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125 Jahre Gemeinde Ruhpolding - 6 - Juli 2007<br />

Viele zeitgenössische Künstler<br />

des ausgehenden 19. Jahrhunderts<br />

haben in den gängigen<br />

Journalen jener Zeit wie beispielsweise<br />

der „Gartenlaube“<br />

die Romantik des Landlebens<br />

verherrlicht. Wer jedoch versucht,<br />

sich mit Hilfe dieser Darstellungen<br />

eine Vorstellung von<br />

dem harten Alltag in jener Zeit<br />

zu machen, erhält ein völlig einseitiges<br />

und falsches Bild. Hier<br />

findet der Betrachter nur einseitig<br />

verzerrte Klischees, die nur<br />

wenig mit der Realität der Vorgänge<br />

und Umbrüche in der<br />

zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />

zu tun haben.<br />

Diese Zeit nach dem Zusammenbruch<br />

der Monarchie war<br />

geprägt von extremen Spannungen<br />

und einer radikalen<br />

Veränderung des wirtschaftlichen<br />

Lebens einerseits wie<br />

auch der mühsamen Schaffung<br />

völlig neuer Verwaltungsstrukturen<br />

im öffentlichen Gemeinwesen.<br />

Denn obwohl den<br />

Gemeinden schon bald nach<br />

der Revolution ein Selbstverwaltungsrecht<br />

zugestanden<br />

wurde, dauerte die Loslösung<br />

von der Patrimonialgewalt in<br />

vielen Gegenden bis 1878/79.<br />

Aus vielen Protokollen in jener<br />

Zeit geht hervor, dass die Gemeindevertreter<br />

zwar Geburten,<br />

Ruhpolding im Spannungsfeld<br />

des industriellen Umbruchs<br />

Hochzeiten und Sterbefälle dokumentieren<br />

durften, aber ansonsten<br />

nur wenig zu<br />

bestimmen hatten und nach wie<br />

vor stark unter der Vormundschaft<br />

des Staates standen,<br />

wenn es darum ging ein neues<br />

Gewerbe zuzulassen oder eine<br />

neue Hofstatt oder beispielsweise<br />

eine neue Weidefläche<br />

genehmigen zu lassen. Den<br />

Gemeinden wurde demnach<br />

zwar die allgemeine Rechtsfähigkeit<br />

zuerkannt und sie hatten<br />

laut Gemeindeedikt diese Vorrechte,<br />

unterlagen aber aus<br />

heutiger Sicht noch immer einer<br />

Beschränkung ihrer Handlungsfähigkeit<br />

wie Minderjährige! Erst<br />

in den 80er Jahren des 19.<br />

Jahrhunderts erhielten die Gemeinden<br />

wie auch die unsrige<br />

nach und nach die rechtserzeugende<br />

Kraft, derart, dass sie<br />

Orts-Statuten, Satzungen und<br />

Erlasse auf Grund ihrer Autonomie<br />

in eigener Verwaltung beschließen<br />

konnten.<br />

Aber nicht nur im Verwaltungswesen,<br />

auch im Wirtschaftsund<br />

Erwerbsleben jener Zeit<br />

kam es zu einschneidenden<br />

Veränderungen. Bis zu diesem<br />

Zeitpunkt hatte die Landwirtschaft<br />

und das Forstwesen das<br />

Leben der Bergbauern dominiert.<br />

Es war ein sorgfältig abgestimmtes<br />

und<br />

funktionierendes System auf<br />

Basis der Selbstversorgung<br />

und zu diesem System gehörten<br />

die Handwerker wie der<br />

Schmied, der Wagner oder<br />

Drechsler, der Weber, der<br />

Schuster, der Schneider, der<br />

Kramer und der Wirt. Damit<br />

sind exakt die wichtigsten Berufsstände<br />

unseres Ortes genannt,<br />

die sich zum Teil auch<br />

noch bildlich dokumentieren<br />

lassen. Mit dem technischen<br />

Wandel der Industrialisierung<br />

setzte aber auch für diese Erb<br />

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und vielfältiger Wandel ein, der<br />

zum Teil auch bei uns zu erheblichen<br />

Einbrüchen und Umbrüchen<br />

führte. Dies traf vor allem<br />

die Textilerzeugung in der Leinenweberei,<br />

die Fertigung von<br />

Werkzeugen im Schmiedebereich<br />

und auch die Holzwarenerzeugung<br />

von<br />

Werkzeugstielen angefangen<br />

bis hin zu den Produkten der<br />

Wagnerei und Schlosserei. Hier<br />

kam es sehr rasch zu einer teilweisen<br />

verlagsmäßigen Gewerbeproduktion,<br />

die aber<br />

sukzessive an Bedeutung und<br />

Ausmaß verlor. Das führte<br />

dazu, dass eine Vielzahl von<br />

Bewohnern, die einst in ihren<br />

Gemeinden einen gesicherten<br />

Erwerb fanden, verarmten und<br />

sich oft mühsam neue Erwerbsquellen<br />

erschließen mussten.<br />

Diese Entwicklung wurde noch<br />

verschärft durch die rasch<br />

wachsende Zahl der Selbstler.<br />

Bei diesem immer stärker um<br />

sich greifenden „Selbstlergehen“,<br />

wie es der Volksmund<br />

nannte, verdingten sich viele ledige<br />

Burschen als Maurer- und<br />

Zimmergesellen bei Bauunternehmern,<br />

als Arbeiter bei den<br />

Salinen-, Forst- und Bergämtern<br />

oder auch als Taglöhner für<br />

sich. Dieses Leben war von<br />

nicht wenigen erstrebt, weil es<br />

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