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EKD-Text 106 - Evangelische Kirche in Deutschland

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ständnisse <strong>in</strong> die Diskussion gebracht. Diese Situation hat sich bis heute nicht geändert.<br />

So hat sich während der F<strong>in</strong>anzmarkt- und Wirtschaftskrise das Verständnis<br />

von Rolle und Aufgaben des Staates „über Nacht“ gravierend geändert. Vom Rettungschirm<br />

für die systemrelevanten Banken über Enteignungen bis h<strong>in</strong> zur Treuhandgesellschaft<br />

für e<strong>in</strong> Wirtschaftsunternehmen hat der Staat Aufgaben übernommen<br />

und <strong>in</strong> Bereiche e<strong>in</strong>gegriffen, deren Unabhängigkeit über Jahre für selbstverständlich<br />

erachtet wurde. Welche Risiken – auch für den Steuerzahler – damit möglicherweise<br />

verbunden s<strong>in</strong>d, wird sich erst im Laufe der nächsten Jahre zeigen.<br />

2.2. Liberale und sozialstaatliche Traditionen<br />

(21) Seit dem späten 18. Jahrhundert wurde der Steuerzahler <strong>in</strong> der Rechtslehre<br />

nicht mehr als Untertan angesehen, dem man etwas abpressen darf, sondern als<br />

freier Bürger, der die Dienste des Staates <strong>in</strong> Anspruch nimmt und dafür e<strong>in</strong>en Preis<br />

bezahlen muss. Damit wurden – nach e<strong>in</strong>er langen Periode obrigkeitsstaatlicher<br />

Strukturen – Ideen wieder aufgenommen, die bereits <strong>in</strong> der Antike formuliert s<strong>in</strong>d.<br />

Man sah im Staate e<strong>in</strong>en Zweckverband zur Realisierung geme<strong>in</strong>samer Ziele – <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Art Tauschgeschäft zwischen dem Steuergläubiger Staat und den Steuerpflichtigen.<br />

Dabei stellt der Staat jene öffentlichen Güter und Leistungen zur Verfügung,<br />

die von E<strong>in</strong>zelnen oder e<strong>in</strong>zelnen Gruppen nicht organisiert werden können –<br />

wie zum Beispiel Infrastruktur, Justiz oder Verteidigung – und die deshalb auch von<br />

allen mitgetragen und repräsentativ mit gestaltet werden sollen. In der Maxime „no<br />

taxation without representation“ haben zum Beispiel die Väter der amerikanischen<br />

Revolution diese Wechselseitigkeit und die damit verbundenen Ansprüche der<br />

Bürger auf demokratische Mitgestaltung ihres eigenen Staates festgehalten.<br />

Auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Formulierung der Französischen Nationalversammlung von 1789<br />

kommt der Charakter der Besteuerung als Gegenleistung für staatliche Leistungen<br />

zum Ausdruck. Danach ist „die Steuer die geme<strong>in</strong>same Schuld der Bürger und der<br />

Preis für die Vorzüge, die die Gesellschaft ihnen verschafft“. Die allgeme<strong>in</strong>e Steuerpflicht<br />

wurde <strong>in</strong> der Sprache der damaligen Zeit auch als „Gerechtigkeitsbesteuerung“<br />

bezeichnet, richtete sie sich doch gegen ungerechtfertigte Steuerprivilegien<br />

des Adels und der Geistlichkeit. Neben der Allgeme<strong>in</strong>heit der Besteuerung sollte<br />

nun die Bemessung nach der Leistungsfähigkeit des Besteuerten Grundlage e<strong>in</strong>es<br />

gerechten staatlichen Handelns se<strong>in</strong>.<br />

(22) E<strong>in</strong> wichtiges politisches Spannungsfeld <strong>in</strong> der Moderne ist der Gegensatz<br />

zwischen pr<strong>in</strong>zipiell liberalen und sozialstaatlichen Staatsauffassungen. Während<br />

<strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en Denkrichtung der Staat als Instrument der Bürger möglichst schlank<br />

gehalten werden soll („Der kle<strong>in</strong>ste Haushalt ist der beste“ – Jean Baptiste Say),<br />

besteht <strong>in</strong> der anderen die Gefahr, ihn zu überdehnen und se<strong>in</strong>e Steuerungs- und<br />

Fürsorgemöglichkeiten <strong>in</strong>s Unendliche zu verlängern. In der e<strong>in</strong>en Denkrichtung hat<br />

das Pr<strong>in</strong>zip „Freiheit“ den Vorrang und die Besteuerung wird im Zweifel mit Blick<br />

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