessary part of this process to understand<br />

how you yourself could be described in cultural<br />

1 Kluckhohn Clyde & Strodtbeck Frank F. (1966): Va<strong>ria</strong>tions in<br />

value orientations. Evanston, Ill.: Row, Peterson.<br />

2 Berger Peter L. / Luckmann Thomas (1966): The Social Construction<br />

of Reality. New York: Doubleday.<br />

3 Hofstede Geert / Hofstede Gert Jan, (2005): Cultures and Organizations:<br />

Software of the mind. Intercultural Cooperation and<br />

Its Importance for Survival. New York [et al.]: McGraw-Hill.<br />

Milton J. Bennett im Interview 69 Revue für postheroisches Management / Heft 5


terms. If we don’t understand our own cultural context,<br />

then it is difficult to see how others might be different<br />

from that. It is important for us to have »cultural self-<br />

awareness« as well as awareness of other cultures. Of<br />

course one needs to avoid the trap of reification again, lest<br />

the descriptions of your own cultural identity be taken as<br />

more than a product of some observational strategy.<br />

Important though it is, cultural self-awareness in itself is<br />

insufficient to generate the skills in gaining access to an<br />

alternative cultural perspective. It is a necessary but not<br />

sufficient condition for intercultural competence.<br />

Intercultural Teams<br />

Especially today, we work more and more in international<br />

teams with different compositions and high diversity.<br />

Most of such teams are composed of individuals with dif-<br />

ferent backgrounds. I would like to ask your opinion on how<br />

such a cultural diverse team could be prepared for good<br />

cooperation.<br />

That gives a kind of concrete context for the next part of<br />

the process of becoming interculturally competent.<br />

People on teams have long been guided into describing their<br />

personal differences in terms such as the MBTI (Myers/<br />

Briggs Type Indicator) categories of »INFJ« or »ENTP.« These<br />

and other individual-level systems such as Kolb’s Learning<br />

Styles are useful for people to understand how their personal<br />

differences affect team performance for worse or for<br />

better. But in addition to knowing individually who we are,<br />

we need to understand how we are also manifestations or<br />

representatives of groups that we have been socialized<br />

into. People on culturally diverse teams need to be able to<br />

describe themselves and others in cultural terms. They<br />

need to have cultural self-awareness and also other culture<br />

awareness.<br />

Still, having the knowledge that other cultures are differ-<br />

ent does not necessarily allow us to analyze how those dif-<br />

ferences will affect our communication or our work on a<br />

team. We need to be able to see how cultural differences<br />

can lead to misunderstanding – how your worldview rules<br />

for coordinating events may be different from my rules,<br />

leading to a reduction or even a cessation in cooperative<br />

behavior.<br />

Once we understand how predictable misunderstandings<br />

occur in those situations, the next step is to p<strong>la</strong>n the actions<br />

we can mutually take to address those misunderstandings.<br />

Is it sufficient to simply say, »Well, we have<br />

......<br />

»Virtual Third Culture« … is a unique<br />

culture that is specific to the<br />

group or to particu<strong>la</strong>r individuals<br />

interacting within that group<br />

these cultural differences.«? Or is there some additional<br />

activity that we must engage in? I believe that there is.<br />

This additional activity is learning how to take the other<br />

cultural perspective. We are then able to discover how<br />

other team members are observing and experiencing in<br />

their cultural terms the same events that we are observing<br />

and experiencing in our cultural terms.<br />

By having access to that information we are then finally<br />

able to pose questions and make statements that make<br />

sense in their context. And they are able to do the same in<br />

our context. When that process occurs mutually it generates<br />

a kind of third culture position. I call it »Virtual Third<br />

Culture« – the interactional space that is created when culturally<br />

self-aware people intentionally attempt to coordinate<br />

their multicultural behavior. The result is not the<br />

imposition of any one of the diverse cultures of the team.<br />

Rather, it is a unique culture that is specific to the group<br />

or to particu<strong>la</strong>r individuals interacting within that group.<br />

And if the group is not interacting that space goes away.<br />

It is a virtual third culture – it does not maintain itself<br />

outside the context of its ongoing creation. In virtual third<br />

culture, people are able to shift their perspective rather<br />

easily and thus generate a very productive work situation.<br />

That space is only created when the previous conditions<br />

that we have discussed are satisfied. Meaning that:<br />

a. I have some idea about my own culture in subjective<br />

terms and<br />

b. how that might be different to others in those<br />

terms;<br />

c. I am able to analyze our cultural interaction and predict<br />

misunderstandings, and<br />

d. I have some idea about how to take your perspective<br />

or to empathize with you in a way that allows us<br />

mutually to generate the interactional space of virtual<br />

third culture.<br />

So that is a long answer to your question »How would you<br />

prepare a team?« You would prepare a team by systemat-<br />

Milton J. Bennett im Interview 70 Revue für postheroisches Management / Heft 5


ically moving through these different steps of preparation.<br />

This takes some time, of course. It does not happen in an<br />

hour. If organizations would like to have value from diverse<br />

teams, they need to invest some time for getting that value.<br />

Our experience indicates that when that investment is<br />

made, there is a vivid payoff. It is a good cost-benefit situation.<br />

Development of Intercultural Sensitivity<br />

At this point we should talk about the individuals’ development.<br />

I found your Developmental Model of Intercultural<br />

Sensitivity 4 (the DMIS) interesting.<br />

By sensitivity I mean the ability to make discriminations,<br />

to see differences. So it is sensitivity in the more general,<br />

physiological sense of being sensitive to warmth, or being<br />

sensitive to a taste; and not sensitivity in the sense of emotional<br />

sensitivity. And it was one of my observations that<br />

people who are able to make these discriminations about<br />

cultural differences appear to be better at doing the kind<br />

of intercultural communication that we were discussing.<br />

My idea is that sensitivity is the deeper condition that allows<br />

for competence to be exercised. And so the develop-<br />

mental model is a way of describing how people move<br />

along a continuum as they develop more sophistication in<br />

being able to experience cultural differences, and thus,<br />

more potential to exercise intercultural competence.<br />

Another impetus for creating the model was to guide the<br />

educational efforts. Prior to the DMIS, much training and<br />

education was being done in a kind of haphazard way –<br />

a potpourri of exercises, activities, and topics. But nobody<br />

had a very good idea why you should do one thing before<br />

or after another. What the DMIS does is to suggest that<br />

some activities are less threatening and more useful for<br />

bringing about initial discriminations in culture. And then,<br />

as people become better at making basic discriminations,<br />

there are other activities and topics that allow them to ex-<br />

perience those discriminations in more sophisticated ways.<br />

Training activities need to be lined up in a kind of developmental<br />

sequence. If you try to do a too advanced activity<br />

too soon it is either wasted or actually may antagonize or<br />

cause people to leave the educational situation. But if you<br />

do too simple things, too often nobody gets much better at<br />

it, or they get bored and frustrated. So it is the matching<br />

of approp<strong>ria</strong>te support and challenge to the development<br />

of this cultural sensitivity that can guide a trainer or educator<br />

in generating the best possible program.<br />

That sounds to me as if it supports a tailored approach to<br />

training and coaching.<br />

Sure. Because every group is different, we have to do some<br />

needs analysis. I do it through interviewing or observation<br />

or through the use of the »Intercultural Development Inventory«<br />

5 instrument. And in one or a combination of<br />

these ways we can target the issues that the particu<strong>la</strong>r<br />

group is dealing with, and address those issues more<br />

directly. And that allows us to leverage training for the<br />

highest benefit.<br />

Requirements for Consultants and Trainers<br />

What should consultants and trainers take into account<br />

when they want to be prepared for working internationally<br />

or with mixed cultures?<br />

In DMIS terms, I suggest that trainers and educators themselves<br />

be able to operate in the more ethnore<strong>la</strong>tive levels<br />

of the model, which means that they are able to accept<br />

and adapt to cultural differences. They should be able to<br />

recognize cultural differences, to analyze cultural interac-<br />

tion, and to take the perspective to some extent of other<br />

cultures.<br />

In other words, consultants and trainers should have moved<br />

rather substantially beyond non-prejudicial re<strong>la</strong>tionships,<br />

where the idea is »We are all basically the same« and »We<br />

just need to create tolerance.« Minimization is not a very<br />

good p<strong>la</strong>ce from which to facilitate other people’s development.<br />

While we all need to address our prejudices, consultants<br />

and trainers also need to generate greater skills and<br />

competence in dealing with cultural differences.<br />

So that means it becomes paramount for them to focus on<br />

differences as well as on simi<strong>la</strong>rities.<br />

The way it usually works is that the recognition of simi<strong>la</strong>rity<br />

amongst human beings reduces the threat of differences<br />

initially. We can see each other as being just human<br />

beings and thus reduce some prejudice. But then we need<br />

to bring back the idea of cultural differences, so as to be<br />

able to deal with diverse situations. If we feel that the only<br />

4 Landis Dan / Bennett Janet M. / Bennett Milton J. (2004):<br />

Handbook of Intercultural Training, Thousand Oaks, Calif.<br />

[u.a.]: Sage Publications.<br />

5 Hammer, Mitchell R. / Bennett, Milton J. / Wiseman, Richard<br />

(2003): »The Intercultural Development Inventory: A measure<br />

of Intercultural Sensitivity« in International Journal of Intercultural<br />

Re<strong>la</strong>tions, vol. 27, pp. 421-443.<br />

Resources and references for the Intercultural Development<br />

Inventory (IDI): www.idiinventory.com/<br />

Milton J. Bennett im Interview 71 Revue für postheroisches Management / Heft 5


necessary thing to do is to be tolerant with one another,<br />

we get no value from the diversity.<br />

Most organizations are interested not just in reducing the<br />

problem of diversity but in increasing the value of diversity.<br />

To do so, the trainer him- or herself needs to be operating<br />

with substantial amounts of acceptance and adaptation.<br />

Thank you very much for your time.<br />

Background ............<br />

The Developmental Model of Intercultural Sensitivity<br />

The Developmental Model of Intercultural Sensitivity<br />

(DMIS) was created by Dr. Milton J. Bennett 6 as a framework<br />

to exp<strong>la</strong>in the reactions of people to cultural difference.<br />

He observed that individuals confronted cultural difference<br />

in some predictable ways as they learned to become more<br />

competent intercultural communicators. Using concepts<br />

from cognitive psychology and constructivism, he organized<br />

these observations into six stages of increasing sensitivity<br />

to cultural difference.<br />

The underlying assumption of the model is that as one’s<br />

experience of cultural difference becomes more complex<br />

and sophisticated, one’s competence in intercultural re<strong>la</strong>tions<br />

increases. The model is divided into two phases and<br />

six stages, or positions along a continuum. Each stage indicates<br />

a particu<strong>la</strong>r cognitive structure that allows cultural<br />

difference to be experienced and intercultural behavior<br />

to be enacted in particu<strong>la</strong>r ways. By recognizing the underlying<br />

experience of cultural difference, predictions about<br />

behavior and attitudes can be made and education can be<br />

tailored to facilitate development towards the next stage.<br />

Development occurs as the »primary orientation to cultural<br />

difference« moves along the continuum from ethnocentrism<br />

to ethnore<strong>la</strong>tivism, never entirely erasing all ethno-<br />

centrism but increasingly organizing intercultural experience<br />

in ethnore<strong>la</strong>tive ways.<br />

Ethnocentrism<br />

Ethnore<strong>la</strong>tivism<br />

Denial Defense Minimization Acceptance Adaptation Integration<br />

The first three DMIS stages are Ethnocentric, meaning<br />

that one’s own culture is experienced as central to reality<br />

in some way:<br />

Denial of cultural difference: one’s own culture is experienced<br />

as the only real one. Other cultures are avoided by<br />

maintaining iso<strong>la</strong>tion from differences.<br />

Defense against cultural difference: one’s own culture (or<br />

an adopted culture) is experienced as the only good one.<br />

The world is organized into »us and them,« where »we« are<br />

superior and »they« are inferior. In Reversal of Defense,<br />

»they« are superior such that one’s own culture is demonized<br />

and other cultures romanticized.<br />

Minimization of cultural difference: elements of one’s own<br />

cultural worldview are experienced as universal. Because<br />

these absolutes obscure deep cultural differences, one’s<br />

own unique cultural experience (including cultural privilege)<br />

and the uniqueness of other cultures may be trivialized.<br />

The second three DMIS stages are Ethnore<strong>la</strong>tive, meaning<br />

that one’s own culture is experienced more in the context<br />

of other cultures.<br />

Acceptance of cultural difference: one’s own culture is<br />

experienced as just one of a number of equally complex<br />

worldviews. Acceptance does not mean agreement – cultural<br />

difference may be judged negatively – but the judgment<br />

is not ethnocentric.<br />

Adaptation to cultural difference: the experience of another<br />

culture yields perception and behavior approp<strong>ria</strong>te<br />

to that culture. One’s worldview is expanded to include<br />

constructs from other worldviews.<br />

Integration of cultural difference: one’s experience of self is<br />

expanded to include the movement in and out of different<br />

cultural worldviews. ¶<br />

6 Bennett, Milton J. (1986). »A developmental approach to training<br />

for intercultural sensitivity« in International Journal of Intercultural<br />

Re<strong>la</strong>tions, vol. 10 (2), pp 179-95.<br />

Bennett, Milton J. (1993). »Towards ethnore<strong>la</strong>tivism: A developmental<br />

model of intercultural sensitivity« in Paige, Michael<br />

(Ed.), Education for the intercultural experience. Yarmouth, ME:<br />

Intercultural Press.<br />

Bennett, Milton J. (2004). »Becoming interculturally competent«<br />

in J. S. Wurzel (Ed.) »Toward multiculturalism: A reader in multicultural<br />

education«. Newton, MA: Intercultural Resource Corporation.<br />

Resources and references for DMIS at www.idrinstitute.org<br />

Resources and references for the Intercultural Development<br />

Inventory (IDI): www.idiinventory.com<br />

Milton J. Bennett im Interview 73 Revue für postheroisches Management / Heft 5


C<strong>la</strong>udia Auer-Welsbach, 1979 in Österreich geboren und dort aufgewachsen. Nach kürzeren Aus<strong>la</strong>ndsaufenthalten im<br />

Rahmen des Studiums der Psychologie mit Schwerpunkt Gruppendynamik seit Frühjahr le<strong>tz</strong>ten Jahres interne<br />

Prozessberaterin bei ZF Friedrichshafen AG am Bodensee.<br />

Matthias Lang, Psychologe und Aus<strong>la</strong>ndsösterreicher, berät intern bei ZF Friedrichshafen AG Führungskräfte und internationale<br />

Management-Teams. Außerdem arbeitet er zu organisationaler Evolution sowie zu Spezifika der internen Beratung.<br />

Ka<strong>trin</strong> Wulf arbeitet als Trainerin und Beraterin mit internationalen Teams und unterstü<strong>tz</strong>t sie in ihrer Entwicklung.<br />

Für ihre Dissertation untersucht sie die Herausforderungen der HR Politik in transnationalen Unternehmen.<br />

Margit Gietler ist Psychologin und verbindet ihre fachliche Ausrichtung mit digitalem Grafikdesign und Fotografie.<br />

Zu ihren Arbeiten zählt die Erstellung von Fachgrafiken und Illustrationen ebenso wie die Beratung und visuelle<br />

Umse<strong>tz</strong>ung im Bereich des Corporate Branding.<br />

C<strong>la</strong>udia Auer-Welsbach, Matthias Lang, Ka<strong>trin</strong> Wulf,<br />

Margit Gietler International + Management + Team<br />

= Internationales Managementteam?<br />

Folgende Seiten geben Einblick in die Ergebnisse eines Forschungs-<br />

projektes zum Thema »internationale Managementteams«, das<br />

wir im Rahmen einer Weiterbildung der Österreichischen Gesell-<br />

schaft für Gruppendynamik und Organisationsberatung (ÖGGO)<br />

kürzlich durchgeführt haben. Dabei fließen unsere eigenen beruf-<br />

lichen Erfahrungen sowie Erkenntnisse und wörtliche Zitate aus<br />

12 Gesprächen mit internen und externen Beratern und betroffenen<br />

Managern ein.<br />

Die Initiative von Unternehmen zur Internationalisierung<br />

zielt in den meisten Fällen darauf ab, Zugriffe auf<br />

neue Absa<strong>tz</strong>märkte, neue Einkaufsmöglichkeiten und zu-<br />

sä<strong>tz</strong>liche Humanressourcen zu ermöglichen. Dass man<br />

sich mit dem Schritt in die Internationalisierung gänzlich<br />

neuen Herausforderungen zu stellen hat, ist nicht<br />

jedem Unternehmen von Anfang an k<strong>la</strong>r.<br />

»Das Unternehmen war gut darin, Neues zu kaufen,<br />

aber nicht gut darin, die Themen zu integrieren im<br />

globalen Management. Das Produkt ist eine Sache, aber<br />

ein Unternehmen global zu managen ist eine andere.«<br />

Im Zuge der Grenzüberschreitungen werden Organisationsmodelle1<br />

weiterentwickelt, um internationales Geschäft<br />

organisieren zu können. Dabei spielt das jeweilige<br />

Geschäftsmodell eine entscheidende Rolle2 : Sollen die<br />

Regionen mit großer Autonomie entscheiden können,<br />

geben Geschäftsfelder weltweit den Ton an? Oder zielt<br />

die Strategie darauf ab, ein vielfach verne<strong>tz</strong>tes Unterneh-<br />

men zu werden, welches Geschäftsprozesse kreuz und<br />

quer über Länder und Kulturkreise organisieren kann<br />

und so einen Mehrwert erzeugt?<br />

»Die Frage ist immer: Was ist die Kernidentität des<br />

Unternehmens und wie sind die Eigentümerver-<br />

hältnisse? Wenn der Eigentümer ein ›lokaler‹ Eigentümer<br />

ist, wird er auch stärker dafür sorgen, dass im<br />

Kernbereich diese lokale Identität gewahrt wird. Ist<br />

der Eigentümer international, ist es ihm entweder<br />

egal, oder es ist Vorausse<strong>tz</strong>ung, dass die jeweiligen<br />

Manager sich auf internationalen Parkett bewegen<br />

können.«<br />

Für die verantwortlichen Manager scheint es keine<br />

brauchbaren Kochrezepte zu geben, wie sie die anstehenden<br />

Entwicklungsherausforderungen mit der bisherigen<br />

Organisation in Eink<strong>la</strong>ng bekommen. Maßanfertigung<br />

und Kreativität sind gefragt, um im jeweiligen inter-<br />

nationalen Geschäft erfolgreich zu sein. Bei der Steue-<br />

rung dieses Entwicklungsprozesses sind Entscheidungs-<br />

Internationales Managementteam? 74 Revue für postheroisches Management / Heft 5


gremien – internationale Managementteams – besonders<br />

gefordert.<br />

»Management« – ein international gängiger Begriff – ist<br />

in vielen Kulturen an unterschiedliche Bedeutungsinhalte<br />

geknüpft. Während im deutschen Sprachgebrauch<br />

mit der Bezeichnung »Manager« Führungsverantwortung<br />

einhergeht, werden beispielsweise im englischen<br />

oder russischen Sprachraum auch Funktionen ohne Füh-<br />

rungsverantwortung so benannt:<br />

»In Russ<strong>la</strong>nd ist jeder Manager, der eine kleine Ver-<br />

antwortung übernimmt, wie der ›Manager für das<br />

Kehren des Hausflures‹. Manager in unserem Sinne<br />

heißen dort ›Direktor‹. Insofern ist der Begriff dort<br />

abgenu<strong>tz</strong>t.«<br />

Über die Bezeichnung »Team« lässt sich aus unserer<br />

(gruppendynamischen) Sicht in manchen beobachteten<br />

Fällen (hinsichtlich Größe, Kommunikationsstrukturen<br />

etc.) streiten, dennoch sprechen wir von einem internationalen<br />

Managementteam (im Folgenden: iMT), wenn<br />

folgende fünf Aspekte gegeben sind: (1.) Ein Gremium<br />

von Menschen, (2.) das international (mit Vertretern aus<br />

unterschiedlichen Standorten, muss nicht zwingend interkulturell<br />

sein) zusammengese<strong>tz</strong>t ist und (3.) gemein-<br />

sam Verantwortung für (4.) internationale Geschäftsprozesse<br />

wahrnimmt und (5.) somit Entscheidungen für<br />

Aktivitäten und Mitarbeiter in mehreren Ländern trifft.<br />

Die komplexen Bedingungen, unter denen ein iMT in<br />

Aushandlungsprozesse treten muss, erschwert das Her-<br />

stellen einer notwendigen Vertrauensbasis zwischen den<br />

Teammitgliedern bzw. dem Team und der Organisation.<br />

Die aus unserer Sicht wesentlichsten, speziell für iMTs<br />

erschwerenden Faktoren in der Zusammenarbeit sollen<br />

nun kurz dargestellt werden.<br />

Karriereknick vs. Karrieresprung<br />

Bereits die personellen Zugangsvorsausse<strong>tz</strong>ungen zu internationalen<br />

Teams sind meist andere als zu nationalen.<br />

Auf Seiten des Unternehmens wird eine solche Ent-<br />

scheidung häufig – analog zu Projekt-Teams – nach der<br />

Verfügbarkeit von Personen/Funktionen getroffen. Selten<br />

spielen dabei individuelle Erfahrungshintergründe<br />

zu interkulturellen/internationalen Fragestellungen<br />

oder soziale Kompetenzen eine Rolle. Auch fehlt es den<br />

Expats oft an Vorbereitungszeit oder sogar Basiswissen<br />

zu den Bedingungen, auf die sie sich ein<strong>la</strong>ssen werden.<br />

Auf Seiten der Betroffenen begünstigen häufig monetäre<br />

Anreize die Entscheidung für eine Entsendung ins<br />

Aus<strong>la</strong>nd, ein garantierter Karrieresprung ist sie jedoch<br />

nur noch in wenigen Fällen. Wir treffen jedoch auch auf<br />

folgende Motivation für die Mitgliedschaft in einem iMT:<br />

»Jeder erzählt in der Kaffeepause von seiner Heimat,<br />

und es ist phänomenal, was ich aus der Welt gelernt<br />

habe. Meine Kollegen haben die Kultur und Politik<br />

ihres Landes auf ihren Gesichtern hierher gebracht.«<br />

Tür an Tür vs. Jet<strong>la</strong>g<br />

Die geografische Nähe von Teammitgliedern bestimmt<br />

die Möglichkeiten und das Ausmaß an Face-to-face-Kommunikation<br />

und somit die Entwicklung und Pflege einer<br />

gemeinsamen Teamkultur.<br />

Ist das Team über verschiedene Standorte verstreut,<br />

können Missverständnisse nicht nach der Methode »Ich<br />

stehe so <strong>la</strong>nge vor deinem Schreibtisch, bis du Zeit hast«<br />

ausgeräumt oder Beziehungen beim Kaffeep<strong>la</strong>usch ge-<br />

pflegt werden. Hier muss man für direkten Kontakt meist<br />

höhere Reisekosten, längere Flugzeiten und – nicht zule<strong>tz</strong>t<br />

aktuell aufgrund der Sparmaßnahmen – verkürzte<br />

Aufenthaltszeiten und durch Jet<strong>la</strong>g ermüdete Meetingteilnehmer<br />

in Kauf nehmen.<br />

Doppe<strong>la</strong>gent vs. Brückensch<strong>la</strong>g<br />

Im Binnenverhältnis eines Standortes sowie für die Beziehung<br />

zwischen Tochter- und Mutterhaus hat vor allem<br />

die Nationalität des entsendeten Managers hohen Symbolcharakter.<br />

Ein deutscher Expat aus dem Headquarter<br />

in einer gehobenen Position am südamerikanischen<br />

Standort symbolisiere unter Umständen, dass die Aufstiegsmöglichkeiten<br />

als Südamerikaner in diesem Unternehmen<br />

begrenzt sind. Zudem fühlen sich die im Tochterunternehmen<br />

Beschäftigten möglicherweise in ihrer<br />

Annahme bestätigt, vom Mutterhaus ausspioniert zu<br />

werden. Umgekehrt steht der Expat unter besonderer<br />

Beobachtung der Lokalen, vor allem wenn es um seine<br />

Bewegungen im ihm fremden Kulturkreis geht.<br />

»Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Annahmen getroffen<br />

werden, ist bei internationalen, kulturüber-<br />

1 Bartlett, C. A. & Ghoshal, S. (2002). Managing across borders:<br />

The transnational solution. Harvard<br />

2 Adler, N. J. (2008). International Dimensions of Organizational<br />

Behavior. o. O.<br />

Internationales Managementteam? 75 Revue für postheroisches Management / Heft 5


greifenden Thematiken wesentlich größer, weil man<br />

auf solche Dinge schaut wie: Isst er unsere Speisen,<br />

ist er mit der Kultur des Landes vertraut, ist er überhaupt<br />

interessiert an dem, was wir hier tut?«<br />

Komplexe Aushandlungsprozesse unter erschwerten Bedingungen<br />

bieten reichlich Nährboden für Phänomene<br />

kultureller Stereotypisierung.<br />

Zwischen Stereotypen und dritter Kultur<br />

In iMTs kommen unterschiedlichste Kulturen zusam-<br />

men, nicht nur nationale, sondern auch funktionale oder<br />

branchenspezifische Hintergründe. Somit treffen unterschiedlichste<br />

Führungsstile, Erwartungen und Ansprüche<br />

auf die Einflussnahme im Team aufeinander. Häufig<br />

anzutreffendes Konkurrenzdenken und das Fehlen von<br />

gemeinsamen Sozialisationserfahrungen – etwa durch<br />

dasselbe Bildungssystem – erschweren die Thematisierung<br />

von Unterschieden. Deutlich werden die kulturellen<br />

Unterschiede zu Beginn der Zusammenarbeit zumeist an<br />

äußeren Faktoren:<br />

»Für die Amerikaner war es überhaupt nicht vorstell-<br />

bar, warum die Kündigung einer Person in einem Job<br />

mindestens ein Jahr dauert. Und das Bild war, dass<br />

wir Deutschen nicht wirklich willens sind, uns zu<br />

verändern.«<br />

IMTs befinden sich im Umgang mit kulturellen Unterschieden<br />

im Spannungsfeld zwischen dem Festhalten an<br />

Stereotypen und der Entwicklung einer dritten Kultur.<br />

Fehlende Sensibilität, führt zu Ressourcenverlust, wie im<br />

Beispiel eines Managers:<br />

»Mein Chef ist jemand, der bril<strong>la</strong>nt präsentieren<br />

kann, durchaus typisch für jemanden, der in Ame-<br />

rika groß geworden ist. Doch die Deutschen haben<br />

dann manchmal das Gefühl, je<strong>tz</strong>t lehnt er sich ein<br />

bisschen zu weit aus dem Fenster, und steuern alleine<br />

deswegen entgegen.«<br />

Die Herausforderung solcher Teams besteht darin, ein<br />

Modell der Zusammenarbeit zu entwickeln, in dem die<br />

unterschiedlichen kulturellen Faktoren berücksichtigt<br />

werden und somit eine eigene Kultur im Team aufgebaut<br />

wird, die dann in das Unternehmen hineingetragen<br />

werden kann.<br />

Sprache – Hindernis und Wegbereiter in iMTs<br />

Überraschenderweise ist für viele solcher Gremien die<br />

Sprache nach wie vor ein großes Hindernis:<br />

»Sprache ist ein Riesenthema, weil Nuancen nicht<br />

verstanden werden, weil zum Teil Sachen nicht kommuniziert<br />

werden können, einfach weil die sprachliche<br />

Fähigkeit fehlt …«<br />

Deutsche Manager neigen gerne dazu, wörtlich vom<br />

Deutschen ins Englische zu überse<strong>tz</strong>ten, und <strong>la</strong>ufen dabei<br />

Gefahr, ihre z. B. englischen Teamkollegen vor den<br />

Kopf zu stoßen, wenn es heißt: »Send me this document<br />

by tomorrow«, anstelle von: »Would you be so kind to<br />

send me this document by tomorrow?«.<br />

Englisch als Konzernsprache ermöglicht und verhin-<br />

dert zugleich Kommunikation. Gedacht als Zeichen der<br />

Öffnung zur Welt hin, ist sie schnell der größte Stolperstein,<br />

insbesondere wenn im Team sowohl Mutter-<br />

sprachler als auch Nicht-Muttersprachler vertreten sind,<br />

wie es Manager in einem deutschen Konzern feststellen<br />

mussten:<br />

»Wenn man als Deutscher in einer deutschen Stadt in<br />

der Hauptverwaltung eines deutschen Konzerns tätig<br />

ist und man selbst gegenüber einem gerade eben<br />

aus Amerika Zugereisten, der womöglich noch unter<br />

einem steht, jedes Mal verliert, dann ist das schon gewöhnungsbedürftig.<br />

Man ist sozusagen im eigenen<br />

Land benachteiligt, weil man sich entschieden hat,<br />

die Lingua franca zur Konzernsprache zu machen,<br />

und man nimmt plö<strong>tz</strong>lich wahr, da gibt es Leute, die<br />

dominieren einen, einfach aufgrund ihrer Herkunft.«<br />

Es <strong>la</strong>ssen sich jedoch Unterschiede je nach Unternehmen<br />

beobachten, was die Verbreitung und die Akzeptanz von<br />

Englisch als Arbeitssprache betrifft. National geprägte<br />

Unternehmen stehen hier großen, längst internationa-<br />

lisierten Konzernen oftmals nach. Es zeichnet sich je-<br />

doch ab, dass die nachkommende jüngere Managementgeneration,<br />

aufgrund ihrer internationalen Ausbildung,<br />

deutlich weniger Probleme haben wird.<br />

Virtualität<br />

Aufgrund der geografischen Entfernung verständigen<br />

sich sogenannte virtuelle Teams nur in Ausnahmefällen<br />

face to face und kommunizieren hauptsächlich über E-<br />

Mail, Telefon oder Videokonferenz. Die technische Mach-<br />

barkeit und die Qualität der Kommunikation stellen<br />

aktuell die größten Restriktionen der virtuellen Kommunikation<br />

dar. Innerhalb Deutsch<strong>la</strong>nds ist es heute in<br />

den großen Unternehmen in der Regel kein Problem<br />

mehr, auch technisch aufwändige Videokonferenzen<br />

Internationales Managementteam? 76 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

dirk hupe, 2009. Werk-Nr. 0177_2009; o.T., Text-, Wortfragmente (...) , Druck-,Acryl- und Dispersionsfarbe, Acryl<strong>la</strong>ck, Aluminium U-Profile, Silikon, Alu-Dibond, 80 x 120 x 3,5 cm, 2009, Hintergrundabbildung Fotoarbeit, 2008


durchzuführen. Ganz anders sieht dies jedoch im internationalen<br />

Bereich aus, wie Manager berichten:<br />

»In der Konferenz mit Brasilien brach das Bild immer<br />

wieder zusammen.«<br />

»In Katar oder auch zum Teil in China <strong>la</strong>ssen die<br />

Leitungen Videokonferenzen nicht zu.«<br />

Die Firewall der Unternehmen verhindert es, sich via<br />

Internet auszutauschen, oder die Technik ist störungsanfällig<br />

und nicht bedienerfreundlich genug. So ist die<br />

Kommunikation auf Telefon und E-Mail beschränkt,<br />

wenn diese denn funktionieren:<br />

»Für ein Telefonat nach Nige<strong>ria</strong> nimmt man am besten<br />

das Handy, nach zwei, drei Anrufen steht dann<br />

die Leitung. Das Festne<strong>tz</strong> funktioniert selten.«<br />

Die Media-Rückschritts-Theorie besagt: Je komplexer die<br />

Aufgaben, umso ausgefeilter sollte die technische Unterstü<strong>tz</strong>ung<br />

sein, um die Kommunikation im Team nicht zu<br />

gefährden. Wenn nicht k<strong>la</strong>r ist, warum sich der Ansprechpartner<br />

nicht meldet (Ist er krank? Will er sich<br />

nicht melden?), oder weil der Tonfall der E-Mails oder des<br />

Telefonates missinterpretiert werden, kann es schnell<br />

zu Konflikten kommen. Gerade wenn wichtige Entscheidungen<br />

anstehen, hat sich für viele iMTs die virtuelle<br />

Kommunikation als hinderlich erwiesen, und es wird<br />

wieder verstärkt auf persönliche Treffen gese<strong>tz</strong>t. Diese<br />

dienen vor allem auch dazu, die Spielregeln des virtuellen<br />

Miteinanders auszuhandeln oder zu überlegen, was<br />

am virtuellen Miteinander verbessert werden kann. Dazu<br />

eine Managerin:<br />

»Bei uns gehört es zum Code of Conduct, dass wenn<br />

jemand eine E-Mail nicht richtig versteht, er sofort<br />

zum Telefon greift und nachfragt. Vieles klärt sich<br />

dann schnell auf.«<br />

Humor – Lachen hilft<br />

Eines der erfolgreichsten Hilfsmittel im Umgang mit<br />

Kommunikationsschwierigkeiten ist Humor, wie es sich<br />

beispielhaft an einem Beratungsprojekt zeigen lässt:<br />

»In dem Beratungsfall in Eng<strong>la</strong>nd gab es die Diagnose,<br />

dass deren Hauptkommunikationsproblem das<br />

Thema direkte und indirekte Kommunikation war.<br />

Diese Dimension habe ich dann aufgespannt und<br />

erklärt, dass etwas direkt zu sagen für uns Deutsche<br />

nicht unhöflich ist, sondern dass wir Höflichkeit einfach<br />

anders zeigen. Ich bringe die Teilnehmer dann<br />

in Paare, und die Engländer müssen direkt sein, und<br />

die Deutschen spüren dann die Wirkung, um sich<br />

anschließend mal indirekt auszudrücken. Was dann<br />

passiert, ist, dass die Leute über diese Außenperspek-<br />

tive erst mal <strong>la</strong>chen. Und durch dieses Lachen ent-<br />

steht eine Dimension, die besprechbar ist. Daran anknüpfend<br />

hatten wir die Situation, dass sich der Vor-<br />

stand hingestellt und gesagt hat: ›Sorry, I have to say<br />

this, this is German, this is direct, but I have to say it‹.«<br />

Humor ermöglicht es, Themen besprechbar zu machen,<br />

die Situation erst einmal aufzulockern und auch nachzufragen:<br />

»Ist das je<strong>tz</strong>t deine französische Ironie, oder<br />

meinst du das wirklich so?« Immer ist auch zum Thema<br />

Humor eine kulturelle Komponente mi<strong>tz</strong>udenken, denn<br />

nicht jeder kann über das Gleiche gleichermaßen <strong>la</strong>chen,<br />

und dennoch hilft es einem internationalen Team ungemein,<br />

wenn seine Mitglieder auch über sich selbst <strong>la</strong>chen<br />

können, insbesondere dann, wenn Sprachprobleme<br />

hinzukommen:<br />

»Selbstironie hilft, wenn man in einer fremden Sprache<br />

plö<strong>tz</strong>lich wieder wie ein Baby spricht.«<br />

Beratung internationaler Managementteams<br />

Nicht zule<strong>tz</strong>t die Fülle an Herausforderungen, die sich<br />

auf der Reise nach Utopia ergeben, veran<strong>la</strong>sst manche<br />

Internationales Managementteam? 78 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

Margit Gietler »babylonische Neuzeit – internationale Sprache«, 2009 basierend auf Pieter Bruegel der Ältere »Turmbau zu Babel«, 1563


Organisationen, die Unterstü<strong>tz</strong>ung von Beratern zu suchen.<br />

Für das Zusammenspiel zwischen Klienten- und<br />

Beratersystem muss auch die Herkunft des Beraters berücksichtigt<br />

und ständig reflektiert werden, besonders<br />

wenn »man miteinander gewachsen ist« und Manager<br />

auf Berater aus ihrem Heimat-Kulturkreis zurückgreifen,<br />

weil eine vergangene Zusammenarbeit gute Ergebnisse<br />

brachte. Hier stellt die Arbeit in interkulturellen Berater-<br />

Tandems eine vielversprechende Möglichkeit dar, unter-<br />

schiedliche Systemkonstruktionsmöglichkeiten anzu-<br />

bieten und dadurch mit mehreren Über<strong>la</strong>ppungen und<br />

Differenzen arbeiten zu können, wie: fremd/vertraut,<br />

ähnlich/anders, Berater/Klient.<br />

Conclusio: »Growing global – Complicating global«<br />

Organisationen werden nicht nur größer, stärker, mehr,<br />

wenn sie aus ihren Heimatmärkten heraus neue Märkte<br />

in anderen Ländern betreten, vor allem werden sie anders.<br />

»It takes variety to control variety.« 3<br />

International aufgestellte Organisationen wollen, um erfolgreich<br />

zu sein, Inputs aus verschiedenen Kulturen<br />

integrieren: Kunden, Lieferanten, gese<strong>tz</strong>liche Vorgaben,<br />

Mitarbeiter oder Konstruktionen der Wirklichkeiten. Die<br />

sich ergebenden Wechselwirkungen resultieren in Veränderungen<br />

der jeweiligen Organisation selbst. Daraus<br />

entsteht die organisationale Aufgabe, neue Routinen zu<br />

entwickeln, welche einerseits die Identität des Unter-<br />

nehmens gegenüber den einströmenden Irritationen in<br />

Schu<strong>tz</strong> nehmen und andererseits dem Fremden aus-<br />

reichend Möglichkeit bieten, die Organisation mit Innovationen<br />

und Kommunikationen zu versorgen. Viele<br />

Unternehmer fragen sich dann »Can we undergo this<br />

innovation and still remain who we are?« 4 . Die Kunstfertigkeit<br />

liegt wohl darin, eine Organisation zu werden,<br />

die man zwar noch nicht ist, die aber unverkennbar aus<br />

der heutigen hervorgeht, also auf der einzigartigen, bestehenden<br />

Kultur aufbauend, neue Impulse in verträglichen<br />

Dosen zu integrieren.<br />

Der Definition unseres Untersuchungsgegenstandes<br />

und den dargestellten Erfahrungen folgend, können die<br />

Herausforderungen an iMTs mit folgender »Formel« beschrieben<br />

werden:<br />

Manager x Team x Kommunikation x Interkulturelle<br />

Themen x Sprachen x Virtuelle Teams x Internationa-<br />

les Business x Internationale Organisationsmodelle =<br />

Komplexität, der sich internationale Managementteams<br />

stellen müssen<br />

Die entscheidenden Fragen sind: Wo und in welchem<br />

Ausmaß wird die Diversität einer Organisation und<br />

deren Umwelt abgebildet? Wie und auf welcher Basis<br />

finden hierzu Aushandlungsprozesse, der Umgang mit<br />

zu bewältigenden Konflikten und das Treffen von<br />

Entscheidungen über (Ge-)Wichtigkeit, Stärkung und<br />

Schwächung von Unterschieden statt? Auf Basis unserer<br />

Untersuchung bieten wir folgende Beobachtung zur<br />

Beantwortung an: Wenn nicht im Steuerungsgremium<br />

selbst, dann an dessen Schnittstellen zur Organisation<br />

oder in der mittelbaren bis unmittelbaren Umwelt des<br />

iMTs. Doch je weiter weg von Erfahrbarkeit und Einflussnahme<br />

der zentralen Steuerung, desto eher bleibt es jeweils<br />

Angelegenheit der gerade Betroffenen und steht<br />

dem entgegen, organisationsweite Überlegungen anzustellen<br />

und Handlungen zu organisieren.<br />

So z. B. im Vorstand eines international agierenden<br />

Industrieunternehmens (Standorte in 110 Ländern) mit<br />

Stammsi<strong>tz</strong> in Deutsch<strong>la</strong>nd, wo sich ausschließlich deutsche<br />

Manager begegnen. Interkulturelle Fragestellungen<br />

werden somit nicht im obersten Leitungsgremium, sondern<br />

zwischen dem Vorstand und der nächsten Berichtsebene,<br />

zu der auch die Verantwortlichen in den internationalen<br />

Regionen zählen, thematisiert.<br />

Organisationen befinden sich auf ihrem Weg zur Internationalität<br />

in sehr unterschiedlichen Entwicklungsphasen.<br />

Während in einem Fall noch voller Überzeugung<br />

versucht wird, in Brasilien deutsche Ingenieurskultur zu<br />

implementieren, finden wir am anderen Ende des Spektrums<br />

Beispiele von Unternehmen, die bereits seit vielen<br />

Jahren auf allen Kontinenten Standorte mit international<br />

rotierenden Mitarbeitern haben. Hier treten geografische<br />

Faktoren gegenüber der Organisation mehr und<br />

mehr in den Hintergrund, so wie beim (noch unverkennbar)<br />

japanischen Automobilkonzern, der gerade dabei ist<br />

»Made in Japan« durch »Made by Toyota« zu erse<strong>tz</strong>en.<br />

¶<br />

3 Weick, K. E. & Sutcliffe, K. M. (2001). Managing the Unexpected.<br />

San Francisco, S. 62.<br />

4 Cook, S. D.N. & Yanow, D. (1993). Culture and Organizational<br />

Learning. Journal of Management Inquiry, 2 (4), S. 373-390.<br />

Internationales Managementteam? 79 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Boris Holzer, Ph. D., studierte Soziologie, Psychologie und Informatik an der Ludwig-Maximilians-Universität München<br />

und promovierte an der London School of Economics and Political Science mit einer Dissertation zum Thema transnationale<br />

Konzerne und Protestbewegungen. Anschließend war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich<br />

536 »Reflexive Modernisierung« in München und wissenschaftlicher Assistent am Institut für Soziologie der<br />

Ludwig-Maximilians-Universität München. Zurzeit ist er Professurvertreter am Soziologischen Seminar der Universität<br />

Luzern. Zule<strong>tz</strong>t veröffentlichte er u. a.: »Vom globalen Dorf zur kleinen Welt: Ne<strong>tz</strong>werke und Konnektivität in der<br />

Weltgesellschaft«, in: B. Hein<strong>tz</strong> / R. Münch / H. Tyrell (Hg.), Weltgesellschaft: Theoretische Zugänge und empirische<br />

Problem<strong>la</strong>gen (Stuttgart: Lucius & Lucius 2005), »Spielräume der Weltgesellschaft«, in: Th. Schwinn (Hg.), Die Vielfalt<br />

und Einheit der Moderne (Wiesbaden: VS 2006) sowie »Ne<strong>tz</strong>werke« (transcript: Bielefeld 2006).<br />

Boris Holzer<br />

Orbis (non) sufficit: Wie global ist die Weltgesellschaft?<br />

Man erregt heu<strong>tz</strong>utage kein Aufsehen mehr mit der Be-<br />

obachtung, dass man in der Wirtschaft ebenso wie in<br />

der Politik, aber natürlich auch im Sport, in der Kunst<br />

und in der Wissenschaft mit globalen Verflechtungen zu<br />

rechnen hat. Man kooperiert oder bekämpft einander<br />

über Grenzen hinweg, man konkurriert in globalen Arenen,<br />

und man kann kaum einer spezialisierten Tätigkeit<br />

nachgehen, ohne weltweite Trends und Entwicklungen<br />

zu beobachten. Am Begriff einer »Weltgesellschaft« aber<br />

scheiden sich die Geister: Die einen sehen sie als möglichen<br />

Fluchtpunkt einer Entwicklung, die nationalstaatlich<br />

verfasste Gesellschaften in einer übergeordneten, in<br />

analoger Weise politisch konstituierten sozialen Einheit<br />

aufgehen lässt; die anderen sind der Meinung, sie sei<br />

bereits seit Langem, spätestens jedoch im Zeitalter welt-<br />

weiter Kommunikation und globaler Massenmedien Realität.<br />

Eine gewisse Skepsis gegenüber zu hohen Erwartun-<br />

gen an einen weltbürgerlichen Friedenszustand, die<br />

ihren Halt in grenzüberschreitenden Verflechtungen finden,<br />

ist sicherlich angebracht. Zumindest sind die Folgen<br />

globaler Integration weder so unmittelbar noch so<br />

eindeutig eingetreten, wie man sich dies zu Beginn der<br />

entsprechenden Entwicklungen noch vorstellen konnte.<br />

Optimistische Beobachter der neuen Möglichkeiten weltweiter<br />

Mobilität und Kommunikation spekulierten darauf,<br />

dass mehr Kommunikation auch zu mehr Lernen<br />

und Verständigung führen könnte. Sie waren der Meinung,<br />

falsche Vorstellungen oder gar Unwissen über<br />

fremde Länder seien die Quellen von Unsicherheit und<br />

Missverständnissen. Mehr Mobilität und vor allem bessere<br />

Kommunikationsmöglichkeiten erschienen logischerweise<br />

als korrigierende Faktoren, die beinahe zwangsläufig<br />

auch zu einer einheitlicheren, den ganzen Erdball<br />

in sich einschließenden Zivilisation führen würden.<br />

Ebenso folgerichtig erschien es, dass der intensivierte<br />

»Weltverkehr« auch mehr Gleichförmigkeit bedeuten<br />

würde: »Gerade die steigende Buntheit des Verkehrs erzeugt<br />

eine größere Einförmigkeit und Einerleiheit in der<br />

Welt« (Wirth 1906: 9).<br />

Raum und Kommunikation<br />

Abgesehen von den mehr oder minder treffsicheren Pro-<br />

gnosen ist an der frühen Kommentierung des Welt-<br />

verkehrs interessant, dass sie schon im Begriff des »Verkehrs«<br />

eine im Ergebnis soziale Entwicklung zunächst<br />

Orbis (non) sufficit: Wie global ist die Weltgesellschaft? 80 Revue für postheroisches Management / Heft 5


einmal auf ihre räumliche Dimension reduziert. Es geht<br />

um eine Ausweitung von Transaktionen und Beziehungen,<br />

die mit der Bewegung von Menschen und Sachen<br />

verbunden ist. In den Pionierphasen der Globalisierung<br />

bedeutete dies zunächst, dass bis<strong>la</strong>ng unentdeckte Regionen<br />

vermessen und in wirtschaftliche und politische<br />

Ne<strong>tz</strong>werke integriert wurden. Die weißen Flecken der<br />

Terra incognita wurden auf diese Weise zunehmend getilgt,<br />

bis die Vollentdeckung des Erdballs mehr oder weniger<br />

realisiert war. Die große Bedeutung spontaner und organisierter<br />

Mobilität in dieser Phase limitierte zugleich,<br />

was als Globalisierung erfahrbar war: Zwar wusste man<br />

zum Beispiel schon im antiken China von den weit ent-<br />

fernten Gegenden Europas, mit denen man über die Handelsrouten<br />

der Seidenstraße verbunden war. Schon allein<br />

aufgrund der zur Verfügung stehenden Transportmittel<br />

handelte es sich jedoch nicht um direkte und verlässliche<br />

Verbindungen. Die vielen Zwischenstationen und<br />

<strong>la</strong>ngen Transpor<strong>tz</strong>eiten verhinderten eine Intensivierung<br />

des Austauschs und der damit verbundenen Beziehun-<br />

gen. Auch wenn die Seidenstraße eine viel benu<strong>tz</strong>te<br />

transkontinentale Reiseroute war, <strong>la</strong>g ihre Bedeutung<br />

nicht darin, Ostasien und den Mittelmeerraum direkt<br />

miteinander zu verbinden. Mit den im Mitte<strong>la</strong>lter zur<br />

Verfügung stehenden Transportmitteln beispielsweise<br />

hätte man ein Jahr oder länger für die gesamte Strecke<br />

gebraucht. Doch die meisten Karawanen bewegten sich<br />

ohnehin nur von einem Handelsp<strong>la</strong><strong>tz</strong> zum nächsten, sodass<br />

zwischen den Kontinenten nur ein vielfach vermittelter<br />

Kontakt gestiftet wurde.<br />

Die technischen Entwicklungen der Neuzeit und<br />

schließlich der Indust<strong>ria</strong>lisierung beseitigten diese Un-<br />

wägbarkeiten und Hindernisse und führten zu einer<br />

enormen Verbesserung des Transportwesens. In ihrer<br />

Expansionsdynamik übertraf die Moderne deutlich das<br />

Engagement antiker Eroberer. »Die Welt ist nicht genug«<br />

– Juvenals auf Alexander den Großen gemünztes<br />

Motto ist für diese Periode der Globalisierung mindes-<br />

tens ebenso einschlägig. Dies hatten auch Marx und<br />

Engels als eine Folge der Expansion des Kapitalismus vor<br />

Augen, als sie schrieben: »Das Bedürfnis nach einem<br />

stets ausgedehnteren Absa<strong>tz</strong> für ihre Produkte jagt die<br />

Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie<br />

sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen<br />

herstellen« (Marx/Engels 1969: 465). Doch schon im 19.<br />

Jahrhundert ging es nur noch vereinzelt darum, die Welt<br />

.........<br />

»Die Welt ist nicht genug«, Juvenals<br />

auf Alexander den Großen<br />

gemünztes Motto, ist für diese<br />

Periode der Globalisierung mindestens<br />

ebenso einschlägig.<br />

zu entdecken. Institutionen der modernen Gesellschaft<br />

hatten sich – zumindest mit regionalen Brückenköpfen –<br />

über den ganzen Erdball verbreitet. Die damit verbundenen<br />

Interessen an weltweiten Kontakten – zum Beispiel<br />

in der Wirtschaft, der Politik und der Wissenschaft –<br />

unterstü<strong>tz</strong>ten und beschleunigten den weiteren Ausbau<br />

einer globalen Infrastruktur für Transport und Kom-<br />

munikation: Aus 10.000 Meilen Eisenbahnlinien im<br />

Jahr 1845 waren schon 1920 600.000 geworden; aus<br />

43 Millionen Tonnen auf kommerziellen Schiffen trans-<br />

portierter Güter im Jahr 1913 bis zum Jahr 1980<br />

420 Millionen; und aus 74 Millionen internationalen<br />

Flugpassagieren im Jahr 1970 1,3 Milliarden im Jahr 1995<br />

(Lechner/Boli 2005: 114f.).<br />

In einer re<strong>la</strong>tiv kurzen Zeitspanne verringerten sich<br />

die durchschnittlichen Reisezeiten so weit, dass man<br />

von einer regelrechten »Kompression des Globus« (Robertson<br />

1992: 8) sprechen kann. Doch mit der Vollentdeckung<br />

und Erschließung des Erdballs beginnt erst die<br />

moderne Geschichte der Globalisierung. Mit den neuen<br />

Kommunikationstechnologien, allen voran der Telegra-<br />

fie, se<strong>tz</strong>te die weltweite Verne<strong>tz</strong>ung zu einem Quan-<br />

tensprung an: Die elektromagnetische Übertragung von<br />

Informationen enthob von der Notwendigkeit, diese auf<br />

dem gleichen Wege wie Waren und Menschen zu transportieren.<br />

Transport- und Kommunikationsne<strong>tz</strong>e »ent-<br />

koppelten« sich (Lübbe 2005). Die weitreichenden Fol-<br />

gen dieser Entwicklung sind wohl erst mit der breiten<br />

Durchse<strong>tz</strong>ung der Telekommunikation deutlich gewor-<br />

den. Dass die Revolution aber schon viel früher ein-<br />

se<strong>tz</strong>te, zeigt Standage (1999) in seiner Beschreibung der<br />

Telegrafie als »Mutter aller Ne<strong>tz</strong>werke«. Im Jahr 1844<br />

sendete Samuel Morse über die gerade eingerichtete<br />

Leitung zwischen Washington und Baltimore die erste<br />

öffentliche telegrafische Nachricht: »What hath God<br />

wrought.« Innerhalb von nur drei Jahrzehnten ge<strong>la</strong>ng es<br />

Orbis (non) sufficit: Wie global ist die Weltgesellschaft? 81 Revue für postheroisches Management / Heft 5


dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Hunderttausende<br />

Kilometer Kabel zu verlegen, sodass bereits<br />

im Jahr 1870 zwischen den Metropolen (und vor allem:<br />

Börsenplä<strong>tz</strong>en) in Europa und Nordamerika, aber auch<br />

in Indien, China und Japan Nachrichten in Minuten-<br />

schnelle ausgetauscht werden konnten.<br />

Seit ihren Anfängen wurde die Infrastruktur globaler<br />

Kommunikation immer weiter perfektioniert. Die Qualität<br />

der Übertragung wurde verbessert, und die Kosten,<br />

zum Beispiel im Bereich interkontinentaler Telefongespräche,<br />

wurden radikal gesenkt. Globale Massenmedien<br />

erweiterten den Kreis der Empfänger, und das Internet<br />

ermöglicht es mittlerweile beinahe jedem, selbst zum<br />

Autor zu werden. Eine solche Entwicklung öffnet Raum<br />

für Utopien. Dies gilt nicht nur für das Internet, von dem<br />

man spätestens seit der Erfindung des »Web 2.0« allerlei<br />

erwartet, sondern bereits für die aus heutiger Sicht weit<br />

weniger spektakuläre Telegrafie. Auch ihr schrieb man<br />

bereits das Potenzial zu, die Welt in bisher ungeahnter<br />

Art und Weise zu verbinden – und eben dadurch auch<br />

einen zu können. Henry Field, Bruder von Cyrus Field,<br />

dem Pionier der transat<strong>la</strong>ntischen Verkabelung, zum<br />

Beispiel beschrieb eben dieses Kabel so: »Es bringt die<br />

Welt zusammen. Es vereint die getrennten Hemisphären.<br />

Es vereint entfernte Nationen und gibt ihnen das<br />

Gefühl, Mitglieder einer großen Familie zu sein … Dieses<br />

Meereskabel ist keine Eisenkette, die kalt und tot in den<br />

eisigen Tiefen des At<strong>la</strong>ntiks begraben liegt. Es ist eine<br />

lebendige Verbindung aus Fleisch und Blut, die getrennte<br />

Teile der menschlichen Familie vereint, von Leben<br />

erfüllt ist und durch die Liebe und Zärtlichkeit pulsieren,<br />

geschwind wie das Blut in den menschlichen Adern, hin<br />

und zurück. Durch diese starken Bande vereint es die<br />

Menschheit in Einigkeit, Frieden und Eintracht« (Field<br />

1867: 421). Solcher Überschwang erscheint aus heutiger<br />

Sicht kaum mehr verständlich, auch wenn sich Spurenelemente<br />

davon durchaus in zeitgenössischen Utopien<br />

des Internets nachweisen <strong>la</strong>ssen. Zu offensichtlich ist<br />

mittlerweile, dass die Verbesserung der Kommunika-<br />

tionsmöglichkeiten alleine noch nicht bewirkt, dass<br />

man andere auch besser versteht (Standage 1999: 115).<br />

Die durch Telegrafie begonnene und stetig weiter<br />

ausgebaute kommunikative Verne<strong>tz</strong>ung des Erdballs war<br />

ein wichtiger und früher Globalisierungsschritt – der die<br />

»Intensivierung weltweiter Beziehungen« (Giddens 1995)<br />

überhaupt erst ermöglichte. Doch warum diese Möglich-<br />

keiten immer intensiver genu<strong>tz</strong>t und weiterentwickelt<br />

wurden, erschließt sich nicht aus den technischen Apparaturen,<br />

sondern aus den gesellschaftlichen Bedingungen<br />

ihrer Nu<strong>tz</strong>ung und Verfeinerung. Eine erschlossene<br />

und verdrahtete Welt allein ist nicht genug.<br />

Die Nähe des Fernen<br />

Das Nahe ist auch im übertragenen Sinne erst einmal oft<br />

das Naheliegende. Es müssen spezielle Bedingungen<br />

hinzukommen, damit das sprichwörtliche »Gute« eben<br />

nicht naheliegt bzw. damit man sich mit dem Guten<br />

nicht zufrieden gibt, auch wenn das Bessere vielleicht<br />

etwas weiter entfernt ist. Der Schlüssel hierzu liegt in<br />

der Differenzierung und Spezialisierung von Interessen<br />

und Kommunikationsanlässen: Sie fördern spezifische<br />

und damit eben auch mobile Kontaktinteressen. Der<br />

Kaufmann, der ein ganz bestimmtes Produkt zu erwerben<br />

sucht, muss ebenso wie die Wissenschaftlerin, die<br />

sich auf ein bestimmtes Forschungsgebiet spezialisiert<br />

hat, auch entfernte Kontakte berücksichtigen, um überhaupt<br />

Tausch- oder Kommunikationspartner zu finden.<br />

Man kann von »globalen Relevanzräumen« sprechen, die<br />

unter jeweils sehr spezifischen Vorzeichen die Suche<br />

nach ähnlich interessierten oder kompetenten Adressaten<br />

motivieren und anleiten (Stichweh 2004). Ein hoch<br />

spezialisierter Wissenschaftler etwa findet seine Ge-<br />

sprächspartner nicht auf dem lokalen Campus, sondern<br />

muss sie aus den Weiten des globalen Kommunikationszusammenhangs<br />

der Wissenschaft rekrutieren – ähnlich<br />

den »lonely whales of Antarctica searching for a mate, he must seek<br />

a suitable partner for his task widely through the seas of society«<br />

(Barth 1978: 168).<br />

Nicht nur Wissenschaftler werden nur selten be-<br />

haupten können, die wichtigsten Kollegen auf dem<br />

eigenen Campus zu finden. Was zum Beispiel wäre eine<br />

Devisenhändler, der nicht Transaktionen über den Com-<br />

puterbildschirm tätigen könnte, ohne seine mitunter<br />

Tausende Kilometer entfernten Geschäftspartner jemals<br />

zu sehen, geschweige denn zu treffen? Lange Zeit mögen<br />

es in der Tat vor allem Spezialisten gewesen sein, die auf<br />

diese Weise globale Kontakte knüpften. Inzwischen jedoch<br />

ist es jedermann möglich, sich beispielsweise in<br />

Internetforen zu esoterischen Spezialthemen zu engagieren<br />

und dafür auch unwahrscheinliche Partner zu finden.<br />

Der Eindruck, dass soziale Kontakte weniger denn je<br />

von räumlichen Grenzen abhängen, erklärt sich aus der<br />

Orbis (non) sufficit: Wie global ist die Weltgesellschaft? 82 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

dirk hupe, 2009. Werk-Nr. 0148_2009; o.T., Text-, Wortfragmente, Dispersionsfarbe, Acryl<strong>la</strong>ck, U-Profile, Silikon, Alu-Dibond, 125 x 95,7 x 3,5 cm, 2009, Hintergrundabbildung Fotoarbeit, 2008


Selbstverständlichkeit, mit der diese Strukturen globaler<br />

Kommunikation im privaten wie im beruflichen Alltag<br />

genu<strong>tz</strong>t werden.<br />

Es wäre allerdings noch zu kurz gegriffen, die Nähe<br />

des Fernen allein nach Kriterien globaler Zusammenarbeit<br />

und globaler Transaktionen zu begreifen. Ein min-<br />

destens ebenso wichtiger Faktor ist die indirekte Verbundenheit<br />

qua Konkurrenz. Ein Grundmerkmal von<br />

Konkurrenzverhältnissen – darauf hat insbesondere<br />

Georg Simmel (2008 [1903]) hingewiesen – ist es, dass<br />

sie Verbindungen vermittelt über Dritte herstellen: Man<br />

handelt nicht miteinander, aber man konkurriert mit-<br />

und gegeneinander um etwas, zum Beispiel um die<br />

Gunst der Konsumenten oder die Aufmerksamkeit der<br />

Zuschauer. Genau diese Kategorie des Publikums, des zu<br />

gewinnenden Dritten, ist heu<strong>tz</strong>utage in vielen Bereichen<br />

eine globale: die Konsumenten, die Kunstliebhaber, die<br />

Sportfans, um nur einige zu nennen (Werron 2009). Die<br />

Globalisierung der Konkurrenz führt dazu, dass man<br />

auch global beobachten muss: Was ist gerade angesagt?<br />

Was p<strong>la</strong>nen die anderen? Was hält man für best practice?<br />

Fragen, die vor einiger Zeit noch wenigen Großkonzernen<br />

vorbehalten waren, stellen sich heute auch und<br />

gerade kleinen Firmen, die ihre Nische in einem globalen<br />

Markt zu finden suchen.<br />

Diese Facetten einer Globalisierung des Alltags addieren<br />

sich freilich nicht zu einem »globalen Bewusstsein«<br />

oder gar zu einer Art globaler Solidarität. Die »Kompression<br />

des Globus« und die »Intensivierung des Bewusst-<br />

seins der Welt als Ganzes« (Robertson 1992: 8) stehen<br />

durchaus in einem Zusammenhang. Doch wenn es ein<br />

Bewusstsein für die Einheit globaler Vergesellschaftung<br />

gibt, so ist es wohl eher kein glückliches. Es basiert<br />

wesentlich auf der Erkenntnis und Antizipation von<br />

Risiken und Gefahren, die potenziell alle betreffen<br />

könnten. Die dadurch hergestellte Schicksalsgemein-<br />

schaft ist nicht in gleicher Weise eine solidarische, wie<br />

wir es vom Nationalstaat gewohnt sind. Das liegt nicht<br />

etwa daran, dass wir uns für die Be<strong>la</strong>nge anderer Natio-<br />

nen nicht interessierten. Die vielfältigen Aktivitäten<br />

internationaler Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen<br />

belegen, dass es an Aufmerksamkeit für die Probleme<br />

der Welt ebenso wenig mangelt wie an Vorschlägen<br />

und konkreten Projekten. Gegenüber der staatlich<br />

abgesicherten und steuerlich finanzierten Solidarität des<br />

Nationalstaats bleiben diese Aktionen aber vergleichs-<br />

weise spontan und episodisch. Das zeigt sich deutlich<br />

in Situationen, die das Entfernte zumindest kurzfristig<br />

näher rücken <strong>la</strong>ssen, wie zum Beispiel anlässlich der<br />

Tsunami-Katastrophe im Dezember 2004 (vgl. Holzer<br />

2008): Eine durch ein Seebeben ausgelöste Flutwelle<br />

richtete große Schäden in den Küstenregionen Südostasiens<br />

an und tötete oder verle<strong>tz</strong>te zahlreiche Einheimische<br />

und Touristen. Das Ereignis fokussierte nicht<br />

nur die globale Medienaufmerksamkeit auf die Region<br />

und mobilisierte internationale Hilfsorganisationen,<br />

sondern löste auch eine beispiellose Spendenwelle aus.<br />

Offensichtlich hing das enorme mediale Interesse ebenso<br />

wie die organisierte und individuelle Hilfsbereitschaft<br />

damit zusammen, dass eine durch den Tourismus vermittelte<br />

Betroffenheit unterstellt werden konnte. Derartige<br />

Ereignisse können kurzzeitig sichtbar machen, wie dicht<br />

verwoben das globale Ne<strong>tz</strong> sozialer Kontakte ist. Die Auf-<br />

merksamkeit und die dadurch motivierte Solidarität bleiben<br />

aber episodisch.<br />

.......<br />

Es scheint ohnehin, als sei die<br />

heutige »Welt« zu groß und<br />

unübersichtlich, um einfach so<br />

»als Ganzes« präsent zu sein.<br />

Ähnliches lässt sich für die zweite Quelle globaler<br />

Schicksalsvergemeinschaftung sagen: der Beschäftigung<br />

mit zukünftigen Bedrohungen (siehe ausführlich: Beck<br />

2007). Die einschlägigen Themen, allen voran der Klimawandel,<br />

bieten immer wieder Gelegenheit, die weltweite<br />

Interdependenz von Handlungen und Risiken zu notie-<br />

ren. Aus dem direkten oder vermittelten Erleben möglicher<br />

Betroffenheit lässt sich zwar ein allgemeiner<br />

Handlungs- und Entscheidungsdruck ableiten, doch<br />

dieser findet kein Ventil in kollektiv verbindlichem<br />

Handeln. Es gibt eine Vielzahl individueller und orga-<br />

nisierter Engagements, doch die Weltgesellschaft als sol-<br />

che »handelt« nicht. Das muss kein Problem sein: In den<br />

Fällen der Weltwirtschaft, der Weltkunst und dem Weltsport<br />

zum Beispiel kann man von hoher Integration<br />

sprechen, ohne dabei sogleich an kollektiv bindende Ent-<br />

scheidungen denken zu müssen. Die Weltpolitik jedoch<br />

scheint unter diesem Gesichtspunkt an einem Defizit zu<br />

Orbis (non) sufficit: Wie global ist die Weltgesellschaft? 84 Revue für postheroisches Management / Heft 5


leiden. Nicht von ungefähr gehört daher die Frage nach<br />

dem »Weltstaat« zu den Konstanten der Reflexion über<br />

globale Zusammenhänge. Doch abgesehen davon, dass<br />

eine solche Einrichtung bei Demokratietheoretikern<br />

eher gemischte Gefühle hervorruft, ist sie von einer<br />

etwaigen Realisierung nach wie vor weit entfernt.<br />

Aus dieser Tatsache folgt jedoch nicht, der Weltgesellschaft<br />

fehle es an »Gesellschaftlichkeit« (Altvater/<br />

Mahnkopf 1999: 45ff.). Das Gegenteil trifft zu: Betrachtet<br />

man Globalisierung aus der Perspektive globaler Kommunikation<br />

und Verne<strong>tz</strong>ung, so wird deutlich, dass eben<br />

nicht nur die Politik, sondern auch eine Vielzahl anderer<br />

Aktivitäten und Interessen an globaler Vergesellschaftung<br />

mitwirken. Die Weltgesellschaft am Vorbild des<br />

modernen Nationalstaats zu messen, führt deshalb nicht<br />

weiter. Für die Globalität der Weltgesellschaft spielt es<br />

keine Rolle, ob sie eine weltweite politische Einheit ist,<br />

denn unbestreitbar gibt es, bei allen Defiziten, Formen<br />

globaler Politik. Doch wie in der Wirtschaft, der Wissenschaft<br />

und der Kunst kann man nicht davon ausgehen,<br />

dass die »Welt als Ganzes« ständig zum Thema werden<br />

könnte. Das kommt vor bei außergewöhnlichen An-<br />

lässen und in Krisensituationen, ist aber allenfalls ein<br />

Element und nicht etwa einziges Prüfkriterium von<br />

Globalität. Es scheint ohnehin, als sei die heutige »Welt«<br />

zu groß und unübersichtlich, um einfach so »als Ganzes«<br />

präsent zu sein. Sie geht in ihrer sozialen und kulturellen<br />

Vielfalt weit über das hinaus, was man sich früher<br />

einmal als ultimativen Horizont des Erdkreises vorzustellen<br />

wagte. Der Erdball ist mehr oder weniger vollständig<br />

erschlossen, doch die Welt hat sich in diesem<br />

Zuge nicht nur räumlich erweitert. Sie hat Traditionen<br />

abgestreift und sich auf Risiken einge<strong>la</strong>ssen. Wem die<br />

Welt noch heute nicht genug ist, der kann sie ändern –<br />

auf eigene (und häufig auch: anderer) Gefahr. Aber gerade<br />

die mit prinzipieller Veränderbarkeit verbundene<br />

Kontingenz legt eher den Umkehrschluss nahe: Die Welt<br />

ist nicht nur genug, sie ist manchmal sogar schon ein<br />

bisschen viel. ¶<br />

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Orbis (non) sufficit: Wie global ist die Weltgesellschaft? 85 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Stefan Kühl, Prof. Dr., Soziologe und Historiker, Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld. Er arbeitet<br />

als Organisationsberater für die in Quickborn (bei Hamburg), Versailles und Princeton ansässige Firma Metap<strong>la</strong>n.<br />

Seine aktuellen Forschungsthemen sind die Rolle von Organisationen bei Genoziden, die Kooperation zwischen<br />

Organisationen in Entwicklungs- und Industrieländern und die personenorientierte Beratung in Organisationen.<br />

Er ist Autor von »Coaching und Supervision. Zur personenorientierten Beratung in Organisationen« (Wiesbaden 2008),<br />

»Sisyphos im Management. Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisationsstruktur« (Weinheim 2003),<br />

»Das Regenmacher-Phänomen. Widersprüche und Aberg<strong>la</strong>uben im Konzept der lernenden Organisation« (Frankfurt<br />

a. M., New York 2000) und »Wenn die Affen den Zoo regieren. Die Tücken der f<strong>la</strong>chen Hierarchien« (Frankfurt a. M.,<br />

New York 1998). Vor Kurzem erschien von ihm als Mitherausgeber das »Handbuch Methoden Organisationsforschung.<br />

Quantitative und Qualitative Methoden« (Wiesbaden, 2009).<br />

Stefan Kühl Von Filial- zu Kontaktgründungen.<br />

Die Expansion von Organisationen in der Weltgesellschaft<br />

Die Versuche, historische Entwicklungen von Gesellschaften<br />

in Kartenform zu bannen, konzentrierten sich<br />

bisher vorrangig auf die Darstellung von Staaten, von<br />

Religionen und von Wirtschaftsprozessen. Im geschichtswissenschaftlichen<br />

Kartenwerk werden fast ausschließlich<br />

die Ausbildung (und das Verschwinden) von Staaten,<br />

die Verbreitung von Weltreligionen und die Expansionen<br />

wirtschaftlicher Produktionszentren und Handelspro-<br />

zesse dargestellt. Das Ordnungsschema von historischen<br />

At<strong>la</strong>nten scheint sich an Funktionssystemen zu orientieren<br />

– mit deutlichen Präferenzen für die gesellschaftlichen<br />

Teilbereiche Politik, Religion und Wirtschaft.<br />

Wie sähe aber ein historischer Weltat<strong>la</strong>s der Organisationen<br />

aus? Meine Vermutung ist, dass das Karten-<br />

werk erst im 14. oder 15. Jahrhundert beginnen würde<br />

und dort mit einigen wenigen Karten auskommen<br />

würde. Für das 19. Jahrhundert würde das Kartenwerk<br />

sicherlich stärker an Umfang gewinnen und zum Beispiel<br />

die Diffusion des an Humboldt orientierten Universitätsmodells<br />

nach Nordamerika oder die Verbreitung<br />

bestimmter industrieller Produktionsprozesse aufzeigen<br />

können. Für das 20. Jahrhundert würde das Kartenmate<strong>ria</strong>l<br />

vermutlich eine fast explosionsartige Vermehrung<br />

des Strukturierungsmusters Organisationen nachweisen<br />

können.<br />

Schon alleine der Blick auf die Anzahl der Organisationsgründungen<br />

würde zeigen, dass sowohl auf kommunaler<br />

wie auf nationaler und internationaler Ebene<br />

die Zahl der Organisationen selbst im Vergleich zu Indikatoren<br />

wie Bevölkerung oder Wirtschaftswachstum<br />

überproportional anwuchs (vgl. beispielsweise für internationale<br />

NGOs Boli/Thomas 1997: 171ff; Boli/Thomas<br />

1999: 13ff).<br />

In immer mehr soziale Felder se<strong>tz</strong>ten sich Organisationen<br />

als dominierendes Strukturierungsmuster durch.<br />

Während Organisationen sich ursprünglich als Struk-<br />

turierungsmuster auf das Feld der Religion (in Form von<br />

Kirchen) und des Staates (in Form von öffentlichen Ver-<br />

waltungen) beschränkten, sind heu<strong>tz</strong>utage Felder wie<br />

die der Wirtschaft, der Erziehung, der Wissenschaft, des<br />

Sports oder des Tourismus maßgeblich durch Organisationen<br />

bestimmt (vgl. Meyer 2002).<br />

Diese Expansion des sozialen Systems »Organisation«<br />

im 19., aber besonders im 20. Jahrhundert wurde mit<br />

ganz unterschiedlichen Begriffen belegt. Begriffe wie<br />

»Organizational Revolution« (vgl. Boulding 1953), »Ent-<br />

Von Filial- zu Kontaktgründungen 86 Revue für postheroisches Management / Heft 5


stehung des Manage<strong>ria</strong>lism« (vgl. Considine/Painter<br />

1998) oder »Organisationsgesellschaft« (vgl. Gabriel 1974)<br />

sind Versuche, die Erfolgsgeschichte des Modells der<br />

Organisation auf einen Begriff zu bringen.<br />

Als Standarderklärung für diese »Erfolgsgeschichte«<br />

dient häufig der Verweis auf die Überlegenheit von Orga-<br />

nisationen – und ganz besonders von Unternehmen –<br />

als Strukturierungsform von kollektiven Handlungen.<br />

In diesem Erklärungsansa<strong>tz</strong> sind sich die betriebswirt-<br />

schaftlich orientierten Institutionenökonomie und der<br />

politökonomisch orientierte Marxismus überraschend<br />

ähnlich. In beiden Erklärungsmodellen erscheint die<br />

Organisation als Ultima Ratio einer effektiven und effizienten<br />

Strukturierung von Arbeit. Die globale Durchse<strong>tz</strong>ung<br />

der Organisation als Strukturierungsmuster ist<br />

aus dieser Perspektive dann lediglich der Sieg einer nach<br />

zweckrationalen Gesichtspunkten überlegenen Systemform.<br />

Aber diese zweckrationalen Erklärungsmuster für die<br />

Expansion von Organisationen kann viele Fragen nicht<br />

beantworten (vgl. Meyer 2006): Wie lässt sich die Expansion<br />

in Ländern, Regionen oder Sektoren erklären, in<br />

denen sich die Anforderungen nicht grundlegend ver-<br />

ändert haben? Wie kommt es, dass sich in Staaten der<br />

sogenannten Dritten Welt komplexe Verwaltungsge-<br />

flechte ausbilden, obwohl die Wirtschaft nach wie vor<br />

vorrangig auf Subsistenzproduktion ausgerichtet ist?<br />

Wie erklärt sich, dass es zu einer zunehmenden Bürokratisierung<br />

beispielsweise religiöser Tätigkeiten kommt,<br />

obwohl sich die Anforderungen nicht grundlegend verändert<br />

haben?<br />

Mir geht es im Folgenden darum, ein Erklärungsmodell<br />

vorzustellen, das die Verbreitung von Organisatio-<br />

nen als Strukturierungsmuster sowohl in der frühen<br />

Phase des 18. und 19. Jahrhunderts als auch in der ex-<br />

pansiven Phase im 20. Jahrhundert erklären kann.<br />

Das Muster der »Zellteilung«: Filialgründungen als<br />

eine erste Diffusionswelle des Strukturierungsmusters<br />

Organisation<br />

Die Wurzeln der Organisationsbildung liegen in der Zeit<br />

des frühen Christentums. In dem Moment, in dem sich<br />

die frühe christliche Kirche zu einer religiösen Vereinigung<br />

entwickelte, die ihre Mitglieder unabhängig<br />

von askriptiven Kriterien wie Familienzugehörigkeit,<br />

Schich<strong>tz</strong>ugehörigkeit oder ethnischen Wurzeln rekru-<br />

tierte, waren erste Merkmale moderner Organisationsbildung<br />

zu beobachten (vgl. Parsons 1964: 347ff; Parsons<br />

1972: 44ff). Mit der Ablösung der Politik und des Rechts<br />

von der Religion – und wichtiger noch mit deren Ablösung<br />

aus gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen<br />

– im Eng<strong>la</strong>nd des späten 17. Jahrhunderts bildeten sich<br />

auch in diesen Feldern Organisationen aus, die zuneh-<br />

mend autonom über ihre Mitgliedschaft verfügen konn-<br />

ten (vgl. Parsons 1972: 88f). Mit der Indust<strong>ria</strong>lisierung<br />

differenzierte sich die Lohnarbeit als eine spezifische,<br />

von allen anderen Erwartungen befreite Rolle aus. Gearbeitet<br />

wurde nicht mehr vorrangig in der Familie, son-<br />

dern die Familienmitglieder gingen getrennt unter-<br />

schiedlichen Arbeiten nach (vgl. Parsons 1972: 100ff).<br />

Wie verbreitete sich in dieser Phase das Strukturierungsmuster<br />

Organisation über die Erde? Der Mechanis-<br />

mus, über den sich die Organisationen besonders verbreitet<br />

haben, lässt sich als »Filialgründung« bezeichnen.<br />

Der Mechanismus der Filialgründungen kann prototypisch<br />

bei religiösen Organisationen beobachtet werden.<br />

Kirchen und Klöster verbreiteten über die Bildung<br />

von Subeinheiten nicht nur ihren religiösen Einfluss,<br />

sondern trugen auch maßgeblich dazu bei, dass sich ein<br />

bestimmtes Organisationsmuster ausdehnen konnte.<br />

Während dieser Prozess anfangs auf Europa beschränkt<br />

war, dehnte sich der Diffusionsprozess mit der »Entdeckung«<br />

neuer Kontinente auf Amerika, Asien und Afrika<br />

aus. Die Jesuiten sind nur ein Beispiel einer religiösen<br />

Organisation, die in wenigen Jahrzehnten in Lateinamerika,<br />

Asien und Afrika mit Hunderten von Neugründungen<br />

tätig wurden (Stichweh 2001: 2).<br />

Ein weiterer Prozess der Filialgründung lässt sich<br />

bei den Handelskooperationen feststellen, die sich im<br />

16. und 17. Jahrhundert bildeten und bereits viele Merkmale<br />

moderner Organisationen aufwiesen. Weil sich die<br />

größten Profite im Fernhandel erzielen ließen, bauten<br />

Handelskooperationen häufig militärisch gesicherte<br />

Zweigstellen in Amerika, Asien und Afrika auf. Es wurden<br />

nicht nur – wie noch beispielsweise im Venedig des<br />

14. oder 15. Jahrhundert – vertrauenswürdige Verwandte<br />

in die Ferne geschickt, sondern es bildeten sich mit der<br />

Hudson Bay Company, der Royal African Company, der<br />

British East India Company oder der Verenigde Oost<br />

Indische Compagnie große Handelsunternehmen, die<br />

über eine Vielzahl von Filialen verfügten und so das Muster<br />

Organisation verbreiteten (Hymer 1972: 206).<br />

Von Filial- zu Kontaktgründungen 87 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Mit der Ausweitung der Kolonialisierung kam es in Amerika,<br />

Asien und Afrika auch zunehmend zu »politischen<br />

Filialgründungen«. Die zunehmende regionale Expansion<br />

der Kolonialmächte – vor Beginn des ersten Weltkrieges<br />

dominierten europäische Staaten ungefähr 85% der weltweiten<br />

Landfläche über Kolonien, Protektorate oder Staatenbündnisse,<br />

während es 1800 lediglich 35% und 1978<br />

nur noch 67% gewesen sind (vgl. Magdoff 1978: 29ff) –<br />

führte auch zu einer Professionalisierung der Verwaltungsstruktur.<br />

Die Kolonien wurden immer mehr durch<br />

Verwaltungen regiert, die sich als Arm der Kolonialstaa-<br />

ten verstanden und auch durch diese kontrolliert wurden.<br />

Dieser durch den Kolonialismus getriebene Diffu-<br />

sionsprozess von Organisationen wurde stark dadurch<br />

beeinflusst, auf welche Gesellschaftsformationen die<br />

Kolonialmächte stießen. Bei der Inbesi<strong>tz</strong>nahme beispielsweise<br />

Australiens, Zentra<strong>la</strong>frikas oder den Inseln Mitte<strong>la</strong>merikas<br />

stießen die Filialgründungen auf den Typus<br />

»primitiver« oder »fortgeschrittener primitiver Gesell-<br />

schaften«, um an die Begrifflichkeit Talcott Parsons (1986:<br />

54ff) anzuschließen. Bei der Expansion nach China, nach<br />

Indien oder auch in die is<strong>la</strong>mischen Reiche stießen die<br />

Filialen der Kolonialmächte auf Gesellschaftsformatio-<br />

nen, die in den Phasen ihrer impe<strong>ria</strong>ler Ausdehnung<br />

nicht nur eine hohe gesellschaftliche Komplexität entwickelt<br />

haben, sondern auch Ansä<strong>tz</strong>e eigener Organisationsbildungen<br />

zeigten (vgl. Parsons 1986: 111ff).<br />

Das besondere dieser Phase ist, dass die sich bildenden<br />

Filialen in Amerika, Afrika und Asien nicht zwangsläufig<br />

darauf angewiesen waren, selbst wiederum Organisationen<br />

als Ansprechpartner zu haben.<br />

So<strong>la</strong>nge die Profitstrategien der Unternehmen auf<br />

einem günstigen Einkauf von Produkten basierte, konnte<br />

es den Handelsunternehmen egal sein, ob diese Waren<br />

durch Stämme, Königreiche, durch einzelne Händler<br />

oder durch andere Unternehmen dargeboten wurden.<br />

Wichtig war lediglich eine möglichst hohe Spanne zwischen<br />

dem Einkaufs- und Verkaufspreis der Ware. Erst in<br />

dem Moment, in dem die Profitstrategie eines Unternehmens<br />

auf – marxistisch gesprochen – die Ausbeutung der<br />

Ware Arbeitskraft zielte, sprach etliches dafür, dass Formen<br />

der Organisationsbildung nötig waren.<br />

Auch bei politischen Filialbildungen kam es zwar zur<br />

Gründung von Subeinheiten, aber nicht zur weiteren Aus-<br />

dehnung des Organisationsprinzips. Vielmehr herrschte<br />

die Vorstellung vor, dass zur Sicherung der Kolonialrei-<br />

che auf das Prinzip der »indirect rule« zurückgegriffen<br />

werden sollte. »Indirect rule« bedeutet, dass »native institutions«<br />

als »integraler Bestandteil der Verwaltungs-<br />

maschinerie« verstanden werden sollte (vgl. Huxley<br />

1931: 103; Lugard 1965: 207).<br />

Man kann sich die Expansion des Strukturierungsmusters<br />

»Organisation« wie einen Prozess der Zellteilung<br />

vorstellen. Die entstehenden Filialen funktionieren<br />

wie Zellen, die sich von der Haup<strong>tz</strong>elle abtrennten, ohne<br />

aber den Kontakt zu ihr zu verlieren.<br />

Das Muster der »Kontaktinfektion«: Kontaktgründungen<br />

als eine zweite Welle der Diffusion des<br />

Strukturierungsmusters Organisation<br />

Mit dem Ende des Kolonialismus verlor das Filialmodell<br />

seine zentrale Bedeutung, ohne aber gänzlich zu ver-<br />

schwinden. Mit der seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges<br />

einse<strong>tz</strong>enden Entkolonialisierung konnten Verwaltungen,<br />

Armeen, Universitäten, Schulen, Rechtsinstitutionen,<br />

aber auch religiöse Organisationen nicht mehr<br />

als Filialen westlicher Masterorganisationen verstanden<br />

werden.<br />

Wie kam es je<strong>tz</strong>t aber dazu, dass sich in den neu gegründeten<br />

Nationalstaaten Organisationen ausbildeten,<br />

die den Organisationen der ehemaligen Kolonialstaaten<br />

stark ähnelten?<br />

Der Neoinstitutionalismus erklärt diesen Prozess damit,<br />

dass die neu gegründeten Nationalstaaten in Lateinamerika,<br />

in Afrika und Asien einer weitreichenden Verhaltensstandardisierung<br />

durch die Prinzipien der »World<br />

Polity« unterworfen seien. Nur über die Ausbildung von<br />

demokratischen Parteien, bürokratischen Verwaltungen,<br />

staatlich gelenkten Armeen, autonomen Universitäten<br />

oder am Bildungsideal orientierten Schulen könnte in<br />

den Nationalstaaten Legitimation erzeugt werden (vgl.<br />

Meyer 1992: 265ff).<br />

Diese Erklärung ist sicherlich überzeugend, lässt aber<br />

offen, wie dieser Prozess genau abläuft. Es spricht einiges<br />

dafür, dass Organisationen in den neu gegründeten Staaten<br />

deswegen entstanden sind, weil gerade die Organisationen<br />

in den ehemaligen Kolonialmächten nur mit<br />

ähnlich strukturierten Gebilden kommunizieren konn-<br />

ten. Dieser Prozess der Organisationsbildung kann als<br />

»Kontaktinfektion« bezeichnet werden.<br />

Der Prozess der Infektion bzw. Ansteckung ist in der<br />

sozialwissenschaftlichen Forschung über Management-<br />

Von Filial- zu Kontaktgründungen 88 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

dirk hupe, 2009. Werk-Nr. 0148_2009, 0149_2009, 0150_2009 2009, Aufbauansicht im Atelier, 2009, Hintergrundabbildung Fotoarbeit, 2008


moden gut herausgearbeitet worden (siehe auch die<br />

grundlegenden Arbeiten von Strang/Meyer 1993). In der<br />

Organisationsforschung besteht inzwischen ein gutes<br />

Verständnis dafür, wie sich Ideen, Techniken und<br />

Praktiken von einer Organisation zur anderen verbreiten.<br />

In Studien beispielsweise über die Verbreitung von<br />

Iso-Normen (vgl. Walgenbach 2000), des Konzepts des<br />

Lean Managements (vgl. Ortmann 1995) oder dem in der<br />

Entwicklungshilfe verbreiteten Konzept des Capacity<br />

Buildings (vgl. Kühl 2005) konnte gezeigt werden, wie<br />

schnell sich neue Vorstellungen von »gutem Management«<br />

in einem organisationalen Feld verbreiten konnten.<br />

Es gibt auch recht gute Vorstellungen davon, welche<br />

Rolle »institutionelle Unternehmer« wie Unternehmensberater<br />

oder wissenschaftliche Experten in diesem<br />

Infektionsprozess spielen (vgl. DiMaggio 1988). Bei ihrer<br />

Fokussierung auf Managementmoden hat die Organisationsforschung<br />

jedoch übersehen, dass schon der<br />

grundlegende Prozess der Organisationsentstehung sehr<br />

häufig über eine Kontaktinfektion läuft. Organisationen<br />

bilden sich deswegen aus, weil Organisationen am besten<br />

mit anderen Organisationen kommunizieren können.<br />

Kontaktinfektionen: Organisationen<br />

bilden sich deswegen aus, weil<br />

Organisationen am besten mit<br />

anderen Organisationen kommunizieren<br />

können.<br />

Eine solche Kontaktinfektion kann man beispielsweise<br />

bei der Entstehung der öffentlichen Verwaltung in Entwicklungsländern<br />

beobachten. Häufig wird übersehen,<br />

dass das Prinzip der öffentlichen Verwaltung besonders<br />

in den Ländern Afrikas, aber auch in vielen Ländern<br />

Asiens ein neues Prinzip war. In vielen Ländern – besonders<br />

in Afrika und Asien – bildeten sich die Rudimente<br />

einer eigenständigen Verwaltung erst in den le<strong>tz</strong>ten<br />

Jahren der kolonialen Herrschaft aus. Die Standard-<br />

argumentation ist, dass sich öffentliche Verwaltungen<br />

in Entwicklungsländern deswegen ausgebildet haben,<br />

weil sie die effizientesten Mechanismen zur Verwaltung<br />

eines Staatswesens seien. Es spricht jedoch vieles dafür,<br />

dass öffentliche Verwaltungen in Entwicklungsländern<br />

deswegen gebildet wurden, weil nur diese adäquate An-<br />

........<br />

sprechpartner für Organisationen aus dem Okzident<br />

waren.<br />

Bei Unternehmen hat sich die Forschung weitgehend<br />

auf transnationale Unternehmen konzentriert, die in<br />

Entwicklungsländern ihre Filialen unterhalten (vgl.<br />

Hymer 1972; Herkenrath 2003). Tendenziell übersehen<br />

wurde dabei jedoch ein immer wichtiger werdender<br />

Organisationsbildungsprozess. Die zunehmende Ausgliederung<br />

von Wertschöpfungsprozessen aus Großunternehmen<br />

führte dazu, dass die Prozesse durch Zulieferer<br />

erbracht werden mussten. Es spricht einiges dafür, dass<br />

diese Zulieferer sich nicht nur deswegen als Unternehmen<br />

etablierten, weil dies die effizienteste Wertschöpfungsform<br />

ist, sondern weil auch die Auftrag gebenden<br />

Unternehmen am besten mit Unternehmen<br />

kommunizieren können (vgl. für China Tsai 2003).<br />

Auch die explosionsartige Vermehrung von Nicht-<br />

regierungsorganisationen im 20. Jahrhundert kann<br />

wenigstens partiell mit dem Phänomen der Kontakt-<br />

infektion erklärt werden. Sowohl die Organisationen des<br />

Westens als auch des Süden können nur schwierig mit<br />

amorphen Gebilden wie »der Zielgruppe der verarmten<br />

Frauen«, der »Bewegung der Landlosen« oder gar der<br />

»Zivilgesellschaft« kommunizieren. Die Entstehung der<br />

Nichtregierungsorganisation sollte deswegen nicht nur<br />

als ein Organisierungsphänomen »von unten« verstanden<br />

werden, sondern auch als ein Prozess der Organisationsbildung,<br />

der durch die »Nachfrage« bereits existierender<br />

Organisationen nach handlungsfähigen Zusam-<br />

menschlüssen entstanden ist (vgl. dazu die Forschung<br />

über NGOs als »Bluff-Organisationen« Groffebert 1995).<br />

Man darf das Bild der Kontaktinfektion nicht, so<br />

Bronis<strong>la</strong>w Malinowski, als einen passiven Prozess verstehen,<br />

in dem ein Virus über ein soziales Gebilde kommt.<br />

Weil es sich bei Strukturierungsformen, Arbeitstechni-<br />

ken oder Organisationsmoden nicht um kleine Lebewesen<br />

handelt, die einen »sozialen Körper« befallen,<br />

läuft die Kontaktinfektion über einen aktiven Aneig-<br />

nungsprozess. Eine Idee, Arbeitsform oder Technik muss,<br />

so Malinowski, in der Kontroverse über die Diffusion von<br />

Kulturen von dem einen oder andren Akteur aktiv aufgegriffen<br />

werden. Anders könnte eine Idee sich nicht in<br />

einem sozialen System verbreiten (vgl. Malinowski 1927;<br />

siehe auch Brunsson 1997: 309).<br />

Von Filial- zu Kontaktgründungen 90 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Perspektiven einer Forschung über Kontaktinfektionen<br />

Die Kontaktinfektion kann nicht das alleinige Erklärungsmuster<br />

für die explosionsartige Verbreitung von<br />

Organisationen in der Weltgesellschaft sein. Aber gerade<br />

bei der Erklärung der Organisationsbildung in neu ent-<br />

stehenden Staaten nach dem Ende der Kolonialzeit (siehe<br />

z. B. Pakistan), bei erfolgreichen Abspaltungen von<br />

Nationalstaaten (siehe z. B. Bang<strong>la</strong>desch, GUS-Staaten,<br />

Eritrea) und bei den am »wenigsten entwickelten Staaten«<br />

Afrikas können die Organisationsbildungsprozesse<br />

über Kontaktinfektionen sehr gut erklärt werden.<br />

Organisationsbildungen über Kontaktinfektionen<br />

ermöglichen, so eine Hypothese, eine höhere und besonders<br />

eine schnellere Va<strong>ria</strong>bilität in den Organisationsmustern<br />

als die Organisationsbildung über Zellteilungen.<br />

Bei der durch Filialgründungen initiierten<br />

Zellteilung werden die Strukturen der Ursprungszelle<br />

häufig beibehalten. Die Zentrale behält häufig noch über<br />

längere Zeit die Kontrolle über die Filiale und erschwert<br />

die Ausbildung ganz eigener Organisationsmuster. Va<strong>ria</strong>-<br />

tionen bilden sich – wie die Beispiele von Abspaltungen<br />

von Klöstern oder die Verselbstständigung von Filial-<br />

unternehmen zeigen – recht <strong>la</strong>ngsam aus. Bei der Orga-<br />

nisationsbildung durch Kontaktinfektionen kommt es<br />

bereits im Aneignungsprozess zu eigenen Interpreta-<br />

tionen der ursprünglichen Organisationsmuster und damit<br />

zu einem höheren Maß an Va<strong>ria</strong>bilität. ¶<br />

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Parsons, Talcott (1986): Gesellschaften. Evolutionäre und komparative<br />

Perspektiven. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.<br />

Stichweh, Rudolf (2001): Die Weltgesellschaft – Strukturen eines<br />

globalen Gesellschaftssystems jenseits der Regionalkulturen der<br />

Welt. Luzern: unveröff. Ms.<br />

Strang, David; John W. Meyer (1993): Institutional Conditions for<br />

Diffusions. In: Theory and Society, Jg. 22, S. 487-511.<br />

Tsai, Kellee S. (2003): Coping by Innovating: The Formal Origins<br />

and Consequences of Informal Institutions in China. Baltimore:<br />

Paper prepared for the 2003 Annual Meeting of the American Political<br />

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Walgenbach, Peter (2000): Die normgerechte Organisation. Eine<br />

Studie über die Entstehung, Verbreitung und Nu<strong>tz</strong>ung der DIN EN<br />

ISO 9000er Normreihe. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.<br />

Von Filial- zu Kontaktgründungen 91 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Stefan Friedrichs, Mitglied der Geschäftsleitung der Public One GmbH & Co. KG, berät nationale und internationale<br />

Organisationen zu strategischen Reform- und Entwicklungsprojekten. Davor war er als Projektleiter<br />

bei der gemeinnü<strong>tz</strong>igen Bertelsmann Stiftung und als Projektmanager für Kooperationsprojekte für die<br />

Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH tätig.<br />

Stefan Jung, Dr. rer. pol., ist Mitglied der Geschäftsleitung der Public One GmbH & Co. KG und berät seit<br />

zehn Jahren öffentliche Organisationen in den Bereichen Good Governance und Capacity Development.<br />

Bei der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH ist er Mitglied im Facharbeitskreis<br />

Governance sowie Mitgründer der Capacity WORKS Academy. Außerdem lehrt Stefan Jung an der<br />

Leibniz Universität Hannover sowie an der Internationalen CVJM-Hochschule in Kassel.<br />

Stefan Friedrichs, Stefan Jung<br />

Das Unmögliche wird eine Weile dauern<br />

Die Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen als transnationale<br />

Utopie<br />

Angesichts von über einer Milliarde Menschen, die täglich<br />

von unter einem US$ oder weniger leben müssen<br />

und hungern, sowie von drei Milliarden Menschen, die<br />

von Armut betroffen sind1 , wirkt der philosophische<br />

Diskurs darüber, ob wir in der besten aller möglichen<br />

Welten leben (Leibniz 1710), zynisch. Die Gegenwart als<br />

eine »bestmögliche Gegenwart« zu beschreiben hieße,<br />

auf andere Möglichkeiten und Unmöglichkeiten zu verzichten.<br />

Durch so einen Verzicht verliert man allerdings<br />

jedwede Spannung, die entsteht, wenn man in Opposition<br />

oder in Differenz geht, also eine Unterscheidung<br />

trifft: etwa die zwischen der »bestmöglichen« und<br />

anders möglichen Möglichkeiten oder zwischen einer<br />

»besseren Zukunft« und einer »schlechteren Gegenwart«,<br />

zwischen »arm« und »reich«, zwischen »wir« und »die<br />

anderen«, zwischen »irgendwann einmal« und »je<strong>tz</strong>t<br />

noch nicht« oder eben zwischen einem wünschenswerten<br />

»Ziel« und dem »Status quo« mit seinem »Weiter so!«.<br />

Die Wirklichkeit und das Mögliche weniger an Objekten<br />

oder am Tatsächlichen fes<strong>tz</strong>umachen, sondern an der<br />

Operation des Unterscheidens ist das epistemologische<br />

Programm der Differenztheorie. Realität ist das Ergebnis<br />

einer Unterscheidung: Wer eine Unterscheidung trifft,<br />

der schafft ein ganzes Universum (vgl. Spencer Brown<br />

1997) und erzeugt dadurch erst eine andere Möglichkeit.<br />

Wer also denken kann, dass das Unmögliche immerhin<br />

als die andere Seite seines Gegenteils als Möglichkeit vor-<br />

gesehen werden muss, kann vielleicht mit dem Widerspruch<br />

leben lernen, dass man gerade das Unmögliche<br />

im System vorsehen muss, um dadurch die beste aller<br />

möglichen Welten zu erzeugen. Wir plädieren also dafür,<br />

unsere Welt nicht als eine »beste Welt« fes<strong>tz</strong>uschreiben<br />

und sie dem Lauf der Dinge zu über<strong>la</strong>ssen, sondern dafür,<br />

sie als ein selektives Arrangement zu begreifen, das<br />

zwar möglich ist, keineswegs aber andere »bessere Möglichkeiten«<br />

oder »Unmöglichkeiten« ausschließt.<br />

Die Liste transnationaler Krisen und struktureller Problem<strong>la</strong>gen,<br />

die eine andere Welt als wünschenswert er-<br />

scheinen lässt, ließe sich ohne Weiteres verlängern. Man<br />

würde dann die mangelnden Aussichten von Kindern<br />

in der Subsahara auf Grundbildung nennen, die globale<br />

Klimakatastrophe, die Tatsache, dass der Tod eines Kindes<br />

unter fünf Jahren in einem Entwicklungs<strong>la</strong>nd über<br />

Das Unmögliche wird eine Weile dauern 92 Revue für postheroisches Management / Heft 5


13 mal wahrscheinlicher ist als in einem Industrie<strong>la</strong>nd<br />

oder darauf hinweisen, dass über eine Milliarde Men-<br />

schen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben2 .<br />

Nach allgemein anerkannten humanitären Maßstäben<br />

leben wir nicht in einer »bestmöglichen Welt«, sondern<br />

eben nur in einer der möglichen aller möglichen Welten.<br />

Wir sind frei, bessere Wel<strong>tz</strong>ustände weiterhin für möglich<br />

zu halten und sogar aktiv dem Rad in die Speichen<br />

zu fallen, nicht wissend, was nach einer solchen Intervention<br />

dann passiert.<br />

Damit ist eine wichtige Frage aufgeworfen: Es wäre<br />

zu überlegen, was auf internationaler Ebene getan wird,<br />

um eine bessere Welt möglich zu machen? Dabei geraten<br />

die Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Natio-<br />

nen in den Fokus unserer Aufmerksamkeit, die eine<br />

transnationale Antwort auf die brennenden Fragen unserer<br />

Zeit darstellen. Sie können wohl als prominentester<br />

Versuch gewertet werden, eine bessere Welt zu ermöglichen.<br />

Allerdings wäre gleichsam mi<strong>tz</strong>ufragen, ob sol-<br />

che weltgesellschaftlichen Interventionen wie die Millen-<br />

niumsziele überhaupt dazu geeignet sind, Entwicklung<br />

zielgerichtet zu beeinflussen oder gar zu steuern? Wie<br />

machbar sind solche Absichten?<br />

Das utopische Jahrtausendprojekt: Die Entwicklungsziele<br />

der Vereinten Nationen<br />

Im September 2000 kamen 189 Mitgliedstaaten der Vereinten<br />

Nationen in New York zusammen und verabschiedeten<br />

mit der Millenniumserklärung einen verpflichtenden<br />

Katalog, in dem die weltweite Armutsbekämpfung,<br />

die Friedenserhaltung und -verbesserung sowie der globale<br />

Umweltschu<strong>tz</strong> als die wichtigsten Ziele der internationalen<br />

Gemeinschaft bestätigt wurden. Ein wesent-<br />

licher Bestandteil der Erklärung ist der Kampf gegen<br />

extreme Armut, die nicht allein als Einkommensarmut,<br />

sondern sehr viel umfassender als Mangel an Chancen<br />

und Möglichkeiten verstanden wird. Die in der Erklärung<br />

festgeschriebenen acht Entwicklungsziele reichen<br />

von der weltweiten Halbierung extremer Armut (als extrem<br />

arm gelten Menschen, die täglich von unter einem<br />

US$ leben müssen) über eine nachhaltige Erhöhung der<br />

Maßnahmen gegen die Verbreitung von HIV/AIDS bis<br />

hin zur Sicherung der Grundbildung für alle Kinder weltweit.<br />

Alle Ziele sollen bis 2015 erreicht werden.<br />

Viele Kritiker halten die Ziele der Millenniumserklä-<br />

rung für überambitioniert und unrealistisch. Sie seien<br />

Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen<br />

1. Extreme Armut und Hunger beseitigen<br />

2. Grundschu<strong>la</strong>usbildung für alle Kinder gewährleisten<br />

3. Gleichstellung und größeren Einfluss der Frauen fördern<br />

4. Die Kindersterblichkeit senken<br />

5. Die Gesundheit der Mütter verbessern<br />

6. HIV/Aids, Ma<strong>la</strong><strong>ria</strong> und andere Krankheiten bekämpfen<br />

7. Eine nachhaltige Umwelt gewährleisten<br />

8. Eine globale Partnerschaft im Dienst der Entwicklung schaffen<br />

geradezu utopisch3 , versuchen sie doch, zuweilen widersprüchliche<br />

Ziele miteinander in Eink<strong>la</strong>ng zu bringen. In<br />

Widerspruch zur Gleichstellung der Geschlechter kann<br />

etwa die kulturelle und religiöse Selbstbestimmung geraten,<br />

wenn Männern und Frauen in der jeweiligen Religion<br />

unterschiedliche Rollen aufgrund ihres Geschlechts<br />

zugeschrieben werden. Zwar ist die religiöse Selbstbestimmung<br />

kein explizites Millennium-Entwicklungsziel,<br />

allerdings ist der Begriff des »Ownerships« ein wesentliches<br />

Prinzip im Rahmen der angestrebten globalen Entwicklungspartnerschaft<br />

(Ziel 8). Als utopisch werden die<br />

Millenniumsziele beispielsweise auch deshalb bezeich-<br />

net, weil sie etwa die Verbesserung der Grundbildung von<br />

Kindern bei gleichzeitiger Erhöhung des Familienein-<br />

kommens beabsichtigen. Dabei vernachlässigen sie aber,<br />

dass sich in bestimmten Regionen dieser Welt durchaus<br />

alle Familienmitglieder an der Erwirtschaftung des Familieneinkommens<br />

beteiligen müssen und dass ein Schulbesuch<br />

deshalb durchaus zur Verringerung des Einkommens<br />

beitragen kann, wodurch eine bestimmte Seite der<br />

Armut dann sogar vergrößert wird. Genau das sei das Problem<br />

an der Millenniums-Utopie, sagt William Easterly,<br />

ein ehemaliger Weltbank-Ökonom. »It is promising more<br />

than you can deliver. It is seeing an easy and sudden answer to<br />

long-standing, complex problems. It is trying to solve everything<br />

at once through an administrative apparatus headed by ›world<br />

leaders.‹ It p<strong>la</strong>ces too much faith in altruistic cooperation«<br />

(Easterly 2005). Vor allem also in der fehlenden Machbarkeit<br />

der Millenniumsziele sehen Kritiker wie Easterly ein<br />

überzeugendes Argument gegen das UN-Jahrtausendpro-<br />

1 Vgl. web.worldbank.org/ WBSITE/EXTERNAL/DATASTATISTICS<br />

(Juni 2009)<br />

2 Vgl. United Nations 2009, Fact sheets zu den Millennium Development<br />

Goals<br />

3 Vgl. insbesondere Easterly, W (2005): The Utopian Nightmare.<br />

In: Foreign Policy (September/October), Volume 150, p. 58-64<br />

Das Unmögliche wird eine Weile dauern 93 Revue für postheroisches Management / Heft 5


jekt und damit gegen den aktiven Versuch, Armut zu ver-<br />

ringern und die Welt besser zu machen.<br />

Der Status quo<br />

Will man sich einen Überblick über den gegenwärtigen<br />

Stand der globalen Entwicklungspartnerschaft zwischen<br />

armen und reichen Ländern machen, dann stößt man<br />

vor allem auf eine Vielzahl ökonomischer Kennzah-<br />

len und Finanzindikatoren. Entwicklung, so könnte man<br />

meinen, sei vor allem eine ökonomische Kategorie. Des-<br />

halb argumentieren Protagonisten und Kritiker der Mil-<br />

lenniums-Entwicklungsziele oftmals beide auf Basis ökonomischer<br />

Denkfiguren. Die Kritiker mokieren, dass die<br />

Realisierung der Millenniumsziele eher einem »Utopian<br />

Nightmare« gleiche, weil sie die Aktivierung von Inves-<br />

titionsvolumina vorausse<strong>tz</strong>t, die für viele Entwicklungs-<br />

länder nicht erreichbar seien. Und seitens der Geberländer<br />

handelt sich das Millenniumsprojekt vor allem um<br />

Wunschdenken. Durch die Festschreibung des Ziels, eine<br />

globale Entwicklungspartnerschaft aufzubauen, erkannten<br />

die Industrieländer zwar zunächst an, dass eine in<br />

Umfang und Qualität verbesserte Entwicklungszusammenarbeit<br />

zur finanziellen Unterstü<strong>tz</strong>ung der Anstrengungen<br />

der Empfängerländer erforderlich sei. Allerdings<br />

ließen nur wenige der Geberländer auf ihre Worte entsprechende<br />

Taten folgen. Die Industrienationen gingen<br />

also hinsichtlich der Erhöhung der Entwicklungszusam-<br />

menarbeit in den le<strong>tz</strong>ten Jahren ehrgeizige und auch<br />

quantifizierbare Verpflichtungen ein. Viele Staaten halten<br />

ihre gegeben Zusagen bisher aber nicht in vollem<br />

Umfang ein, und dem Wünschen folgt bisher keine »bessere<br />

Welt« – jedenfalls nicht, was die entwicklungspolitische<br />

Grundarchitektur anbetrifft.<br />

Entwicklung, so könnte man meinen,<br />

sei vor allem eine ökonomi-<br />

sche Kategorie. Deshalb argumen-<br />

tieren Protagonisten und Kritiker<br />

der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

oftmals beide auf Basis ökonomischer<br />

Denkfiguren.<br />

...........<br />

Wenn von den Geberländern mehr versprochen wird, als<br />

man zu liefern bereit ist, wird dies von einer interes-<br />

sierten Weltöffentlichkeit beobachtet. Die jährlich veröffentlichten<br />

Berichte der Nichtregierungsorganisationen<br />

überprüfen deshalb, in welchem Umfang die Geberlän-<br />

der den Verpflichtungen nachkommen, die sie zur Um-<br />

se<strong>tz</strong>ung der Millenniums-Entwicklungsziele eingegangen<br />

sind. Auch andere Vereinbarungen, wie etwa die Zusa-<br />

gen des G8-Gipfels von Gleneagles aus dem Jahre 2005,<br />

stehen in dieser Weise auf dem Prüfstand. Jüngste Berechnungen<br />

zeigen, dass die G8-Staaten aktuell bisher<br />

nur ein Drittel der finanziellen Zusagen zur Entwicklungsarbeit<br />

erfüllt haben. So stellten sie bisher erst sieben<br />

der bis 2010 zugesagten 21,5 Milliarden US$ bereit. 4<br />

Bei gleichbleibenden Investitionsvolumina liegen die<br />

G8-Staaten mit ihren Zusagen bis 2010 bzw. der Um-<br />

se<strong>tz</strong>ung der Entwicklungsziele bis 2015 kollektiv hinter<br />

dem P<strong>la</strong>n. Die Nicht-Machbarkeit der Weltverbesserung<br />

scheint sich also zu bestätigen.<br />

Unter den einzelnen Gebern gibt es gleichwohl große<br />

Unterschiede, sowohl hinsichtlich des Umfangs ihrer ursprünglichen<br />

Zusagen als auch was die bisherige Umse<strong>tz</strong>ung<br />

ihrer Verpflichtungen angeht. Im Ganzen gesehen<br />

waren die Zusagen der europäischen G8-Mitglieder<br />

umfangreicher, wurden aber bisher auch in geringerem<br />

Umfang realisiert. Großbritannien und Deutsch<strong>la</strong>nd gehen<br />

hier mit gutem Beispiel voran, Italien und Frankreich<br />

liegen weit hinter dem P<strong>la</strong>n. Kanada, Japan und die<br />

USA machten vergleichsweise geringe Zusagen, sind bei<br />

deren Erfüllung aber schon recht weit.<br />

Durch die Verpflichtung der Staaten, eine globale Entwicklungspartnerschaft<br />

zu etablieren, unterstrichen die<br />

Länder unmissverständlich die Bedeutung der Unterstü<strong>tz</strong>ung<br />

des Prozesses von außen. Der Geist dieser Verpflichtung<br />

wurde seitdem in mehreren internationalen Vereinbarungen<br />

erneuert. 2002 entschieden sich die reichen<br />

Länder auf der Internationalen Konferenz zur Finanzierung<br />

von Entwicklung im mexikanischen Monterrey, 0,7<br />

Prozent ihres Bruttosozialprodukts für die Entwicklungs-<br />

zusammenarbeit auszugeben. 2005, auf dem G8-Gipfel in<br />

Gleneagles, vereinbarten acht der reichsten Nationen der<br />

Welt, bis 2010 zusä<strong>tz</strong>liche 50 Milliarden US$ für die Entwicklungszusammenarbeit<br />

zur Verfügung zu stellen, die<br />

Hälfte davon (zusä<strong>tz</strong>liche 25 Milliarden US$) für die afri-<br />

kanischen Länder südlich der Sahara. Auch wenn die globalen<br />

Ziele bisher nicht erreicht wurden, gab es in den<br />

Das Unmögliche wird eine Weile dauern 94 Revue für postheroisches Management / Heft 5


vergangenen Jahren große Anstrengungen, die Mittel für<br />

den Kampf gegen die Armut aufzustocken. Nach Angaben<br />

des Entwicklungshilfeausschusses der OECD stellten<br />

die reichen Länder 2008 weltweit 111 Milliarden US$<br />

an Entwicklungsgeldern für arme Länder bereit. Davon<br />

waren 36 Milliarden US$ speziell für die afrikanischen<br />

Länder südlich der Sahara bestimmt. Das bedeutet einen<br />

Zuwachs von 9,4 Milliarden US$ gegenüber 2004.<br />

Aber dennoch, tro<strong>tz</strong> dieser gemeinsamen Anstren-<br />

gungen existiert nach wie vor der Einwand gegen die<br />

generelle Wirksamkeit von »Entwicklungshilfe«, weil<br />

Entwicklung eben nicht in »Finanzvolumina« allein ge-<br />

messen werden kann. Geberländer lenken Ihre Investitionen<br />

nicht in nachhaltige Entwicklungsprozesse,<br />

sondern missbrauchen diese Finanzmittel für eigene<br />

geopolitische Zwecke. 5 Aus diesem Grund folgern Beob-<br />

achter wie Easterly, Investitionen in die Entwicklungs-<br />

zusammenarbeit seien per se unwirksam. Schaut man<br />

auf viele aktuelle Programmansä<strong>tz</strong>e und Projekte, zeigen<br />

diese jedoch auch, welch beeindruckenden Ergebnisse<br />

Entwicklungszusammenarbeit auf der anderen Seite liefern<br />

kann. Und angesichts der Folgen der globalen Finanzkrise<br />

und der gestiegenen Nahrungsmittelpreise,<br />

unter denen die armen Länder leiden, ist es zudem wichtiger<br />

denn je, die Einhaltung eingegangener Verpflichtungen<br />

und die Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit<br />

von unabhängiger Seite zu überwachen.<br />

Die Chance<br />

Tro<strong>tz</strong> der ernüchternden Sprache der Zahlen gibt es weltweit<br />

gute Beispiele dafür, dass Investitionen in die Entwicklung<br />

greifbare Ergebnisse bringen und das Leben<br />

von Millionen verbessern. So wurden dank der bereitgestellten<br />

Mittel in Höhe von fast 10 Milliarden US$<br />

seit 2002 deutliche Fortschritte bei der Bekämpfung von<br />

Aids, Tuberkulose und Ma<strong>la</strong><strong>ria</strong> erzielt. Beispielsweise erhielten<br />

zwei Millionen HIV-positive Afrikaner mehr eine<br />

antiretrovirale Behandlung. 6 Allein aus Mitteln des Globalen<br />

Fonds wurden 70 Millionen Mosk<strong>ito</strong>ne<strong>tz</strong>e zum<br />

Schu<strong>tz</strong> vor Ma<strong>la</strong><strong>ria</strong> verteilt und damit die Zahl der Ma<strong>la</strong><strong>ria</strong>toten<br />

in Ländern wie Äthiopien, Ruanda und Kenia<br />

drastisch gesenkt. Auch im Bildungssektor waren große<br />

Fortschritte zu verzeichnen. 34 Millionen afrikanische<br />

Kinder besuchten zwischen 1999 und 2006 erstmals eine<br />

Schule. Ermöglicht wurde dies zum Teil durch die im<br />

Rahmen der Schuldener<strong>la</strong>sse frei werdenden Gelder und<br />

die zielgerichtet in den Ausbau der Bildungssysteme investierten<br />

Entwicklungsgelder, durch die in vielen Ländern<br />

die Grundschulgebühren abgeschafft und so die<br />

Schulen für die Kinder der Ärmsten geöffnet werden<br />

konnten. All dies wurde erreicht, obwohl nur ein Teil der<br />

den armen Ländern zugesagten Mittel tatsächlich ausgezahlt<br />

wurden. Das vermittelt eine Vorstellung davon,<br />

was möglich wäre, wenn alle Zusagen hinsichtlich der<br />

Aufstockung der Entwicklungszusammenarbeit eingehalten<br />

und die Mittel mit maximaler Wirksamkeit eingese<strong>tz</strong>t<br />

würden. Die internationale Gemeinschaft betont<br />

deshalb die Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit<br />

für den Kampf gegen extreme Armut.<br />

Darüber hinaus entwickeln viele Geberländer und -in-<br />

stitutionen innovative Instrumente, um Entwicklungszie-<br />

le zu finanzieren und die vorhandenen Mittel wirksamer<br />

einzuse<strong>tz</strong>en. So sind beispielsweise im Gesundheitssektor<br />

neue Initiativen darauf ausgelegt, die Gelder wirksamer<br />

für die Bekämpfung spezieller Krankheiten einzuse<strong>tz</strong>en<br />

und vorab zu garantieren, dass für Medikamente,<br />

die für Länder produziert werden, die sich den Kauf teurer<br />

neuartiger Medikamente nicht leisten können, auch<br />

tatsächlich ein Markt existiert. Als ein neues Finanzierungsinstrument<br />

wurde in acht Ländern eine kleine Abgabe<br />

auf Flugtickets eingeführt. Diese Gebühr wird von<br />

UNITAID, einer internationalen Einrichtung zum Er-<br />

werb von Medikamenten gegen HIV/AIDS mit Si<strong>tz</strong> in<br />

Genf, eingese<strong>tz</strong>t, um den kostengünstigen Zugang zu<br />

lebensrettenden Medikamenten in Entwicklungsländern<br />

sicherzustellen. Neu daran ist nicht nur die Art der<br />

Bereitstellung der Mittel, sondern auch deren Beschaf-<br />

fung. Im Klimabereich werden mit dem Verkauf von<br />

Emissionsrechten an die Industrie durch die deutsche<br />

Regierung Anpassungsmaßnahmen und allgemeine<br />

Entwicklungsvorhaben in den ärmsten Ländern finanziert.<br />

7 Wird dieses Modell auch bald von anderen europäischen<br />

Ländern übernommen, könnte dieser Ansa<strong>tz</strong><br />

möglicherweise auch weltweit Schule machen.<br />

4 Zahlen auf www.un-millenniumkampagne.de<br />

5 Franz Nuscheler: Die umstrittene Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit.<br />

Duisburg: Institut für Entwicklung und Frieden,<br />

Universität Duisburg_Essen (INEF_Report 93/2008)<br />

6 Analyse des DATA Berichtes 2008 von ONE, einer internationalen<br />

Kampagnenorganisation, welche die Zusagen der G8-Staaten<br />

kontinuierlich überprüft. www.one.org/c/de/issuebrief/1811/<br />

7 Siehe dazu www.unitaid.eu/en/Innovative-financing.html<br />

Das Unmögliche wird eine Weile dauern 95 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Zwischen Utopie und operativem Programm?<br />

Damit in diesem Rahmen begonnene Programme weiter<strong>la</strong>ufen<br />

und die bereits erzielten Fortschritte verstetigt<br />

werden können, wäre nunmehr eine intelligente und<br />

wirksame Entwicklungszusammenarbeit vonnöten, die<br />

nicht allein auf einer Erhöhung der Finanzmittel abzielt,<br />

sondern zudem nach den Bedingungen der Möglichkeit<br />

fragt, dass die generelle »Capacity« Entwicklungsprozesse<br />

zu initiieren, und nachhaltig zu gestalten, bei allen<br />

Akteuren verbessert wird. Gefragt ist nach einer strategischen<br />

Orientierung in der Entwicklungspolitik und<br />

nicht unbedingt nach mehr Finanzmittel, wenngleich<br />

Geld sicherlich einer der wesentlichen Rohstoffe ist. 8<br />

Das Zentrum für Armutsbekämpfung des UN-Ent-<br />

wicklungsprogramms se<strong>tz</strong>t sich in einem aktuellen<br />

Arbeitspapier »Are the MDGs [Millennium Development<br />

Goals, Anm. d. Red.] Priority in Development Strategies and Aid<br />

Programmes? Only Few Are!« 9 kritisch mit den bestehenden<br />

Umse<strong>tz</strong>ungsstrategien auseinander. Noch immer k<strong>la</strong>fft<br />

eine große Lücke zwischen dem politischen Anspruch<br />

der Millenniums-Entwicklungsziele und ihrer tatsächlichen<br />

Verankerung in den nationalen Armutsbekämpfungsstrategien<br />

sowie in den Programmen der Entwick-<br />

lungsorganisationen. Basierend auf einer Analyse von<br />

mehr als 40 ausgewählten Strategiepapieren zur Armuts-<br />

bekämpfung sowie Programmen der bi<strong>la</strong>teralen Zusam-<br />

menarbeit, kommt der Bericht zu dem Schluss, dass die<br />

meisten Strategien zwar stark auf Aspekte des wirtschaftlichen<br />

Wachstums und der staatlichen Investitionen<br />

im Gesundheitsbereich abzielen, andere Aspekte wie<br />

menschenwürdige Arbeit, Ernährung und Umweltfragen<br />

aber unterbeleuchtet bleiben. Gleiches gilt für Fragen<br />

bezüglich der nationalen Governance-Strukturen. Good<br />

Governance wird häufig alleinig unter dem Blickwinkel<br />

der Rechtstaatlichkeit als wichtige Vorrausse<strong>tz</strong>ung für<br />

ausländische Direktinvestitionen verstanden. Der starke<br />

Fokus auf Wirtschaftswachstum vernachlässigt somit<br />

Aspekte des gerechten und partizipativen Zugangs<br />

zu demokratischen Entwicklungsprozessen.<br />

Gemessen an den konkreten Erfolgen der Entwicklungszusammenarbeit<br />

und der Umse<strong>tz</strong>ung der Millenniums-Entwicklungsziele,<br />

ist es sicherlich mehr als<br />

nachvollziehbar, dass die Beobachter kritisch zwischen<br />

Anspruch und Wirklichkeit zu unterscheiden wissen.<br />

Ob man mit Easterly allerdings aufgrund fehlender<br />

Machbarkeit von einem »utopischen Albtraum« spre-<br />

chen sollte, bleibt indes fragwürdig. Zu fragen wäre ja,<br />

ob Machbarkeit und Zielerreichung überhaupt als geeignete<br />

Prinzipien taugen, um eine globale Interventionsstrategie<br />

wie die Millenniums-Entwicklungsziele zu be-<br />

urteilen, oder ob nicht gerade das Utopische darin ein<br />

geeigneter Attraktor ist, um weltweite Interessens<strong>la</strong>gen<br />

zu koordinieren? Denn um so eine Koordinationsleistung<br />

geht es, will man die Vielzahl unterschiedlicher interessengeleiteter<br />

Akteure zukünftig auf ein gemeinsames<br />

Ziel hin ausrichten. So eine Ausrichtung kann nicht<br />

hierarchisch verordnet werden, sondern muss in einem<br />

wechselseitig zu koordinierenden Abstimmungsprozess<br />

ausgehandelt werden. Ein gemeinsamer Orientierungs-<br />

punkt wird dabei unerlässlich sein – ganz egal wie<br />

utopisch er zunächst anmutet (Jung/Hoebel/Friedrichs<br />

2009, im Erscheinen).<br />

Le<strong>tz</strong>tlich geht es um die alte Frage nach der Funktion<br />

von Utopien. Sind Utopien nur dann tragfähig, wenn<br />

man sie umse<strong>tz</strong>en kann und wenn man unmittelbar auf<br />

Verwertung und Machbarkeit umschalten kann? In einer<br />

Welt, die sich daran gewöhnt hat, primär die ökonomischen<br />

Verwertungszusammenhänge in den Blick zu<br />

nehmen, und nach dem Nu<strong>tz</strong>en fragt, stehen Utopien<br />

zunächst nicht hoch im Kurs, und deshalb sind sie gefährdet,<br />

aussortiert zu werden. Aber was verliert man,<br />

wenn das Unmögliche nicht als Möglichkeit vorkommen<br />

darf, weil das Primat der Machbarkeit absolut gese<strong>tz</strong>t<br />

wird?<br />

Weltweite Interessens<strong>la</strong>gen zu koordinieren, erfordert<br />

mehr als Einigkeit und ein gemeinsames messbares Ziel,<br />

das sich vor allem durch Machbarkeit auszeichnet. Es<br />

geht nicht darum, dass ein verhandeltes Ziel nur dann<br />

sinnvoll ist, wenn es auch umgese<strong>tz</strong>t werden kann. Sondern<br />

es geht darum, dass bereits der Verhandlungsprozess,<br />

innerhalb dessen das Ziel als Ziel festgeschrieben<br />

wird, eine Intervention ist, die die Weltgesellschaft verändert.<br />

Entwicklung kann man nicht p<strong>la</strong>nen, aber der<br />

P<strong>la</strong>n kann als Intervention in einen Entwicklungsprozess<br />

die Entwicklung beflügeln. Aus diesem Grund soll-<br />

ten die Millenniums-Entwicklungsziele auch weniger<br />

als operatives Programm missverstanden werden, dessen<br />

Umse<strong>tz</strong>ung man dann messen und bei Nichterreichung<br />

als unnü<strong>tz</strong>lich verwerfen sollte. Vielmehr besteht ihre<br />

Nü<strong>tz</strong>lichkeit, wenn man so will, in ihrer strategischen<br />

und Orientierung stiftenden Wirkung. Sie richten aus,<br />

sie motivieren, sie dienen als Entscheidungsprämisse –<br />

Das Unmögliche wird eine Weile dauern 96 Revue für postheroisches Management / Heft 5


und zwar transnational. Natürlich haben sie noch keinen<br />

Ort in dieser Welt, vielleicht sind sie sogar nach-<br />

weisbar unmöglich, nicht machbar oder bleiben <strong>la</strong>ngfristig<br />

unerreicht. In diesem Sinne sind sie utopisch,<br />

ohne Topos, ohne Ort. Aber, so ist es mit jeder strate-<br />

gischen Orientierung. Sie entfaltet Ihre Kraft aus der<br />

Spannung, die aus der Differenz zwischen dem Wünschbaren<br />

und dem Tatsächlichen entsteht. Und Kraft wird<br />

man brauchen, wenn man die Welt ändern will.<br />

Um diese Utopie zu behaupten,<br />

zu wünschen, zu verurteilen oder<br />

gar an ihrer Verwirklichung zu<br />

arbeiten, muss man aber einigermaßen<br />

festen Boden unter den<br />

Füßen haben.<br />

Befragt man den Weltveränderer und Reformator Martin<br />

Luther nach der Kraft des Utopischen, dann bestand<br />

die Pointe für ihn darin, solche utopischen Orientierungen<br />

nicht als ein Sein, als einen fertigen und gewisser-<br />

maßen zeitlosen Zustand zu begreifen, sondern als operativen<br />

Prozess, als ein Werden. »Das Leben ist nicht<br />

Frommsein, sondern ein Frommwerden, nicht eine Ge-<br />

sundheit, sondern ein Gesundwerden, nicht ein Sein,<br />

sondern ein Werden, nicht eine Ruhe, sondern eine<br />

Übung. Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber« (Eulenberger<br />

2004: 183). In diesem Sinne entfalten die Millenniums-Entwicklungsziele<br />

ihre Kraft vor allem dann,<br />

wenn man sie als strategischen Orientierungsrahmen<br />

konzeptionalisiert, der eine transnationale Koordinationsleistung<br />

erbringt in einem Governance-Arrangement,<br />

bei dem wechselseitige Bindung und Koor-<br />

dination ansonsten aufgrund der vielfältigen Interessens<strong>la</strong>gen<br />

schwierig ist – gerade weil zu schnell auf<br />

Machbarkeit und Operationalisierung gese<strong>tz</strong>t wird. Sie<br />

sind eine Übung, kein Sein, sondern ein Werden. Weltweit<br />

brauchen wir deshalb solche »Nicht-Orte«. Aber wir<br />

brauchen sie eben nicht als »Ziele« oder »Prognosen«,<br />

sondern als »Attraktor«, als etwas, was uns in die Zukunft<br />

zieht bzw. als etwas, das über uns selbst hinausweist<br />

und gerade aus dem Nein zum Status quo den Reiz<br />

bezieht.<br />

..........<br />

Der Soziologie sind solche weltgesellschaftlichen Unterbrechungen<br />

und Zwischenrufe nicht fremd. Sie sind in<br />

der Weltgesellschaft fest eingebaut und dienen gewissermaßen<br />

der nü<strong>tz</strong>lichen Instabilisierung, weil man »nein«<br />

sagen kann, nein zum Status quo, nein zur weltweiten<br />

Art und Weise des Wirtschaftens, nein zur Praxis der<br />

Nahrungsmittelproduktion, nein zu den herrschenden<br />

Bildungschancen usw. Denn normalerweise würde man<br />

in Systemen davon ausgehen, dass alles so bleibt, wie es<br />

ist, weil man ohnehin schon in der »besten aller mög-<br />

lichen Welten« lebt, und man daher auf Reproduktion<br />

se<strong>tz</strong>t, an Bestehendes anschließt. Es würde »die An-<br />

nahme von Selektionsvorschlägen erwartet« (Luhmann<br />

1984: 506f.), weil es sonst nicht weitergeht. Aber, so dokumentiert<br />

jedes Nein und jeder Protest, die Möglichkeit<br />

der Ablehnung ist wichtig. Denn sie immunisiert das<br />

System nicht etwa gegen das Nein, »sondern mit Hilfe<br />

des Neins; es schü<strong>tz</strong>t sich nicht gegen Änderungen,<br />

sondern mit Hilfe von Änderungen gegen Erstarrung in<br />

eingefahrenen, aber nicht mehr umweltadäquaten Verhaltensmustern«<br />

(ebd.). Dass die gegenwärtigen weltgesellschaftlichen<br />

Muster auf Dauer umweltadäquat<br />

sind, g<strong>la</strong>ubt niemand. Deshalb gibt es die Millenniums-<br />

Entwicklungsziele als transnationale Utopie. Um diese<br />

Utopie zu behaupten, zu wünschen, zu verurteilen oder<br />

gar an ihrer Verwirklichung zu arbeiten, muss man aber<br />

einigermaßen festen Boden unter den Füßen haben.<br />

Denn irgendeinen Ort muss der Nicht-Ort ja haben –<br />

warum nicht unseren? ¶<br />

8 Franz Nuscheler: Die umstrittene Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit.<br />

Duisburg: Institut für Entwicklung und Frieden,<br />

Universität Duisburg_Essen (INEF_Report 93/2008)<br />

9 International Poverty Centre, United Nations Development<br />

Programme, Working Paper number 48, 2008<br />

Easterly, W (2005): The Utopian Nightmare. In: Foreign Policy<br />

(September/October), Volume 150, p. 58-64.<br />

Eulenberger, K.(2004): 19. Morgenandacht am 1. März 2003 in<br />

der Ev. Akademie zu Berlin-Niko<strong>la</strong>ssee. In: Steffensky (Hrsg.):<br />

Große Schwester Hoffnung. Über Nieder<strong>la</strong>gen und Gelingen.<br />

Zeitdiagnosen, Band 7. LIT Ver<strong>la</strong>g, Münster, S. 183.<br />

Jung, St. / Hoebel, Th. / Friedrichs, St. (2009, im Erscheinen):<br />

Governance, Consulting – Beratung in multireferentiellen Kontexten.<br />

Metropolis-Ver<strong>la</strong>g, Marburg.<br />

Leibniz, G. W. (1710), Neuauf<strong>la</strong>ge 2009: Die Theodizee. Philosophische<br />

Schriften, Band 2.1. Herring, H. (Hrsg.), französisch und<br />

deutsch. Suhrkamp, Frankfurt am Main.<br />

Luhmann, N. (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen<br />

Theorie. Suhrkamp, Frankfurt am Main.<br />

Spencer Brown, G (1997): Gese<strong>tz</strong>e der Form (T. Wolf, Trans.).<br />

Bohmeier Ver<strong>la</strong>g, Lübeck.<br />

Das Unmögliche wird eine Weile dauern 97 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Eva Kiefer, geboren 1974 in Salzburg, arbeitete ab Anfang der 90er als Regieassistentin und später als Regisseurin<br />

in Berlin, München und Wien und wechselte gegen Ende der 90er ganz in den Bereich der internationalen<br />

Koproduktionen und Festivals. Von 2001 bis 2005 war sie bei den Berliner Festspielen im künstlerischen Leitungsteam<br />

der »Festwochen« und »spielzeiteuropa«. Daran schloss sich das Studium der Philosophie und Kulturreflexion<br />

an der Universität Witten/Herdecke an. Zurzeit entwickelt sie mit dem MZW das Programm des Kongresses<br />

»X-Organisationen« und kuratiert am PACT-Zollverein in Essen das Projekt »Vom Nu<strong>tz</strong>en der Kunst«.<br />

Eva Kiefer im Gespräch mit Nele Hertling und Stefan Schmidtke<br />

Die kapieren ja überhaupt nichts!<br />

... zu Aspekten des Internationalen im Theater<br />

Ort und Zeit der Handlung<br />

Akademie der Künste, Hanseatenweg, Berlin.<br />

Ein Tag im Juni 2009.<br />

Die Bühne<br />

Ende der 80er-Jahre haben sich im westeuropäischen<br />

Raum einige Theater und Festivals zusammengetan, um<br />

Theater- und Tanzproduktionen zu entwickeln. Sie wurden<br />

gemeinsam finanziert und bei allen Koproduzenten gezeigt;<br />

heute würde man dazu Ne<strong>tz</strong>werk sagen. In einem<br />

viersprachigen Magazin, der Theaterschrift, das ab 1992<br />

vom Hebbel-Theater in Berlin, Felix Meritis in Amsterdam,<br />

Kaaitheater aus Brüssel, Theater am Turm in Frankfurt und<br />

den Wiener Festwochen herausgegeben wurde, beäugte<br />

man im Vorwort der ersten Ausgabe, was man bisher ge-<br />

macht hatte, und sah darin Sinn: »Die Theaterschrift ist das<br />

Ergebnis einer internationalen Zusammenarbeit verschie-<br />

dener Theater, die sich in den le<strong>tz</strong>ten Jahren entwickelt hat.<br />

Aus ähnlich ge<strong>la</strong>gerten Interessen für einige Künstler ist<br />

ein gemeinsames Engagement für deren künstlerische Arbeit<br />

gewachsen. Die daraus resultierende Zusammenarbeit<br />

kommt vor allem in Koproduktionen, <strong>la</strong>ngfristigen Verbindungen<br />

mit Künstlern und einem koordinierten Austausch<br />

von Vorstellungen zum Ausdruck.« In diesem Ne<strong>tz</strong>werk, in<br />

dem Theater und einige Festivals aus Deutsch<strong>la</strong>nd, Österreich,<br />

Schweiz, Frankreich, Belgien und den Nieder<strong>la</strong>nden<br />

zusammenarbeiten, haben sich durch kontinuierliche Ko-<br />

operationen Ästhetiken entwickelt, die die europäische<br />

Theater<strong>la</strong>ndschaft in den 90er-Jahren ganz wesentlich geprägt<br />

haben. Und le<strong>tz</strong>tlich sind wesentliche Fördertöpfe<br />

der EU für internationale Theaterarbeit aufgrund und in<br />

Anlehnung an diese Initiativen entstanden. Denn neben<br />

der Ästhetik haben sich auch Produktionsstrukturen ent-<br />

wickelt, die es vorher in den voneinander getrennten Thea-<br />

terszenen, mit ihren sehr unterschiedlichen Arbeitsweisen,<br />

nicht gab. Jedes Land, jedes Theater erarbeitete in sei-<br />

ner Struktur, mit seinen Leuten, seine Produktionen. Im<br />

deutschsprachigen Raum gab und gibt es die Staats-, Landes-<br />

und Stadttheater, jedes mit festem Ensemble und<br />

seinem ganz speziell deutschen Repertoirebetrieb. Neben<br />

diesen »festen« Häusern gab und gibt es die Freie Szene,<br />

früher Off-Theater genannt, die mit mehr oder weniger<br />

öffentlicher Förderung produziert. Auch die Freie Szene hat<br />

eigene Theaterhäuser, die als Struktur eine geringe öffent-<br />

liche Förderung bekommen, aber kaum über eigene Produktionsgelder<br />

verfügen. Sie zeigen die Produktionen der<br />

Eva Kiefer im Gespräch mit Nele Hertling und Stefan Schmidtke 98 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Die Gesprächsteilnehmer: Nele Hertling, Stefan Schmidtke, Eva Kiefer. Foto: Eva Kiefer<br />

Freien Szene und koproduzieren untereinander. Ein eigenes<br />

festes künstlerisches Personal haben sie, jenseits der künst-<br />

lerischen Leitung und im Unterschied zu den Staats-,<br />

Landes- und Stadttheater, aber nicht. Seit einigen Jahren<br />

koproduzieren auch die großen, festen Theater oftmals mit-<br />

einander und gehen international auf Gastspiel. Die le<strong>tz</strong>te<br />

Entwicklung in diese Richtung wurde gerade eben durch<br />

die Kulturstiftung des Bundes mit dem Fonds Wanderlust<br />

institutionalisiert. Darüber bekommen die festen Häuser<br />

Unterstü<strong>tz</strong>ung, wenn sie über drei Jahre hinweg mit einem<br />

Theater im Aus<strong>la</strong>nd zusammenarbeiten. Neben den festen<br />

und freien Theatern gibt es inzwischen eine unüberschau-<br />

bare Anzahl an Theater- und Tanzfestivals – auch eine Entwicklung<br />

der le<strong>tz</strong>ten 15 Jahre und als »Festivalities« bek<strong>la</strong>gt.<br />

Die Bese<strong>tz</strong>ung<br />

Einge<strong>la</strong>den sind: Nele Hertling, geboren 1934 in Berlin, war<br />

1988 für das Programm von Berlin – Kulturstadt Europas verantwortlich<br />

und 1999 für das Festival Theater der Welt verantwortlich.<br />

Bis 2003 leitete sie das Hebbel-Theater in Berlin<br />

und war anschließend Direktorin des Künstlerprogrammes<br />

des DAAD (Deutsch Akademischer Austauschdienst).<br />

Heute ist sie unter anderem Präsidentin des Deutsch-Französischen<br />

Kulturrates, sowie Vizepräsidentin der Akademie<br />

der Künste.<br />

Stefan Schmidtke, geboren 1968 in Sachsen, war zur Wendezeiten<br />

Regieassistent an der Berliner Volksbühne, ging<br />

Anfang der 90er nach Moskau zum Regiestudium, inszenierte<br />

in Berlin und in Omsk/Sibirien; ab 2002 kuratierte er<br />

u. a. für die Wiener Festwochen. 2007 und 2008 leitete er<br />

das Festival Theaterformen in Hannover. Zurzeit arbeitet er<br />

als Leiter der Programmabteilung an den Vorbereitungen<br />

für die Kulturhauptstadt Europas – Tallinn 2011.<br />

Einge<strong>la</strong>den hat: Eva Kiefer, geboren 1974 in Salzburg, sah<br />

dort in den späten 80ern als jugendliche Besucherin des<br />

Festivals Szene die Produktionen des erwähnten Ne<strong>tz</strong>werks.<br />

Ab Anfang der 90er arbeitete sie als Regieassistentin<br />

und später als Regisseurin in Berlin, München und<br />

Wien und wechselte gegen Ende der 90er ganz in den Bereich<br />

der internationalen Koproduktionen und Festivals.<br />

Von 2001 bis 2005 war sie bei den Berliner Festspielen als<br />

Teil des Leitungsteam der Festwochen und spielzeiteuropa<br />

kuratorisch und produzierend tätig. Zurzeit entwickelt sie<br />

mit dem MZW das Programm des Kongresses X-Organisationen<br />

und kuratiert am PACT-Zollverein in Essen das Projekt<br />

Vom Nu<strong>tz</strong>en der Kunst.<br />

Der Text<br />

Eva Kiefer: Als Hintergrund zu diesem Gespräch möchte<br />

ich den Zeitraum der le<strong>tz</strong>ten 20 Jahre nehmen. Einerseits<br />

weil es mein eigener Beobachtungszeitraum ist und andererseits<br />

weil man in ihm ganz bestimmte Entwicklungen<br />

nachzeichnen kann. Die Frage, die dieses Gespräch motiviert<br />

hat, ist, worum geht es, wenn man von internationalem<br />

Theater spricht. Was ist das Spezifische im internationalen<br />

Arbeiten, worin zeigt es sich? Geht es da um Praxis,<br />

also um eine bestimmte Art des Produzierens, des Miteinanderarbeitens?<br />

Geht es um Ästhetik, vielleicht um eine<br />

ganz allgemein funktionierende Ästhetik? Oder ist gerade<br />

die Vermittlung des ganz lokal Spezifischen das Spannende<br />

und Herausfordernde, die unterschiedlichen künstlerischen<br />

Ausdruckweisen und Formen?<br />

Nele Hertling: Als wir 1989 das Hebbel gründeten, existierte<br />

in Deutsch<strong>la</strong>nd überhaupt kein Begriff des internationalen<br />

Theaters. Es gab seit einem halben Jahr das Theater am<br />

Turm in Frankfurt, das international zu arbeiten begann.<br />

Niemand hatte Erfahrung in dem praktischen Umfeld des<br />

Produzierens und des Umgehens mit fremden Sprachen.<br />

Abgeleitet aus den Stadttheatern existierte in Deutsch<strong>la</strong>nd<br />

der G<strong>la</strong>uben, dass wir das beste Theatersystem der Welt<br />

haben, warum also sollten wir in andere Theatererfah-<br />

rungen reingucken? Die grundlegende Frage war: Kommt<br />

man mit was grundsä<strong>tz</strong>lich anderem, etwas ergänzendem,<br />

wenn man internationale Theatererfahrung nach Deutsch<strong>la</strong>nd<br />

bringt oder handelt es sich nur um eine Spielerei mit<br />

anderen Ästhetiken? Vor 20 Jahren stand hier bei uns das<br />

Vermitteln anderer sozialer und damit auch politisch kul-<br />

tureller Realitäten im Vordergrund. Es ging bei der Ent-<br />

Eva Kiefer im Gespräch mit Nele Hertling und Stefan Schmidtke 99 Revue für postheroisches Management / Heft 5


scheidung darüber, was man zeigen würde, also nicht<br />

allein um die Ästhetik, sondern auch darum, welche ande-<br />

ren Vermittlungsformen für andere Inhalte das interna-<br />

tionale Theater bringt, als die Stadt- und Staatstheater es<br />

tun. Dort bestand vielfach gar kein Bedürfnis, international<br />

zu arbeiten, da sie finanziell gut ausgestattet waren. Sie<br />

hatten ihre Häuser, ihre Ensembles, und jeder im Aus<strong>la</strong>nd<br />

sagte: »Also, das was ihr habt, hätten wir auch gerne. So<br />

was Tolles gibt es ja woanders gar nicht, dass man jahre<strong>la</strong>ng<br />

mit einem Ensemble arbeiten kann, dass die Leute<br />

zusammenbleiben. Daraus entstehen Qualitäten.« Das sagen<br />

viele Leute heute noch!<br />

Mit der Frage, was für ein Interesse man daran hat, etwas<br />

Anderes hereinzuholen, haben wir uns dann sehr schnell<br />

gefunden, zum Beispiel mit Tom Stromberg vom Theater<br />

am Turm in Frankfurt, Hugo de Greef aus Brüssel oder<br />

Michael Stolhofer in Salzburg. Einer alleine konnte nicht<br />

viel machen, man brauchte diese Art Ne<strong>tz</strong>werk. Wir haben<br />

damals sehr viel Zeit miteinander verbracht, sind viel gereist,<br />

eigentlich bestand die Hauptaktivität darin, uns zu<br />

treffen, um herauszufinden, warum, wie und mit wem<br />

man was macht. Es ist schon interessant, zu sehen, worauf<br />

wir uns einge<strong>la</strong>ssen haben. Da waren die Kooperationen<br />

mit bestimmten Künstlern, beispielsweise die Wooster<br />

Group oder Syberberg oder die F<strong>la</strong>men: Fabre, Lauwers<br />

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usw. Damit kam vordergründig tatsächlich eine ganz<br />

andere Ästhetik auf, die dann sehr stark nachgewirkt hat<br />

und ganz sicher auch übertragen worden ist.<br />

Stefan Schmidtke: Da fädel ich mich mal ein: Ich bin im<br />

Jahre 1989 mit meinem Ost-Pass, der gerade frisch ausgestellt<br />

war, ins Hebbel-Theater gegangen und durfte damit<br />

kostenlos rein. Es gab eine kurze Zeit, in der man noch<br />

nichts bezahlen musste, dann konnte man eine Zeit<strong>la</strong>ng<br />

eins zu eins mit Ostgeld rein – da war ich 20. Für mich war<br />

dies der größte ästhetische Einschnitt in mein bisheriges<br />

DDR-Theaterbesucher-Dasein. Ich habe im Hebbel die<br />

Wooster Group gesehen und das Neue sofort als das je<strong>tz</strong>t<br />

Aktuelle akzeptiert und nicht als etwas Fremdes, was man<br />

mir reinbringt, um mich aus einem alten Korsett rauszuhebeln.<br />

Der Osten war körperlos, jedenfalls für mich, und es<br />

war alles immer ideologisch und »kopfig«. Ich bin vor allem<br />

gekommen, um zu sehen, was die da auf der Bühne anstellen,<br />

wie sie sich bewegen und wie sich das anfühlt. Denn<br />

dort gab es etwas, was wir nicht hatten. Es gibt viele interessante<br />

Geschichten von Tanztheaterproduktionen, die<br />

zwischen Ost und West angese<strong>tz</strong>t waren und nicht funk-<br />

tioniert haben. Denn in der Sprache unseres Körpers und im<br />

Umgang mit dem Körper, woher wir kommen und wie wir<br />

eine »Physis« entwickelt haben, trennt uns eine ganze Generation.<br />

Wir haben ästhetisch nicht zusammengefunden.<br />

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Tea Ceremony von Elena Kovylina, entstanden bei einer Performance der Moskauer Künstlerin<br />

Ja, da gab es wirklich schreckliche Erfahrungen, auch persönlich<br />

war das teilweise bitter. Ich erinnere mich an die<br />

erste Tanzp<strong>la</strong>ttform die im Hebbel-Theater stattfand. Wir<br />

wollten unbedingt kein Westberliner Projekt daraus ma-<br />

chen und hatten zwei Choreographinnen aus dem Osten<br />

einge<strong>la</strong>den. Beide sind in einem großen Missverständnis<br />

am Publikum gescheitert, das liegt mir heute noch auf der<br />

Seele. Es waren beides modern denkende, modern geschulte<br />

Frauen, die, wenn man aus heutiger Perspektive zurückguckt,<br />

etwas eingebracht haben, was uns fehlte. Damals<br />

sind sie absolut nicht verstanden worden, die Zuschauer<br />

sind rausgerannt, scharenweise. Wir sind hinterher be-<br />

schimpft worden: »Wie konntet ihr denn so was zeigen?«<br />

Das hatte nicht mit der Qualität zu tun, sondern in der Tat<br />

mit der Ästhetik. Beide Choreographinnen g<strong>la</strong>ubten, dass<br />

sie etwas sehr politisch Kritisches vermitteln konnten. Das<br />

hat aber über die unterschiedliche Körpersprache über-<br />

haupt niemand verstanden. Mit einer der beiden rede ich<br />

immer wieder darüber.<br />

Das trifft ein Thema, das mich selbst stark umtreibt: Wie<br />

sehr braucht eine Produktion den Entstehungskontext, um<br />

überhaupt rezipierbar zu sein. Ich habe selbst oft die traurige<br />

Erfahrung gemacht, dass man irgendwo etwas sieht,<br />

und man erlebt und erfährt, wie ganz wesentlich das dort<br />

ist, und weiß, zu Hause kann man es nicht zeigen. Also:<br />

Wie ist mit dieser Leitdifferenz umzugehen – des Lokalen<br />

und des Internationalen, des kulturell Spezifischen und allgemein<br />

Vermittelbaren? Wie gerechtfertigt ist es, dass<br />

man das immer wieder befragt? Oder muss man gerade<br />

dort ganz scharf hinschauen und genau mit diesen beiden<br />

Fragen auf die Arbeiten blicken – ist das je<strong>tz</strong>t eine ganz<br />

lokale Sache und funktioniert nur so, oder kann es auch<br />

woanders seine Bedeutung entfalten? Daran würde sich<br />

das Thema der übergeordneten Thematiken und Ästheti-<br />

ken anschließen: Wie funktionieren diese Produktionen,<br />

die in Japan, New York, Paris, Uruguay oder Berlin rezipierbar<br />

sind und Erfolg haben? In diesem Bereich gibt es<br />

auch viele tolle Produktionen, worüber wir uns sicher<br />

einig sind.<br />

Das ist eine extrem entscheidende Frage, weil jeder, der das<br />

praktisch versucht hat, x-mal auf die Nase gefallen ist – mit<br />

diesen schmerzhaften Erfahrungen für Künstler, die zu<br />

Hause große Anerkennung finden und vor einem Publikum<br />

stehen, das nicht reagiert oder negativ reagiert. Das ist<br />

für mich eine ganz kritische Frage des sogenannten inter-<br />

nationalen Arbeitens, denn bei Weitem ist nicht jedes<br />

...........<br />

… wenn man reist und irgendwo<br />

anders eine Vorstellung sieht, dann<br />

sieht man nicht nur die Vorstellung,<br />

sondern man si<strong>tz</strong>t mit den<br />

Leuten aus dieser Stadt, riecht<br />

die dortigen Gerüche, ist in dem<br />

dortigen Umfeld unterwegs …<br />

Projekt international. Auch wenn eine Produktion gerne<br />

touren möchte, sollte sie manchmal lieber zu Hause bleiben.<br />

Die ganzen jungen Theatermacher, die alle unbedingt<br />

mit ihren Projekten reisen wollen, wissen gar nicht, auf<br />

was sie da stoßen. Man muss schon sehr genau gucken,<br />

wie man etwas vermittelt – das hat nicht mit der Qualität<br />

zu tun, das hängt mit dem Kontext zusammen. In den frühen<br />

Jahren haben wir das alle nicht wirklich getan, weil<br />

man begeistert war – »Das will ich je<strong>tz</strong>t meinem Publikum<br />

zeigen!« Und dann si<strong>tz</strong>t man da und denkt: »Publikum was<br />

machst du denn! Die kapieren ja überhaupt gar nichts.«<br />

Das ist uns sehr oft so gegangen. Mir wird das immer<br />

wieder deutlich, wenn man reist und irgendwo anders eine<br />

Vorstellung sieht, dann sieht man nicht nur die Vorstellung,<br />

sondern man si<strong>tz</strong>t mit den Leuten aus dieser Stadt,<br />

riecht die dortigen Gerüche, ist in dem dortige Umfeld<br />

unterwegs, und dann funktioniert das alles zusammen.<br />

Eva Kiefer im Gespräch mit Nele Hertling und Stefan Schmidtke 101 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Holt man die Produktion dort raus, se<strong>tz</strong>t sie an einen anderen<br />

Ort, und all das fehlt, dann fragt man sich selber:<br />

»Warum habe ich das einge<strong>la</strong>den?« Ich denke, man kann<br />

ein Publikum dazu bringen, anders zu gucken, andere<br />

Dinge zu sehen, aber das dauert. Im Hebbel-Theater waren<br />

wir wirklich sehr früh dran, und es hat Jahre gebraucht. Die<br />

Anerkennung kam eher von außen, und die hat das Berliner<br />

Publikum dann übernommen: »Wenn die alle dahin gehen,<br />

dann muss was dran sein.« Wir haben schon sehr früh mit<br />

all den Hilfsmitteln, wie Publikumsgesprächen oder inhalt-<br />

lichen Vorbereitung, angefangen, das hilft ein bisschen.<br />

Aber grundsä<strong>tz</strong>lich, g<strong>la</strong>ube ich, trifft es diese Frage: Ist<br />

Theater lokal so stark verwurzelt, dass es den lokalen Kontext<br />

nicht ver<strong>la</strong>ssen sollte, oder ist das Lokale, wenn es gut<br />

vermittelt wird, interessant für ein anderes Publikum?<br />

Natürlich gibt es noch diese großen Produktionen die überall<br />

funktionieren und die, wir du auch sagtest, wir auch<br />

mögen.<br />

Ich komme aus einer ästhetischen Richtung die fragt, was<br />

im Moment gerade mit dem Körper los ist. Wo vibriert die<br />

Sprache, und wie lässt sich das mit der Politik und dem,<br />

was in der Welt passiert, übereinander<strong>la</strong>gern. Ein Festival<br />

ist natürlich eine »Vollkommen-Packung«, weil es im Programm<br />

die Gegenspiegelung in sich selbst tragen kann,<br />

und man kann re<strong>la</strong>tiv geschickt Verbindungen schaffen,<br />

die verschiedene Produktionen sicherer und stabiler ma-<br />

chen. Man muss aber noch den zweiten Faktor sehen –<br />

einen äußeren. Ich muss mich als Programmmacher zuerst<br />

in meiner Stadt herumtreiben, dort, wo ich bin, und sehen,<br />

......<br />

… man kann ein Publikum dazu<br />

bringen, anders zu gucken, andere<br />

Dinge zu sehen, aber das dauert.<br />

wo Fehlstellen sind, die ich mit Internationalem in Bewe-<br />

gung bringen kann, und wo ich dann nichts hinse<strong>tz</strong>en<br />

muss.<br />

Das war genau der Anreiz meiner Kollegen und mir. Nach<br />

Berlin – Kulturstadt Europas 1988, wo ich für das Programm<br />

zuständig war, haben wir versucht von der Stadt dieses<br />

Theater zu bekommen und haben ihnen angeboten, die<br />

Programmarbeit weiterzumachen. Der Ansa<strong>tz</strong>punkt war,<br />

die Stadt zu erkunden und zu sehen, was eigentlich dazu<br />

kommen muss, wo man andere Beispiele bringen muss,<br />

wo man eine andere Form der Notwendigkeit Theater zu<br />

machen zeigen muss.<br />

Erstaunlich aber ist, dass das Berliner Publikum, das in-<br />

zwischen sehr viel internationale Seherfahrung hat, tro<strong>tz</strong>dem<br />

(oder gerade wegen) dieser Erfahrung extrem unaufgeschlossen<br />

ist. Es sagt sich einfach: »Habe ich noch nicht<br />

gesehen, kenne ich nicht, entspricht nicht den Codes, fällt<br />

durch!« Man kann jemanden ein<strong>la</strong>den, der in Paris sechs<br />

Wochen vor ausverkauftem Haus spielt – hier wird er abserviert.<br />

So bekommt man den Eindruck, eben gerade dieser<br />

geschulte Blick ist nicht mehr neugierig, nicht mehr<br />

offen, sondern verschließt sich in seinem Kenntnisreichtum.<br />

Das eine ist natürlich die ästhetische Bildung des Publikums.<br />

Auf der anderen Seite gibt es aber auch einen Stadtkörper,<br />

der vom Bürgertum getragen wird oder von einer<br />

Schicht, die zumindest etwas zur Kenntnis nehmen kann,<br />

etwas Anderes aufnehmen und dann darüber reden kann.<br />

Das Wiener Bürgertum ist da ein Beispiel, die »allererste<br />

Garde«, es reagiert zumindest streitvoll und nicht einfach<br />

nur ablehnend. Und wenn sie etwas ablehnen, dann wer-<br />

den sie wenigstens aggressiv. Die Stadt, die überhaupt<br />

kein Bürgertum hat, sondern die nur aus Individualisten<br />

und Eigenbrötlern besteht, ist meiner Meinung nach Berlin.<br />

Da ist es für den Programmmacher wirklich eine komplizierte<br />

Aufgabe, in andere Segmentierungen zu gehen.<br />

Wir könnten hier nicht so ein Festival »aufgießen« wie in<br />

Salzburg oder Wien. Man muss aus dem Stadtkörper her-<br />

aus denken und viel über die Bürger einer Stadt wissen.<br />

Eva Kiefer im Gespräch mit Nele Hertling und Stefan Schmidtke 102 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

Aufführungsfoto zu Roncsolt Kópia, einer ungarischen Produktion in Schwarz-weiß-Filmästhetik über den ungarischen Pakt mit Nazi-Deutsch<strong>la</strong>nd


Probenfoto zu Big in Bombay, der in Berlin lebenden argentinischen Choreografin Constanza Macras – auch als »Trashqueen« der deutschen Tanzszene bekannt. Foto: Kevin S<strong>la</strong>vin<br />

Es ist in der Tat so, dass es in Berlin kein bürgerliches Publikum<br />

mehr gibt. Das ist mit dem Faschismus verstorben<br />

oder abgewandert. Aber es ist interessant zu sehen, wie<br />

weit man das vorhandene Publikum dazu bekommt, auch<br />

anderen Möglichkeiten zu folgen. Ich habe, was die Vermittlung<br />

betrifft, nie ein Rezept gehabt, wie man vor,<br />

während oder nach einer Produktion eine gewisse Atmosphäre<br />

schafft, in der eine Sache dann doch eine größere<br />

Chance hat, zumindest vorurteilsfrei gesehen zu werden.<br />

»Deine wunderbare Produktion<br />

<strong>la</strong>den wir nicht ein, weil sie nicht<br />

sehbar und verstehbar ist.«<br />

Ich habe ein Gastspiel nach Konstanz zu einem kleinen russischen<br />

Festival gebracht, mit einer Geschichte von einem<br />

russischen Provinznest, wo alle unter mafiösen Beziehungen<br />

leben und irgendwie zu einer geheimen Sekte gehören.<br />

Das wird in Russ<strong>la</strong>nd als komplette Ironie verstanden,<br />

um mit der realen Situation k<strong>la</strong>rzukommen. Und in Konstanz,<br />

im protestantischen Deutsch<strong>la</strong>nd, hat das Publikum<br />

dagesessen und gesagt: »Das ist so furchtbar, das ist so<br />

drückend.« Die Ironie der Inszenierung hat sich nicht übertragen,<br />

weil das Stück übertitelt wurde und weil, wenn der<br />

ironische Ton nicht rüberkommt, man diese super Aufführung<br />

völlig anders versteht und sie moralisch drücken<br />

wird.<br />

Die Frage der Übertitelung, Simultanüberse<strong>tz</strong>ung, Zusam-<br />

menfassung usw., also die ganzen sprachlich-textliche Seite<br />

muss, denke ich, als künstlerische Frage behandelt wer-<br />

den und nicht nur rein technisch. Und wenn sich etwas<br />

eben nicht vermitteln lässt, muss man als Programm-<br />

macher oder Produzent auch mal die Entscheidung treffen,<br />

dem Künstler zu sagen: »Deine wunderbare Produktion <strong>la</strong>den<br />

wir nicht ein, weil sie nicht sehbar und verstehbar ist.«<br />

Zum Wohle des Künstlers und der Produktion.<br />

Ich habe hierfür ein wunderbares Beispiel in Avignon mal<br />

erlebt: ein ungarisches Projekt, das sich gegen Übertitelung<br />

weigerte. Es war allerdings ein Stück, das nur eine<br />

gute Stunde dauerte. Man konnte eine Stunde vor der Auf-<br />

führung in einen anderen Raum gehen, dort wurde von<br />

einem sehr guten französischen Schauspieler das ganze ungarische<br />

Stück auf Französisch vorgelesen. Anschließend<br />

sah man es auf Ungarisch und hatte den Eindruck, jeden<br />

......<br />

Sa<strong>tz</strong> zu verstehen. Das hat wunderbar funktioniert. Also es<br />

gibt schon viele Hemmnisse, aber ich denke, das Wesentliche<br />

ist wirklich das Bewusstsein, was international transportabel<br />

ist und was nicht. Ich wollte noch mal auf die ver-<br />

schiedenen Fragen der Ästhetik und der Vermittlung im<br />

internationalen Theater und auf die 20 Jahre kommen. Wir<br />

hatten 1999, als wir das Festival Theater der Welt in Berlin<br />

machten, die totale Freiheit zu entscheiden, welche Welt<br />

denn eigentlich Theater der Welt ist. Ich wollte meine ganzen<br />

Erfahrungen in Mittelosteuropa und vor allen Dingen<br />

Buenos Aires nu<strong>tz</strong>en. Mein Interesse war also: Mittelost-<br />

europa und Argentinien kurz nach einer Diktatur, wie<br />

äußert sich das im Theater? Gibt es einen anderen Inhalt,<br />

eine andere Ästhetik, und wird dem Publikum etwas anderes<br />

vermittelt, ist es also übertragbar? Natürlich dachten<br />

wir damals, und das hat auch in gewisser Weise gestimmt,<br />

dass gerade diese Fragen in Berlin, mit der DDR-Geschichte,<br />

auf ein Interesse treffen. Erstmal hat Ma<strong>ria</strong>, meine Kollegin,<br />

sich auf der Pressekonferenz weit vorgewagt und<br />

sagte, dass wir die formale, ästhetische Bevormundung der<br />

F<strong>la</strong>men usw., also diesen postmodernen Schnickschnack<br />

satthaben und nun was anderes wollen.<br />

Das war ja ein Statement gegen die eigene Vergangenheit.<br />

Gegen die eigene Vergangenheit, absolut, wobei wir gesagt<br />

haben: Es hatte seine Zeit, es war gut, aber wir haben<br />

je<strong>tz</strong>t zum ersten Mal die Chance etwas anderes zu zeigen.<br />

Wir haben das ganze Theater der Welt auf der Frage aufgebaut:<br />

Was macht Theater aus politischen Umschwüngen,<br />

aus Befreiung von Diktaturen, aus katastrophalen ökono-<br />

Eva Kiefer im Gespräch mit Nele Hertling und Stefan Schmidtke 103 Revue für postheroisches Management / Heft 5


mischen oder politischen, also chaotischen Verhältnissen?<br />

Das hat die Presse wiederum nicht verstanden. Das Publikum<br />

ist bei den meisten Sachen erstaunlich gut mitgegangen,<br />

was sehr interessant war, weil die Ästhetik plö<strong>tz</strong>lich<br />

gar keine Rolle spielte, sondern es um die Frage ging, was<br />

sie vermitteln. Es gab überhaupt keine Diskussion über<br />

diese verrückten Theatertechniken – was ich schade fand.<br />

Sondern die Leute haben sich nur über den politischen Hintergrund<br />

unterhalten. Die Argentinier sind gefragt worden,<br />

ob es ein Stück über die verschwundenen Männer<br />

oder über den nie gekannten Vater war. Das hatten die<br />

Künstler selbst gar nicht im Kopf. Sie hatten sich mit<br />

ihrer Situation ganz anders auseinandergese<strong>tz</strong>t. Ein rumänischer<br />

Regisseur wurde in einer Diskussion gefragt, wo er<br />

sich mit Ceaucescu auseinandergese<strong>tz</strong>t habe. Da hat er<br />

gesagt: »Meine Auseinanderse<strong>tz</strong>ung besteht darin, dass ich<br />

je<strong>tz</strong>t endlich Stücke spielen kann, die ich will, nämlich<br />

Shakespeare auf eine moderne Art, oder ich kann Maeterlinck<br />

inszenieren, kann also Sachen machen, mit denen ich<br />

meine Befindlichkeit ausdrücke, aber damit nicht eins zu<br />

eins gegen Herrn Ceaucescu und die Vergangenheit angehen<br />

muss.«<br />

Den Künstlern wurde also hier in Berlin die eigene Arbeit<br />

über den Blick des Zuschauers noch mal in einen komplett<br />

anderen Zusammenhang gese<strong>tz</strong>t. Es wäre eigentlich schön,<br />

mal mit einer Produktion, die sehr spezifisch ist, eine gan-<br />

ze Tournee mi<strong>tz</strong>umachen und sie in ganz unterschiedlichen<br />

kulturellen Zusammenhängen zu sehen. Andersherum habe<br />

ich mich auf den Reisen oft gefragt, mit welchem Blick ich<br />

ein Stück anschaue. Schau ich das je<strong>tz</strong>t mit dem dortigen<br />

Blick an, also vor dem Hintergrund eines lokalen Kontextes<br />

und der dortigen Ästhetik, schaue ich das an mit meinem<br />

Profiblick des Kenners, der eine Aufführung in einen ganz<br />

anderen Kontext se<strong>tz</strong>en und Referenzen in seinem Blick<br />

erzeugen kann, oder schaue ich es an für den Blick des Publikums,<br />

für das ich im Grunde ein<strong>la</strong>de.<br />

Ich g<strong>la</strong>ube, es hängt immer noch davon ab, wo man mit<br />

welcher Produktion hingeht. Es ist wichtig, dass der Regisseur<br />

sich fragt, für welches Publikum er produziert.<br />

Spannend finde ich auch immer zu fragen: Wo kommt eine<br />

Ästhetik oder ein Ausdruck her? Hat er sich aus sich selbst<br />

heraus entwickelt, ist aber woanders gang und gäbe?<br />

Das ist ein Phänomen, dem ich immer wieder begegne,<br />

wenn ich als Programmmacher unterwegs bin. Ob man im<br />

Iran ist, in Südamerika oder Südafrika, und plö<strong>tz</strong>lich sieht<br />

man Produktionen, die am selben Thema arbeiten und sich<br />

nicht kennen. Das sind Leute, die fühlen den Puls der Zeit,<br />

und über die Kontinente verstreut sind sie an den gleichen<br />

Themen.<br />

.......<br />

Das sind Leute, die fühlen den Puls<br />

der Zeit, und über die Kontinente<br />

verstreut sind sie an den gleichen<br />

Themen.<br />

Andererseits kann man aber auch die Spuren verfolgen, die<br />

Gastspiele hinter<strong>la</strong>ssen. Zum Beispiel die seit 2000 massiv<br />

tourende Berliner Volksbühne. Die seltsamste Erfahrung<br />

hatte ich in Chile, wo ich die Arbeit eines chilenischen Regisseurs<br />

gesehen habe, die eins zu eins eine Kopie einer<br />

Produktion aus Berlin war, die ich kannte. Es war natürlich<br />

weniger ästhetisch interessant, aber dahingehend, dass<br />

man wusste, so zu arbeiten, wie sie es in dieser Produktion<br />

gemacht haben, wird für sie in Chile einmal ganz<br />

wesentlich gewesen sein. Das sind nun zwei Aspekte eines<br />

Themas: Wie kann ich das andere Lokale, das Fremde<br />

sehen, und was macht es mit dem Eigenen, wenn man<br />

diese Auseinanderse<strong>tz</strong>ung mit dem anderen hat?<br />

Es ist tatsächlich interessant, wie durch die Internationalität<br />

das Eigene plö<strong>tz</strong>lich etwas Neues bekommt. Vielleicht<br />

ist es wirklich zunächst mal nur kopiert, aber wenn es gut<br />

läuft, wird vielleicht etwas daraus. Dann finde ich es auch<br />

wieder legitim, international Theater rauszuschicken.<br />

Schluss. Der Vorhang fällt. App<strong>la</strong>us. ¶<br />

Im Zeitraum der Erarbeitung dieses Beitrages verstarb mit Markus<br />

Luchsinger völlig unerwartet ein wichtiger Theatermann, Programmdenker<br />

und Produzent des internationalen Theaters. Ihm wird mit<br />

diesem Beitrag gedacht und innig gedankt.<br />

Eva Kiefer im Gespräch mit Nele Hertling und Stefan Schmidtke 104 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

dirk hupe, 2009. Werk-Nr. 0182_2009; o.T., Text-, Wortfragmente (...) , Dispersionsfarbe, Acryl<strong>la</strong>ck, Leinwand , Keilrahmen, 160 x 145 x 4,5 cm, 2009, Hintergrundabbildung Fotoarbeit, 2008


Wozu Wirtschaft?<br />

Birger P. Priddat Transnationale Utopie, eine Ebene tiefer:<br />

global tribes und creative centers<br />

Die Globalisierung ist nicht ins Sto-<br />

cken geraten, aber sie hat andere<br />

Formen ausgeprägt, als wir uns ge-<br />

wünscht oder befürchtet hatten. Das,<br />

was sich global koordiniert, bleibt<br />

weiterhin ein Internationalisierungs-<br />

prozess, hat nicht die Form des Trans-<br />

nationalen angenommen. Das Zwi-<br />

schen dominiert das Übergreifende.<br />

Große Konzerne, die weltweit agieren,<br />

sind entweder Filialsysteme, die von<br />

der nationalen Mutter gesteuert werden.<br />

Oder, wenn die Filialen gewisse<br />

Autonomie haben, sind sie nationale<br />

Instanzen (wegen der kulturellen Adaptation<br />

der Märkte).<br />

Die transnationale Utopie hatte die<br />

Idee globaler Organisationen entworfen,<br />

die national unabhängig, eine<br />

eigene virtual reality entfalten. Ober-<br />

halb der Sphäre der Wirtschaft kamen<br />

Ideen einer Weltregierung auf, so et-<br />

was wie eine mit Sanktionsmacht<br />

versehene UNO. Kant hatte dieses<br />

Modell in Reflektion eines allgemeinen<br />

Weltfriedens entworfen; Hegel<br />

hielt bereits dagegen, dass es im Bereich<br />

des Internationalen nur um<br />

Machtkonkurrenz gehen könne. In et-<br />

wa sind wir dem Stand dieser Über-<br />

legungen nicht entkommen.<br />

Unterhalb dieser Dimension aller-<br />

dings entwickeln sich transnationale<br />

Fokusse. So sind internationale Unternehmen<br />

in ihren Managementebe-<br />

nen durchaus international gemischter<br />

als früher. Sie attrahieren high level<br />

workers aus allen Nationen. So<strong>la</strong>nge es<br />

sich auf die Universitäten (vornehmlich<br />

Eng<strong>la</strong>nds, der USA und Canadas)<br />

bezieht, reden wir von brain drain (inzwischen<br />

wird Europa wieder für expatriots<br />

attraktiver), aber das sind die<br />

kleineren Bewegungen; die Migrationsströme<br />

zwischen den interna-<br />

tionalen Unternehmen sind zahlen-<br />

mäßig größer. Transnational ist die<br />

Haltung, nicht mehr im Land zu arbeiten,<br />

in dem man geboren wurde,<br />

oft schon gepaart mit der Universitätsausbildung<br />

im Aus<strong>la</strong>nd. Man hat<br />

diesen Trend einmal die Entwicklung<br />

von »global tribes« genannt: Es sind<br />

transnationale Eliten, die sich, über<br />

eine internationalisierte Universitätsausbildung,<br />

früh in Ne<strong>tz</strong>werke<br />

eingeklinkt haben, deren Kontakte es<br />

ihnen er<strong>la</strong>uben, sich beliebig über die<br />

Welt zu verteilen. Ein aussch<strong>la</strong>ggebender<br />

Faktor dieser Bewegung ist<br />

die gleiche oder ähnliche Ausbildung<br />

(meisten ein standardisierter MBA).<br />

Sie sind transnational in dem Sinne,<br />

dass sie die Länder wechseln können,<br />

ohne nationale Bindungen, wenn sie<br />

ähnliche Konditionen vorfinden.<br />

Unabhängig von den meistens noch<br />

nationalen Kulturen der Muttergesell-<br />

schaften, bilden sie ein eigenständiges<br />

Ne<strong>tz</strong>werk aus, das Vergleichsmöglichkeiten<br />

hat, die sie nicht notwendig<br />

an die Mutterkultur binden.<br />

Global tribes sind transnationale Eli-<br />

tenne<strong>tz</strong>werke im Internationalisie-<br />

rungskontext der Konzernstrukturen.<br />

Sie haben exit-options, gegebenenfalls<br />

in eigene Unternehmensgründungen<br />

(die dann wieder national aufsch<strong>la</strong>gen).<br />

Und sie g<strong>la</strong>uben, dass sie sich in<br />

einer transantionalen business culture<br />

befinden. D. h., sie gehen davon aus,<br />

dass sie eine global einheitliches Ver-<br />

ständnis der Business-Prozesse haben.<br />

Zu den global tribes gehören auch die<br />

Mitarbeiter vieler internationaler<br />

NGOs und solcher Organisationen<br />

wie der UNO, der UNEP, der ILO etc.,<br />

mit einem Unterschied, dass sich<br />

viele der transnationalen Mitarbeiter<br />

später für nationale Politikkarrie-<br />

ren disponieren. Ihre Transnationalität<br />

ist temporär.<br />

Kolumne 106 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Und es gibt eine neuere Entwicklung:<br />

die Ausbildung von creative centers<br />

weltweit. Ein Gutteil des global tribe<br />

verteilt sich nicht breit über die Welt,<br />

sondern fokussiert sich in creative<br />

centers, d. h. in Agglomerationen von<br />

neuen Dienstleistungsballungen (San<br />

Francisco und Umgebung, New York,<br />

London, Tokyo, Beijing, Berlin etc.),<br />

weil sie dort alternative Arbeitsangebote<br />

eng beieinanderhaben und vor<br />

allem ein dichtes kulturelles Angebot,<br />

das ihren Lifestyle-Vorstellungen ent-<br />

spricht und die Paarung erleichtert.<br />

Weil sich dort high-level-workers agglomerieren,<br />

investieren viele Unternehmen<br />

in diese Regionen, wo sie wechselwillige<br />

Mitarbeiter leichter anwerben<br />

können. Umgekehrt erhöht sich<br />

auch für die high-level-workers das Stellenangebot.<br />

Obwohl regional gebunden,<br />

attrahieren diese creative centers<br />

viele transnationale Migranten. Crea-<br />

tive centers sind multikulturelle Are-<br />

nen, die wiederum im komplementären<br />

Kulturbereich Attraktoren bilden,<br />

die hier erstmals neue transnationale<br />

Formen blühen <strong>la</strong>ssen. Kulturelle und<br />

wirtschaftliche Avantgarden bilden<br />

sich in Interferenz; das betrifft weni-<br />

ger die Manager, sondern die creative<br />

workers. Die sterile business culture der<br />

verteilten global tribes bekommt hier<br />

eine Alternative. Das Transnationale<br />

bildet sich lokal heraus, nicht in der<br />

lokal/global-Spannung (glocalisiation),<br />

sondern in spezifischen Wirtschaft-<br />

/Kultur-Regionen: in nationalen<br />

transnationalen kulturellen »Freihandelszonen«.<br />

Dass sich zudem die US-amerikani-<br />

schen Universitäten dieser Transna-<br />

tionalität geöffnet haben, ist offen-<br />

sichtlich. Auf die Frage, was amerika-<br />

nische Universitäten sind, antwortete<br />

Gorbatschow einmal: amerikanische<br />

Gebäude mit russischen Dozenten<br />

und chinesischen Studenten. Natür-<br />

lich verfolgt die US-Regierung damit<br />

das Ziel, das nationale Arbeitsange-<br />

bot zu verbessern und zu erhöhen.<br />

Dennoch bilden sich transnationale<br />

Kulturen aus, Keime des global tribe,<br />

die nicht selbstverständlich im Lande<br />

bleiben. Für die Naturwissenschaften<br />

gilt das in besonderem Maße, aber<br />

auch in den Forschungsabteilungen<br />

der Unternehmen. Viele Forschungen<br />

<strong>la</strong>ufen gezielt undiszipliniert, d. h.<br />

nicht an Fachgrenzen gebunden. So<br />

arbeiten nicht nur transnationale<br />

Teams an komplexen Themen, son-<br />

dern vor allem transdisziplinäre<br />

Teams (Moleku<strong>la</strong>rchemiker, Zellbiologen,<br />

Mediziner, Kristallphysiker,<br />

Bioinformatiker, Mathematiker etc.).<br />

Hier entstehen neue trans<strong>ito</strong>rische<br />

Kulturen, die wiederum loser an die<br />

Unternehmenshierarchien gekoppelt<br />

sind.<br />

Transnationalität verteilt sich nicht homogen<br />

über die Welt, sondern fokussiert sich, paradox,<br />

in spezifischen Orten, in eigenen incubators.<br />

Transnationalität verteilt sich nicht<br />

homogen über die Welt, sondern fo-<br />

kussiert sich, paradox, in spezifischen<br />

Orten, in eigenen incubators.<br />

Die große Ausnahme bilden die weltweit<br />

über die Filialen verteilten Manager<br />

des global tribe, die sich in meetings<br />

und conferences treffen, in einer<br />

handvoll nominierter Hotels der Welt<br />

(in denen sie natürlich, welch’ Zufall,<br />

auch die anderen Stammesmitglieder<br />

in der Bar wiedersehen. Der Rest<br />

läuft über Chats, Blogs und Internet,<br />

sog. e-tribes). Wir haben es mit zwei<br />

Kulturen zu tun: mit der business cul-<br />

ture der global tribes und mit der blended<br />

culture der transnationalen virtuellen<br />

Nationen der creative centers.<br />

Hier starten neue soziale und kulturelle<br />

Prozesse, weit unterhalb der Idee<br />

der transnationalen Utopie, aber in<br />

Ne<strong>tz</strong>werken hoher Fluidität (die die<br />

nationalen Bindungen erst im Alter<br />

wieder entdecken). Die Abflugbasen<br />

dieser neuen Transnationalität sind<br />

die Universitäten, soweit sie international<br />

anerkannte Studien offerieren.<br />

Sie treiben diese neuen Kulturen.<br />

¶<br />

......<br />

Birger P. Priddat ist Professor für Volks-<br />

wirtschaftslehre an der Universität Witten/<br />

Herdecke, deren Präsident er bis Ende<br />

2008 war. Er beschäftigt sich mit Modernisierungs<strong>la</strong>gen<br />

in Staat, Wirtschaft und<br />

Gesellschaft, »institutional changes« und<br />

Nebengeräuschen des Weltgeschehens.<br />

Kolumne 107 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Management für Fortgeschrittene<br />

Dirk Baecker<br />

Krisenkultur<br />

Ein gutes Stichwort zur Beschreibung<br />

der gegenwärtigen Welt<strong>la</strong>ge <strong>la</strong>utet:<br />

Krisenkultur. Wir haben es nicht nur<br />

mit einer Krise zu tun, wir pflegen<br />

sie auch, wir vergleichen sie mit<br />

anderen Krisen, und wir fragen uns,<br />

wie es sich im Umgang mit einer<br />

Kultur gehört, ob wir wohl mit derselben<br />

Identität aus der Krise herauskommen,<br />

wie wir g<strong>la</strong>uben, hineingegangen<br />

zu sein. Die ganze Welt steht<br />

zur Diskussion und mit ihr die politischen<br />

und wirtschaftlichen Gewichte<br />

zwischen Erster, Zweiter und<br />

Dritter Welt (alter, neuer und armer<br />

Welt), 1 zwischen Industrie, Dienstleistung<br />

und Finanzierung, zwischen<br />

Produktion, Konsum und Speku<strong>la</strong>tion.<br />

Welche Spiele spielen wir?<br />

Auf welche Zukunft se<strong>tz</strong>en wir? Auf<br />

wen kann man sich noch ver<strong>la</strong>ssen?<br />

Die Systemtheorie überse<strong>tz</strong>t diese<br />

großen praktischen Fragen in trockene<br />

analytische Fragen: Welche Ereignisse<br />

sollen wir zählen? Wie können<br />

wir sie ordnen? Welche Prioritäten<br />

müssen wir austauschen?<br />

Zunächst einmal ist fes<strong>tz</strong>uhalten,<br />

dass sich eine Krise nur insofern<br />

vom üblichen Gang der Dinge unterscheidet,<br />

als bestimmte, vor allem<br />

verunsichernde Ereignisse häufiger<br />

auftreten als sonst. Nicht das verunsichernde<br />

Ereignis als solches, sondern<br />

die höhere Frequenz verunsichernder<br />

Ereignisse macht die Krise<br />

aus. Normalerweise haben wir es mit<br />

embedded events zu tun, die beobachtet,<br />

isoliert und jedes für sich einer<br />

angemessenen Behandlung unterzogen<br />

werden können, in der Krise<br />

jedoch mit runaway events, deren jedes<br />

eine Antwort herauszufordern<br />

scheint, ohne dass eine sichere Basis<br />

zu gewinnen wäre, von der aus die<br />

Antwort gegeben werden könnte.<br />

Zu Recht bestehen daher viele Formen<br />

des Krisentrainings nicht etwa<br />

darin, auf jedes Ereignis die richtige<br />

Antwort zu haben; das wäre angesichts<br />

des dezidiert unbestimmten<br />

Charakters der Krise unmöglich;<br />

noch schärfer formuliert: Richtige<br />

Antworten kann man nur haben,<br />

wenn man sich nicht in einer Krise<br />

befindet. Sondern Krisentraining<br />

besteht darin, zu lernen, gegen jede<br />

Wahrscheinlichkeit sich selbst, die<br />

eigene Ruhe und Ge<strong>la</strong>ssenheit als<br />

ein Ereignis zu betrachten und zu<br />

pflegen, das zwar sachlich nicht<br />

berechtigt ist, jedoch abgesehen von<br />

der Flucht die einzige noch verfügbare<br />

Basis darstellen kann, von der aus<br />

beobachtet, reflektiert, sortiert und<br />

reagiert werden kann. Und sei es,<br />

dass die eigene Ruhe anderen hilft,<br />

ihre Panik in den Griff zu bekommen.<br />

Das ist wichtig genug, ist doch<br />

die Panik der Königsweg von der Krise<br />

in die Katastrophe. Die Paradoxie<br />

jedoch, die darin liegt, dass gerade<br />

verunsichernde Situationen sichere<br />

Reaktionen erfordern, kann nur dadurch<br />

bewältigt werden, dass man<br />

genau dies dort, wo es erforderlich<br />

ist, etwa unter Soldaten, bei der Feuerwehr,<br />

in Krankenhäusern, bei der<br />

Katastrophenhilfe, in den Krisenstäben<br />

der Politik, trainiert. Ohne die<br />

Erfahrung, dass man sich ausgerechnet<br />

dann auf sich und sein Team ver<strong>la</strong>ssen<br />

können muss, wenn man sich<br />

auf nichts anderes mehr ver<strong>la</strong>ssen<br />

kann, schafft man es nicht, ausgerechnet<br />

dann zusä<strong>tz</strong>liche Ressourcen<br />

der Beobachtung und Analyse einer<br />

Situation zu mobilisieren, wenn das,<br />

was man sieht, nur schrecklich ist.<br />

Angesichts der inhärenten Paradoxien<br />

dieser Situation ist dies nicht<br />

intellektuell, sondern nur habituell<br />

Kolumne 108 Revue für postheroisches Management / Heft 5


zu begreifen. Deswegen verdanken<br />

sich Kompetenzen im Umgang mit<br />

Krisen nicht der Erziehung und der<br />

Einsicht, sondern dem Training und<br />

der Gewohnheit, einschließlich der<br />

Verwunderung entsprechend trainierter<br />

Leute über sich selbst, die<br />

sich fragen, woher die Sicherheit<br />

kommt, so ge<strong>la</strong>ssen mit Unsicherheit<br />

umzugehen.<br />

Womit wir es hier zu tun haben, ist<br />

eine interessante Umwandlung der<br />

Hinnahme von Ereignissen in die<br />

Produktion neuer Ereignisse. Mitten<br />

in einer Situation, in der alle Felle<br />

davon zu schwimmen scheinen, werden<br />

neue, kleine Ereignisse geschaffen,<br />

die momentane Sicherheiten,<br />

tentative Rahmungen, mögliche<br />

Ausstiege andeuten und als Orientierungsmarken<br />

ausprobiert werden.<br />

Einige davon, vielleicht die meisten,<br />

werden sofort wieder fallenge<strong>la</strong>ssen,<br />

andere bewähren sich. Warum sonst<br />

ist die Angst vor terroristischen Anschlägen<br />

ausgerechnet dort, wo die<br />

Wahrscheinlichkeit solcher Anschläge<br />

am größten ist, nämlich in israelischen<br />

Bussen, am geringsten, wie<br />

Gary S. Becker und Yona Rubinstein<br />

in einer Studie feststellen konnten? 2<br />

Becker und Rubinstein vermuten in<br />

ihrer ökonomischen Analyse, dass<br />

sich nur dort, wo die Angst berechtigt<br />

ist, Investitionen in die Kunst<br />

des Umgangs mit der Angst wirtschaftlich<br />

lohnen. Überall dort, wo<br />

die Angst angesichts beobachtbarer<br />

Wahrscheinlichkeiten, getroffen zu<br />

werden, nicht berechtigt ist, wird<br />

auch nicht investiert, sodass man<br />

im Fall des Falles, und sei es auch<br />

nur durch ein Medienereignis, unvorbereitet<br />

getroffen wird und dann<br />

durch die eigene Panik die Katastrophe<br />

vergrößert.<br />

Israelische Busfahrer, so wäre zu vermuten,<br />

zählen tatsächliche und mögliche<br />

Ereignisse anders, als der Normalbürger<br />

es tut. Sie konzentrieren<br />

sich nicht auf die Möglichkeit, dass<br />

ein unscheinbar verkleideter Selbstmordattentäter<br />

den Bus besteigt und<br />

seinen Sprengstoffgürtel zündet, sondern<br />

sie umgeben die Möglichkeit<br />

dieses Ereignisses mit einer Vielzahl<br />

tatsächlicher, alltäglicher und normaler<br />

Ereignisse, die so unscheinbar<br />

sind, dass der Normalbürger sie gar<br />

nicht zählen würde. Die Investitionen,<br />

von denen die Ökonomen sprechen,<br />

sind Investitionen in die Beobachtung<br />

einer Situation, die deren<br />

Vielfalt herauspräpariert und diese<br />

Vielfalt in einen Unterschied zur<br />

Eindeutigkeit der möglichen Katastrophe<br />

se<strong>tz</strong>t. Im Verhältnis zu dieser<br />

Vielfalt alltäglicher Ereignisse ist für<br />

den Busfahrer die Möglichkeit eines<br />

terroristischen Ansch<strong>la</strong>gs, gerade<br />

weil sie nicht verdrängt, sondern explizit<br />

und mit allem erforderlichen<br />

Bewusstsein in Rechnung gestellt<br />

wird, re<strong>la</strong>tiv unwahrscheinlich.<br />

Dies ist nur ein Beispiel für den Umgang<br />

mit der Angst, aber genau diese<br />

Fähigkeit der Re<strong>la</strong>tivierung eines<br />

möglichen oder tatsächlichen Ereignisses<br />

im präzisen statistischen<br />

Sinne der Kontextuierung eines Ereignisse<br />

durch mögliche oder tatsächliche<br />

andere Ereignisse liegt jeder<br />

Kompetenz im Umgang mit Kri-<br />

sen zugrunde. Man braucht nicht<br />

unbedingt die hier immer wieder<br />

einschlägige Geschichte von Edgar<br />

Allen Poe, A Descent into the Maelström<br />

(1841), zu zitieren (aber gibt es<br />

nicht immer wieder Leser, die diese<br />

Geschichte noch nicht kennen?) 3 , in<br />

der der Held dem Strudel in die Tiefen<br />

des Ozeans nur entgeht, weil<br />

seine Angst in dem Moment, in dem<br />

sie nur noch berechtigt scheint und<br />

alle Hoffnung aufgegeben werden<br />

muss, in eine kühle Beobachtung<br />

der Situation umschlägt, und ihm<br />

auffällt, dass die Wrackteile seines<br />

Schiffes um ihn herum nicht alle in<br />

die Tiefe gezogen werden, sondern<br />

einige auch nach oben wandern. Er<br />

entdeckt, dass es auch bei einem<br />

Strudel Gegenströmungen gibt, lässt<br />

sich von einer dieser Gegenströmungen<br />

nach oben treiben und entkommt<br />

dem Maelstrom.<br />

Die Pointe ist dieselbe: Es geht um<br />

die Anreicherung einer scheinbar<br />

eindeutigen Situation mit Ereignissen,<br />

die eine andere Sprache sprechen<br />

beziehungsweise eine andere<br />

Eindeutigkeit haben; und es geht<br />

darum, dass unter diesen anderen<br />

Ereignissen die eigene Reaktion auf<br />

die scheinbar eindeutige Situation<br />

eines der wichtigsten von der Eindeutigkeit<br />

abweichenden Ereignisse<br />

ist. Es geht darum, anders zu zählen<br />

und mithilfe dieses abweichenden<br />

Zählens eine andere Wirklichkeit zu<br />

aktualisieren.<br />

1 Zu Recht sprach der am 19. April 2009 gestorbene<br />

britische Romancier J. G. Bal<strong>la</strong>rd<br />

von der Vierten Welt, in der wir längst tatsächlich<br />

leben, einer Welt, in der die Zivilisation<br />

der ersten und zweiten Welt nur eine<br />

Art Firnis ist, der über der dunklen Gewalt<br />

der dritten Welt liegt.<br />

2 Siehe Gary S. Becker und Yona Rubinstein,<br />

Fear and the Response to Terrorism:<br />

An Economic Analysis, Mimeo 2004,<br />

www.ilr.cornell.edu/international/events/<br />

upload/BeckerrubinsteinPaper.pdf.<br />

3 Ich erinnere nur an das K<strong>la</strong>us Wagenbach<br />

Theorem, dass es immer wieder 18-jährige<br />

Leser gibt, weshalb sich auch immer wieder<br />

Neuausgaben der K<strong>la</strong>ssiker lohnen, ganz<br />

zu schweigen vom Imperativ Heinz von<br />

Foersters, »Bitte nie zu sagen, ›das ist <strong>la</strong>ngweilig,<br />

das kenne ich schon‹. Das ist die<br />

größte Katastrophe! Immer wieder sagen,<br />

ich habe keine Ahnung, ich möchte das<br />

noch einmal erleben.«<br />

Kolumne 109 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Lorenzo Geigerr:ch B<strong>la</strong>tt <strong>la</strong>tt1.1«, 2008<br />

Das nennen wir eine Krisenkultur,<br />

wenn eine Kultur hier wie auch<br />

sonst darin besteht, an die Stelle der<br />

Eindeutigkeit der Ereignisse ihre<br />

Ambivalenz, das heißt die unter Umständen<br />

auch widersprüchliche Vielfalt<br />

ihrer Verne<strong>tz</strong>ung, und an die<br />

Stelle einer eindeutigen Reaktion<br />

auf eindeutige Ereignisse die Kunst<br />

des Zögerns und der Schwebe zu se<strong>tz</strong>en.<br />

In der Antike wurde dies auf die<br />

schlichte Formel der Verehrung und<br />

der Pflege gebracht, wenn »Verehrung«<br />

heißt, grundsä<strong>tz</strong>lich wohlwollend<br />

mit Überraschungen zu rechnen,<br />

und wenn »Pflege« heißt, einen<br />

behutsam mehrdeutigen Umgang<br />

mit einem Vorgang an den Tag zu<br />

legen, der seine Zeit braucht, der<br />

nicht mit seiner eigenen Definition<br />

identisch ist und der in eine soziale<br />

Situation eingebettet ist, in der verschiedene<br />

Spieler verschiedene Rollen<br />

spielen. Wenn die Moderne die<br />

Kulturformel zusä<strong>tz</strong>lich mit historischen<br />

und regionalen Vergleichsinteressen<br />

anreichert, 4 ändert dies<br />

nichts am Ausgangspunkt, sondern<br />

aktualisiert ihn im Hinblick auf eine<br />

Sicht der Wirklichkeit, die ohne eine<br />

nicht nur explizite, sondern auch immer<br />

wieder neu explizierte Referenz<br />

auf die Rolle des menschlichen Miteinanders<br />

in der Konstitution dieser<br />

Wirklichkeit spätestens seit Giambattista<br />

Vicos Principi di una scienza nuova<br />

d'intorno all communa natura delle nazioni<br />

(1744) nicht mehr auskommt.<br />

Die unscheinbare Formulierung des<br />

d'intorno im Titel dieses Buches, dessen<br />

Einsicht wir seither nicht aufhören<br />

auszubuchstabieren, 5 verweist<br />

uns darauf, dass wir zu den Ereignissen,<br />

die wir zählen, dazu gehören,<br />

und dass noch unser Zählen oder<br />

Nicht-Zählen ein Ereignis ist, das<br />

unter den Ereignissen, die wir zählen,<br />

einen Unterschied macht.<br />

Aber das ist kein Grund zur Panik. Es<br />

ist der Ausgangspunkt dafür, dass<br />

wir uns an die Arbeit machen kön-<br />

nen, immer wieder neue Ordnungen<br />

unter diesen Ereignissen auszuprobieren<br />

und uns mit immer wieder<br />

neuen Prioritäten am Lauf der Dinge<br />

zu beteiligen. ¶<br />

4 Wie Nik<strong>la</strong>s Luhmann, Kultur als historischer<br />

Begriff, in: ders., Gesellschaftsstruktur<br />

und Semantik: Studien zur Wissenssoziologie<br />

der modernen Gesellschaft,<br />

Bd. 4, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995,<br />

S. 31-54, herausarbeitet.<br />

5 Siehe nur Peter L. Berger und Thomas<br />

Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion<br />

der Wirklichkeit: Eine Theorie der<br />

Wissenssoziologie, dt. Frankfurt am Main:<br />

S. Fischer, 1970; Paul Wa<strong>tz</strong><strong>la</strong>wick, Wie wirklich<br />

ist die Wirklichkeit? Wahn, Täuschung<br />

und Verstehen, dt. München: Piper, 1976.<br />

Dirk Baecker leitet seit Herbst 2007 den<br />

Lehrstuhl für Kulturtheorie und -analyse<br />

an der Zeppelin University in Friedrichshafen<br />

am Bodensee. Zuvor war er Professor<br />

für Soziologie an der Universität Witten/<br />

Herdecke, und von 1996 bis 2000 hatte er<br />

die Reinhard-Mohn-Stiftungsprofessur<br />

für Unternehmensführung, Wirtschafts-<br />

ethik und gesellschaftlichen Wandel an<br />

der Universität Witten/Herdecke inne.<br />

Kolumne 111 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Hollywood<br />

Fri<strong>tz</strong> B. Simon<br />

Lost in Trans<strong>la</strong>tion<br />

Fünf Länder: Griechen<strong>la</strong>nd (Schwarz-<br />

Weiß), Marokko, USA, Mexiko, Japan<br />

(alle in Farbe), das sind die Schauplä<strong>tz</strong>e<br />

zweier Filme, die das Thema<br />

der Interkulturalität, ja, der Internationalisierung<br />

illustrieren und deren<br />

Folgen (mit-)erlebbar machen.<br />

1. Eine Szene aus dem gebirgigen,<br />

wüsten Marokko: Ein Präsisionsgewehr<br />

(Winchester) wird für 500 Dirham<br />

und eine Ziege eingetauscht.<br />

Zwei Brüder, Ziegenhirten, sollen da-<br />

mit nach dem Willen ihres Vaters<br />

Schakale schießen. Sie machen Zielübungen,<br />

schießen auf einen Touristenbus<br />

und treffen eine amerikani-<br />

sche Touristin. (Farbe)<br />

2. Ein englischer Schriftsteller erbt<br />

eine verfallene Mine auf Kreta. Im<br />

Hafen von Athen lernt er einen von<br />

Lebenslust und Energie stro<strong>tz</strong>enden<br />

Mazedonier kenne. Er nimmt ihn mit<br />

auf die Insel und macht sich mit seiner<br />

Hilfe daran, die Mine wieder in<br />

Betrieb zu se<strong>tz</strong>en. (Schwarz-Weiß)<br />

3. Ein unglückliches, gehörloses Mädchen<br />

in Tokio ist auf der Suche nach<br />

einem Freund, nach irgendeiner Form<br />

sexuellen Interesses des anderen Geschlechts<br />

an ihr. Sie macht das, was<br />

man als junges Mädchen in solch<br />

einem Falle macht: Trifft sich mit<br />

Freundinnen in Discos, Cafés, geht<br />

zum Zahnarzt und ersinnt verzweifelte<br />

– und deshalb zwangsläufig<br />

scheiternde – Verführungsstrategien.<br />

(Farbe)<br />

4. Eine mexikanische Kinderfrau in<br />

San Diego und zwei ihrem Schu<strong>tz</strong><br />

anvertraute Kinder. Da deren Eltern<br />

nicht rech<strong>tz</strong>eitig von einer Reise nach<br />

Marokko zurückkommen konnten,<br />

nimmt sie die beiden mit über die<br />

Grenze nach Mexiko zur Hochzeit<br />

ihres Sohnes. (Farbe)<br />

Der englische Schriftsteller, der zu<br />

Hause seit Monaten nichts mehr geschrieben<br />

hatte, ist in Kreta mit den<br />

Regeln einer archaisch anmutenden<br />

Kultur konfrontiert: Man bestellt die<br />

Felder gemeinsam, man beobachtet<br />

sich gegenseitig genau, die soziale<br />

Kontrolle ist groß, deshalb braucht<br />

die Selbstkontrolle nicht so groß zu<br />

sein. Und sie wird auch nicht erwartet.<br />

Die Aufmerksamkeit aller Män-<br />

ner des Ortes gilt einer schönen<br />

Witwe: »They all want her and they all<br />

hate her because they don’t get her.«<br />

(Schwarz-Weiß)<br />

In einem weltabgelegenen Dorf in<br />

Marokko steht der Touristenbus, die<br />

amerikanische Touristin, schwer ver-<br />

le<strong>tz</strong>t, liegt in einer der primitiven<br />

Hütten. Ein Tierarzt hat ihre Wunde<br />

provisorisch genäht. Der Ehemann<br />

ist verzweifelt, versucht Hilfe herbei-<br />

zutelefonieren. Es gibt keine Kran-<br />

kenwagen, die Frau muss in ein Hospital,<br />

die anderen Touristen wollen<br />

weiter, die Klimaan<strong>la</strong>ge des Busses ist<br />

abgestellt. (Farbe)<br />

Die Hochzeitsfeier in Mexiko ist ausge<strong>la</strong>ssen,<br />

es wird viel getrunken, gesungen,<br />

getanzt. Hühnern wird zur<br />

Feier des Tages der Hals rumgedreht.<br />

Ausge<strong>la</strong>ssene Freude, Schüsse in die<br />

Luft. Emotionen. [So feiert man übrigens<br />

auch auf Kreta.] Die beiden amerikanischen<br />

Kinder mittendrin, etwas<br />

verstört, aber nicht unglücklich.<br />

(Farbe)<br />

Das Mädchen in Tokio – die junge<br />

Frau – hat eine angespannte Bezie-<br />

Kolumne 112 Revue für postheroisches Management / Heft 5


»They all want her and they all hate her<br />

because they don’t get her.«<br />

hung zu ihrem Vater. Die Mutter hat<br />

sich umgebracht. Hintergründe blei-<br />

ben im Dunkeln. Doch der Vater ist<br />

offensichtlich sehr erfolgreich, was<br />

aus der Qualität der Wohnung, der<br />

Möblierung, dem Pförtner etc. abzulesen<br />

ist. (Farbe)<br />

In dem kretischen Dorf steigert sich<br />

die – bis dahin erotisch, nun aber<br />

aggressiv – aufge<strong>la</strong>dene Atmosphäre.<br />

Einer der jungen Männer, die ohne<br />

Erfolg der schönen Witwe den Hof gemacht<br />

haben, bringt sich um, als of-<br />

fenbar wird, dass sie mit dem Engländer<br />

die Nacht verbracht hat. Die<br />

Schuld am Tod des Jungen wird der<br />

Witwe gegeben. (Schwarz-Weiß)<br />

Nach der Hochzeit schafft es die<br />

Kinderfrau nicht mit den beiden<br />

Gringo-Kindern ohne Vollmacht der<br />

Eltern wieder über die Grenze in die<br />

USA einzureisen. (Farbe)<br />

In Marokko suchen Polizisten nach<br />

den Attentätern. Ein terroristischer<br />

Hintergrund wird vermutet. Die ver-<br />

le<strong>tz</strong>te Amerikanerin liegt immer<br />

noch – in Lebensgefahr – in der dunklen<br />

Hütte. Der Bus ist weitergefahren.<br />

(Farbe)<br />

Die wütenden, verschmähten Männer<br />

<strong>la</strong>uern der Witwe beim Kirchgang<br />

auf, um sie zu steinigen. Der Mazedonier<br />

mehr als nur Angestellter,<br />

Freund des Engländers, kämpft mit<br />

den Führern des Mob, rettet die Frau.<br />

Doch als er sich umdreht, wird ihr<br />

vom Vater des Selbstmörders der Hals<br />

durchgeschnitten. (Schwarz-Weiß)<br />

In Tokio erscheinen Polizisten in der<br />

Wohnung des gehörlosen Mädchens.<br />

Ihrem Vater gehört die Winchester,<br />

mit der auf die Amerikanerin geschos-<br />

sen wurde. Er hat sie vor Jahren seinem<br />

Jagdführer in Marokko geschenkt.<br />

Und der hat sie gegen 500 Dirham<br />

und eine Ziege mit dem Vater der beiden<br />

Hirtenjungs getauscht. (Farbe)<br />

Die mexikanische Kinderfrau und die<br />

beiden Kinder sind von ihrem Fahrer<br />

in der Wüste ausgese<strong>tz</strong>t worden. Nur<br />

durch großes Glück werden sie von<br />

der Border-Control gefunden und gerettet.<br />

(Farbe)<br />

Das Bergwerk auf Kreta ist endgültig<br />

eingestürzt, die Frau, in die er sich<br />

verliebt hatte, ist tot. Es gibt keinen<br />

Grund mehr für den Engländer zu<br />

bleiben. Ohne verstanden zu haben,<br />

was wirklich passiert ist, macht er<br />

sich auf den Weg zurück. Sein Gehilfe<br />

hatte ihm schon vorher gesagt,<br />

was sein Problem ist: »You<br />

.....<br />

think too much. That is your trouble!«<br />

(Schwarz-Weiß)<br />

Endlich kommt der Hubschrauber,<br />

der die Verle<strong>tz</strong>te ins Krankenhaus<br />

bringt. Es hat vielfältige diplomatische<br />

Verwicklungen gegeben, die<br />

dies verzögert hatten. Bei der Fahndung<br />

nach den Tätern, den vermeint-<br />

lichen Terroristen, wird der Bruder<br />

des Schü<strong>tz</strong>en von der Polizei getötet.<br />

Zurück bleiben, untröstlich, Bruder<br />

und Vater. (Farbe)<br />

An der Grenze zwischen Mexiko und<br />

USA wird die Kinderfrau, die seit 16<br />

Jahren ihr Leben in San Diego (illegal)<br />

gelebt hatte, des Landes verwiesen.<br />

(Farbe)<br />

Happy End.<br />

Beide Filme stammen aus unter-<br />

schiedlichen Zeiten und handeln<br />

zu unterschiedlichen Zeiten. Der<br />

Schwarz-Weiß-Film »Alexis Sorbas«<br />

wurde 1964 nach einem Roman von<br />

Nikos Kazan<strong>tz</strong>akis gedreht. Die Handlung<br />

spielt nach dem ersten Welt-<br />

»Alexis Sorbas«, 1964<br />

Regie: Michael Cacoyannis<br />

Hauptdarsteller: Anthony Quinn,<br />

A<strong>la</strong>n Bates, Irene Papas<br />

DVD: 20th Century Fox<br />

Kolumne 113 Revue für postheroisches Management / Heft 5


»Babel«, 2006<br />

Regie: Alejandro González Inarritu<br />

Hauptdarsteller: Brad Pitt, Cate B<strong>la</strong>nchett,<br />

Said Tarchani, Gael Garcia Bernal,<br />

Ad<strong>ria</strong>na Barraza, Koji Yakusho,<br />

Rinko Kikuchi<br />

DVD: Tobis, UFA<br />

krieg. Der Farbfilm »Babel« kam<br />

2006 in die Kinos, und er handelt<br />

auch zu unserer Zeit.<br />

Beide zeigen Muster des interkulturellen<br />

Nicht-Verstehens, in sich<br />

schlüssige Verhaltenslogiken und deren<br />

Kontexte, die nicht ineinander<br />

überse<strong>tz</strong>bar sind. Aber sie tun dies<br />

in sehr unterschiedlicher Weise.<br />

Und das dürfte etwas mit den Ver-<br />

änderung der Welt zu tun haben,<br />

die in den le<strong>tz</strong>ten 40 Jahren stattgefunden<br />

haben. In Alexis Sorbas<br />

wird, schwarz-weiß, eine kohärente<br />

Geschichte erzählt, die ohne Zeit-<br />

sprünge die diachrone Ordnung der<br />

Geschehnisse aufreiht. Keine bunte<br />

Welt, sehr fremd, vor allem eng. Es<br />

geht um Ehre und Stolz, aber auch<br />

um Leidenschaften, von denen jeder<br />

weiß, zu welchen Taten sie führen<br />

können. Jeder ist deswegen der kontrollierenden<br />

Beobachtung, der Drohung<br />

von Verachtung, Ausstoßung<br />

und Steinigung unterworfen. Sorbas<br />

ist frei, weil er nicht wirklich dazu<br />

gehört, und der Engländer auch.<br />

Beides sind Fremde in dem kreti-<br />

schen Dorf. Doch der eine – Sorbas –<br />

lebt seine Leidenschaften, der andere,<br />

hirngesteuerter Westeuropäer, der<br />

nicht weiß, wie ihm geschieht, und<br />

mit den Temperamenten einer exotischen<br />

Kultur konfrontiert ist, erlebt<br />

seine Handlungsunfähigkeit, die<br />

Unfähigkeit, Wirkung zu erzielen.<br />

Was bleibt ist die – tro<strong>tz</strong> allem – ungetrübte<br />

Lebensfreude des Titelhelden:<br />

»Life is trouble. Only death ist not.«<br />

Ganz anders Babel. Hier wird eigent-<br />

lich gar keine Geschichte erzählt.<br />

Stattdessen werden unterschiedliche<br />

Kulturen synchron gezeigt. Lange<br />

und eindringliche Szenen nehmen<br />

den Zuschauer mit in die marokkanische<br />

Einöde, ziehen ihn in das mexi-<br />

kanische Fest, die japanische Disco.<br />

Der Film lebt von diesen Bildern. Der<br />

Titel Babel verweist auf Sprachverwirrung,<br />

aber es wird erstaunlich wenig<br />

gesprochen. Würde man eine Rang-<br />

liste nach den pro Filmminute ge-<br />

sprochenen Worten aufstellen, käme<br />

dieser Film sicher auf einen der hinteren,<br />

d. h. wortkargsten Plä<strong>tz</strong>e. Und<br />

Sprache ist auch nicht nötig, Dialoge<br />

sind überflüssig. Als Zuschauer weiß<br />

man aufgrund der Bilder, warum die<br />

Beteiligten sich wie verhalten, sich<br />

verstehen oder missverstehen. Die<br />

kommunikativen Innen-außen-Gren-<br />

zen der Kulturen sind offensichtlich.<br />

Dass der Film diskontinuierlich<br />

zwischen unterschiedlichen Orten<br />

springt, macht ihn zu einem Modell<br />

der Gegenwart. Denn was in all den<br />

gezeigten Kulturen, Dörfern wie Welt-<br />

städten, passiert, ist miteinander verknüpft,<br />

gekoppelt, und es kann mehr<br />

oder weniger gleichzeitig beobachtet<br />

werden. In Tokio wird im Fernsehen<br />

über die verle<strong>tz</strong>te Amerikanerin in<br />

Marokko berichtet, und die Winches-<br />

ter, aus der geschossen wurde, verbindet<br />

alle gezeigten Orte und Akteure.<br />

Sie verne<strong>tz</strong>t die Schicksale der<br />

marokkanischen Hirtenjungs und<br />

ihres Vaters und der mexikanischen<br />

Kinderfrau und ihres Sohns, des<br />

japanischen Mädchens und ihres<br />

Vaters und der amerikanischen Touristeneltern<br />

und ihrer Kinder. Denn<br />

das ist das zweite globale Muster, um<br />

das es nebenbei in diesem Film geht:<br />

Es handelt immer von Eltern-Kind-<br />

Beziehungen und den Emotionen, die<br />

sie steuern. Denn das amerikanische<br />

Paar hat sich nur deswegen auf diese<br />

absurde Reise nach Marokko begeben,<br />

weil sie sich vom plö<strong>tz</strong>lichen Kindstod<br />

ihres dritten Kindes ablenken<br />

wollten. Ein verfehlter Versuch, der<br />

dazu dienen sollte, die Kommunikation<br />

darüber zu vermeiden …<br />

Kolumne 114 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Anzumerken ist noch, dass dieser<br />

Film nur aus Sicht der amerikanischen<br />

und japanischen Familie ein<br />

Happy End hatte. Die marokkanische<br />

Familie hat einen Sohn verloren, die<br />

mexikanischen Kinderfrau hat ihre<br />

wirtschaftliche und soziale Lebens-<br />

grund<strong>la</strong>ge verloren. In San Diego<br />

kann das Familienleben weiter ge-<br />

hen, und in Tokio nähern Vater und<br />

Tochter sich endlich einander an.<br />

Schaut man auf die dramaturgischen,<br />

impliziten Strukturen beider Filme,<br />

so wird ein wichtiger Unterschied<br />

zwischen der Zeit damals, vor ca. 80<br />

Jahren, als Alexis Sorbas spielte, und<br />

unserer Zeit deutlich. Früher wechselte<br />

man den Kontext – man fuhr<br />

von Eng<strong>la</strong>nd nach Kreta – und blieb<br />

dort re<strong>la</strong>tiv <strong>la</strong>nge Zeit. Deswegen war<br />

man gezwungen sich mit den kulturellen<br />

Mustern des fremden Landes<br />

auseinanderzuse<strong>tz</strong>en. Man konnte in<br />

seiner Erfahrung, in seinem Erleben,<br />

die Kontexte hintereinander (dia-<br />

chron) ordnen. Die Zeit brauchte ihre<br />

Zeit, und die unterschiedlichen Orte<br />

waren durch die zeitliche Ordnung<br />

getrennt. Heute hingegen sind die<br />

Verne<strong>tz</strong>ungen so, dass die Zeit kein<br />

nacheinander mehr kennt. Wenn in<br />

Marokko geschossen wird, so ist das<br />

in Tokio im Fernsehen zu sehen. Synchronizität<br />

ist das Stichwort. Während<br />

früher die Nachrichten ihre Zeit<br />

brauchten, und daher die ökonomische<br />

Krise in Europa durch den Boom<br />

in Asien kompensiert wurde, funktioniert<br />

nun die Welt synchronisiert.<br />

Der Panik am Aktienmarkt von New<br />

York folgt unvermeidlich die Panik in<br />

Tokio und der folgt die Panik in<br />

Frankfurt, London und New York.<br />

Und die Winchester, made in USA,<br />

wird zum Zentrum eines Ne<strong>tz</strong>werks<br />

des Schicksals von Menschen, die<br />

nichts voneinander wissen und auch<br />

eigentlich nichts voneinander wissen<br />

wollen. Aber diese Verknüpfung über<br />

Zeit und Raum ist heute der Normal-<br />

zustand. Man kann nicht einmal ein<br />

Joghurt essen, ohne mit der Welt<br />

dadurch auf innige Weise gekoppelt<br />

zu sein …<br />

Bleibt noch anzumerken, dass »Alexis<br />

Sorbas« drei Oscars erhielt und der<br />

Regisseur von »Babel« die Goldene<br />

Palme der Filmfestspiele von Cannes.<br />

¶<br />

Fri<strong>tz</strong> B. Simon, geb. 1948, Dr. med. habil.,<br />

Prof. für Führung und Organisation, Witte-<br />

ner Institut für Familienunternehmen der<br />

Universität Witten/Herdecke. Systemischer<br />

Organisationsberater, Psychiater, Psychoanalytiker<br />

und systemischer Familientherapeut.<br />

Geschäftsführender Gesellschafter<br />

der Carl-Auer-Systeme Ver<strong>la</strong>gs GmbH und<br />

der Simon, Weber und Friends Systemische<br />

Organisationsberatung GmbH. Arbeitsschwerpunkte:<br />

Organisations-, Kommunikations-,<br />

Konfliktforschung und -beratung.<br />

Lehr- und Beratungstätigkeit in div. europäischen<br />

Ländern, den USA, China.<br />

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Marie Ganier-Raymond, geb. 1963 bei Paris, Studium der Politikwissenschaft und Fremdsprachen. Seit den 80er-<br />

Jahren lebt sie in Heidelberg und London. Sie arbeitete in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, als Koordinatorin<br />

europäischer Integrationsprojekte, in der Marktforschung und für die internationale Menschenrechtsorganisation<br />

FIAN. Vor einigen Jahren gründete sie das Beratungsunternehmen alteri – interkulturelle Kommunikation.<br />

Aktuell begleitet sie Fusionsprozesse in Europa und unterstü<strong>tz</strong>t staatliche Organisationen in ihrem Aufbauprozess<br />

vornehmlich in der arabischen Welt.<br />

Marie Ganier-Raymond Der Kaiser in Frankreich<br />

Frankreich steht für Revolution, Esprit, Haute Couture<br />

sowie für charmante, etwas zu klein geratene Autos.<br />

Deutsch<strong>la</strong>nd steht für Disziplin, Philosophie, Machtlust<br />

sowie für große technisch unsch<strong>la</strong>gbare Autos. Solche<br />

holzschnittartigen Darstellungen sind nicht uneingeschränkt<br />

wirklichkeitsnah, dennoch bestimmen sie<br />

unsere Erwartungen, wenn wir auf das Nachbar<strong>la</strong>nd<br />

treffen. Und nun haben wir den Fall eines Erfolgs im<br />

Nachbar<strong>la</strong>nd, der diese Kategorien sprengt – Karl Lagerfeld,<br />

der »Kaiser de <strong>la</strong> mode«.<br />

Lässt man die Geschichtsbücher oder Fußballkreise<br />

außen vor, so er<strong>la</strong>uben sich die Franzosen ausschließlich<br />

bei ihm, von einem Kaiser zu sprechen. Der gebürtige<br />

Hamburger zog als junger Erwachsener nach Paris und<br />

eroberte über die Jahrzehnte ausgerechnet das Gebiet,<br />

für das die Franzosen Unsch<strong>la</strong>gbarkeit beanspruchen:<br />

Der bekennende Deutsche hat die Krone über den<br />

Modehimmel an sich gerissen, und niemand trägt es<br />

ihm im Lande nach.<br />

Sein Erfolg wird primär durch eine gelungene<br />

Mischung aus handwerklichem Können, Schaffenslust,<br />

extremer Energie, Vielseitigkeit, Gespür für Vermark-<br />

tung – inklusive Selbstvermarktung, Selbstdisziplin und<br />

Kontrolle über den gesamten Prozess erzeugt. Besonders<br />

positiv ist zudem seine Fähigkeit, Misserfolge als solche<br />

zu verbuchen und sie dennoch durch sofortiges weiteres<br />

Schaffen und den nächsten Erfolg wet<strong>tz</strong>umachen. All<br />

das sind Persönlichkeitszüge, die es einem Menschen<br />

er<strong>la</strong>uben können, überall auf der Welt zu den besten<br />

Ergebnissen zu kommen, ungeachtet seiner Herkunft.<br />

Beachtenswert in dem Kontext sind dennoch Ort und<br />

Ausmaß des Erfolgs: Was macht ihn so erfolgreich, und<br />

vor allem: Was macht ihn in Frankreich so erfolgreich?<br />

Das Ich im Hier und Dort<br />

Es lohnt sich, einen Schritt zurück zu wagen, um den<br />

Erfolg des Designers zu betrachten. Eine gute Ausgangsbasis<br />

für den gelungenen Auftritt in fremden Gefilden<br />

ist eine innere Stabilität. Wenn das Ich so gefestigt ist,<br />

dass ein distanzierter Blick zu sich selbst möglich ist und<br />

der Mensch über ausreichend Akzeptanz seiner Person<br />

verfügt, kann er sie in unbekanntes Terrain führen und<br />

dabei eine Vielzahl an potenziellen Hindernissen umgehen.<br />

In Anlehnung an Gregory Batesons Erkenntnisse<br />

hat dieser Mensch die subjektiven Produkte seiner Wirklichkeit<br />

positiv angenommen. »Hör auf, auf dem K<strong>la</strong>vier<br />

Der Kaiser in Frankreich 116 Revue für postheroisches Management / Heft 5


La primera bai<strong>la</strong>rina de Lagerfeld, martes 9 de junio de 2009 (www.viewonfashion.es/dev/userFTP/ancoutter/1g.jpg)<br />

zu klimpern, du hast gar kein Talent, nimm lieber ein<br />

B<strong>la</strong>tt Papier und male was!«, soll ihm seine Mutter nach<br />

einem Jahr K<strong>la</strong>vierunterricht befohlen haben. Dem forschen,<br />

sogar schonungslosen Rat der Mutter verdankt er<br />

einerseits immer wieder öffentlich seine spätere Karriere<br />

und andererseits verdankt er ihr, dass sie zu zweit den<br />

Weg nach Paris angetreten sind, als er sich als Heranwachsender<br />

für die Modebranche entschied.<br />

Eine Triebfeder seiner gelungenen Integration im<br />

französischen Kontext ist die feste Überzeugung Karl<br />

Lagerfelds, dass er am richtigen P<strong>la</strong><strong>tz</strong> angekommen war.<br />

Es ist zu vermuten, dass er die ersehnte Fremde kaum als<br />

fremd, sondern vor allem als P<strong>la</strong><strong>tz</strong> der Selbstentfaltung<br />

wahrnahm.<br />

In der Fremde vom Anderen lernen<br />

Selbstverwirklichung im fremden Kontext se<strong>tz</strong>t Lernbereitschaft<br />

voraus. Das System der ersten und zweiten<br />

Sozialisation wird hinter sich ge<strong>la</strong>ssen, und man muss<br />

sich ein neues konstruieren. Sprache, kulturelle Normen<br />

und Verhaltensweisen sind weitgehend unbekannt, und<br />

um sie sich zu erarbeiten, muss der Neuankömmling<br />

nicht nur Ausdauer und Frustrationstoleranz an den Tag<br />

legen, sondern auch Neugierde und Beobachtungsgabe<br />

als persönliche Eigenschaften besi<strong>tz</strong>en. Dies trifft auf<br />

Lagerfeld ganz und gar zu. Hinzu kommt, dass er in seine<br />

transkulturelle Geschichte einen für Deutsch<strong>la</strong>nd typischen<br />

Wert mitgebracht hat: Die Überzeugung, dass<br />

Exzellenz nur mit einer <strong>la</strong>ngen Zahl an Lehrjahren zu erreichen<br />

ist. Franzosen legen in diesem Zusammenhang<br />

mehr Wert auf geniale Kreativität.<br />

So lernte er als junger Mensch in Frankreich neben<br />

Sprache und Kultur auch die verschiedensten Facetten<br />

der Modewelt durch die Modeschule und durch seine<br />

darauf folgenden <strong>la</strong>ngjährigen Tätigkeiten als künstlerischer<br />

Leiter und Designer in verschiedenen k<strong>la</strong>ssischen<br />

Modehäusern kennen. »Ich wollte lernen, nicht das kleine<br />

Genie spielen«, sagte er später über seine Anfänge.<br />

Dies ist ein erstes Indiz für seinen speziellen Erfolg im<br />

französischen Kontext: Er empfand im Gegensa<strong>tz</strong> zu seinen<br />

französischen Kollegen eine Bildungszeit, die sich<br />

durch Länge und Umfang kennzeichnet, nicht als selbstdiskriminierenden<br />

Faktor. Während die Franzosen dazu<br />

tendieren, den Menschen zu zelebrieren, der besonders<br />

fix eine herausragende Leistung hervorbringt, schenken<br />

die Deutschen eher demjenigen Beachtung, der in seiner<br />

Leistung ein holistisches Können vorweist. In diesem<br />

Sinn wurde Karl Lagerfeld zunächst ohne unter seinem<br />

eigenen Namen zu firmieren bekannt.<br />

Alle Prozesse kontrollieren<br />

Im Zentrum des Erfolgs im fremden Land steht die Fähigkeit<br />

zur erhöhten Kontrolle über die eigenen Schritte.<br />

Der delphische Spruch »Erkenne dich selbst« ist im<br />

interkulturellen Kontext besonders wertvoll. Die nüchterne<br />

Wahrnehmung des eigenen Vermögens und der<br />

Endlichkeit des Seins sind hilfreich, um sich im anderen<br />

Land sicher zu bewegen. Es gilt dabei, den berühmten<br />

blinden Fleck so weit wie möglich zu verkleinern, um<br />

stets bewusst zu handeln und gleichzeitig der Außenwelt<br />

nur ausgewählte Elemente seines Selbsts zu vermit-<br />

teln. Dies gilt im Alltag, aber noch stärker im profes-<br />

sionellen Kontext. Karl Lagerfeld ist, untypisch für die<br />

Leitungsebene in Frankreich, überall dabei, er scheint<br />

den Überblick über alle Stufen des Produktionsprozesses<br />

zu wahren, von der Art, wie kleine Perlen angebracht<br />

werden, bis hin zur Vollendung der Modepräsentation.<br />

»Ich interessiere mich nur für das, was ich mache«,<br />

beteuert er auf Nachfrage. Was auf den ersten Blick fast<br />

engstirnig klingen mag, heißt in seinem Fall – so betont<br />

er es in verschiedenen Interviews –, in der Lage zu sein,<br />

Der Kaiser in Frankreich 117 Revue für postheroisches Management / Heft 5


sämtlichen aufkommenden technischen Problemen be-<br />

gegnen zu können. Er muss natürlich nicht alle lösen,<br />

aber er verkörpert den Anspruch, immer zu wissen, wie<br />

die Probleme zu lösen sind. Darin liegt der Grundstein<br />

der Unabhängigkeit, ein Wesenszug, den seine französischen<br />

Kollegen möglicherweise als nicht so relevant<br />

empfinden. »Ich möchte immerzu mein technisches<br />

Wissen vervollständigen«, sagt er an anderer Stelle. Er<br />

bedient in seiner Haltung einige Stereotypen, die in<br />

Frankreich über die Deutschen kursieren. So wird er<br />

als »sehr organisiert« wahrgenommen, was in französischen<br />

künstlerischen Kreisen nicht zwangsläufig als<br />

positive Eigenschaft konnotiert wird. Einem überorganisierten<br />

Franzosen würde man unter Umständen nicht so<br />

viel Kreativität zutrauen, von einem Deutschen erwartet<br />

man es und betrachtet erst im nächsten Zug, ob die<br />

Kreativität auch stimmt. Hier haben wir es mit einer<br />

Asymmetrie im Diskurs zu tun, wie sie Emmanuel<br />

Lévinas geprägt hat: Die Beziehung zum Anderen ist<br />

keine, die auf Gegenseitigkeit in einem gemeinsamen<br />

Raum beruht, sie beruht nicht auf dem gemeinsamen<br />

Raum, sondern auf der Distanz, die das Selbst vom Anderen<br />

trennt.<br />

Seine Kontrolllust erschöpft sich nicht im professionellen<br />

Leben. So hat er mehrmals seinen eigenen Körper<br />

neu erschaffen, vom Oberschicht-Beau seiner hansea-<br />

tischen Jugend über den Body-Building-Hedonisten im<br />

besten Mannesalter hin zu einer von extremem Willen<br />

geprägten sch<strong>la</strong>nken Figur zu einem Zeitpunkt, in dem<br />

die meisten das Rentenalter antreten: Er produziert eigenhändig<br />

den Eink<strong>la</strong>ng zwischen seiner Person und seiner<br />

Zeit. Diese nach außen projezierte Konstruktion ist<br />

außerdem ein probates Mittel, um von seiner Privatsphä-<br />

re so viel zu wahren, wie er für notwendig hält.<br />

Neben dem Prozessverständnis und der Prozesskontrolle<br />

steht er seiner eigenen Figur als Prozessbetrachter<br />

zur Seite. Darin unterscheidet er sich von den meisten<br />

anderen seiner Zunft. Mit der Liebe zur Fotografie offenbart<br />

er die nächsten Distanzschritte zu sich selbst. Er hat<br />

irgendwann angefangen, seine Modewerke in Szene zu<br />

se<strong>tz</strong>en und sie abzulichten. Inzwischen porträtiert er<br />

sich auch immer wieder selbst als Fotograf seiner Produkte<br />

und als erschaffene Figur. Die stetige Kontrolle<br />

über seine Person drückt er damit aus, dass er sich<br />

selbst als »Marionnette« wahrnimmt. Dass dieses Konstrukt<br />

nach eigenen Angaben kein P<strong>la</strong><strong>tz</strong> für Sexualleben<br />

im k<strong>la</strong>ssischen Sinne lässt, ist möglicherweise nicht verwunderlich.<br />

Dazu passt ein Zitat aus einem Interview:<br />

»Jede Entscheidung ist Verneinung«, zitiert er Spinoza.<br />

Er trifft viele Entscheidungen und scheint sich nicht vor<br />

dem zu ängstigen, was er im gleichen Zug verneint.<br />

Neben dem Körper der Geist<br />

Karl Lagerfeld wird als besonders interessiert und ex-<br />

trem gebildet beschrieben sowie als lustig und mitreißend<br />

empfunden. Sein übermäßiges Talent wird gelobt.<br />

Er pflegt das Image eines nicht in sich gekehrten Geistes.<br />

Im Gegensa<strong>tz</strong> ist sein Anliegen: »Ich will alles wissen,<br />

über alle Themen. Vor allem Personen, die ich nie<br />

gekannt habe, interessieren mich. Ich sehe mich nicht<br />

als Intellektueller, im Gegensa<strong>tz</strong> hasse ich deren Gegenwart.<br />

Ich bin der oberflächlichste Mensch der Welt.« Er<br />

nimmt sich als »professionellen Dilettanten« wahr. Diese<br />

Selbstbetrachtungen werden als Understatements beobachtet.<br />

Hiermit stellt er eine Konkordanz zum Land<br />

seiner Wahl her. Esprit kann man sich nicht selbst<br />

bescheinigen. Esprit kann man nur <strong>la</strong>ut Urteil Dritter<br />

haben.<br />

Der selbsternannte Dilettant hat über die Jahre eine<br />

Büchersammlung von über 300.000 Büchern aufgebaut.<br />

Derweil er sich über die Jahre immer wieder von seinem<br />

Besi<strong>tz</strong> in Form von Kleidern, aber auch Möbelkollektionen<br />

und selbst Häusern getrennt hat, lässt er für seine<br />

Bücher, die er tro<strong>tz</strong> unüberhörbarer Zuneigung eine<br />

P<strong>la</strong>ge nennt, eine Bibliothek bauen. »Ich sammle keine<br />

Kunst. Nur Bücher«, die Zuhörer erkennen sofort, dass es<br />

ihm nicht um die Form der Bücher, sondern um die geistige<br />

Auseinanderse<strong>tz</strong>ung mit den Inhalten geht, die<br />

untrennbar von seiner Person ist.<br />

Schaffenslust und Schaffenskraft<br />

Der Zugang von Karl Lagerfeld zur Modewelt ist durch<br />

Nüchternheit und Lust geprägt. Im Gegensa<strong>tz</strong> zu den<br />

meisten seiner Zunft verkündet er: »Wir sind in der Bekleidungsbranche,<br />

und Mode ist nicht Kunst!« Somit<br />

steckt er einen nüchternen Rahmen ab über das was die<br />

Mode bietet, und dies ermöglicht ihm im nächsten Zug,<br />

diese Grenze immer wieder auszuloten und nach Lust zu<br />

sprengen. Derweil sich viele Designer gerne mit einer<br />

Genie-Aura umgeben, die vermuten lässt, dass jeder Mal-<br />

strich von Kunstvollkommenheit gekennzeichnet ist, ver-<br />

kündet Lagerfeld, dass man im Grunde am häufigsten<br />

Der Kaiser in Frankreich 118 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

dirk hupe, 2009. Werk-Nr. 0182_2009; o.T., Text-, Wortfragmente (...), Dispersionsfarbe, Acryl<strong>la</strong>ck, Leinwand , Keilrahmen, 160 x 145 x 4,5 cm, 2009, Hintergrundabbildung Fotoarbeit, 2008


für den Papierkorb malt, damit ab und an irgendetwas<br />

Brauchbares dabei herauskommt. In diesem Zusammenhang<br />

wird das Verständnis von Schaffenskraft sowie<br />

eine interessante Abweichung zwischen der Selbstpropaganda<br />

und der Fremdwahrnehmung deutlich.<br />

Die Selbsteinschä<strong>tz</strong>ung der Arbeitsleistung ist in<br />

Frankreich gemeinhin sehr hoch. Arbeitsmenge und<br />

Arbeitswert werden vereint. Und nun kommt jemand<br />

aus Deutsch<strong>la</strong>nd, das Land des emsigen Arbeitens im<br />

kollektiven Bewusstseins Frankreichs, und sagt: »Es ist<br />

richtig nervig, wenn Leute sagen, dass sie zu viel arbeiten.«<br />

Die Auseinanderse<strong>tz</strong>ung mit diesem Stereotypen<br />

gestaltet er dahingehend, dass er leistet, möglicherweise<br />

mehr und besser als die anderen, aber er stellt auf<br />

keinem Fall die Arbeitsmenge in den Vordergrund. Dies<br />

führt im französischen Kontext zu lobender Erwähnung.<br />

Während er selbst es verabscheut, über Arbeit zu spre-<br />

chen, wird er als Arbeitstier oder sogar »forçat (Sträf-<br />

ling)« tituliert – eine Art Huldigung, die er sicherlich<br />

als Lob seiner Kreativität richtig zu interpretieren weiß.<br />

So hört man über ihn: »Er ist nicht modisch, er ist die<br />

Mode.«<br />

Diese Arbeitshaltung, gepaart mit der oben erwähnten<br />

Lust auf Kontrolle, führt dazu, dass Lagerfeld den<br />

Eindruck vermittelt, vom Alpha bis zum Omega mit Lust<br />

und Können die Produktionsfäden in der Hand zu haben<br />

und dabei von keinen Gemütsschwankungen heimge-<br />

sucht zu werden. Dies hat eine faszinierende Wirkung<br />

auf eine stark von Emotionen geprägte Welt der französischen<br />

Modeschöpfer.<br />

»Ich brauche kein Zeitmanagement, weil ich sowie-<br />

so das mache, was ich will.« Auch bei seinem Verhältnis<br />

zur Zeit ist die vermeintlich dilettantische, selbstbezogene<br />

Haltung eine Täuschung des tatsächlich sehr bewussten<br />

Umgangs mit Zeit und Aufgaben.<br />

Schaffensart<br />

Anders als die meisten seiner Kollegen in Frankreich ist<br />

er zu jedem Zeitpunkt des Produktionsprozesses dabei<br />

und kann auch die Leistung Dritter würdigen.<br />

Ein großer Unterschied zu Deutsch<strong>la</strong>nd stellt die in<br />

Frankreich übliche Hierarchisierung der Arbeitsarten. So<br />

werden die Handwerkerinnen, die das Edle in die Modeideen<br />

hineinfabrizieren »petites mains«, also »kleine Hände«<br />

genannt. Diese pars pro toto Beschreibung zieht sich<br />

durch allen Ebenen der handwerklichen Arbeit hin: Von<br />

der »petite main« kann man sich bis zur »première main«<br />

hocharbeiten, eine Berufsbezeichnung, die bedeutet, dass<br />

man die Werkstatt leitet. Diese Bezeichnungen reduzieren<br />

unverkennbar den Beitrag dieser Meisterinnen und<br />

Fachfrauen zum Endprodukt. Aus Gesprächen mit den<br />

Handwerkerinnen in Dokumentarfilmen über Karl Lager-<br />

feld wird ganz deutlich, dass er in ihnen Meisterinnen<br />

ihrer Zunft sieht, die für das Gelingen des Modeprodukts<br />

entscheidend mitverantwortlich sind. Da scheint er noch<br />

von einer deutschen Wahrnehmung von Kompetenzen<br />

geprägt zu sein.<br />

In seinen Äußerungen sowie in der Betrachtung seiner<br />

Person und seiner Produkte wird k<strong>la</strong>r, dass er streng<br />

darauf ausgerichtet ist, stets das Bestmögliche zu er-<br />

reichen. Sagt er: »Die besten Ideen sind sehr einfach und<br />

sehr stupid«, so meint er damit, dass auch die höchst<br />

einfach aussehenden Ideen vollendet sein müssen. Die-<br />

ses se<strong>tz</strong>t sich auch in seiner Wahrnehmung Dritter durch.<br />

So betont er immer wieder: »Ich hasse nichts so sehr wie<br />

Menschen, die sich gehen <strong>la</strong>ssen.« Eine gewisse Strenge<br />

kommt dabei zum Vorschein, die möglicherweise der<br />

Verkörperung einer großen S<strong>trin</strong>genz gleichkommt.<br />

Chanel: Die Übernahme der Grande Dame der französischen<br />

Modewelt<br />

Die Verkörperung dieser S<strong>trin</strong>genz spiegelt auch sein<br />

Verhältnis zu den Marken. Sein Ansa<strong>tz</strong> er<strong>la</strong>ubt ihm,<br />

»sich einen Namen mit dem Namen eines anderen« gemacht<br />

zu haben. Wenn er über seine Wirkung bei<br />

Chanel spricht, wird k<strong>la</strong>r, wie positiv seine Ursprungsposition<br />

aus der Fremde gewesen sein durfte. Neben sei-<br />

Der Kaiser in Frankreich 120 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

E-Bay-Angebot Jacke Lagerfeld (http://meeae.com/Pics/<strong>la</strong>gerfeldJacket8.jpg)


nem am Anfang angedeuteten stabilen Ich kommen<br />

andere Eigenschaften hinzu, die speziell für das Haus<br />

Chanel von Vorteil sind. Seine oft zitierte besondere<br />

Allgemeinbildung was Mode und Kunst angeht, hat ihm<br />

sicherlich er<strong>la</strong>ubt, zumindest in seiner Anfangsphase<br />

bei Chanel, analytisch mit dem Geist des Hauses und<br />

dessen Kundinnenwelt umzugehen. Sieht man Fernseh-<br />

Interviews aus der Zeit, so ist Karl Lagerfeld perfekt in<br />

der Lage, die Brücke zwischen Coco Chanel und seinen<br />

Modeschöpfungen zu sch<strong>la</strong>gen. Durch seine präzise und<br />

neugierige Beobachtungsgabe sind die ersten Moden-<br />

schauen aus den 80ger-Jahren richtige Zitate des k<strong>la</strong>ssischen<br />

Chanel-Stils.<br />

Über die Jahre, in einem <strong>la</strong>ngen perfektionistischen<br />

Prozess, hat er Chanel in ein Akronym für Karl Lagerfeld<br />

Haute Couture umgewandelt. Erklärte er noch einst, wes-<br />

halb er doch kurze Röcke einführt, obwohl »Mademoiselle«<br />

sie verabscheute, so sagt er heute: »I don’t care about<br />

Coco Chanel«, was sicherlich nicht so stimmt, aber dafür<br />

steht, dass er sich über die Jahre von ihr emanzipiert hat.<br />

Da das Haus Chanel bis in die 1970er-Jahren für franzö-<br />

sische Perfektion stand, ist es wenig erstaunlich, dass<br />

ausgerechnet ein Mensch, der für höchste Qualität auf<br />

allen Stufen eines Produktionsprozesses steht, einbe-<br />

stellt wurde, um das Haus vor dem Niedergang zu retten,<br />

und daraus wieder eines der renommiertesten Modehäuser<br />

der Welt zu machen.<br />

Der Designer vermittelt ununterbrochen,<br />

dass das Schöne in seiner<br />

Hand ist, und er lässt die ganze<br />

Welt dabei auf ihn schauen.<br />

Der Designer vermittelt ununterbrochen, dass das Schö-<br />

ne in seiner Hand ist, und er lässt die ganze Welt dabei<br />

auf ihn schauen. Er scheut sich nicht zu zeigen, wie Per-<br />

fektion geht, und bedient damit ein weiteres deutsches<br />

Stereotyp: Derweil Franzosen nur das akzeptieren, was<br />

sie selbst entwickelt haben, so sind Deutsche dafür berühmt,<br />

die Welt zu belehren. Ein Erfolgsrezept für das<br />

Aus<strong>la</strong>nd ist, die Strukturen zunächst verstehen zu lernen,<br />

anstatt sie sofort zu kritisieren. Bei der Übernahme<br />

eines Traditionshauses kommt diese Fähigkeit besonders<br />

.......<br />

zum Zuge: Er hat es außerordentlich gut geschafft, die<br />

Tradition zu loben und gleichzeitig seine Andersartigkeit<br />

immer wieder auszuarbeiten.<br />

Schlussbetrachtung<br />

Wie hier deutlich geworden ist, ist die Beziehung zum<br />

Anderen nie symmetrisch. Der Philosoph Emmanuel Lévinas<br />

spricht davon, dass der Andere »absolut« anders ist.<br />

Man kann nach seiner Theorie nicht vermitteln, denn<br />

jeder Versuch in dieser Richtung vergrößert noch diese<br />

Asymmetrie. Es gilt deshalb statt eines Versuchs der<br />

Angleichung des Selbst, mit dem fremden Kontext, seine<br />

Andersartigkeit so zu positionieren, dass man in der<br />

Fremde mehr und Interessanteres anbietet, als erwartet<br />

wird. Dies kann einen produktiven Diskurs einführen,<br />

der von sehr hoher Wertschä<strong>tz</strong>ung gekennzeichnet wird.<br />

Eine spürbar positive Andersartigkeit bahnt die Gefahr<br />

einer Ablehnung durch die Anderen, die in einem solchen<br />

Fall in ihrer Auseinanderse<strong>tz</strong>ung mit dem Fremden<br />

einen identitären Rückzug vornehmen und die Beziehungsangebote<br />

per se ablehnen.<br />

In Anlehnung dazu kann zum Schluss noch auf<br />

eine interessante Dyssymmetrie der Wahrnehmung ein-<br />

gegangen werden: Wird Karl Lagerfeld in Frankreich<br />

»Kaiser« genannt, so titulierte im September 2008 die<br />

FAZ einen Artikel über ihn mit »der Sonnenkönig, den<br />

Deutsch<strong>la</strong>nd nie hatte«. In beiden Ländern hat er es also<br />

geschafft, als absolutistischer Herrscher des anderen<br />

Lands gesehen zu werden, obwohl er bisher fast immer<br />

für andere und nicht für sein eigenes Haus tätig gewesen<br />

ist und obwohl er immer wieder seine Endlichkeit be-<br />

tont, die er immer wieder etwa wie folgt resümiert:<br />

»Wenn ich tot bin, bin ich tot, da hört alles auf, meine<br />

Asche soll zerstreut werden, und es muss keiner meiner<br />

Beerdigung beiwohnen.« ¶<br />

Alicia Drake: Beautiful People, Paris, 2008<br />

Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt<br />

am Main, 1981<br />

Emmanuel Lévinas: Totalité et Infini. Essai sur l’extériorité, Sant<br />

Llorenç d’Hortons, 1990<br />

Emmanuel Lévinas: Altérité et Transcendance. La flèche, 2006<br />

Arnaud Mail<strong>la</strong>rd: Merci Karl!, Paris, 2007<br />

Fri<strong>tz</strong> B. Simon: Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus,<br />

Heidelberg, 2008<br />

DVD: Signé Chanel, Loic Prigent. Arte 2005<br />

DVD: Lagerfeld Confidentiel, Rodolphe Marconi, 2006<br />

Der Kaiser in Frankreich 121 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Hören & Sehen<br />

C<strong>la</strong>udia Müller, Dipl.-Kauffrau, geb. 1960 in Düsseldorf, internationales BWL-Studium an der Europäischen<br />

Wirtschaftshochschule ESCP-EAP, 15 Jahre Management-Erfahrung in internationalen Verkaufs-, Marketing- und Führungspositionen<br />

des Unilever-Konzerns und der Gillette Company, acht Jahre vor Ort in Beijing/China, Singapur und Indien.<br />

Arbeitet seit 1999 freiberuflich als Organisationsberaterin in Internationalisierungsprozessen mit Schwerpunkt Asien und<br />

als Trainerin für interkulturelle Kompetenz und internationale/globale Führungskräfteentwicklung.<br />

C<strong>la</strong>udia Müller<br />

David Trickey, Nigel Ewington<br />

und A<strong>la</strong>n Deakins:<br />

»A World of Difference – Working<br />

successfully across cultures«<br />

Lange Zeit beschäftigte Unternehmen<br />

beim Stichwort »Internationalisierung«<br />

vor allem die Frage, welche<br />

Mitarbeiter sie als sogenannte »Ex-<br />

patriierte« in die Aus<strong>la</strong>ndsfili<strong>la</strong>len<br />

entsenden konnten. Aus der Einsicht,<br />

dass es ja vielleicht doch Sinn macht,<br />

solche Mitarbeiter auf ihr Entsen-<br />

dungs<strong>la</strong>nd durch ein interkulturelles<br />

Seminar besser vorzubereiten, entstand<br />

die interkulturelle Trainingsbranche.<br />

Hatte diese sich zunächst<br />

besonders mit länderspezifischen<br />

Trainings befasst, so sind gute interkulturelle<br />

Trainingsunternehmen<br />

heute durchaus mit einem differenzierteren<br />

Angebot am Markt. Längst<br />

ist kulturüberschreitendes Arbeiten<br />

als Teil des Geschäftsalltags Normalität<br />

geworden. Die Wichtigkeit vie-<br />

ler außereuropäischer und amerika-<br />

nischer Märkte für die Unternehmen<br />

hat zur Folge, dass Projektteams heute<br />

oft eine Vielzahl von Kulturen an<br />

einen Tisch bringen – wobei dieser<br />

Tisch häufig sogar nur noch virtuell<br />

existiert. So ist die Frage nach der<br />

Zusammenarbeit in internationalen<br />

und teilweise virtuellen Projekt- und<br />

anderen Teams zu einem wesentlichen<br />

Fokus der interkulturellen Beratungs-<br />

und Trainingsbranche geworden.<br />

Genau diese interdependente Ge-<br />

schäftswelt, die eine besondere Kom-<br />

petenz im Umgang mit Unterschiedlichkeit<br />

benötigt, hatten David Trickey<br />

und Nigel Ewington im Sinn, als<br />

sie aus ihrer Erfahrung als interkulturelle<br />

Trainer und Berater in Zusam-<br />

menarbeit mit dem Filmemacher<br />

A<strong>la</strong>n Deakins den Film und das zugehörige<br />

Trainingsprogramm »A World<br />

of Difference« entwickelten. Das<br />

Trainingspaket schärft die Wahrnehmung<br />

für die vielen Herausforde-<br />

rungen bei der Zusammenarbeit in<br />

internationalen Teams und hilft<br />

Teilnehmern, praktische Fertigkeiten<br />

und Kompetenzen im Umgang mit<br />

Unterschiedlichkeit zu entwickeln.<br />

Im ca. 40-minütigen Trainingsfilm<br />

begleitet man Gavin, den neu ernannten<br />

britischen Projektleiter eines internationalen<br />

Projektteams, das eine<br />

anspruchsvolle Wirtschaftsprüfungssoftware<br />

global <strong>la</strong>ncieren soll, auf seinem<br />

holprigen Weg zu einem interkulturell<br />

effektiven Umgang mit dem<br />

Team. Dieses ist sehr heterogen, es<br />

besteht aus einer Deutschen, einem<br />

Italiener, einer US-Amerikanerin, ei-<br />

nem Ägypter, einem Chinesen und<br />

einem Inder. Die Länderauswahl unterscheidet<br />

sich wohltuend von den<br />

meisten interkulturellen Trainingsfilmen,<br />

die zumeist aus amerikanischer<br />

Sicht gedreht wurden.<br />

In der Eröffnungsszene stellen sich<br />

die einzelnen Teammitglieder ein-<br />

Hören & Sehen 122 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

zu beziehen bei: www.worldwork.biz<br />

Das Trainingspaket enthält: DVD (35 min.), Trainerhandbuch,<br />

Arbeitsbuch zum Selbststudium, Präsentationsvor<strong>la</strong>gen,<br />

Handouts zur Vervielfältigung etc.


ander vor. Bereits hier wird auf ein-<br />

drucksvolle Weise deutlich, wie unterschiedlich<br />

die Vorgehensweisen<br />

der einzelnen Teammitglieder bei et-<br />

was so Einfachem wie einer Vorstellungsrunde<br />

sind und welche Wir-<br />

kung das spezifische Verhalten der<br />

Einzelnen auf die anderen Mitglieder<br />

hat. Die erste Szene ermöglicht einen<br />

wunderbaren Einstieg in das Thema<br />

des Zusammenhangs zwischen dem<br />

sichtbaren Verhalten und den für die<br />

anderen verborgenen Werten. Die<br />

mitgelieferten Trainingsunter<strong>la</strong>gen<br />

erleichtern dem Trainer eine Auswertung<br />

dieser und der folgenden<br />

Sequenzen. Gavin kämpft sich durch<br />

mehrere Meetings und virtuelle Kontakte<br />

mit seinem Team. In den verschiedenen<br />

Sequenzen des Films werden<br />

die unterschiedlichen Vorstellun-<br />

gen und Herangehensweisen der<br />

Teammitglieder in Bezug auf den<br />

Umgang mit Zeit, die P<strong>la</strong>nung von<br />

Arbeitsabläufen, Führungsstil, Aufbau<br />

und Wichtigkeit von Beziehung<br />

und Vertrauen, Kommunikationsstile<br />

u. a. sichtbar und besprechbar gemacht.<br />

Wie erwartet tritt Gavin zunächst<br />

in etliche Fettnäpfchen, wird<br />

zwischendurch von einem einfühlsamen<br />

Teammitglied auf die Seite genommen<br />

und findet nach und nach<br />

seinen Weg, mit der Unterschiedlichkeit<br />

im Team umzugehen. Gavin –<br />

wie auch die Teilnehmer – erwerben<br />

dabei ein Verständnis für das, worauf<br />

es in interkulturellen Teamsituationen<br />

ankommt.<br />

Der Film ist kurzweilig und auf verschiedene<br />

Arten im Training einse<strong>tz</strong>bar.<br />

Der Trainer kann sowohl lediglich<br />

mit der Eröffnungssequenz und<br />

einigen wenigen Szenen des Films<br />

arbeiten, als auch ein ganzes zweitä-<br />

tiges Seminar mit dem Trainingspaket<br />

gestalten. Im Paket mitgeliefert<br />

wird ein Arbeitsbuch zum Selbst-<br />

studium und ein Trainerhandbuch<br />

mit einem detaillierten Vorsch<strong>la</strong>g<br />

und allen Unter<strong>la</strong>gen und Übungen<br />

für ein zweitägiges Training.<br />

Die benötigten Charts und Handouts<br />

werden auf einer zusä<strong>tz</strong>lichen CD-<br />

Rom mitgeliefert.<br />

Das Gesamtpaket ist auf Englisch.<br />

Der Film hat eine englische und italienische<br />

Sprachspur, und man kann<br />

jeweils Untertitel einblenden.<br />

Aus meiner eigenen Erfahrung als<br />

interkulturelle Trainerin ist A World<br />

of Difference in vielen unterschiedlichen<br />

Trainingssituationen anwendbar,<br />

kommt generell bei den Teilnehmern<br />

gut an, produziert durch<br />

Reflektion und Diskussion des Beobachteten<br />

immer wieder die bei uns<br />

Trainern so begehrten Aha-Effekte<br />

und visualisiert eindrucksvoll, wie<br />

wichtig es ist, bewusst interkulturelle<br />

Kompetenz zu entwickeln, um die<br />

vielen potenziellen Missverständnisse<br />

und deren Konsequenzen zu vermeiden.<br />

Die Botschaften des Films<br />

können mit eigenen Trainingskonzepten<br />

kombiniert werden, wer will,<br />

kann aber auch aus den vielen im<br />

Trainingspaket angebotenen Übersichten,<br />

Tabellen, Konzepten und<br />

Übungen Teile in sein Seminar einbauen.<br />

Allerdings muss der Trainer<br />

dennoch selbst interkulturelle Erfahrung<br />

haben, um die Botschaften des<br />

Films auch mit den Teilnehmern entsprechend<br />

reflektieren und bearbeiten<br />

zu können – da helfen auch die<br />

Charts alleine nicht.<br />

Insgesamt ein sehr gelungenes Trainingspaket.<br />

¶<br />

Hören & Sehen 123 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Jan A. Poczynek, ist Organisationsberater aus Wien. Er begleitet Führungskräfte und<br />

Projektmanager in Veränderungsprozessen und komplexen Projekten. Sein Ansa<strong>tz</strong> fusioniert<br />

systemische Beratung mit Expertise und Reflexionen aus über 15 Jahren Führungserfahrung.<br />

»Das Management des Projektmanagements« und »Digital Mindshift« – die gesellschaftliche<br />

Transformation durch digitale soziale Ne<strong>tz</strong>werke – sind seine Spezialgebiete.<br />

http://blog.poczynek.org<br />

Jan A. Poczynek<br />

Barbara Heitger, Alexander<br />

Doujak: »Managing Cuts and<br />

New Growth – an innovative<br />

approach to change management«<br />

Warum sollten Sie eine Rezension<br />

über ein englisches Buch lesen, dessen<br />

deutschsprachiges Original bereits<br />

vor mehreren Jahren erschienen<br />

ist? Zeitgemäße Zeitlosigkeit. Überse<strong>tz</strong>te<br />

Internationalität. In Zeiten der<br />

Krise re-aktualisiertes Changema-<br />

nagement. Was möchte ich damit<br />

sagen …<br />

Dieses Buch ist für Berater und Führungskräfte<br />

gleichermaßen interessant.<br />

Als ich vor fünf Jahren Harte<br />

Schnitte Neues Wachstum gelesen habe,<br />

war meine Perspektive noch die einer<br />

Führungskraft in Mitten eines strategischen<br />

Changeprojektes. Das neue<br />

Werk ist mit der Brille eines Organi-<br />

sationsberaters genauso hilfreich und<br />

vor allem aktueller denn je. Es gibt<br />

einen gründlichen Überblick zur<br />

Thematik der Transformation von Or-<br />

ganisationen und ausreichend An-<br />

knüpfungspunkte, um einen Praxistransfer<br />

zu ermöglichen.<br />

Im Fokus stehen die Veränderungstypen<br />

der »Unba<strong>la</strong>nced Transforma-<br />

tion«, die von diametralen Zielse<strong>tz</strong>ungen<br />

– nämlich von »Cuts and Growth«<br />

zur gleichen Zeit – bestimmt sind.<br />

Dieses höchst anspruchsvolle Spannungsfeld<br />

gilt es, als Lösungsraum<br />

zu erkennen und dann in all seiner<br />

Komplexität gezielt zu steuern. Dafür<br />

werden zuerst Landkarten, Indikationen<br />

und Beispiele erklärt. In Folge<br />

sind die Unterschiede der beiden<br />

Modi der Schnitte und des Wachs-<br />

tums beschrieben und werden dann<br />

mit verschiedenen Architekturen, Designs<br />

und Interventionen bearbeitbar<br />

gemacht.<br />

Den Autoren Barbara Heitger und<br />

Alexander Doujak ist in ihrem Buch<br />

dazu mehreres sehr gut gelungen.<br />

Zuerst ist das eine Positionierung von<br />

systemischer Beratung abseits des<br />

Schönwetterflugs und sozialer Work-<br />

shopromantik – ein Image, das den<br />

systemischen Ansä<strong>tz</strong>en teilweise leider<br />

immer noch anhaftet. Weiterhin<br />

liefert die Einhaltung einer mittleren<br />

Flughöhe zum Themenkomplex einerseits<br />

guten Überblick und konkrete<br />

Landkarten für das Changemanagement<br />

und andererseits gut sichtbare<br />

Vertiefungen und Details. Es handelt<br />

sich insgesamt um einen überzeu-<br />

genden Mix an Modellen, Methoden,<br />

Praxisbezügen, Fallstudien bis hin zu<br />

Interventionen. Besonders gelingt es<br />

durch eigene Kapitel, sowohl auf die<br />

Emotionen und Gefühlswelten in Veränderungsprozessen<br />

Bezug zu nehmen,<br />

als auch Businessfakten und die<br />

Macht der Zahlen in ihrem hohen<br />

Stellenwert zu bestätigen. Die be-<br />

schriebenen Gedanken von involvierten<br />

Personen am Ende einiger Kapitel<br />

skizzieren die Phasen der Verände-<br />

rung in ihrem Kernwesen und runden<br />

das Bild sehr treffend ab.<br />

Hören & Sehen 124 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

erschienen bei: Goldegg Ver<strong>la</strong>g, Wien 2008


erschienen als gebundene Ausgabe bei:<br />

Ver<strong>la</strong>g Antje Kunstmann, 2007<br />

erscheint als Taschenbuch bei: Goldmann Ver<strong>la</strong>g, 2009<br />

Le<strong>tz</strong>tendlich wäre dieses Heft nicht<br />

der Internationalisierung gewidmet,<br />

wenn uns die damit verbundenen Bewegungen<br />

nicht kümmern würden.<br />

Immer mehr Changeprozesse ver<strong>la</strong>ssen<br />

unseren Sprachraum und sollen<br />

in einem englischsprachigen Kontext<br />

begleitet werden. So ist die englische<br />

Lektüre einer vielleicht schon vertrauten<br />

Thematik ein zusä<strong>tz</strong>licher<br />

Feinschliff der Werkzeuge und nicht<br />

zule<strong>tz</strong>t der sprachlichen Kompetenz.<br />

Abschließend kann man dieses Buch<br />

als Plädoyer lesen, routiniert in So-<br />

wohl-als-auch-Kategorien zu denken,<br />

die Widersprüche und Komplexität in<br />

Changeprojekten in allen Facetten an-<br />

zuerkennen und dabei Gefühle und<br />

Fakten gleichermaßen ins Kalkül einzubeziehen.<br />

Ein sehr empfehlenswertes<br />

Buch über eine nicht ganz simple<br />

Übung.<br />

Stefan M. Seydel<br />

Pierre Bayard: »Wie man über<br />

Bücher spricht, die man nicht<br />

gelesen hat«<br />

Selbst wenn Bibliotheken alle Bücher<br />

aufnehmen wollten: Ihr stets in Er-<br />

weiterung befindliches Haus wäre zu<br />

winzig. Das Verzeichnis der liefer-<br />

baren Bücher ändert sich in jeder Sekunde.<br />

Was den Mönchen einst »Seelenapotheke«<br />

war, ist der trennenden<br />

und teilenden Wissenschaft zum Ort<br />

der Unruhe geworden. Der Dramatik<br />

nicht genug: Ver<strong>la</strong>ngten wir von unseren<br />

Studierenden: »Lies zuerst die<br />

Bücher unseres Fachs!«, machten wir<br />

sie zu ewig Stillen und Stummen.<br />

Wie man über Bücher spricht, die man nicht<br />

gelesen hat von Pierre Bayard habe ich<br />

mir nicht gekauft, weil ich es lesen<br />

wollte. Beim darin Zappen wird rasch<br />

deutlich, wie mutig ihm seine eigenen<br />

Gedanken erscheinen. Ginge es<br />

dem Autor wirklich um eine konkrete<br />

Anleitung, könnte leicht Differenzierteres<br />

verfasst werden. Nein: Hier<br />

schreibt einer eine einfühlsame Be-<br />

gleitung für Menschen, welchen<br />

schon der Titel den Atem geraubt<br />

hat. Und doch: Mir war wichtig, ge-<br />

rade diese Arbeit, die Arbeit eines<br />

Literaturprofessors, eines Professors<br />

aus Paris, in meinem eigenen Regal<br />

zu haben. Ich wollte es jederzeit an-<br />

fassen können. Dieser Beweis für<br />

Ungläubige. Diese Ermutigung für<br />

Zweifelnde. Dieses Andenken an<br />

meine eigene Zei<strong>tz</strong>eugenschaft: »200<br />

Jahre sind genug!« 600 Jahre Dominanz<br />

der dicken Bücher sowieso.<br />

Stefan M. Seydel, selbstständiger Unternehmer seit 1997 – Schwerpunkt Entwicklung von<br />

Pilot- und Impulsprojekten, rebell.tv AG. Unter www.rebell.tv. findet sich auch ein Video-<br />

Sender zu den »X-Organisationen«, der Management Biennale des MZW. Sehen Sie Stefan M.<br />

Seydel im Gespräch mit Dirk Baecker, Fri<strong>tz</strong> B. Simon, Betty Zucker u. a.<br />

Hören & Sehen 125 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Hören & Sehen<br />

Günther Ortmann, Dr. rer. pol., schreibt als Professor für Allgemeine<br />

Betriebswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg Bücher<br />

über Organisation und zule<strong>tz</strong>t über »Management in der Hypermoderne«.<br />

Günther Ortmann<br />

Jürgen Link: »Bangemachen<br />

gilt nicht auf der Suche nach<br />

der Roten Ruhr-Armee.<br />

Eine Vorerinnerung.« Roman.<br />

Was für ein Buch. Was für ein Ziegel.<br />

Ein Losgehtsganzvonselbst des Erinnerns<br />

und Vorwärtserinnerns. 923<br />

atemlose, nein: atemberaubende Seiten,<br />

die von (nicht) normalen Fahrten<br />

erzählen, von Tramptouren und Gru-<br />

benfahrten in die Jahre um 1968<br />

(Achtundsechzig: wie erstarrt das<br />

aussieht nach diesem Jubiläums-<br />

jahr!) und zurück in die Zukunft,<br />

vorbei an »der ›Natur‹, wie wir ein<br />

kleines Stück unkrautbewachsener<br />

Wiese unter den aufwärtsgeschwungenen<br />

Spiralkurven der Einfahrten in<br />

die über den Parkp<strong>la</strong><strong>tz</strong> von Intermotor<br />

3 gespannte NS 7 getauft hatten«,<br />

vorbei an frischbemalten Bunkern<br />

und Straßenbahndepots, Werkstoren<br />

und Schrebergärten, Edith Piaf und<br />

»Schmidtchen Schleicher«, »Hütten-<br />

partisan« und »Zündung« – hatten die<br />

proletarischen Postillen damals, im<br />

Ruhrpott, so schöne Namen? –, Eckkneipen<br />

und belgischen Raststätten,<br />

Oradour-sur-G<strong>la</strong>ne und »Vorkriegswinklichkeiten«<br />

bei Charleroi, »nicht<br />

bombardiert, verdammt poetisch«,<br />

Zickzackschleichwege der Geschichte.<br />

Es treten auf: rechte SPD-Betriebsräte<br />

und »die linken Geschichtsprofs an<br />

den Ruhrunis«, polnische Omas und<br />

blonde, blonde Mädchen, Stoppelrussen<br />

und Kittelschöne, Studenten, die<br />

»Honnef« kriegen, und Arbeiter, die<br />

Mitleid mit ihnen hatten (»sie selber<br />

wären niemals an die Bänder gegangen,<br />

weder für Kohle noch für<br />

Politik«), und, selbstverständlich, Chaoten,<br />

mit Kampfrufen wie »De-es-ka<strong>la</strong>-zjon«<br />

und »Weg-mit-den-Geheimratsecken«,<br />

alle miteinander zugange<br />

im großen Ruhrverkehrsverbund, alle<br />

stets engagiert in Thema 1, Thema 2,<br />

Thema 3 und Thema 4: Sex, Sport,<br />

Geld, Politik. In dieser Reihenfolge.<br />

(Allerdings »in unserem Falle eigentlich<br />

mehr Thema 4«.)<br />

Das klingt nun alles vielleicht reichlich<br />

stark nach Ruhrromantik und<br />

Kruppbarock. Keine Sorge, dazu ist<br />

Jürgen Link, Professor für Neuere<br />

deutsche Literatur und Autor des<br />

»Versuchs über den Normalismus«,<br />

viel zu genau, zu raffiniert und – zu<br />

»verdammt poetisch«. Schon diesen<br />

sozialwissenschaftlichen Versuch zu<br />

der Frage, wie Normalität in der<br />

Moderne produziert wird – nicht zule<strong>tz</strong>t<br />

durch scientific (und post-hero-<br />

isches?) management –, hat er mit<br />

wohlkalkuliert eingestreuten »(nicht)<br />

normalen Fahrten« aus der Literatur<br />

angereichert/kontrastiert, von Döb-<br />

lins »Berlin Alexanderp<strong>la</strong><strong>tz</strong>« bis Sybil-<br />

le Bergs »Ein paar Leute suchen das<br />

Glück und <strong>la</strong>chen sich tot«. Von Nostalgie<br />

ist dieser Autor denkbar weit<br />

entfernt, obwohl die Lektüre ein Ziehen<br />

auslöst, einen Sog, fast hätte ich<br />

gesagt: eine Wehmut, auch weil das<br />

Buch, nicht zule<strong>tz</strong>t eine Art (Auto-)<br />

Hören & Sehen 126 Revue für postheroisches Management / Heft 5<br />

erschienen bei: assover<strong>la</strong>g, Oberhausen 2008


Biografie der Studentenbewegung,<br />

einen Drive, einen Rhythmus und<br />

einen Sound hat, der einen hineinzieht<br />

und einem die Ohren und die<br />

Augen öffnet. Der Roman ist <strong>la</strong>ng.<br />

Hat er Längen? Na, <strong>la</strong>ng ist auch die<br />

18-Minuten-Version von »Take Five«,<br />

und das ist ja gerade das Schöne,<br />

dank des Sounds von Dave Brubeck.<br />

Bei Link ist es immer mal wieder ein<br />

zart-ironisch verfremdeter Ruhrpott-<br />

Sound, dessen Eigenheiten in Sachen<br />

Tempi – »die Maschine hat sich nun<br />

mal weiter drehen gemusst« – sich der<br />

Autor gleich für sein virtuoses Hinund-her-in-der-Zeit<br />

zunu<strong>tz</strong>e macht.<br />

Also: Wenn Sie die Jahreszahl 1968<br />

nicht mehr hören und sehen können,<br />

nicht die Totengesänge eifriger Re-<br />

negaten und nicht den Weihrauch<br />

über dem Klischee, gerade dann muss<br />

es heißen wie bei Lichtenberg: »Wer<br />

zwei paar Hosen hat, mache eins zu<br />

Geld und schaffe sich dieses Buch<br />

an.« Es ist was für alle 5 Sohlen Ihres<br />

Gehirnpütts.<br />

Das Feuilleton redet ja gern von dem<br />

deutschen Roman der Nachkriegszeit,<br />

respektive seinem bedauerlichen Ausbleiben.<br />

Nun, hier ist mal einer, der<br />

es in sich hat: erinnerungs-mächtig,<br />

präzise, (selbst-)ironisch, wi<strong>tz</strong>ig,<br />

nüchtern und dann doch (auto-)poietisch<br />

in seiner Kraft, innerhalb realis-<br />

tischer Szenarien Spielräume vor-<br />

(aus)zusehen, Scharniere, mithin Öffnungen<br />

zu möglichen Ab-Wegen der<br />

Geschichte, nicht zule<strong>tz</strong>t in Gestalt<br />

von <strong>la</strong>uter mehr oder auch minder<br />

ernsten Zukunftssimu<strong>la</strong>tionen. Die<br />

poetologische Hinter- oder Seitentür,<br />

die der Autor dafür benu<strong>tz</strong>t, ist ein<br />

»Pförtchen in der Mauer« aus Omas<br />

zerfleddertem Märchenbuch, »wo-<br />

durch man Blicke ins auf uns zukommende<br />

zukünftige Dasein tut« – »ins<br />

Diesseits der Mauer, gerade nicht ins<br />

Jenseits, vielmehr heraus aus dem<br />

Jenseits, das war der Trick bei dem<br />

Pförtchen, so wie wir das unbewusst<br />

mitgekriegt hatten: so dass wir uns<br />

umdrehen müssen und den Rücken<br />

kehren zu all den verpassten Gelegenheiten«,<br />

dann aber so, dass die<br />

Mauer »uns den Rücken freihalten<br />

muss und wir von dem Pförtchen<br />

eine Art Rückenwind spüren, um ins<br />

Diesseits anrücken zu können, wo der<br />

Rückenwind dann plö<strong>tz</strong>lich in den<br />

Schwebesog der offenen Zukunft<br />

übergeht, wobei immer mehr Neue<br />

und Unbekannte k<strong>la</strong>mmheimlich<br />

durch das Pförtchen nachsickern, so<br />

wie illegale Einwanderer ins Land<br />

einsickern …« Ich stelle mir Walter<br />

Benjamin vor, dessen Fahrt in Port<br />

Bou endete: Was würde er heute zu<br />

diesem Pförtchen sagen? Eine Raffi-<br />

nesse des Romans liegt in diesem<br />

Spiel mit der (verlorenen?) Zeit – im<br />

Rückgang auf ein Nicht-Mehr, um<br />

von da aus auf ein Noch-Nicht zu<br />

blicken, das aber jederzeit bedroht<br />

ist, manchmal gar, wie wir Heuti-<br />

gen schon wissen können, inzwischen<br />

schon zerstört. Da macht man Augen<br />

– mit Blick auf ein Heute, von dem<br />

man sieht, dass es anders werden<br />

konnte, als es wurde (und anders<br />

werden kann, als es ist).<br />

Oder, um es mit einer Ausstiegsparole<br />

aus Jürgen Links Vorerinnerung zu<br />

sagen: WNLIA. (Weder Noch Lieber<br />

Irgendwie Anders.)<br />

Hören & Sehen 127 Revue für postheroisches Management / Heft 5


Überblick<br />

Impressum Abonnement<br />

red dot award – winner 2009 Für die herausragende Gestaltung der<br />

»Revue für postheroisches Management« erhielt unsere Agentur antonberta<br />

design den red dot 2009 – einen der begehrtesten Designpreise weltweit.<br />

Heft 1 – Revue für postheroisches Management<br />

Das X der Organisation<br />

Mit Beiträgen von Dirk Baecker, Nils M. G. Brunsson, Birger P. Priddat,<br />

Johannes Rüegg-Stürm, Fri<strong>tz</strong> B. Simon u. a.<br />

Featured Artist Annett Zinsmeister<br />

ISBN 978-3-89670-696-6<br />

Heft 2 – Revue für postheroisches Management<br />

Konsultanten<br />

Mit Beiträgen von Peter Sloterdijk, James G. March, Thomas G. Cummings,<br />

Kathrin Rögg<strong>la</strong>, Alfred Kieser, Rudolf Wimmer, Roswita Königswieser u. a.<br />

Featured Artist Ingeborg Lüscher<br />

ISBN 978-3-89670-697-3<br />

Heft 3 – Revue für postheroisches Management<br />

Organizational Capabilities<br />

Mit Beiträgen von Georg Schreyögg, Stefan Kühl, Peter C<strong>la</strong>ussen, Kathleen<br />

Sutcliffe, Amar Bhidé, Stefan Braun, Stefan Jung, Bernhard Krusche u.a.<br />

Featured Artist Marcus Bredt<br />

ISBN 978-3-89670-698-0<br />

Heft 4 – Revue für postheroisches Management<br />

Intelligent entscheiden<br />

Mit Beiträgen von Bernhard von Mutius, Rudolf Wimmer, C<strong>la</strong>us Otto<br />

Scharmer, Henrik Pon<strong>tz</strong>en, Christoph Kahlert, Ulrich Renz u.a.<br />

Featured Art Datenkunst<br />

ISBN 978-3-89670-699-7<br />

in Vorbereitung – erscheint März 2010<br />

Heft 6 – Revue für postheroisches Management<br />

Zufälle ISBN 978-3-89670-723-9<br />

Abonnieren Sie die »Revue für postheroisches Management«:<br />

2 Ausgaben zum Preis von € 40,– (incl. MwSt.) zzgl. Versandkosten<br />

Tel: +49 (0)6221-6438-0, E-Mail: revue@carl-auer.de<br />

oder über www.carl-auer.de und www.postheroisches-management.de<br />

Das Abonnement gilt mindestens ein Jahr (Bezug von 2 Heften). Danach ist es jederzeit kündbar.<br />

Herausgeber: Management Zentrum Witten GmbH, Ka<strong>trin</strong> G<strong>la</strong><strong>tz</strong>el, Torsten Groth (V.i.S.d.P.)<br />

Redaktionsleitung: Ka<strong>trin</strong> G<strong>la</strong><strong>tz</strong>el<br />

Redaktion: Dirk Baecker, Ka<strong>trin</strong> G<strong>la</strong><strong>tz</strong>el, Torsten Groth, Fri<strong>tz</strong> B. Simon, Andreas Szankay,<br />

Rudolf Wimmer<br />

Anschrift und Kontakt: Management Zentrum Witten GmbH<br />

Brunnenstraße 196, 10119 Berlin, Tel. +49 (0)30 246 284-0, Fax +49 (0)30 246 284-10<br />

revue@postheroisches-management.de, www.postheroisches-management.de<br />

Erscheinungsweise: 2-mal jährlich (März und September)<br />

Preis Einzelheft: € 25,– (incl. MwSt.), zzgl. Porto/Versand<br />

Anzeigen: Beate Ch. Ulrich, Tel. +49 (0)6221-6438-15, ulrich@carl-auer.de<br />

Vertrieb: Carl-Auer Ver<strong>la</strong>g GmbH, Häusserstraße 14, 69115 Heidelberg,<br />

Tel. +49 (0)6221-6438-0, Fax +49 (0)6221-6438-22, www.carl-auer.de<br />

Bestellungen/Abonnement: Rita Niemann-Geiger, Tel. +49 (0)6221-6438-13, revue@carl-auer.de<br />

Buchhaltung: Elvira Schwebler, Tel. +49 (0)6221-6438-18, schwebler@carl-auer.de<br />

Lektorat: Dörte Hausbeck, Stefan Moos (Hamburg), englisch: Jaqueline Todd (Berlin)<br />

Gestaltung und Layout: antonberta design (Hamburg)<br />

Cover und Fotografien: © dirk hupe 2009 und VG-Bild Kunst Bonn,<br />

alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von dirk hupe, www.dirk-hupe.de<br />

Druck: mediaprint (Paderborn), September 2009<br />

ISBN 978-3-89670-714-7

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