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Mariana Prusák: Blicke im Text. Robert Walsers Gedicht «Renoir

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25 Wenn’s mir doch gelänge,<br />

dieser Friedlichkeit, dieser Ruhe,<br />

vom Gesicht herunter bis zum Schuhe,<br />

passenden Ausdruck jetzt zu verleihn.<br />

Wie käme ich mir fein<br />

30 vor, und wie glücklich würd’ ich darüber sein! (Bd. 13, S. 170) 7<br />

<strong>Robert</strong> Walser verfasste das <strong>Gedicht</strong> <strong>«Renoir</strong>» <strong>im</strong> Februar oder März des Jahres 1927<br />

und damit ein Vierteljahrhundert nach der Ausstellung des Gemäldes in Berlin. 8 Die<br />

Bilder des <strong>Text</strong>es sind denn auch als erinnerte Bilder gekennzeichnet, die Beschrei-<br />

bung des Bildes und der Museumsszenerie sind <strong>im</strong> Präteritum formuliert. 9 Auch der<br />

Beginn des Dichtens liegt in der Vergangenheit: «[I]ch hatte noch kaum / dazumal<br />

zu dichten angefangen», heißt es ab Vers 12. Dieser Verweis auf den Beginn des<br />

Dichtens erinnert an <strong>Walsers</strong> Prosastück «Das erste <strong>Gedicht</strong>», in dem ebenfalls das<br />

Sehen und das Dichten nebeneinander gestellt werden. Dort heißt es zu Beginn: «Ei-<br />

ner stand <strong>im</strong> Raum starkstill, schaute bloß herum. Ob er etwa dichtete? In der Tat<br />

kam er hierher, um sein erstes <strong>Gedicht</strong> hervorzubringen.» (SW 16, S. 252) 10 Ist der<br />

Walser’sche Dichter in diesen <strong>Text</strong>en also vielleicht einer, der sich vor allem durch<br />

seine Art der visuellen Wahrnehmung von anderen Figuren unterscheidet?<br />

Im <strong>Gedicht</strong> <strong>«Renoir</strong>» spricht kein unbefangener, dilettantischer Kunstbetrachter,<br />

sondern hier spricht eine Figur, die den Kunstdiskurs der Zeit nicht nur einfließen<br />

lässt, sondern die diesen innerhalb seines eigenen «Wirkungsfelde[s]«, von dem hier<br />

in der ersten Zeile die Rede ist, genau umzusetzen weiß. Durch das dem «Wirkungs-<br />

felde» vorangestellte Possessivpronomen «meinem» wird zudem eine Grenze zu ei-<br />

nem anderen Bereich markiert: Das Wirkungsfeld des lyrischen Ichs ist das der Dich-<br />

tung. Innerhalb des <strong>Text</strong>es ist es das Schauen, das aus der Bildbeschreibung eine<br />

Darstellung eines Bildes macht, die <strong>im</strong> zeitgenössischen Kunstdiskurs verhaftet ist.<br />

7 <strong>Robert</strong> Walser: «Sämtliche Werke in Einzelausgaben», hg. von Jochen Greven, Frankfurt am Main<br />

1985f. (Zitate aus dieser Ausgabe werden <strong>im</strong> Folgenden unter der Sigle SW und mit Angabe der<br />

Band- und Seitennummer nachgewiesen).<br />

8 Veröffentlicht wurde der <strong>Text</strong> zuerst in der Morgenausgabe der «Prager Presse» vom 17. Juli 1927.<br />

Zudem ist das <strong>Gedicht</strong> auf einem Mikrogrammblatt aus der Reihe der Kalenderblätter überliefert<br />

(Kalenderblatt Nr. 227, Kalenderseite 69a Abbildung).<br />

9 Wie alle späten <strong>Text</strong>e <strong>Walsers</strong> untersteht auch dieses <strong>Gedicht</strong> in der Forschung einem generellen<br />

Pathologieverdacht. Werner Weber verweist <strong>im</strong> einzigen bisher erschienenen Aufsatz zu diesem<br />

<strong>Gedicht</strong> darauf hin, dass das «Wirkungsfelde» des Autors Walser, auf das in der ersten Zeile hingewiesen<br />

werde, «damals in der Randzone der Krankheit, vielleicht schon in der Zone der Krankheit»<br />

war. In Webers Interpretation erscheint daher die Erinnerung, welche <strong>im</strong> <strong>Text</strong> geschildert<br />

wird, als eine Art ‹Ausflucht› oder ‹Kur›. Werner Weber: «<strong>Robert</strong> Walser vor Bildern. II. Harmonie<br />

<strong>im</strong> Gedränge», in: «Neue Zürcher Zeitung», 30. Ju1i 1972.<br />

10 Von Lothar Baier wurde dieser <strong>Text</strong> als «Aufsatz» interpretiert, was als Gattungsbezeichnung unzureichend<br />

erscheint. Der <strong>Text</strong> trägt vielmehr Züge eines Essays, bei dem die Thematik des Glückens<br />

bzw. Misslingens des Dichtens <strong>im</strong> Vordergrund steht und Dichten als ein ‹Versuch› dargestellt<br />

wird. Lothar Baier: «<strong>Robert</strong> <strong>Walsers</strong> Landschäftchen. Zur Lyrik <strong>Robert</strong> <strong>Walsers</strong>», in:<br />

<strong>Text</strong>+Kritik. Zeitschrift für Literatur 12 [1966], S. 22–27, hier: S. 23.<br />

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