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Beispielseiten - JOVIS VERLAG Architektur Fotografie Berlin

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6 VorworT

10 sTanDPunKTe

15 barbara besTor

20 auTorenschafT unD Genius

26 alison brooKs

30 KoMMuniKaTion

33 elKe DeluGan-Meissl

40 unTerschieDe unD DiVersiTÄT

42 lehre, absolVenTen unD sTuDierenDe

47 jeanne GanG

52 hoT fuzz

53 inGalill wahlroos-riTTer

58 iDenTiTÄT

60 caroline bos

66 leiTunG unD auToriTÄT

67 lisa iwaMoTo

72 MeDien unD Die „GesellschafT Des sPeKTaKels“

74 Die PraXis Der archiTeKTur unD Das arbeiTsuMfelD

75 reGine leibinGer

80 achTunG unD selbsTachTunG

84 farshiD MoussaVi

90 sTruKTuren Der uniVersiTÄren lehre

96 fuensanTa nieTo

104 ausbilDunG/erfahrunGen in unD MiT schulen

106 Monica Ponce De leon

112 GesellschafTliche uMbrÜche unD herausforDerunGen

114 Mary-ann ray

120 erfolG, Karriere unD Deren beDinGunGen

128 DaGMar richTer

130 „sTarchiTeKTensysTeM“

134 Denise scoTT brown

140 QualiTÄT unD (MachT-)sTruKTuren

142 subVersiViTÄT

14 4 Die PraXis Des unTerrichTens/unTerrichTssTraTeGien

154 yui TezuKa

160 TransGression

161 frauen in Der archiTeKTur/DisKurs

175 barbara holzer

182 frauen-, archiTeKTur- unD DesiGnaKTiVisMus

188 Die archiTeKTinnen

190 DanK

191 iMPressuM


VorworT

eine Profession ist nicht geschlechtlich, Menschen sind es. Gleichwohl verursacht

dieser fehler weniger irritation als die Konnotation „weiblich“ in bezug auf architektur.

architektur ist, insbesondere im Kontext ihrer spätkapitalistischen Vermarktungskultur,

männlich besetzt – ihre helden sind bis auf wenige ausnahmen „white males, die

„silberrücken der architektur“, wie barbara holzer sie nennt. hochschulen in europa

und den usa vermitteln ein anderes bild, die hörsäle sind weitgehend weiblich dominiert

– mit steigender Tendenz. Die architektur als fachrichtung bietet im besten falle

erklärungsansätze, aber keine selbstkritische und durchdringende analyse bezüglich der

ursachen für dieses ungleichgewicht an. Vor allem in bezug auf die in der ausbildung

schon lange evidenten relationen, die sich weder in den fakultäten noch in der Praxis

manifestieren – das gilt ebenso für die marginale Präsenz sogenannter Minderheiten.

Die Profession der architektur bildet in keiner weise die realitäten gesellschaftlicher

relationen ab, wohl aber in hohem, bisweilen übersteigertem Maße gesellschaftliche

Verteilungsstrukturen. als Disziplin muss sich die architektur aktiv der frage nach den

ursachen dieser ausgrenzungspraktik stellen, selbst wenn sie sie effektiv vermieden

und oft tabuisiert hat. offensichtlich bewirken vorhandene strukturen nachhaltig, dass

frauen und Minderheiten weder zugang zu Positionen noch zu Mitteln erlangen und in

der regel noch immer irgendwann nach ihrer „hochschulkarriere“ ganz aus der statistik

verschwinden. 1

Die Geschwindigkeit, in der sich die Verhältnisse ändern, ist im Vergleich zu anderen

Disziplinen eklatant langsam. hier hat die Disziplin Verantwortung zu übernehmen,

aber auch die Gesellschaft, die architektur bedingt und deren strukturelle bedingungen

und systemische Verknüpfungen erheblich von architektur beeinflusst werden.

architektur, städtebau usw. schaffen die Grundlage für wohlbefinden, wahrnehmung,

bewegung, wachstum, entwicklung etc., die Matrix für gesellschaftliches leben und

die bedingung für soziale Verknüpfungen. Gestaltende Partizipation aller gesellschaftlicher

Gruppen in relation zu ihrer gesellschaftlichen Präsenz ist bei weitem noch nicht

selbstverständlich.

Die wesentlich komplexere widerspruchsebene, die sich im Titel andeutet, ist die Gefahr,

infolge der Diskrepanz der humanwissenschaftlichen erkenntnisse, des intellektu-

ellen Diskurses also, und der sich in zahlen manifestierenden gesellschaftlichen realität

selbst in eine falle der „stereotypisierung“, quasi in eine „Gender Trap“ zu geraten. Die

evidenten Missverhältnisse sind zu benennen und zu überwinden, nicht nur als „frau“ in

der architektur, sondern von jedem, der ein interesse hat, die Disziplin demokratischer,

gleichberechtigter, diversifizierter und damit letztendlich produktiver und handlungsfähiger

zu machen. Gleichwohl können durch das beleuchten und anprangern der Verhältnisse

genau die stereotypen reproduziert werden, die es zu überwinden gilt. es besteht

ein evidenter unterschied in der Diskussion über Gender in bezug auf die Profession

und über Gender in bezug auf die Gestaltung, was auch Monica Ponce de leon betont.

Keine meiner Gesprächspartnerinnen wollte in irgendeine Kategorie, die sich aus der

Definition auf der basis eines beliebigen stereotyps ergibt, reduziert werden – das

machte den Titel für einige nicht unproblematisch. Gleichzeitig aber waren sich alle

einig, dass sie als „frauen“ in der architektur zu den Veränderungen der strukturen

beitragen können und dass dies dringend notwendig ist. intellektuell herrschte große

Übereinstimmung dahingehend, dass letztendlich jede stereotype normierung und vereinfachende

zuweisung von handlungsmustern und erwartungen zugunsten der förderung

und einbindung komplexer Differenzen zu überwinden sei. Daraus ergibt sich ein

permanenter, aber notwendiger widerspruch.

frauen werden in der Praxis der architektur zu agenten und Katalysatoren, die Diversifizierung

fördern und die strukturen dahingehend ändern, „frauen“ (und anderen)

zugang zu ermöglichen, auf der anderen seite wollen sie aber durchaus nicht als „frauen“

in der architektur, sondern als architektinnen gesehen werden, im spiegel ihres

Œuvres. folgerichtig heißt das, dass „frauen“ notwendigerweise permanent argumentativ

ihre Position ändern müssen – nicht so ihre haltung –, um sich im wechsel auf die

strukturellen bedingungen ihrer Profession zu beziehen, die es zu modernisieren gilt,

oder auf die Konditionen ihrer individuellen architektonischen Produktion, die sie per se

nicht in die Diskussion um „Gender“ einbeziehen möchten.

in jedem falle besteht grundsätzlich ein Konsens darüber, sich der unnötigen, bisweilen

unsinnigen oder gefährlichen Diskussion über formale aspekte einer sogenannten

„weiblichen“ architektursprache zu enthalten, deren existenz im sinne des Vorgenannten

ohnehin bezweifelt wird.

Viele entwickeln komplexe strategien, die gleichsam von außerhalb und innerhalb des

herrschenden systems argumentieren und in denen begrifflichkeiten je nach der augenblicklichen

Position durchaus ihre bedeutung verändern und anders benutzt werden

können und müssen. architektinnen funktionieren demzufolge zum einen innerhalb

existierender strukturen, um in diesen strukturen erfolgreich zu sein, und dekonstruieren

sie simultan mehr oder weniger subversiv, um neue bedingungen im sinne einer

integrativen, diversifizierten, offenen, gerechteren Disziplin zu schaffen. Vor allem in der

academia arbeiten zunehmend frauen mit Persistenz an der Veränderung des systems,

wobei ihnen ihr Durchhaltevermögen und die Konditionierung, sich auf hindernisse kre-

6 VorworT

7


ativ einstellen zu können und den erfolg oft nicht geradewegs zu erreichen oder erreicht

zu haben, durchaus nützlich sein kann, was auch in den Äußerungen von nasrine seraji

besonders deutlich wird.

Der begriff „frau“ ist jedoch immer mehrdeutig. „frau“ beschreibt sowohl eine reihe

von gesellschaftlichen zuordnungen, normen und Kategorisierungen, also eine reine

Konstruktion, als auch die wirklichkeit der erkenntnis konkreter frauen und ihrer alltäglichen

erfahrung realer ausgrenzung – somit mäandert der begriff ständig zwischen

Theorie und Praxis.

in den allermeisten fällen hatten frauen keinen oder wenig anteil an der schaffung der

strukturen, die sie unterwandern – insbesondere nicht in der academia. infolgedessen

passen frauen in der regel auch weniger passgenau in diese strukturen, erfüllen die

in ihnen festgelegten Qualitätsmaßstäbe zur wahrung und etablierung dieser systeme

weniger und sind in ihnen weniger präsent. Das Phänomen ist hinreichend als „homosoziale

reproduktion“ beschrieben – die Tendenz der entscheider, sich für diejenigen

(oder denjenigen) zu entscheiden, die ihnen ähnlich sind, verhindert oft, dass frauen

oder Minderheiten in Positionen kommen, die für relevante umstrukturierungen autorisiert

sind. langsam ändert sich das in der hochschullandschaft – Monica Ponce de

leon, nasrine seraji, sarah whiting oder Dagmar richter rekonstruieren ihre fachbereiche

im sinne der gesellschaftlichen anforderungen an eine architektur der zukunft

(und Gegenwart) derart, dass hoffnung entsteht – auch in bezug auf die einbindung

der architektur in einen politisch-sozialen Kontext und Diskurs. in der folge könnte

architektur zukünftig weniger mit sich selbst befasst sein, die abkopplung von den

gesellschaftlichen realitäten ihrer nutzer überwinden und tatsächlich involviert sein in

entscheidungsprozesse bezüglich der sozialen, politischen und kulturellen herausforderungen,

denen sie sich letztendlich stellen muss.

ein Thema, das in vielen Gesprächen präsent war, ist die Tatsache, dass die bewusstheit

der repräsentationsdiskrepanz und ausgrenzungspraktik erfahrungsgemäß stark nachlässt.

studentinnen und studenten sind mit der Überzeugung ausgestattet, dass chancengerechtigkeit

eine gesellschaftliche realität ist. sie gleichen ihre Konditionierung

nicht (oder selten) mit der realität der hochschule und der Praxis ab, oft fehlen offensichtlich

die werkzeuge, um zu erkennen oder auf der basis von erkenntnissen aktiv zu

werden. Manchmal trifft sie das hart, sobald sie den schutzraum der universität verlassen.

ebenso scheint es frauen im beruf oft schwerzufallen, das Thema zu artikulieren

– es ist nicht gesellschaftsfähig, von der Gesellschaft benachteiligt zu werden, man gibt

es nicht oder nicht gerne zu – es ist zutiefst unattraktiv.

Dieses buch ist eine sammlung von statements zu Themen des architekturdiskurses

als fragmente aus Gesprächen. wenngleich die ausgangsfragen ähnlich waren, entwickelten

die einzelnen Gespräche oft eine eigendynamik, die ich im sinne der offenheit

der sammlung zugelassen und begrüßt habe. „frauen“ in der architektur war ein latent

permanentes, aber bei weitem nicht das einzige Thema dieser Diskussionen. Mir war es

wichtig, dass individuelle Positionen sich thematisch artikulieren und eben nicht in bezug

zu rollenverteilungen und stereotypen. Über diese Themen werden haltungen sichtbar,

die subversiv oder affirmativ sein können, aggressiv oder defensiv etc. Die Grenzen

zwischen den einzelnen thematischen Gruppierungen sind dabei durchaus fließend,

überlappend und interpretationsfähig. zu keiner zeit bestand der wille, Übereinstimmung

im sinne einer „gemeinsamen stimme“ zu repräsentieren, im Gegenteil, die heterogenität

der Positionen soll letztendlich verdeutlichen, dass es ein konformes „weibliches“

Denken in der architektur nicht gibt, wohl aber haltungen, die verwandt sind.

so unterschiedlich sich die individuellen Positionen auch im architektonischen werk

und sprachlich artikulieren, so ähneln sich die erfahrungen als „frau in der architektur“

auch oft und führen zu vergleichbaren schlussfolgerungen und handlungsstrategien.

Das werk erhebt keinen anspruch auf Vollständigkeit, weder in bezug auf die behandelten

Themen noch auf die beteiligten architektinnen – das will und kann es auch nicht.

es soll inspiration sein und anregung zum täglichen nachschlagen und zum weiterlesen.

Die themenbezogene struktur soll das Querlesen erleichtern und eher inhaltliche

als personenbezogene zusammenhänge verdeutlichen. Gleichwohl war es wichtig, eine

form zu finden, die das buch horizontal – entlang der autorinnen – und vertikal – entlang

der Themen – lesbar macht.

ich möchte mich an dieser stelle bei meinen Gesprächspartnerinnen bedanken, die zeit

und engagement in dieses Projekt investierten, um ihre Kritik and der Profession und

der lehre der architektur zu artikulieren und gleichzeitig lösungsstrategien anzubieten

– immer in dem bewusstsein, ihre energie und Kreativität ganz im sinne der und für

die Disziplin einzusetzen. einigkeit bestand darüber, dass strukturen dringend reformiert

werden und der gesellschaftlichen wirklichkeit und den ökologischen, sozialen

und kulturellen herausforderungen rechnung tragen müssen, um das Überleben der

Disziplin zu sichern. aber auch darüber, dass das wirken in dieser Profession eine lebensentscheidung

war und ist, die keine der Teilnehmerinnen bedauert, die im Gegenteil

enormen Gestaltungsspielraum eröffnet und durch ihre enge Verbindung zur lebenswirklichkeit

von Menschen ganzheitlich wirkungsvoll und bedeutsam ist.

Anmerkung

Die Verwendung der männlichen form für allgemeine begriffe wie architekt, Dozent, usw. soll weder

ausschluss noch simplifizierung vermitteln. zum einen spiegelt sie die wirklichkeit, insofern der

architektonische Diskurs und die sichtbare architektonische Praxis in weiten Teilen von Männern dominiert

ist, zum anderen – und das erschien bedeutsamer – lässt sich so, besonders im Deutschen,

herausstellen, wann und wo die beitragenden die begriffe explizit weiblich einsetzten.

1 nach einer studie des architects’ council of europe beträgt das Verdienstgefälle zwischen Vollzeitarchitekten

und -architektinnen in europa (17) durchschnittlich 40 Prozent (39.600 eur/23.436

eur). etwa ein Drittel der architekten in europa ist weiblich, wobei der anteil stark variiert. Den

höchsten frauenanteil hat frankreich (56 Prozent), den niedrigsten haben die niederlande (14 Prozent).

in den usa ist das Verhältnis 83,100 usD zu 68.200 usD; 13,3 Prozent der lizenzierten architekten

sind frauen (aia).

8 VorworT

9


02 03

01

01 city of collaborative Mobility, Prototyp:

ausbau internetbasierter shared mobility

für hochverdichtete stadträume

02, Preston Park brighton, Viewfinder building

03 und Park square (© aba)

04 newhall courtyard house: eine neue

form des englischen reihenhauses

mit Terrasse/Veranda und T-förmigem

Grundriss

(© Paul-riddle.com)

05 accordia sky: halbgeschoss-atriumhaus,

getarnt als englisches Doppelhaus

(© Tim crocker)

26 alison brooKs

27

04

05


04

04 beaM + loT 13

(© Margherita spiluttini)

05 beaM + loT 13

(© Margherita spiluttini)

06 Porsche Museum

(© DMaa,

foto hertha hurnaus)

36 elKe DeluGan-Meissl

37

06

05


unTerschieDe unD DiVersiTÄT

Caroline Bos

Monica Ponce de Leon

Denise Scott Brown

wir werden differenziertere und raffiniertere strategien entwickeln müssen, um soziale

und wirtschaftliche ungleichheiten auszugleichen. Gemeinschaftliche strategien können

erfolgreich sein, besonders in der architektur. Dabei ist es hilfreich, ein „komplettes

Kompetenzpaket zu schnüren“, indem man ein Team von Menschen verschiedener

hintergründe und begabungen zusammenführt. es ist jedoch unproduktiv, aufgaben

und Kompetenzen nach Geschlecht zu verteilen. Man kann nicht davon ausgehen, dass

frauen bestimmte aufgaben besser lösen als Männer – oder umgekehrt. Die eigenen

stärken und schwächen zu kennen und sie zu nutzen oder auszugleichen, erscheint

mir der bessere weg zu sein. wir müssen deshalb in uns selbst und in anderen die

fähigkeiten identifizieren und kultivieren, die ganz individuell und spezifisch, aber auch

für die interaktion im Team wichtig sind. Man wählt daher nicht unbedingt die leute mit

den höchsten Qualifikationen (anhand eines systems oder standards), sondern überlegt

genau, was jeder Kandidat auf mehrfache weise zu bieten hat, sowohl individuell als

auch als Teil eines Teams. � 08 Seite 63

an der university of Michigan haben wir uns mit der frage beschäftigt, warum so

wenige amerikaner mit afrikanischen oder spanischen wurzeln architektur studieren,

während in anderen studiengängen die anzahl der studierenden, die diesen Minderheiten

angehören, in etwa deren anteil an der Gesamtbevölkerung und dem Prozentsatz

an Grund- und sekundarschülern im ganzen land entspricht. wir fanden heraus, dass

Kinder aus afroamerikanischen und hispanischen familien dazu neigen, die berufe ihrer

eltern oder bekannten aus ihrer eigenen ethnischen Gruppe zu wählen. wenn also ein

junger afroamerikaner oder hispanier keinen architekten kennt, ist es unwahrscheinlich,

dass er sich für ein architekturstudium entscheidet. wenn er es aber tut, dann

ist er an der universität der einzige oder einer von ganz wenigen studierenden seiner

ethnie, was ihm signalisiert, dass er sich wohl den falschen beruf ausgesucht hat. bei

diesen unbewussten Triggern müssen wir ansetzen.

in zeiten hoher nachfrage oder in notsituationen lassen sich die in den verschiedenen

ethnischen Minderheiten über die anderen Gruppen herrschenden Vorurteile unterdrü-

cken, sodass die solidarität überwiegt und unterschiede zwischen Menschen auf krea-

tive weise genutzt werden können. Das gilt in Kriegszeiten oder im fall von ereignissen,

die alle treffen. es gilt aber auch für architektenteams, die an spannenden Projekten

arbeiten. Durch die zusammenarbeit und die begeisterung für seine arbeit leistet jeder

einzelne – unabhängig von ethnie und Gender – seinen beitrag zum architektonischen

Gemeinschaftswerk und ist „von wert“ für das Gesamtergebnis. unser eigenes büro ist

ein lebendigerer ort, an dem wir bessere leistungen für unsere auftraggeber erbringen,

wenn wir ungleiche Mitarbeiter mit unterschiedlichen fähigkeiten beschäftigen. Man

darf nicht den fehler machen, Diversifizierung nur als moralische Pflicht sehen (was sie

ja auch ist), als „härenes Gewand“ (was sie nicht sein muss), denn dann wird man blind

dafür, welche chancen für wachstum sie bietet und wie viel spaß sie sein kann. Das ist

eine erfahrung, die wir architekten der welt weitergeben können.

berufe haben kein Geschlecht, Menschen dagegen schon, vielleicht auch wolkenkratzer

(denk nur an das Titelblatt der erstausgabe von Delirious New York …).

frauen sind natürlich anders als Männer, was ihre anatomie und biologische funktion

angeht, aber nicht zwingend im hinblick auf emotionalität oder Verhalten – hier wird

die Debatte komplex. in der architektur muss man sich nicht darüber streiten, ob es ein

frauen- oder ein Männerberuf ist, und das trotz der Tatsache, dass in den letzten jahren

bei wettbewerben immer wieder jeweils ein entwurf einer „Quotenfrau“ oder sogar

einer „Quotengruppe junger architekten“ in die engere auswahl kam aber niemals eines

„Quotenmanns“. Die „männliche Gattung“ ist wohl immer noch fester in unserem Denken

etabliert als die weibliche!

ja, ich arbeite lieber mit frauen, vor allem weil frauen andere arbeitsmethoden haben

und andere Prioritäten setzen als die meisten Männer. wer war es, der mal gesagt hat:

„wenn du willst, dass ein job erledigt wird, gib ihn einer frau!“? ich denke, dass frauen

in den meisten fällen viel gründlicher vorgehen. weil sie in

ihrem privaten alltag so viele verschiedene Dinge managen

müssen, können die meisten auch gut organisieren und achten

mehr auf Details. Das habe ich jedenfalls bei meiner lehrtätigkeit

und in meiner arbeit als architektin immer wieder beob-

achtet. � 2 Seite 41

Nasrine Seraji

40 unTerschieDe unD DiVersiTÄT

41

© archiv nasrine seraji

2


04

04 The Marble curtain im

national building Museum

der smithsonian institution,

washington, D.c., usa

(© studio Gang architects)

05 interaktion mit The Marble

curtain

(© studio Gang architects)

06 innenansicht des columbia

college chicago Media Production

center, chicago, usa

(© steve hall/hedrich

blessing)

07 Der zentral gelegene

ausgabe- und lagerbereich für

Medienausrüstung im Media

Production center

(© steve hall/hedrich

blessing)

48 jeanne GanG

49

06

07

05


hoT fuzz

Barbara Bestor

Ingalill Wahlroos-Ritter

52

wir Glauben nichT an iDenTiTÄTsPoliTiK als Quelle

Von inhalT oDer forM. Die fraGe Von GenDer in

Der archiTeKTur isT nichT Die fraGe nach forMen,

Die GebÄuDe annehMen, sonDern nach forMen

unD sTruKTuren unserer GesellschafTlichen unD

PoliTischen aKTiViTÄTen.

wir werDen nichT lÄnGer VoM aMeriKanischen

GeschÄfTsMoDell Des 20. jahrhunDerTs MiT seinen

TraDiTionellen GeschlechTerrollen behinDerT. wir

GehÖren zur GeneraTion sTarKer frauen, Die Das

„aGiere-wie-ein-Mann-sPiel!“ nichT Mehr MiTsPielen

MÜssen. lebensenTscheiDunGen, Die VorDerGrÜnDiG

nichTs MiT archiTeKTur zu Tun haTTen, haben unsere

eXPanDierenDe KreaTiVe Karriere VoranGeTrieben.

TaTsÄchlich GrÜnDeT sich unser erfolG auf Die

Menschlichen beziehunGen unD faMilien, Die wir

ausserhalb unserer archizenTrisTischen welT

aufGebauT haben unD PfleGen. sie sinD es, Die uns

als archiTeKTinnen unTersTÜTzen.

eine archiTeKTurPraXis unD -lehre ohne

GeschlechTersPezifische DisKriMinierunG wirD

neue, uMfassenDere fraGen aufwerfen unD

leTzTlich eine neue arT archiTeKTur in GanG seTzen.

eine neue GesPrÄchsKulTur, anDere schwerPunKTe,

neue VorbilDer unD alTernaTiVe arbeiTsMeThoDen

werDen unweiGerlich zu neuen forMalen

ManifesTaTionen fÜhren. als PraKTizierenDe unD

lehrenDe archiTeKTinnen isT Das fÜr uns Die

loGische KonseQuenz.

01

01 bigger is better house,

Diamond bar

02 bigger is better house

03 leg avenue lingerie-atelier,

office lounge

(alle © wroaD)

inGalill wahlroos-riTTer

02

03

53


07

06

06 loft eines sammlers,

new york, usa

(© iwan baan)

07 Mercedes-benz-Museum,

stuttgart

(© Thea van den heuvel)

08 The burnham Pavilion,

chicago, usa

(© christian richters)

09 The changing room, architekturbiennale

Venedig 2008

(© christian richters)

62 caroline bos

63

08

09


07

07 Ps house, eingang

08 Ps house

09 Voussoir cloud, unterseite

10 lightfold, Vorderseite

11 lightfold, rückseite

(alle © iwamotoscott)

08

70 lisa iwaMoTo

71

09

10

11


MeDien unD Die

„GesellschafT Des sPeKTaKels“

Jeanne Gang

Barbara Holzer

Fuensanta Nieto

72

in den usa ist Design inzwischen stärker ins öffentliche bewusstsein gedrungen, und

es gibt viel mehr auflagenstarke Design- und architekturzeitschriften als früher. Das hat

sich insofern meist positiv auf die architektur ausgewirkt, als die Menschen heute mehr

darüber wissen, ihr Vokabular erweitert haben. Man kann bauten als beispiele zitieren

und stellt fest, die leute haben sie gesehen und bewusst wahrgenommen. Man kann

sogar mit dem Vertreter eines staatlichen bauherrn auf hohem niveau diskutieren, was

architektur für die lebensqualität der Menschen und gleichermaßen für die wirtschaft

tun kann. wenn sich aber die Medien nur auf bilder und weniger auf Konzepte konzentrieren,

kann uns das schaden. heute wird von architekten verlangt, dass sie schon zu

beginn eines entwurfs bilder präsentieren. wenn man in dieser Phase darauf eingeht,

schwächt man aber die Kraft des werks, weil es einen zwingt, den entwurf auf das bild

abzustimmen und nicht die idee. Das bild aber stellt nicht immer die beste lösung dar.

ich glaube, es gibt eine ästhetische Übersättigung in bezug auf fotorealistische architekturdarstellung.

andere Darstellungsmethoden, die sich in einer eigenen handschrift

manifestieren, ermöglichen Diskussionen über die frage, ob etwas schon gebaut ist,

hinaus und stimulieren mehr aufmerksamkeit. Gleichwohl wird der aufwand der Darstellung

immer größer, man wird den raum bald virtuell begehen wollen – die imagination

und die Möglichkeit zur interpretation nehmen proportional ab, wenn man simultan

keine eigene künstlerische haltung entwickelt.

Mit dem „stararchitekten-system“ und der damit einhergehenden breiten medialen

aufmerksamkeit (die der Disziplin vielleicht zunächst gut tat) ging es in der architektur

zunehmend um abbildung und image. sie stieg sozusagen zu hoch auf, um dann trivi-

alisiert und oberflächlich wieder herunterzukommen. wir müssen aufpassen, was wir

vorschlagen, weil wir dann vielleicht gezwungen sind, das zu realisieren, was wir als bild

verbreitet haben. es besteht ein widerspruch zwischen der langsamkeit des bauens

und der schnelligkeit, mit der wir auf Verlangen bilder produzieren. Diese sind dann mit

einem Mausklick weltweit zugänglich. Das ist aber keine architektur, sie existieren in

MeDien unD Die „GesellschafT Des sPeKTaKels“

einem anderen „raum“, sind zweidimensional – früher auf dem Papier, heute auf dem

bildschirm. bauen ist ein sehr langsamer Prozess, und ein bild in ein Gebäude zu über-

setzen ist architektur. architektur umfasst und erfasst alle unsere sinne – komplex und

umfassend. bilder sind antizipation, bestenfalls ein Versprechen und – im hinblick auf

das wesen der architektur – ein Paradox. Dennoch misst die informationsgesellschaft

die architekten am bild, am image; eben deshalb muss man vorsichtig damit umgehen.

Die betrachtung einer abbildung kann niemals die gleiche wirkung haben wie der anblick

eines Gebäudes. Das bild steht für sich allein, ein bauwerk nicht, weil es Teil eines

kontextuellen Gefüges ist und sich somit nur in einem Komplex voneinander abhängiger

Komponenten erfahren lässt. ein bild kann das nicht leisten. Die schnelligkeit, mit der

ein bild produziert wird, steht in keinem Verhältnis zur Dauer und zum umfang der

gedanklichen arbeit, die für die entwicklung eines relevanten entwurfs nötig ist. unter

umständen beschränkt sie sogar die Kreativität, da ein bild vorzeitig beschreibt, was

noch gar nicht gründlich durchdacht worden ist. wir müssen die Medien gezielt und

klug nutzen und Kontrolle übernehmen. wir müssen die werkzeuge beherrschen, um

unser visuelles Vokabular neu zu definieren.

Die medienerfahrene Öffentlichkeit hat nur ganz wenige architektonische urheber als

„Marke“ anerkannt. Die erste „Markengeneration“ hat sich längst etabliert. Das ist insofern

problematisch, als kleinere büros und junge architekten kaum chancen haben,

für mittlere oder große bauvorhaben beauftragt zu werden. Deshalb investieren junge

architekten weniger in einen authentischen eigenen ausdruck als in die Konstruktion

einer mediengerechten, gängigen „Marke“, die die Masse ohne intellektuelle anstrengung

wiedererkennt. Die wenigen büros, die mit solchen massentauglichen architektonischen

Markenartikeln erfolg haben, entwickeln sich zu Großunternehmen und werden

vom Konsumenten fast wie halbgottheiten verehrt.

Dagmar Richter

73


06

06 betriebsrestaurant mit auditorium,

Ditzingen

(© christian richters)

07, rhizoM, boldevitz

08 (© rainer beelitz, julius blencke,

stefan liczkowski, andreas

woyke)

09, schleife, uselitz

10 (© julia de orovio soler, Gilberto

Pedrosa, serena Vaccari)

78 reGine leibinGer

79

08

07

10

09


Darüber hinaus ist es schwierig, „echte architekten“ von „architekten auf dem Papier“

zu unterscheiden, die in japan mit einem Minimum von Planzeichnungen typenglei-

che Gebäude errichten. im hinblick auf die werkqualität und den arbeitsaufwand der

japanischen architekten gibt es also große unterschiede, aber alle sind zugelassene

architekten.

03

01 Moca, euclid Day Plaza

(© fMa/foa)

02 Moca, Treppe

(© fMa/foa)

03 la rioja (mit foa)

(© jordi Todo)

04 la rioja (mit foa)

(© sergio Padura)

84 farshiD MoussaVi

85

01

02

04


sTruKTuren Der

uniVersiTÄren lehre

Barbara Bestor in architekturschulen rund um los angeles habe ich in letzter zeit beobachtet, dass

Politik und Kulturwissenschaften als Themen der architektur erheblich an bedeutung

verloren haben. obwohl die „soziale Geografie“ nicht das wichtigste Thema darstellt,

würde ich davon ausgehen, dass sie themenbezogen in die aufgabenstellungen für studenten

einfließen. Merkwürdigerweise ist das immer seltener so. ich stelle fest, dass

viel mehr wert auf formale Gestaltung und/oder unpolitische inhalte gelegt wird. Das ist

zwar weder betrüblich noch verkehrt, bestätigt jedoch die spätkapitalistische Perspektive

von architektur als Teil der Konsumkultur, und weniger als potenzielle Plattform für

widerstand. wenn die architektur apolitisch wird, müssen wir darüber reden. arbeiten

wir für eine bessere welt oder verkaufen wir „Produkte“? ich finde nicht, dass architektur

so kommerziell ist oder sein sollte. Das ist ein heikles Thema für alle lehrenden, weil

studios, die sich mit anderen als formalen fragen beschäftigen (und daher in ihnen weniger

„marktgängige“ bauten und Projekte entstehen), weniger beachtet und anerkannt

werden. wie verheiratet man Design mit Politik? Die zeitgenössische Kunst thematisiert

beides gleichermaßen, und es gibt keinen Grund, warum wir das nicht können!

aufgrund der heutigen Technologien wird es immer komplizierter, architekturstudiengänge

angemessen zu strukturieren. Der beruf verändert sich dermaßen rasant, dass

die fakultäten vier jahre nach berufung neuer Professoren kaum noch auf dem neuesten

stand sein können. architekturfakultäten sind ganz anders strukturiert als andere,

traditionellere. wir unterrichten ein fach, das Kultur und Ökonomie miteinander verschränkt.

scheinbar braucht man sowohl zwanzigjährige, die mit facebook aufgewachsen

und mit jeder art von computercode vertraut sind, die ein Team anwendet, als auch

lehrende mit profundem wissen und langjähriger erfahrung. und alle müssen immer

auf dem laufenden sein. in zukunft wird die universitäre lehre wohl nicht mehr als

lebensstellung gelten. Viele von uns nehmen lehraufträge an, weil wir neben der Praxis

in unseren büros auch weiterhin neue architektonische Konzepte entwickeln wollen.

Caroline Bos

90

es ist traurig, aber nicht verwunderlich, wenn man entdeckt, dass in der akademischen

welt Gleichstellung der Geschlechter kaum vorhanden ist. akademische institutionen

sTruKTuren Der uniVersiTÄren lehre

sind von natur aus ziemlich unflexibel, und Menschen in institutionen bewegen sich

mit Vorsicht und befolgen definierte Verfahren, Konventionen, geschriebene und ungeschriebene

Gesetze. institutionen können sich nur schwer auf Veränderungen einstellen.

einerseits ist diese unflexibilität beruhigend, andererseits aber höchst ärgerlich.

für die architektur ist die akademische Trägheit ein nachteil. universitäten, die so unflexibel

sind, dass sie sich fast völlig von der Praxis entfernen, verweigern ihren studierenden

letzten endes die bestmögliche ausbildung. schließlich werden nur wenige von

ihnen später selbst lehrende, die meisten werden in die Praxis gehen. Vielleicht haben

wir akademischen institutionen zu sehr vertraut und ihre durchaus bekannten nachteile

zu wenig in betracht gezogen. früher gab es unter den großen architekten viele, die architektur

auf ihre eigene weise lernten. heute dagegen ist der weg sehr streng geregelt.

Vielleicht sollten wir aber individuelleren, eigenwilligeren Konzepten von der ausbildung

zum architekten und seiner rolle wieder mehr raum geben. � 09 Seite 63

weltweit bieten architekturschulen eine fülle verschiedener Diskurse, Themen und Mittel

an, die sie für relevant halten. zum Glück findet unter diesen institutionen ein sehr

effektiver austausch über theoretische fragen und forschungsansätze statt. Dieser

internationale Diskurs bereichert jede fakultät und führt mit der zeit zur entwicklung

einer globalen architektur-community. Dennoch, die architektonische lehre ist noch

immer sehr nationalzentristisch. es ist ziemlich leicht, eine arbeit eines absolventen

einer deutschen schule von demjenigen einer spanischen, schweizerischen oder französischen

zu unterscheiden. Diese„biodiversität“ der architektonischen lehre birgt für die

Praxis ein ungeheures Potenzial.

in einem in Module aufgeteilten lehrsystem wie dem an der aa dient die Vision des Modultutors

als „eingang“ in die Produktion von architektur. jede Moduleinheit ist wie eine

schule in der schule. Dadurch profitieren die studierenden von einem fantastischen

spektrum verschiedener, hoch spezifischer architektonischer erfahrungen. Komischerweise

verharren einige der jungen leute während ihres ganzen studiums in ein- und

demselben Modul und entwickeln, weil sie das vielfältige studienangebot nicht nutzen,

eine art monokulturellen ansatz, eine spezialisierung. in einigen seminarmodulen wird

mit komplexen formalen inhalten durch den einsatz digitaler Technologien als Metanarrativ

des 21. jahrhunderts gearbeitet. Das dabei erworbene Know-how ist fantastisch,

ich denke aber, dass parametrisches entwerfen keine strömung oder Theorie ist,

sondern ein instrument. unter architekten wird derzeit grundsätzlich diskutiert, inwieweit

wir uns beim entwerfen und bauen allein auf digitale Verfahren verlassen sollten.

im Moment ist es so, dass die Grenzen des werkzeugs vielfach das ergebnis definieren

und den entwurfsprozess in richtung steigender formaler Komplexität lenken, die zunehmend

vorhersagbar ist. Das Paradoxe daran ist, dass Gebäude auch heute noch

weitgehend in handarbeit entstehen und einfachheit geschätzt wird. ist die Komplexität,

die durch digitale entwurfs- und Produktionsmethoden ermöglicht wird, bedeutungsvoll?

Alison Brooks

91


edeutung von orten von schönheit und sorgfalt . indem wir das tun, definieren wir die

ausbildung zum architekten neu.

zur forschung: Meiner Meinung nach ist die akademische welt zu sehr mit der Praxis

des berufs verbandelt. ein weg zu architektonischen innovationen besteht in einer aktiven

Transdisziplinarität, bei der man in anderen fachbereichen nach Methoden sucht,

die wir auf unser Gebiet übertragen könnten. Grundlagenforschung bietet uns eine dieser

Möglichkeiten. für mich ist sie ein Prüffeld für architektonisches entwerfen, das mir

völlige freiheit lässt. Man muss kreativ sein, um die richtigen fragen zu formulieren und

einen Partner zu finden, der einem hilft, die eigenen ideen weiterzuentwickeln. Partner

in der forschung sind ganz anders als der typische bauherr oder Kollege, sie liefern

beiträge aus einem ganz anderen diskursiven Kontext als unserem eigenen. Generell

betreiben architekten forschung anders als naturwissenschaftler. architekten stellen

selten freie hypothetische Überlegungen an, die zu neuen erkenntnissen führen. wir behaupten

zwar, dass wir es tun, aber in wirklichkeit tun wir’s nicht. wenn wir uns Partner

aus anderen fachlichen zusammenhängen suchen, wird uns das helfen, unsere arbeit

neu auszurichten, neu zu formulieren und zu erweitern.

01

01 hotel- und bürotürme,

München, in Planung

(© nieto sobejano

arquitectos)

02 Mérida auditorium und

Konferenzzentrum,

Mérida, spanien

(© roland halbe)

96 fuensanTa nieTo

97

02


ausbilDunG/erfahrunGen

in unD MiT schulen

Jeanne Gang Mein studienjahrgang an der harvard Graduate school of Design war der erste mit

Barbara Holzer

104

mehr eingeschriebenen frauen als Männern. jenseits dieses ungleichgewichts war

harvard ein ort brutalen ehrgeizes und scharfer Konkurrenz. Gleichzeitig war die

schule ein aufregend-anregender ort, da man dort auf höchstem niveau Diskussi-

onen zu allen möglichen Themen führen konnte – mit wenigen worten. ich fand das

extrem spannend. als ich jahre später als lehrkraft an die schule zurückkehrte,

nahm ich den gleichen ehrgeiz und Konkurrenzkampf mit anderen augen wahr, weil

ich inzwischen davon überzeugt war, dass Teamarbeit beim bauen von entscheiden-

der bedeutung ist und auch an der universität gelehrt werden sollte.

während meines studiums an der eTh war ich Teil einer Gruppe von studenten, die

eine kritische Position einnahm in bezug auf die Disziplin, die hochschule und de-

ren gesellschaftlichen Kontext. wir formulierten eine politische haltung. es war mir

wichtig, das Gefühl zu haben, für etwas zu kämpfen. was ich von der eTh mitgenom-

men habe, ist zum einen Kompetenz – fachlich und theoretisch – und zum anderen

die fähigkeit zu diskursiver auseinandersetzung. argumentation und Diskussion

scheinen heute nicht mehr in dem Maß Gegenstand der ausbildung zu sein. wer

mich nachhaltig für architektur einnahm, war Daniel libeskind. er stand für mich

für den Glauben an eine Vision und die Überzeugung, diese radikal durchzusetzen

– auch gegen widerstände. er besetzte damals eine absolut nicht mehrheitsfähige

nische und besaß die energie, schließlich durchzudringen. Das war ein schlüsselerlebnis.

ich habe in diesem energiestrudel zunächst keine tradierten fragen an mein lebensmodell

gestellt. intern war nina libeskind gleichberechtigte Partnerin, sie managte

das büro. sie erschuf ein Gefüge, das mich beeinflusst hat – die familie, das büro,

das nächtelange arbeiten, die Kinder, die unterm zeichentisch schliefen etc. hier

war kein raum für bürgerlich-traditionelle fragestellungen. insofern wurde mir die

Trennung von beruf und familie nicht vorgelebt – im Gegenteil, man hat bewusst ein

alternatives Modell angestrebt. Das hat mich glücklicherweise auch vor bürgerlichen

Konventionen geschützt und intellektuelle befreiung ermöglicht.

ausbilDunG/erfahrunGen in unD MiT schulen

Mein studium an der Tu berlin habe ich relativ schnell absolviert, obwohl ich in den

ersten zwei jahren auch die stadt sehr genossen und mich nicht so wahnsinnig be-

müht habe. Mir kam das studium in hohem Maße verschult vor, insbesondere in den

ersten vier semestern. nach dem Vordiplom habe ich ein Praktikum im büro Kleihues

gemacht, eine essenzielle und wirklich prägende erfahrung. Dort habe ich erlebt, dass

man sich anstrengen und extrem hart arbeiten muss, wenn man eine hohe Qualität in

der eigenen arbeit erreichen will. josef Paul Kleihues, der außer in Dortmund ja auch

an der cooper union und in yale Professor war, hat uns vermittelt, wie wichtig und

horizonterweiternd diese internationalen einflüsse sind. also war mir klar, dass ich das

studium in berlin in der regelstudienzeit beenden wollte, um im anschluss in amerika

einen Master zu machen. ich habe mich an der columbia university und harvard beworben,

bin an beiden schulen angenommen worden und entschied mich schließlich

für harvard.

Dort erlebte ich das absolute Kontrastprogramm zur Tu berlin: nur zwölf bis 15 studenten

in einem entwurfsseminar, alle zwei wochen reviews mit externen Gästen, die

bibliothek immer geöffnet, ein unglaublich anspruchsvoller Diskussionslevel, zielstrebige

und unerhört fleißige studenten – das alles war vollkommen neu für mich. so viel

wie in harvard habe ich noch nie in meinem leben gelernt.

im Grunde waren alle lehrer dort „role Models“, auch weil sie uns eine Grundauffassung

vermittelt haben, dass sie lehren, um selbst etwas zu lernen. ich finde diesen

ansatz gut, allerdings ist es an den europäischen bzw. deutschen hochschulen nicht

unbedingt üblich, diesen Gedanken offen auszusprechen. Das engagement dieser

lehrer war unglaublich, weil sie das Gefühl hatten, dass lehren in gewisser weise

auch auf Gegenseitigkeit beruht. sie konnten uns viel geben und gleichzeitig etwas

mitnehmen – das war es, was mich letztlich selbst für die lehre begeistert hat.

ich bin immer „gender blind“ gewesen. Meine eltern führten gemeinsam eine firma,

weshalb ich die zusammenarbeit von Männern und frauen von Kindesbeinen an für

normal hielt. als ich mein architekturstudium in Venezuela aufnahm, wurde ich gefragt,

ob das nicht ein Männerberuf sei. Die Vorstellung, dass es geschlechtsspezifische

berufe gibt, hat mich damals sehr irritiert, ich wuchs geschützt von stereotypen

Denkweisen auf. in Venezuela sind ironischerweise architekturfakultäten von frauen

dominiert. später, in Miami, war die wichtigste Person in der fakultät auch eine frau

und es gab Dozentinnen und das Geschlechterverhältnis war relativ ausgeglichen.

erst als ich nach harvard kam –1988 –, erkannte ich, dass architektur alles andere als

ausgewogen ist, was mich ziemlich schockierte. wie gesagt, ich bin immer „gender

blind“ gewesen und habe erst in den letzten drei jahren zu verstehen begonnen, dass

es die „Glass ceiling“ gibt und dass die architektur trotz unserer positiven einstellung

in bezug auf Gleichstellung von Männern dominiert wird.

Regine Leibinger

Monica Ponce de Leon

105


Mary-Ann Ray während meines studiums bin ich leider nicht in den Genuss weiblicher role Models ge-

01– Ventulett, installation am Georgia

03 institute of Technology

(© Phil jones)

kommen, da es weder an der university of washington, wo ich bildende Kunst studierte,

noch an der architekturfakultät von Princeton weibliche lehrkräfte gab. natürlich habe

ich auch ohne sie überlebt, aber mit der zeit habe ich die abwesenheit von frauen in

meiner ausbildung als erheblichen nachteil empfunden.

02

106 ausbilDunG/erfahrunGen in unD MiT schulen

Monica Ponce De leon

107

01

03


04

04 west adams Preparatory high

school, los angeles, usa: auf

der Veranda der bibliothek, an

der brücke über den hof

(© Mary-ann ray)

05 Die brücke zur bibliothek, west

adams Preparatory

high school

(© Magnus stark)

06 Der hof der west adams

Preparatory high school

(© Magnus stark)

07 Treppe zur schwebenden

“bibliotheks-arche”, rose and

alex Pilibos armenian school,

hollywood, usa

(© Grant Mudford)

05 06

116 Mary-ann ray

117

07


01

© frank hanswijk

01 las Vegas strip, 1968

(© Vsba)

02 Themes & ideals of the

american suburb, 1975

(© Vsba)

03 Denise scott brown und

robert Venturi, las Vegas,

november 1966

(© Denise scott brown und

robert Venturi)

folgende seiten:

04 Die Muster städtischer aktivität

sind aufschlussreich für

Gestalter. Klee beschwor die

fantasie aus der Mathematik

herauf und wir tun das auch.

05– Die serie verdeutlicht den

09 Prozess von analyse und entwurf,

von der campusplanung

bis zu entwurf und bau des

life sciences complex der

university of Michigan.

(© Matt wargo)

10 „Generic Design for flexibility“

(© Matt wargo)

11 „The street through the

building“

(© Matt wargo, rond;

Kawasumi)

134 Denise scoTT brown

135

03

02


QualiTÄT unD (MachT-)sTruKTuren

Regine Leibinger Die aufgabe von frauenbeauftragten möchte ich gar nicht in frage stellen, ich finde es

Fuensanta Nieto

Nasrine Seraji

140

aber am allerwichtigsten, dass in berufungskommissionen über die Qualifikation einer

Person für die lehre gesprochen wird und nicht als erstes darüber, ob man einen Mann

oder eine frau möchte. natürlich müssen die interessen von frauen in diesen oft von

Männern dominierten Gremien verteidigt werden, ich habe auch schon erlebt, wie in

solchen runden manchmal unglaubliche ressentiments herausbrechen, wenn eine

frau zu gut aussieht, zu jung ist oder zu selbstbewusst auftritt. aber am ende muss es

doch um die befähigung einer Person gehen, die befähigung zur lehre, zur forschung,

zur zusammenarbeit mit anderen, sonst gar nichts.

als Professor muss man zunächst ein guter Teamplayer sein, weil man sich im umgang

mit den assistenten und im umgang mit den studenten bewähren muss. in unserem

fach sitzt man ja nicht allein in seinem elfenbeinturm und sucht nach der weltformel.

frauen sind gute Kommunikatoren. untereinander sind sie auch nicht unbedingt immer

freundlich, aber sie sind auf jeden fall, was das berufliche angeht, nicht so eitel wie

Männer. sie haben durch ihre kommunikativen und vermittelnden fähigkeiten die besten

Voraussetzungen, die studenten wirklich zu erreichen, sie zu motivieren und das

studium attraktiv zu machen.

ich beschäftige mich schon länger mit der frage nach den strukturen, in denen wir

leben und arbeiten. natürlich gibt es „gezielte förderung/affirmative action“ und das

bestreben, mehr frauen vor allem in öffentlichen Ämtern einzustellen. Dennoch wurden

die strukturen von Männern geschaffen und daher erfüllen Männer die Qualitätskriterien

innerhalb der existenten systeme besser. Darüber lässt sich schwer streiten,

da diese Tatsache auch frauen teilweise gar nicht bewusst ist. es stimmt, wir suchen

nach den „besten“, aber wenn wir uns umschauen, sehen wir nur Männer. irgendwas

stimmt nicht mit diesem bild.

Tatsache ist, dass architektur immer auch etwas mit Macht oder dem Potenzial der

Macht zu tun hat und immer schon mit der Politik geflirtet hat. und wo Macht ist, gibt

es eine Machtstruktur und ein implizites Gefühl der Überlegenheit. um überleben zu

QualiTÄT unD (MachT-)sTruKTuren

können, mussten frauen alle möglichen formen von netzwerken entwickeln, immer in

definierten Grenzen. ein prosaisches, häusliches beispiel dafür waren die Tupper-Partys,

die hausfrauen in den 1950ern in den usa veranstaltet haben (und heute noch weltweit

tun), das raffinierteste Marketingwerkzeug seiner zeit.

frauen sind (im allgemeinen) nicht im gleichen Maße an der

hierarchie der Macht interessiert wie Männer. Die Mode hat

stets gezeigt, was in unserer Gesellschaft für erstrebenswert

erachtet wurde; denken sie an die jahre der schulterpolster in

den 1940ern nach dem Krieg und in den 1980ern, als frauen

immer häufiger in Managementpositionen zu finden waren –

als ob die breiten schultern dabei helfen würden, die große

Verantwortung zu tragen! jean Paul Gaultier führte, sozusagen

in erinnerung an die befreiung der figur und der Geschlechter,

die androgyne figur ein. es gibt viele frauen, die durch die

strukturen, die die Gesellschaft ihnen aufgezwungen hat – in

denen wir das „andere Geschlecht“ (simone de beauvoir) angenommen

haben –, flexible strategien entwickelt haben. frauen haben durch die vielen

einschränkungen eine „form“ angenommen, die ihnen viel mehr beweglichkeit bietet

als die reine biologie. Durch einschränkungen wurden wir mobil, was von Vorteil ist. wer

eingeschränkt ist, muss sich in allen möglichen Positionen bewegen können. Genauso

wie ein Gelähmter, der mit hilfe seiner Prothesen lernt, schneller zu rennen als ein

champion. unsere einschränkungen sind zu unserem Potenzial geworden. � 5 Seite 141

141

© archiv nasrine seraji

5


09

09 Die Mauer – leben am berg,

alpinarium Galtür,

landesausstellung Tirol la 05,

Galtür, Österreich

(© holzer Kobler architekturen)

10 arche nebra,

besucherzentrum und aussichtsturm,

wangen (sachsen-anhalt),

Deutschland

(© holzer Kobler architekturen,

foto: jan bitter)

180 barbara holzer

181

10


Die archiTeKTinnen

Alison Brooks

Gründerin und leiterin von

alison brooks architects ltd.

Gastprofessuren an der

architectural association

london und anderen

institutionen

www.alisonbrooksarchitects.com

Barbara Bestor

Gründerin und leiterin von

bestor architecture, los

angeles, usa

woodbury university school of

architecture, los angeles, usa

chair, Graduate school of

architecture (2009–11)

Gastprofessuren an der harvard

GsD, sci-arc, ucla und

anderen institutionen

www.bestorarchitecture.com

Barbara Holzer

Mitgründerin und leiterin von

holzer Kobler architekturen (mit

Tristan Kobler), zürich, schweiz

Gastprofessuren an der eTh

zürich, Pbsa Düsseldorf und

anderen institutionen

www.holzerkobler.ch

188

Caroline Bos

Mitgründerin (mit ben van

berkel) und leiterin, unstudio,

amsterdam, niederlande

Gastprofessuren an der

Princeton university, ucla, am

berlage institute, der aa london

und anderen institutionen

www.unstudio.com

Dagmar Richter

leiterin von Dr_D, einem büro

für entwurfsforschung in berlin

und los angeles

chair Department of

architecture, cornell university

aap.cornell.edu/arch/faculty

Denise Scott Brown

leitet mit robert Venturi das

büro VenTuri scoTT brown

anD associaTes, inc.,

Philadelphia, usa

Professuren und

Gastprofessuren u.a. an

den universitäten Penn,

berkeley, ucla, yale, harvard,

rice, Princeton. weltweite

Vorlesungstätigeit

Learning from Las Vegas (mit

robert Venturi, steven izenour,

1972), Having Words (2009),

zahlreiche artikel

bibliografie und arbeiten unter

www.vsba.com

Elke Delugan-Meissl

Mitgründerin und leiterin

von Delugan-Meissl zT Gmbh

(mit roman Delugan), wien,

Österreich

lehrt an der universität für

angewandte Kunst, wien,

zahlreiche Gastprofessuren

www.dmaa.at

Farshid Moussavi

Gründerin und leiterin von

farshid Moussavi architecture

(fMa)

Mitgründerin und leiterin von

foreign office architects (foa)

Professor in Practice,

Department of architecture,

harvard GsD

www.farshidmoussavi.com

Fuensanta Nieto

Mitgründerin und leiterin von

nieto sobejano arquitectos

(mit enrique sobejano), Madrid,

spanien

Professorin an der ueM

(universidad europea de

Madrid)

www.nietosobejano.com

Jeanne Gang

Gründerin und leiterin von

studio Gang architects,

chicago, usa

außerordentliche Professorin

für architektur am illinois

institute of Technology,

zahlreiche Gastprofessuren,

u. a. an der harvard GsD,

Princeton, yale

www.studiogang.net

Ingalill Wahlroos-Ritter

Mitgründerin und leiterin von

wroaD (mit roland wahlroosritter),

los angeles, usa

undergraduate chair an der

woodbury university school of

architecture, los angeles, usa

www.wroad.net

Jennifer Wolch

Dekanin am college of

environmental Design; william

w. wurster Professor of city &

regional Planning; university of

california, berkeley, usa

begründerin des center for

sustainable cities an der

university of southern california

http://www.ced.berkeley.edu/

people/faculty

Lisa Iwamoto

Mitgründerin und

Partnerin iwaMoToscoTT

archiTecTure (mit craig

scott), san francisco, usa

associate Professor of

architecture, uc berkeley, usa

www.iwamotoscott.com

Mary-Ann Ray

leiterin von sTuDioworKs,

los angeles, usa

Professorin am southern

california institute of

architecture, los angeles

(sci-arc), usa

Professor of Practice in

architecture, Taubman college

of architecture and urban

Planning, university of Michigan,

ann arbor, usa

Mitgründerin von b.a.s.e.

beijing (beijing architecture

studio enterprise/www.

basebeijing.cn), beijing, china

www.studioworksarchitects.com

Monica Ponce de Leon

Gründerin und leiterin von

Monica Ponce de leon studio

Mitgründerin und leiterin von

office da

Dekanin am Taubman college

of architecture and urban

Planning, university of Michigan,

ann arbor, usa

www.monicaponcedeleon.com

Nasrine Seraji

Gründerin und leiterin von

atelier seraji architects and

associates, Paris, frankreich

Professorin und Dekanin

des instituts für Kunst und

architektur an der akademie der

bildenden Künste in wien

Dekanin an der École nationale

supérieure d’architecture Paris

Malaquais

www.seraji.net

Regine Leibinger

Mitgründerin und leiterin von

barkow leibinger architekten

(mit frank barkow), berlin

Professorin für entwerfen und

baukonstruktion, Technische

universität berlin

www.barkowleibinger.com

Yui Tezuka

Mitgründerin und leiterin von

TezuKa archiTecTs (mit

Takaharu Tezuka), Tokio, japan

Gastprofessuren an der uc

berkeley, Toyo university, Tokai

university (unter anderem)

www.tezuka-arch.com

189

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