Fall 14 - unirep - Humboldt-Universität zu Berlin
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<strong>Universität</strong>s-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> <strong>Berlin</strong><br />
<strong>Fall</strong> <strong>14</strong>: Einkesselung von Gegendemonstranten<br />
X und Y nehmen friedlich an einer Gegendemonstration gegen eine rechtsextremistische Demonstration<br />
teil. Die beiden Tragen ein Transparent mit der Aufschrift „Nazis sind Schweine“ und darunter in<br />
deutlich kleineren Buchstaben „Bullen auch!“ Als ein Polizist das Transparent sieht fordert er X und Y<br />
auf, das Transparent nicht mehr <strong>zu</strong> zeigen. Als X und Y sich weigern und lediglich anbieten, den Satz<br />
mit den „Bullen“ durch<strong>zu</strong>streichen, wird ihnen das Transparent weggenommen. Einige andere Teilnehmer<br />
beschränken sich indes gar nicht auf das Tragen von Transparenten, sondern drängen in die<br />
Richtung der rechtsextremistischen Demo und werfen Pflastersteine auf die Polizisten, die sie davon<br />
abhalten wollen. Diese gewaltbereiten Demonstrationsteilnehmer stellen eine zwar auffällige, aber<br />
doch geringe Minderheit der Demonstranten insgesamt dar. Die Polizeikräfte kesseln die randalierenden<br />
Gegendemonstranten ein, in die auch X und Y so wie viele andere friedliche Demonstranten hineingedrängt<br />
worden sind, und halten sie so über einige Zeit fest bis der rechtsextremistische Demonstrations<strong>zu</strong>g<br />
vorbei und außer Reichweite gezogen ist.<br />
Die Versammlung wurde von der Polizei nicht vorher aufgelöst. Der Polizeipräsident war und ist<br />
nämlich der Auffassung, dass es sich bei solchen randalierenden Gruppen, die eine Gefahr für die<br />
öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen, von vornherein nicht um Versammlungen im Sinne des<br />
Art. 8 Abs. 1 GG handele. Zumal die Gegendemonstration gar nicht ordnungsgemäß angemeldet<br />
worden sei.<br />
X und Y wollen klären lassen, ob das Vorgehen der Polizei rechtmäßig war. Wie wird das VG über<br />
Klagen von X und Y entscheiden?<br />
<strong>Universität</strong>s-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> <strong>Berlin</strong> / Öffentliches Recht /<br />
Polizei- und Ordnungsrecht / Dr. Jakob Julius Nolte<br />
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<strong>Universität</strong>s-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> <strong>Berlin</strong><br />
Lösungsskizze <strong>Fall</strong> <strong>14</strong>:<br />
Vorüberlegung: X und Y wenden sich gegen drei Maßnahmen: Die Aufforderung, das Transparent<br />
nicht mehr <strong>zu</strong> zeigen, die Wegnahme des Transparents und die Einkesselung durch die Polizei. Es ist<br />
gutachtlich die Zulässigkeit und Begründetheit verwaltungsgerichtlichen Rechtschutzes gegen alle<br />
Maßnahmen <strong>zu</strong> prüfen. Die Zulässigkeit kann – soweit an den entscheidenden Stellen auf die jeweiligen<br />
Besonderheiten eingegangen wird – <strong>zu</strong>sammen geprüft werden.<br />
A. Zulässigkeit<br />
I. Grundsätzlich ist der Verwaltungsrechtsweg § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet. Es handelt sich<br />
um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten. Eine Einkesselung, die die im Polizeikessel befindlichen<br />
Personen mehr als nur für einen kurzen Moment an einem eng umgrenzten Raum festhält,<br />
ist eine Freiheitsentziehung und somit eine Ingewahrsamnahme, die nur auf § 30 ASOG<br />
gestützt werden kann. Insoweit kommt die Sonder<strong>zu</strong>weisung an das Amtsgericht Tiergarten<br />
nach § 31 Abs. 2, 3 ASOG <strong>zu</strong>r Anwendung. Bezüglich der Einkesselung ist der Verwaltungsrechtsweg<br />
also nicht eröffnet (insoweit wird hilfsgutachtlich weiter geprüft).<br />
II. Statthafte Klageart: Fortset<strong>zu</strong>ngsfeststellungsklage § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO entsprechend,<br />
soweit es sich um Verwaltungsakte handelt (a. A. allgemeine Feststellungsklage). Das<br />
ist jedenfalls bei der Auforderung der <strong>Fall</strong>, das Plakat nicht weiter <strong>zu</strong> zeigen. Bei der Sicherstellung<br />
und Ingewahrsamnahme kann mit der h. M. eine konkludente Duldungsverfügung<br />
angenommen werden. Wer das ablehnt kommt <strong>zu</strong>r allgemeinen Feststellungsklage (§ 43<br />
VwGO). Alle polizeilichen Maßnahmen haben sich erledigt. Wird der Sachverhalt so verstanden,<br />
dass sich die Polizei weiterhin im Besitz des Transparents befindet, wäre mangels Erledigung<br />
gegen die Sicherstellung die Anfechtungsklage <strong>zu</strong>lässig.<br />
III. Klagebefugnis § 42 Abs. 2 VwGO Verlet<strong>zu</strong>ng in Art. 8 und Art. 5 Abs. 1 GG scheinen<br />
möglich.<br />
IV. Ein Fortset<strong>zu</strong>ngsfeststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass Rechtsschutz der Natur<br />
der Maßnahmen nach sonst nie erreichbar wäre, außerdem geht es um tiefgreifende Grundrechtsverlet<strong>zu</strong>ngen<br />
und ggf. auch um ein Rehabilitationsinteresse von X und Y.<br />
V. Vorverfahren ist nach h. M. nicht nötig bei Erledigung vor Ablauf der Widerspruchsfrist.<br />
VI. Beteiligten- und Prozessfähigkeit §§ 61, 62 VwGO<br />
VII. Form, keine Frist<br />
Ergebnis: Soweit der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, sind die Fortset<strong>zu</strong>ngsfeststellungsklagen<br />
<strong>zu</strong>lässig. Diese können gem. § 44 VwGO in einem Verfahren verfolgt werden. Soweit<br />
der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist, wird das VG gem. § 17a Abs. 2 GVG an das <strong>zu</strong>ständige<br />
Gericht verweisen.<br />
B. Begründetheit<br />
Die Klage ist begründet, wenn das Vorgehen gegen X und Y rechtswidrig gewesen und die beiden<br />
dadurch in ihren Rechten verletzt sind (vgl. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO).<br />
I. Aufforderung, das Transparent nicht mehr <strong>zu</strong> zeigen.<br />
1. Ermächtigungsgrundlage<br />
Als Ermächtigungsgrundlage für die Aufforderung, das Spruchband nicht mehr <strong>zu</strong> zeigen,<br />
kommt § 17 Abs. 1 ASOG oder § 15 Abs. 1 VersG (Auflage) in Betracht. Für das Vorgehen<br />
gegen Versammlungen enthält das Versammlungsgesetz speziellere Regelungen, die gegebenenfalls<br />
den Rückgriff auf das allgemeine Ordnungsrecht ausschließen (sog. Polizeifestigkeit<br />
des Versammlungsrechts).<br />
Für die Anwendbarkeit des VersG ist es <strong>zu</strong>nächst <strong>zu</strong> klären, ob es sich bei den Gegendemonstranten<br />
überhaupt um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes handelt. Der<br />
Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes knüpft <strong>zu</strong>nächst an den des Art. 8 GG an,<br />
nimmt dann allerdings Differenzierungen und Erweiterungen vor. Eine Versammlung iSd<br />
Art. 8 GG ist nach jüngster Rechtsprechung des BVerfG jede Zusammenkunft von mindestens<br />
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drei Personen <strong>zu</strong>m Zweck der gemeinsamen Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung.<br />
Selbst nach diesem engsten Versammlungsbegriff liegt hier in der ursprünglichen, wie auch in<br />
der Gegendemonstration eine Versammlung vor, und zwar grundsätzlich unabhängig, davon,<br />
ob diese angemeldet wurde. Eine Versammlung unterfällt aber nur dem Schutz von Art. 8 GG,<br />
wenn sie friedlich und ohne Waffen stattfindet. Hier gab es offenbar Versammlungsteilnehmer,<br />
die gewalttätig wurden. Aber dies war offenbar nicht die Versammlung prägende Mehrheit.<br />
Werden nur einzelne Teilnehmer einer Versammlung gewalttätig, bleibt der friedliche<br />
Rest der Versammlung grundsätzlich von Art. 8 GG geschützt. Außerdem wäre auch eine gewalttätig<br />
gewordene Versammlung <strong>zu</strong>nächst nach VersG auf<strong>zu</strong>lösen, um anschließend nach<br />
allgemeinem Polizeirecht gegen die Gewalttäter vorgehen <strong>zu</strong> können. Folglich war das Versammlungsgesetz<br />
trotz fehlender Anmeldung und teilweiser Gewalttätigkeit vorrangig anwendbar.<br />
Diese Sperrwirkung reicht allerdings nur soweit, wie das Versammlungsgesetz auch tatsächlich<br />
abschließende Vorschriften enthält. Während man sich einig ist, dass das VersG für Maßnahmen<br />
im Vorfeld von Versammlungen und für nicht-öffentliche Versammlungen keine abschließenden<br />
Regelungen enthält, besteht Uneinigkeit darüber, inwieweit das VersG für Maßnahmen<br />
im Laufe der Versammlungen abschließend ist. Das BVerwG hält auch hier das<br />
VersG für lückenhaft. Das VersG sehe in § 15 Abs. 1, 3 lediglich das Extremmittel des Verbots<br />
bzw. der Auflösung vor. Es gäbe aber durchaus Fälle, in denen es anders möglich sei, gegen<br />
die von der Versammlung ausgehenden Gefahren vor<strong>zu</strong>gehen. Ein Verbot sei in diesen<br />
Fällen unverhältnismäßig. Um diese Lücke <strong>zu</strong> füllen, greift das BVerwG als sog. Minusmaßnahmen<br />
<strong>zu</strong>m Verbot ergänzend auf die Maßnahmen des allgemeinen Ordnungsrechts <strong>zu</strong>rück,<br />
wenn die Vorausset<strong>zu</strong>ngen für ein Verbot vorliegen, dieses aber mildere Mittel <strong>zu</strong>r Gefahrenabwehr<br />
ersichtlich sein. Das ist insbesondere dann nötig, wenn gegen einzelne störende Versammlungsteilnehmer<br />
vorgegangen werden kann. Danach wäre hier § 15 Abs. 1, 3 VersG iVm<br />
§ 17 ASOG die richtige Rechtsgrundlage. Nach anderer Ansicht (so wohl auch BVerfG) können<br />
dagegen Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersG sowohl vor als auch während der Versammlung,<br />
und sowohl gegenüber dem Veranstalter als auch gegenüber einzelnen Versammlungsteilnehmern<br />
ergehen. Außerdem besteht die Möglichkeit einzelne Teilnehmer von der Versammlung<br />
oder dem Auf<strong>zu</strong>g aus<strong>zu</strong>schließen (§§ 18 Abs. 3 bzw. 19 Abs. 4 VersG) und anschließend<br />
gegen diese ausgeschlossenen Teilnehmer nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht<br />
vor<strong>zu</strong>gehen. Dieses Regelungssystem des VersG gewährleistet der Versammlung<br />
größtmögliche Autonomie. Es ist abschließend und sperrt den Rückgriff auf das allgemeine<br />
Polizei- und Ordnungsrecht, solange die Versammlung nicht aufgelöst oder eben einzelne<br />
Teilnehmer ausgeschlossen sind. Danach wäre hier § 15 Abs. 1 VersG (Auflage) die richtige<br />
Ermächtigungsgrundlage. Diese Ansicht überzeugt dogmatisch, weil sie der abschließenden<br />
Regelungssystematik des VersG gerecht wird. Da § 15 Abs. 1 VersG auch so verstanden werden<br />
kann, dass Auflagen auch noch während der Versammlung möglich sind, ist die Bandbreite<br />
der möglichen Versammlungsbegleitenden Maßnahmen auch nicht wirklich eingeschränkt.<br />
Es gibt also auch keine praktische Notwendigkeit die dogmatisch fragwürdige Figur der „Minusmaßnahmen“<br />
des BVerwG in Anspruch <strong>zu</strong> nehmen. Da die Vorausset<strong>zu</strong>ngen und die<br />
Rechtsfolgen einer Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG bzw. einer Anordnung nach § 15 Abs. 1,<br />
3 VersG iVm § 17 ASOG jeweils dieselben sind, kann das an dieser Stelle aber auch dahinstehen.<br />
2. Formelle Rechtmäßigkeit<br />
Zuständig ist die Polizei entweder als <strong>zu</strong>ständige Versammlungsbehörde gem. §§ 4 Abs. 1<br />
AZG, 2 Abs. 4 ASOG iVm Nr. 23 Abs. 2 ZustKatOrd oder aufgrund ihrer Eil<strong>zu</strong>ständigkeit<br />
nach § 4 Abs. 1 ASOG – Verfahren – Form.<br />
3. Materielle Rechtmäßigkeit<br />
Es müssten die materiellen Vorausset<strong>zu</strong>ngen des § 15 Abs. 3 bzw. Abs. 1 vorliegen. Der § 15<br />
Abs. 3 VersG muss im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 GG, der das Versammeln ausdrücklich auch<br />
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ohne Anmeldung oder Erlaubnis erlaubt, verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden,<br />
dass das bloße Fehlen oder Abweichen von der Anmeldung als Vorausset<strong>zu</strong>ng für eine Maßnahme<br />
nicht ausreicht, vielmehr müssen in jedem <strong>Fall</strong> die Verbotsvorausset<strong>zu</strong>ngen nach<br />
Abs. 1 oder 2 VersG vorliegen. Es müssen also dieselben Vorausset<strong>zu</strong>ngen vorliegen, wie für<br />
eine Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG.<br />
a) Vorausset<strong>zu</strong>ng ist danach eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung.<br />
Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist unter anderem die objektive Rechtsordnung<br />
und dort insbesondere die Strafgesetze. Hier kommt die Gefahr der Begehung<br />
einer Beleidigung nach § 185 StGB. § 185 StGB ist im Hinblick auf Art. 5<br />
Abs. 1 GG so aus<strong>zu</strong>legen, dass er eine verhältnismäßige Beschränkung der Meinungsfreiheit<br />
darstellt (sog. Wechselwirkungstheorie).<br />
Eine Beleidigung ist die Kundgabe der Missachtung der Persönlichkeit eines anderen.<br />
Eine Personengruppe hat keine Persönlichkeit und ist somit nicht beleidigungsfähig.<br />
Es können aber durchaus mehrere Personen unter einer Kollektivbezeichnung beleidigt<br />
werden, wenn die einzelnen Beleidigungsobjekte bestimmbar sind. Mit der Bezeichnung<br />
Bullen, sind hier eindeutig die vor Ort Dienst habenden Polizisten gemeint,<br />
die nicht nur als solche bezeichnet, sonder auch noch <strong>zu</strong> Schweinen erklärt werden.<br />
Dies kann nur da<strong>zu</strong> dienen, den bei der Versammlung anwesenden Polizisten die<br />
Missachtung der Persönlichkeit <strong>zu</strong>m Ausdruck <strong>zu</strong> bringen. Diese Missachtung der<br />
Persönlichkeit kommt auch noch <strong>zu</strong>m Ausdruck, wenn der Satz durchgestrichen wird.<br />
Den Umständen ist <strong>zu</strong> entnehmen, dass die Durchstreichung nicht von den Trägern<br />
des Spruchbandes herrührt. Damit wird mit dem Spruchband die ursprüngliche ablehnende<br />
Missachtung der Persönlichkeit der Polizisten ebenso <strong>zu</strong>m Ausdruck gebracht,<br />
wie <strong>zu</strong>vor. Darüber hinaus ist es möglich, dass auch die rechtsextremen Demonstranten<br />
durch das Spruchband beleidigt sind. Auch hier ist <strong>zu</strong>nächst fraglich, ob es bestimmbare<br />
beleidigungsfähige Personen gibt. Die „Nazis“ allgemein sind keine durch<br />
eine derartige Kollektivbestimmung als Einzelpersonen beleidigten bestimmbaren Objekte.<br />
Allerdings richtet sich auch hier den Umständen nach, die Missachtung auf die<br />
dort anwesenden rechtsextremen Demonstranten. Eine derartige Herabwürdigung der<br />
Person hat also <strong>zu</strong> unterbleiben.<br />
Dies stellt auch keine unverhältnismäßige Beschränkung der Meinungsfreiheit dar. In<br />
die Meinungsfreiheit kann <strong>zu</strong>m Schutz der persönlichen Ehre und durch allgemeine<br />
Gesetze eingegriffen werden. Die Bezeichnung von Polizeibeamten und Bürgern dieses<br />
Landes, die von ihrem Recht auf Meinungsäußerung im Rahmen der geltenden<br />
Gesetze Gebrauch machen, die das Verbreitung von nationalsozialistischem Gedankengut<br />
gerade unterbindet, als Schweine, bringt eine Missachtung der Persönlichkeit<br />
<strong>zu</strong>m Ausdruck, die auch im Rahmen der politischen Auseinanderset<strong>zu</strong>ng vor Art. 5<br />
Abs. 1 GG nicht hingenommen werden muss.<br />
Die öffentliche Sicherheit ist also durch das Zeigen des Spruchbandes gefährdet. Folglich<br />
liegen die Vorausset<strong>zu</strong>ngen des § 15 Abs. 1 ASOG vor.<br />
b) X und Y sind Verhaltensstörer und damit die richtigen Adressaten der Maßnahme.<br />
c) Ermessen und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.<br />
Das Gericht hat nach § 1<strong>14</strong> VwGO die Ausübung im Zweck der Ermächtigung und<br />
Grenzen des Ermessens nach § 40 VwVfG <strong>zu</strong> überprüfen. Als Ermessensgrenze<br />
kommen insbesondere Grundrechte und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in<br />
Betracht.<br />
Die Versammlung fällt, selbst nach dem engsten Versammlungsbegriff in den Schutzbereich<br />
des Art. 8 GG (siehe oben). Die Versammlungsfreiheit schützt nicht nur das<br />
Versammeln als solches, sondern auch die spezifische, dem Versammlungszweck entsprechende<br />
Gestaltung der Versammlung, insbesondere die besonderen Formen der<br />
Meinungskundgaben. Mit der Auflage, das Transparent nicht mehr <strong>zu</strong> zeigen, wird in<br />
die Versammlungsfreiheit. Eingegriffen. Die Versammlungsfreiheit ist für Versamm-<br />
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lungen unter freiem Himmel gem. Art. 8 Abs. 2 GG durch Gesetz einschränkbar und<br />
hier wirksam durch § 15 Abs. 1, 3 VersG (in verfassungskonformer Auslegung) eingeschränkt.<br />
Die Aufforderung müsste geeignet, erforderlich und angemessen gewesen<br />
sein, die Gefahr für die öffentliche Sicherheit <strong>zu</strong> beseitigen. Die Beleidigungen<br />
konnten mit der Aufforderung – wäre man ihr nachgekommen – beendet werden. Es<br />
sind auch keine milderen Mittel ersichtlich, die gleichermaßen geeignet gewesen wären.<br />
Insbesondere hatte die angebotene Streichung des zweiten Satzes nicht dieselbe<br />
Wirkung. Angesicht der Gefährdung der Würde der diensthabenden Polizeibeamten<br />
und auch der (wenn auch rechtsextremen) Demonstranten, war die Aufforderung, das<br />
Transparent nicht mehr <strong>zu</strong> zeigen, auch angemessen. Insbesondere, da X und Y die<br />
weitere Versammlungsteilnahme dadurch möglich blieb. Gleiches gilt für den Eingriff<br />
in Art. 5 Abs. 1 GG, der nach h. M. neben Art. 8 GG <strong>zu</strong> Anwendung kommt, wenn<br />
sich eine Maßnahme gegen Inhalte und nicht nur gegen die Form der kollektiven<br />
Meinungsäußerung richtet. Art. 5 Abs. 1 GG kann <strong>zu</strong>m Schutze der Ehre eingeschränkt<br />
werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde diesbezüglich schon<br />
bei der Auslegung des § 185 StGB berücksichtigt. Die Maßnahme <strong>zu</strong>r Gefahrenabwehr<br />
war mithin verhältnismäßig. Es besteht kein besonderes schutzwürdiges Interesse<br />
daran, dass X und Y auf einer Demonstration die diensthabenden Polizisten und<br />
Mitbürger andere Ansicht beleidigen können.<br />
4. Ergebnis<br />
Die Aufforderung, das Transparent nicht mehr <strong>zu</strong> zeigen, war rechtmäßig.<br />
II. Sicherstellung des Transparents<br />
1. Ermächtigungsgrundlage<br />
Als Ermächtigungsgrundlage für die Sicherstellung des Transparents kommt nur § 38 ASOG<br />
in Betracht. Das VersG kennt keine entsprechende Ermächtigungsgrundlage. § 38 ASOG ist<br />
aber nur anwendbar, wenn man mit dem BVerwG von der Anwendbarkeit des ASOG bei sog.<br />
„Minusmaßnahmen” <strong>zu</strong>r Versammlungsauflösung ausgeht (vgl. oben). [Wenn man sich gegen<br />
die Anwendung des ASOG ausspricht, wäre die Sicherstellung, ohne vorherige Auflösung der<br />
Versammlung (§ 15 Abs. 3 VersG) oder Ausschluss der betroffenen Teilnehmer (§ 18 Abs. 3<br />
VersG) nicht möglich.]<br />
2. Formelle Rechtmäßigkeit<br />
Hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit bestehen keine Zweifel.<br />
3. Materielle Rechtmäßigkeit<br />
Die Vorausset<strong>zu</strong>ngen des § 15 Abs. 1, 3 VersG liegen vor (vgl. oben). Darüber hinaus müssten<br />
die Vorausset<strong>zu</strong>ngen der Sicherstellung nach § 38 ASOG vorliegen. Hier kommt Nr. 1 in<br />
Betracht, wonach eine Sache sichergestellt werden kann, um eine gegenwärtige Gefahr ab<strong>zu</strong>wehren.<br />
Eine gegenwärtige Gefahr ist eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit (vgl. § 17<br />
Abs. 1 ASOG), die zeitlich unmittelbar bevorsteht. Hier liegt eine Gefahr für die öffentliche<br />
Sicherheit vor (vgl. oben). Diese ist auch gegenwärtig, da sie sich in dem Zeigen des Transparents<br />
bereits verwirklicht hat und zeitlich unmittelbar bevorstehend weiter verwirklichen würde.<br />
Hinsichtlich des Ermessens und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit unter besonderer<br />
Berücksichtigung der hier betroffenen Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit<br />
ergeben sich keine relevanten Unterschiede <strong>zu</strong> obiger Prüfung. Insbesondere war die Aufforderung<br />
als <strong>zu</strong>nächst vorhandenes und im Sinne des Kooperationsprinzips <strong>zu</strong> nutzendes milderes<br />
Mittel nicht erfolgreich.<br />
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4. Ergebnis<br />
Folgt man der Meinung des BVerwG war auch die Sicherstellung des Spruchbandes rechtmäßig.<br />
Anderenfalls hätte <strong>zu</strong>nächst ein Versammlungsausschluss von X und Y erfolgen müssen,<br />
um anschließend rechtmäßig nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht gegen diese vorgehen<br />
<strong>zu</strong> können.<br />
III. Die Einkesselung<br />
1. Ermächtigungsgrundlage<br />
Als Ermächtigungsgrundlage für die Einkesselung kommt § 30 ASOG in Betracht. Eine Einkesselung,<br />
die die im Polizeikessel befindlichen Personen mehr als nur für einen kurzen Moment<br />
an einem eng umgrenzten Raum festhält, ist eine Freiheitsentziehung und somit eine Ingewahrsamnahme,<br />
die nur auf § 30 ASOG gestützt werden kann. Das geht aber nur, soweit<br />
das Versammlungsgesetz die Anwendung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts <strong>zu</strong>lässt<br />
(vgl. oben). Eine Einkesselung mit der Folge, dass die Versammlung gar nicht weiter<br />
stattfinden kann, ist anders als die Aufforderung, das Spruchband nicht mehr <strong>zu</strong> zeigen, oder<br />
die Sicherstellung des Spruchbandes, keine „Minusmaßnahme“ <strong>zu</strong> einem im Versammlungsgesetz<br />
geregelten Verbot, vielmehr ist es ein Eingriff in die Versammlung, der einem Verbot<br />
gleichkommt. Hierfür enthält das VersG in §§ 13, 15, 18, 19 aber detaillierte Regelungen, die<br />
dem besonderen Schutz der Versammlungsfreiheit in Art. 8 GG Rechnung tragen. Eine Versammlung<br />
ist <strong>zu</strong> verbieten und auf<strong>zu</strong>lösen. Dadurch haben alle (ehemaligen) Teilnehmer die<br />
Pflicht, sich vom Versammlungsort <strong>zu</strong> entfernen (§§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 2 VersG). Die unmittelbare<br />
Anwendung des ASOG würde eine Umgehung dieses Regelungssystems im VersG<br />
bedeuten, die auch das BVerwG nicht <strong>zu</strong>lässt. Das Verbot nach VersG kann auch nicht konkludent<br />
durch Einkesselung ausgesprochen werden, vielmehr muss eindeutig und ausdrücklich<br />
erklärt werden, dass die Versammlung verboten, aufgelöst und damit beendet ist und sich die<br />
Teilnehmer daher unverzüglich vom Versammlungsort <strong>zu</strong> entfernen haben. Erst wenn das geschehen<br />
ist, kann die Polizei weitere Platzverweise nach ASOG aussprechen und diese dann<br />
durch Ingewahrsamnahmen durchsetzen, oder im <strong>Fall</strong>e von drohenden Randalen diese direkt<br />
durch Ingewahrsamnahmen verhindern. Die unmittelbare Einkesselung ohne vorherige Auflösung<br />
der Versammlung (oder Ausschluss der betroffenen Teilnehmer) ist somit nicht möglich<br />
und daher rechtswidrig.<br />
2. Formelle und materielle Rechtmäßigkeit<br />
Hilfsgutachtlich könnte weiter auf die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme<br />
eingegangen werden.<br />
Formell müsste an den Richtervorbehalt aus § 31 Abs. 1 ASOG bzw. aus Art. 104 Abs. 2 GG<br />
gedacht werden. Die vorherige richterliche Entscheidung dürfte wegen Gefahr in Ver<strong>zu</strong>g allerdings<br />
entbehrlich sein. Die nachträgliche richterliche Entscheidung bedarf es nach § 31<br />
Abs. 1 S. 2 ASOG nicht, wenn die Entscheidung erst nach Beendigung des Gewahrsams ergehen<br />
könnte. So liegt es hier vor.<br />
Materiell müssten die Vorausset<strong>zu</strong>ngen des § 30 Abs. 1 Nr. 2 ASOG vorliegen. Die gewalttätigen<br />
Demonstranten mögen wohl Straftaten verüben. Allerdings sind X und Y im Hinblick<br />
auf diese Straftaten nicht Störer (§ 13 ASOG). Sie könnten also nur als Nichtstörer gem. § 16<br />
ASOG in Anspruch genommen werden. Da<strong>zu</strong> müssten die Vorausset<strong>zu</strong>ngen des § 16 Abs. 1<br />
ASOG kumulativ vorliegen. Ob es hier wirklich keine Möglichkeit gab, die Gefahr ohne Inanspruchnahme<br />
der (vielen) betroffenen Nichtstörer <strong>zu</strong> erreichen, kann hier angesichts mangelnder<br />
Anhaltspunkte im Sachverhalt nicht wirklich beurteilt werden. Es müsste untersucht werden,<br />
ob es möglich war, gezielter gegen einzelne Randalierer vor<strong>zu</strong>gehen.<br />
3. Ergebnis<br />
Die Einkesselung war rechtswidrig.<br />
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IV. Ergebnis<br />
Während die Aufforderung, das Spruchband <strong>zu</strong> entfernen, und nach Rechtsprechung des BVerwG<br />
auch die Sicherstellung rechtmäßig waren und den X und Y daher nicht in ihren Rechten verletzt<br />
haben, war die Einkesselung ohne vorherige Beseitigung der Polizeifestigkeit durch Ausschluss oder<br />
Auflösung der Versammlung rechtswidrig (aus dem selben Gründen kann auch die Sicherstellung für<br />
rechtswidrig gehalten werden). Die Einkesselung war ohne vorherige Auflösung der Versammlung in<br />
jedem <strong>Fall</strong> rechtswidrig.<br />
C. Ergebnis<br />
Die Klage von X und Y ist teilweise <strong>zu</strong>lässig und teilweise begründet.<br />
Rechtsprechung, die <strong>zu</strong>r Kenntnisnahme empfohlen wird:<br />
BVerfG vom 10.12.2010 Az.: 1 BvR <strong>14</strong>02/06 betr. eines Platzverweises gegen Gegendemonstranten<br />
ohne vorherige Auflösung der Gegendemonstration.<br />
VG-Düsseldorf vom 21.04.2010 Az.: 18 K 3033/09 betr. Einkesselung von Demonstranten ohne vorherigen<br />
Ausschluss von der Versammlung.<br />
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