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Heile Familie - Veranstaltungskalender für Körper Geist und Seele

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30<br />

Dietmar Bittrich<br />

Unsterblichkeit<br />

Großonkel Joseph war nicht allein mein Erbonkel,<br />

sondern auch der Erbonkel zahlreicher anderer Mitglieder<br />

unserer spirituellen <strong>Familie</strong>. Wir machten ihm<br />

regelmäßig unsere Aufwartung.<br />

Nach zwei missglückten Affären <strong>und</strong> einer kurz vor<br />

der Heirat gelösten Verlobung hatte Joseph mit vierzig<br />

beschlossen, sein Leben als Junggeselle zu verbringen.<br />

Auf dem schwarzpolierten Bechstein-Flügel, an dem er<br />

mit brüchigem Organ Fragmente von Schubert-Liedern<br />

anstimmte, standen das goldgerahmte Foto eines Schäferh<strong>und</strong>es,<br />

den er als den besten Fre<strong>und</strong> seines Lebens<br />

bezeichnete, <strong>und</strong> das Porträt eines Reitpferdes, das ihn<br />

nach zwei treuen Jahrzehnten abgeworfen hatte, weshalb<br />

ich ihn nur hinkend kenne. Meine Mutter, seine Nichte,<br />

hatte ein Foto unserer <strong>Familie</strong> dazu gestellt sowie ein<br />

Büchlein mit Sprüchen von Osho.<br />

Joseph scherte sich leider nicht um die geistige Welt.<br />

Er war ein großer Mann mit raumgreifenden Gesten <strong>und</strong><br />

polternder Stimme, die er auch in Straßenbahnen <strong>und</strong><br />

Restaurants nicht dämpfte. Am liebsten ereiferte er sich<br />

über Politik. Dann ruderte er wie ein Windrad mit den<br />

Armen <strong>und</strong> streute dabei die Asche seiner unerschöpflichen<br />

Zigarre über die Zuhörer. Jeder hatte binnen<br />

kurzem heraus, dass seine Vorträge durch Einwürfe<br />

oder Widerspruch nicht abzukürzen waren. So hörten<br />

wir schweigend zu <strong>und</strong> lächelten das ergebene Lächeln<br />

der Nachgeborenen. Meine Mutter, die viel mit Engeln<br />

arbeitet, hatte die Losung ausgegeben, er sei eine höhere<br />

Persönlichkeit.<br />

„Drückt nur die Daumen, Kinder“, sagte sie eines<br />

Tages, „dass er nie <strong>und</strong> nimmer ins Heim muss.“<br />

Nach einer längst überholten Tradition ehrbarer Kaufleute<br />

hatte Joseph sein Leben lang an der Gewohnheit<br />

festgehalten, Arztkosten aus eigener Tasche zu begleichen.<br />

Versicherungen hielt er <strong>für</strong> Betrugskartelle. Nun,<br />

mit achtzig, würde keine Krankenkasse ihn mehr als<br />

Mitglied aufnehmen. Und müsste er in ein Pflegeheim<br />

ziehen, würden bei den unverschämten Tagessätzen<br />

seine Millionen in wenigen Jahren dahinschmelzen. Am<br />

Ende würden wir einen Brief vom Sozialamt erhalten<br />

<strong>und</strong> an seinem Unterhalt arm werden. Das mussten wir<br />

auf feinstoffliche Art verhindern.<br />

An einem Sonntag im Oktober erwachte Joseph aus<br />

einem dumpfen Mittagsschlaf <strong>und</strong> glaubte, die Aura der<br />

Gegenstände <strong>und</strong> Zimmerpflanzen sehen zu können. Er<br />

berichtete von der vibrierenden Unschärfe aller Kontu-<br />

„Drückt nur die Daumen, Kinder...“<br />

ren, als meine Mutter sich am Abend telefonisch nach<br />

seinem Wohlergehen erk<strong>und</strong>igte. Seine Sprache war so<br />

verworren, dass sie kaum dahinter kam, was er meinte.<br />

Einer ängstlichen Eingebung folgend, flehte sie ihn<br />

an, die Füße hochzulegen, <strong>und</strong> fuhr zu ihm, um seine<br />

Bettruhe zu überwachen. Am nächsten Tag hatte er die<br />

gewöhnliche Sicht der Dinge wiedererlangt.<br />

Zweieinhalb Monate später, beim Weihnachtsessen,<br />

beschuldigte er meine Mutter, die Gans mit verdorbenen<br />

Maronen gestopft zu haben, da sie ihm Lippen <strong>und</strong><br />

Zunge betäubten. Wir, die ihm gegenüber saßen, wurden<br />

Zeuge, wie die rechte Hälfte seines Gesichts ins Rutschen<br />

kam. Es sah aus wie ein in Zeitlupe zusammenstürzendes<br />

Hochhaus: die Fassade scheint als Ganzes<br />

abwärts zu gleiten <strong>und</strong> wahrt im Absacken noch <strong>für</strong><br />

einen würdigen Augenblick ihre Gestalt, bevor sie sich<br />

in Staub <strong>und</strong> Trümmern auflöst. Wir nötigten Joseph,<br />

sich auf die Couch zu legen. Doch auch dieser Anfall<br />

ging spurlos an ihm vorüber. Als sensitive Menschen<br />

wussten wir, dass es Zeit war zu handeln.<br />

Als im Februar ein Regenschauer Bürgersteige <strong>und</strong><br />

Straßen mit einer Eisschicht bedeckte, fiel uns ein, dass<br />

unser Großonkel sich viel zu selten die Beine vertrat.<br />

„Es ist nicht gut, dass er immer drinnen hockt“, sagte<br />

meine Mutter. Reihum riefen wir ihn an, um ihn zu<br />

einem Spaziergang zu ermutigen. Schließlich raffte er<br />

sich tatsächlich auf.<br />

Mit pochenden Herzen saßen wir in den folgenden<br />

St<strong>und</strong>en neben dem Telefon. Keiner von uns war<br />

an diesem Tag ohne blaue Flecken oder verstauchte<br />

Handgelenke davongekommen. Auf den spiegelglatten Fotolia.com<br />

-<br />

Straßen waren scharenweise Menschen gestürzt <strong>und</strong><br />

unter die Räder geraten. Nicht einmal die mit Ketten<br />

ausgerüsteten Krankenwagen konnten sich unfallfrei<br />

über die eisglasierten Flächen bewegen.<br />

detailblick ©<br />

Nun warteten wir auf den erlösenden Anruf. Der kam<br />

gegen achtzehn Uhr. Onkel Joseph dankte uns <strong>für</strong> den Foto:<br />

KGSBerlin 12/2011

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