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Intertemporale Entscheidung - APA

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INTERTEMPORALE ENTSCHEIDUNG<br />

Menschliche Wahlhandlungen zwischen<br />

unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung und<br />

langfristigem Wohlergehen<br />

Diplomarbeit<br />

von<br />

Franz Jürgen Preithuber<br />

Wirtschaftsuniversität Wien<br />

Wien / Sankt Andrä im Lavanttal<br />

2005 / 2006


Für Mama und Papa


Vorwort<br />

DENN WE IL S IE S ICH WUN DER TEN, H AB EN<br />

JETZT UN D IM M ER SCHON D IE M ENSCHEN<br />

BEGON NEN, N AC H ZU DENKEN … UN D N UR UM<br />

ZU WIS SE N TR ACHTE T EN S IE N AC H DER<br />

ERKE NN TNIS …<br />

i<br />

AR IS TOTE LES<br />

Wundern und Staunen über die verborgenen Verbindungen der vielfältigen<br />

Erscheinungen unserer Natur stehen am Anfang wissenschaftlicher Forschung. 1<br />

Wundern und Staunen stehen nicht allein, oder bloß als Worte, vielmehr<br />

beschreiben sie eine Mischung von unterschiedlichsten Gefühlen. Neugier,<br />

Angst bisweilen Verzweiflung, oder die pure Freude an der Beschäftigung an<br />

sich, sind die Triebfedern sich mit der Komplexität der Welt, mit dem<br />

Unbekannten und Rätselhaften unseres Seins auseinanderzusetzen. Als Ergebnis<br />

unserer Forschungen stehen schließlich Theorien, vorläufige Erklärungen für<br />

das von uns gewünscht zu Ergründende. Was die Wissenschaft schlußendlich<br />

doch erhebt ist der Zweifel, so wie Brecht es Galilei sagen läßt: 2<br />

Sie [die Wissenschaft] handelt mit Wissen, gewonnen durch Zweifel.<br />

Wissen verschaffend über alles für alle, trachtet sie, Zweifler zu machen<br />

aus allen.<br />

Wundern und Staunen gefolgt vom Zweifel. Bisweilen ist es tatsächlich wie<br />

Morgentau der von den Blättern fällt, schlicht eine Befreiung des Geistes. Es<br />

eröffnet sich eine neue Sichtweise. Was zuvor nicht ausreichend erklärbar<br />

ergibt plötzlich einen Sinn. Es entsteht ein Muster im Chaos. Es sind diese<br />

Augenblicke, die für die Qualen der Suche entschädigen. Vielleicht ist es<br />

tatsächlich nicht nur die Aufgabe von Wissenschaftlern, sondern jedes<br />

einzelnen Menschen, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern<br />

- auch wenn es nur die uns ganz Eigene ist. Es folgt der Zweifel.<br />

1 Hayek (1996, S.282, Fußnote 1).<br />

2 Brecht (1963, S. 124). Zitat vom Autor ergänzt.


Die hier vorliegende Arbeit ist das vorläufige Ergebnis einer Suche, geboren<br />

aus der Verzweiflung, birgt sie Einblicke in das Geheimnisvolle der<br />

menschlichen Natur, verwoben mit dem Wirtschaftlichen, der Ökonomie. Sie<br />

steht im Grenzgebiet, aber doch vielmehr als Brücke denn Schranke, zwischen<br />

Ökonomie, Psychologie und Neurobiologie. Sie stellt den Versuch dar,<br />

menschliches <strong>Entscheidung</strong>sverhalten über die Zeit in seiner Komplexität<br />

wiederzugeben.<br />

Motiviert durch die mir eigene Lebensgeschichte, im Bewußtsein der<br />

mannigfaltigen Herausforderungen von Wahlentscheidungen und der Erkenntnis<br />

doch so oft daran zu scheitern, ist dieser Versuch in gewisser Weise ein<br />

Selbstfindungsprozeß. Die Problematik des Verlierens der Selbstkontrolle, trotz<br />

zunehmender Selbsterkenntnis und entwickelter Strategien der Selbstbindung<br />

ist ein, wenn nicht der Hauptaspekt, der in dieser Arbeit seinen Ausdruck<br />

finden soll. Die Einsicht, daß in unserem Selbst Kräfte am Werk sind, die nichts<br />

mit freiem Willen und aufgeklärter Vernunft zu tun haben ist der Schlüssel zu<br />

einem Verständnis tiefer liegender Zusammenhänge, die ich zuvor zwar für<br />

möglich, aber nicht weiter relevant hielt. Diese Kräfte von denen hier zu<br />

sprechen sein wird, sind aufs Engste verbunden mit dem Phänomen des<br />

Unbewußten und nicht zu Kontrollierenden. Verbunden mit dieser Einsicht ist<br />

auch die Gewißheit in gewisser Weise ausgeliefert zu sein. Es folgt der Zweifel.<br />

In welcher Weise läßt sich nun meine persönliche Motivation mit der<br />

Wissenschaft, im speziellen mit jener der Ökonomie in Verbindung bringen?<br />

Ich möchte die Erklärung mit Worten von August Friedrich von Hayek aus<br />

seiner „Theorie komplexer Phänomene“ beginnen: 3<br />

Sobald wir in mannigfaltig verschiedenen Verhältnissen derartige<br />

Regelmäßigkeiten bemerken veranlaßt uns unser Verstand, das<br />

Vorhandensein einer gleichen wirkenden Kraft anzunehmen und neugierig<br />

zu werden, sie zu entdecken.<br />

3 Hayek (1996, S. 283).<br />

ii


Im Laufe der intensiven Auseinandersetzung mit meinem Selbst und meiner<br />

Umwelt begann sich in mir der Eindruck zu verstärken, daß was für die einem<br />

Menschen innewohnenden Kräfte auch für das größere Ganze, die Ökonomie<br />

gelten muß. Mein Blick richtete sich immer mehr auf diese verborgenen Kräfte,<br />

die sich vorderhand nicht beschreiben und aufzeichnen, nicht kontrollieren<br />

lassen. Auch die Wirtschaft ist reich an diesen Kräften, und sie sind es die die<br />

Voraussagen und Prognosen über die Zukunft so unendlich schwer machen.<br />

Diese Kräfte kann man, wenn man möchte, als unbewußte wirtschaftliche<br />

Prozesse charakterisieren. Ich meine damit zum Beispiel das was als „Stilles<br />

Wissen“ (Tacit Knowledge) bezeichnet wird. Hayek begründet, so glaube ich,<br />

damit zum Teil die Überlegenheit des Kapitalismus über die Planwirtschaft. 4 In<br />

gewisser Weise entsprechen diese Kräfte auch dem, was Adam Smith als<br />

„Unsichtbare Hand“ (Invisible Hand) bezeichnet.<br />

Die Gemeinsamkeiten, so argumentiere ich, und auch die Verbindung<br />

zu anderen Disziplinen sind Folgende. Dieses Unbekannte, uns nicht Bewußte<br />

und damit auch schwer Kontrollierbare entspricht dem ES, dem ursprünglichen<br />

Trieb, in Sigmund Freuds Strukturmodell 5 und findet sich wieder im limbischen<br />

System unseres Gehirns 6 . Diese Kräfte sind der Widerpart zur Vernunft, zur<br />

Ratio Kants. Am einfachsten, so meine ich, läßt sich diese von mir verfolgte<br />

Auffassung als Wechselspiel zweier komplexer Systeme darstellen. Ich möchte<br />

es tatsächlich als Dichotomie der menschlichen Natur bezeichnen. Nun ist es so,<br />

daß es im Paradigma der neoklassischen Theorie keinen Platz gibt für das<br />

Unbewußte, für das Emotionelle oder Gefühle. Der wirtschaftliche Mensch ist<br />

ein rationaler Mensch. In dieser Arbeit versuche ich zu zeigen, daß das nur die<br />

halbe Wahrheit sein kann.<br />

Das Ziel dieser Arbeit, wenn man es als solches definieren will, ist es nicht<br />

einen generellen Beweis zu liefern, es geht vielmehr darum Bewußtsein zu<br />

schaffen, einen Spiegel zu bieten, den ich mir vor mein eigenes Gesicht halte,<br />

um das sichtbar zu machen, was zuvor nicht zu sehen war. Es geht nicht darum<br />

4 Vgl. Caldwell (1997, S.1866) und Hayek (2002).<br />

5 Vgl. zum Beispiel Kutter (2000, S. 83-95).<br />

6 Siehe unter anderen Roth (2003).<br />

iii


spezielle Voraussagen zu machen, aber das Auftreten von gewissen Mustern<br />

und Ordnungen aufzuzeigen, nicht um <strong>Entscheidung</strong>sregeln vorzuschreiben,<br />

aber Orientierungshilfen für Handlungen zu bieten. So wie Friedrich August<br />

von Hayek festhält: 7<br />

… that we can derive from our theories only very general statements, or<br />

“pattern predictions“, […]; we cannot, however, derive any specific<br />

predictions of individual events from them.<br />

Um meine Sichtweise zu verdeutlichen, werde ich sie in der vorliegenden<br />

Arbeit auf ein konkretes Themengebiet beschränken. Die „Theorie der<br />

<strong>Intertemporale</strong>n <strong>Entscheidung</strong>“ bietet mir diese Möglichkeit. Anhand der<br />

Beschäftigung mit dieser Thematik, die sich von den Anfängen der<br />

Wirtschaftswissenschaften, bis hin zu den verhaltenswissenschaftlich<br />

orientierten Ökonomen der Gegenwart zieht, traue ich mich, abschließend einen<br />

integrativen Ansatz zu entwickeln, der sowohl den objektiv-funktionalistischen,<br />

wie auch den subjektiv-interpretativen Gesichtspunkten Rechnung tragen kann.<br />

Und obwohl du es weißt, im Augenblick da es ist möglich,<br />

Du kannst nicht widerstehen, es ist unmöglich.<br />

Wie von einem Dämon besessen Du folgst –<br />

Die Versuchung zu stark, der Willen zu schwach,<br />

Und im Moment, da Du es getan,<br />

Die Schuld dich fast erdrückt.<br />

7 Hayek (2002, S.12).<br />

iv


INHALTSVERZEICHNIS<br />

Einleitung ______________________________________________________ 1<br />

1 Basisdarstellungen ___________________________________________ 6<br />

1.1 <strong>Intertemporale</strong> <strong>Entscheidung</strong>en__________________________________ 7<br />

1.1.1 <strong>Intertemporale</strong> <strong>Entscheidung</strong>en und <strong>Entscheidung</strong>stheorie _________________ 9<br />

1.2 Philosophie und Ökonomie im Diskurs ___________________________ 11<br />

1.3 Das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft in der menschlichen<br />

Wirtschaft ___________________________________________________ 15<br />

1.3.1 Zeitpräferenz ____________________________________________________ 15<br />

1.3.2 Eine kurze Geschichte der Zeitpräferenz ______________________________ 16<br />

1.3.2.1 John Rae ___________________________________________________ 16<br />

1.3.2.2 Nassau W. Senior und William S. Jevons ________________________ 21<br />

1.3.2.3 Österreichische Schule der Nationalökonomie _____________________ 22<br />

1.3.2.3.1 Carl Menger _____________________________________________ 22<br />

1.3.2.3.2 Böhm-Bawerk ____________________________________________ 24<br />

1.3.2.4 Zusammenfassung ___________________________________________ 26<br />

1.4 Behavioral Economics _________________________________________ 28<br />

1.4.1 Positionierung ___________________________________________________ 29<br />

1.4.2 Geschichte und Methodik __________________________________________ 30<br />

1.4.3 Ausblick _______________________________________________________ 33<br />

1.5 Neuroeconomics ______________________________________________ 34<br />

1.5.1 Methodik _______________________________________________________ 36<br />

1.5.2 Grundlegender Aufbau und Funktionsweise des menschlichen Gehirns _____ 36<br />

1.5.2.1 Kontrollierte Prozesse ________________________________________ 38<br />

1.5.2.2 Automatische Prozesse________________________________________ 38<br />

1.5.2.3 Kognitiv-exekutive Prozesse ___________________________________ 39<br />

1.5.2.4 Affektiv-emotionale Prozesse __________________________________ 39<br />

i


2 Modelle der intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>sfindung ______________ 43<br />

2.1 Terminologie der intertemporalen <strong>Entscheidung</strong> im neoklassischen<br />

Paradigma___________________________________________________ 44<br />

2.2 Klassische Modelle____________________________________________ 47<br />

2.2.1 Irving Fisher ____________________________________________________ 47<br />

2.2.2 Das Discounted-Utility-Modell _____________________________________ 48<br />

2.3 Anomalien___________________________________________________ 53<br />

2.3.1 Empirische und experimentelle Untersuchungen ________________________ 55<br />

2.3.1.1 Empirische Untersuchungen ___________________________________ 55<br />

2.3.1.2 Experimentelle Untersuchungen ________________________________ 55<br />

2.3.2 Abnehmende Diskontierungsraten über die Zeit ________________________ 58<br />

2.3.3 Dynamische Inkonsistenz __________________________________________ 60<br />

2.4 Hyperbolische Diskontierungsmodelle ___________________________ 64<br />

2.4.1 Varianten der hyperbolischen Diskontierung___________________________ 65<br />

2.4.1.1 George Ainslie ______________________________________________ 65<br />

2.4.1.2 J. E. Mazur _________________________________________________ 66<br />

2.4.1.3 Harveys Modell _____________________________________________ 67<br />

2.4.1.4 Loewenstein-Prelec Modell ____________________________________ 67<br />

2.4.1.5 Quasihyperbolische Diskontierung nach Phelps und Pollak ___________ 68<br />

2.4.2 Vergleich der hyperbolischen und exponentiellen Diskontierung___________ 69<br />

2.5 Zur Kritik der hyperbolischen Diskontierung _____________________ 72<br />

2.5.1 Subadditive Diskontierung _________________________________________ 73<br />

2.5.2 Rubinstein ______________________________________________________ 79<br />

3 Integrativer Ansatz __________________________________________ 81<br />

3.1 Einführende Erläuterungen ____________________________________ 81<br />

3.2 Erste Annäherung - Systemische Betrachtung _____________________ 83<br />

3.3 Zweite Annäherung - Die Dichotomie des menschlichen Selbst _______ 88<br />

ii


3.4 Dritte Annäherung – Kognition, Affekt und Emotion_______________ 90<br />

3.4.1 Affekte und Emotionen ____________________________________________ 91<br />

3.4.2 Kognition, Handlung und Willensstärke ______________________________ 95<br />

3.5 Vierte Annäherung – Sozio-kognitive und neuroökonomische<br />

Fundierung __________________________________________________ 97<br />

3.5.1 Hot-affective and Cool-deliberative Model ____________________________ 98<br />

3.5.2 Neuronale Systeme im intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>sprozeß ____________ 100<br />

3.6 Fünfte Annäherung – „Zwei-Systeme Modell des Verhaltens“ ______ 102<br />

3.6.1 Annahmen und grundlegende Struktur des Zwei-Systeme Modells ________ 103<br />

3.6.2 Formalisierung des Modells _______________________________________ 105<br />

3.6.3 <strong>Intertemporale</strong> <strong>Entscheidung</strong>en im Zwei-Systeme Modell _______________ 107<br />

3.6.4 Zeitinkonsistentes Verhalten im Zwei-Systeme Modell _________________ 109<br />

3.7 Zusammenfassender Ausblick _________________________________ 111<br />

4 Schluß ____________________________________________________ 112<br />

4.1 Odysseus und die Sirenen _____________________________________ 113<br />

Literaturverzeichnis ___________________________________________ 115<br />

iii


Abbildungsverzeichnis<br />

Nummer Seite<br />

Abbildung 1-1: Positionierung der Arbeit in der ökonomischen Theorie............................ 10<br />

Abbildung 1-2: Gründe für die Höherschätzung gegenwärtiger Güter ............................... 27<br />

Abbildung 1-3: Das menschliche Gehirn mit einigen ökonomisch relevanten Teilbereichen ............. 37<br />

Abbildung 1-4: Die vier elementaren Gehirnprozesse ....................................................... 41<br />

Abbildung 2-1: <strong>Intertemporale</strong> Optimierung .................................................................... 49<br />

Abbildung 2-2: Diskontierungsfunktionen entsprechend dem DU-Modell .......................... 51<br />

Abbildung 2-3: Zunehmende Geduld über die Zeit ............................................................ 59<br />

Abbildung 2-4: Erste graphische Darstellung einer Hyperbolischen<br />

Diskontierungsfunktion nach Strotz.......................................................... 62<br />

Abbildung 2-5: Zeitinkonsistente Präferenzen ................................................................. 63<br />

Abbildung 2-6: Charakteristische Eigenart Hyperbolischer Diskontierungsfunktionen..... 65<br />

Abbildung 2-7: Diskontierungsfunktionen nach dem Loewenstein-Prelec Modell ............... 68<br />

Abbildung 2-8: Exponentielle und hyperbolische Formeln im Vergleich ........................... 70<br />

Abbildung 2-9: Graphische Vergleichsdarstellung verschiedener<br />

Diskontierungsfunktionen ........................................................................ 71<br />

Abbildung 2-10: Subadditive Diskontierung nach Read ...................................................... 74<br />

Abbildung 2-11: Zeithorizont versus Zeitspanne ................................................................ 76<br />

Abbildung 3-1: Das Universum als unendliches Räderwerk............................................... 85<br />

Abbildung 3-2: Ein nichtlineares dynamisches System ...................................................... 86<br />

Abbildung 3-3: System Individuum in hierarchischer und heterarchischer Annordnung .... 87<br />

Abbildung 3-4: Zwei-Systeme Modell menschlichen Verhaltens........................................103<br />

Abbildung 4-1: Odysseus und die Sirenen .......................................................................113<br />

iv


Einleitung<br />

D IE BEDÜR FN ISSE S IN D DER LE TZTE GR UN D,<br />

D IE BEDEUTUN G, WE LCHE IHRE BEFR IE D IGU N G<br />

FÜR U NS H AT, D AS LE TZTE M ASS, D IE<br />

S ICHER S TE LLU N G IHRER BEFR IED IGU N G D AS<br />

LE TZTE Z IE L A LLER M ENSCHLICHE N<br />

W IR TSCHAFT<br />

Das Ziel alles Wirtschaftens ist die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse.<br />

Menschliche Bedürfnisse und die Befriedigung derselben bilden, in diesem<br />

Sinne, auch die Basis jeglicher ökonomischen Betrachtung. Diese hier<br />

angerissene Auffassung von Ökonomik dient mir als Basis für diese Arbeit, und<br />

spiegelt auch mein Verständnis des wirtschaftlichen Handelns wider.<br />

Economics is the science which studies human behaviour as a relationship<br />

between ends and scarce means which have alternative uses.<br />

1<br />

(Robbins, 1935)<br />

CAR L MENGER<br />

In einer Welt knapper Mittel ist der Mensch gezwungen zwischen Alternativen<br />

zu wählen. Es sind diese menschlichen Wahlhandlungen im Spannungsfeld von<br />

Mitteln und Wünschen, kompliziert durch den Faktor Zeit, die charakteristische<br />

Situation und das menschliche Gehirn, die ich zum Thema dieser Untersuchung<br />

mache. Sie setzt sich auseinander mit dem Kampf zwischen dem Verstand und<br />

den Gefühlen, dem Kampf zwischen der Vernunft und den Emotionen. Sie<br />

betrachtet den Kampf zwischen dem Freudschen ES, den Trieben, dem Ich als<br />

Ort des Bewußtseins und dem Über Ich, der elterlichen Kontrollinstanz. Sie<br />

beschäftigt sich mit dem Kampf der im Inneren des Menschen im Gehirn<br />

ausgetragen wird, zwischen dem Präfontalen Cortex, dem Sitz des Bewußtseins<br />

und dem limbischen System, dem Zentrum des Unbewußten. Es ist eine<br />

Untersuchung, die sich in der funktional-objektiven Form des neoklassischen<br />

Paradigmas nur bedingt durchführen läßt. Die nach Betrachtung aller relevanten<br />

Fakten zwingend gegebene abschließende subjektiv-interpretative Betrachtung<br />

als System komplexer Phänomene soll ein Ziel dieser Arbeit sein, dem<br />

Menschen bei seiner Selbsterkenntnis zu unterstützen, Bewußtsein zu schaffen


für die verborgenen Kräfte der menschlichen Natur. Den Rahmen für diese<br />

Untersuchung bildet das Gebiet der intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>en, ein<br />

Teilgebiet der klassischen <strong>Entscheidung</strong>stheorie, charakterisiert durch die<br />

zeitliche Komponente unter der Bedingung der Sicherheit des Eintretens der<br />

Optionen.<br />

Menschliche Wahlhandlungen zwischen unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung<br />

und langfristigem Wohlergehen, sie zu verstehen, sie zu erklären, um eine Basis<br />

zu legen für sinnvolle ökonomische, wie alle anderen <strong>Entscheidung</strong>en, die zu<br />

treffen sind. Wahlverhalten, das von einer Vielzahl von Faktoren, nicht zuletzt<br />

der Zeit, beeinflußt wird und in vielen Fällen situationsabhängig und emotional<br />

scheint, soll modelliert werden. Ökonomische Modelle der intertemporalen<br />

<strong>Entscheidung</strong>sfindung, sowohl präskriptive wie auch deskriptive, die zum Teil<br />

auf sehr unterschiedlichen Annahmen, beziehungsweise verschiedenen<br />

Methodologien beruhen, werden untersucht und beurteilt, um die zentralen<br />

Fragen zu klären: Gibt es ein allgemein gültiges ökonomisches Modell, wie<br />

Menschen zwischen intertemporalen Optionen wählen sollten? Gibt es ein<br />

allgemein gültiges Modell, das menschliches Wahlverhalten in der Zeit<br />

beschreibt? Gibt es ein allgemein gültiges Modell, das menschliche<br />

Wahlhandlungen erklären kann?<br />

Von den soziologisch und psychologisch durchsetzten Annahmen der Ersten<br />

Generation von Ökonomen, entlang der Abstraktion des homo oeconomicus in<br />

purer Form im neoklassischen Paradigma, über die von Behavioral Economists<br />

geforderten realistischeren, sprich psychologisch fundierten Annahmen, bis hin<br />

zu den von Neuroökonomen auf Gehirnaktivitäten basierenden Annahmen,<br />

wurden und werden unterschiedlichste Modelle der intertemporalen<br />

<strong>Entscheidung</strong>sfindung generiert. Diese theoretischen Konstrukte werden auf<br />

ihre Aussagekraft hin untersucht und bewertet. In einem abschließenden Punkt<br />

wird ein zwingend scheinender integrativer Ansatz entwickelt.<br />

<strong>Intertemporale</strong> <strong>Entscheidung</strong>en, ein Teilgebiet der klassischen<br />

<strong>Entscheidung</strong>stheorie, die im hier und jetzt getroffen werden müssen, auf Grund<br />

einer Bewertung des subjektiv diskontierten Nutzens der Optionen, sind der<br />

2


Ausgangspunkt. Die verfügbaren Optionen, im einfachsten Fall auf zwei<br />

beschränkt, mögen wie folgt betrachtet werden. Die erste Option steht früher<br />

zur Verfügung, ist aber im Wert kleiner als die spätere. Die Zeitspanne<br />

zwischen den beiden Optionen sei konstant. Der zeitliche Abstand von der<br />

Gegenwart bis zum Eintritt der ersten Option sei anfangs groß, und werde in<br />

Folge kleiner. Es mag sein, daß im ersten Fall die größere spätere Option der<br />

kleineren früheren vorgezogen wird, daß sich aber je kleiner der zeitliche<br />

Abstand bis zur ersten Option wird, die Präferenzen in Richtung der früheren<br />

kleineren Option verkehren. Dieser Umstand wird in der ökonomischen<br />

Literatur als zeitinkonsistentes Verhalten bezeichnet. Dieses vielen Menschen<br />

aus eigener Erfahrung bekannte Phänomen, wird durch Ergebnisse empirischer<br />

Forschungen auf Basis experimenteller Studien gestützt. Die beschriebene<br />

Präferenzenverkehrung läßt sich mit dem Standardmodell der ökonomischen<br />

<strong>Entscheidung</strong>sfindung, dem Discounted-Utility-Modell mit konstanter<br />

Diskontierungsrate über die Zeit, nicht beschreiben. Während das<br />

Standardmodell als normatives Modell der <strong>Entscheidung</strong>sfindung seine<br />

Gültigkeit weiterhin besitzt, wird es als deskriptives Modell tatsächlichen<br />

menschlichen <strong>Entscheidung</strong>sverhaltens durch ein vor allem von psychologischer<br />

Seite her propagiertes Modell, das Modell der Hyperbolischen Diskontierung,<br />

ersetzt. Das Modell der Hyperbolischen Diskontierung mit abnehmenden<br />

Diskontierungsraten über die Zeit erlaubt und kann inkonsistente<br />

Zeitpräferenzen beschreiben. Allein die bessere Beschreibbarkeit sollte jedoch<br />

nicht Anlaß sein an diesem Punkt halt zu machen, da auch die Ergebnisse, die<br />

man damit erhält stark variieren. Jüngste Untersuchungen auf dem Gebiet der<br />

Neurobiologie lassen vermuten, daß wir es bei menschlichen Wahlhandlungen<br />

tatsächlich mit zwei miteinander interagierenden Systemen des menschlichen<br />

Gehirns zu tun haben. Diese Einsichten geben Anlaß zur Entwicklung eines an<br />

die Systemtheorie angelegten Modells komplexer Phänomene, das den Boden<br />

der Neoklassik in Richtung einer systematisch evolutionären Ökonomie verläßt.<br />

Die herausragende Rolle menschlicher Wahlhandlungen zwischen unmittelbarer<br />

Bedürfnisbefriedigung und weiter in der zeitlichen Zukunft liegenden größeren<br />

Belohnungen als Basis für die ursprüngliche Kapitalakkumulation betont bereits<br />

Adam Smith. Sie können den wirtschaftlichen Reichtum von Nationen<br />

3


determinieren. Auf der persönlichen Ebene sind sie verantwortlich für den<br />

individuellen Wohlstand oder das eigene Wohlgefühl. Das Vermögen des<br />

unmittelbaren Verzichtes zu Gunsten der zukünftigen Entwicklung ist ein<br />

entscheidender Teil des Verhaltens, daß den Menschen befähigt an der Spitze<br />

der Evolution zu stehen. Der Prozeß, in dem die Eiszeitmenschen von Nomaden<br />

zu Siedlern wurden, hängt zu einem großen Teil damit zusammen, daß sie erste<br />

Vorratshaltung schafften. Erst ein ausgeprägtes Bewußtsein über die<br />

Konsequenzen individueller Handlungen, gepaart mit der Vorstellungskraft über<br />

die eigene Zukunft erlaubt eine, man möchte sagen, rationale Lebensplanung.<br />

Und doch, in vielen Fällen sind wir nicht fähig zu unseren rationalen Plänen zu<br />

stehen. Übermäßiger Konsum oder eine zu geringe Sparquote, Suchtverhalten<br />

oder das Hinausschieben von Terminen sind nur einige Beispiele für den<br />

Ausdruck der Hingabe an den Augenblick und stehen im Widerspruch zur<br />

kalten Rationalität. Wenn Versuchung und Leidenschaft dominieren kann das<br />

mitunter fatale Konsequenzen zeitigen, doch wäre ein Leben ohne sie nicht<br />

denkbar. Selbsterkenntnis in Hinsicht auf dieses Verhalten aber läßt<br />

Vorsichtsmaßnahmen entstehen. Exogene und endogene Kontrollen und<br />

Verpflichtungen bieten einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma. Wie<br />

Odysseus, der sich an den Mast binden lies, stehen auch dem gegenwärtigen<br />

Menschen Mittel und Wege zur Verfügung sich zu binden und kontrollieren.<br />

Gesetze und Regeln, Normen und Werte, Ethik, Moral und Gewissen stehen<br />

transzendent, und werden bereichert durch profanere Methoden, wie<br />

beispielsweise Strategien der Selbstverpflichtung und Selbstbindung, Seit-<br />

Wetten oder Vereinigungen wie den „Weight Watchern“, den „Anonymen<br />

Alkoholikern“, oder diversen Sparvereinen.<br />

Was aber führt zu diesem Abweichen von der Rationalität, diesen Anomalien<br />

im menschlichen Verhalten, die mitunter so großen Einfluß auf unsere<br />

Wahlhandlungen nehmen? Welche Rolle spielen Emotionen und Gefühle,<br />

Vorahnung und Angst in der <strong>Entscheidung</strong>ssituation? Welche Rolle spielen<br />

biochemische Vorgänge in unserem Gehirn, und verschiedene Gehirnbereiche<br />

überhaupt? Was läuft ab in uns, und sind wir uns dessen überhaupt bewußt,<br />

oder trifft das Unbewußte eigenständige <strong>Entscheidung</strong>en, die vom Bewußtsein,<br />

der Rationalität nur mehr moduliert werden können?<br />

4


Diese zuletzt gestellten Fragen stellen einen Exkurs in eine interdisziplinäre<br />

Betrachtungsweise menschlicher Wahlhandlungen dar, der im dritten Kapitel<br />

ausführlich behandelt werden soll. In diesem Kapitel werde ich versuchen den<br />

bereits erwähnten integrativen Ansatz zu entwickeln, der auf einer systemischen<br />

Betrachtung beruht, und die Komplexität von <strong>Entscheidung</strong>en würdigen soll.<br />

Der Hauptteil der Arbeit in Kapitel Zwei beruht auf einer strengeren<br />

ökonomischen Betrachtung. In diesem Kapitel werden klassische und<br />

verhaltenswissenschaftlich orientierte Modelle der <strong>Entscheidung</strong>sfindung<br />

dargestellt. Beginnend mit dem Standardmodell, als nach wie vor gültiger<br />

normativer Basis für die <strong>Entscheidung</strong>sfindung, werden im Anschluß<br />

verschiedene Anomalien, die im Widerspruch zu diesem Modell stehen<br />

beobachtet. Ausgehend von diesen Abweichungen und unter besonderer<br />

Berücksichtigung des Problems inkonsistenter Zeitpräferenzen wird daran<br />

anschließend die Generierung des „Hyperbolischen Diskontierungsmodells“<br />

verfolgt. Die verschiedenen formalen Arten dieser Diskontierungsart werden<br />

dargestellt und abschließend einer Kritik unterzogen. Als Teil dieser Kritik<br />

wird ein alternatives Modell, das als „Subadditive Diskontierung“ bezeichnet<br />

wird, behandelt.<br />

Im Schlußwort eingebunden werde ich abschließend kurz auf mögliche<br />

Strategien, die sich aus dem zuvor dargestellten ableiten lassen, eingehen.<br />

Unter dem Titel „Odysseus und die Sirenen“ werde ich den Wegen der<br />

Selbsterkenntnis, Selbstverpflichtung und Selbstkontrolle folgen.<br />

Den Anfang dieser Arbeit bildet jetzt im Anschluß jedoch ein Kapitel,<br />

das sich mit Grundfragen und Basisdarstellungen intertemporaler<br />

<strong>Entscheidung</strong>en beschäftigt. Dazu gehören die Fragen nach dem Wesen dieser<br />

Art von <strong>Entscheidung</strong>en, eine philosophische Betrachtung, ein Aufriß der<br />

Geschichte zu diesem Thema und die Vorstellung zweier Forschungsgebiete,<br />

die sich aktuell intensiv mit Fragen der intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>sfindung<br />

beschäftigen.<br />

5


1 Basisdarstellungen<br />

K a p i t e l 1<br />

6<br />

M ANUC K E T A L 8<br />

Kapitel Eins widmet sich einigen fundamentalen Überlegungen im<br />

Zusammenhang mit dem hier zu behandelnden Thema intertemporaler<br />

<strong>Entscheidung</strong>en, sowie der Vorstellung zweier Forschungsrichtungen, die sich<br />

aktuell mit dieser Thematik beschäftigen. Bei diesen Forschungsrichtungen<br />

handelt es sich erstens um den Bereich der „Behavioral Economics“ und in<br />

einem fließenden Übergang um den Bereich der „Neuroeconomics“; diese<br />

beiden Bereiche werden am Ende dieses Kapitels vorgestellt.<br />

Am Anfang dieses Kapitels befindet sich eine Abhandlung über das<br />

charakteristische Wesen von <strong>Entscheidung</strong>en über die Zeit, verbunden mit einer<br />

kategorischen Einordnung in die gängige ökonomische Theorie.<br />

Im Anschluß daran folgt eine Diskussion zwischen Philosophen und Ökonomen,<br />

die Sinn und Unsinn von Zeitdiskontierung thematisiert.<br />

Um die historische Komponente der hier vorliegenden Fragen zu betonen,<br />

widmet sich ein ausführlicher Beitrag den Ideen und Theorien ausgewählter<br />

Ökonomen, die sich im Laufe der Zeit mit Fragen des zeitlichen Einflusses und<br />

anderen, vor allem psychologischen Faktoren auf <strong>Entscheidung</strong>en beschäftigt<br />

haben.<br />

8 Manuck, Flory, Muldoon und Ferrell (2003, S. 152).<br />

SU IC IDE WH IC H EMBOD IE S AT LE AS T<br />

M ETAPH OR IC ALLY , THE FUR THE S T E X TREM ITY<br />

O F IN TER TEMPOR AL CHOICE, A P LACE IN M IN D<br />

WHERE THE FU TURE C O LLAP SES ON TO THE<br />

PRESENT IN SH AR ED HOP E LE SSN ESS


1.1 <strong>Intertemporale</strong> <strong>Entscheidung</strong>en<br />

Eine Vielzahl von <strong>Entscheidung</strong>en, die wir Tag für Tag treffen, zeitigen ihre<br />

Wirkungen erst in der Zukunft. 9 Diese <strong>Entscheidung</strong>en betreffen in einem<br />

engeren Sinn die Wahl zwischen zeitlich mehr oder weniger weit entfernten<br />

Optionen. Das spezifische an dieser Situation ist, daß wir nur eine dieser<br />

Optionen beanspruchen können. Dieser Umstand zwingt uns im hier und jetzt<br />

einen Vergleich in dem Wert der Alternativen durchzuführen, und darauf<br />

basierend zu handeln. Im einfachsten Fall beschränken sich diese zeitlich<br />

distanzierten Alternativen auf zwei. Dabei wird die Höherschätzung<br />

gegenwärtiger Güter über zukünftige Güter derselben Art und desselben<br />

Ausmaßes mit dem Begriff der „Zeitpräferenz“ benannt. 10 Für die Entwicklung<br />

der Modelle nehmen wir an, daß eine der Alternativen im Wert kleiner, aber<br />

zeitlich näher ist als eine andere Alternative. In einem konkreteren Sinn handelt<br />

es sich bei diesen Alternativen um Mittel der Bedürfnisbefriedigung. Wir<br />

wählen sozusagen, um bei dem einfachen Fall zu bleiben, zwischen einer<br />

kleineren unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung und einer größeren späteren<br />

Bedürfnisbefriedigung. Diese Arten der Bedürfnisbefriedigung definiere ich als<br />

„langfristiges Wohlergehen“ – kurz LW, beziehungsweise „unmittelbare<br />

Bedürfnisbefriedigung“ - UB.<br />

Klassische ökonomische Beispiele dieser Art sind auszugsweise, die<br />

<strong>Entscheidung</strong> zwischen geringerem Konsum heute und höherem Konsum<br />

morgen, sprich dem Sparverhalten, des weiteren alle Arten von<br />

Investitionsentscheidungen, oder auch <strong>Entscheidung</strong>en im Bereich des<br />

Humankapitals.<br />

Daneben gibt es eine Menge von Beispielen, die eher der Alltäglichkeit<br />

zuzurechnen sind, die aber trotzdem eine enorme Bedeutung für unser<br />

zukünftiges Leben genießen. Darunter verstehe ich zum Beispiel<br />

<strong>Entscheidung</strong>en, die mit unserem langfristigen gesundheitlichen Status<br />

verbunden sind. Die <strong>Entscheidung</strong> für eine Zigarre, einem Drink oder einen<br />

9 Prinzipiell ist jede <strong>Entscheidung</strong> oder Wahlhandlungen auf die Zukunft gerichtet. Vgl. Mises (1980,<br />

S. 434-474) zur Bedeutung der Zeit für das wirtschaftliche Handeln: „Handeln ist immer auf die<br />

Zukunft gerichtet, mag es auch nur die Zukunft des nächsten Augenblicks sein.“ (ebd., S. 434)<br />

10 Zum Konzept der Zeitpräferenz siehe unten (Abs. 1.3.1 idA.).<br />

7


Joint heute, verbunden mit der Gefahr des Suchtverhaltens, oder die<br />

<strong>Entscheidung</strong> darauf zu verzichten, oder uns körperlich zu ertüchtigen.<br />

Daneben gibt es noch <strong>Entscheidung</strong>en, die zwar ebenfalls wichtig sind,<br />

aber unser Leben nicht unmittelbar bedrohen. Das Einhalten von Terminen oder<br />

das Hinausschieben derselben, die <strong>Entscheidung</strong> noch im Bett zu bleiben oder<br />

sich der Arbeit zu widmen, die <strong>Entscheidung</strong> über persönliche Probleme zu<br />

sprechen oder diese in sich hineinzufressen, sind nur drei der fast unzähligen<br />

Beispiele unseres täglichen Daseins.<br />

Formale Analysen dieser Art von <strong>Entscheidung</strong>en werden von Ökonomen<br />

üblicherweise mit Hilfe des Konzepts der Diskontierung gelöst (vgl. z.B.<br />

Gravelle und Rees, 1992, S. 406-437). Dabei werden die subjektiven<br />

Bewertungen der uns zur Verfügung stehenden Optionen, unter Verwendung<br />

eines individuellen Zinssatzes auf ihren Gegenwartswert abdiskontiert.<br />

Aufgrund dieses Wertes wird dann eine Präferierung der einen über die andere<br />

Option vorgenommen. Das gängige formale Modell dieses Prozesses beruht auf<br />

den Arbeiten von Fisher (1930), Samuelson (1937) und Koopmans (1960).<br />

Dieses Modell wird als Standardmodell am Beginn von Kapitel Zwei dargestellt<br />

(Abschnitt 2.2.2 in dieser Arbeit; für die weitere Arbeit kürze ich wie folgt ab:<br />

Abs. xxx idA.).<br />

Nun geschieht es allzuoft, daß sich unsere Präferenzen im Laufe der Zeit<br />

verkehren. Die Wahl einer anfangs nicht präferierten kleineren Befriedigung,<br />

allein aufgrund ihres zeitlichen Näherrückens, wird vorderhand als impulsives<br />

Verhalten bezeichnet, während das Vermögen auf eine größere Befriedigung in<br />

der Zukunft warten zu können, in der Literatur als Fähigkeit der Selbstkontrolle<br />

firmiert (vgl. z.B. Ainslie, 1975).<br />

Auf Basis dieser Einsichten entwickelten „verhaltenswissenschaftlich<br />

orientierte Ökonomen“ (Behavioral Economists) alternative Modelle, die unter<br />

dem Namen „Hyperbolische Diskontierungsmodelle“ Eingang in die<br />

ökonomische Diskussion fanden. Diese hier angesprochenen Modelle finden<br />

ihre Betrachtung im Anschluß an das Standardmodell ebenfalls in Kapitel Zwei<br />

(Abs. 2.4 idA.).<br />

8


Die Einsicht, daß allein das zeitliche Näherrücken einer Option nicht<br />

allein für das erwähnte impulsive Verhalten verantwortlich gemacht werden<br />

kann, wird von mir im dritten Kapitel behandelt. Dort werde ich zu zeigen<br />

versuchen, daß dieses Verhaltenschema von einer Vielzahl von Faktoren<br />

abhängig ist, die ich einer systemischen Art und Weise aufbereiten möchte.<br />

Im nächsten Abschnitt wird nun eine kategorische Einordnung der<br />

intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>en in die ökonomische <strong>Entscheidung</strong>stheorie<br />

vorgenommen. Zu einer ersten Klarstellung: Ich gehe in dieser Arbeit vom<br />

weiter gefaßten Begriff der „menschlichen Wahlhandlungen“ aus, um auch<br />

jenen Teil des menschlichen Verhaltens zu fassen, der nicht unmittelbar von der<br />

Ratio kontrolliert wird. Dieser Begriff „menschlicher Wahlhandlungen“ spielt<br />

vor allem für die Diskussion, wie ich sie in Kapitel Drei führen werde eine<br />

herausragende Rolle. Die Modelle in Kapitel Zwei gehen dahin überwiegend<br />

vom Begriff der <strong>Entscheidung</strong> aus.<br />

Als „menschliche Wahlhandlung“ definiere ich daher jede bewußte,<br />

wie unbewußte Handlung, sei sie kontrolliert oder automatisch vollzogen,<br />

rational oder affektiv-emotional gesteuert.<br />

Als „<strong>Entscheidung</strong>“ definiere ich jene Wahlhandlungen, die bewußt, in<br />

einem kontrollierten rationalen Prozeß vollzogen werden. 11<br />

1.1.1 <strong>Intertemporale</strong> <strong>Entscheidung</strong>en und <strong>Entscheidung</strong>stheorie<br />

Die <strong>Entscheidung</strong>stheorie der klassischen Nationalökonomie beschäftigt sich<br />

mit <strong>Entscheidung</strong>en, im oben definierten Sinn. Sie unterteilt ihre Forschung in<br />

folgende drei Bereiche: <strong>Entscheidung</strong>en unter Sicherheit, <strong>Entscheidung</strong>en unter<br />

Risiko und <strong>Entscheidung</strong>en unter Unsicherheit (vgl. Fishburn, 1987, S. 779–<br />

782). Die hier vorliegende Arbeit ist im Bereich von <strong>Entscheidung</strong>en unter<br />

11 Vgl. Heinen (1966, S.18): „Werden menschliche Wahlhandlungen bewußt vollzogen, so spricht man<br />

von <strong>Entscheidung</strong>en.“<br />

9


Sicherheit angesiedelt, das heißt, daß die zur Verfügung stehenden Optionen<br />

mit Sicherheit eintreten werden. Damit ergibt sich für mich folgende erste<br />

Darstellung, wie in Abbildung 1-1 dargestellt.<br />

Abbildung 1-1: Positionierung der Arbeit in der ökonomischen Theorie<br />

unbewußt, automatisch,<br />

affektiv-emotional<br />

Arbeit<br />

Als intertemporale <strong>Entscheidung</strong>en werden in der Literatur alle <strong>Entscheidung</strong>en,<br />

zwischen in der Zukunft liegenden Alternativen 12 bezeichnet, die mit Sicherheit<br />

eintreten. 13 Wollte man es als eine Aufgabe stellen, könnte sie wie folgt lauten:<br />

Nimm unverzüglich eine Gegenwartsbewertung der vorhandenen<br />

Optionen vor, die zu verschiedenen Zeitpunkten in der Zukunft auftreten<br />

werden und triff aufgrund dieser Bewertung unmittelbar eine<br />

<strong>Entscheidung</strong>, mit der Du in Folge leben mußt!<br />

Im nun folgenden Abschnitt wird die Vorgehensweise von Ökonomen bezüglich<br />

des Konzepts der Diskontierung kritisch diskutiert. Dieser Abschnitt nimmt<br />

12 Zum Begriff der Alternative als Handlungsmöglichkeit und der sich daraus ergebenen Fragen siehe<br />

Kesting (2001).<br />

Menschliche<br />

Wahlhandlungen<br />

<strong>Entscheidung</strong>en<br />

13 Dieser Forschungsbereich firmiert international unter der Bezeichnung „Intertemporal Choice“.<br />

10<br />

bewußt, rational,<br />

kontrolliert<br />

unter Sicherheit unter Risiko unter Unsicherheit


viele der Überlegungen und auftretenden Fragen, die erst im Laufe der Arbeit<br />

aktuell werden vorweg. Diese Vorgehensweise wird von mir gewählt, um eine<br />

gedankliche Basis für die anstehende Problematik zu liefern.<br />

1.2 Philosophie und Ökonomie im Diskurs<br />

In diesem Teil der Arbeit werden grundsätzliche Fragen aufgeworfen, die sich<br />

von einer rein ökonomischen Betrachtung abheben, und das Thema in einen<br />

breiteren Kontext einbetten. Ziel dieses Abschnittes ist es jedenfalls nicht<br />

Antworten zu liefern, vielmehr soll ein Nachdenkprozeß in Gang gebracht<br />

werden, auch um den Zugang zum Thema zu vertiefen. Dem folgenden Diskurs<br />

liegen die Arbeiten von John Broome (1999) und Shane Frederick (2003) zu<br />

Grunde.<br />

Sollen zukünftige Güter diskontiert werden? Soll Nutzen, der in entfernter<br />

Zukunft zu erwarten ist in unseren Planungen weniger zählen, als Nutzen der<br />

unmittelbar oder in naher Zukunft eintritt? Wie kann allein der Zeitpunkt zu<br />

welchem Güter oder deren Nutzen vorhanden sein werden einen Unterschied in<br />

ihrer Bewertung machen? Ist der Mensch der in der Zukunft begünstigt wird,<br />

derselbe der gegenwärtig die Kosten trägt? Ist der Mensch heute der, der er<br />

morgen ist, ist der Mensch eine zeitlose Identität?<br />

Wie anhand dieser Fragestellungen zu zeigen versucht, lassen sich drei zentrale<br />

Ansatzpunkte im Konzept der Zeitdiskontierung unterscheiden. Güter, Nutzen<br />

und Selbstidentität.<br />

Betrachten wir Güter als marktfähig, läßt sich ihnen also ein Preis<br />

zurechnen, gibt sich der klassische ökonomische Ansatz (vgl. Abs. 2.2 idA.)<br />

und auch philosophisch gesehen gibt es keinen Grund diese nicht zu<br />

diskontieren. Zukünftige Güter sind gegenwärtig billiger als gegenwärtige<br />

Güter. Der Hauptgrund nach John Broome liegt im Aspekt der Technologie.<br />

„Technologie ist fruchtbar“ (Broome, 1999, S. 53). Man investiert einen Teil<br />

seiner Güter heute in technologischen Fortschritt, mit dem sich dieselben Güter<br />

11


in Zukunft günstiger produzieren lassen. Die gütereigene Diskontrate ist<br />

positiv.<br />

Zu hinterfragen allerdings ist, ob sich die gleiche Vorgehensweise (die<br />

Marktpreismethode) auch auf das Konzept des Nutzens übertragen läßt. Meiner<br />

Einsicht nach sollte in diesem Fall zwischen dem Nutzen, der sich aus dem<br />

Konsum von marktfähigen Gütern und dem Nutzen, im Sinne eines<br />

Wohlgefühls 14 (Wellbeing) unterschieden werden. Für den ersten Fall ergibt<br />

sich die Lösung analog, für den zweiten Fall läßt sich keine eindeutige Aussage<br />

ableiten. Es wäre aber, wenn wir den Menschen als ident 15 über die Zeit<br />

betrachten, eher davon auszugehen, Wohlgefühl nicht zu diskontieren. In den<br />

gängigen ökonomischen Modellen wird auf diese Differenzierung allerdings<br />

keine Rücksicht genommen und annahmegemäß eine positive Zeitpräferenz<br />

postuliert. Philosophen stellen daher Ökonomen die provokante Frage, ob der<br />

offensichtlichen Bevorzugung der gegenwärtigen Eigeninteressen auf Kosten<br />

unseres späteren Selbst 16 , die sich möglicherweise auf eine unterschiedliche<br />

Begriffsauslegung zurückführen läßt. So ist auch für Broome (ebd., S. 128f) der<br />

entscheidende Punkt einfach:<br />

When economists and philosophers think of discounting, they typically<br />

think of discounting different things. Economists typically discount the<br />

sort of goods that are bought and sold in markets, which I shall call<br />

commodities. Philosophers are typically thinking of more fundamental<br />

good, people’s wellbeing. There are sound reasons to discount most<br />

commodities, and there may well be sound reasons not to discount<br />

wellbeing. It is perfectly consistent to discount commodities and not<br />

wellbeing.<br />

14 Unter Wohlgefühl wird zum Beispiel der gesundheitliche Zustand verstanden. Dabei ergibt sich die<br />

Frage, ob Gesundheit heute von der Gesundheit morgen im Verständnis differiert. Im ökonomischen<br />

Modell wird der Gesundheit morgen, betrachtet aus der heutigen Sichtweise, aufgrund der<br />

angenommenen positiven Zeitpräferenz weniger Nutzen beigemessen.<br />

15 Zum Konzept der Selbstidentität über die Zeit siehe weiter unten in diesem Abschnitt.<br />

16 Dieser Begriff des Selbst inkludiert neben dem individuellen Selbst, auch dessen Nachfahren und die<br />

zukünftige Gesellschaft.<br />

12


Für Broome gibt es, wie hier angedeutet, gute Gründe wirtschaftliche Güter zu<br />

diskontieren und gute Gründe warum man Wohlgefühl, auch wenn man es aus<br />

ökonomischer Sicht vielleicht als ein höheres Gut ansehen könnte, nicht<br />

diskontieren sollte. Gehen Ökonomen manchmal zu weit, fragt Broome (ebd., S.<br />

129), wenn sie diskontieren wo sie es vielleicht nicht sollten, und wo ist die<br />

Grenze des Vertretbaren?<br />

Um sich dieser Problematik von einer anderen Seite zu nähern, mag es sinnvoll<br />

sein sich Gedanken über das Selbstkonzept des Menschen zu machen, und nach<br />

seiner Identität über die Zeit zu sinnieren. Inwieweit sind wir in der Zukunft<br />

dieselben, die wir heute sind? Ein profanes Beispiel bezieht sich auf den<br />

materialistischen Aspekt. Es ist eine denkbare Möglichkeit, daß der<br />

gegenwärtig betrachtete Mensch in der Zukunft ein reicherer oder ärmerer sein<br />

wird. Ergibt sich aus diesem Umstand ein Unterschied, wie er Nutzen oder<br />

Wohlgefühl bewerten sollte? Ein anderes Beispiel hierfür ist der Bereich der<br />

Gesundheit. Es ist eine denkbare Möglichkeit, und sogar eine eher<br />

wahrscheinliche heute - in jungen Jahren - gesünder zu sein, als in zig Jahren.<br />

Ist der Nutzen den wir der Gesundheit beimessen in beiden Fällen derselbe? Die<br />

Modelle der Ökonomie ignorieren diese Sichtweise, indem sie die Bewertung<br />

des zukünftigen Nutzens aus der gegenwärtigen Betrachtung treffen. In der<br />

Ökonomie wird gefragt, wie das Selbst im Jetzt zukünftigen Nutzen mit<br />

gegenwärtigem Nutzen vergleicht und nicht, wie das gegenwärtige Selbst den<br />

gegenwärtigen Nutzen und das zukünftige Selbst den zukünftigen Nutzen<br />

bewertet. Nehmen wir an, daß zu jedem Zeitpunkt eines Menschenlebens eine<br />

gewisse Menge Wohlgefühl denselben Nutzen bringt. Eine Krankheit, die ich<br />

heute erleide, hat für mich heute denselben negativen Nutzen, wie der negative<br />

Nutzen, der mir in zwanzig Jahren durch dieselbe Krankheit entsteht. Diese<br />

Sichtweise ist nur dann konsistent, wenn ich heute derselbe bin, wie morgen.<br />

Fehlt mir die konkrete Vorstellung über mein morgen, oder sehe ich mich in der<br />

Zukunft nicht als denselben, der ich heute bin, fällt diese idealistische<br />

Sichtweise. Die erste Auffassung spricht für eine temporale Neutralität (vgl.<br />

Frederick, 2003, S.89). Das Leben wird in diesem Sinn als Einheit aufgefaßt.<br />

Man ist bestrebt das Leben als ein Ganzes so gut wie möglich zu führen, und es<br />

13


widerspricht diesem Ziel einzelne Teile dieses Lebens gegenüber anderen zu<br />

bevorzugen. Im speziellen, für diese Arbeit ergibt sich nach dieser Auffassung<br />

folgende Überlegung: Die Präferierung eines kleineren unmittelbaren Gutes<br />

über ein größeres späteres Gut ist irrational, weil die früheren und späteren<br />

Teile eines Lebens, Teile ein und desselben Lebens sind, und die Präferierung<br />

eines kleineren Gutes reduziert die Qualität des Ganzen (vgl. ebd., S. 89f). Eine<br />

andere Meinung, und zwar die komplexe Sichtweise, vertritt unter anderen<br />

Derek Parfit (ebd., S. 90). Für ihn ist eine Person:<br />

…nothing more than a succession of overlapping selves related to varying<br />

degrees by physical continuities, memories, and similarities of character<br />

and interests.<br />

Folgend dieser Auffassung erlaubt sich eine Diskontierung, da die<br />

aufeinanderfolgenden Teile des eigenen Lebens als separierbar angesehen<br />

werden. Man könnte es tatsächlich mit Teilen des Lebens eines anderen<br />

Menschen vergleichen und:<br />

…discounting one’s ‘own’ future utility may be no more irrational than<br />

discounting the utility of someone else (ebd., S. 90).<br />

Diese komplexe Sichtweise findet sich sowohl bei Plato, als auch später bei<br />

David Hume, und für die vorliegende Arbeit relevant in den Überlegungen von<br />

Robert H. Strotz (ebd., S. 91).<br />

In dem nachstehenden Abschnitt wende ich mich nun der historischen<br />

Komponente zu. Dieser kommt, meiner Meinung nach, für diese wie jede<br />

andere Arbeit eine enorme Bedeutung zu, denn „ohne Geschichte sind wir ein<br />

Nichts“ (vgl. auch Schumpeter, 1954, S. 12f). Bevor ich mich aber den<br />

herausragenden Denkern widmen kann, muß zuvor noch ein Konzept<br />

thematisiert werden, das zentral für die Forschung in intertemporale<br />

<strong>Entscheidung</strong>en steht. Dabei handelt es sich um das Konzept der<br />

„Zeitpräferenz“.<br />

14


1.3 Das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft in der menschlichen<br />

Wirtschaft<br />

Über viele Jahrhunderte wurde ein Kampf zur Rechtfertigung des Kapitalzinses<br />

geführt. Das Konzept der Zeitpräferenz entspricht in diesem Zusammenhang vor<br />

allem einer psychologischen Erklärung für die Höherschätzung unmittelbarer<br />

Güter über zukünftige Güter, und damit als eine Basis zur Begründung des<br />

Kapitalzinses. 17<br />

1.3.1 Zeitpräferenz<br />

<strong>Intertemporale</strong> <strong>Entscheidung</strong>en sind auf Engste mit dem Konzept der<br />

Zeitpräferenz verbunden. 18 Zeitpräferenz ist der Ausdruck dafür, daß Menschen<br />

gegenwärtige Güter - Güter, die unmittelbar für den Konsum verfügbar sind –<br />

zukünftigen Gütern derselben Art und desselben Ausmaßes - gleich<br />

gegenwärtige Erwartungen bezüglich Gütern, die irgendwann in der Zukunft<br />

verfügbar sein werden - vorziehen. Die „soziale“ Rate der Zeitpräferenz, sprich<br />

das Resultat der Interaktionen der individuellen Zeitpräferenzpläne, bestimmt<br />

und ist gleich der Zinsrate der Gesellschaft 19 (vgl. Rothbard, 1987, S. 644).<br />

17 Einen kurzen, aber sehr intensiven Überblick zu diesem Thema bietet Rothbard (1987). Einer<br />

ausführlichsten Behandlung der Thematik widmete sich Eugen von Böhm Bawerk (1921) in seinem<br />

Werk „Kapital und Kapitalzins; Erste Abteilung: Geschichte und Kritik der Kapitalzins-Theorien“<br />

sowie den „Exkursen“. George Loewenstein (1992) analysiert in seinem Beitrag die intertemporale<br />

<strong>Entscheidung</strong>sforschung, von den Ursprüngen bei John Rae bis zum heutigen Stand der<br />

wissenschaftlichen Erkenntnis. Er behandelt dabei vor allem die psychologische Motive, die der<br />

Zeitpräferenz zu Grunde gelegt wurden und werden.<br />

18 Das Konzept der Zeitdiskontierung ist weiter gefaßt und schließt alle Gründe ein, die dafür<br />

verantwortlich sind, daß zukünftige Konsequenzen im heute geringer bewertet werden. Als Beispiele<br />

seien Unsicherheit oder sich verändernde Geschmäcker genannt (vgl. Frederick, Loewenstein und<br />

O’Donoghue, 2002, S. 352).<br />

19 Die Zinsrate einer Gesellschaft ist hier als eine Begründung gemeint, die nicht mit der Höhe des<br />

tatsächlichen Zinses übereinstimmen muß. Für die Bestimmung der tatsächlichen Höhe des Zinses,<br />

siehe die, in der ökonomischen Theorie dargebotenen verschiedenen Zinstheorien.<br />

15


Nach dieser einführenden Abklärung des Begriffs der Zeitpräferenz wende ich<br />

mich, wie angekündigt, der geschichtlichen Analyse zu. Diese Analyse bietet<br />

die interessantesten Erklärungen und Begründungen für das Konzept der<br />

Zeitpräferenz; sie folgt in ihrem Aufbau dem historischen Lauf der<br />

Nationalökonomie als eigenständige Wissenschaft 20 . 21 Der Abschnitt bietet<br />

einen selektiven Überblick über Ideen und Gedanken verschiedener<br />

herausragender Denker. Ein Hauptaugenmerk lege ich dabei auf die<br />

„Österreichische Schule der Nationalökonomie“ und zwei ihrer Vertreter. Für<br />

ihre Forschungen ist Zeit und damit verbunden die Zeitpräferenz ein<br />

herausragendes Merkmal, sowohl als Konzept wie auch als Fundament.<br />

1.3.2 Eine kurze Geschichte der Zeitpräferenz<br />

1.3.2.1 John Rae<br />

John Raes Werk “Statement of Some New Principles on the Subject of Political<br />

Economy, Exposing the Fallacies of the System of Free Trade, and of Some<br />

Other Doctrines Maintained in the ‚Wealth of Nations’” (Boston, 1834) 22 stellt<br />

den Beginn einer differenzierten Auseinandersetzung mit Fragen der<br />

intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>sfindung dar (siehe dazu: Böhm-Bawerk, 1921, I.<br />

Abt. S. 277–317; sowie Loewenstein, 1992, S. 5-7).<br />

20 Der Beginn der Nationalökonomie als eigenständige Wissenschaft wird gemeinhin mit der<br />

Herausgabe des Werkes „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“ von Adam<br />

Smith im Jahre 1776 (zitiert wird nach der Ausgabe von 1981) gleichgesetzt. Für eine herausragende<br />

abweichende Meinung siehe Joseph A. Schumpeter (1954).<br />

21 Für die vielen sich auf dieses Thema beziehenden intellektuellen Anstrengungen vor diesem<br />

historischem Datum, sei vor allem Anne Robert Jacques Turgots „Fruktifikationstheorie“ genannt<br />

(siehe vor allem Böhm-Bawerk , 1921, I. Abt., S. 53– 60; sowie Rothbard, 1987, S. 644f). Sie stellt<br />

eine erste erschöpfende Theorie der Zeitpräferenz zur Rechtfertigung des Zinses, über die<br />

Behauptung der Nützlichkeit des Kapitals für Geber und Nehmer, dar. „[…], interest compensates for<br />

this difference in value [des Geldes für den Geber und Nehmer, der Autor] by a sum proportionate to<br />

the length of the delay“ (Turgot, zitiert nach Rothbard, 1987, S. 644).<br />

22 Zitiert wird nach der Ausgabe von 1905. Titel: „The Sociological Theory of Capital“, Herausgeber:<br />

Charles W. Mixter.<br />

16


John Raes Hauptinteresse, wie auch das von Adam Smith, 23 galt den Ursachen,<br />

durch welche Nationalreichtum entsteht, vermehrt oder vermindert werden<br />

kann. Adam Smith erkennt in seinem Werk „An Inquiry into the Nature and<br />

Causes of the Wealth of Nations“ (London, 1776) 24 die Vorteile der<br />

Kapitalakkumulation, die in Folge der Arbeitsteilung möglich wird. Weiters<br />

weißt er darauf hin, daß eine <strong>Entscheidung</strong> für den Aufbau eines Kapitalstocks,<br />

anders formuliert eine <strong>Entscheidung</strong> zwischen unmittelbaren Genuß und<br />

zukünftigem Profit, überhaupt nur in einem Land mit zumindest einem gewissen<br />

Grad der Sicherheit möglich ist. Adam Smith (1981, S. 284) schreibt:<br />

In all countries where there is tolerable security, every man of common<br />

understanding will endeavour to employ whatever stock he can command<br />

in procuring either present enjoyment or future profit.<br />

Während Smith Differenzen im Wohlstand der Nationen im Ausmaß ihrer<br />

Kapitalakkumulation fand, ging Raes Interesse tiefer. Seine Hauptfrage galt den<br />

Ursachen, „welche die Masse der Instrumente bestimmen, die ein Volk bildet<br />

und besitzt, in welcher Masse sich ja eben die Größe des Nationalreichtums<br />

widerspiegelt“ (zitiert nach Böhm-Bawerk, 1921, I. Abt., S. 286).<br />

Mit dem Begriff der „Instrumente“ bezeichnet Rae alle durch menschliche<br />

Arbeit entstandenen Produkte, die einer künftigen Bedürfnisbefriedigung dienen<br />

(ebd., S. 280). Alle Instrumente erfordern zu ihrer Bildung den Aufwand einer<br />

gewissen Menge von Arbeit oder Arbeitsäquivalenten, und bringen eine andere<br />

größere Menge von Arbeit oder ihren Äquivalenten ein. John Rae (1905, S. 52,<br />

Heraushebung durch den Autor) formuliert, wie folgt:<br />

The formation of every instrument […], implies the sacrifice of some<br />

smaller present good, for the production of some greater future good.<br />

23 John Rae war laut Böhm-Bawerk (1921, I. Abt., S. 279) ein entschiedener Gegner von Adam Smith<br />

in Fragen des Freihandels. Seine Widersprüche formulierte er vor allem in dem theoretischen Kapitel<br />

über „die Natur des Kapitales und die seine Vermehrung oder Verminderung beherrschenden<br />

Gesetze“.<br />

24 Zitiert wird nach einer Ausgabe von 1981. Herausgeber: Campbell und Skinner<br />

17


Die dieser <strong>Entscheidung</strong> zugrunde liegende Entschlossenheit auf einen gewissen<br />

Teil gegenwärtiger Güter zu verzichten, um eine größere Menge von Gütern in<br />

der Zukunft zu erhalten, bezeichnet Rae als effective desire of accumulation. 25<br />

John Rae befindet folglich Gründe, die die Stärke dieser Entschlossenheit<br />

entweder mindern oder stärken. Im Rahmen seiner Abhandlung kommt implizit<br />

der Problematik der Zeitpräferenz eine entscheidende Rolle zu. Das folgende<br />

Zitat (ebd., S. 53), bezüglich der Unsicherheit und Kürze des Lebens, drückt<br />

den Zwiespalt aus in dem sich ein Individuum befindet, wenn es zwischen dem<br />

heute und morgen zu entscheiden hat:<br />

Where life to endure for ever, where the capacity to enjoy in perfection all<br />

its goods, both mental and corporeal, to prolonged with it, and were we<br />

guided solely by the dictates of reason, there could be no limit to the<br />

formation of means for future gratification, till our utmost wishes were<br />

supplied. A pleasure to be enjoyed, or a pain to be endured, fifty or a<br />

hundred years hence, would be considered deserving the same attention as<br />

if it were to befall us fifty or a hundred minutes hence, and the sacrifice<br />

of a smaller good, for a greater future good, would be readily made, to<br />

whatever period that futurity might extend. But life, and the power to<br />

enjoy it, are the most uncertain of all things, and we are not guided<br />

altogether by reason. We know not the period when death may come<br />

upon us, but we know that it may come in a few days, and must come in a<br />

few years. Why then providing goods that cannot be enjoyed until times,<br />

which, though not very remote, may never come to us, or until times still<br />

more remote, and which we are convinced we shall never see? If life, too,<br />

is of uncertain duration and the time that death comes between us and all<br />

our possessions unknown, the approaches of old age are at least certain,<br />

and are dulling, day by day, the relish of every pleasure.<br />

25 “The determination to sacrifice a certain amount of present good, to obtain another greater amount<br />

of good, at some future period, may be termed the effective desire of accumulation.” (Rae, 1905,<br />

S.53)<br />

18


Die Kürze und Unsicherheit des menschlichen Lebens befindet Rae als einen<br />

Grund der den effektiven Akkumulationstrieb mindert (ebd., S. 53f). Ein<br />

weiterer Grund der für eine hohe Zeitpräferenz spricht, liegt in dem<br />

psychologischen Unbehagen der Verzögerung der unmittelbaren<br />

Bedürfnisbefriedigung (ebd., S. 54): 26<br />

The actual presence of the immediate object of desire in the mind, by<br />

exciting the attention, seems to rouse all the faculties, as it were, to fix<br />

their own view on it, and leads them to a very lively conception of the<br />

enjoyments which it offers to their instant possession. The prospects of<br />

future good, which future years may hold out to us, seem at such moment<br />

dull and dubious, and are apt to be slighted, for objects on which the<br />

daylight is falling strongly, and showing us in all their freshness just<br />

within grasp.<br />

Im Gegensatz zu den beiden ersten Faktoren, die sich vornehmlich auf<br />

persönliche Motive stützen, und eine geringe Stärke des effektiven<br />

Akkumulationstriebes vermuten lassen, findet Rae auch Gründe, die in die<br />

Gegenrichtung wirken und eine niedrige Rate der Zeitpräferenz zur Folge<br />

haben.<br />

Dazu zählt er erstens die „sozialen und menschlichen Antriebe“ (ebd.,<br />

S. 55 – 57). Konträr zum Beispiel des egoistischen Individuums, das allein auf<br />

seine eigene Identität über die Zeit fokussiert ist, meint Rae, daß die Freuden<br />

der Menschen doch nicht zur Gänze selbstsüchtiger Natur sind. Es sind gerade<br />

die Bindungen zur Familie und Freunden und die Bindung zur Gesellschaft, die<br />

das Leben erträglich machen. „Really to live is to live with, and through others,<br />

more than in ourselves“(ebd., S. 56). Hierdurch verlieren die künftigen Güter,<br />

die man sich für das Opfer des gegenwärtigen Genusses verschaffen kann, den<br />

größeren Teil ihrer Unsicherheit und Wertlosigkeit. Diese Sichtweise läßt sich<br />

unter dem Begriff des „Hinterlassenschaftsmotives“ 27 zusammenfassen.<br />

26 Vgl. Loewenstein (1992, S. 6). Loewenstein weißt darauf hin, daß diese Begründung bei Rae<br />

gleichbedeutend dem Begriff der Abstinenz bei Nassau W. Senior ist.<br />

27 Siehe Loewenstein (1992, S. 7)<br />

19


Einen weiteren Grund für die Stärkung des effektiven Akkumulationstriebes<br />

sieht Rae in der Stärke der intellektuellen Kräfte (ebd., S. 57). Sie fördern<br />

sowohl das Denken als auch die Selbstreflexion. Er schreibt (ebd., S.57):<br />

These habits in opposition to the passions of the present hour, bring<br />

before us the future, both as concerns ourselves, and others, in its<br />

legitimate force, and urge the propriety of providing for it.<br />

In einem abschließenden Punkt verweißt er noch auf die Sicherheit,<br />

beziehungsweise die Unsicherheit der gesellschaftlichen Zustände, die<br />

Vorherrschaft des Gesetzes und der Ordnung, die Aussicht auf Kontinuität des<br />

Friedens und der inneren Ruhe. Diese Faktoren können je nach ihrem<br />

Vorhandensein zu einer Stärkung oder Minderung des effektiven<br />

Akkumulationstriebes beitragen (ebd., S. 57f).<br />

Aus Gründen, die in unserer Person liegen, nämlich wegen der Kürze und<br />

Unsicherheit unseres Lebens, wegen der vorauszuahnenden Abnahme unserer<br />

Genußfähigkeit, endlich wegen unserer leidenschaftlichen Hingabe an den<br />

Augenblick, legen wir gegenwärtigen Freuden und Bedürfnissen eine größere<br />

Schätzung bei, als künftigen Freuden, Bedürfnissen und Befriedigungsmitteln.<br />

Für Rae sind dies die hauptsächlichen Umstände, welche das Verhältnis der<br />

Wertschätzung zwischen Gegenwart und Zukunft bestimmen, und die Ursachen<br />

für die Stärke des effektiven Akkumulationstriebes innerhalb einer Gesellschaft<br />

darstellen. Aus der kulturell bedingten unterschiedlichen Stärke dieses Triebes<br />

in verschiedenen Ländern dieser Erde leitet er in Folge Differenzen in ihrem<br />

Reichtum ab, wobei seine Sympathie mit jenen Ländern geht, die eine niedrige<br />

Rate der Zeitpräferenz aufweisen (vgl. Rothbard, 1987, S 645). 28<br />

28 Vgl. in diesem Zusammenhang das Kulturkonzept von Hofstede (1980), der in seiner Klassifizierung<br />

kultureller Unterschiede von ähnlichen Überlegungen ausgeht.<br />

20


1.3.2.2 Nassau W. Senior und William S. Jevons<br />

Äußerst interessante Ideen zu den Themen der intertemporaler <strong>Entscheidung</strong>en<br />

und der Zeitpräferenz finden sich auch in den Arbeiten von Nassau W. Senior<br />

und William S. Jevons. Beide beschäftigen sich mit Erklärungen des<br />

Kapitalzins, beziehungsweise der Kapitalakkumulation, und finden Antworten<br />

vor allem in psychologischen Faktoren begründet (vgl. Loewenstein, 1992, S.<br />

7–11).<br />

Auf die Frage nach der Begründung des Zinses antwortet Senior mit der These<br />

von der „Abstinenz“. Für ihn ist der Zins eine Kompensation für den Schmerz<br />

des Konsumverzichts des Kapitaleigners, und überhaupt „eine der<br />

schmerzvollsten Strapazen für den menschlichen Willen“ (zitiert nach<br />

Loewenstein, 1992, S. 6).<br />

In Jevons Arbeit „The Theory of Political Economy“(London, 1871) 29 spielt die<br />

Antizipation zukünftiger Ereignisse, das antizipierte Gefühl der Freude oder des<br />

Schmerzes, eine Schlüsselrolle. Dabei variiert das aktuelle Gefühl mit der<br />

Nähe oder Ferne des tatsächlichen Eintretens. Die Kraft der Vorstellung, zum<br />

Beispiel die der Vorfreude, ist für ihn der Grund schlechthin Konsumverzicht<br />

zu üben und Kapitalakkumulation zu betreiben, auch wenn die Intensität dieser<br />

Freude immer geringer als die künftige Freude selbst ist, was seiner Ansicht<br />

nach auf einem „Fehler unserer Geistes- und Gemütslage“ beruht (Jevons, 1965,<br />

S. 72; vgl. auch Böhm-Bawerk, I. Abt., S. 421). Darüber hinaus entspricht die<br />

Intensität der Vorfreude einer abnehmenden Funktion über die Zeit, sie wird<br />

größer je näher sie sich der tatsächlichen Freude nähert. 30 In den Worten von<br />

Jevons (1965, S. 34, Heraushebung im Original) klingt das so:<br />

29 Zitiert wird nach der Ausgabe von 1965, Herausgeber: H. Stanley Jevons.<br />

30 Diese Ansicht entspricht einer Vorwegnahme der Gedanken, die später in den Modellen der<br />

Hyperbolischen Diskontierungsmodelle ihren Ausdruck finden (siehe Abs. 2.4 idA.).<br />

21


The intensity of present feeling must, to use a mathematical expression,<br />

be some function of the future actual feeling and of the intervening time, and it must<br />

increase as we approach the moment of realization. The change again<br />

must be less rapid the further we are from the moment, and more rapid as<br />

we come nearer.<br />

Sowohl Senior als auch Jevons sehen den Menschen als fest in der Gegenwart<br />

verankert und von den aktuell erfahrenen Emotionen beeinflußt. Wir leben hier<br />

und jetzt, wir fühlen den Augenblick. Während Senior die Gegenwart als<br />

Ausgangspunkt seiner Analyse annimmt, fragt Jevons aus der Zeitperspektive<br />

heraus, warum die Zukunft in unseren Überlegungen überhaupt eine Rolle<br />

spielt. Senior sieht den aktuellen Schmerz der Nichtbefriedigung und<br />

entschädigt dafür, Jevons dagegen substituiert die gegenwärtige Freude der<br />

Befriedigung durch die kumulierte Vorfreude, die aus der Erwartung einer<br />

zukünftigen Befriedigung entsteht. Konsumverzicht wird nach dieser Ansicht<br />

nur dann betrieben, wenn der Schmerz des aktuellen Verzichts durch die<br />

kumulierte Vorfreude mehr als entschädigt wird.<br />

1.3.2.3 Österreichische Schule der Nationalökonomie<br />

Die Zeitpräferenz sowohl als Konzept als auch als Basis zur Begründung des<br />

Zinses, ist ein herausragendes Element der „Österreichischen Schule der<br />

Nationalökonomie“ (vgl. Rothbard, 1987, S. 645).<br />

1.3.2.3.1 Carl Menger<br />

Zentrales Element der Mengerschen Lehre, gefaßt im Werk „Grundsätze der<br />

Volkswirtschaftlehre“ (Wien, 1871) 31 , ist die bedürftige Menschennatur.<br />

Menschlichen Bedürfnissen und der Befriedigung derselben gilt durchgängig<br />

sein Hauptaugenmerk, auch dann wenn er sich dem durch Kapitalbesitz<br />

bedingten wirtschaftlichen Fortschritt der Menschen widmet und auf die<br />

31 Zitiert wird sowohl nach der ersten (1871), als auch der zweiten Auflage (1923).<br />

22


Problematik der <strong>Entscheidung</strong> zwischen unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung<br />

und langfristigem Wohlergehen zu sprechen kommt (Menger, 1871, S. 128):<br />

Auf die Sicherstellung der den Menschen zur Erhaltung ihres Lebens und ihrer<br />

Wohlfahrt in der Gegenwart oder der nächsten Zukunft erforderlichen Genußmittel<br />

ist stets ihre ängstlichste Sorge gerichtet, eine Sorge, die sich in dem Grade<br />

abschwächt, je ferner der Zeitraum ist, auf welchen sie sich erstreckt.<br />

Diese Erscheinung ist keine zufällige, sondern im Wesen der<br />

menschlichen Natur tief begründet. Soweit nämlich von der Befriedigung<br />

unserer Bedürfnisse die Erhaltung unseres Lebens abhängig ist, muß die<br />

Sicherstellung der Befriedigung der Bedürfnisse früherer Zeiträume<br />

notwendigerweise jener der späteren vorangehen.<br />

Für Menger ist, wie hier zum Ausdruck kommt, die unmittelbare<br />

Bedürfnisbefriedigung, soweit diese dem Überleben dient, Grundvoraussetzung<br />

für alles Wirtschaften. Erst wenn die Bedürfnisse der jeweiligen Periode<br />

gedeckt sind, kann sich der Mensch daran machen die Zukunft immer weiter zu<br />

erschließen. 32 Aber selbst dort wo es sich nur um Genüsse handelt spielt das<br />

Zeitelement eine herausragende Rolle, und Menger (ebd., S. 128) spricht wie<br />

zuvor das Konzept der Zeitpräferenz implizit an:<br />

Ähnlich verhält es sich selbst in Rücksicht auf solche<br />

Bedürfnisbefriedigungen, welche für uns bloß die Bedeutung von<br />

Genüssen haben. Ein Genuß pflegt den Menschen, wie alle Erfahrung<br />

lehrt, in der Gegenwart oder in einer näheren Zukunft wichtiger zu<br />

erscheinen als ein solcher von gleicher Intensität in einem entfernteren<br />

Zeitpunkte.<br />

Mengers Schüler Eugen von Böhm-Bawerk knüpft an dieser Gedankenreihe an<br />

und baut seine Kapitalzinstheorie, dargelegt in dem Werk „Positive Theorie des<br />

Kapitales“ (Wien, 1889) 33 , zum Teil auf ihr auf. Menger, der Böhm-Bawerks<br />

Theorie stets für anfechtbar hielt, sah sich daher in der zweiten Auflage seiner<br />

32 Vergleiche die Analogie in der Maslowschen Bedürfnishierachie. Für eine Darstellung siehe zum<br />

Beispiel Mayerhofer (2002, S. 265-269).<br />

33 Zitiert wird nach der Vierten Auflage von 1921. Friedrich Wieser Herausgeber.<br />

23


„Grundsätze“ (Wien, 1923) dazu veranlaßt, die entscheidenden Sätze zu<br />

streichen (vgl. Menger, 1923, S. XIV). Erhalten blieb nur sinngemäß der erste<br />

Teil des ersten Absatzes (im ersten Zitat oben kursiv, vgl. Menger, 1923, S. 97;<br />

der Autor).<br />

1.3.2.3.2 Eugen von Böhm-Bawerk<br />

Gegenwärtige Güter sind in aller Regel mehr wert als künftige Güter<br />

gleicher Art und Zahl. Dieser Satz ist der Kern- und Mittelpunkt der<br />

Zinstheorie, die ich vorzutragen habe.<br />

( Böhm-Bawerk, 1921, II. Abt., S. 318)<br />

Auch für Böhm-Bawerk stehen die Bedürfnisse der Menschen zentral. Dabei<br />

spielen für ihn die Bedürfnisse der Zukunft eine besondere Rolle, auf die unsere<br />

„tätige Sorge“ gerichtet sein sollte (vgl. Böhm-Bawerk, 1921, S. 319ff).<br />

Erschwert wird für ihn dieses Vorhaben durch den Umstand, daß der Mensch in<br />

der Gegenwart nur „lückenhafte“ Vorstellungen über zukünftige Gefühle –<br />

Bedürfnisse – besitzt; 34 er weißt aber gleichzeitig auf ihre immense Bedeutung<br />

für das Wirtschaften hin. In Bezug auf diese menschliche Vorstellungskraft<br />

merkt er (ebd., S. 321) an:<br />

Dabei liegt es auf der Hand, daß wir so trügerisch jene Vorstellungsgabe<br />

auch sein, und so sehr sie uns auch im einzelnen Fall irreleiten mag,<br />

immer noch alle Ursache haben, für ihren Besitz dem Schicksal herzlich<br />

dankbar zu sein. Denn besäßen wir sie nicht, so könnten wir natürlich für<br />

die künftigen Bedürfnisse, die weder aktuell empfunden, noch auch durch<br />

eine vorauseilende Vorstellung angemeldet würden, auch nicht mehr im<br />

Voraus sorgen.<br />

34 Diese Ansicht steht im krassen Widerspruch zu Jevons These der antizipierten Gefühle (siehe oben<br />

Abschnitt 1.3.2.2.).<br />

24


Sodann macht sich Böhm-Bawerk daran drei Gründe für die Höherschätzung<br />

gegenwärtiger Güter aufzuzeigen. 35 Er findet sie vor allem in psychologischen<br />

Ursachen, wie sein zweiter Grund beweißt. 36<br />

Einen ersten Grund findet Böhm-Bawerk in der Verschiedenheit des<br />

Verhältnisses von Bedarf und Deckung in den verschiedenen Zeiträumen.<br />

Leidet ein Mensch zum Beispiel in der Gegenwart an einem Mangel an Gütern,<br />

hat aber die Hoffnung in der Zukunft reichlicher versorgt zu sein, so wird er<br />

eine gewisse Menge unmittelbar verfügbarer Güter höher schätzen, als dieselbe<br />

Menge zukünftiger Güter (vgl. ebd, S. 328–331). 37<br />

Der durchaus wichtigere zweite Grund ist, daß wir unsere künftigen<br />

Bedürfnisse und die Mittel, die zu ihrer Befriedigung dienen, systematisch<br />

unterschätzen, nur weil sie eben zukünftig sind (vgl. ebd., S. 332–338). Böhm-<br />

Bawerk stellt aber postwendend fest, daß diese systematische Unterschätzung<br />

zwischen einzelnen Nationen, Lebensaltern und Individuen graduell äußerst<br />

verschieden ist. Kraß ist sie vor allem, so meint er, bei Kleinkindern und<br />

Wilden, sie ist aber auch mitten unter uns. Als Beispiel erwähnt er den Arbeiter,<br />

der den Samstag empfangenen Wochenlohn Sonntag durch die Gurgel jagt, um<br />

die Woche über mit Weib und Kind zu darben. Und selbst dem vorsorglichsten,<br />

charakterfestesten und überlegtesten Mann ist diese Erscheinung nicht fremd,<br />

schreibt er, und nennt zum Beispiel die vom Arzt verbotene Zigarre, die der<br />

augenblicklichen Lust geopfert wird.<br />

35 Als dritten Erklärungsgrund für den Kapitalzins, abseits des Konzeptes der Zeitpräferenz, nennt<br />

Böhm-Bawerk die Mehrergiebigkeit zeitraubender Produktionsumwege. Sehr vieles wurde zu dieser<br />

Böhm-Bawerkschen Ansicht im Laufe der Zeit geschrieben, in der hier vorliegenden Arbeit wird<br />

darauf nicht weiter eingegangen, sie hat in diesem Rahmen keine unmittelbare Relevanz.<br />

36 Es sei hier in Bezug auf Abs. 1.2 idA. angemerkt, daß Böhm-Bawerk vom Ideal einer Kontinuität der<br />

menschlichen Identität über die Zeit ausgeht. Für ihn spielt die Unsicherheit des Eintretens<br />

zukünftiger Ereignisse weiters keine Rolle in der Begründung des Kapitalzinses, sehr wohl aber die<br />

Unsicherheit des menschlichen Lebens an sich.<br />

37 Zum Beispiel: Wird ein Student in Ausbildung 100 EURO heute höher schätzten, als 100 EURO<br />

morgen, wenn er dann im Berufsleben steht.<br />

25


Als Erklärung für diese psychisch bedingte systematische Unterschätzung findet<br />

er sodann drei Gründe (vgl. ebd., S. 333–336).<br />

Erstens die Lückenhaftigkeit unserer Vorstellungskraft (siehe oben<br />

idA.) bezüglich zukünftiger Bedürfnisse, zweitens die vielen Individuen<br />

fehlende Willenskraft und als dritten Grund nennt er die, bereits von Rae<br />

thematisierte, Kürze und Unsicherheit des menschlichen Lebens. Diese drei<br />

Gründe kommen nach Böhm-Bawerk bei verschiedenen Individuen, aber auch<br />

bei demselben Individuum zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Geistes-<br />

und Gemütsstimmungen, in äußerst verschiedenen Graden vor, 38 und wie er<br />

bemerkt, stufen sie sich nicht harmonisch je nach der Länge des Zeitintervalls<br />

ab (ebd., S. 336). Wie schon Jevons nimmt Böhm-Bawerk damit gedanklich das<br />

Konzept der Hyperbolischen Diskontierung vorweg. Er schreibt (ebd., S. 336):<br />

Im Gegenteile, die originären subjektiven Unterschätzungen sind höchst<br />

ungleichmäßig und sprunghaft. Namentlich soweit die Unterschätzung<br />

durch den oben besprochenen Willensfehler verursacht wird, dürfte zwar<br />

eine starke Schätzungsdifferenz zwischen absolut augenblicklichen und<br />

nicht augenblicklichen, dagegen eine sehr kleine oder gar keine Differenz<br />

zwischen mäßig und mehr entlegenen Genüssen gesetzt werden.<br />

Diese drei Teilgründe führen nun dazu, daß die Menschen den Nutzen künftiger<br />

Güter bei ihrer Schätzung in geringerem Maße anschlagen, als es seiner wahren<br />

Größe entspricht, und Böhm-Bawerk schließt mit der Bemerkung, „daß der<br />

Grenznutzen künftiger Güter gleichsam in perspektivischer Verkleinerung<br />

erscheint“ (vgl. ebd., S. 337).<br />

1.3.2.4 Zusammenfassung<br />

Soweit sind das vorderhand die Gründe die im Laufe der Geschichte von<br />

verschiedenen Wissenschaftlern gefunden wurden, um die Höherschätzung<br />

gegenwärtiger Güter zu argumentieren. Sie seien hier in Abbildung 1-2 in einer<br />

tabellarischen Übersicht noch einmal kurz zusammengefaßt.<br />

38 „…; bei Fanatikern der Vorsicht und Vorsorge mag sogar das Gegenteil, eine parteiische<br />

Überschätzung künftigen Nutzens sich einstellen“ (Böhm-Bawerk, 1921, S. 336).<br />

26


Abbildung 1-2: Gründe für die Höherschätzung gegenwärtiger Güter<br />

• Die Kürze und Unsicherheit des menschlichen Lebens.<br />

• Die vorauszuahnende Abnahme unserer Genußfähigkeit.<br />

• Impulsivität, als Ausdruck der leidenschaftlichen Hingabe an den Augenblick.<br />

• Antizipierte Gefühle, die nicht mit den tatsächlichen übereinstimmen.<br />

• Der zu vermeidende Schmerz, gleich der Unlust des Erwartens.<br />

• Die fehlende Vorstellungskraft des menschlichen Geistes.<br />

• Die fehlende Willenskraft.<br />

• Die systematische Unterschätzung zukünftiger Bedürfnisse.<br />

Das sind die hauptsächlichen Gründe für die Höherschätzung gegenwärtiger<br />

Güter, oder wie es Irving Fisher (1930) in seiner „Theory of Interest“<br />

ausdrückte, für die „Ungeduld“. Es war schließlich an ihm, aufbauend auf<br />

diesen Überlegungen, unter Hinzufügung des Motivs der Mode, 39 das erste<br />

formale Modell der Allokation des Konsums über die Zeit zu entwickeln. Sein<br />

Modell gilt bis heute als normatives Prinzip (vgl. Read, 2003, S. 3) und wird<br />

am Anfang des Kapitels Zwei (Abs. 2.2.1 idA.), das sich den formalen<br />

Modellen der intertemporalen <strong>Entscheidung</strong> widmet, kurz dargestellt. Fishers<br />

Modell stellt zugleich den Übergang von einer eher psychologischen, zu einer<br />

funktional formalisierten Sichtweise der Diskontierung her. Seinen Ausdruck<br />

findet dieser Umstand schließlich im „Discounted Utility Modell“, das alle in<br />

diesem Abschnitt vorgebrachten Gründe in einen einzigen Parameter zwängt,<br />

der konstanten Diskontierungsrate über die Zeit.<br />

39 „The most fitful of the causes at work is probably fashion. This at the present time acts, on the one<br />

hand, to stimulate men to save and become millionaires, and, on the other hand, to stimulate<br />

millionaires to live in an ostentatious manner. […] In whatever direction the leaders of fashion first<br />

chance to move, the crowd will follow in mad pursuit until almost the whole social body will be<br />

moving in that direction” (Fischer zitiert nach Loewenstein, 1992, S. 18).<br />

27


Es sollte knapp ein halbes Jahrhundert vergehen, ehe psychologische<br />

Überlegungen zu dieser Thematik in den Arbeiten von<br />

verhaltenswissenschaftlich orientierten Ökonomen wieder zu Tage traten. Der<br />

nächste Unterabschnitt ist daher einer Vorstellung dieses Forschungsbereiches<br />

gewidmet.<br />

1.4 Behavioral Economics<br />

(Verhaltenswissenschaftlich Orientierte Ökonomie)<br />

„Behavioral Economics“ 40 stellt jenen Forschungszweig innerhalb der<br />

Wirtschaftswissenschaften dar, der gezielt darauf ausgerichtet ist, die aus<br />

menschlichem Verhalten gewonnenen psychologischen Annahmen in die<br />

ökonomische Theorie zu integrieren. Diese Annahmen sind im Besonderen<br />

motiviert durch Forschungsergebnisse aus den Bereichen der sozial-kognitiven<br />

Psychologie, Soziologie und Neurobiologie. „Behavioral Economists“<br />

untersuchen, wie menschliches Verhalten systematisch von den<br />

Standardannahmen der Ökonomie abweicht, und schlagen auf Basis dieser<br />

Beobachtungen alternative Annahmen vor, und entwickeln darauf aufbauend<br />

formale Modelle.<br />

Die folgende Übersichtsdarstellung des Forschungsbereichs Behavioral<br />

Economics faßt die Arbeiten von Camerer und Loewenstein (2003), Maital und<br />

Maital (1984) und Rabin (1998, bzw. 2002).<br />

40 In dieser Arbeit verwende ich weitestgehend eine, mir für diesen Forschungsbereich,<br />

beziehungsweise für deren Forscher passend scheinende, deutsche Bezeichnung. Ich verwende daher<br />

die Bezeichnung der ‚verhaltenswissenschaftlich orientierten Ökonomie und Ökonomen’ synonym.<br />

28


1.4.1 Positionierung<br />

Verhaltenswissenschaftlich orientierte Ökonomie ist im Bereich zweier sich<br />

überlappender Disziplinen, der klassischen ökonomischen Theorie und der<br />

Psychologie positioniert. 41 Sie stellt in dieser Hinsicht die von Maital und<br />

Maital (1984, S. 55) geforderte notwendige Verbindung dar, die eine<br />

Möglichkeit der gegenseitigen Befruchtung bietet:<br />

Economics is the logic of choice. Psychology is the science of behavior.<br />

Since choice is one of the most pervasive and important types of<br />

behavior, it is self-evident that the models and methods of these two<br />

disciplines should be inextricably linked.<br />

Dem hier vorgestellten Forschungsbereich zentral steht eine Vision - die Vision<br />

eine bessere ökonomische Theorie zu generieren. Eine Theorie, deren<br />

Annahmen näher an der Realität sind. Den verhaltenswissenschaftlich<br />

orientierten Ökonomen geht es in erster Linie darum, dort wo es möglich und<br />

erfolgsversprechend scheint Annahmen einzuführen, die realistischer sind als<br />

die Standardannahmen 42 der orthodoxen klassischen Ökonomie, und dort wo es<br />

sich um nachgewiesener Maßen falsche Annahmen handelt diese zu ersetzten.<br />

So formuliert zum Beispiel Rabin (2002, S. 658):<br />

…, the more realistic our assumptions about economic actors, the better<br />

our economics.<br />

Ihre Überzeugung liegt in der Tatsache begründet, daß eine ökonomische<br />

Theorie, die psychologisch unterfüttert ist, eine bessere Theorie sein wird, weil<br />

41 Eine übersichtliche Darstellungen und ausführliche Diskussion zur wechselseitigen Beziehung<br />

zwischen Ökonomie und Psychologie bieten unter anderem Maital und Maital (1984) und Rabin<br />

(2002).<br />

42 Unter Standardannahmen wird zum Beispiel verstanden, daß Menschen unter anderem Bayessche<br />

Informationsprozessoren angesehen werden; daß sie wohl definierte und stabile Präferenzen besitzen;<br />

daß sie ihren erwarteten Nutzen maximieren; daß sie zukünftiges Wohlbefinden exponentiell<br />

diskontieren; daß sie selbstsüchtig sind; daß sie Präferenzen über absolute Erträge und nicht über<br />

relative Veränderung der Erträge bilden; etc. Vgl. z.B. Gravelle und Rees (1992).<br />

29


sie näher beim Menschen ist, ihn als ein fühlendes, denkendes und handelndes<br />

Wesen betrachtet. Camerer und Loewenstein (2003, S. 42) meinen sogar, daß<br />

jede ökonomische Theorie auf irgendeiner Art impliziter Psychologie beruhen<br />

muß. Die einzige Frage die für sie (ebd., S. 42) in diesem Zusammenhang<br />

verbleibt ist:<br />

…whether the implicit psychology in economics is good psychology or<br />

bad psychology.<br />

Dem Forschungsprogramm der verhaltenswissenschaftlich orientierten<br />

Ökonomie geht es dabei aber nicht darum, in Opposition zur neoklassischen<br />

Theorie zu treten; sie versteht sich vielmehr als natürliche Erweiterung (vgl.<br />

Rabin, 2002, S. 658) derselben. In einigen der Arbeiten wird auch explizit<br />

betont, wie sehr die Methoden der orthodoxen Ökonomie geschätzt werden (vgl.<br />

u.a. Rabin, 1998, S. 12f; sowie Rabin, 2002, S. 658). Besonders hervorgegeben<br />

wird, daß es der klassischen Ökonomie gelingt Aussagen zu machen, die auch<br />

überprüfbar sind. Daher wird diese auch als Forschungsparadigma akzeptiert,<br />

nur um ihr mit einer realistischeren psychologischen Basis zu einer erhöhten<br />

Erklärungskraft zu verhelfen (vgl. Camerer und Loewenstein, 2003, S. 3).<br />

1.4.2 Geschichte und Methodik<br />

Die grundlegenden Ideen, die diesem Forschungsbereich ihre Richtung geben<br />

(vgl. ebd, 2003, S. 5f), reichen zurück zu den Anfängen der Ökonomie als<br />

Wissenschaft und darüber hinaus. Adam Smiths Werk „The Theory of Moral<br />

Sentiments“ (Glasgow, 1759) 43 , ist voll psychologischer Prinzipien<br />

menschlichen Verhaltens, und viele seiner dort niedergelegten Ideen finden sich<br />

als Basis später wieder in „The Wealth of Nations“. Viele der Konzepte der<br />

neoklassischen Theorie basieren, zumindest implizit, auf psychologischen<br />

Überlegungen, wie zum Beispiel Jeremy Benthams Nutzenkonzept. Am Thema<br />

dieser Arbeit lassen sich psychologische Komponenten in den Darstellungen<br />

von John Rae über Nassau W. Senior und Willian S. Jevons, bis zu Eugen von<br />

43 Im Literaturverzeichnis angeführt unter: Smith, Adam (1976).<br />

30


Böhm-Bawerk und Irving Fisher verfolgen (vgl. Loewenstein, 1992; sowie Abs.<br />

1.3.2 idA.). Erst im Laufe des letzten Jahrhunderts, als sich die Ökonomie<br />

immer mehr den Methoden der Mathematik und formalen Logik bediente,<br />

verliert sich die psychologische Komponente. 44 Je mehr sich die Ökonomie der<br />

allgemeinen Gültigkeit und Handhabbarkeit verpflichtet sah, desto weniger<br />

paßten Menschen aus Fleisch und Blut in ihr Programm - der „homo<br />

oeconomicus“ wurde anstatt geboren. Nicht daß auch in der neoklassischen<br />

Theorie Platz wäre für Begriffe wie Fairneß oder Altruismus, aber haben diese<br />

immer den bitteren Beigeschmack der Irrationalität. 45 Versuche, wie der von<br />

Herbert Simon (1955) die Rationalität als eine „beschränkte“ zu sehen fanden<br />

große Aufmerksamkeit, konnten aber die fundamentale Richtung nicht<br />

verändern. Mit den Arbeiten von Amos Tversky und Daniel Kahnemann 46<br />

begann sich eine neue Richtung zu etablieren, die gegenwärtig durchaus die<br />

Chance besitzt, sich einen namhaften Platz in der Welt der Wissenschaften zu<br />

sichern.<br />

Die Vorgehensweise dieser Forschungsrichtung ist klar strukturiert (vgl.<br />

Camerer und Loewenstein, 2003, S. 7). In einem ersten Schritt werden<br />

normative Annahmen oder Modelle, die regelmäßig von Ökonomen gebraucht<br />

werden identifiziert - in dem speziellen Fall dieser Arbeit, das Discounted<br />

Utility Modell. In einem nächsten Schritt wird untersucht, wie das menschliche<br />

Verhalten systematisch von diesen Annahmen und Modellen abweicht – zum<br />

Beispiel sich verkehrende Präferenzen über die Zeit. Es werden klare<br />

44 “As its paradigm, economics adopted physics, and as its language, mathematics. Biology, and<br />

subsequently psychology, was shunted aside.” Maital und Maital (1984, S. 58)<br />

45 Ein Wort zum Begriff der Rationalität. Ökonomen verstehen unter rational, frei von Fehlern zu sein.<br />

Psychologen beschäftigen sich gerade mit dem Modellieren und messen dieser „Fehler“, und die<br />

bedeutsamsten Beiträge stammen gerade aus diesem Bereich, wo dieses „irrationale“ Verhalten von<br />

Menschen, das tatsächlich gerade menschlich ist systematisch analysiert und in Annahmen und<br />

Modelle übertragen wird (Maital und Maital, 1984, S. 61f).<br />

46 Amos Tversky und Daniel Kahnemann untersuchten und erklärten eine Fülle von Phänomenen, die<br />

zu Anomalien in menschlichen <strong>Entscheidung</strong>en führen. Eine ausführliche Würdigung beider bieten<br />

Laibson und Zeckhauser (1998). In der Ökonomie gelten sie als Mitbegründer der „Behavioral<br />

Economics“. Daniel Kahnemann ist Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften 2002.<br />

31


Verletzungen demonstriert und andere alternative Erklärungen gewissenhaft<br />

ausgeschlossen – wie etwa Irrationalität. In Folge werden diese Anomalien als<br />

Inspiration genützt, und unter Verwendung psychologischer Erkenntnisse<br />

werden neue alternative Theorien entwickelt – das Modell der Hyperbolischen<br />

Diskontierung -, die die existierenden Modelle verallgemeinern – für diesen<br />

Fall das βδ-Modell. Als Ergebnis stehen dann neue ökonomische Modelle des<br />

menschlichen Verhaltens aus denen Schlüsse gezogen werden, um sie endlich<br />

an der Realität zu testen.<br />

Die dominierende Methode der ersten Generation von<br />

verhaltenswissenschaftlichen Ökonomen war das Experiment, wie in den<br />

Arbeiten von Amos Tversky und Daniel Kahnemann eindrucksvoll<br />

demonstriert. In ihrer zweiten Entwicklungsphase wuchs die<br />

verhaltenswissenschaftlich orientierte Ökonomie über Experimente hinaus, und<br />

sie wendet seitdem eine breitgefächerte Palette wissenschaftlicher<br />

Untersuchungsmethoden an. Dazu zählen Untersuchungen im Feld, die<br />

Demographie, Selbstreporte oder kognitive Messungen. Diese Verbreiterung in<br />

der Methodik führte zu einer Abgrenzung von der sogenannten experimentellen<br />

Ökonomie. Diese Abgrenzung scheint vor allem aus der Einsicht nötig, daß<br />

natürliche Situationsgegebenheiten entscheidend zum Verstehen menschlichen<br />

Verhaltens beitragen. Camerer und Loewenstein (ebd., S.8) weisen auf das<br />

Selbstverständnis verhaltenswissenschaftlicher Ökonomen hin, wenn sie<br />

erklären:<br />

…, behavioral economists are methodological eclectics.<br />

Das heißt, daß sich diese Forschungsrichtung nicht über die verwendeten<br />

Methoden charakterisieren lassen will, aber wie die Ausführungen bis zu<br />

diesem Punkt zeigen sollen, durch die grundlegende Anwendung<br />

psychologischer Erkenntnisse.<br />

Zu ihrer Berechtigung als anerkannte wissenschaftliche<br />

Forschungsrichtung gibt es nach wie vor Kritik. Diese bezieht sich einerseits<br />

auf die von ihr verwendeten Methoden, und andererseits auf ihren Umgang in<br />

32


der Frage der Annahmen (vgl. Rabin, 2002). 47<br />

Stigler (1965, zitiert nach Camerer und Loewenstein, 2003, S. 4) meint,<br />

daß „eine Theorie an drei Kriterien gemessen werden muß: Ihrer<br />

Übereinstimmung mit der Realität, ihrer Allgemeingültigkeit und ihrer<br />

Handhabbarkeit“. Demonstriert am Beispiel der intertemporalen<br />

<strong>Entscheidung</strong>stheorie zeigen diese Kriterien ein zyklisches Muster.<br />

Wurde mit dem Übergang zum „Discounted Utility Modell“ die Nähe<br />

zur Realität, der Handhabbarkeit geopfert, wurde die Handhabbarkeit im Laufe<br />

der Formalisierung zu Gunsten der Allgemeingültigkeit zurückgedrängt, um nun<br />

wieder Teile dieser, für die Realitätsnähe aufzugeben. Eine begrüßenswerte<br />

Entwicklung, wie es Rabin (2002, S. 673) zum Ausdruck bringt:<br />

It is odd on the one hand to be told … that economists must forego<br />

behavioral realism for the sake of keeping our models simple – when on<br />

the other hand we are holding a copy of Econometrica.<br />

1.4.3 Ausblick<br />

Bis zum jetzigen Zeitpunkt stellt die verhaltenswissenschaftliche<br />

<strong>Entscheidung</strong>sforschung den Hauptarbeitsbereich dieser Forschungsrichtung dar<br />

(vgl. Camerer und Loewenstein, 2002). Zu den am meist diskutierten Themen<br />

zählen <strong>Entscheidung</strong> unter Unsicherheit sowie intertemporale <strong>Entscheidung</strong>en.<br />

Die von verhaltenswissenschaftlichen Ökonomen generierten Modelle in der<br />

Diskussion intertemporaler <strong>Entscheidung</strong>en (Hyperbolische<br />

Diskontierungsmodelle) bilden den zweiten Hauptteil des Kapitel Zwei (Abs.<br />

2.4 idA.).<br />

47 Camerer (1998, S. 174) nennt drei Gründe warum Ökonomen sich weigern die Hyperbolische<br />

Diskontierung zu gebrauchen. Erstens die Ignoranz gegenüber den empirischen<br />

Forschungsergebnissen. Zweitens die Konfusion über den normativen versus den deskriptiven<br />

Anspruch dynamischer Konsistenz. Drittens die Unsicherheit sich von exponentiellen Modell zu<br />

trennen und trotzdem noch analytische Ökonomie zu betreiben. Während der zweite Punkt Fragen der<br />

Methode aufwirft, thematisiert Punkt Drei das Problem, wie Ökonomie betrieben werden soll. Für<br />

Camerer ist die Sachlage allerdings einfach: Das Hyperbolische Diskontierungsmodell bietet eine<br />

zwei Parameter funktionale Form, die für Personen gebraucht werden kann, die sich dynamisch<br />

konsistent verhalten und auch für alle die es nicht tun.<br />

33


Weitere Forschungsarbeiten beschäftigen sich mit Fragen der<br />

Referenzabhängigkeit und Verlustaversion, mit Präferenzen bezüglich<br />

risikobehafteter und unsicherer Erträge, mit Fairneß und sozialen Präferenzen<br />

sowie der verhaltenswissenschaftlichen Spieltheorie.<br />

Die Ergebnisse dieser Arbeiten lassen sich auf so verschiedene Gebiete<br />

wie die Makroökonomie, das Sparverhalten, die Arbeitsmarktökonomie,<br />

Ökonomie und Recht und auch auf Prozesse von Finanzmärkten anwenden. Zu<br />

den neueren Orientierungen zählen, die sogenannte „Case-Based-Decision<br />

Theory“, weiters das Studium der Emotionen in Hinsicht auf <strong>Entscheidung</strong>en<br />

und, wie im nächsten Abschnitt gezeigt werden soll, neurowissenschaftliche<br />

Evidenzen.<br />

Tatsächlich ist der Übergang von der verhaltenswissenschaftlich orientierten<br />

Ökonomie zur Neuroökonomie ein fließender, aber in der Perspektive ein<br />

dramatisch anderer.<br />

1.5 Neuroeconomics<br />

(Neuroökonomie)<br />

Während sich verhaltenswissenschaftliche Ökonomen bisher damit begnügen<br />

mußten beobachtbares menschliches Verhalten zu analysieren, verbunden mit<br />

der Problematik der Beobachtung an sich (vgl. Wilke, 1996, S. 12–38), geht die<br />

Neuroökonomie einen Schritt weiter. Stellte die Schädeldecke bis vor kurzem<br />

eine natürliche Grenze der Beobachtungsmöglichkeit dar, gilt der Spruch: „Kein<br />

Mensch kann in einen anderen hineinschauen“, nur mehr bedingt. Diese<br />

Entwicklung in der Methode wird möglich durch neue technische<br />

Errungenschaften, wie der funktionalen Kernspintomographie.<br />

Neuroökonomie (Camerer, Loewenstein und Prelec, 2004a; sowie 2004b) stellt<br />

den Versuch dar, Erkenntnisse über das Funktionieren des menschlichen<br />

Gehirns gezielt für die ökonomische Theorie zu gebrauchen. Sie öffnet die<br />

bisher verschlossene Black-Box Gehirn, in etwa so wie die<br />

34


Organisationsökonomie die Black-Box Unternehmung. 48 Die Bedenken, die<br />

Jevons (1871, zitiert nach Camerer, Loewenstein und Prelec, 2004a, S.556)<br />

noch Ende des 19. Jahrhunderts bezüglich der Meßbarkeit von Gefühlen<br />

äußerte, scheinen am Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr zu gelten, und ein<br />

Rückzug auf enthüllte Präferenzen scheint nicht mehr der letzte Ausweg:<br />

I hesitate to say that men will ever have the means of measuring directly<br />

the feelings of the human heart. It is from the quantitative effects of the<br />

feelings that we must estimate their comparative amounts.<br />

Auch wenn der Forschungsbereich der Neuroökonomie erst am Beginn seiner<br />

Arbeit steht, konnte er bereits jetzt einige interessante Aspekte, besonders für<br />

das hier verfolgte Thema des menschlichen <strong>Entscheidung</strong>sverhalten, beisteuern.<br />

Besonders im Fall der Annahme einer strikten Rationalität, von der im<br />

neoklassischen Paradigma ausgegangen wird, scheint sich eine neue Ansicht<br />

durchzusetzen, die die Bedeutung von Gefühlen, Emotionen und Affekten für<br />

das menschliche Verhalten, und in Folge für die menschliche Wirtschaft<br />

erkennt. Die Zeit für den homo oeconomicus, so sind sich eine Vielzahl<br />

führender Ökonomen einig, scheint abgelaufen (siehe z.B. Thaler, 2000; oder<br />

Kopcke, Little und Tootell, 2004). Die Einsicht der Bedeutung von Emotionen<br />

(Elster, 1996 und 1998), Triebbedürfnissen (Loewenstein, 1996) und Affekten<br />

(Loewenstein und Lerner, 2003) im menschlichen <strong>Entscheidung</strong>sprozeß, die<br />

sich teilweise wider der Rationalität, im Sinne von Verstand und Vernunft,<br />

verhalten, wird durch Erkenntnisse der Neurobiologie gestützt.<br />

Eine Haupterkenntnis, die sich für die ökonomische Theorie ableiten<br />

läßt, ist die Tatsache, daß das Gehirn ein komplexes System mit komplexen<br />

Subsystemen und Schaltungen ist. Diese Subsysteme, von denen in Folge zu<br />

sprechen sein wird, interagieren teilweise miteinander, teilweise verfolgen sie<br />

aber auch ihre eigenen Ziele, und befinden sich so im Konflikt miteinander. 49<br />

48 Vgl. z.B. Martin Ricketts (2002).<br />

49 Eine Erkenntnis, die bereits von Sigmund Freud schematisch vorgetragen wurde. In seinem<br />

Strukturmodell unterscheidet er so zwischen dem Ich und Es sowie dem Über-Ich. Diese über lange<br />

Zeit angefeindete Theorie gewinnt durch die Erkenntnisse der Hirnforschung wieder an Aktualität<br />

(vgl. Lakotta, 2005; Roth, 2003, S. 430–441). Der Versuch im dritten Kapitel einen interdisziplinären<br />

Ansatz zu entwickeln basiert zum Teil auf diesem, von Freud vorgetragenem Modell.<br />

35


1.5.1 Methodik<br />

Neurowissenschaftler nützen eine Vielzahl von Methoden, so zum Beispiel<br />

funktionelle Bildgebung, Psychopathologie und das Verhalten von Patienten mit<br />

Gehirnschäden. Weitere Methoden sind die Messung der Aktivität einzelner<br />

Neuronen, elektrische Gehirnstimulationen, psychophysikalische Messungen<br />

und Diffusion Tensor Bildgebung. Einzelne oder mehrere dieser Methoden<br />

werden dann von ihnen kombiniert, um herauszufinden wie das menschliche<br />

Gehirn arbeitet (vgl. Camerer, Loewenstein und Prelec, 2004b, S. 4–10; und<br />

Roth, 2003, S. 124–128). Die funktionelle Bildgebung ist dabei „the great leap<br />

forward“ (Camerer, Loewenstein und Prelec, 2004a, S. 557) in den<br />

Neurowissenschaften. Meistens beinhaltet diese Methode einen Vergleich<br />

menschlicher Gehirnaktivität bei der Erfüllung unterschiedlicher Aufgaben,<br />

zum Beispiel einer experimentelle Aufgabe A und einer Kontrollaufgabe B. Aus<br />

der Differenz der dabei gewonnenen Bilder kann auf die aktiven Bereiche des<br />

Gehirns geschlossen werden. Die modernste Art dieser Methode wird als<br />

funktionelle Kernspintomographie (fNMR, fMRI) bezeichnet. 50<br />

1.5.2 Grundlegender Aufbau und Funktionsweise des menschlichen Gehirns<br />

Eine drastisch verkürzte Darstellung des Aufbaus und Funktionierens des<br />

menschlichen Gehirns soll die Ansatzpunkte aufzeigen, die sich die<br />

ökonomische Theorie zukünftig zu Nutze machen kann (vgl. Camerer,<br />

Loewenstein und Prelec, 2004b). 51<br />

50 Vgl. Roth (2003, S. 127): „Bei der fMRI wird die Tatsache ausgenützt, daß sauerstoffreiches und<br />

sauerstoffarmes Blut unterschiedliche magnetische Eigenschaften besitzen. Dies nennt man BOLD-<br />

(d.h. blood-oxygen-level-dependent) Effekt. Dadurch lassen sich sowohl Schwankungen im<br />

Sauerstoffgehalt des Blutes als auch Unterschiede im lokalen Blutfluß in Abhängigkeit von der<br />

leistungsbedingten Stoffwechselaktivität des Gehirns feststellen und bildlich darstellen. Der BOLD-<br />

Effekt zeigt an, wo im Gehirn die neuronale Aktivität lokal erhöht ist (vgl. Abb. 7.5).“<br />

51 Für eine ausführliche Darstellung der Neurowissenschaften im deutschsprachigen Raum, im<br />

speziellen über Aufbau und Funktionieren des menschlichen Gehirns siehe Gerhard Roth (2003).<br />

Diese Arbeit bietet darüber hinaus eine Vielzahl von Komplementärthemen, besonders herauszuheben<br />

ist die Diskussion rund um das Thema „Geist – Gehirn – Problem“.<br />

36


Die nachfolgende Abbildung 1-3 zeigt eine schematische Darstellung eines<br />

Teiles jener Bereiche des Gehirns, die für Ökonomen von Interesse sein<br />

könnten und die in den folgenden Ausführungen zur Sprache kommen.<br />

Abbildung 1-3: Das menschliche Gehirn mit einigen ökonomisch relevanten Teilbereichen<br />

Quelle: Camerer, Loewenstein und Prelec (2004a, S. 559).<br />

Das Ziel das Neurowissenschaftler verfolgen ist es aber nicht allein eine<br />

Landkarte des Gehirns zu erstellen, sondern herauszufinden welche<br />

Gehirnbereiche durch verschiedene Aktivitäten und Aufgaben aktiviert werden,<br />

und um die Funktionsweise und das Zusammenspiel dieser Bereiche zu<br />

verstehen, so zum Beispiel wie das Gehirn auf unterschiedlichste<br />

Problemstellungen reagiert.<br />

Grob gesagt kann man zwischen zwei zentralen Dimensionen im Funktionieren<br />

des Gehirns unterscheiden. Einerseits zwischen kontrollierten und<br />

automatischen Prozessen und andererseits zwischen kognitiv-exekutiven und<br />

affektiv-emotionalen Prozessen, die sich wahlweise gegenseitig überlappen.<br />

37


1.5.2.1 Kontrollierte Prozesse<br />

Kontrollierte Prozesse hängen stark von der Bereitstellung kognitiver<br />

Ressourcen ab, sie benötigen Aufmerksamkeit und Bewußtsein, sie laufen<br />

langsam ab und sind mit dem subjektiven Gefühl einer Anstrengung verbunden.<br />

Kontrollierte Prozesse sind sprachlich berichtbar. <strong>Entscheidung</strong>sbäume und<br />

dynamische Programmierung können zum Beispiel als stilisierte<br />

Repräsentationen davon gesehen werden. Allgemein zeigen kontrollierte<br />

Prozesse eine multimodale, auf die Verarbeitung komplexer und<br />

bedeutungshafter Inhalte ausgerichtete Informationsverarbeitung. Sie beruhen<br />

auf serieller Informationsverarbeitung, die in den assoziativen Cortexarealen in<br />

enger Zusammenarbeit mit der Hippocampus-Formation und der umgebenden<br />

Rinde, dem basalen Vorderhirn und anderen subcortikalen Zentren stattfindet<br />

(vgl. Roth, 2003, S. 238)<br />

1.5.2.2 Automatische Prozesse<br />

Sehr vieles im menschlichen Gehirn folgt automatischen Prozessen. Diese<br />

laufen schnell und mühelos ab, sie sind unabhängig von der Begrenzung<br />

kognitiver Ressourcen, ihre willentliche Kontrolle ist schwach oder nicht<br />

vorhanden. Aufmerksamkeit und Bewußtsein sind nicht notwendig, ihre<br />

Fehleranfälligkeit ist gering und sie verbessern sich durch Übung, sind aber<br />

gleichzeitig schwer veränderbar, wenn sie erst einmal eingeübt sind. Ihnen liegt<br />

eine überwiegend parallele Informationsverarbeitung zugrunde. Als Orte dieser<br />

Prozesse werden der unimodale sensorische und der primäre motorische Cortex,<br />

die Brücke, das Cerebellum, sowie die subcortikalen limbischen (Amygdala)<br />

und motorischen Zentren angenommen (vgl. ebd, S. 237f). Da der Mensch nur<br />

eine geringe oder überhaupt keine Einsicht in diesen Prozeß hat, und diese auch<br />

nicht willentlich oder nur schwach kontrollieren kann, folgt das Verhalten, das<br />

durch diesen Prozeß erzeugt wird, nicht unbedingt den normativen Axiomen der<br />

Wahl.<br />

38


Die zweite Dimension unterscheidet zwischen kognitiv exekutiven und affektiv<br />

emotionalen Prozessen. In die Alltagssprache übersetzt spiegeln diese beiden<br />

Prozesse die Unterscheidung zwischen Verstand und Gefühlen wider. In der<br />

Gehirnforschung läßt sich eine Differenzierung nach den an den Prozessen<br />

beteiligten Gehirnbereichen vornehmen.<br />

1.5.2.3 Kognitiv-exekutive Prozesse<br />

Zum kognitiven Gehirn zählen all diejenigen Gehirnteile, die mit komplexer<br />

Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Denken, Vorstellen und Erinnern zu tun<br />

haben. Dazu gehören neben den sensorischen Gebieten innerhalb und außerhalb<br />

der Großhirnrinde vor allem Teile des parietalen, temporalen und frontalen<br />

Assoziationscortex. Zum exekutiven Gehirn gehören die Teile, die mit der<br />

Planung, Vorbereitung und Kontrolle von Handlungen zu tun haben. Auf Ebene<br />

der Großhirnrinde zählen dazu der präfrontale Cortex und Teile des parietalen<br />

Cortex, auf allocorticaler Ebene der anteriore cinguläre Cortex und auf<br />

subcorticaler Ebene die anterioren, medialen und intralaminären Kerne (vgl.<br />

ebd, S. 129).<br />

1.5.2.4 Affektiv-emotionale Prozesse<br />

Affektiv-emotionale Prozesse sind aufs Engste mit dem limbischen System<br />

verbunden. Limbisch sind diejenigen Strukturen, die mit emotional-affektiven<br />

Zuständen in Verbindung mit Vorstellungen, Gedächtnisleistungen, Bewertung,<br />

Auswahl und Steuerung von Handlungen zu tun haben, und zwar unabhängig<br />

davon, ob diese Leistungen und Zustände bewußt oder unbewußt ablaufen. Zum<br />

limbischen System gehören Kerngebiete im Mittelhirn, Zwischenhirn und<br />

Endhirn und hier insbesondere die Amygdala (vgl. ebd., S. 256). Die Amygdala<br />

ist hauptverantwortlich für eine Vielzahl automatisch affektiver Reaktionen, vor<br />

allem für Angstgefühle und spielt bei <strong>Entscheidung</strong>sverhalten, wie noch zu<br />

zeigen sein wird, eine hervorstechende Rolle. Das menschliche Verhalten ist<br />

sehr stark beeinflußt von diesem feingesteuerten affektiv-emotionalen System,<br />

39


welches unabdingbar für das tägliche Funktionieren ist. Ist diese gestört oder<br />

verletzt, wie zum Beispiel bei Gehirnverletzungen, Streß, einem<br />

Ungleichgewicht in der Konzentration der Neurotransmitter 52 , oder bloß durch<br />

die Leidenschaft des Augenblicks, ist das kognitiv-exekutive System, obwohl<br />

vollkommen in Takt, nicht in der Lage das Verhalten zu regulieren (vgl.<br />

Camerer, Loewenstein und Prelec, 2004b, S. 3).<br />

Das Ausmaß des Zusammenspiels oder auch des Konfliktes zwischen kognitiv-<br />

exekutiven und affektiv-emotionalen Prozessen hängt vor allem von der<br />

Intensität des Affektes und der Emotion ab (vgl. ebd., 26–29; siehe auch<br />

Loewenstein, 1996). Auf niedrigen Intensitätsstufen scheint es, daß Affekte<br />

und Emotionen eine Beraterfunktion des Verstandes einnehmen. Sie können<br />

dem Verstand zum Teil dabei behilflich sein überhaupt zu einer <strong>Entscheidung</strong><br />

zu kommen, in dieser Form treten sie als Somatic Markers in Erscheinung. 53<br />

Auf mittleren Intensitätsstufen wird ein Konflikt zwischen Affekten, Emotionen<br />

und dem Verstand bewußt. Auf dieser Ebene kommen all die Anstrengungen der<br />

menschlichen Selbstkontrolle ins Spiel, die im weiteren Verlauf dieser Arbeit<br />

noch eine elementare Rolle einnehmen werden. Auf höchsten Intensitätsstufen<br />

können Affekte und Emotionen so stark werden, daß jedes bewußte Entscheiden<br />

entfällt.<br />

Camerer, Loewenstein und Prelec (2004b, S. 85) fassen die zwei Dimensionen<br />

schematisch in vier Quadranten (vom Autor adaptiert nach Roth, 2003) und<br />

geben ein abschließendes Beispiel zum Verständnis des komplexen<br />

Zusammenspiels dieser Prozesse (Camerer, Loewenstein und Prelec, 2004b, S.<br />

14; vom Autor in die Abbildung 1-4 einbezogen).<br />

52 Neurotransmitter oder Botenstoffe, wie Acetylcholin, Noradrenalin, Serotonin und Dopamin sind<br />

verantwortlich für die Erregungsübertragung bei chemischen Synapsen. Für eine ausführliche<br />

Darstellung ihrer Funktonen siehe z.B. Roth (2003, 112-122) oder Manuck, Flory, Muldoon und<br />

Ferrell (2004). Manuck et al heben besonders das Wirken des Neurotransmitters Serotonin im<br />

Zusammenhang mit intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>en hervor. Serotonin spielt eine ursächliche Rolle<br />

bei impulsiven Verhalten bzw. der Impulskontrolle.<br />

53 Der Ausdruck „Somatic Marker“ geht auf Damasio (1994, nach Camerer, Loewenstein und Prelec,<br />

2004b, S.27) zurück und bezeichnet eben diese hier angesprochene Funktion.<br />

40


Abbildung 1-4: Die vier elementaren Gehirnprozesse<br />

Kontrollierte Prozesse<br />

Benötigen kognitive<br />

Ressourcen<br />

Brauchen<br />

Aufmerksamkeit und<br />

Bewußtsein<br />

Laufen langsam ab<br />

Sind mit Anstrengung<br />

verbunden<br />

Sind sprachlich<br />

berichtbar<br />

Beruhen auf serieller<br />

Informationsverarbeitung<br />

Automatische Prozesse<br />

Sind unabhängig von<br />

kognitiven Ressourcen<br />

Benötigen keine<br />

Aufmerksamkeit und<br />

Bewußtsein<br />

Laufen schnell ab<br />

Sind mit keiner<br />

Anstrengung verbunden<br />

Sind sprachlich<br />

berichtbar<br />

Beruhen auf paralleler<br />

Informationsverarbeitung<br />

Kognitiv-exekutive<br />

41<br />

Prozesse<br />

I<br />

Quadrant I is in charge<br />

when you deliberate<br />

about whether to<br />

refinance your house,<br />

or poring over presentvalue<br />

calculations<br />

III<br />

Quadrant III governs<br />

the movement of your<br />

hand as you return<br />

serve<br />

Quelle: Camerer, Loewenstein und Prelec (2004b, S. 14 und 85).<br />

Affektiv-emotionale<br />

Prozesse<br />

II<br />

Quadrant II is<br />

undoubtedly the rarest in<br />

pure form. It is used by<br />

„method actors“ who<br />

imagine previous<br />

emotional experiences to<br />

fool audiences into<br />

thinking they are<br />

experiencing those<br />

emotions<br />

IV<br />

Quadrant makes you<br />

jump when somebody<br />

says „Boo“!<br />

In welcher Weise können nun, die hier aufgezeigten Erkenntnisse der Ökonomie<br />

dienbar sein? (vgl. Camerer, Loewenstein und Prelec, 2004a, 572–575). Erstens<br />

geht es sicherlich darum das grundlegende Verständnis bezüglich menschlichen<br />

Verhaltens zu ändern. Gängige ökonomische Modelle basieren zumeist allein<br />

auf kognitiv-exekutive-kontrollierten Prozessen (Quadrant I in Abbildung 1-4),<br />

sprich bewußtem Rationalverhalten. Wie die Erkenntnisse der Hirnforschung<br />

ahnen lassen, könnte es hilfreich sein diese Sichtweise um automatisch-<br />

affektiv-emotionale Prozesse zu erweitern. Im Bereich intertemporaler<br />

<strong>Entscheidung</strong>en wird zum Beispiel davon ausgegangen, daß das Maß der<br />

Zeitpräferenz eines Individuums konstant, sowohl über die Zeit als auch über


verschiedenste Güter ist (vgl. Camerer, Loewenstein und Prelec, 2004b, S. 31f).<br />

Bedenkt man nun die Modularität des Gehirns, mag es zwar sein, daß<br />

verschiedene intertemporale <strong>Entscheidung</strong>en einen Planungsbereich gemein<br />

haben, aber ist es auch so, daß diese <strong>Entscheidung</strong>en ebenfalls von gänzlich<br />

anderen und verschiedenen Bereichen beeinflußt werden. Die Folge, daß<br />

empirische und experimentell beobachtete Raten der Zeitpräferenz schwach,<br />

oder gar nicht korreliert sind, ist evident (vgl. Abs. 2.3.1 idA.).<br />

Die hier aufgezeigten Einsichten könnten aber auch dienbar gemacht<br />

werden für Bereiche, wie die „Theorie der Präferenzen“, für den Einfluß von<br />

Fairneß und Altruismus in der Spieltheorie, für <strong>Entscheidung</strong>en unter<br />

Unsicherheit und Risiko, für die Analyse von Diskriminierungen am<br />

Arbeitsmarkt oder im Bereich der Wohlfahrtsökonomie (vgl. ebd., S. 40-60).<br />

Neurowissenschaftler fragen das Gehirn, nicht die Person. Ihre<br />

Erkenntnisse können dabei helfen Standardmodelle zu verfeinern, indem<br />

zusätzliche Variablen zu konventionellen hinzugefügt werden, um spezielle<br />

funktionale Formen zu entwickeln oder, um überhaupt neue Modelle zu<br />

entwickeln, die radikal neue Formulierung erlauben, wie von Camerer,<br />

Loewenstein und Prelec (ebd., S. 2) beschrieben:<br />

The radical approach involves turning back the hands of time and asking<br />

how economics might have evolved differently if it had been informed<br />

from the start by insights and findings now available from neuroscience.<br />

Der abschließenden kritischen Frage ob, und inwieweit sich die ökonomische<br />

Theorie diesen Erkenntnissen bedienen sollte, antwortet Camerer (1998, S.<br />

177), wie folgt:<br />

Imagine a group of astronomers who theorize about the moon, using only<br />

observations from a weak telescope, or geologists who theorize about the<br />

earth’s core using only evidence from earthquakes and volcanos. Suddenly<br />

they have a spaceship, or a huge drill. Should they use these tools to<br />

check whether the assumptions they make about the moon and the earth –<br />

previously beyond their observational reach – are correct or not? Of<br />

course, they should! I think economists will soon be in a similar position<br />

with respect to the human brain.<br />

42


K a p i t e l 2<br />

2 Modelle der intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>sfindung<br />

… UN DER A W IDE R AN GE O F C IRCUM S TANCES<br />

IN D IV ID U A L[ S] [ …] BEHAVE AS IF THE Y WERE<br />

SEE K IN G R AT ION A LLY TO M AX IM IZE THE IR<br />

[ UT ILITY] …<br />

43<br />

FR IEDM AN 54<br />

Die Aufgabe, die ich mir in diesem Kapitel gestellt habe ist es, die<br />

verschiedenen Modelle der intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>sfindung, die im<br />

Verlauf der letzten hundert Jahre entwickelt wurden, darzustellen. Diese<br />

Modelle haben zweierlei Zweck, erstens sollen sie die Aufgabe erfüllen die<br />

Frage zu beantworten, wie unter gegebenen Umständen zu entscheiden ist,<br />

zweitens sollen sie die Aufgabe erfüllen menschliches <strong>Entscheidung</strong>sverhalten<br />

zu beschreiben. Idealerweise sollte ein und dasselbe Modell im Stande sein<br />

gleichzeitig beide Aufgaben, der präskriptiven wie deskriptiven Art, zu<br />

erfüllen. Im Laufe dieses Kapitels werde ich einerseits zu zeigen versuchen, daß<br />

das von der neoklassischen Ökonomie dazu erkorene Modell (das Discounted<br />

Utility Modell) wohl normativ unbestritten, aber positiv kritisiert werden muß.<br />

Andererseits muß das von verhaltenswissenschaftlichen Ökonomen generierte<br />

Modell der Hyperbolischen Diskontierung, das sich als Antwort auf die<br />

Unzulänglichkeiten des Standardmodells positioniert, und sich als<br />

allgemeingültiges deskriptives Modell versteht, ebenfalls kritisiert werden.<br />

Der Aufbau dieses Kapitels gestaltet sich in eben dieser Weise.<br />

Beginnend mit dem klassischen Modell von Fisher (1930), über eine<br />

ausführliche Präsentation des verfeinerten Standardmodells (Samuelson, 1937;<br />

und Koopmans, 1960), werden im Anschluß verschiedene Anomalien<br />

(Loewenstein und Thaler, 1989; sowie Loewenstein und Prelec, 1992), die im<br />

Widerspruch zum deskriptiven Anspruch stehen beobachtet. Ausgehend von<br />

diesen Abweichungen, und unter besonderer Berücksichtigung des Problems<br />

inkonsistenter Zeitpräferenzen (Ainslie, 1975), wird daran anschließend die<br />

54 Friedman (1953, S. 21). Zitat vom Autor adaptiert.


Generierung des „Hyperbolischen Diskontierungsmodells“ (Elster und<br />

Loewenstein, 1992) verfolgt. Die verschiedenen formalen Arten dieser<br />

Diskontierungsart werden dargestellt und abschließend einer Kritik unterzogen.<br />

Als Teil dieser Kritik wird ein alternatives Modell, das als „Subadditive<br />

Diskontierung“ (Read, 2001) bezeichnet wird, behandelt.<br />

Am Anfang dieses Kapitels werden zunächst aber notwendigerweise die<br />

allgemeinen Termini und formalen Darstellungen, wie sie in der<br />

intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>stheorie gebraucht werden, eingeführt (vgl.<br />

Ahlbrecht und Weber, 1995; Frederick, Loewenstein und O`Donoghue,2002;<br />

Laibson, 2004; sowie Read, 2003).<br />

2.1 Terminologie der intertemporalen <strong>Entscheidung</strong> im neoklassischen<br />

Paradigma<br />

In intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>smodellen wird angenommen, daß sich der<br />

gesamte Nutzen<br />

t<br />

U eines Individuums, als diskontierte Summe des<br />

gegenwärtigen und zukünftigen Nutzens eines Konsumprofils ( ct ,..., c T )<br />

darstellen läßt. Im speziellen wird angenommen, daß ein Individuum im<br />

Mehrperiodenfall in jeder Periode t Güter im Ausmaß c( t ) konsumiert. Der<br />

subjektive Wert des entsprechenden Konsumprofils ( ct ,..., c T ) läßt sich unter den<br />

Annahmen der Vollständigkeit, Transitivität und Stetigkeit, 55 als ordinale<br />

intertemporale Nutzenfunktion der Form:<br />

(Formel 2-1)<br />

darstellen. 56<br />

T −t<br />

∑ ,<br />

t<br />

U ( c ,..., c ) = Φ(<br />

τ ) u( c τ )<br />

t T t+<br />

τ = 0<br />

55 Zu den generellen Annahmen siehe u.a.: Gravelle und Rees (1992, S. 68–79). Für den speziellen<br />

Fall intertemporaler Nutzenfunktionen siehe zum Beispiel Ahlbrecht und Weber (1995, S. 537-543).<br />

56<br />

In dieser Arbeit werden die Diskontierungsfunktionen vorderhand in zeitlich diskreter Form<br />

44


In dieser funktionalen Form beschreibt u( ct + τ ) die momentane Nutzenfunktion –<br />

den unmittelbaren Nutzen des Konsums in Periode t + τ . Die<br />

Diskontierungsfunktion Φ ( τ ) - sie stellt die Hauptkomponente intertemporaler<br />

<strong>Entscheidung</strong>smodelle dar, und ist das zentrale Element indem sich die<br />

verschiedenen Modelle, die im Laufe dieses Kapitels betrachtet werden<br />

unterscheiden - mißt das relative Gewicht des Nutzens im Bewertungszeitpunkt<br />

t . Zu ihren Charakteristika zählen die Diskontierungsrate ρ und der<br />

Diskontierungsfaktor δ (für die formale Darstellung siehe den nächsten<br />

Absatz). Die Zeitspanne zwischen dem Bewertungszeitpunkt und dem<br />

Konsumationszeitpunkt wird durch τ beschrieben. Da in den meisten Fällen<br />

davon ausgegangen wird, daß das Individuum zukünftige Güter weniger hoch<br />

bewertet als Gegenwärtige (positive Zeitpräferenz), postulieren die in Folge<br />

dargestellten Modelle, daß Φ ( τ ) in τ abnimmt. Ist die Diskontierungsfunktion<br />

eine abnehmende Funktion in der Zeit, wird das Individuum als ungeduldig<br />

bezeichnet. 57 Es gilt Φ( τ ) ≥ 0 für alleτ , und Φ (0) = 1.<br />

Die Diskontierungsfunktion Φ ( τ ) wird gegebenenfalls als Diskontierungsrate<br />

ρ angegeben. Diese mißt die proportionale Änderung des Wertes von Φ ( τ )<br />

über eine bestimmte Zeitperiode - meist ein Jahr. Der Diskontierungsfaktor δ<br />

gibt den Teil jenes Wertes an, der nach der spezifizierten Zeitspanne τ<br />

verbleibt, und drückt die individuelle Zeitpräferenz aus.<br />

Gegeben eine Zeitspanne τ ≥ 1,<br />

gilt für die Diskontierungsrate ρ :<br />

(Formel 2-2)<br />

Φ( τ ) - Φ(<br />

τ -1)<br />

ρ( τ ) = -<br />

Φ(<br />

τ -1)<br />

und für den Diskontierungsfaktor δ gilt:<br />

dargestellt. Für die entsprechenden Darstellung in stetiger Form siehe zum Beispiel Laibson (2003,<br />

S. 4 f).<br />

57 Siehe dazu Definition 3 und Theorem 8 in Ahlbrecht und Weber (1995, S. 548).<br />

45<br />

,


(Formel 2-3)<br />

Φ(<br />

τ )<br />

δ ( τ ) = = 1 − ρ( τ )<br />

Φ( τ −1)<br />

Für die ökonomische Analyse intertemporaler <strong>Entscheidung</strong>en, werden zwei<br />

gegebene Konsumprofile verglichen. Es gilt, ein Konsumprofil ( ct ,..., c T ) wird<br />

gegenüber einem Konsumprofil ( c′ t,...,<br />

c′<br />

T ) präferiert, wenn und nur wenn,<br />

(Formel 2-4)<br />

T −t T −t<br />

∑ ∑<br />

Φ ( τ ) u( c ) > Φ(<br />

τ ) u( c′<br />

)<br />

t+ τ t+<br />

τ<br />

τ = 0 τ = 0<br />

Um dies für das in dieser Arbeit verfolgte Beispiel, der <strong>Entscheidung</strong> zwischen<br />

unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung (UB) und langfristigem Wohlergehen<br />

(LW) zu spezifizieren (vgl. Read und Roelofsma, 2003, S. 141):<br />

Wenn ein Individuum sich zwischen UB zum Zeitpunkt t 1 und LW zum<br />

Zeitpunkt t 2 zu entscheiden hat, ist er bezüglich dieser beiden Optionen<br />

indifferent, wenn und nur wenn:<br />

δ −<br />

t2 t1<br />

(Formel 2-5) UB = LW .<br />

Im allgemeinen wird angenommen, daß der Wert von δ zwischen 0 und 1 liegt.<br />

In diesen Fall spricht man von positiver Zeitpräferenz. Höhere Werte von δ<br />

implizieren größere Geduld, da dies bedeutet, daß eine geringere Prämie pro<br />

Zeitperiode benötigt wird, um das Warten auf den Ertrag zu rechtfertigen.<br />

Ist δ = 1 spricht man von perfekter Geduld, das heißt das Individuum<br />

ist indifferent bezüglich des Eintretens der Optionen. Dieses Verhalten ist<br />

Ausdruck der zeitlosen Identität (vgl. Abs. 1.2 idA.).<br />

Für den Spezialfall, daß δ > 1 wird das Individuum jeglichen Konsum<br />

endlos hinausschieben, da der Gegenwartswert mit der zeitlichen Entfernung<br />

der Option, bis zur Unendlichkeit zunimmt. Ein Verhalten, das bei Deflation<br />

beobachtet werden kann.<br />

46<br />

.


Nach dieser Abklärung der in der Literatur angewendeten Termini, wende ich<br />

mich nun den ersten Modellen für die intertemporale <strong>Entscheidung</strong>sfindung zu.<br />

Unter dem Titel „Klassische Modelle“, präsentiere ich jene Modelle, die<br />

gegeben die Umstände vorschreiben, wie sich ein rationaler Entscheider zu<br />

verhalten hat.<br />

2.2 Klassische Modelle<br />

In der präskriptiven Theorie gilt das Discounted-Utility-Modell (DU-Modell)<br />

(Samuelson, 1937) als Standardmodell für intertemporale <strong>Entscheidung</strong>en. Das<br />

DU-Modell verwendet einen konstanten Diskontierungsfaktor pro Zeiteinheit.<br />

Das vielleicht stärkste Argument für das Standardmodell bietet Strotz (1955-<br />

1956), der zeigt, daß das DU-Modell das einzig dynamisch konsistente Modell<br />

für <strong>Entscheidung</strong>en über die Zeit ist. Die Basis hierfür legt das Axiom der<br />

Stationärität von Koopmans (1960). Nach wie vor ist das DU-Modell zentral im<br />

Großteil präskriptiver Analysen der intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>stheorie (vgl.<br />

Ahlbrecht und Weber, 1995, S. 535).<br />

Die gedankliche und erste formale Basis für das DU-Modell schuf Irving<br />

Fisher. Ihm ist der nächste kurze Abschnitt gewidmet.<br />

2.2.1 Irving Fisher<br />

Irving Fisher (1930), inspiriert durch die Arbeiten seiner Vordenker (siehe Abs.<br />

1.3.2 idA.) ist der Erste, der das Schema der Indifferenzkurven auf<br />

intertemporale <strong>Entscheidung</strong>en anwendet. Gleich jeder anderen <strong>Entscheidung</strong><br />

bestimmt sich diese nach der marginalen Rate der Substitution (MRS). In<br />

diesem Fall bestimmt sich die <strong>Entscheidung</strong> nach der MRS zwischen dem<br />

Konsum Heute und dem Konsum Morgen (vgl. z.B. Gravelle und Rees, 1992, S.<br />

406-410). In den Worten von Daniel Read (2003, S. 3) klingt dieses normative<br />

Prinzip, wie folgt:<br />

47


Rational decision makers will borrow or lend so that their marginal rate of<br />

substitution between present and future money (i.e., the rate at which it<br />

can be exchanged while keeping utility constant) will equal the market<br />

interest rate.<br />

Gravelle und Rees (1992, S. 410) umschreiben es so:<br />

The consumer is in equilibrium where his subjective rate of interest is<br />

equal to the market rate of interest. In other words, the consumer lends<br />

up to the point at which the market interest rate is just sufficient to<br />

compensate for the marginal reduction in current consumption.<br />

Dieses dem intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>sfall zu Grunde liegende normative<br />

Prinzip läßt sich für den Zweiperiodenfall graphisch darstellen, wie in<br />

Abbildung 2-1 demonstriert.<br />

2.2.2 Das Discounted-Utility-Modell<br />

Das Discounted-Utility-Modell gilt als Standardmodell der modernen Form der<br />

intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>stheorie. Es stellt, in Fortführung der Arbeiten<br />

von Böhm-Bawerk 58 (1921) und Fisher (1930), das erste generelle Modell auf<br />

dem Gebiet der intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>stheorie dar.<br />

58 Loewenstein (1992, S. 19f) bemerkt, daß das DU-Modell effektiv gesehen, die von Böhm-Bawerk<br />

vorgetragenen Gründen für die Zeitpräferenz zweiteilt. Der erste Grund, die Verschiedenheit des<br />

Verhältnisses von Bedarf und Deckung in den verschiedenen Zeiträumen, wird durch die<br />

Nutzenfunktion gefaßt. Die systematische Unterschätzung der Zukunft findet ihren Ausdruck in der<br />

Diskontierungsfunktion, die unabhängig von den Konsumationsplänen ist.<br />

48


Abbildung 2-1: <strong>Intertemporale</strong> Optimierung<br />

Quelle: Gravelle und Rees (1992, S. 409, Fig. 15.2). Im Nutzenoptimum M*<br />

entspricht die Neigung der individuellen Indifferenzkurve u (MRS) der<br />

Neigung der Budgetgeraden Vo.<br />

Im Jahre 1937 veröffentlicht Paul A. Samuelson „A Note on Measurement<br />

Utility“. In diesem Artikel stellt er eine für diese Zeit neue Methode zur<br />

präzisen Messung des Grenznutzens des Einkommens zur Diskussion.<br />

Ursprünglich auf kardinaler Nutzenmessung beruhend ist sein Modell auf<br />

multiple Zeitperioden anwendbar. Samuelsons DU-Modell wurde später von<br />

Tjalling C. Koopmans (1960) axiomatisch hergeleitet, sodaß auch dem<br />

ordinalen Anspruch Genüge getan wurde. 59 Es basiert auf den zentralen<br />

Annahmen der strengen Unabhängigkeit der Präferenzen, als Grundlage für die<br />

additive Form der Nutzenfunktion, und der Eigenschaft der Stationärität (vgl.<br />

Loewestein, 1992, S. 21). Die Eigenschaft der Stationärität ist das zentrale<br />

59 In Folge der sogenannten „Ordinalen Revolution“ verliert das DU-Modell zeitweilig seinen<br />

wissenschaftlichen Anspruch. Koopmans (1960) jedoch gelingt die Formulierung eines Sets von<br />

Axiomen, welches die Art und Weise wie Menschen Konsumsequenzen reihen bestimmt, die<br />

zusammengenommen logisch dem DU-Modell entsprechen. In dieser Formulierung genügt das DU-<br />

Modell dem ordinalen Anspruch (vgl. Loewenstein, 1992, S. 20f).<br />

49


Axiom in Koopmans Werk (1960, Postulat 4, S. 295). Es bringt zum Ausdruck,<br />

daß der Verlauf der Zeit keinen Effekt auf die Präferenzordnung ausübt. 60 Die<br />

für das DU-Modell zentrale Eigenschaft ist die Konstanz der Diskontierungsrate<br />

ρ über die Zeit. 61 Alle früher diskutierten psychologischen Überlegungen<br />

bezüglich der Zeitpräferenz, verdichtet Samuelson einzig in diesem Parameter.<br />

Die Diskontierungsrate ist mithin Ausdruck der Höherschätzung der Gegenwart<br />

(vgl. Frederick, Loewenstein und O’Donoghue, 2002, S. 355f). 62<br />

Formal stellt sich das Modell, wie folgt dar:<br />

1 τ<br />

T −t<br />

ΦΦ<br />

Φ<br />

τ<br />

τ = = ⎛ ⎞<br />

U ct cT = ∑Φ<br />

u c 1<br />

t+<br />

τ<br />

⎜<br />

1 1 1 ρ<br />

⎟ .<br />

k = τ<br />

⎝ ⎠<br />

t<br />

(Formel 2-6) ( ,..., ) ( τ ) ( ) mit<br />

50<br />

( (<br />

) )<br />

Daraus folgt: Ein Konsumprofil ( ct ,..., c T ) wird gegenüber einem anderem<br />

Konsumprofil t<br />

Formel (2-7)<br />

( c′ ,..., c′<br />

) präferiert, wenn und nur wenn,<br />

T<br />

11 1 1 ττ τ τ 11<br />

1 1 ττ<br />

τ τ<br />

⎛ ⎞ ⎛ ⎞<br />

⎜<br />

1 1 1 1 ρ ρ<br />

⎟ u( c ) > ⎜<br />

1 1 1 1 ρ ρ<br />

⎟ u( c′<br />

) .<br />

⎝ ⎠ ⎝ ⎠<br />

T −t T −t<br />

∑ ∑<br />

t+ τ t+<br />

τ<br />

τ = 0 τ = 0<br />

60 Die Stationaritätseigenschaft, die eine zentrale Rolle in der axiomatischen Herleitung des DU-<br />

Modells spielt kann, wie folgt abgeleitet werden:<br />

Angenommen eine Person ist indifferent zwischen einer zusätzlichen Einheit x hinzugefügt zum<br />

Zeitpunkt t und einer zusätzlichen Einheit y > x zum Zeitpunkt t′, gegeben ein konstantes<br />

Basiskonsumationslevel ( c ) in allen Perioden. Daraus folgt:<br />

t t<br />

u( c x) u( c) ( u( c y) u( c)) δ ′−<br />

+ − = + −<br />

dividiert bei δ , ist<br />

t t<br />

u( c x) u( c) ( u( c y) u( c)) δ ′−<br />

+ − = + −<br />

zeigt, daß die Präferenz zwischen den beiden neuen Konsumbündeln allein abhängig ist vom<br />

absoluten Zeitintervall ( t − t′ ) , das die beiden trennt.<br />

61 Samuelson (1937, S. 156; Hervorhebung durch den Autor): „The individual discounts future utilities<br />

in some simple regular fashion which is known to us. […] we assume […] that the rate of discount of<br />

future utilities is a constant.”<br />

62 Frederick, Loewenstein und O’Donoghue (2002, S. 356–360) beschreiben einige der wichtigsten<br />

Eigenschaften des DU-Models, und sie beschäftigen sich darüber hinaus mit Fragen der normativen<br />

beziehungsweise positiven Gültigkeit der Annahmen.


t2 t1<br />

Entsprechend der Formel 2-5 idA.:<br />

UB = LW , gilt beispielsweise: Ist der<br />

Diskontierungsfaktor δ konstant und gleich 0.8 ( δ = 0.8), reduziert er bei einer<br />

Zeitspanne von zwei Perioden einen optionalen zukünftigen Wert von dann 100,<br />

51<br />

δ −<br />

2 2<br />

auf einen gegenwärtigen Wert von 64 ( UB = δ LW = 0.8 ∗ 100 ).<br />

Graphisch läßt sich ein Beispiel der beiden Optionen UB und LW, bei der zu<br />

t1 t2<br />

jedem Zeitpunkt t ≤ t1<br />

, LW präferiert wird ( δ UB < δ LW ), man spricht im<br />

obigen Sinn von Stationärität oder konsistenten Präferenzen, konstruieren wie<br />

in Abbildung 2-2 dargestellt.<br />

Abbildung 2-2: Diskontierungsfunktionen entsprechend dem DU-Modell<br />

Quelle: Kirby und Marakovic (1995, S. 23, Fig. 1; vom Autor adaptiert). Die<br />

Option UB ist zum Zeitpunkt t1 verfügbar, die Option LW ist in ihrem<br />

Wert größer, aber erst später zum Zeitpunkt t2 verfügbar. Beide<br />

Optionen werden entsprechend dem konstanten Diskontierungsfaktor δ<br />

auf den Gegenwartswert GW zum Zeitpunkt to abgezinst. Wie in der<br />

Graphik dargestellt ist der GW von LW zum Zeitpunkt to höher als der<br />

GW von UB. Der GW von LW ist aber auch für jeden Zeitpunkt der<br />

<strong>Entscheidung</strong> zwischen to und t1 größer als jener von UB. Fazit: Da die<br />

Zeit keinen Einfluß auf die <strong>Entscheidung</strong> hat, spricht man von einer<br />

konsistenten Präferenz über die Zeit.


Im nächsten Absatz wird nun die Kritik zum DU-Modell eingeleitet, die<br />

schließlich in der Entwicklung von alternativen Modellen gipfelt.<br />

Selbst für Samuelson (1937, S. 161) war sein Modell nicht als präskriptives<br />

Modell intertemporaler <strong>Entscheidung</strong>en gedacht:<br />

… any connection between utility as discussed here and any welfare<br />

concept is disavowed …<br />

Er beanspruchte auch nicht dessen deskriptive Gültigkeit und betonte, daß<br />

(ebd., S. 159; Zitat vom Autor ergänzt):<br />

…, it is completely arbitrary to assume that the individual behaves so as<br />

to maximize an integral of the form envisaged in [the DU model].<br />

Zentral ist seine Kritik auch in Bezug auf den homo oeconomicus, den<br />

ökonomischen Menschen, der dem Modell zu Grunde liegt (ebd., S. 160):<br />

…, it is extremely doubtful whether we can learn much from considering<br />

such an economic man, whose tastes remain unchanged, who seeks to<br />

maximise some functional of consumption alone, in a perfect world,<br />

where all the things are certain and synchronised.<br />

Trotz Samuelsons manifester Einschränkungen und Bedenken, die Einfachheit<br />

und Eleganz seiner Formulierungen schienen unwiderstehlich. Samuelsons<br />

Modell, in Form der Koopmanschen Axiomatisierung, wurde in Folge sowohl<br />

als präskriptives, wie auch deskriptives Standardmodell für den Bereich<br />

intertemporaler <strong>Entscheidung</strong>en übernommen (vgl. Frederick, Loewenstein und<br />

O’Donoghue, 2002, S. 355).<br />

Es folgt der Zweifel.<br />

52


2.3 Anomalien<br />

Als Anomalie werden <strong>Entscheidung</strong>smuster bezeichnet, die inkonsistent<br />

sind zu dem vom Modell theoretisch Vorausgesagtem. (Frederick,<br />

Loewenstein und O’Donoghue, 2002, S. 352)<br />

Man möchte beinahe formulieren, wie aufgrund der vielfältigen Gründe, die zur<br />

Erklärung für das Konzept der Zeitpräferenz vorgetragen wurden, und aus den<br />

Aussagen von Samuelson und Koopmans, bezüglich der deskriptiven Gültigkeit<br />

des DU-Modells abzuleiten, gibt es eine Vielzahl von Indizien dafür, daß<br />

menschliche <strong>Entscheidung</strong>smuster nicht dem vom DU-Modell beschriebenen<br />

entsprechen. Tatsächlich deuten experimentelle, wie empirische<br />

Untersuchungen, die in den letzten Jahrzehnten auf dem Gebiet der<br />

intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>sforschung durchgeführt wurden darauf hin, daß<br />

das DU-Modell, als deskriptives Modell menschlichen Verhaltens, unzulänglich<br />

ist (Loewenstein und Thaler, 1989). Eine stetig wachsende Anzahl dieser<br />

Untersuchungen zeigt, daß Menschen zukünftige Güter nicht, wie vom DU-<br />

Modell vorausgesagt mit einer konstanten Rate, aber mit einer über die Zeit<br />

abnehmenden diskontieren (Frederick, Loewenstein und Prelec, 2002). In<br />

Verbindung mit dieser Erkenntnis steht auch das Phänomen sich verkehrender<br />

Präferenzen (zeitinkonsistentes Verhalten), daß sich durch das Standardmodell<br />

nicht erklären läßt (Ainslie, 1975). Unter anderem wurde festgestellt, daß<br />

Diskontierungsraten für kurze Zeithorizonte höher sind als für lange. Weiters<br />

wurde in verschiedenen Untersuchungen herausgefunden, daß<br />

Diskontierungsraten selbst für konstant gehaltene Zeitspannen stark variieren.<br />

Weitere Abweichungen des menschlichen Verhaltens vom DU-Modell wurden<br />

in unterschiedlichsten Mustern intertemporaler <strong>Entscheidung</strong>en gefunden.<br />

Auszugsweise sei dargestellt, daß Gewinne stärker diskontiert werden als<br />

Verluste, kleine Beträge mehr als Große und explizite Sequenzen multipler<br />

Erträge anders diskontiert werden, als wenn sie als singulärer Ertrag betrachtet<br />

werden (Thaler, 1981).<br />

Für intertemporale <strong>Entscheidung</strong>en macht die ökonomische Theorie, wie vom<br />

DU-Modell beschrieben (vgl. Abs. 2.2.2 idA.), präzise und testbare<br />

Voraussagen. Personen sollten zukünftige Erträge entsprechend dem Marktzins<br />

53


diskontieren, das heißt, daß ihre marginale Rate der Zeitpräferenz gleich dem<br />

Marktzins sein sollte. Weiters schreibt das DU-Modell, als normatives Prinzip<br />

vor, daß Konsumenten in ihren intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>en konsistent sein<br />

müssen, um dem ökonomischen Prinzip zu entsprechen. Die persönliche<br />

Diskontierungsrate sollte über Situationen und die Zeit konstant bleiben.<br />

Doch überall dort wo es testbare Vorraussagen gibt, wie im Falle des<br />

DU-Modells, gibt es auch Abweichungen (vgl. Frederick, Loewenstein und<br />

Prelec, 1992). Gänzlich konträr zu diesem Prinzip zeigt die im folgendem<br />

diskutierte Forschung eine Menge von Beispielen, in denen es so scheint als<br />

würden Personen zukünftige Güter nicht entsprechend dem Marktzins, noch<br />

irgendeinem anderen vergleichbaren Zinssatz diskontieren.<br />

Diskontierungsraten, die sowohl in Laborsituationen wie auch beim<br />

<strong>Entscheidung</strong>sverhalten im Feld beobachtet wurden, sind demnach abhängig<br />

sowohl von der Art der Güter, ihrer betragsmäßigen Größe, der zeitlichen<br />

Distanz bis zu ihrem Schlagendwerden, und abhängig davon ob es sich um<br />

Gewinne oder Verluste handelt. In Summe kann gezeigt werden, daß<br />

menschliche Diskontierungsraten, in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext,<br />

zwischen negativen Werten und positiven Werten, jenseits der hundert Prozent,<br />

variieren können (vgl. Frederick, Loewenstein und Prelec, 1992).<br />

Gesammelt zeigen die hier vorweggenommenen Ergebnisse, drei starke Muster<br />

(vgl. Loewenstein und Thaler, 1989, S. 184):<br />

• Erstens, Diskontierungsraten nehmen über die Zeit gesehen stark ab.<br />

• Zweitens, Diskontierungsraten nehmen mit der Größe des Betrages ab.<br />

Kleine Beträge werden stärker diskontiert als große.<br />

• Drittens, Diskontierungsraten für positive Erträge, sind höher als für<br />

negative.<br />

Diese von Thaler erzielten Ergebnisse konnten in zahlreichen weiteren<br />

Untersuchungen bestätigt werden. Herauszuheben sind die Untersuchungen von<br />

Benzion, Rapoport und Yagil (1989).<br />

54


Im nun folgenden Abschnitt wird die Methodik dieser Untersuchungen<br />

thematisiert und anhand von zwei ausgewählten Studien verdeutlicht. Ziel<br />

dieser Untersuchungen war und ist es aus dem beobachtbaren menschlichen<br />

Verhalten auf individuelle Diskontierungsraten zu schließen.<br />

2.3.1 Empirische und experimentelle Untersuchungen<br />

2.3.1.1 Empirische Untersuchungen<br />

In empirischen Untersuchungen wird anhand von tagtäglichen ökonomischen<br />

<strong>Entscheidung</strong>en auf individuelle Diskontierungsraten geschlossen (vgl.<br />

Frederick, Loewenstein und O’Donoghue, 2002, S. 384f). Hierzu zählen zum<br />

Beispiel alle jene Studien, die die Kosten des Kaufes von Elektrogeräten mit<br />

den längerfristigen Betriebskosten derselben vergleichen. Eine oft zitierte<br />

Studie von Hausman (vgl. Loewenstein und Thaler, 1989, S. 183), der einen<br />

Vergleich zwischen Kaufpreis und längerfristigen Energiekosten von<br />

Klimageräten durchführte, zeigt etwa, daß die daraus ableitbaren<br />

Diskontierungsraten bei rund 25 Prozent liegen. Ein Prozentsatz der jenseits<br />

jedes üblichen Marktzinses liegt. 63<br />

2.3.1.2 Experimentelle Untersuchungen<br />

Weitere Evidenzen, die zur Ablehnung des Standardmodells und zur<br />

Generierung der alternativen Hyperbolischen Diskontierung führten, stammen<br />

aus experimentellen Untersuchungen. In diesen Studien wird das intertemporale<br />

<strong>Entscheidung</strong>sverhalten von Probanten mittels der Aufgaben von Matching und<br />

Choice untersucht (vgl. Frederick, Loewenstein und O’Donoghue, 2002, S.<br />

386ff).<br />

Bei Matchingaufgaben muß von den Teilnehmern der fehlende<br />

Gegenwartswert von in der Zukunft liegenden Optionen angeben werden – vice<br />

63 Für weitere Beispiele siehe z.B. Loewenstein und Thaler (1989, S. 181ff) oder Frederick,<br />

Loewenstein und O’Donoghue (2002, S. 384ff).<br />

55


versa, wobei die zeitliche Distanz dieser Optionen variiert wird. 64<br />

Choiceaufgaben andererseits untersuchen das Wahlverhalten zwischen<br />

gegebenen Paaren von Alternativen. Diese Paare sind in der Regel<br />

zusammengesetzt aus einem Betrag der unverzüglich verfügbar ist, und einem<br />

Betrag der erst in der Zukunft verfügbar sein wird, wobei sowohl die zeitliche<br />

Distanz, als auch die Höhe der Beträge variiert wird. 65<br />

Aus der gleichzeitigen Variation dieser Faktoren innerhalb einer Studie<br />

wird schließlich auf individuelle Diskontierungsraten geschlossen. Wie in der<br />

„Kritik zur hyperbolischen Diskontierung“ zu zeigen sein wird (Abs. 2.5 idA.),<br />

muß nicht zuletzt aufgrund dieser methodischen Vorgangsweise das Konzept<br />

der Hyperbolischen Diskontierung in Zweifel gezogen werden.<br />

Aus der Vielzahl empirischer und experimenteller Studien, die sich der Frage<br />

widmeten, wie zukünftige Erträge aktuell diskontiert werden, seien hier zur<br />

Demonstration vorerst zwei hervorgehoben. Beide bedienen sich der Methode<br />

des Matching. 66 Eine weitere Studie, die sich explizit dem Vergleich<br />

exponentieller und nicht exponentieller Diskontierungsfunktionen widmet wird<br />

in einem der folgenden Abschnitte behandelt (siehe Abs. 2.4.2 idA.).<br />

Thaler (1981) untersuchte Diskontierungsraten in Hinsicht auf die Größe, das<br />

Vorzeichen und den Zeithorizont zukünftiger Erträge.<br />

Studenten wurden gebeten sich vorzustellen, daß sie bei einer Lotterie<br />

ihrer Bank etwas Geld gewonnen hätten. Der gewonnene Betrag könnte nun<br />

unmittelbar oder später ausbezahlt werden, wurden sie weiter unterrichtet. In<br />

einem weiteren Schritt wurden sie nun gebeten bekanntzugeben, um wieviel<br />

höher der mit einer gewissen Verzögerung ausbezahlte Gewinn sein müßte, um<br />

ihn gleich attraktiv dem früher ausbezahlten zu stellen. Jeder Teilnehmer erhielt<br />

64 Beispiel: 120 EURO in einem Jahr sind für mich gleich wertvoll wie? EURO heute.<br />

65 Beispiel: Wähle zwischen 120 EURO in einem Jahr und 100 EURO sofort!<br />

66 Einen Überblick über die Vielzahl sowohl von Feldversuchen als auch Laborversuchen bieten<br />

Frederick, Loewenstein und O’Donoghue (2002, S. 377–389). Sie unterziehen diese Untersuchungen<br />

auch einer angemessenen Kritik, besonders in Hinsicht auf methodische Probleme. So auch Read<br />

(2003, S. 8f). Er untersucht die den Resultaten der Untersuchungen zugrundeliegenden, wie er meint,<br />

zuweilen ungetesteten und nicht plausiblen Annahmen.<br />

56


einen Fragebogen in dem die Geldbeträge in einem 3*3 Raster einzutragen<br />

waren. Die Dimensionen des Rasters waren einerseits Geldbeträge, und<br />

andererseits die Länge der Zeit. Vier unterschiedliche Fragebögen wurden<br />

verwendet, in dreien wurden positive, in einem negative Beträge abgefragt. Das<br />

Experiment manipulierte in Folge die drei Variablen von Interesse: die Länge<br />

der Zeit, die Größe des Betrages und das Vorzeichen.<br />

Gesammelt zeigten die Ergebnisse, wie bereits angemerkt, drei starke<br />

Muster. Erstens, die Diskontierungsraten nehmen über die Zeit gesehen stark<br />

ab. Zweitens, Diskontierungsraten nehmen mit der Größe des Betrages ab,<br />

kleine Beträge wurden stärker diskontiert als große. Drittens,<br />

Diskontierungsraten für positive Erträge sind höher als für Negative.<br />

Diese von Thaler gefundenen Ergebnisse konnten auch in einer breiter<br />

angelegten Studie von Benzion, Rapoport und Yagil (1989) bestätigt werden.<br />

Die in dieser Untersuchung ermittelten Diskontierungsraten schienen jedoch<br />

generell niedriger, als die von Thaler ermittelten. Dieser Umstand sei auf die<br />

Auswahl der Testpersonen zurückzuführen, meinen sie. Benzion und Kollegen<br />

wählten höhersemestrige Studenten, die sowohl ökonomisch, als auch auf dem<br />

Gebiet der Finanzierung vorgebildet waren, um wie sie betonen, die<br />

methodische Schwäche der Thalerschen Studie zu überkommen.<br />

Aus der Fülle der im menschlichen Verhalten beobachteten Anomalien 67 werde<br />

67 Zu den best dokumentierten Anomalien gehören (vgl. Frederick, Loewenstein und O’Donoghue,<br />

2002, S. 360-365): Der Vorzeicheneffekt: Positive Erträge werden in der Regel stärker diskontiert<br />

als negative. Grund für dieses Verhalten ist eine so bezeichnete Schuldenaversion. Manche Personen<br />

zeigen tatsächlich negative Diskontierungsraten. Sie präferieren einen unmittelbaren Verlust,<br />

gegenüber einem, der erst in Zukunft eintreten wird. Der Größeneffekt: Kleine Erträge werden<br />

stärker diskontiert als große Dafür gibt es zwei plausible Erklärungen im menschlichen Verhalten.<br />

Die erste basiert auf der Psychologie der Wahrnehmung. Menschen sind nicht nur sensibel für die<br />

relativen Unterschiede in Erträgen, aber auch für die absoluten. Die zweite basiert auf der Theorie<br />

„Mentaler Konten“. Die Verzögerung - Beschleunigung Asymmetrie und<br />

Referenzpunktverhalten: Hinter dieser Anomalie steckt die Idee, daß der negative Nutzen, sprich<br />

einen Betrag zu verlieren, stärker diskontiert wird, als der absolute Wert des positiven Nutzens,<br />

denselben Betrag zu gewinnen. Die Begründung dieses Verhaltens findet sich in der schon erwähnten<br />

Verlustaversion. Weiters wurde festgestellt, daß die Vergangenheitskonsumation einen natürlichen<br />

Referenzpunkt für das gegenwärtige Verhalten setzt. Präferenzen für aufsteigende<br />

Konsumationssequenzen: Eine Sequenz ist ein Set datierter Erträge, wie es zum Beispiel ein<br />

57


ich jetzt zwei, für die Thematik dieser Arbeit entscheidende, besonders<br />

hervorheben. Dabei handelt es sich um über die Zeit hin abnehmende<br />

Diskontierungsraten und damit in Verbindung stehend, mit dem Phänomen sich<br />

verkehrender Präferenzen.<br />

2.3.2 Abnehmende Diskontierungsraten über die Zeit<br />

Untersuchungen, wie jene von Thaler (1981) und Benzion, Rapoport und Yagil<br />

(1989) zeigen, daß Diskontierungsraten, wenn auch stark divergierend (vgl.<br />

Loewenstein und Thaler, 1992, S. 182), nicht wie vom DU-Modell angenommen<br />

konstant, aber über die Zeit hin abzunehmen scheinen. Die folgende Abbildung<br />

2-3 soll diesen Zusammenhang anhand des über die Zeit ansteigenden<br />

Diskontierungsfaktors δ verdeutlichen. Wie bereits oben festgestellt (siehe Abs.<br />

2.1 idA.) bedeutet ein höherer Diskontierungsfaktor (bzw. niedrigere<br />

Diskontierungsrate) höhere Geduld. Dies bedeutet, daß es so scheint, als ob der<br />

Mensch mit der Zeit geduldiger wird. Andererseits kann man aber auch<br />

argumentieren, daß allein die menschliche Vorstellungskraft bezüglich<br />

zukünftiger Ereignisse zu schwach ist.<br />

Gehaltsschema darstellt. Es konnte gezeigt werden, daß Menschen konstante und ansteigende<br />

Sequenzen gegenüber abnehmenden Sequenzen präferieren. Dieser Umstand ist um so interessanter,<br />

als unter jedem positiven Zinssatz eine abnehmende Sequenz einen höheren Gegenwartswert hat, als<br />

eine Ansteigende. Eine mögliche Erklärung für solch ein Verhalten ist im Problem der<br />

Selbstkontrolle zu finden. Weil Personen sich nicht auf ihr zukünftiges Selbst verlassen können, sind<br />

sie bereit dafür zu zahlen, um ihren präferierten Plan nicht zu verletzen.<br />

58


Abbildung 2-3: Zunehmende Geduld über die Zeit<br />

Quelle: Read und Roelofsma (2003, S. 141): Die Abbildung zeigt den<br />

durchschnittlichen Wert des Diskontierungsfaktors, der in den<br />

verschiedenen Zeitperioden wirkt. Liegt er für die erste Periode noch<br />

bei einem Wert von 0.67 – wenig geduldig – steigt er bis zur Periode 6<br />

auf einen Wert von 0.88 – eher geduldig.<br />

Dieses hier dargestellte Muster wird aufgrund seiner speziellen funktionalen<br />

Form auch als „Hyperbolische Diskontierung“ bezeichnet. Erste Hinweise für<br />

diese Art menschlichen Diskontierungsverhaltens finden sich, wie bereits<br />

dargestellt (siehe Abs. 1.3.2 idA.) bei Jevons und Böhm-Bawerk (1921, II. Abt.,<br />

S. 336), den ich hier noch einmal zitieren möchte:<br />

Im Gegenteile, die originären subjektiven Unterschätzungen sind höchst<br />

ungleichmäßig und sprunghaft. Namentlich soweit die Unterschätzung<br />

durch den oben besprochenen Willensfehler verursacht wird, dürfte zwar<br />

eine starke Schätzungsdifferenz zwischen absolut augenblicklichen und<br />

nicht augenblicklichen, dagegen eine sehr kleine oder gar keine Differenz<br />

zwischen mäßig und mehr entlegenen Genüssen gesetzt werden.<br />

59


Auch wenn die in den Untersuchungen ebenfalls festgestellten Unterschiede der<br />

Raten zwischen Individuen und in Individuen je nach Art der Güter und Art der<br />

Situation evident sind, besteht dieses Muster über sämtliche Studien hinweg.<br />

Die angenommene negative Beziehung zwischen Diskontierungsraten und<br />

zeitlicher Distanz hat wichtige Konsequenzen für die dynamische Konsistenz<br />

des menschlichen Verhaltens und ist ein Teilgrund für impulsives Verhalten,<br />

oder anders ausgedrückt für Formen der dynamischen Inkonsistenz.<br />

2.3.3 Dynamische Inkonsistenz<br />

Das Problem der dynamischen Zeitinkonsistenz, beziehungsweise sich<br />

verkehrender Präferenzen, ist tatsächlich so alt wie die Menschheit selbst. Es ist<br />

die Geschichte von Adam und Eva, der Schlange und dem Apfel, der<br />

<strong>Entscheidung</strong> zwischen unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung und langfristigem<br />

Wohlergehen. Es ist ein Kampf zwischen der Rationalität und der menschlichen<br />

Natur, wie Pigou (1920, S. 25) festhält:<br />

People distribute their resources between the present, the near future and<br />

the remote future on the basis of a wholly irrational preference. When<br />

they have the choice between two satisfactions, they will not necessarily<br />

choose the larger of the two, but will often devote themselves to<br />

producing or obtaining a small one now in preference to a much larger<br />

one some years hence.<br />

Die Liste der Beispiele aus dem Alltagsleben scheint endlos (siehe auch die<br />

Beispiele in Abs. 1.1 idA.), immer wieder werden einmal gefaßte Entschlüsse<br />

der kurzfristigen Befriedigung geopfert – the next on is the last one! Termine<br />

werden hinausgeschoben, das Sparen beginnt immer erst im nächsten Monat,<br />

mit dem Rauchen und Trinken wird nach dem Wochenende aufgehört und der<br />

am Abend wohlweißlich gestellte Wecker fliegt früh morgens gegen die Wand.<br />

Aber auch in scheinbar emotionsloser Umgebung kann diese Inkonsistenz der<br />

Präferenzen beobachtet werden. So mag jemand 110 Euro in 31 Tagen den<br />

Vorzug vor 100 Euro in 30 Tagen geben, gleichzeitig aber 100 Euro morgen<br />

gegenüber 110 Euro übermorgen präferieren (vgl. Thaler, 1981). Diese<br />

60


Verhaltensmuster zeigen sich trotz konstant bleibender Umweltbedingungen<br />

und dürften nach Annahme des DU-Modells nicht auftreten, wie in Abbildung<br />

2.2 zuvor dargestellt. Diskontiert das Individuum die Zukunft mit einer<br />

konstanten Rate, daß heißt, die Diskontierungsrate ist konstant über sämtliche<br />

Zeitperioden, dann werden sich die beiden Kurven niemals kreuzen. Aber sie<br />

kreuzen sich gelegentlich doch.<br />

Die Problematik stellt sich generell folgendermaßen dar. Ein Mensch hat<br />

zwischen zwei zeitlich entfernten Alternativen zu wählen. Die verfügbaren<br />

Optionen, im einfachsten Fall auf zwei beschränkt, mögen wie folgt betrachtet<br />

werden. Die erste Option steht früher zur Verfügung, ist aber im Wert kleiner<br />

(UB), als die spätere (LW). Die Zeitspanne zwischen den beiden Optionen sei<br />

konstant. Der zeitliche Abstand von der Gegenwart bis zum Eintritt der ersten<br />

Option sei anfangs groß, und werde in Folge kleiner. Es mag sein, daß im ersten<br />

Fall die größere spätere Option der kleineren früheren vorgezogen wird, daß<br />

sich aber je kleiner der zeitliche Abstand bis hin zur ersten Option wird, die<br />

Präferenzen in Richtung der früheren kleineren Option verkehren. Dieser<br />

Umstand wird in der ökonomischen Literatur als zeitinkonsistentes Verhalten<br />

bezeichnet. Strotz (1955–1956, S. 165) formuliert die Problematik wie folgt:<br />

An individual is imagined to choose a plan of consumption for a future<br />

period of time so as to maximize the utility of the plan as evaluated at the<br />

present moment. […] Our problem arises when we ask: If he is free to<br />

reconsider his plan at later dates, will he abide it or disobey it-even though<br />

his original expectations of future desires and means of consumption are verified? Our<br />

answer is that the optimal plan of the present moment is generally one<br />

which will not be obeyed, or that the individual’s future behaviour will be<br />

inconsistent with his original plan.<br />

Strotz zeigt in Folge, daß neben der Möglichkeit der Selbstbindung, einzig und<br />

allein eine konstante Diskontierungsrate über die Zeit, wie vom DU-Modell<br />

gefordert, konsistentes Verhalten über die Zeit garantiert. 68 Im Anschluß an<br />

68 Zur Thematik der „konsistenten Planung“ siehe ebenfalls die weiterführenden Arbeiten u.a. von<br />

Pollak (1968), oder Peleg und Yaari (1973).<br />

61


diese Feststellung lenkt er (ebd., S. 177) die Aufmerksamkeit aber auf eine<br />

Diskontierungsfunktion, …<br />

… such as that shown in Figure 3, which differs from a logarithmically<br />

linear one [konstante Diskontierungsrate, der Autor] in that it ‚over-<br />

values’ the more proximate satisfaction relative to the more distant one,<br />

… die wohl eher der tatsächlichen entsprechen sollte.<br />

Die Originalabbildung (ebd., S. 175, Fig. 3) zeigt erstmals die Darstellung einer<br />

Hyperbel [die Kurve λ( t − τ ) in der Abbildung 2.4] als Grundlage der<br />

Diskontierung zukünftiger Güter.<br />

Abbildung 2-4: Erste graphische Darstellung einer Hyperbolischen<br />

Diskontierungsfunktion nach Strotz<br />

Quelle: Strotz (1955-1956, S. 175, Fig. 3).<br />

Hyperbolische Diskontierungsfunktionen können, wie vom Psychologen George<br />

Ainslie (1975) anhand von Tierversuchen erstmals gezeigt, zeitinkonsistentes<br />

Verhalten beschreiben. Die folgende Abbildung 2-5 zeigt ihre Eigenart.<br />

Ist die Diskontierung eine abnehmende Funktion in der Zeit, wie die<br />

empirischen Ergebnisse vermuten lassen, dann mögen sich die Kurven kreuzen,<br />

und führen so zu einer Verkehrung der Präferenzen. Die Signifikanz sich<br />

62


kreuzender Kurven ist, daß das menschliche Verhalten nicht generell konsistent<br />

ist über die Zeit.<br />

Abbildung 2-5: Zeitinkonsistente Präferenzen<br />

Quelle: Kirby und Marakovic (1995, S. 23, Fig. 1.; vom Autor adaptiert). Die<br />

Annahme einer sinkenden Diskontierungsrate über die Zeit, mag zum<br />

Phänomen zeitinkonsistenter Präferenzen führen. Wird noch zum<br />

Zeitpunkt to die Option LW über UB präferiert, kippt die Präferenz<br />

zum Zeitpunkt t* (vgl. „Hernstein’s Matching Law“ z.B. in Ainslie und<br />

Haslam, 1992, S. 65ff) zu Gunsten von UB. In <strong>Entscheidung</strong>en zwischen<br />

den Zeitpunkten to und t* wird hier also LW präferiert, zwischen den<br />

Zeitpunkten t* und t1 aber UB. Im Gegensatz zu Abbildung 2.2 spielt<br />

die Zeit in diesem Fall eine herausragende Rolle.<br />

In seiner Arbeit „Specious Reward: A Behavioral Theory of Impulsiveness and<br />

Impulse Control“ (1975), die auf Tierversuchen aufbaut, widmet er sich<br />

ausgiebig dem Problem des nicht konsistentem Verhalten über die Zeit, und<br />

darüber hinaus Strategien dieses zu überwinden. In seiner Arbeit finden sich<br />

auch die ersten formalen Versuche diese Diskontierungsfunktionen funktional<br />

darzustellen. Ainslies Arbeit bildet in diesem Sinne hier auch den Übergang<br />

zum nächsten Abschnitt (Abs. 2.4 idA.), der sich den deskriptiven<br />

<strong>Entscheidung</strong>smodellen, in Form der Hyperbolischen Diskontierung, widmet.<br />

Den möglichen Strategien, die sich zum Beispiel bei Strotz und Ainslie,<br />

aber auch vielen anderen Autoren finden, um zeitinkonsistentes Verhalten zu<br />

63


überkommen, werden zum Schluß im Abschnitt über Odysseus und die Sirenen<br />

thematisiert.<br />

2.4 Hyperbolische Diskontierungsmodelle<br />

Das Ziel einer Vielzahl von Studien im Bereich intertemporaler <strong>Entscheidung</strong>en<br />

ist es eine Diskontierungsfunktion zu modellieren, die eine mathematische<br />

Beschreibung der sich im Zeitablauf ändernden präferentiellen Bewertung<br />

zuläßt.<br />

Die sowohl in empirischen wie auch in experimentellen<br />

Untersuchungen beobachteten abnehmenden Diskontierungsraten über die Zeit,<br />

sowie Evidenzen bezüglich des Auftretens dynamischer Inkonsistenz lassen,<br />

wie schon letzten Abschnitt beschrieben, eine Diskontierungsfunktion<br />

vermuten, die in der kurzen Frist höhere Diskontierungsraten verlangt,<br />

beziehungsweise erlaubt. Diese funktionale Form kann, wie ebenfalls gezeigt,<br />

das beobachtete Muster der Präferenzenverkehrung beschreiben.<br />

Diese angeführten Einsichten bezüglich des intertemporalen<br />

<strong>Entscheidung</strong>sverhaltens führten zur Generierung von zahlreichen alternativen<br />

theoretischen Modellen, die allesamt eine dem Menschen inhärente<br />

Diskontierungsfunktion annehmen, die als „Hyperbolische Diskontierung“<br />

bezeichnet wird (siehe vor allem die Sammelwerke von Elster und Loewenstein,<br />

1992; bzw. Loewenstein, Read und Baumeister, 2003).<br />

In der ökonomischen Literatur war, wie gesagt, Strotz (1955–1956, S.172) der<br />

erste, der sich Alternativen zur exponentialen Diskontierung überlegte:<br />

… seeing no reason why an individual should have such a spezial<br />

discount function.<br />

Weiters bemerkte er, daß für jede andere denn die exponentiale<br />

Diskontierungsfunktion, eine Person zeitinkonsistente Präferenzen haben<br />

würde.<br />

Zum Vergleich sei hier noch einmal die im DU-Modell angenommene<br />

64


Diskontierungsfunktion dargestellt.<br />

(Formel 2-8)<br />

τ<br />

⎛ 1 ⎞<br />

Φ ( τ ) = ⎜<br />

1+<br />

ρ<br />

⎟<br />

⎝ ⎠ .<br />

2.4.1 Varianten der hyperbolischen Diskontierung<br />

2.4.1.1 George Ainslie<br />

Die charakteristische Eigenart der Hyperbolischen Diskontierungsfunktion ist<br />

ihre starke Krümmung für kurze Zeithorizonte und die dann lang auslaufende<br />

Form (vgl. Abbildung 2-6), wie von Ainslie (1975, S.469) beschrieben.<br />

Abbildung 2-6: Charakteristische Eigenart Hyperbolischer<br />

Diskontierungsfunktionen<br />

Quelle: Ainslie und Haslam (1992, S. 66, Fig. 3.2): Graphische Darstellung<br />

zweier hyperbolischer Diskontierungsfunktionen mit sich kreuzenden<br />

Kurven.<br />

Eine erste formale Annäherung geht zurück auf Chung und Herrnstein (vgl.<br />

Ainslie, 1975, S. 468), die das Wahlverhalten von Tauben zwischen verzögerten<br />

Erträgen mittels folgender Formel beschrieben:<br />

65


(Formel 2-9)<br />

d<br />

s E =<br />

de + ds<br />

.<br />

E bezeichnet in diesem Fall den Gegenwartswert einer zukünftigen Option. Die<br />

Zeitspanne bis zum Eintritt dieser Option wird durch d e dargestellt, die<br />

Zeitspanne bis zum Eintritt einer angenommenen Alternative S durch d s .<br />

Die Formel 2-9 entspricht einer Diskontierungsfunktion, die einfach proportional<br />

zur Länge des Zeitintervalls bis zum Eintritt der Option ist (vgl. Loewenstein<br />

und Prelec, 1992, S. 579)):<br />

(Formel 2-10)<br />

2.4.1.2 J. E. Mazur<br />

1<br />

Φ ( τ ) = .<br />

τ<br />

Es war an J. E. Mazur die von Herrnstein und Kollegen vorgetane Arbeit, die<br />

unter der Bezeichnung „Matching Law“ große Bedeutung vor allem in der<br />

Beschreibung tierischen Verhaltens gewann, weiter zu spezifizieren (vgl.<br />

Ainslie und Haslam, 1992, S 65–67). Mazurs Diskontierungsfunktion nimmt<br />

folgende spezielle Form an (vgl. Loewenstein und Prelec, 1992, S. 580):<br />

(Formel 2-11)<br />

1<br />

Φ ( τ ) =<br />

1+<br />

ατ<br />

,<br />

wobei τ , wie üblich die zeitliche Distanz beschreibt. α andererseits ist ein<br />

Maß für die Sensitivität des Menschen in der Wahrnehmung der Zeit. 69<br />

69 Für die Spezifizierung von Diskontierungsfunktionen über die Verwendung von<br />

Zeitwahrnehmungsfunktionen siehe vor allem Ahlbrecht und Weber (1995).<br />

66


2.4.1.3 Harveys Modell<br />

Harveys Modell (1986) nimmt ebenfalls die für hyperbolische Diskontierungen<br />

typisch konkave Zeitwahrnehmung an. Wird ein gegebenes Zeitintervall in die<br />

Zukunft verschoben, und dieses dann entsprechend der zugrundeliegenden<br />

Zeitwahrnehmung proportional zur zeitlichen Verschiebung gestreckt, bleibt<br />

das Zeitintervall in der Wahrnehmung konstant (vgl. Ahlbrecht und Weber,<br />

1995, S. 555–557). Die funktionale Form entspricht einer gemeinen Hyperbel,<br />

die Diskontierungsfunktion dazu ergibt sich wie folgt (vgl. Read, 2003, S. 3):<br />

(Formel 2-12) ( )<br />

h<br />

Φ τ = .<br />

h + τ<br />

2.4.1.4 Loewenstein-Prelec Modell<br />

Loewenstein und Prelec (1992) selbst bezeichnen ihr Modell als ein<br />

„verhaltenstheoretisches Modell intertemporaler <strong>Entscheidung</strong>en“. Sie leiten es<br />

axiomatisch aus den oben beschriebenen Anomalien (Abs. 2.3 idA.) ab. In<br />

Hinsicht auf die ihrem Modell zugrunde liegenden Diskontierungsfunktion<br />

stützen sie sich auf den „Common-Differnce-Effect“, der die Abweichung im<br />

Stationaritätsgedanken zum Ausdruck bringt. Als Diskontierungsfunktion<br />

entwickeln sie das sogenannte α, β Modell, das sich formal ebenfalls als<br />

gemeine Hyperbel darstellt:<br />

(Formel 2-13)<br />

τ ατ −<br />

β / α<br />

Φ ( ) = (1 + ) .<br />

Der α Koeffizient determiniert hier in wie weit die Funktion von der<br />

Standarddiskontierungsfunktion abweicht. Im Grenzfall, wenn α gegen 0 geht,<br />

ergibt sich die exponentielle Diskontierungsfunktion ( ) e βτ −<br />

Φ τ = ; für α = 1<br />

ergibt sich das spezifischere Harvey-Modell. Das Loewenstein-Prelec Modell<br />

deckt in dieser Weise das vollständige Kontinuum der Zeitwahrnehmung ab<br />

(vgl. Ahlbrecht und Weber, 1995, S. 557–559). In folgender Abbildung 2-7 wird<br />

die hyperbolische Diskontierungsfunktion des Loewenstein-Prelec Modell für<br />

67


drei verschiedene α Koeffizienten, im Vergleich zur Diskontierungsfunktion<br />

des DU-Modells dargestellt.<br />

Abbildung 2-7: Diskontierungsfunktionen nach dem Loewenstein-Prelec Modell<br />

Quelle: Loewenstein und Prelec (1992, S. 581, Fig. 1). Drei<br />

Diskontierungsfunktionen mit variierenden α Werten nach dem<br />

Loewenstein-Prelec Modell (strichlierte Kurven). Im Vergleich die<br />

Diskontierungsfunktion nach dem Standardmodell (durchgezogene<br />

Kurve).<br />

2.4.1.5 Quasihyperbolische Diskontierung nach Phelps und Pollak<br />

Eine einfache, oft verwendete funktionale Form, die die Essenz der<br />

hyperbolischen Diskontierung einfängt, geht zurück auf Phelps und Pollak<br />

(1968). Diese Form wird in der Literatur als „Quasihyperbolische<br />

Diskontierung“ bezeichnet. Sie vereinigt die rapide Abnahme der<br />

Diskontierungsrate in der kurzen Frist – in der ersten Periode – mit einer dann<br />

konstant bleibenden Rate für alle folgenden Perioden. In dieser Form verleiht<br />

68


sie der oft beobachtbaren unmittelbaren Impulsivität des menschlichen<br />

Verhaltens einen besonderen Ausdruck. Entwickelt für das Studium des<br />

Altruismus zwischen den Generationen verwenden Phelps und Pollak eine<br />

zeitlich diskrete Diskontierungsfunktion (vgl. Frederick, Loewenstein und<br />

O’Donoghue, 2002, S. 366; sowie Laibson, 2003, S. 7), der Art:<br />

(Formel 2-14)<br />

⎧1<br />

, wenn τ = 0<br />

Φ ( τ ) = ⎨ τ<br />

⎩βδ<br />

, wenn τ > 0<br />

Die als „Quasihyperbolische Funktion“, oder auch „Present Biased“ bezeichnete<br />

funktionale Form nimmt gegenwärtig in der intertemporalen<br />

<strong>Entscheidung</strong>sforschung eine prominente Rolle ein, wie sich anhand der<br />

angewandten Arbeiten von Laibson (1997) und O’Donoghue und Rabin (1999)<br />

zeigen läßt. 70 Diese Rolle verdankt sie der bereits angesprochenen Fähigkeit,<br />

dem psychologischen Faktor der Impulsivität entsprechend Rechnung zu tragen.<br />

Ich werde in Kapitel Drei noch einmal auf dieses Modell zu sprechen<br />

kommen, da es im Rahmen dieser Arbeit, als das Dienlichste der alternativen<br />

Diskontierungsmodelle anzusehen ist.<br />

2.4.2 Vergleich der hyperbolischen und exponentiellen Diskontierung<br />

Einen expliziten Vergleich zwischen den vorangestellten intertemporalen<br />

<strong>Entscheidung</strong>smodellen, in Form der hyperbolischen und exponentiellen<br />

Diskontierungsfunktion, wurde von Kirby und Maracovic (1995) durchgeführt.<br />

Ziel ihrer empirischen Arbeit war es den erhobenen deskriptiven Anspruch<br />

dieser beiden Abarten zu klären. Anhand der von ihnen gewonnenen Ergebnisse<br />

konnten sie zeigen, daß zur Beschreibug des tatsächlichen menschlichen<br />

70 Vgl.: Frederick, Loewenstein und O’Donoghue (2002, S. 366f): Laibson (1997) untersucht die Rolle<br />

von illiquiden Vermögenswerten, z.B. Häuser, als unvollkommene Verpflichtungsstrategie. Dabei<br />

zeigt er, wie ein Individuum übermäßigen Konsum durch die Bindung von Vermögen in illiquiden<br />

Vermögenswerten beschränken kann. O’Donoghue und Rabin (1999) wenden dieses Modell auf die<br />

Problematik des Hinausschiebens von Terminen an. Sie zeigen wie die hyperbolische Diskontierung<br />

dazu führen kann, daß eine Person eine lästige Verpflichtung länger verschiebt, als sie es eigentlich<br />

im vorhinein geplant hat.<br />

69<br />

.


<strong>Entscheidung</strong>sverhaltens klar die Hyperbolische Diskontierung zu präferieren<br />

sein sollte.<br />

Auch Rachlin, Brown und Cross (2000, S. 146) bestätigen in ihrer<br />

Arbeit (vgl. auch Frederick, Loewenstein und O`Donoghue, 2002, S. 360):<br />

…[they] are aware of no empirical studies of choice among delayed<br />

rewards with human or nonhuman subjects where an exponential discount<br />

function described the data better than a hyperbolic discount function<br />

with the same number of free parameters.<br />

Im folgendem seien hier in Abbildung 2-8 noch einmal in einer kurzen<br />

Übersicht die verschiedenen Diskontierungsfunktionen mit ihren<br />

entsprechenden Diskontierungsraten und -faktoren dargestellt (vgl. Read, 2003,<br />

S. 3).<br />

Abbildung 2-8: Exponentielle und hyperbolische Formeln im Vergleich<br />

Φ(τ)<br />

Exponentiell Hyperbolisch<br />

Samuelson<br />

(1937)<br />

Koopmans<br />

(1960)<br />

τ<br />

⎛ 1 ⎞<br />

⎜ ⎟<br />

⎝1 + ρ ⎠<br />

ρ<br />

ρ(τ) 1+<br />

ρ<br />

δ(τ)<br />

1<br />

1+ ρ<br />

Mazur<br />

(1984)<br />

1<br />

1+ kτ<br />

k<br />

1+<br />

kτ<br />

1 + k(<br />

τ −1)<br />

1+<br />

kτ<br />

Quelle: Read (2003, S. 3, Tab. 1; vom Autor adaptiert).<br />

70<br />

Loewenstein-<br />

Prelec (1992)<br />

(1 + ατ )<br />

β<br />

1+<br />

ατ<br />

−β<br />

α<br />

⎛1 + α( τ −1)<br />

⎞<br />

⎜<br />

1+<br />

ατ<br />

⎟<br />

⎝ ⎠<br />

β<br />

α<br />

Harvey<br />

(1994)<br />

h<br />

h + τ<br />

1<br />

h + τ<br />

h + τ −1<br />

h +<br />

τ


Abschließend soll nun noch Abbildung 2-9 in Form einer graphischen<br />

Darstellung den Vergleich zwischen den hier präsentierten verschiedenen<br />

Diskontierungsfunktionen ermöglichen. Verglichen werden die exponentielle<br />

Diskontierung, als Repräsentation des Standardmodells, die hyperbolische<br />

Diskontierungsfunktion in Form des Loewenstein-Prelec Modells und gleichsam<br />

als Verbindung der beiden, die quasihyperbolische Form nach Phelps und<br />

Pollack. (vgl. Laibson, 2003, S. 18).<br />

Abbildung 2-9: Graphische Vergleichsdarstellung verschiedener<br />

Diskontierungsfunktionen<br />

Quelle: Laibson (2003, S. 18, Fig. 1).<br />

Im nächsten Abschnitt wende ich mich nun der Kritik an den<br />

Hyperbolischen Diskontierungsmodellen zu. Diese Kritik richtet sich<br />

nicht nur gegen den erhobenen deskriptiven Anspruch dieser Modelle,<br />

sondern stellt insgesamt die dahinterstehende Methodik in Frage.<br />

71


2.5 Zur Kritik der hyperbolischen Diskontierung<br />

Obwohl die in den vorangegangenen Abschnitten präsentierten gesammelten<br />

Ergebnisse von verhaltenswissenschaftlichen Ökonomen einhellig für die eine<br />

oder andere Form einer hyperbolischen Diskontierung sprechen, bleibt dieses<br />

Konzept generell nicht ohne Widerspruch.<br />

Es traten Zweifel daran auf, daß diese spezielle funktionale Form<br />

tatsächlich, als eine akkurate Beschreibung menschlichen<br />

Diskontierungsverhaltens taugt. So zeigt zum Beispiel Daniel Read (2001), daß<br />

der allgemeine Beweis für abnehmende Diskontierungsraten über die Zeit,<br />

genauso gut mit Subadditiver Diskontierung erklärt werden kann. Weiters stellt<br />

er in seinen Untersuchungen überraschender Weise fest, daß selbst die generelle<br />

Annahme abnehmender Diskontierungsarten über die Zeit, zumindest in Frage<br />

gestellt werden muß.<br />

Ariel Rubinstein (2003) andererseits hinterfragt die Methode von<br />

„Psychologie und Ökonomie“ im allgemeinen, und in Bezug auf die<br />

Hyperbolische Diskontierung im speziellen. Er argumentiert, daß dieselben<br />

Evidenzen, die zur Zurückweisung des Standardmodells führten, genauso gut<br />

zur Zurückweisung der Hyperbolischen Diskontierung gebraucht werden<br />

können. Anhand eines <strong>Entscheidung</strong>sprozesses, der als Ähnlichkeitsheuristik<br />

bezeichnet wird, demonstriert er, daß es andere Möglichkeiten gibt<br />

menschliches Wahlverhalten darzustellen.<br />

Bevor ich mich diesen beiden Kritiken, die dann gleichzeitig den<br />

Übergang zum nächsten Kapitel darstellen, widme, möchte ich mit einer<br />

allgemeiner gehaltenen Kritik beginnen.<br />

Die Schwächen des Hyperbolischen Diskontierungsmodells, vor allem in Bezug<br />

auf das Problem sich verkehrender Präferenzen und der Thematik der<br />

Selbstkontrolle, werden selbst von ihren Proponenten anerkannt. So notieren<br />

zum Beispiel Loewenstein und Prelec (1992, S. 595), in Bezug auf ihr<br />

spezielles Modell:<br />

72


Our model by no means incorporates all important psychological factors<br />

that influence intertemporal choice. […] Intertemporal choice often<br />

seems to involve an internal struggle for self-command. […] Mathematical<br />

models of choice do not shed much light on such patterns of cognition<br />

and behaviour.<br />

Die größte Schwäche des Hyperbolischen Diskontierungsmodells liegt, so<br />

meine ich als auch andere, aber sicherlich in der Tatsache begründet, daß es für<br />

gewöhnlich nicht zwischen verschiednen Arten von Gütern unterscheiden kann.<br />

Dieser Umstand führt speziell im Problembereich der Präferenzenverkehrung zu<br />

gravierenden Schwierigkeiten, wie zum Beispiel von Hoch und Loewenstein<br />

(1991, S. 494) bemerkt (vgl. auch Loewenstein, 1996, S. 279):<br />

The discounting perspective is accurate as far as it goes, but it leaves basic<br />

questions unanswered. Why are certain types of goods (e.g. dessert)<br />

associated with impulsivity and not others (e.g. gasoline)? Discounting<br />

also fails to explain why other factors, such as physical proximity, are<br />

commonly associated with time-inconsistency.<br />

Eine Verkehrung der Präferenzen, im Sinne dieser Arbeit, findet meist dann<br />

statt, wenn man zwischen Erfahrungen zu wählen hat, die unmittelbare oder<br />

verzögerte Freude und Schmerz bringen. Diese Erfahrungen scheinen zu einem<br />

Großteil von der unmittelbaren zeitlichen, körperlichen und sinnlichen Nähe<br />

beeinflußt, die Hoch und Loewenstein (1991) als „Unmittelbarkeitseffekt“<br />

(Immediacy Effect) bezeichnen (vgl. auch Loewenstein, 1996, S. 279f).<br />

2.5.1 Subadditive Diskontierung<br />

Eine Fundamentalkritik am Konzept der Hyperbolischen Diskontierung, als<br />

akkurater Beschreibung menschlichen Diskontierungsverhaltens, stellt das<br />

Modell der Subadditiven Diskontierung dar (Read, 2001; sowie Read und<br />

Roelofsma, 2003). Unter „Subadditiver Diskontierung“ versteht man, daß die<br />

Gesamtdiskontierung über einen Zeitraum größer ist, wenn dieser Zeitraum<br />

73


zuerst in Subintervalle unterteilt, dann jedes dieser Subintervalle für sich allein<br />

diskontiert und in Folge summiert wird, als wenn dieser Zeitraum als Ganzes<br />

diskontiert wird. 71 Dieses Verhältnis läßt sich graphisch, wie in Abbildung 2-10<br />

gezeigt, verdeutlichen.<br />

Abbildung 2-10: Subadditive Diskontierung nach Read<br />

Quelle: Read und Roelofsma (2003, S. 144, Fig. 3). Der Diskontierungsfaktor<br />

δ , der die Summe der Subintervalle T .3<br />

T .3.1 , T .3.2 und T .3.3<br />

größer als der Diskontierungsfaktor T .1<br />

74<br />

δ δ δ bildet, ist<br />

δ , des ungeteilten Zeitraums.<br />

Die Forschung auf dem Gebiet der Subadditiven Diskontierung zeigt, daß eine<br />

Vielzahl, der in den vorangegangenen Abschnitten dieser Arbeit (siehe Abs.<br />

2.3.1 idA.) präsentierten, experimentell und empirisch gewonnenen Hinweise<br />

für die Abnahme der Diskontierungsrate über die Zeit, durch Subadditive<br />

Diskontierung erklärt werden können. Die zentrale Aussage der Subadditiven<br />

Diskontierung ist, daß Menschen pro Zeiteinheit über kürzere Intervalle<br />

generell weniger geduldig sind, egal wann diese Intervalle betrachtet werden.<br />

Daniel Read (2001) kann in einer ersten experimentellen Untersuchung anhand<br />

dreier Wahlexperimente, die die Anzahl der Subintervalle variierten,<br />

71 Die Summe der Teile ist größer als das Ganze. „Subadditive discounting means that the total<br />

discounting is greater when the year is divided into months “ (Read, 2001, S. 6).


nachweisen, daß menschliches Diskontierungsverhalten, entgegen der Annahme<br />

der Hyperbolischen Diskontierung, 72 tatsächlich subadditiv ist. 73 Im Zuge dieser<br />

Untersuchung testet er auch die zentrale Annahme der Hyperbolischen<br />

Diskontierung auf abnehmende Ungeduld, gleich einer sinkenden<br />

Diskontierungsrate über die Zeit, oder einem zunehmendem<br />

Diskontierungsfaktor. 74 Die von ihm erzielten Ergebnisse, meint er (ebd., S.<br />

24), sind klar:<br />

First, subadditive intertemporal choice was observed in every experiment:<br />

when a delay was divided into three, the total discounting over that delay<br />

was increased by an average of 40%. Second, there was no evidence of<br />

declining impatience: the amount of discounting was equal or lower for<br />

earlier intervals than for later intervals.<br />

In überzeugender Art und Weise demonstriert Read dann, wie Subadditive<br />

Diskontierung dafür verantwortlich sein kann, daß Diskontierungsverhalten den<br />

Anschein erwecken mag hyperbolisch zu sein. Für ihn spielt die, bisher nicht<br />

beachtete, Vermengung von Zeithorizont (die Länge zwischen der Gegenwart<br />

und dem Eintritt der Optionen) und Zeitspanne (das Intervall zwischen dem<br />

Eintritt der ersten und zweiten Option) die Schlüsselrolle. Read argumentiert<br />

seine Erkenntnisse in folgender Weise (vgl. Read, 2001, S. 11f; sowie Read und<br />

Roelofsma, 2003, S. 141f):<br />

Der Hauptbeweis für zunehmende Geduld, so Read, stammt aus Studien, in<br />

denen Teilnehmer Indifferenzpunkte zwischen einer Option UB, die sofort<br />

verfügbar oder mit kurzer Verzögerung eintritt, und einer Option LW, die<br />

verschiedene verzögerte Ausmaße annimmt, bestimmen (vgl. Abs. 2.3.1 idA.).<br />

Zum Beispiel müssen Teilnehmer den Gegenwartswert für einen Betrag, der in<br />

einem Jahr verfügbar sein wird und dann dem Wert 100 Euro entspricht,<br />

72 “[Additive intertemporal choice] means that the total discounting over an interval is independent of<br />

how the interval is divided.” (Read, 2001, S. 7)<br />

73 Read und Roelofsma (2003) wiederholten die Untersuchungen um nachzuweisen, daß Subadditive<br />

Diskontierung auch dann gezeigt werden kann, wenn den Teilnehmern ‚Matching Aufgaben’ gestellt<br />

wurden.<br />

74<br />

Abnehmende Ungeduld würde in diesem Fall heißen, daß T .3.1 T .3.2 T .3.3<br />

75<br />

δ < δ < δ .


estimmen, dasselbe wiederholt sich für einen Betrag, der in zwei Jahren<br />

verfügbar sein wird und so fort. Geringe Variationen dieser Methoden finden<br />

sich in unzähligen Studien (vgl. Abs. 2.3.1.2 idA.). Das gemeinsame Ergebnis<br />

dieser Studien ist es, daß der Wert von δ mit der Zeit bis zum Eintritt von LW<br />

zunimmt. Die Schlußfolgerung lautet schließlich, daß der Mensch im Zeitablauf<br />

geduldiger wird (vgl. auch die Abb. 2-3 idA.).<br />

Mit dieser Schlußfolgerung, so meint Read, gibt es ein ernsthaftes<br />

Problem. Um das zu zeigen, unterscheidet er zwischen zwei temporalen<br />

Konstrukten, die, wie er meint, gemein hin fälschlicherweise vermischt werden.<br />

Dabei handelt es sich um den Zeithorizont, das ist die Zeitspanne zwischen der<br />

Gegenwart und dem Eintritt der Option LW ( t2 − 0) , und dem Zeitintervall,<br />

gleich der Zeitspanne zwischen den verfügbaren Optionen UB und LW ( t2 − t1)<br />

.<br />

Abbildung 2-11 illustriert diese Unterscheidung für drei mögliche<br />

experimentelle Aufgaben.<br />

Abbildung 2-11: Zeithorizont versa Zeitspanne<br />

Quelle: Read und Roelofsma (2003, S. 142, Fig. 2). In Aufgabe A wird eine<br />

sofort verfügbare UB verglichen mit dem LW in sechs Monaten ( t =0 1<br />

Monate, t =6 Monate). Sowohl der Zeithorizont 2<br />

2<br />

Intervall t2 t1<br />

76<br />

( t − 0) , als auch das<br />

( − ) sind sechs Monate. In Aufgabe B, UB ist sofort<br />

verfügbar und LW in zwölf Monaten, sind der Zeithorizont und das<br />

Intervall wiederum gleich. Allein in Aufgabe C differieren der<br />

Zeithorizont und das Intervall. Der Zeithorizont beträgt zwölf Monate,<br />

wie in Aufgabe B, das Intervall ist sechs Monate, wie in Aufgabe A.


Read führt nun aus, daß die meisten Studien, wie die oben (Abs. 2.3.1 idA.)<br />

erwähnten, sich darauf beschränken das Äquivalent zwischen Aufgabe A und B<br />

zu vergleichen. Darum finden sie im allgemeinen, daß der durchschnittliche δ<br />

Wert für Aufgabe A geringer ist, denn für Aufgabe B. Dieses Ergebnis wird in<br />

Folge als Beweis für zunehmende Geduld interpretiert. Die Vermengung des<br />

Zeithorizonts mit dem Intervall, aber meint Read, heißt tatsächlich, daß δ<br />

sowohl von jeweils einem der beiden Faktoren, als auch von beiden gemeinsam<br />

beeinflußt sein kann. Der korrekte Weg um ihren Einfluß zu separieren, so Read<br />

weiter, ist daher ein Vergleich zwischen Aufgabe A und C. Eine unterstellte<br />

zunehmende Geduld müßte für diesen Fall bedeuten, daß für die gegebene<br />

Länge eines Intervalls, zum Beispiel sechs Monate, der Diskontierungsfaktor δ<br />

um so größer ist, je später das Intervall eintritt.<br />

Read (2001) selbst nahm drei Experimente vor, die die Vermengung der<br />

Länge des Intervalls mit dem Zeithorizont entwirren sollten, indem er Aufgaben<br />

der Art A und C miteinander verglich. 75 Keines dieser Experimente (12<br />

Versuchsanordnungen) zeigte einen Hinweis auf zunehmende Geduld. Zur<br />

gleichen Zeit aber enthüllten diese Studien starke Hinweise darauf, was bisher<br />

als zunehmende Geduld interpretiert worden war. Wenn Verzögerung und<br />

Intervall vermengt werden, so Read, kann das den Anschein zunehmender<br />

Geduld erwecken. 76<br />

Dieser Intervalleffekt wurde von Read als „Subadditive Diskontierung“<br />

bezeichnet. Es drückt den Umstand aus, daß für eine gegebene Zeitspanne, die<br />

Gesamtdiskontierung größer ist, wenn sie in Intervalle unterteilt wird und die<br />

Diskontierung für jedes Intervall separat gemessen wird, denn wenn die<br />

Zeitspanne ungeteilt bleibt. Somit könnte die Subadditive Diskontierung<br />

möglicherweise die Begründung für viele Beobachtungen sein, die bisher der<br />

Hyperbolischen Diskontierung zugerechnet wurden. 77<br />

75 Read und Roelofsma (2003) wiederholten die Untersuchungen mit Matching-Aufgaben und kamen zu<br />

identischen Ergebnissen.<br />

76 “Subadditive discounting can look like declining impatience.” (Read und Roelofsma, 2003, S. 142)<br />

77 „Subadditive discounting predicts that the shorter the delay, the greater the discount rate over that<br />

delay. It may, therefore, be the sole cause of many observations consistent with hyperbolic<br />

77


Read findet vorderhand zwei explizite Gründe für subadditives<br />

Diskontierungsverhalten (ebd., S. 9f):<br />

The first is based on cognitive processes such as attention and memory,<br />

while the second is ‚non-psychological’ and suggests that subadditivity<br />

will occur whenever judgement and evaluations contain errors.<br />

Erstens, wird eine Zeitspanne in Subintervalle unterteilt, so erhält jeder Teil<br />

eine größere Aufmerksamkeit, denn wenn er Teil eines Ganzen ist. 78<br />

Zweitens, subjektive Schätzungen aller Art werden typischerweise in<br />

Richtung der Mitte des zu schätzenden Bereichs verzerrt, das führt zu einer<br />

Überschätzung kleiner und einer Unterschätzung großer Quantitäten. Diese<br />

Verzerrung firmiert in der Statistik unter der Bezeichnung „Regression to the<br />

Mean“.<br />

Der von Read vorgebrachten Kritik entgegnen Frederick, Loewenstein und<br />

O’Donoghue (2002, S. 361) auf ihre Art. Sie meinen: „daß auch wenn er mit<br />

seinem Modell Subadditiver Diskontierung Recht behält, die<br />

Hauptschlußfolgerung für die ökonomische Anwendung eine alternative<br />

psychologische Unterfütterung für die Hyperbolische Diskontierung liefern<br />

mag, da die meisten intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>en vor allem von der<br />

Gegenwart aus diskontiert werden“.<br />

discounting, in which case the discount fraction for an interval of given length would be independent<br />

of when the interval begins” (Read, 2001, S. 12).<br />

78 Diese Wahrnehmungsverzerrung wird im Ansatz der sozialen Kognition als Salienz bezeichnet. Die<br />

Salienz ist die Unterschiedlichkeit eines Stimulus in Relation zum Kontext (vgl. Fiedler und Bless,<br />

2002, S. 137).<br />

78


2.5.2 Rubinstein<br />

Eine äußerst überzeugende Kritik in Bezug auf die Hyperbolische<br />

Diskontierung im besonderen, und am methodologischen Vorgehen von<br />

verhaltenswissenschaftlichen Ökonomen überhaupt, denke ich, stammt von<br />

Ariel Rubinstein (2003). Er stößt sich nicht nur an der Geschwindigkeit mit der<br />

die Hyperbolische Diskontierung von manchen als Faktum akzeptiert wurde,<br />

oder an ihrer Ableitung, die teilweise auf tierischem Verhalten beruht; seine<br />

Kritik geht weit tiefer, wenn er festhält, daß es für den Anspruch Ökonomie mit<br />

Psychologie zu betreiben nicht genügen kann alleinig an der funktionalen Form<br />

einer Diskontierungsfunktion zu drehen.<br />

Rubinstein argumentiert seine Skepsis gegenüber der Hyperbolischen<br />

Diskontierung in folgender Art (vgl. Rubinstein, 2003, 1208–1211):<br />

Die Hauptrechtfertigungen für die Zurückweisung des Standardmodells<br />

und zur Verwendung der Hyperbolischen Diskontierung liefern, wie Rubinstein<br />

meint, empirische Untersuchungen. Anhand eigener Studien zeigt er, daß<br />

ähnlich gestaltete Experimente, die zu einer Zurückweisung des DU-Modells<br />

gebraucht wurden, ebenso gut zu einer Zurückweisung der Hyperbolischen<br />

Diskontierung führen können. Er zeigt, daß ein <strong>Entscheidung</strong>sprozeß, der eine<br />

Ähnlichkeitsheuristik des Entscheidenden annimmt, für ihn, besser geeignet ist<br />

menschliches Wahlverhalten zu begründen:<br />

Die Optionen im Kontext intertemporaler <strong>Entscheidung</strong>en sind, nach<br />

Rubinstein, in der Form ( x, t ) , sowie ( y , s) gegeben, wobei € x oder € y nach<br />

einer Zeitspanne t , beziehungsweise s zur Verfügung stehen. Rubinstein<br />

vermutet nun, daß wenn ein Individuum zwischen den zwei Optionen ( x, t ) und<br />

( y , s) zu wählen hat, er folgende dreistufige Prozedur, die auf zwei<br />

Ähnlichkeitsbeziehungen beruht, verfolgt.<br />

Erstens wird er nach Dominanz in den Optionen Ausschau halten. Wenn<br />

x > y und t < s gibt es kein Problem und die Option ( x, t ) wird gegenüber<br />

( y , s) präferiert.<br />

Zweitens wird der Entscheider nach Ähnlichkeiten zwischen x und y ,<br />

79


und zwischen t und s suchen. Findet er Ähnlichkeiten in einer Dimension<br />

allein, so wird er seine Präferenz aufgrund jener Dimension treffen, in der keine<br />

Ähnlichkeit gegeben ist. Ist zum Beispiel t ähnlich s , x aber nicht ähnlich y ,<br />

und ist x > y , dann wird er die Option ( x, t ) gegenüber der Option ( y , s)<br />

präferieren.<br />

Sollten die ersten zwei Stufen zu keinem Ergebnis führen wird er ein<br />

anderes Kriterium suchen.<br />

Tatsächlich kann er in den von ihm durchgeführten Untersuchungen<br />

nachweisen, daß eine solche Ähnlichkeitsheuristik geeignet ist<br />

Präferenzenverkehrung zu beschreiben, was der Hyperbolischen Diskontierung<br />

in dieser experimentellen Anordnung nicht gelingt (ebd., S. 1209–1214).<br />

Er kommt daher zu dem Schluß, der in den folgenden Sätzen zusammengefaßt,<br />

seine Kritik zum Ausdruck bringt (Rubinstein, 2003, 1215; Hervorhebung durch<br />

den Autor):<br />

Doing ‚economics and psychology’ requires much more than citing<br />

experimental results and marginally modifying our models. We need to<br />

open the black box of decision making, and come up with some<br />

completely new and fresh modelling devices.<br />

80


3 Integrativer Ansatz<br />

K a p i t e l 3<br />

D A D AS M ENSCHLIC HE N ERVENS YS TEM E TWA 1 0 HOCH 1 3<br />

SYN AP SEN, ABER DER M ENSCH IN S GESAM T NUR ETWA 1 0<br />

HOCH 8 NERVENZE LLE N H AT, S IN D W IR GE GENÜBER<br />

ÄND ERUN GEN U NSERER INNEREN UM WE LT 1 0 0 .000 M AL<br />

EMPFÄN G LIC HER A LS GE GENÜBER ÄNDER UN GEN IN<br />

UNSERER ÄUß EREN UM WE LT. D IES HE Iß T AUC H, WENN M AN<br />

LIN E AR E X TR AP O LIER T, D AS S D IE WAHRSCHE IN LIC H KE IT<br />

1 0 0 .00 0 M AL GR Öß ER IS T, D AS S D IE IM<br />

ZE N TR ALN ERVENSY S TEM PROZESSIER TE N IN FORM AT IO NE N<br />

AUS D IESEM SE LBST S TAM M EN, U ND N ICHT AUS DER<br />

UM WE LT.<br />

3.1 Einführende Erläuterungen<br />

81<br />

HE LM U T W ILKE 79<br />

In den beiden vorahnhergehenden Kapiteln habe ich versucht die Forschung<br />

zum Thema der „<strong>Intertemporale</strong>n <strong>Entscheidung</strong>stheorie“ bis hin zur Gegenwart<br />

aufzuarbeiten. Diese Vorgehensweise habe ich erstens gewählt, um einen<br />

Überblick über den Stand der Dinge zu bieten und zweitens, um eine Basis für<br />

einen integrativen Ansatz zu legen. Vorausschicken möchte ich, daß es sich<br />

hierbei allein um den Versuch eines groben Modellaufriß handelt, um<br />

intertemporales <strong>Entscheidung</strong>sverhalten in einer größeren Vielfalt darzustellen<br />

vermag. Viele der Ideen und Erkenntnisse aus Kapitel Eins und Zwei sollen hier<br />

zusammenfließen, um ein vollständigeres Bild von dem zu geben, was ich im<br />

folgendem als „Menschliche Wahlhandlungen zwischen unmittelbarer<br />

Bedürfnisbefriedigung und langfristigem Wohlergehen“ zu bezeichnen gedenke.<br />

Das einzig qualitativ neue an diesem Ansatz ist eine systemische<br />

Herangehensweise, die ich in einer ersten Annäherung verständlich zu machen<br />

probiere. Vorab möchte ich allerdings einige einleitende Gedanken zum<br />

Ausdruck bringen.<br />

79 Wilke (1996, S. 26).


Es ist nun meine Meinung, daß keines der vorgestellten Modelle, die in Kapitel<br />

Zwei betrachtet wurden, und die ich als funktionalistisch-objektiv<br />

charakterisieren möchte, den <strong>Entscheidung</strong>sprozeß in seiner ganzen<br />

Komplexität ausreichend genau darzustellen im Stande sind. Folglich bieten sie,<br />

so glaube ich, auch keine adäquate Basis für eine tiefgründige Analyse der<br />

Wirtschaft, dessen zentrales Element, daß ist meine feste Überzeugung, der<br />

Mensch nun einmal ist.<br />

Es sind immer Menschen die <strong>Entscheidung</strong>en treffen, es sind immer<br />

Menschen die handeln, es sind immer Menschen die denken und sich<br />

Vorstellungen über die Zukunft machen – auch wenn sie sich meistens dieser<br />

Tatsache nicht bewußt sind und vieles davon bloß als eine Konstruktion ihres<br />

inneren Selbst erleben. Es ist vordergründig daher nicht die soziale Umgebung,<br />

es ist nicht die soziale Klasse, es ist nicht irgendeine Institution und es ist nicht<br />

die Gesellschaft, die entscheiden - sie sind bloß Produkte - wenn auch nicht in<br />

dem Sinn, daß sie gezielt geplant worden wären, sondern in einem<br />

evolutionärem; aber sie wären nicht das was sie sind ohne den Menschen, und<br />

sie dienen in ihrer gegenständlichen Form alleinig als äußere Anregung, die der<br />

Mensch annehmen kann, wenn er dies will. Natürlich bin ich mir auch der<br />

Tatsache bewußt, daß der Mensch nicht in einem luftleeren Raum – dem<br />

Vakuum - sein Dasein fristet, und daß sie soziale Situation in der er sich<br />

befindet einen Einfluß darauf ausübt, wie er sich verhält. Natürlich reagiert er<br />

auf seine Umwelt, aber behält er doch seine Autonomie und Unabhängigkeit<br />

aufrecht.<br />

Der Mensch ist daher, so meine ich, als ein autonomes und in seiner<br />

Operationslogik geschlossenes System zu betrachten, daß nur auf sich selbst<br />

und auf seine Systemzustände Bezug nimmt (vgl. Strunk, 2003 a). Die Umwelt<br />

wird von ihm nur indirekt und unspezifisch erschlossen. Eine Analyse, so bin<br />

ich überzeugt, muß daher anhand eines einzelnen Individuums begonnen<br />

werden. Die Erweiterung der Analyse erfolgt danach schrittweise nach außen<br />

hin. Es ist daher meine Ansicht, daß eine entsprechende Darstellung nur dann<br />

gelingen kann, wenn es möglich ist, den menschlichen <strong>Entscheidung</strong>sprozeß als<br />

ein komplexes Wechselspiel verschiedener Systeme, Subsysteme oder<br />

Systemelemente zu betrachten. Auch wenn möglicherweise sehr vermessen,<br />

könnte das der Forderung von Rubinstein im letzten Zitat aus Kapitel Zwei nahe<br />

82


kommen - es dient mir zumindest als Inspiration.<br />

Das zentrale System in meiner Sichtweise ist der einzelne Mensch, der<br />

aus Subsystemen konstituiert, sich einbettet in das System einer Sozialen<br />

Umwelt. Die folgende Analyse beschäftigt sich mit der Beziehung des<br />

Individuums und seiner ihn bildenden und umgebenen Systeme.<br />

3.2 Erste Annäherung - Systemische Betrachtung<br />

Die auftretende Frage nach dem Warum einer systemischen Betrachtung,<br />

möchte ich folgendermaßen beantworten (vgl. Strunk, 2003a–d, 2004 und<br />

2005). 80<br />

Die in Kapitel Zwei betrachteten Modelle folgen von ihrer<br />

Methodologie 81 und ihrem Aufbau her der klassischen Maschinenmetapher (vgl.<br />

Strunk, 2003 b), die in der orthodoxen Ökonomie insbesondere in Form des<br />

„Allgemeinen Gleichgewichtsmodells“ in Erscheinung tritt. 82 Diese Modelle<br />

entsprechen dem linealen Denken, im Sinne von kausalen Ursache-<br />

Wirkungszusammenhängen, und sind damit verfangen in einer endlosen<br />

Determiniertheit. Der Mensch ist, gegeben diese Sichtweise, in seinen<br />

<strong>Entscheidung</strong>en unfrei. 83 Die Zukunft ergibt sich gesetzmäßig zwingend aus den<br />

Bedingungen der Gegenwart, die sich ihrerseits zwingend aus der<br />

80 Zu einer Einführung in die „Systemtheorie“ siehe z.B. Wilke (1996). Für eine spezielle Annäherung<br />

an komplexe dynamische Systeme siehe Briggs und Peat (1993).<br />

81 Die Frage nach der Methodologie in eine Fußnot zu verbannen ist schlimm genug, hier bleibt nur<br />

anzumerken, daß die Modelle des Kapitels Zwei als konventionalistisch und/oder instrumentalistisch<br />

zu bewerten sind (vgl. Boland, 2003).<br />

82 Das AGM ist als ein Globalmodell zu verstehen. Ein solches System kann dann zwar theoretisch<br />

exakt vorhersagbar sein, indem zum Beispiel alle Relationen zwischen allen beteiligten<br />

Systemkomponenten gesetzmäßig bekannt und mit einbezogen werden, sich aber empirisch entgegen<br />

der Vorhersage verhalten. Dabei sind nicht etwa die Vorhersagen grundsätzlich fehlerhaft, sie sind<br />

nur nicht in der Lage, Meßungenauigkeiten und kleinste Störungen zu kontrollieren. (vgl. z.B.<br />

Strunk, 2003 d, S. 16).<br />

83 Vgl. Boland (2003, S. 54): „Anyone facing the same continuum of options […] and has the same<br />

profile of levels of satisfaction associated with the profile of all of these options will choose the<br />

same point. The explanation is thus both universal (it applies to everyone) and unique (all such<br />

individuals will choose exact same point).”<br />

83


Vergangenheit ergibt. Sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft sind<br />

miteinander kausal gekoppelt, sodaß eine Vorhersage der Zukunft und eine<br />

Ermittlung der Vergangenheit nur ein Problem der Verfügbarkeit der nötigen<br />

Informationen ist. Beispielsweise schreibt Strunk (2003 b, S. 12), daß: 84<br />

…[die] konsequente Anwendung des klassisch mechanischen Weltbildes<br />

auf alle Naturvorgänge zu unendlichen Ursache-Wirkungsketten führt, aus<br />

denen logisch der Laplacesche Dämon folgen muss, der wen es ihn gebe,<br />

Zukunft und Vergangenheit des Universums kennte.<br />

Da den mechanistisch inspirierten Modellen darüber hinaus jegliche<br />

Rückkoppelungsschleifen fehlen, können sie weder auf interne noch externe<br />

Ereignisse entsprechend reagieren. Der Wissenschaftler in dieser Denkweise<br />

verhaftet, akzeptiert die Komplexität als gottgegeben und versucht nur sie zu<br />

analysieren und zu verstehen. Lineal kausale Modelle enthalten in diesem<br />

Sinne immer nur soviel Erklärungspotenz, wie ihnen von ihrem Schöpfer<br />

mitgegeben wird. Sie eignen sich daher gut, um bekanntes nachträglich<br />

nachzuzeichnen (vgl. Strunk, 2003 b).<br />

Die folgende Abbildung 3-1 soll die Linealität 85 , sowohl der Modelle als auch<br />

des Denkens verdeutlichen - das Universum als unendliches Räderwerk.<br />

84 Laplace, zitiert nach Breuer (1989, S. 8) in Strunk (2003 b, S. 12): „Der momentane Zustand des<br />

Systems Natur ist offensichtlich eine Folge dessen, was er im vorherigen Moment war, und wenn wir<br />

uns eine Intelligenz vorstellen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt alle Beziehungen zwischen den<br />

Teilen des Universums verarbeiten kann, so könnte sie Orte, Bewegungen und allgemeine<br />

Beziehungen zwischen all diesen Teilchen für alle Zeitpunkte in Vergangenheit und Zukunft<br />

vorhersagen.“<br />

85 Das Konzept der „Linealität“ (lineal) (vgl. Strunk, 2003 b, S. 12) ist scharf zu differenzieren vom<br />

mathematischen Begriff der „Linerarität“, der die Art der Weitergabe von einzelnen Ursachen an<br />

bestimmte Wirkungen kennzeichnet. Der Begriff der Linealität bezieht sich auf die Struktur des<br />

Systems, die für klassisch mechanische Systeme als eine endlose vorwärts gerichtete Kette ohne<br />

Rückkoppelungsschleifen erscheint.<br />

84


Abbildung 3-1: Das Universum als unendliches Räderwerk<br />

Quelle: Strunk (2003 b, S. 10, Abb. 8). Die Struktur des klassisch mechanischen<br />

Systems ist eine endlose vorwärts gerichtet Kette ohne<br />

Rückkoppelungsschleifen, und damit in ihren Verhaltensmöglichkeiten<br />

stark beschränkt.<br />

Ich glaube daher, daß eine Betrachtung, die sich der Komplexität bewußt ist<br />

und sie nicht als gottgegeben annimmt, eine bessere Ausgangsbasis bietet und<br />

dem Menschen seine Freiheit zurückgeben kann. Auch wenn das Verhalten nur<br />

beschränkt oder musterhaft und, wenn überhaupt, nur für kleinste Zeitspannen<br />

vorhersagbar ist, handelt der Mensch nicht zufällig, aber er handelt frei und<br />

nicht von äußeren Einflüssen determiniert. Determiniert ist er allein durch seine<br />

innere Systemstruktur. Sie diktiert wie auf kleinste Verstörungen aus der<br />

Umwelt reagiert wird, und bildet eine ihr eigene Dynamik emergent aus. Der<br />

Verlust an Vorhersagbarkeit entspricht hier nichts anderem als dem Verlust der<br />

Kausalität, bei gleichzeitiger Beibehaltung des systemimmanenten<br />

Determinismus. Das Individuum ist in dieser Hinsicht als ein hochkomplexes<br />

nichtlineares dynamisches System anzusehen, das energetisch der Umwelt<br />

gegenüber offen, in seiner Operationslogik aber geschlossen ist. Das System<br />

operiert über gemischte Rückkoppelungsschleifen, die in der Lage sind ein<br />

einfaches homöostatisches Fixpunktverhalten zu generieren, bleibt darauf aber<br />

nicht beschränkt. Die komplexe Form der hier angesprochenen<br />

Selbstorganisation, beziehungsweise die Vorgänge und Prozesse in einem<br />

85


solchen System lassen sich jedoch nur selten ohne eine konkrete mathematische<br />

Formulierung verstehen (vgl. Strunk, 2005). 86<br />

Abbildung 3-2 zeigt ein einfaches nichtlineares dynamisches System mit<br />

gemischten Rückkoppelungsschleifen, das im Gegensatz zum Maschinenmodell<br />

der Nichtlinealität gehorcht und die Kausalität durchbricht.<br />

Abbildung 3-2: Ein nichtlineares dynamisches System<br />

Quelle Strunk (2004, S. 19): Ein nichtlineares dynamisches System ist<br />

gekennzeichnet durch gemischte Rückkoppelungsschleifen und<br />

Nichtlinealität.<br />

c<br />

a b<br />

Ich definiere daher für die folgende Betrachtung das einzelne Individuum als<br />

ein System. 87 Dieses System Individuum A, wie in Abbildung 3-3 dargestellt,<br />

86 Nichtlineare dynamische Systeme sind als eine geordnete Menge variabler quantitativer Größen zu<br />

verstehen, die durch mathematisch beschreibbare Differentialgleichungssysteme miteinander in<br />

Beziehung stehen und enthalten mindestens eine nichtlineare Funktion und sind, wie gesagt, als<br />

dissipipative Systeme aufzufassen (vgl. Strunk 2005, S. 5).<br />

87 Unter einem System wird eine von der Umwelt abgegrenzte, funktional geschlossene Entität<br />

verstanden, die aus Elementen besteht, die miteinander in Wechselwirkungen stehen. Die Vorgänge<br />

innerhalb der Systemgrenzen sind qualitativ produktiver und quantitativ intensiverer Natur, als die<br />

außerhalb der Systemgrenzen. Systeme können offen sein für Austauschprozesse mit ihrer Umwelt.<br />

86


setzt sich aus verschiedenen Elementen oder Subsystemen, je nach Definition,<br />

zusammen. In einem ersten Schritt nehme ich zwei dieser Subsysteme<br />

(Elemente) als entscheidungskonstituierend an.<br />

Das erste bezeichne ich als kognitiv-exekutives System a, das zweite<br />

als affektiv-emotionales System b. Diese beiden Systeme treten in Form der<br />

Elemente Kognition, Handlung und Willensstärke, beziehungsweise Affekt und<br />

Emotion in Erscheinung (vgl. Abs. 1.5.1. idA.).<br />

Das System Individuum grenzt sich entsprechend den einführenden<br />

Annahmen scharf von seiner Umwelt – den individuellen Systemen B und C -<br />

ab, ist aber energetisch offen und empfänglich für sozial-situative Umweltreize,<br />

die in Form von Verstörungen (Wechselwirkungen)- an das System herantreten.<br />

Abbildung 3-3: System Individuum in hierarchischer und heterarchischer<br />

Annordnung<br />

Quelle: Strunk (2003a, S. 5, Abb. 3). Das System Individuum A wird gebildet aus<br />

den Subsystemen a und b, die ihrerseits wiederum, so zum Beispiel im<br />

Falle von a, aus α, β und z gebildet werden (hierarchische Anordnung).<br />

Das System Individuum A steht aber auch in Wechselwirkung zu den<br />

Individuen B und C, die seine Umwelt bilden (heterarchische<br />

Annordnung). Im speziellen Fall dieser Arbeit bezeichne ich das<br />

Subsystem a als kognitiv-exekutives System und b als affektiv-<br />

emotionales System.<br />

Je nach Tiefe der Systemanalyse können verschiedene hierarchische Ebenen innerhalb eines Systems<br />

und heterarchische Wechselwirkungen zwischen Systemen unterschieden werden (vgl. Strunk 2003a).<br />

87


3.3 Zweite Annäherung - Die Dichotomie des menschlichen Selbst<br />

Die Annäherung über vorerst zwei dem <strong>Entscheidung</strong>sprozeß zugrunde liegende<br />

Subsysteme, beziehungsweise Systemelemente begründe ich in folgender<br />

Weise.<br />

Die Vorlagen für diesen, dem Menschen innewohnenden Dualismus sind<br />

augenscheinlich. Er zieht sich durch die Ansichten von Philosophen beginnend<br />

in der Antike, von Ökonomen und Psychologen bis zu Neurobiologen der<br />

Gegenwart. Eine selektive Auswahl soll das verdeutlichen.<br />

In der Rhetorik beschreibt Plato den Menschen als Lenker eines<br />

Streitwagens, der von zwei Pferden gezogen wird, dem Verstand und der<br />

Leidenschaft (vgl. Camerer, Loewenstein und Prelec, 2004b, S. 12). In der<br />

Republik kontrastiert er die unmittelbaren Begierden für kurzsichtiges<br />

Vergnügen mit der Vernunft, deren Funktion es ist mit Weißheit und Vorsicht<br />

zu walten, im Dienste des Selbst (vgl. Loewenstein und O’Donoghue, 2004, S.<br />

3).<br />

Adam Smith beschreibt in seiner „Theory of Moral Sentiments“ das<br />

menschliche Verhalten als determiniert durch den Kampf zwischen der Passion<br />

und einem unparteiischen Beobachter (vgl. Ashraf, Camerer und Loewenstein,<br />

2005). 88<br />

Die angenommene Dichotomie zieht sich ebenfalls durch die<br />

Argumentation von zahlreichen klassischen Ökonomen. In der Begründung der<br />

Zeitpräferenz (vgl. 1.3.2. idA.) zum Beispiel, wird diese teilweise implizit als<br />

auch explizit als Erklärung beachtet.<br />

88 "The pleasure which we are to enjoy ten years hence," he observed, " interests us so little in<br />

comparison with that which we may enjoy today, the passion which the first excites, is naturally so<br />

weak in comparison with that violent emotion which the second is apt to give occasion to, that the<br />

one could never be any balance to the other, unless it was supported by the sense of propriety [i.e.,<br />

the impartial spectator]." (1759, IV, ii, 273). For the impartial spectator, in contrast, the "present<br />

and what is likely to be their future situation are very nearly the same: he sees them nearly at the<br />

same distance, and is affected by them very nearly in the same manner…The spectator does not feel<br />

the solicitations of our present appetites. To him the pleasure which we are to enjoy a week hence, or<br />

a year hence, is just as interesting as that which we are to enjoy this moment (IV, ii, 272)" (Adam<br />

Smith zitiert nach Ashraf, Camerer und Loewenstein, 2005, S. 193).<br />

88


Für Sigmund Freud ist der Mensch gekennzeichnet durch einen<br />

doppelten Dualismus, der seinen Ausdruck einerseits im topographischen<br />

Modell, als Differenz zwischen Bewußten und Unbewußten, andererseits im<br />

Strukturmodell, als Kampf zwischen Es und Ich findet (vgl. z.B. Kutter, 2000).<br />

Für verhaltenswissenschaftlich orientierte Ökonomen ist die Bedeutung<br />

psychologischer Faktoren, die in Opposition zu den grundlegenden Annahmen<br />

der neoklassischen Ökonomie stehen, grundlegende Basis für die Entwicklung<br />

ihrer Modelle. Sie erkennen in ihren empirischen und experimentellen<br />

Untersuchungen, daß menschliches Rationalverhalten durch eine Vielzahl von<br />

affektiv-emotionalen Prozessen verstört wird (vgl. Abs. 1.4, Abs. 2.3 und Abs.<br />

2.4 idA.). Das Hyperbolische Diskontierungsmodell ist ein Ausdruck dieser<br />

Überzeugung, indem es in einer funktionalen Form, diesen Dualismus zu<br />

verbinden versucht.<br />

Besonders augenscheinlich wird die hier angenommene Sichtweise in<br />

den Arbeiten von Thaler und Shefrin (1981) und Schelling (1984), die sich mit<br />

dem Thema intrapersoneller Konflikte und Selbstkontrolle in intertemporalen<br />

Problemstellungen beschäftigen. Beide Ansätze arbeiten mit dem Konzept<br />

Multipler-Selbst, um den hier verfolgten Dualismus zu operationalisieren.<br />

Thaler und Shefrin entwickeln einen weitblickenden Planer, der<br />

langfristiges Wohlergehen verfolgt, und eine Serie kurzfristigen Macher, die<br />

allein an der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung interessiert sind. Ihr Ansatz<br />

steht in der Tradition der „Principal-Agent Theorie“.<br />

Schelling unterscheidet zwischen zwei Serien des Selbst, die eine<br />

wiederum langfristig denkend, die andere kurzsichtig. Abwechselnd übernimmt<br />

eine der beiden die Verhaltenskontrolle. Schelling zeigt in Folge Techniken der<br />

Selbstverpflichtung, die dem langfristigen Selbst dabei helfen können seinen<br />

Widerpart unter Kontrolle zu halten.<br />

In allen Überlegungen bis zu diesem Punkt kommt der von mir angenommene<br />

Dualismus zum Ausdruck. Zu beachten allerdings ist, daß in all diesen<br />

Exempeln eine mehr oder weniger strikte Trennung zwischen Verstand auf der<br />

einen, und Gefühl auf der anderen Seite vorausgesetzt wird. Diese Sichtweise<br />

gilt es ab hier zu überwinden, und auf eine Wechselwirkung der beiden<br />

Elemente hinzuarbeiten.<br />

89


Hinweise für die Überwindung der traditionellen Sichtweise bietet das<br />

Forschungsprogramm der Neurowissenschaften (vgl. Abs. 1.5 idA). Die<br />

Erkenntnisse auf dem Gebiet der Neurowissenschaft lassen, wie ich meine,<br />

sowohl eine Rechfertigung für die vorerst verfolgte Zweiteilung, als auch für<br />

deren Überwindung zu. Neurowissenschaftler unterscheiden einerseits zwischen<br />

kognitiv-exekutiven und affektiv-emotionalen Prozessen, um andererseits in<br />

einem nächsten Schritt die beiden miteinander in Kommunikation zu setzen.<br />

Der doppelte Dualismus, der durch die Ergänzung mit kontrollierten und<br />

automatischen Prozessen generiert wird, bildet schließlich weitere<br />

Entwicklungsmöglichkeiten für entsprechende Modelle, die hier vorerst nur<br />

angedeutet werden können.<br />

3.4 Dritte Annäherung – Kognition, Affekt und Emotion<br />

Der in der letzten Annäherung skizzierte Dualismus findet, in dem hier<br />

verfolgten Ansatz, seine Entsprechung in Form des kognitiv-exekutiven und<br />

affektiv-emotionalen Systems. Die besondere Rolle dieser beiden Subsysteme,<br />

soll anhand ihrer Ausprägungen in Form von Kognition, Handlung und<br />

Willensstärke, beziehungsweise Affekt und Emotion verdeutlicht werden. 89<br />

Entsprechend einer dem menschlichen Verstand, der sich als Herr im eigenen<br />

Haus sieht zuwiderlaufenden Annahme, gehe ich davon aus, daß Affekte und<br />

Emotionen in der Regel der Kognition vorangehen (vgl. z.B. Loewenstein und<br />

O’Donoghue, 2004, S. 11f). 90<br />

89 Die Begriffe Affekt und Emotion werden sowohl im Deutschen, wie auch im Englischen häufig<br />

synonym gebraucht, trotzdem möchte ich für die hier vorliegende Arbeit eine Differenzierung<br />

vornehmen. Als „Affekte“ definiere ich ursprüngliche Triebbedürfnisse, die einer unmittelbaren<br />

Befriedigung bedürfen. Affekte treten in der Regel unbewußt in Erscheinung, können aber durch<br />

Übung kontrollierbar werden. Zu ihnen zählen Hunger und Durst, das Bedürfnis nach Schlaf,<br />

Wärmeregulierung und Sex, des weiteren Aggression und Wut, sowie Schmerz und das Bedürfnis<br />

nach sozialen Kontakten. Unter „Emotionen“ verstehe ich bewußte, wie unbewußte Erlebniszustände,<br />

die durch positive oder negative Erfahrungen in stärkerem Maße als bei Affekten veränderbar sind.<br />

Zu den Emotionen zählen Scham, Furcht und Angst, weiters Freude und Glück, sowie Verachtung<br />

und Ekel und schließlich Neugierde, Hoffnung, Enttäuschung und Erwartung (vgl. Roth, 2003, S.<br />

292f).<br />

90 “[A]ffective reactions tend to occur first, temporally, with deliberation typically playing a<br />

secondary, corrective role” (Loewenstein und O`Donoghue, 2004, S. 11)<br />

90


3.4.1 Affekte und Emotionen<br />

Wie in der Kritik zur Hyperbolischen Diskontierung festgehalten (vgl. Abs. 2.5<br />

idA.), ist eine ihrer zentralen Schwächen, in Fragen der Diskontierung nicht<br />

zwischen verschiedenen Arten von Gütern unterscheiden zu können. Die Frage<br />

warum zum Beispiel gewisse Arten von Gütern mit dem Phänomene der<br />

Impulsivität in Verbindung gebracht werden, andere aber nicht, bleibt<br />

ungeklärt. Loewenstein (1996) nähert sich dieser Fragestellung und weißt<br />

darauf hin, daß das Phänomen der Impulsivität beim Menschen mit visceral<br />

factors, das sind Affekte und unmittelbar erfahrene oder erwartete Emotionen<br />

(vgl. auch Loewenstein und Lerner, 2003), in Verbindung gebracht werden<br />

kann. 91 So zeigen Menschen besonders dann impulsives oder ein auf<br />

kurzfristige Ziele gerichtetes Verhalten, wenn sie in hohem Maße hungrig,<br />

durstig oder sexuell erregt, beziehungsweise in hohem Maß emotional<br />

beeinflußt sind. Diese intensiven affektiven und emotionalen Stadien führen,<br />

nach Meinung von Loewenstein, zu Verhaltensweisen, die dem Selbstinteresse<br />

vollkommen zuwiderlaufen können, und daß obwohl sich die Betroffenen ihres<br />

Verhaltens oft völlig bewußt sind (vgl. Loewenstein, 1996, S. 272). Fehlen<br />

diese Erregungen, oder sind sie von geringer Intensität ist es dem Individuum<br />

meist möglich völlig objektiv, daß heißt rational zwischen langfristigen und<br />

kurzfristigen Zielen zu wählen. In diesen Fällen können Emotionen oft der<br />

Kognition hilfreich zur Seite stehen.<br />

91 Loewenstein (1996, S. 272) geht in seiner Arbeit von zwei Prämissen aus: „First, immediately<br />

experienced visceral factors have a disproportionate effect on behavior and to ‚crowd out’ virtually<br />

all goals other than that of mitigating the visceral factor. Second, people underweigh, or even ignore<br />

visceral factors that they will experience in the future, have experienced in the past, or that are<br />

experienced by other people.” Während Prämisse Eins eine Basis für das hier verfolgte Thema des<br />

impulsiven Verhaltens bietet, stellt die zweite Voraussetzung überwiegend einen Vorgriff auf das<br />

Thema der Selbstkontrolle dar. Die Schwierigkeit ein geeignetes Mittel zur Selbstkontrolle zu<br />

implementieren hängt nicht zuletzt davon ab, sich eine adäquate Vorstellung oder mentale<br />

Repräsentation des bereits Geschehene oder künftig zu Erwartenden und der damit verbundenen<br />

Stadien von Affekt und Emotion zu machen. Herausragendes Beispiel in diesem Zusammenhang ist<br />

das Thema der Sucht. Im nüchternen Zustand oder mit gegebener zeitlicher Entfernung werden akute<br />

Suchtmuster unterschätzt oder vollkommen ignoriert (vgl. ebd. S. 278 und 285, sowie Präpositionen<br />

5, 6, und 7 S. 281 und 285).<br />

91


Für die Hyperbolische Diskontierung ist darüber hinaus, wie gezeigt<br />

wurde, alleinig die zeitliche Nähe Auslöser für impulsives Verhalten. Diese<br />

Annahme ist in einer umfassenden Sichtweise intertemporaler <strong>Entscheidung</strong>en<br />

um die Faktoren körperliche und sinnliche Nähe zum begehrten Objekt zu<br />

ergänzen (vgl. Hoch und Loewenstein, 1991). Ihren Ausdruck findet diese<br />

Ergänzung im spezifischen Einfluß dieser Arten von Nähe (zeitlich, körperlich<br />

und sinnlich) auf Affekte und Emotionen, die ihrerseits wieder in ein<br />

Wechselspiel mit der Kognition treten.<br />

Affekte, oder ursprüngliche Triebbedürfnisse, sind unser evolutionäres<br />

Erbe. In Hinsicht auf die Affekte unterscheidet sich der Mensch vorderhand<br />

nicht vom Tier. 92 Affekte, wie Hunger und Durst oder die sexuelle Erregung<br />

spielen eine wesentliche Rolle in der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung und<br />

dienen gemeinhin, als eine Erklärung für Impulsivität und aller Arten von<br />

irrationalem Verhalten. Die Auslösung von Affekten hängt neben der inneren<br />

Disposition, aber auch von einer Vielzahl anderer Einflüsse ab. Zu ihnen zählen<br />

die vorhin angesprochenen Arten von Nähe, die als Umweltstimuli wirksam<br />

werden, oder auch die zeitliche Distanz zur letztmaligen Befriedigung 93 . Ihre<br />

Rolle im <strong>Entscheidung</strong>sprozeß wird im Zusammenhang mit der Rolle von<br />

Emotionen im Anschluß aufgezeigt.<br />

Emotionen, wie zum Beispiel Freude, Furcht oder Scham (vgl. Elster, 1996 und<br />

1998; siehe auch Fußnote 88 ) sind zum Teil unbewußt, aber auch bewußt in<br />

Erscheinung tretende mentale Erlebniszustände, beziehungsweise die<br />

Veranlagung für das Eintreten dieser Zustände. Sie werden mit physiologischer<br />

Erregung in Verbindung gebracht, charakterisiert durch hormonelle<br />

Veränderungen und Veränderungen im vegetativen Nervensystem. Ihre<br />

Auslösung hängt daneben von der inneren Bereitschaft, in Form von<br />

konstruktivistischen Prozessen in Verbindung mit situativen Faktoren ab. Sie<br />

sind vorsätzlich, daß heißt sie haben in der Regel ein Zielobjekt auf das sie<br />

gerichtet sind, sei es ein Mensch oder ein Zustand. Emotionen besitzen eine<br />

92 Die vielen möglichen Strategien, die der Mensch im Laufe der Zeit entwickelt hat, um diese<br />

ursprünglichen Triebe kontrollierbar zu machen sind Thema der Selbstkontrolle (siehe Abs. 4 idA.)<br />

93 Vgl. Frederick, Loewenstein und O’Donoghue (2002, S. 357) bezüglich der Annahme der<br />

Konsumationsunabhängigkeit im DU-Modell.<br />

92


kognitive Vorstufe, sie werden durch Glauben ausgelöst. Sie haben positive<br />

oder negative Valenz und können entlang einer Freude-Schmerz Skala<br />

abgetragen werden, mit einem neutralen Nullpunkt emotionaler Indifferenz.<br />

Beispielsweise geht hohe Erregung in der Regel mit hoher Valenz einher. Die<br />

meisten Emotionen werden mit einer charakteristischen Aktionstendenz<br />

verbunden, gekennzeichnet durch den Impuls. Die Aktionstendenz der Scham<br />

zum Beispiel ist das sich Verstecken, daß der Angst und vor Freude der Tanz.<br />

Emotionen werden ebenfalls mit einem sichtbaren physiologischen Ausdruck<br />

verbunden - man wird rot, oder fahl, lacht oder fletscht die Zähne. 94<br />

Während Affekte und Emotionen seit jeher den negativen Ruf einer gewissen<br />

Irrationalität genossen, den es galt durch Verstand und Vernunft zu überwinden,<br />

zeigt die moderne sozio-kognitive, wie auch neurobiologische Forschung,<br />

ebenso die positiven Seiten, die ihnen innewohnen. Ein Entscheiden ohne die<br />

Beteiligung von Emotionen kann, so zeigt zum Beispiel ein Bericht von<br />

Damasio (vgl. Elster, 1998, S. 61; siehe auch Roth, 2003, S. 283f) über einen<br />

Patienten mit Läsion des emotionalen Gehirns, zu suboptimalen <strong>Entscheidung</strong>en<br />

oder infiniten <strong>Entscheidung</strong>sprozessen führen. Affekte und Emotionen werden<br />

daher nicht mehr nur als Quelle von Problemen der Selbstkontrolle und als dem<br />

Selbstinteresse zuwiderlaufende Instanzen, sondern als etwas, daß entscheidend<br />

zur Güte der zu treffenden Wahl beitragen kann angesehen (vgl. Elster, 1998, S.<br />

59–63)<br />

Die Rolle von Affekten und Emotionen im <strong>Entscheidung</strong>sprozeß wird vor allem<br />

durch ihre Intensität bestimmt, die ihrerseits wiederum teilweise auf den<br />

angesprochenen Arten von Nähe beruht (vgl. Loewenstein, 1996, S. 274–276).<br />

Auf geringen oder mäßigen Intensitätsniveau nehmen sie eine beratende<br />

Funktion ein. So befähigen sie uns nicht nur dazu ein unendliches Verschieben<br />

rationaler <strong>Entscheidung</strong> zu verhindern, sondern können in gewissen Fällen<br />

tatsächlich zu einer optimalen <strong>Entscheidung</strong> beitragen. In diesen Formen treten<br />

94 Für eine Diskussion inwieweit Emotionen rational verhindert oder hervorgerufen werden können<br />

siehe Elster (1998, S. 51–59).<br />

93


sie als Somatic-markers oder Tie-breakers in Erscheinung. 95 In beiden Fällen<br />

wird angenommen, daß <strong>Entscheidung</strong>en, die von Emotionen und Kognition<br />

zusammen gefällt werden, besser sind, als wenn sie vom Verstand allein<br />

getroffen würden (vgl. z.B. Elster, 1998, S. 59–63).<br />

Mit zunehmender Intensität, nimmt aber auch der Einfluß auf das<br />

Verhalten zu. Auf ausreichendem Niveau können Emotionen tatsächlich<br />

kognitive Prozesse und überlegtes Entscheiden überwältigen. Unter dem<br />

Einfluß dieser intensiven Emotionen kommt es nicht selten vor, daß Menschen<br />

vollkommen außer Kontrolle geraten und gegen ihre eigenen Interessen<br />

handeln, oder in tragischen Fällen völlig gelähmt sich der Situation ergeben<br />

(vgl. Loewenstein und Lerner, 2003, S. 627).<br />

Unmittelbar erfahrene Emotionen (vgl. ebd., S. 626-633) können sowohl einen<br />

direkten, wie auch indirekten Einfluß auf <strong>Entscheidung</strong>en nehmen. Sie können<br />

etwa die Aufmerksamkeit auf wichtige Situationen lenken, oder moralische und<br />

ästhetische Bewertung liefern, die der Kognition nicht zugänglich sind. Sie<br />

können ebenfalls die vielfältigen Abarten von Nähe, die aus kognitiver Sicht<br />

keine Rolle spielen dürften, in den <strong>Entscheidung</strong>sprozeß mit einbinden.<br />

Der direkte Einfluß von Emotionen kommt vor allem in Form von so<br />

genannten Aktionstendenzen zum tragen. Diese Aktionstendenzen werden mit<br />

spezifischen Emotionen und deren Valenz assoziiert und stellen mitunter eine<br />

Motivation für die Implementierung einer einmal gewählte Aktionen dar (vgl.<br />

auch Elster, 1998).<br />

Indirekt beeinflußt durch Emotionen wird das <strong>Entscheidung</strong>sverhalten<br />

durch Veränderungen in der mentalen Repräsentation des zukünftig zu<br />

Erwartenden, daß sind die bei der <strong>Entscheidung</strong> gemachten Vorstellung über die<br />

Zukunft. Weiters wird das Verhalten beeinflußt durch Veränderungen in der<br />

selektiven Informationsverarbeitung und Veränderungen in der Tiefe und<br />

Qualität der Prozessierung.<br />

95 Vgl. Elster (1998, S. 1996): “[I]n order to make up our minds in largely indeterminate situations we<br />

use somatic markers (gut feelings) that are not available to the emotionally disabled, who for that<br />

reason tend to procrastinate indefinitely.”<br />

94


3.4.2 Kognition, Handlung und Willensstärke<br />

Denken gilt als Krone menschlicher Fähigkeiten. Es ist in traditioneller<br />

Sicht identisch mit dem Besitz von Verstand und Vernunft und stellt<br />

damit dasjenige Merkmal dar, welches uns neben der Sprache am<br />

eindeutigsten von den Tieren unterscheidet (Roth, 2003, S. 177).<br />

In einem rationalen Verständnis sind Wahrnehmung, Denken und Vorstellung<br />

essentiell und dienen als Grundlage für die Planung, Ausführung und Kontrolle<br />

von Handlungen, als auch für abwägendes Entscheiden zwischen<br />

Handlungsalternativen. 96 Die kontrollierten kognitiv-exekutiven Funktionen, die<br />

diese Leistung zu vollbringen haben, sind aber aufgrund ihres immensen<br />

Energieumsatzes und der Enge des Arbeitsgedächtnisses (vgl. Roth; 2003, S.<br />

158f) auch eine begrenzte Ressource. Viele, wenn nicht die meisten<br />

Handlungen und <strong>Entscheidung</strong>en laufen daher völlig automatisch, in Form von<br />

Routinen oder Heuristiken ab (vgl. Abs. 1.5.1 idA.). 97<br />

Die Hauptaufgabe der Kognition in intertemporalen<br />

<strong>Entscheidung</strong>sprozeßen ist die mentale Repräsentation des in der Zukunft<br />

liegenden Zieles. Diese Aufgabe wird erschwert durch den Umstand, daß die<br />

unmittelbar verfügbare Option den Vorteil der Salienz genießt. Die zukünftige<br />

Option kann damit nur dann konkurrieren, wenn sich der Mensch ein genaue<br />

Vorstellung oder Bild von ihr machen kann. Variationen in der Güte der<br />

Vorstellung können einen substantiellen Einfluß auf die Wirksamkeit im Kampf<br />

mit der unmittelbaren Versuchung haben (vgl. Baumeister und Vohs, 2003, S.<br />

210). Allein die genaueste Vorstellung hilft wenig, wenn der Glaube fehlt. Der<br />

Glaube und die Hoffnung das Ziel zu erreichen sind daher ebenso von<br />

Bedeutung, wie die weiter unten dargestellte Willensstärke.<br />

96 Zu den wissenschaftlichen Forschungsgebieten die sich explizit den Fragen von Kognition,<br />

Handlung und Wille widmen, zählen die Kognitive Psychologie, sowie die Handlungs- und<br />

Volitionspsychologie. Für eine Einführung in diese Themengebiete siehe z.B. Fiedler und Bless<br />

(2002) oder Roth (2003).<br />

97 Für diese Annäherung muß eine Analyse kontrollierter Prozesse als hinreichend angenommen<br />

werden. Diese entspricht weitestgehend der Annahme der strikten Rationalität, die dem<br />

neoklassischen Paradigma zu Grunde liegt<br />

95


Die Hauptaufgabe des exekutiven Systems ist die Organisation der<br />

<strong>Entscheidung</strong>shandlung in Hinsicht auf das repräsentierte Ziel, das heißt die<br />

Planung und Durchführung des Verhaltens auf das gerichtete Ziel muß von<br />

diesem realisiert werden. Die Verfolgung eines in der Zukunft liegenden Ziels<br />

ist jedoch mehr als die einmalige <strong>Entscheidung</strong>. Vielmehr ist eine Serie von<br />

<strong>Entscheidung</strong>en von Nöten, die aufeinander aufbauen, um so die lange Frist<br />

überbrücken zu können. Auch hier spielt der Glaube, vor allem der an sich<br />

selbst, eine entscheidende Rolle, wie Baumeister und Vohs (ebd., S. 211)<br />

notieren:<br />

Each may require some faith that one will have the consistency to make<br />

all the others.<br />

Die Willensstärke (vgl. Baumeister und Vohs, 2003) gepaart mit dem Glauben<br />

bildet schließlich das Bindeglied zwischen Vorstellung und Handlung. 98<br />

Willensstärke ist unabdingbar sowohl für die Durchsetzung einmal getroffener<br />

<strong>Entscheidung</strong>en, als auch für die dauerhafte Verfolgung derselben, sowohl<br />

gegen innere, wie auch äußere Widerstände. In dieser Form dient sie als<br />

herausragendes Mittel der Impuls- und Selbstkontrolle. Baumeister und Vohs<br />

(ebd., S. 201) schreiben zur Thematik der Impulskontrolle:<br />

The capacity of the human self to override its initial responses is one of<br />

the most important, powerful, and adaptive aspects of human nature. The<br />

immense flexibility and variety of human behavior can be directly<br />

attributed to people’s ability to alter their responses – the essence of self-<br />

regulation.<br />

Zu den generellen Aufgaben der Willensstärke im intertemporalen<br />

<strong>Entscheidung</strong>sprozeß zählen die Emotions- und Affektregulierung, sowie die<br />

Stärkung des physischen und psychischen Durchhaltevermögens. Im speziellen<br />

dient die Willensstärke dazu den aktuell auftretenden Impuls zu unterdrücken.<br />

Sie dient ebenfalls der Aufgabe, sich über akute Verschiebungstendenzen<br />

98 Für eine ausführliche Darstellung der Erkenntnisse der Volitionspsychologie siehe Roth (2003, S.<br />

472–493). Für die grundsätzliche Frage nach dem freien Willen des Menschen und der aktuell<br />

stattfindenden Diskussion diesbezüglich siehe ebenfalls Roth (S. 494-544).<br />

96


hinwegzusetzen und schleichende Suchttendenzen zu unterdrücken. Sie dient<br />

generell dem Bestreben Versuchung aller Art zu widerstehen.<br />

Ähnlich den begrenzten Ressourcen des kognitiv-exekutiven Systems<br />

ist auch die Leistungsfähigkeit der Willensstärke limitiert. In einer Reihe von<br />

Experimenten (vgl. ebd., S. 204–206) konnte gezeigt werden, daß sie sich bei<br />

dauerhafter Beanspruchung (meist reicht schon eine Wiederholung) 99 , oder bei<br />

gleichzeitiger Aktivierung anderer kognitiver Funktionen 100 allmählich<br />

erschöpft. Die Erschöpfung dieser Stärke führt auch zu einer Erschöpfung des<br />

Selbst, beziehungsweise der Selbst-Regulierung. Ihren Ausdruck findet diese<br />

zunehmende Schwäche in einer verstärkten Gegenwartskonzentration, einer<br />

Zentrierung des Geistes auf das Unmittelbare, ähnlich dem Tunnelblick.<br />

Zukünftiges verliert seine Deutlichkeit, die Salienz des Unmittelbaren gewinnt<br />

die Oberhand. Langfristige Ziele werden der kurzfristigen<br />

Bedürfnisbefriedigung geopfert. 101 Die Analogie zu einem müde werdenden<br />

Muskel ist gegeben. Allein so wie ein Muskel sich trainieren läßt und an<br />

Ausdauer gewinnt, läßt sich auch die Willenstärke, wie eine Reihe weiterer<br />

Experimente (vgl. S. 206) zeigte, gezielt fördern. 102<br />

3.5 Vierte Annäherung – Sozio-kognitive und neuroökonomische<br />

Fundierung<br />

Die nun folgende vierte Annäherung ist dazu gedacht, die bisher verfolgte<br />

Sichtweise empirisch zu fundieren. Dies geschieht einerseits über ein sozio-<br />

kognitives Modell intertemporaler <strong>Entscheidung</strong>en, und andererseits über<br />

Forschungsergebnisse aus dem Bereich der ökonomisch orientierten<br />

99 „[P]erforming a first act of self-regulation weakened people’s ability to regulate themselves<br />

subsequently” (Baumeister und Vohs, 2004, S. 203).<br />

100 Man spricht in diesem Zusammenhang von Streß, oder Streßfaktoren.<br />

101 Entsprechendes gilt für akute Suchtstadien, wie der Alkoholintoxikation. Auch hier verliert die<br />

Zukunft vollkommen an Bedeutung, nur das hier und jetzt ist von Bedeutung.<br />

102 „[R]egular exertion of self-regulation can strengthen the individual’s capacity“ (Baumeister und<br />

Vohs, 2004, S. 206).<br />

97


Neurowissenschaften. Beiden gemein ist sowohl die systemische Betrachtung,<br />

als auch die dualistische Auffassung des menschlichen Selbst.<br />

3.5.1 Hot-affective and Cool-deliberative Model<br />

Die psychologischen Mechanismen, die der Verfolgung langfristiger<br />

Zielerreichung, beziehungsweise dem Überkommen unmittelbarer<br />

Bedürfnisbefriedigung zugrunde liegen, operationalisieren Metcalfe und<br />

Mischel (vgl. Mischel, Ayduk und Mendoza-Danton, 2003) in ihrem Modell<br />

eines „Hot-Cold-System“. Das Modell schlägt eine Brücke zwischen der sozial<br />

psychologischen Perspektive, mit dem Hauptaugenmerk auf sozio-kognitiven<br />

Prozessen und individuellen Unterschieden der Selbstregulation, auf der einen<br />

Seite, und kognitiven Annäherungen, die Aufmerksamkeitsprozesse,<br />

Gedächtnisfunktionen und Mechanismen der Informationsverarbeitung<br />

untersuchen, auf der anderen Seite. Ihrem Modell, das sie anhand von Studien<br />

an Kleinkindern entwickelten, zentral ist das Konzept der Willensstärke, als<br />

Ausdruck der Motivation auf Zukünftiges warten zu können. Das „Hot-Cool<br />

Modell“ bietet, so meinen die Autoren, einen heuristischen Rahmen um<br />

intertemporale <strong>Entscheidung</strong>en zu verstehen. Das Hot-Cool Modell erlaubt, so<br />

argumentieren sie weiter, eine Analyse der Prozesse, die für oder entgegen eine<br />

erfolgreiche Anwendung der Willensstärke im Kontext intertemporaler<br />

<strong>Entscheidung</strong>en arbeiten, und sagt diese Erkenntnisse auf theoretischer Basis<br />

voraus.<br />

Gedanklich aufgebaut ist das Modell auf einem parallel prozessierenden<br />

neuronalen Netzwerk, daß in der Sprache des Konnektionismus 103 formuliert<br />

wird. Das heiße affektive System arbeitet dabei nach einem hier-und-jetzt<br />

Prinzip, daß vor allem auf biologisch signifikant-affektiven Auslösern beruht.<br />

Dieses System ist spezialisiert auf schnelle, emotionale Prozesse, es ist einfach<br />

und reagiert reflexiv auf Stimuli, wie zum Beispiel bei Vermeidungs- oder<br />

Fluchtverhalten Das kühle kognitive System andererseits ist gekennzeichnet<br />

103 Der Konnektionismus ist ein Problemlösungsansatz in der Kybernetik, der ein System als<br />

Wechselwirkungen vieler vernetzter, einfacher Einheiten versteht.<br />

98


von Überlegtheit und Planung, es verfolgt dabei eine langfristige Perspektive.<br />

Es ist emotional neutral, kognitiv, komplex und bedächtig, dabei generiert es<br />

rationales, reflektives, strategisches und geplantes Verhalten.<br />

Das Hot-Cool Modell nimmt nun an, daß Kognition und Affekt in einem<br />

kontinuierlichen Wechselspiel, sowohl phänomenologische Erfahrungen, wie<br />

auch Verhaltensweisen produzieren können. Dabei können sie sich kreuzweise<br />

beeinflussen, sodaß zum Beispiel das kühle System die Möglichkeit hat das<br />

heiße System zu regulieren.<br />

In der hier bedeutenden Frage der intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>en und<br />

Möglichkeiten der Impulskontrolle kommt dem Konzept der Willenstärke eine<br />

entscheidende Rolle zu. Willenstärke, als Repräsentation des kühlen Systems,<br />

ist eine Funktion des Alters und der kognitiven Belastung. Es wird<br />

angenommen, daß das heiße System bereits ab der Geburt aktiv ist, während<br />

sich das kühle System erst im Laufe der Zeit bildet. Das heißt, daß kleine<br />

Kinder schwer, wenn überhaupt, bestimmten Verlockungen widerstehen<br />

können. Erst die Erfahrung, gekennzeichnet durch den menschlichen<br />

Lernprozeß, versetz es in die Lage Verzicht zu üben. Der zweite Faktor, die<br />

kognitive Belastung, oder umgangssprachlich der Streß, beeinflußt die beiden<br />

Systeme unterschiedlich. Während die Aktivierung des heißen Systems unter<br />

Streß ansteigt, ist die Beziehung zwischen Streß und der Aktivierung des<br />

kühlen Systems kurvlinear, sie steigt bei mäßigem Grad an, schaltet jedoch bei<br />

hohem Grad vollkommen ab. Das heißt, daß das kühle System bei einem<br />

geringen Streßniveau die Reaktion des heißen Systems modulieren oder<br />

verhindern kann, während das heiße System bei hohem Streß umgekehrt das<br />

kühle System dominiert. Das entspricht genau der Sichtweise von Loewenstein<br />

(siehe Abs. 3.1.3.1 idA.), der den Unterschied in der Intensität des Affektes<br />

(hier eine hohe Aktivierung des heißen Systems) für Impulsivverhalten<br />

verantwortlich macht.<br />

Die Herauforderung, die im Verzicht auf die unmittelbare<br />

Bedürfnisbefriedigung zugunsten der Zukunft liegt, ist nach dieser Sichtweise,<br />

die Aktivierung des heißen Systems durch das kühle System zu verhindern.<br />

Verschiedene Möglichkeiten der Selbstregulierung und Selbstkontrolle werden<br />

daher abschließend in diesem Ansatz propagiert. Dabei handelt es sich erstens<br />

um die Vorstellung der künftigen Belohnung in Form einer mentalen<br />

99


Repräsentation, zweitens um Formen der Ablenkung und drittens um eine<br />

vollkommene Abstraktion von den akuten heißen Stimuli.<br />

3.5.2 Neuronale Systeme im intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>sprozeß<br />

McClure, Laibson, Loewenstein und Cohen (2004) fanden in ihrer<br />

Untersuchung Hinweise für die Beteiligung zweier unterscheidbarer neuronaler<br />

Systeme im intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>sprozeß (vgl. auch Abs. 1.5 idA.).<br />

Unter Verwendung der Methode funktioneller Bildgebung (fMRI; siehe Abs.<br />

1.5.1 idA. ) maßen sie die Gehirnaktivität von Versuchsteilnehmern, wenn diese<br />

in einer Serie von intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>en, zwischen kurzfristig und<br />

langfristig verfügbaren Geldbeträgen zu wählen hatten. Ihre Analyse der<br />

Ergebnisse zeigt, daß in <strong>Entscheidung</strong>en in denen kurzfristig verfügbare<br />

Beträge involviert sind, präferentiell Teile des limbischen Systems aktiviert<br />

werden. 104 Diese Strukturen werden übereinstimmend mit impulsiven Verhalten<br />

in Verbindung gebracht. Hinsichtlich der Funktion des limbischen Systems im<br />

intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>sprozeß schreiben die Autoren (ebd., S. 506):<br />

Our results help to explain why many factors other than temporal<br />

proximity, such as the sight or smell or touch of a desired object, are<br />

associated with impulsive behavior. If impatient behavior is driven by<br />

limbic activation, it follows that any factor that produces such activation<br />

may have effects similar to that of immediacy.<br />

Im Gegensatz zum limbischen System werden Bereiche des lateralen<br />

präfrontalen und des hinteren parietalen Cortex konstant aktiviert, wenn immer<br />

intertemporale <strong>Entscheidung</strong>en gefällt werden, ungeachtet des zeitlichen<br />

Aspektes. Diese Bereiche werden gemeinhin mit höheren bewußten und<br />

104 Das limbische System ist der Ort der Entstehung von Affekten, von positiven und negativen<br />

Emotionen und der Kontrolle vegetativer Funktionen. Zu den zentralen Elementen des limbischen<br />

Systems zählt die Amygdala, die als Speicher vergangener erfahrender Emotionen angesehen werden<br />

kann, und die im aktuellen <strong>Entscheidung</strong>sprozeß diese für die gegebene Situation aufbereitet. Eine<br />

besondere Rolle kommt ihr in der Konstellation Angst-Fluchtverhalten zu. (vgl. Abs. 1.5 idA.; vgl.<br />

auch Roth, 2003, S. 256–284, für eine ausführliche Darstellung des limbisch-emotionalen Gehirns).<br />

100


kognitiv-exekutiven Prozessen in Verbindung gesetzt. 105 Diese Prozesse sind<br />

vor allem an der quantitativen Analyse ökonomisch relevanter Optionen und der<br />

Bewertung möglicher zukünftiger Alternativen beteiligt. Die Intensität ihrer<br />

Aktivierung ermöglicht Rückschlüsse auf einen möglichen Verzicht zugunsten<br />

der Zukunft.<br />

Manuck, Flory, Muldoon und Ferrell (2003) bereiten in ihrer Arbeit zur<br />

Neurobiologie der intertemporalen <strong>Entscheidung</strong> vor allem diejenigen Bereiche<br />

und Funktionen des Gehirns auf, die für die Impuls- und Selbstkontrolle von<br />

Bedeutung sind. Die grundsätzlichen Erkenntnisse in Hinsicht auf zwei<br />

neuronale Systeme können von ihnen bestätigt werden. Auch sie weisen dabei<br />

auf die diffizile Interaktionen zwischen präfrontalen Cortex und limbischen<br />

System hin. In diesem Zusammenhang sprechen sie von koordinierten<br />

Schaltungen zwischen kortikalen Prozessen, die von kontrollierender Natur sind<br />

und subkortikalen Strukturen, die die Aspekte von Motivation und Emotion<br />

vermitteln.<br />

Ein Hauptaugenmerk legen sie auf die Beteiligung des Neurotransmitter<br />

Serotonin, der tief in die Regulierung impulsiven Verhaltens involviert ist. Er<br />

spielt daher, nach ihrer Ansicht, eine zentrale Rolle in zeitlich abhängigen<br />

<strong>Entscheidung</strong>ssituationen. Serotonin übt dabei eine auf das menschliche<br />

Verhalten stabilisierende Wirkung aus. Eine reduzierte serotonerge<br />

Neurotransmission verstärkt die Verfolgung kurzfristiger Ziele und<br />

beeinträchtigt die Regulierung des Verhaltens, ein Umstand der sich<br />

entsprechend negativ auf die Impulskontrolle auswirkt. Zusammenfassend<br />

105 Der präfrontale Cortex hat ganz allgemein mit zeitlich-räumlicher Strukturierung von<br />

Sinneswahrnehmungen und entsprechenden Gedächtnisleistungen zu tun, und zwar bei der Planung<br />

und Vorbereitung von Handlungen sowie beim Lösen von Problemen und in diesem Zusammenhang<br />

mit Funktionen des Erinnerns, Vorstellens und Denkens (vgl. Roth, 2003, S. 147–152). Erste<br />

Rückschlüsse auf die Rolle des präfrontalen Cortexes im intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>sprozeß<br />

lieferte die Geschichte von Phineas Gage (siehe z.B. Manuck, Flory, Muldoon und Ferrell, 2003,<br />

S.143.): „Nach einer Läsion des präfrontalen Cortexes wurde aus dem zuvor maßvollen, überlegten<br />

und fleißigen, ein ungeduldiger, impulsiver und launenhafter Mann.“ Daraus kann geschlossen<br />

werden, daß dem präfrontalen Cortex die Funktion eines Modulators in der Impulskontrolle<br />

zukommt, und daß er als Sitz der Selbst-Kontrolle anzusehen ist. Eine der zentralen Aufgaben des<br />

parietalen Cortex ist die Verarbeitung symbolisch-analytischer Informationen, etwa Rechnen,<br />

Arithmetik und die Deutung von Abbildungen und Symbolen (vgl. Roth, 2003, 142–145).<br />

101


würdigen Manuck, Flory, Muldoon und Ferrell (ebd, S. 153) die Rolle von<br />

Serotonin in Bezug auf das menschliche Verhalten demgemäß:<br />

„[P]ersons who exhibit low serotonergic activity are thought to have a<br />

diminished capacity to restrain impulses, a disinhibition of otherwise<br />

constrained behavior reflecting impaired learning, a disregard for future<br />

consequences, or insensitivity to cues for punishment.“<br />

3.6 Fünfte Annäherung – „Zwei-Systeme Modell des Verhaltens“<br />

Sinngemäß den dargestellten Annäherungen Zwei bis Vier, so meine ich,<br />

entwickelten Loewenstein und O’Donoghue (2004) ein „Zwei Systeme Modell<br />

des Verhaltens“. Das menschliche Verhalten ist in ihrem Modell das Ergebnis<br />

zweier, auf sich gegenseitig einwirkender Systeme. In ihrer Terminologie<br />

handelt es sich dabei um das Deliberative System, langfristig denkend und<br />

zielorientiert, und das Affective System, emotional und motivationstreibend. 106<br />

Dieses Modell stellt, soweit mir bekannt ist, die weitestgehende Annäherung<br />

des in dieser Arbeit verfolgten integrativen Ansatzes dar. Es berücksichtigt<br />

sowohl die duale Auffassung als auch die Interaktivität der beiden Subsysteme.<br />

Einzig die Auffassung als komplexes System, wie in Annäherung Eins<br />

entwickelt, das auf sich selbst Bezug nimmt und durch eine innere Zirkularität<br />

charakterisiert wird, fehlt. Dafür wird die Bedeutung äußerer Stimuli auf das<br />

Verhalten höher geschätzt.<br />

Ich werde im folgendem die grundlegende Struktur dieses Modells darstellen.<br />

Daran anschließend werde ich das Hauptaugenmerk auf den Umgang des<br />

Modells mit der Problematik der <strong>Entscheidung</strong>en über die Zeit konzentrieren.<br />

106 Die von ihnen verwendeten Termini umfassen weitestgehend die Funktionen des Kognitiv-<br />

exekutiven Systems und Affektiv-emotionalen Systems. Die Ausnahme stellt die, hier als zentral<br />

gesehene, verhaltensmotivierenden Funktion des Affective Systems dar.<br />

102


3.6.1 Annahmen und grundlegende Struktur des Zwei-Systeme Modells<br />

Abbildung 3-4 zeigt die graphische Repräsentation der Annahmen, wie sie von<br />

den Autoren getroffen wurden.<br />

Abbildung 3-4: Zwei-Systeme Modell menschlichen Verhaltens<br />

Stimuli<br />

Affective System<br />

Deliberative<br />

System<br />

Quelle: Loewenstein und O’Donoghue (2004, S. 8, Fig. 1): Menschliches<br />

Verhalten ist das Ergebnis zweier zueinander in Beziehung stehender<br />

Systeme, das von verschiedenen Stimuli ausgelöst wird.<br />

Die grundlegende Annahme des Zwei-Systeme Modells ist, daß menschliches<br />

Verhalten das Ergebnis zweier miteinander in Beziehung stehender Systeme,<br />

des „Affective Systems“ (AS) und des „Deliberative Systems“ (DS), ist. 107<br />

Diese beiden Systeme werden von externen oder internen Stimuli angeregt und<br />

erzeugen nach erfolgter Interaktion ein gewisses Verhalten. Es wird<br />

angenommen, daß jedes der beiden Systeme eine Zielfunktion besitzt. Weiters<br />

wird angenommen, daß keines der beiden Systeme die absolute Kontrolle über<br />

das Verhalten besitzt. Um die Interaktion der beiden Systeme zu formalisieren<br />

107 Für die folgende Darstellung verwende ich die, von mir gewählten, Abkürzungen „AS“ für das<br />

Affective System und entsprechend „DS“ für das Deliberative System.<br />

103<br />

Behavior


wird angenommen, daß das AS die ursprüngliche Kontrolle über das Verhalten<br />

innehat, während das DS die <strong>Entscheidung</strong>en des AS mittels kognitiver<br />

Anstrengung oder Willensstärke beeinflussen kann. Das DS wählt in Folge<br />

welches Verhalten ausgeführt werden soll, indem es die Wertigkeit seines<br />

Zieles mit den damit verbundenen Kosten der Anstrengung vergleicht.<br />

Das Modell endogenisiert, nach Meinung der Autoren, damit den<br />

relativen Einfluß der beiden Systeme im Wege von Faktoren, die die Kosten der<br />

Willensanstrengung beeinflussen und Faktoren, die die Ziele der beiden<br />

Systeme beeinflussen.<br />

Unter diesen Annahmen besonders zu beachten ist die Rolle des AS,<br />

beziehungsweise des Affektes, der hier sämtliche Emotionen mit einschließt<br />

(vgl. dagegen Abs. 3.1.3.1 idA.). Das zentrale Merkmal des Affektes, wie er<br />

von den Autoren gebraucht wird, liegt in dessen Rolle als Motivator, in Form<br />

einer Aktionstendenz für das ursprüngliche Verhalten. 108<br />

Das Verhalten, das durch die Wechselwirkung der beiden Systeme<br />

generiert wird, findet seine Auslösung in externen oder internen Stimuli. Der<br />

Einfluß der Stimuli operiert in beiden Systemen. So mag ein externer Stimulus<br />

das AS aktivieren, oder auch das DS. Tatsächlich aktivieren Stimuli meist beide<br />

Systeme. Solche bilateralen Einflüsse sind oft von komplementärer und<br />

beidseitig verstärkender Art. In manchen Fällen aber aktiviert ein Stimulus die<br />

beiden Systeme in konkurrierender Weise. Gerade diese Fälle sind es, die eine<br />

duale Prozeßperspektive von Vorteil sein lassen, meinen die Autoren. Der<br />

Einfluß eines externen Stimulus hängt von dessen spezifischer Nähe und von<br />

der Intensität, des darauf reagierenden Affektes ab. Dieser Prozeß läuft oft<br />

unbewußt ab. Das AS und das DS mögen darauf hin miteinander interagieren,<br />

wobei das AS meist im Vorteil ist und auch den ersten Zug besitzt. Das AS<br />

kann das DS bei <strong>Entscheidung</strong>en entweder unterstützen, oder setzt es außer<br />

Betrieb. Das DS wiederum erzeugt im AS Emotionen, versucht die Motivation<br />

jenes zu überschreiben oder auch es zu kontrollieren. Die beiden letzteren Fälle<br />

sind mit dem Aufbringen von Willensstärke verbunden.<br />

108 „All affects have ‚valence’ – they are either positive or negative – and many care ‚action<br />

tendencies’ – e.g., anger motivates us to aggress, pain to take steps to ease the pain, and fear to<br />

escape (or in some cases to freeze)” Loewenstein und O`Donoghue (2004, S. 8).<br />

104


3.6.2 Formalisierung des Modells<br />

Das Modell wird zuerst statisch formalisiert, daß heißt, ein Individuum trifft zu<br />

einem gewissen Zeitpunkt eine einzige <strong>Entscheidung</strong> (vgl. ebd., S. 14–23).<br />

Angenommen ein Individuum muß eine Option x aus einer Wahlmenge<br />

X wählen. Wenn es diese <strong>Entscheidung</strong> trifft, so wird weiter angenommen, ist<br />

es einem Vektor von Umweltreizen s ausgesetzt. Diese Stimuli können im<br />

Individuum affektive Zustände auslösen. Der Vektor affektiver Zustände, die<br />

durch den Vektor der Stimuli s ausgelöst werden, wird durch a( s ) beschrieben.<br />

Dieselben Stimuli können auch kognitive Zustände aktivieren. Der Vektor c( s )<br />

repräsentiert den Vektor kognitiver Zustände, die durch den Vektor der<br />

Umweltreize s ausgelöst werden.<br />

Das AS ist nun motiviert ein bestimmtes Verhalten zu veranlassen,<br />

dabei wird es vor allem von jenen Affektzuständen getrieben, die gerade<br />

aktiviert sind. Diese Motivation wird durch eine Motivationsfunktion M ( x, a )<br />

beschrieben. Wäre das affektive System vollkommen allein für das Verhalten<br />

verantwortlich, und der allgemeine Vektor affektiver Zustände wäre a , würde<br />

A<br />

das affektive System x ≡ arg max M ( x, a)<br />

wählen, wobei<br />

Optimum bezeichnet wird.<br />

x∈X 105<br />

A<br />

x als affektives<br />

Das DS evaluiert das Verhalten entsprechend einer langfristigen und<br />

zielorientierten Perspektive. Die Erwünschtheit einer Handlung wie sie vom<br />

DS wahrgenommen wird, wird durch eine Nutzenfunktion U ( x, c, a ) gefaßt.<br />

Diese Formulierung beschreibt das DS als beeinflußt sowohl von kognitiven als<br />

auch affektiven Zuständen. Wäre das DS vollkommen alleine für das Verhalten<br />

verantwortlich, und wären die allgemeinen Vektoren der kognitiven und<br />

D<br />

affektiven Zustände c und a , würde das DS x ≡ arg max M ( x, c, a)<br />

wählen,<br />

wobei D<br />

x als ‚deliberatives’ Optimum bezeichnet wird.<br />

Das Verhalten des Individuums ist nun, laut Annahme, bestimmt durch<br />

die Interaktion der beiden Systeme. Um die Interaktion zu formalisieren, wird<br />

angenommen, daß zuerst das AS im Besitz der Verhaltenskontrolle ist. Das DS<br />

kann die Wahl des AS jedoch durch die Beanspruchung kognitiver Leistungen,<br />

oder den Einsatz der Willenstärke beeinflussen. Um diese kognitive Leistung,<br />

x∈X


eziehungsweise die Willensstärke zu fassen, wird angenommen, daß um ein<br />

Verhalten<br />

M<br />

x ≠ x zu bewirken, das DS Anstrengungskosten aufbringen muß.<br />

Diese Anstrengungskosten werden durch Nutzeneinheiten in Form von<br />

A<br />

h( W , σ ) ∗[ M ( x , a) − M ( x, a)]<br />

repräsentiert. Diese Formulierung beschreibt<br />

folgenden Umstand: Je weiter weg das Verhalten vom affektiven Optimum<br />

A<br />

bewegt werden soll – daß heißt, je größer [ M ( x , a) − M ( x, a)]<br />

ist – desto mehr<br />

Willensstärke muß vom DS investiert werden. Der Skalarfaktor h( W , σ )<br />

repräsentiert dabei die gegenwärtigen Kosten des DS, um die Willensstärke zu<br />

mobilisieren – zum Beispiel: Je größer h( W , σ ) ist, desto mehr kognitive<br />

Leistung wird gebraucht, um eine gegebene Abweichung vom affektiven<br />

Optimum zu bewirken. Des weiteren wird angenommen, daß h( W , σ ) >0 für alle<br />

W und σ . Die Kosten der Willensstärke hängen dabei einerseits von der<br />

gegenwärtigen Kraft der Willensstärke der Person ab, die durch W beschrieben<br />

wird, und andererseits von anderen Faktoren, die das DS entweder<br />

unterminieren oder unterstützen, und werden mit σ bezeichnet. 109<br />

In der <strong>Entscheidung</strong> inwieweit das AS beeinflußt werden soll,<br />

vergleicht das DS nun die Erwünschtheit der Handlung (wie durch die<br />

Nutzenfunktion wiedergegeben) mit dem Aufwand für die Willensstärke, die<br />

gebraucht wird, um diese Handlung durchzuführen. Definition: Wenn der<br />

allgemeine Vektor der Umweltreize s ist, wird das DS jene Handlung x ∈ X<br />

wählen, die:<br />

≡ − σ ∗ − ,<br />

A<br />

(Formel 3-1) V ( x, s) U ( x, c( s), a( s)) h( W , ) [ M ( x , a( s)) M ( x, a( s))]<br />

maximiert.<br />

Diese hier wiedergegebene Formulierung ist motiviert durch die Evidenz, daß<br />

das AS die ursprüngliche Verhaltenskontrolle besitzt, und daß das DS in Folge<br />

Willensstärke aufbringen muß, um das Verhalten zu beeinflussen.<br />

Dieses hier präsentierte Modell stellt, nach Meinung der Autoren, in<br />

einem gewissen Sinn ein Principal-Agent Problem dar. Das DS (der Prinzipal)<br />

109<br />

Zu den spezifischen Annahmen, die den beiden Faktoren W und σ unterliegen siehe (ebd., S. 17–<br />

19).<br />

106


entscheidet welches Verhalten bewirkt werden soll. Die Bedingung hierfür ist,<br />

daß es dafür Kosten aufbringen muß, um das AS (der Agent) dazu zu bewegen,<br />

dieses Verhalten auch auszuführen. 110<br />

Welche Schlüsse können aus diesem Modell, nach Ansicht der Autoren, vorerst<br />

gezogen werden. Es bietet erstens vor allem einen konzeptuellen Rahmen, um<br />

die vielen beobachteten Anomalien (vgl. Abs. 2.3 idA.) greifbar zu machen. Die<br />

Standardmodelle, im speziellen das DU-Modell, können dabei als Spezialfälle<br />

betrachtet werden, in denen das DS die vollkommene Verhaltenskontrolle<br />

besitzt. Zweitens entspricht das Modell der bekannten Erfahrung des zuweilen<br />

gespaltenen Selbst (vgl. Abs. 3.1.2 idA.). Drittens läßt sich in einem solchen<br />

Modell darstellen, warum ein und derselbe Mensch in scheinbar gleichen<br />

Situationen zuweilen ein konträres Verhalten zeigt. Es hängt tatsächlich von<br />

dem relativen Einfluß der beiden Systeme ab, wobei das AS dann einen<br />

größeren Einfluß besitzt, wenn es durch die Nähe der Umweltreize stärker<br />

aktiviert wird, als das DS.<br />

3.6.3 <strong>Intertemporale</strong> <strong>Entscheidung</strong>en im Zwei-Systeme Modell<br />

Für die, in dieser Arbeit vorrangige Frage, der <strong>Entscheidung</strong>en über die Zeit<br />

mag das Modell folgendermaßen instrumentalisiert werden (ebd., S. 23-28).<br />

Dem Konzept der Zeitpräferenz bietet das Modell einen natürlichen<br />

Ausgangspunkt. Das AS wird vor allem von kurzfristigen Erträgen, sprich der<br />

unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung UB, angetrieben, während das DS sowohl<br />

110 Das Modell ist aber auch konsistent mit der Annahme, daß keines der beiden Systeme die<br />

D<br />

ursprüngliche Kontrolle über das Verhalten besitzt. Definition: Da U ( x , c( s), a( s )) nicht von der<br />

gewählten <strong>Entscheidung</strong> des Individuums x berührt ist, ist die Wahl von x um V ( x, s ) zu maximieren,<br />

D<br />

gleich der Wahl x in folgender Weise zu minimieren: [ U ( x , c( s), a( s)) − U ( x, c( s), a( s))]<br />

A<br />

+ h( W , σ ) ∗[ M ( x , a( s)) − M ( x, a( s))]<br />

. In dieser Interpretation bestimmt der Skalarfaktor h( W , σ ) das<br />

relative Gewicht der beiden Systeme. Nähert er sich dem Wert null, ist das DS vollkommen in<br />

Kontrolle des Verhaltens, wird er andererseits sehr groß besitzt das AS die Kontrolle. Das Modell<br />

generiert so ein Verhalten, das irgendwo zwischen dem affektiven und deliberativen Optimum liegt<br />

D A A D<br />

(entweder x ≥ x ≥ x oder x ≥ x ≥ x ) ; wo genau das Verhalten zu liegen kommt hängt von der<br />

relativen Stärke der beiden Systeme, wie sie in den Kosten der Willensstärke h( W , σ ) gefaßt sind, ab.<br />

107


kurzfristige, aber doch vor allem langfristige Erträge, in Form des langfristigen<br />

Wohlergehens LW, im Auge behält. Gegeben diesen Annahmen, arbeitet das<br />

Modell im statischen intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>sprozeß wie folgt: 111<br />

Angenommen eine Person steht vor der Wahl einer <strong>Entscheidung</strong> x , deren UB<br />

durch 1 ( ) z x und dessen LW durch z2 ( x ) beschrieben wird. Das kurzfristig<br />

denkende AS, so wird angenommen, ist allein am unmittelbaren Ertrag z1 ( x )<br />

interessiert. Seine Motivationsfunktion ist damit gegeben mit M ( x) = z1( x)<br />

. 112<br />

Das langfristig denkende DS bewertet beide Erträge mit gleichem Interesse.<br />

Seine Nutzenfunktion ist dementsprechend U ( x) = z1( x) + z2( x)<br />

. Gegeben diese<br />

beiden Funktionen, wählt die Person jene <strong>Entscheidung</strong> x , die:<br />

A<br />

V ( x) = [ z ( x) + z ( x)] − h∗[ z ( x ) − z ( x)]<br />

,<br />

(Formel 3-2) 1 2 1 1<br />

maximiert.<br />

Da das affektive Optimum für die <strong>Entscheidung</strong> der Person exogen ist, ist das<br />

gleichbedeutend mit der Maximierung von:<br />

(Formel 3-3) V% ( x) = z1( x) + [1/(1 + h)]* z2( x)<br />

.<br />

Es kann nun für dieses Zweiperiodenbeispiel gezeigt werden, daß das hier<br />

betrachtete Modell, da 1/(1 + h)<br />

< 1,<br />

eine Diskontierung erzeugt, ohne daß<br />

angenommen wurde, daß das DS die geringste Zeitpräferenz besitzt; das heißt,<br />

obwohl das DS verschiedene Zeitperioden gleich bewertet, führt der Fokus des<br />

AS auf UB zu einem Verhalten, das kurzfristige Erträge höher bewertet werden<br />

denn langfristige; und daraus folgend zur Generierung einer positiven<br />

Zeitpräferenz.<br />

111 Für den dynamischen Fall, in dem Menschen wiederholte und abhängige intertemporale<br />

<strong>Entscheidung</strong>en treffen, siehe ebd. (S. 25–28).<br />

112 Zur Vereinfachung der Notation sind die Argumente für die affektiven und kognitiven Zustände in<br />

M und U gefaßt, die Argumente für die Willensstärke und kognitive Belastung in h.<br />

108


Dieses Modell, so fassen die Autoren, ist im Stande Voraussagen darüber zu<br />

machen, wie verschiedenen Faktoren, die die relative Stärke der beiden Systeme<br />

beeinflussen, sich auf von intertemporalen <strong>Entscheidung</strong>en hervorgebrachte<br />

Diskontierungsraten auswirken. Zum Beispiel zeigt das Modell, daß wenn sich<br />

die Willensstärke einer Person erschöpft, oder sie unter kognitiver Belastung<br />

steht, die Diskontierungsraten größer werden. Das Modell sagt ebenfalls voraus,<br />

daß die Nähe von sofort verfügbaren Erträgen einen großen Einfluß auf die<br />

gezeigten Diskontierungsraten hat. So kann zum Beispiel das Ausmaß des<br />

Sehens oder Riechens eines unmittelbaren Ertrages die Höhe der<br />

Diskontierungsraten beeinflussen. Schließlich sagt das Modell auch eine<br />

stimulusspezifische Diskontierung voraus. Der Anblick von Essen führt zu<br />

höherer Diskontierung für Essen, aber nicht für Sex, während der Anblick eines<br />

attraktiven potentiellen Sexpartners zu einer höheren Diskontierung von Sex<br />

führt, nicht aber für Essen.<br />

3.6.4 Zeitinkonsistentes Verhalten im Zwei-Systeme Modell<br />

Um das Phänomen sich verkehrender Präferenzen, beziehungsweise<br />

zeitinkonsistentes Verhalten zu würdigen (vgl. Abs. 2.3.3 idA.), muß das Zwei-<br />

Systeme Modell dynamisiert werden. Dynamische intertemporale<br />

<strong>Entscheidung</strong>en werden charakterisiert durch den Umstand, daß Menschen<br />

wiederholt und teilweise voneinander abhängig <strong>Entscheidung</strong>en zu treffen<br />

haben. Im Folgenden wird ein auf drei Perioden angelegtes Zwei-Systeme<br />

Modell formalisiert.<br />

Angenommen eine Person wählt eine <strong>Entscheidung</strong> x 1 in Periode Eins und eine<br />

<strong>Entscheidung</strong> x 2 in Periode Zwei. Diese <strong>Entscheidung</strong>en führen zu einem<br />

Periode Eins Ertrag von z1( x 1)<br />

, und zu einem Periode Zwei Ertrag von z2 ( x1, x 2)<br />

,<br />

und schließlich zu einem zukünftigen Ertrag von z3( x1, x 2)<br />

. Da das Periode Zwei<br />

Verhalten ähnlich dem statischen Fall ist, wird angenommen, daß das Verhalten<br />

in Periode Zwei wie oben determiniert ist; daß heißt, das Periode Zwei<br />

Verhalten maximiert:<br />

109


(Formel 3-4)<br />

gleichbedeutend mit:<br />

(Formel 3-5)<br />

2<br />

A<br />

V x1 x2 z2 x1 x2 z3 x1 x2 h z2 x1 x2 z2 x1 x2<br />

( , ) = [ ( , ) + ( , )] − *[ ( , ) − ( , )] ,<br />

% .<br />

2<br />

V x1 x2 = z2 x1 x2 + + h z3 x1 x2<br />

( , ) ( , ) [1/(1 )]* ( , )<br />

Diese hier gezeigte Problemstellung generiert ein Periode Zwei Verhalten, das<br />

eine Funktion des bereits gewählten, und daher fixen Periode Eins Verhaltens<br />

ist.<br />

Um nun die Periode Eins Perspektive zu analysieren müssen einige<br />

zusätzliche Aspekte berücksichtigt werden. Der interessanteste und zugleich<br />

neue Aspekt, ist die Frage, wie sich das DS um zukünftige Erträge sorgt. Im<br />

speziellen interessiert die Frage, wie das DS die zukünftige Anstrengung der<br />

Willensstärke in seine <strong>Entscheidung</strong> integriert. Angenommen das AS kümmert<br />

sich allein um kurzfristige Erträge, während sich das DS um die Erträge in allen<br />

drei Perioden sorgt: Die Erwünschtheit von Handlungen wird vom DS folgend<br />

seiner Nutzenfunktion<br />

*<br />

U x1 x2 z1 x1 z2 x1 x2 z3 x1 x2<br />

( , ) ≡ ( ) + ( , ) + ( , ) wahrgenommen.<br />

Die nun auftretende Frage ist, ob das DS einzig auf die Erwünschtheit der<br />

Handlung Rücksicht nimmt, oder ob es auch die erwartete Anstrengung der<br />

Willensstärke in Periode Zwei integriert. Spielt die Anstrengung der<br />

Willensstärke für das DS überhaupt keine Rolle, ist die Nutzenfunktion gegeben<br />

mit<br />

U ( x , x ) = U ( x , x ) . In diesem Fall, wird das DS jenes Periode Eins<br />

*<br />

1 2 1 2<br />

Verhalten wählen, das:<br />

(Formel 3-6)<br />

1<br />

A<br />

V x1 x2 z1 x z2 x1 x2 z3 x1 x2 h z1 x1 z1 x1<br />

( , ) = [ ( ) + ( , ) + ( , )] − *[ ( ) − ( )] ,<br />

maximiert; gleichbedeutend mit der Maximierung von:<br />

(Formel 3-7)<br />

% .<br />

1<br />

V x1 x2 = z1 x1 + + h z2 x1 x2 + z3 x1 x2<br />

( , ) ( ) [1/(1 )]*[ ( , ) ( , )]<br />

Ruft man sich jetzt Formel 3-5 in Erinnerung kann man sehen, daß dieses Modell,<br />

so die Autoren, sinngleich dem Modell der Hyperbolischen Diskontierung ist<br />

(vgl. Abs. 2.4.1 idA.). Im speziellen kann gezeigt werden, daß die β, δ<br />

Präferenzen in Hyperbolischen Diskontierungsmodellen, gleich den Präferenzen<br />

110


in diesem Modell sind, wenn β = 1/(1 + h)<br />

und δ = 1.<br />

Dieses Modell, so schließen Loewenstein und O’Donoghue, liefert daher eine<br />

Reinterpretation Hyperbolischer Diskontierungsmodelle. Im speziellen zeigt<br />

dieses Modell, daß der Grund für die Präferenz von UB aus der Motivation des<br />

AS stammt, während die Person gleichzeitig ebenfalls kein Gewicht in die, in<br />

der Zukunft aufzubringende, momentane Anstrengung der Willensstärke legt.<br />

Das Resultat ist Zeitinkonsistenz in den Präferenzen, die das Verhalten rational<br />

erklären.<br />

3.7 Zusammenfassender Ausblick<br />

Aufbauend auf den Überlegungen, gefaßt in den Annäherungen Eins bis Fünf,<br />

so meine ich, ist nun ein Modell „Menschlicher Wahlhandlungen zwischen<br />

unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung und langfristigem Wohlergehen“ zu<br />

formulieren, und zu formalisieren. Dieses Modell bedarf jedoch, so bin ich zum<br />

jetzigen Zeitpunkt überzeugt, eines noch genaueren Studiums der vorher<br />

dargelegten Ideen. Vor allem eine spezifischere Auseinandersetzung mit der<br />

„Theorie nichtlinearer dynamischer Systeme“ scheint mir unerläßlich. Diese<br />

Aufgabe ist im Rahmen dieser Diplomarbeit nicht seriös zu lösen. Sie sollte<br />

daher in einer eigenständigen Abhandlung verfolgt werden. Zentraler<br />

Ansatzpunkt einer solchen Arbeit sollte, so denke ich, eine Beschäftigung mit<br />

der Lern- und Wachstumsfunktion des menschlichen Selbst sein. Dieses ist, so<br />

wie von mir angenommen, die emergente Form der beiden Subsysteme. Wobei<br />

das Hauptaugenmerk, so glaube ich, auf das kognitiv-exekutive System zu legen<br />

ist, da dieses in seiner angenommenen Zirkularität hauptverantwortlich für den<br />

Lern- und Wachstumsprozeß des Selbst ist.<br />

Frei nach dem Freudschen Motto: „Aus ES muß ICH werden!“, sollte das<br />

Motto hierfür lauten:<br />

„Kognitiv-exekutives System wachse und lerne und mache dir das<br />

affektiv-emotionale System dienbar! Das ist der Weg der Dich zur<br />

Selbsterkenntnis führt“<br />

111


4 Schluß<br />

Diese Arbeit thematisierte menschliche Wahlhandlungen zwischen<br />

unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung und langfristigem Wohlergehen. Diese<br />

Wahlhandlungen stehen, so hoffe ich zum Ausdruck gebracht zu haben, nicht<br />

selten im Spannungsfeld zwischen Verstand und Gefühlen, zwischen Vernunft<br />

und Emotionen, zwischen dem Bewußten und Unbewußten. Dies ist das Muster<br />

im Chaos. Diese Wahlhandlungen laufen dem objektiv Rationalen oft zuwider,<br />

und die irrationale Leidenschaft triumphiert. Doch der Mensch ist nicht hilflos<br />

– oder will er es sein? Im Laufe der Geschichte haben sich eine Vielzahl von<br />

Strategien entwickelt, um den Versuchungen der Gegenwart zu widerstehen.<br />

Verfassungen, Gesetze und Regeln; Religion, Normen und Werte; Ethik, Moral<br />

und Gewissen stehen transzendent, und werden bereichert durch profanere<br />

Methoden, wie Strategien der Selbstverpflichtung und Selbstbindung, Seit-<br />

Wetten oder Vereinigungen wie den Weight Watchern, den Anonymen<br />

Alkoholikern oder diversen Sparvereinen. Sie alle zu fassen ist an dieser Stelle<br />

nicht möglich, und so sei abschließend auf die Arbeiten von Ainslie (1975) und<br />

Elster (1987) verwiesen, die sich explizit diesen Strategien zugewendet haben.<br />

Inwieweit die dort vorgestellten Strategien rational sind ist abschließend<br />

ebensowenig zu klären, wie die Strategie die Odysseus im Angesicht der<br />

Sirenen gewählt hat (vgl. Elster, 1987, S. 67f; Kafka, 2006; sowie Wilke, 1996,<br />

S. 8-10). Die Geschichte von Odysseus und den Sirenen bildet in diesem Sinn<br />

auch den Abschluß dieser Arbeit, deren Versuch es war einen Schritt in<br />

Richtung Selbsterkenntnis zu setzten.<br />

Selbsterkenntnis – Die ultimativen Strategie der Verhaltenskontrolle.<br />

112


4.1 Odysseus und die Sirenen<br />

Abbildung 4-1: Odysseus und die Sirenen<br />

Quelle: Fehr (2002, S271, Fig. 1)<br />

Drum verkünd ich sie euch, daß jeder sie wisse, wir mögen<br />

Sterben oder entfliehen dem schrecklichen Todesverhängnis.<br />

Erst befiehlt uns die Göttin, der zauberischen Sirenen<br />

Süße Stimme zu meiden und ihre blumige Wiese.<br />

Mir erlaubt sie allein, den Gesang zu hören; doch bindet<br />

Ihr mich fest, damit ich kein Glied zu regen vermöge,<br />

Aufrecht stehend am Maste, mit festumschlungenen Seilen.<br />

Fleh ich aber euch an und befehle die Seile zu lösen:<br />

Eilend fesselt mich dann mit mehrenden Banden noch stärker!<br />

Also verkündet’ ich jetzo den Freunden unser Verhängnis.<br />

Und wie geflügelte entschwebte, vom freundlichen Winde getrieben,<br />

Unser gerüstetes Schiff zu der Insel der beiden Sirenen.<br />

Plötzlich ruhte der Wind; von heiterer Bläue des Himmels<br />

Glänzte die stille See; ein Himmlischer senkte die Wasser.<br />

113


Meine Gefährten gingen und falteten eilig die Segel,<br />

Legten sie nieder im Schiff und setzten sich hin an die Ruder;<br />

Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen.<br />

Aber ich schnitt mit dem Schwert aus der großen Scheibe des Wachses<br />

Kleine Kugeln, knetete sie mit nervichten Händen,<br />

Und bald weicht das Wachs, vom starken Drucke bezwungen<br />

Und dem Strahle des hochhinwandelnden Sonnenbeherrschers.<br />

Hierauf ging ich umher und verklebte die Ohren der Freunde.<br />

Jene banden mich jetzo an Händen und Füßen im Schiffe,<br />

Aufrecht stehend am Maste, mit festumschlungenen Seilen,<br />

Setzten sich dann und schlugen die graue Woge mit Rudern.<br />

Als wir jetzo so weit, wie die Stimme des Rufenden schallet,<br />

Kamen im eilenden Lauf, da erblickten jene das nahe<br />

Meerdurchgleitende Schiff und huben den hellen Gesang an:<br />

Komm, besungener Odysseus, du großer Ruhm der Achaier!<br />

Lenke dein Schiff ans Land und horche unserer Stimme.<br />

Denn hier steuerte noch keiner im schwarzen Schiffe vorüber,<br />

Eh er dem Gesang aus unserem Munde gelauschet.<br />

Und dann ging er von hinnen, vergnügt und weiser wie vormals.<br />

Uns ist alles bekannt, was ihr Argeier und Troer<br />

Durch der Götter Verhängnis in Trojas Fluren geduldet:<br />

Alles, was irgend geschieht auf der lebenschenkenden Erde!<br />

Also sangen jene voll Anmut. Heißes Verlangen<br />

Fühlt ich, weiter zu hören, und winkte den Freunden Befehle,<br />

Und es erhuben sich schnell Eurylochos und Perimedes,<br />

Legten noch mehrere Fesseln mir an und banden mich stärker.<br />

Also steuerten wir den Sirenen vorüber; und leiser,<br />

Immer leiser verhallte der Singenden Lied und Stimme.<br />

Eilend nahmen sich nun die teuren Genossen des Schiffes<br />

Von den Ohren das Wachs und lösten mich wieder vom Mastbaum.<br />

114<br />

Homers Odyssee<br />

XII. Gesang 105 - 200


Literaturverzeichnis<br />

Ahlbrecht, Martin und Martin Weber (1995): „Hyperbolic Discounting Models<br />

in Prescriptive Theory of Intertemporal Choice“. In: Zeitschrift für<br />

Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 115, S. 535–568.<br />

Ainslie, George (1975): „Specious Reward: A Behavioral Theory of<br />

Impulsiveness and Impulse Control”. In: Psychological Bulletin 82<br />

(4), S. 463-496.<br />

Ainslie, George und Nick Haslam (1992): „Hyperbolic Discounting“. In: Elster,<br />

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