BGH, Urteil vom 19. Juli 1973, BGHSt 25, 218 – Normalfahrer ...
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Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />
<strong>BGH</strong>, <strong>Urteil</strong> <strong>vom</strong> <strong>19.</strong> <strong>Juli</strong> <strong>1973</strong>, <strong>BGH</strong>St <strong>25</strong>, <strong>218</strong> <strong>–</strong> <strong>Normalfahrer</strong><br />
Sachverhalt: Anton fährt ordnungsgemäß mit seinem PKW nachts<br />
auf einer Landstraße. Vor ihm fährt der Mofafahrer Manfred in betrunkenem<br />
Zustand, was Anton jedoch nicht bemerkt. Kurz bevor Anton<br />
den Manfred mit angepasster Geschwindigkeit und mit ausreichendem<br />
Seitenabstand überholen möchte, schert dieser unvermittelt<br />
um ca. zwei Meter nach links aus, sodass Anton es trotz sofortig eingeleitetem<br />
Bremsmanöver nicht vermeiden kann, dass er von hinten<br />
auf Manfred auffährt und diesen zu Fall bringt. Anton steigt aus, erkennt,<br />
dass Manfred schwer verletzt ist und sofortiger Hilfe bedarf.<br />
Dennoch unternimmt Anton nichts und fährt nach Hause. Manfred<br />
wird von einem nachfolgenden PKW erfasst und tödlich verletzt. Er<br />
hätte noch gerettet werden können, wenn Anton umgehend den Unfallort<br />
abgesperrt und ärztliche Hilfe herbeigeholt hätte. Hat sich Anton<br />
strafbar gemacht?<br />
Thema: Garantenstellung aus Ingerenz<br />
Materialien: Arbeitsblatt AT <strong>25</strong>, Arbeitsblatt Examinatorium 28<br />
Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich
Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />
Lösungsübersicht:<br />
A. Strafbarkeit Antons wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222<br />
StGB<br />
I. Tatbestand<br />
1. Handeln des Anton: Autofahren (+)<br />
2. Erfolg: Tod des Manfred (+)<br />
3. Kausalität (+)<br />
4. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung: Anton fuhr<br />
ordnungsgemäß (<strong>–</strong>)<br />
II. Ergebnis<br />
B. Strafbarkeit Antons wegen Totschlags durch Unterlassen gemäß<br />
§§ 212 I, 13 I StGB<br />
I. Tatbestand<br />
1. Objektiver Tatbestand<br />
a) Unterlassen: Liegenlassen des Manfred (+)<br />
b) Erfolg: Tod des Manfred (+)<br />
c) Quasi-Kausalität (+)<br />
d) Garantenstellung: Nach h.M. keine Ingerenz bei<br />
lediglich gefährdendem, aber nicht pflichtwidrigem<br />
Vorverhalten (<strong>–</strong>)<br />
2. Zwischenergebnis<br />
II. Ergebnis<br />
C. Strafbarkeit Antons wegen Aussetzung gemäß § 221 StGB (<strong>–</strong>)<br />
§ 221 I Nr. 1 StGB scheitert an mangelndem Vorsatz. Für § 221 I Nr. 2<br />
StGB fehlte entsprechende Garantenstellung.<br />
D. Strafbarkeit Antons wegen unterlassener Hilfeleistung gemäß §<br />
323c StGB (+)<br />
E. Strafbarkeit Antons wegen unerlaubtem Entfernen <strong>vom</strong> Unfallort<br />
gemäß § 142 I StGB (+)<br />
Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich
Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />
Lösungsvorschlag:<br />
A. Strafbarkeit Antons wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222<br />
StGB<br />
Anton könnte sich wegen einer fahrlässigen Tötung gemäß § 222<br />
StGB strafbar gemacht haben, indem er mit seinem PKW auf Manfred<br />
auffuhr und ihn zu Fall brachte, woraufhin dieser verstarb.<br />
I. Tatbestand<br />
1. Handeln Antons<br />
In dem Fahren mit dem PKW, in dessen Rahmen auch der Auffahrunfall<br />
erfolgte, ist unproblematisch ein relevantes Handeln Antons zu sehen.<br />
2. Erfolg<br />
Mit dem Manfreds Tod ist auch der tatbestandsmäßige Erfolg des § 222<br />
StGB eingetreten<br />
3. Kausalität<br />
Gerade das Fahren mit dem PKW und das damit verbundene Auffahren<br />
führte hier zu der schweren Verletzung und letztlich auch Manfreds<br />
Tod, denn das Fahren war vorliegend nicht hinwegzudenken, ohne dass<br />
der spätere Tod Manfreds durch Überfahren entfiele.<br />
4. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung<br />
Regelmäßig erfordert eine Strafbarkeit wegen fahrlässigen Verhaltens<br />
eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung. Unter einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung<br />
versteht man die Außerachtlassung der im Verkehr<br />
erforderlichen Sorgfalt. Ein abschließender Katalog an Sorgfaltspflichten<br />
existiert jedoch nicht. Daher sind Art und Maß der erforderlichen<br />
Sorgfalt aus den Anforderungen, die bei einer Betrachtung der<br />
Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Men-<br />
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schen in der konkreten Lage und der sozialen Situation des Handelnden<br />
zu stellen sind, zu ermitteln. Für den vorliegenden Fall ergibt sich<br />
demnach, dass eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung Antons gerade<br />
nicht vorlag, denn dieser fuhr absolut vorschriftsmäßig.<br />
5. Zwischenergebnis<br />
Fahrlässiges Handeln Antons lag nicht vor, denn dieser fuhr ordnungsgemäß<br />
mit seinem PKW.<br />
II. Ergebnis<br />
Mangels Verletzung einer objektiven Sorgfaltspflicht hat sich Anton<br />
nicht wegen einer fahrlässigen Tötung des Manfred gemäß § 222 StGB<br />
strafbar gemacht.<br />
B. Strafbarkeit Antons wegen Totschlags durch Unterlassen gemäß<br />
§§ 212 I, 13 I StGB<br />
Anton könnte sich wegen eines Totschlags durch Unterlassen gemäß §§<br />
212 I, 13 I StGB strafbar gemacht haben, indem er den schwer verletzten<br />
Manfred auf der Straße liegen ließ und dieser später von einem anderen<br />
PKW tödlich erfasst wurde.<br />
I. Tatbestand<br />
1. Objektiver Tatbestand<br />
a) Unterlassen<br />
Ein Unterlassen Antons lag hier unzweifelhaft vor. Zwar erfolgte zunächst<br />
ein aktives Tun in Form des Auffahrens mit dem PKW auf das<br />
Manfreds Mofa. Jedoch erfolgte das Liegenlassen Manfreds danach,<br />
und zwar zu einem Zeitpunkt, als das aktive Tun, nämlich das Auffahren,<br />
bereits abgeschlossen bzw. beendet war. Aufgrund dieser deutlichen<br />
Zäsur, treten aktives Tun und Unterlassen hier nicht in Konkurrenz<br />
zu einander, was zur Folge hat, dass das Unterlassen von Maßnahmen<br />
zur Rettung Manfreds gesondert zu beurteilen ist.<br />
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b) Erfolg<br />
Der Erfolg des § 212 I StGB, nämlich der Tod eines anderen Menschen,<br />
lag hier vor, denn Manfred verstarb nachdem er <strong>–</strong> schwer verletzt auf<br />
der Straße liegend <strong>–</strong> von einem anderen PKW tödlich erfasst wurde.<br />
c) Quasi-Kausalität<br />
Ein Unterlassen ist kausal, wenn die rechtlich gebotene Handlung<br />
nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der tatbestandsmäßige<br />
Erfolg entfiele. Regelmäßig reicht eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit,<br />
dass das Unterlassen den Erfolg bedingt hat. Hätte sich<br />
Anton nach dem Unfall dem Manfred zumindest in Form von Erste-<br />
Hilfe-Maßnahmen angenommen, ihn von der Straße geholt und in Sicherheit<br />
gebracht, wäre es mit Sicherheit nicht dazu gekommen, dass<br />
Manfred von einem später vorbeikommenden PKW tödlich erfasst wurde.<br />
d) Garantenstellung<br />
Weiterhin müsste Anton gegenüber Manfred eine Garantenstellung,<br />
also eine besondere Pflicht zum Handeln gemäß § 13 I StGB, inne gehabt<br />
haben. Hier könnte eine Garantenstellung Antons aus Ingerenz bestanden<br />
haben. Eine solche entsteht regelmäßig für denjenigen, der<br />
durch ein objektiv pflichtwidriges Verhalten die Gefahr eines Schadens<br />
für bestimmte Rechtsgüter geschaffen hat. Im vorliegenden Fall wurde<br />
jedoch schon festgestellt, dass Anton vollkommen vorschriftsmäßig mit<br />
seinem PKW fuhr, sich also gerade nicht pflichtwidrig verhielt. Insofern<br />
erscheint es fraglich, ob für Anton tatsächlich eine Garantenstellung aus<br />
Ingerenz bestand.<br />
Jedoch gibt es auch eine Ansicht, die bereits die Existenz der Ingerenz<br />
als eigenständige Gruppe der Garantenpflichten ablehnt. Nach dieser<br />
Ansicht könne selbst ein pflichtwidriges Vorverhalten keine Garantenstellung<br />
begründen, da die Anerkennung einer derart weitgehenden<br />
Fallgruppe der Garantenstellung die Garantiefunktion des Tatbestandes<br />
sprenge. Wer sich pflichtwidrig verhalte, mache sich regelmäßig schon<br />
wegen dieses pflichtwidrigen Verhaltens strafbar, sodass es einer zu-<br />
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sätzlichen Unterlassungsstrafbarkeit nicht mehr bedürfe.<br />
Demnach würde eine Unterlassensstrafbarkeit Antons <strong>–</strong> unabhängig<br />
davon, ob er sich pflichtwidrig oder pflichtgemäß hinsichtlich des Fahrens<br />
mit dem PKW verhielt <strong>–</strong> im vorliegenden Fall schon daran scheitern,<br />
dass grundsätzlich eine Garantenstellung aus Ingerenz nicht in Betracht<br />
käme.<br />
Diese Ansicht hat jedoch das Entstehen großer Strafbarkeitslücken zur<br />
Konsequenz, so dass einer grundsätzlichen Ablehnung der Garantenstellung<br />
aus Ingerenz nicht zuzustimmen ist.<br />
Bei Anerkennung der Ingerenz als Fallgruppe der Garantenstellungen,<br />
ist wiederum deren Reichweite umstritten. Relevant wird dies insbesondere<br />
dann, wenn dem Vorverhalten <strong>–</strong> wie hier dem Autofahren <strong>–</strong> zwar<br />
eine gewisse Gefährlichkeit inne wohnte, selbiges aber nicht pflichtwidrig<br />
bzw. auf Grund besonderer Regelungen dennoch zulässig war. Als<br />
weitere Fallgruppe ist hier an die Konstellation zu denken, in denen das<br />
Vorverhalten, z.B. wegen Notwehr, § 32 StGB, gerechtfertigt war.<br />
Nach der Verursachungstheorie setzt eine Garantenstellung aus Ingerenz<br />
lediglich die Verursachung einer Gefahr voraus. Pflichtwidriges<br />
Vorverhalten sei hingegen nicht notwendig, denn es wäre widersprüchlich,<br />
einerseits dem in Notwehr Handelnden Beschränkungen durch<br />
das Erfordernis der „Gebotenheit“ aufzuerlegen, andererseits ihm freizustellen,<br />
nach dem Angriff Schutzmaßnahmen zu ergreifen oder<br />
nicht. Auch sei davon auszugehen, dass sich subjektiv jeder für Gefahren<br />
verantwortlich fühle, die durch ihn hervorgerufen werden, unabhängig<br />
davon, ob dieses Verhalten pflichtwidrig war oder nicht. Nach<br />
Abschluss eines Angriffs dürfe der Angreifer zudem nicht „vogelfrei“<br />
werden. Hiernach hätte sich Anton im vorliegenden Fall wegen Totschlags<br />
durch Unterlassen strafbar gemacht. Regelmäßig sei nämlich<br />
jede Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Kraftfahrzeug objektiv<br />
gefahrschaffend, auch wenn sich der Fahrer vorschriftsgemäß verhalte,<br />
da hierdurch immer das potentielle Risiko eines Unfalls begründet<br />
werde. „Erlaubt“ die Rechtsordnung unter bestimmten Umständen ein<br />
gefährliches Verhalten, müsse dem Betreffenden zugemutet werden<br />
können, Rettungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn sich die „erlaubte“<br />
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Gefahr realisiert. Daher wäre nach dieser Theorie eine Garantenstellung<br />
Antons aus Ingerenz bereits aufgrund seines gefahrschaffenden<br />
Vorverhaltens anzunehmen.<br />
Auch die eingeschränkte Verursachungstheorie fordert für eine Garantenstellung<br />
aus Ingerenz lediglich die Verursachung einer Gefahr, nicht<br />
aber ein pflichtwidriges Vorverhalten. Anders als nach der reinen Verursachungstheorie<br />
soll jedoch ein Handeln in Notwehr die Garantenstellung<br />
nicht begründen können, da in diesem Fall das Opfer die Gefahr<br />
regelmäßig selbst verursacht hat. Auch nach dieser Ansicht hat für Anton<br />
eine Garantenstellung aus Ingerenz vorgelegen, da dieser hinsichtlich<br />
des gefahrschaffenden Autofahrens nicht in Notwehr handelte.<br />
Entgegen den vorangehend dargestellten Ansichten fordert die Pflichtwidrigkeitstheorie<br />
für das Entstehen einer Garantenstellung aus Ingerenz,<br />
dass das vorangegangene gefährliche Tun im Hinblick auf die<br />
hervorgerufene Gefahr auch pflichtwidrig war. Denn nur bei wirklicher<br />
Pflichtwidrigkeit könne von einer Verantwortlichkeit des Unterlassenden<br />
für den jeweiligen Gefahrenzustand gesprochen werden. Nach dieser<br />
Ansicht bestand für Anton keine Garantenstellung aus Ingerenz.<br />
Zwar stellte das Fahren mit dem PKW ein grundsätzlich gefährliches<br />
Handeln dar, jedoch ist dies durch die Vorschriften der StVO und des<br />
StVG gesetzlich normiert. Da Anton vollkommen vorschriftsmäßig<br />
fuhr, verhielt er sich nicht pflichtwidrig, so dass im Ergebnis die Voraussetzungen<br />
für eine Garantenstellung aus Ingerenz nicht vorlagen.<br />
Da die dargestellten Theorien zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen,<br />
ist der Streit zu entscheiden. Hierbei ist die Verursachungstheorie<br />
sowohl in der reinen als auch in der eingeschränkten Variante abzulehnen.<br />
Konsequenz dieser Ansicht ist nämlich, dass die Garantenstellung<br />
fast uferlos ausgedehnt wird. Auch erscheint es unangemessen, eine<br />
Garantenstellung mit besonderer Handlungspflicht bereits allein aufgrund<br />
einer wertfreien Kausalität, nämlich der <strong>–</strong> unter Umständen sogar<br />
erlaubten <strong>–</strong> Verursachung einer gefährlichen Situation entstehen zu lassen.<br />
Regelmäßig kann dies allein nicht ausreichen, um die Verantwortung<br />
eines Menschen zu begründen. Schließlich ist es auch widersprüchlich,<br />
dass derjenige, der in Notwehr oder Nothilfe handelt, gerade<br />
deswegen mit einer Garantenpflicht belastet wird. Daher ist der Pflicht-<br />
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widrigkeitstheorie zu folgen.<br />
2. Zwischenergebnis<br />
Mangels pflichtwidrigen Vorverhaltens unterlag Anton hier nicht einer<br />
Garantenstellung aus Ingerenz, so dass der objektive Tatbestand eines<br />
Totschlags durch Unterlassen gemäß §§ 212 I, 13 I StGB nicht vorliegt.<br />
II. Ergebnis<br />
Anton hat sich nicht wegen einer Tötung Manfreds durch Unterlassen<br />
gemäß §§ 212 I, 13 I StGB strafbar gemacht, indem er nach dem Auffahrunfall<br />
nicht erste Hilfe leistete und Manfred von der Straße weg in<br />
Sicherheit brachte.<br />
C. Strafbarkeit Antons wegen Aussetzung gemäß § 221 StGB<br />
Möglicherweise hat sich Anton aber wegen einer Aussetzung gemäß §<br />
221 I StGB strafbar gemacht, indem er zunächst auf Manfred auffuhr<br />
und ihm anschließend nicht half oder ihn zumindest an einen sicheren<br />
Ort verbrachte. Zunächst hat Anton durch den Auffahrunfall die schweren<br />
Verletzungen Manfreds kausal mit verursacht. Aufgrund dieser Verletzungen<br />
war es Manfred nicht möglich, sich selbst von der Straße in<br />
Sicherheit vor weiteren Fahrzeugen zu bringen. Mithin befand er sich in<br />
einer hilflosen Lage i.S.v. § 221 I Nr. 1 StGB. Eine diesbezügliche<br />
Strafbarkeit Antons scheitert jedoch daran, dass selbiger zu dem hier<br />
relevanten Zeitpunkt des Auffahrunfalls nicht den Vorsatz hatte, Manfred<br />
in eine hilflose Lage zu versetzen. Insofern könnte jedoch § 221 I<br />
Nr. 2 StGB vorliegen, indem Anton es unterließ, Manfred nach dem<br />
Unfall erste Hilfe zu leisten. Nachdem Anton sich <strong>vom</strong> Unfallort entfernte,<br />
hat er Manfred sowohl objektiv als auch subjektiv in einer hilflosen<br />
Lage im Stich gelassen. Zu beachten ist jedoch, dass § 221 I Nr. 2<br />
StGB ein echtes Unterlassungsdelikt ist und nur für denjenigen eine<br />
Strafbarkeit begründet, der die hilflose Person in seiner Obhut hatte oder<br />
ihr anderweitig zum Beistand verpflichtet war. An ein derartiges<br />
Obhutsverhältnis bzw. eine derartige Beistandspflicht sind praktisch die<br />
gleichen Anforderungen wie an eine Garantenstellung nach § 13 I StGB<br />
zu stellen. Wie vorstehend bereits festgestellt, unterlag Anton hier je-<br />
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doch gerade nicht einer Garantenstellung aus Ingerenz, so dass auch die<br />
Annahme eines Obhutsverhältnis bzw. einer Beistandspflicht i.S.v. §<br />
221 I Nr. 2 StGB nicht erfolgen kann. Jedes andere Ergebnis wäre insofern<br />
wertungswidersprüchlich. Folglich lag § 221 I Nr. 2 StGB schon<br />
objektiv tatbestandlich nicht vor. Im Ergebnis hat sich Anton daher<br />
nicht wegen einer Aussetzung gemäß § 221 I StGB strafbar gemacht.<br />
D. Strafbarkeit Antons wegen unterlassener Hilfeleistung, § 323c<br />
StGB<br />
In Betracht kommt weiterhin eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung<br />
gemäß § 323c StGB, da Anton es unterließ, Manfred nach<br />
dem Unfall zu helfen bzw. ihn in Sicherheit zu bringen. Unstreitig war<br />
der Unfall ein Unglücksfall i.S.v. § 323c StGB. Weiterhin unterließ Anton<br />
es vorsätzlich, Manfred Hilfe zu leisten. Weder nahm er selbst direkte<br />
Rettungsmaßnahmen in Form von erster Hilfe vor, noch rief er<br />
einen Krankenwagen oder brachte Manfred selbst in ein Krankenhaus.<br />
Diese objektiv möglichen Maßnahmen waren dem Anton unter den gegebenen<br />
Umständen auch unzweifelhaft zumutbar. Im Ergebnis hat Anton<br />
sich daher wegen einer unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c<br />
StGB strafbar gemacht, indem er nach dem Unfall den Tatort verließ,<br />
ohne dem schwer verletzten Manfred in irgendeiner Weise geholfen zu<br />
haben.<br />
E. Strafbarkeit Antons wegen unerlaubten Entfernens <strong>vom</strong> Unfallort<br />
gemäß § 142 I StGB<br />
Schließlich hat sich Anton durch das Verlassen des Unfallorts auch gemäß<br />
§ 142 I Nr. 1 und Nr. 2 StGB strafbar gemacht. Anton war am Unfall<br />
beteiligt i.S.v. § 142 V StGB. Objektiv erfüllte das sofortige Entfernen<br />
Antons beide Tatbestände des § 142 I StGB. Hierbei handelte Anton<br />
auch vorsätzlich.<br />
§ 323c StGB und § 142 StGB stehen in Idealkonkurrenz, § 52 StGB.<br />
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