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Erschöpft, ausgebrannt, arbeitsmüde

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Burnout-Syndrom<br />

<strong>Erschöpft</strong>, <strong>ausgebrannt</strong>, <strong>arbeitsmüde</strong><br />

Von Georg Meck<br />

Gerade junge Akademikerinnen sind betroffen vom Burnout-Syndrom<br />

07. März 2010 Am liebsten wäre Mareike nur noch im Bett geblieben. Schon am frühen<br />

Morgen fühlte sie sich müde, erschöpft, <strong>ausgebrannt</strong>. „Ich hatte keinen Antrieb zu gar nichts,<br />

alles war mir zu viel“, sagt die junge Frau. Gerade 30 war sie geworden, als sie spürte, ihr<br />

High-Potential-Leben gerät aus den Fugen: „Ich war im Paradies, und in mir fühlte ich die<br />

Hölle.“<br />

Nichts erfreute sie mehr, obwohl alles zum Besten schien: glückliche Ehe, der Mann gut<br />

verdienender Akademiker wie sie, aufregender Job in einem Dax-Konzern. Immer wenn dort<br />

Pioniergeist gefragt ist, meldet sie sich. So geht es Projekt für Projekt nach oben. Zwei<br />

Dutzend Leute hat sie rasch in ihrem Team und den Zwang, jede Aufgabe perfekt zu<br />

erledigen: „Ich brauchte die Anerkennung, bekam mich nicht mehr runtergeregelt.“ Nur im<br />

Ausnahmefall verbringt die Jungmanagerin weniger als 14 Stunden in der Firma, den Takt aus<br />

der Arbeit hält sie auch abends. „Wenn ich mich in der Kneipe verabredet habe, dann mit drei<br />

Bekannten nacheinander.“<br />

„Ich habe nur noch geschrien“


Der Stress nimmt zu, private Sorgen ziehen auf: Warum klappt es nicht mit der<br />

Schwangerschaft? Und falls das Baby kommt, wie geht’s dann weiter mit der Karriere? Der<br />

Körper sendet erste Alarmsignale. „Ich konnte nicht mehr richtig schlafen, bin von einem<br />

Arzt zum nächsten gerannt.“<br />

Als sie an einen Mediziner gerät, der sie brutal mit der Wahrheit konfrontiert („Ihr Akku ist<br />

völlig leer“), bricht sie in der Praxis zusammen: „Ich hatte eine Stunde lang einen<br />

Weinkrampf.“ Fünf Wochen Auszeit werden ihr verordnet. Danach geht es weiter wie zuvor.<br />

Bis zum nächsten Zusammenbruch, „doppelt so heftig, ich habe nur noch geschrien“.<br />

Schließlich wird Mareike in eine Klinik eingewiesen. Diagnose: „schwerer Burnout“.<br />

Jeder Neunte ist betroffen<br />

Zum Thema<br />

Jeder zweite Arbeitnehmer hat Schlafstörungen<br />

Workaholics: Tüchtig oder süchtig?<br />

Auszeit mit Risiko<br />

Jung, selbstherrlich, gescheitert<br />

Im strikten Sinn handelt es sich beim Burnout-Syndrom um keine Krankheit, sondern um<br />

einen „Zustand körperlicher, psychischer und geistiger Erschöpfung, der durch normale<br />

Erholungszeiten nicht mehr kompensiert werden kann“, wie der Frankfurter Psychoanalytiker<br />

Hansjörg Becker erklärt.<br />

Exakte Zahlen über die Verbreitung liegen nicht vor, alle Fachleute aber bestätigen: Burnout<br />

ist zu einem Massenphänomen geworden. Jeder Neunte leidet in Deutschland darunter,<br />

schätzen die Betriebskrankenkassen.<br />

Psychische Störungen sind einer der häufigsten Gründe für Arbeitsunfähigkeit. Jeder Vierte,<br />

der von der Allianz Geld aus der Berufsunfähigkeitsversicherung erhält, tut dies wegen<br />

psychischer Störungen: „Die Anzahl der Schadensfälle hat deutlich zugenommen“, sagt eine<br />

Konzernsprecherin. „Intensität wie Häufigkeit von Burnout-Fällen steigen“, bestätigt der auf<br />

dieses Gebiet spezialisierte Frankfurter Therapeut Hansjörg Becker. Der Trend sei so stark,<br />

dass „es den Unternehmen weh tut, da immer mehr Leute deswegen ausfallen“.<br />

Aufputschmittel und Alkohol beschleunigen den Verfall


Die Arbeit in den Büros hat sich verdichtet, mit der Flut an Mails kommt der Kopf nicht mehr<br />

mit. Die Angst um den Job tut ein Übriges. „Um sich in der Firma unentbehrlich zu machen,<br />

geben die Leute das Letzte, oft mehr, als sie können“, schildert Pfarrer Hartmut Zweigle,<br />

Betriebsseelsorger im Großraum Stuttgart, die Zustände in IT- und Autoindustrie.<br />

„Viele haben außerhalb der Arbeit keine sozialen Kontakte mehr.“ Wenn er die<br />

Hilfesuchenden fragt, was sie nach Feierabend so treiben, nennen sie vielleicht noch das<br />

Fitness-Studio. „Viel mehr ist da nicht.“<br />

Unternehmer berichten davon, dass übereifrige Mitarbeiter sich weigern, Urlaub zu nehmen.<br />

Ein Dienstleistungskonzern in Frankfurt bezahlt einen Trainer eigens dafür, dass er die Leute<br />

spätabends nach Hause schickt: „Die glauben, wenn um 23 Uhr kein Licht mehr an ihrem<br />

Schreibtisch brennt, sind sie Schwächlinge.“<br />

Häufig kommt mit dem Burn-out der Alkohol. „Abends leeren sie die Minibars, morgens<br />

schlucken sie Aufputsch-Medikamente“, sagt der Hamburger Professor Matthias Burisch.<br />

„Das beschleunigt den Zerfall.“<br />

Immer auf der Suche nach dem nächsten Kick<br />

Fast jeder kennt heute Fälle aus dem Bekanntenkreis: Da ist die alleinerziehende Studentin,<br />

die das Examen erzwingen will und unter dem Druck verzweifelt. Oder der<br />

Qualitätsingenieur, der Tag für Tag 225 Mails abarbeitet, bis er zusammenklappt. Oder die<br />

überehrgeizige Teamleiterin, die sich, zurück aus der Elternzeit, auf dem Abstellgleis findet


(„Man gibt mir nur noch aussichtslose Projekte“) und einen Hörsturz erleidet, der oft<br />

einhergeht mit dem Burnout.<br />

Und dann berichten Psychiater von tragischen Fällen wie der der 34-jährigen Pharma-<br />

Managerin, die sich einredet, mit vier Stunden Schlaf auszukommen, und nach einem<br />

Herzstillstand im Büro stirbt. Dreimal war sie davor schon zusammengebrochen, jedes Mal<br />

hat sie danach ein paar Tage durchgeschlafen, dann trieb es sie zurück an ihre Planstelle – und<br />

in den Tod.<br />

Zum öffentlichen Thema wird das Burnout-Syndrom dann, wenn es einen Prominenten<br />

erwischt, wie seinerzeit den Skispringer Sven Hannawald oder jetzt Miriam Meckel. Die<br />

Lebensgefährtin von Anne Will, einst jüngste Professorin Deutschlands, hat ihre<br />

Leidensgeschichte in einem Buch verarbeitet.<br />

In „Briefe an mein Leben“ (Rowohlt) schildert sie ihre Kur in einer Allgäuer Klinik, wo sie<br />

sich nach einem Kollaps erholt von ihrem Hochleistungsleben, von „der Suche nach dem<br />

nächsten Kick, der genug Adrenalin ausschüttet, damit ich mich gut fühle“.<br />

Burnout häufig in Helferberufen<br />

Zum ersten Mal aufgetaucht ist der Begriff „burnout“ im Jahr 1974. Der amerikanische<br />

Psychologe Herbert Freudenberger beobachtete in Drogenberatungsstellen, dass viele junge,<br />

vormals hochmotivierte Mitarbeiter nach wenigen Jahren nur noch abgestumpft und zynisch<br />

ihre Arbeit versahen – dieses Phänomen nannte er „Burn-out-Syndrom“.<br />

Die Opfer wurden zunächst in den Helferberufen vermutet, bis heute sind Krankenschwestern,<br />

Erzieherinnen besonders häufig betroffen, <strong>ausgebrannt</strong>e Lehrer füllen ganze Kliniken. Eine<br />

Reihe von Reparaturbetrieben hat sich auf Burnout spezialisiert: Coaching-Firmen,<br />

Kurkliniken, Wellness-Hotels, die „Mental Health“ und „Life Executive Coaching“ ins<br />

Programm aufnehmen.<br />

Oft beginnt, was im Extrem mit der Arbeitsunfähigkeit endet, mit überdurchschnittlichem<br />

Engagement. „Burnoutler sind dem Chef anfangs die liebsten Mitarbeiter, da sie sich<br />

aufopfern für ihre Aufgabe“, sagt Mareike.<br />

Nur wer für eine Sache gebrannt hat, kann auch ausbrennen, bestätigen Experten. „Nicht zu<br />

viel Arbeit ist das Problem, sondern das Gefühl dabei“, ergänzt Professor Matthias Burisch.<br />

Die Burnout-Gefahr werde akut, wenn jemand in der Falle sitzt; „in einer beruflichen<br />

Sackgasse, ausgeliefert einem missgünstigen Chef“.<br />

Anerkennung schützt vor Burnout<br />

In den Praxen fällt auf, dass die Patienten immer jünger werden. Und immer weiblicher. Eine<br />

Gruppe kreisen die Fachleute als besonders gefährdet ein: junge Frauen, Anfang 30,<br />

hochbegabt, ehrgeizig. Akademikerinnen in der „Rush-hour des Lebens“, die auf der Höhe<br />

der körperlichen Kraft und der Leistungsfähigkeit an Grenzen stoßen; „Weltrekordlerinnen“,<br />

wie sie Burisch nennt, die alles auf einmal wollen: tolle Karriere, toller Mann, tolle Kinder.<br />

Schwäche zeigen ist dabei verboten, zumindest glauben sie das. „Sonst haben wir schon<br />

verloren gegen die Männer, können uns nicht behaupten gegen die Karriereheinis in unserem


Umfeld“, sagt Mareike. In ihrer Kur traf sie auf ganze zwei Männer – der Rest ausschließlich<br />

Frauen.<br />

Weitgehend verschont vom Burnout bleibt ausgerechnet die Gruppe, in der die höchste<br />

Belastung vermutet wird: Top-Manager brennen selten aus, berichtet Therapeut Becker, der<br />

mit seiner Firma Insite etliche Konzerne berät: „Ganz nach ganz oben schafft es nur, wer<br />

stressresistent ist.“ Zudem erfährt der Vorstand die angemessene Anerkennung, und sei es nur<br />

in Form des hohen Gehalts – auch das schützt vor Burnout.<br />

Keine Überstunden mehr<br />

Weitere Gegenmittel klingen simpel: frische Luft, Bewegung, Interessen außerhalb des Berufs<br />

– und, ganz wichtig: stabile private Beziehungen. „Ohne meinen Mann wäre ich in der<br />

Klapsmühle gelandet“, erzählt Mareike, die sich nach anderthalb Jahren Pause wieder stark<br />

genug fühlt, um ins Büro zurückzukehren – mit therapeutischer Hilfe, ohne Überstunden.<br />

Ihre nächste Auszeit kündigt sich bereits an, endlich hat es mit der Schwangerschaft geklappt.<br />

Dann beginnt ein neues Leben, sagt die Jungmanagerin: „Ich werde ganz sicher nicht acht<br />

Wochen nach der Entbindung zurückkehren, auch wenn das die Karriere eigentlich verlangt.“<br />

Sind Sie von Burnout gefährdet? Ein Selbsttest<br />

Wenn Sie mehr als eine der folgenden acht Fragen mit „Ja“ beantworten, sollten sie<br />

überlegen, ob Sie vom Burn out-Syndrom bedroht sind:<br />

- Gehen Sie lustlos zur Arbeit?<br />

- Fühlen Sie sich morgens nach dem Schlafen wie zerschlagen?<br />

- Belastet Sie der Umgang mit Kollegen, ziehen Sie sich zurück?<br />

- Fühlen Sie sich von Ihren Mitmenschen genervt?<br />

- Sind Sie öfter gereizt?<br />

- Fühlen Sie sich auch nach Urlaub oder Wochenende nicht richtig erholt?<br />

- Sind Sie öfter erkältet, oder haben Sie Magen-, Kopf- oder Rückenschmerzen und<br />

Kreislaufprobleme?<br />

- Haben Sie deutlich mehr Lust auf Zigaretten, Alkohol, Süßigkeiten oder Tabletten?<br />

Einen ausführlichen Test finden Sie im Internet.<br />

Text: F.A.Z.<br />

Bildmaterial: F.A.Z., F.A.Z. - FOTO DIETER RUECHEL

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